Hohelied 1

Aus Die Offene Bibel

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Lesefassung (Hohelied 1)

(kommt später)

Studienfassung (Hohelied 1)

1 Das Lied der Lieder,a welche [sind] (welches [ist])b von (für, über, nach Art von) Salomon


2 [Frau:]c „Er küsse mich mit Küssen (mit einigen von den Küssen) seines Mundes!d
Oh!, (Denn) deinee Liebkosungenf [müssen] besser [sein] ([sind] besser)g als Wein;h
3 Als der Geruch [deiner] Ölei (deiner Öle)j [müssen sie] besser [sein] (An Geruch/zum Riechen [sind] [deine] Öle gut):
Öl, [das] ausgegossen wird, ist dein Name (bist du selbst)!k
Darum lieben dich die jungen Frauen.


4 Zieh mich! Hinter dirl wollen wir [ja alle] herrennen!
Der Königm bringt miche in seine Zimmer!
Wir wollen [ja alle] jubeln und uns freuen über dich,
Wir wollen deine Liebkosung mehr als Wein preisen.h
Die Gerechten (mit Recht?)n lieben dich.“


o


5 [Frau:]c „Schwarz [bin] ich, aber [trotzdem] (und) schön, [oh] Töchter Jerusalems!p
Wie die Zelte Kedars,q wie die Zelter Salomos!s
6 Seht nicht auf mich herab, (Wollt ihr mich nicht ansehen...!?t) weil ich so schwarzu [bin],
Weil die Sonne auf mich geblickt hat!
Die Söhne meiner Mutterv waren gegen mich entbrannt;w
Sie haben mich zur Hüterin der Weinberge gemacht -
Meinen Weinberg, der mein [ist], habe ich nicht gehütet.“


o


7 [Frau:]c „Sag mir, [du,] den meine Seele liebt,x
Wo du weiden wirst,
Wo du lagern lassen wirst am Mittag,
Damit ich nicht sein muss (werde) als Verschleierte (wie eine Wandernde)y
Bei [den] Herden deiner Gefährten!“


8 [Mann (Töchter Jerusalems):]cz „Wenn du es {dir} nicht wissen wirst,
Schönste unter den Frauen,
Folge {dir} den Spuren der Schafe
Und weide deine Zicklein (Brüste?aa)
Bei den Zelten der Hirten!“


o


9 [Mann:]c „Pferden (meinen Pferden, einer Stute, meiner Stute)ab vor den Wagen des Pharao
Vergleiche ich dich (mache ich dich gleich), meine Freundin!ac
10 Lieblich sind (wären) deine Wangen (Backen) zwischen den Ketten (in Zaumzeug),ad
Dein Hals zwischen den Perlen (?).ae
11 Goldene Ketten (Goldenes Zaumzeug)ad will ich (wollen wir)af dir machen [lassen],
Mit Punkten aus Silber!“ag


o


12 [Frau:]c „Solange (bis [dorthin], wo) der Königm auf seiner Couchah [ist],
Gibt meine Nardeai ihren Duft.
13 Ein Myrrhensäckchenaj [ist] mir mein Geliebter,
Ruhendak zwischen meinen Brüsten.
14 Eine Hennadoldeaj [ist] mir mein Geliebter
Aus den Weinbergen von En-Gedi.“al


o


15 [Mann:]c „Siehe! (Fürwahr!), schön [bist du, (ist)] meine Freundin!ac
Siehe! (Fürwahr!), schön [bist du (ist)]! Deine Augen [sind] Tauben ([wie die von] Tauben)!“am


16 [Frau:]c „Siehe (Fürwahr!), schön [bist du, (ist)] mein Geliebter; ja, lieblich;
Ja, unser Bett [ist] grün:
17 Die Balken unseres Hauses (unserer Häuser)an [sind] Zedern (Zedernholz),
Unsere Täfelung (unser Balken) [sind] Zypressen (Zypressenholz).“

Anmerkungen

Das Hohelied ist eine Sammlung von Liebesliedern, die miteinander nur in „lockerem Zusammenhang“ (Krinetzki 1964, S. 80) stehen. Die vielen Wort-, Satz- und Motiv-Wiederholungen im Verlauf des Hoheliedes legen aber nahe, dass mindestens einige dieser Lieder vom selben Autor stammen. In die selbe Richtung weisen stilistische Züge, die vielen der Lieder gemeinsam sind, z.B. die gehäufte Verwendung seltener, oft aus dem Aramäischen stammender Wörter oder die ungewöhnliche Häufung von Assonanzen.ao Dazu passt auch, dass durch die acht Kapitel hindurch nur drei Sprecher-„typen“ identifizierbar sind: Frau, Mann und die immer wieder auftretenden „Töchter Jerusalems“. Und auch die Tatsache, dass viele eigentlich voneinander unabhängige Lieder durch ähnliche Motive mit den jeweils benachbarten Liedern zusammenhängen, führt dann zum selben Schluss: Das Hohelied ist ein einheitliches Werk. „Natürlich handelt es sich hierbei nicht um eine narrative Einheitlichkeit, sondern eine lyrische Einheitlichkeit.“ (Barbiero 2011, S. 18; ähnlich z.B. Exum 1998, S. 230-232). Dem heutigen Leser legt sich das ohnehin nahe, denn die Überschrift zeichnet das ganze Buch aus als „Lied“ - im Singular.
Für diese Anmerkungen heißt das: Die Lieder sind als selbständige Einheiten zu erläutern. Da sie aber nicht zufällig an dem Ort stehen, an dem sie stehen, ist bei ihrer Erläuterung jeweils auch der nähere und weitere Kontext zu berücksichtigen.


V. 1 nennt man die „Überschrift“ des Hoheliedes. Wahrscheinlich gehört sie wie die Psalmüberschriften nicht ursprünglich zum Text, sondern ist später hinzugefügt worden. Dahin weist vor allem, dass eine andere Relativpartikel („welche“) verwendet wird als im restlichen Hohelied, nämlich ´ascher statt sche. Diese Zuschreibung des Hoheliedes an Salomo ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass dieser mehrfach im Hohelied erwähnt wird, dass er nach biblischer Überlieferung ganze 1005 Lieder verfasst hat (s. 1 Kön 5,12) und ein gewaltiger Frauenheld war (s. 1 Kön 11,3; so gut Exum 2005, S. 89).


Das erste Lied (Vv. 2-4) ist ein Sehnsuchtslied eines „keuschen“ Mädchens, das offenbar noch nicht einmal ihren ersten Kuss von ihrem Geliebten empfangen hat und sich in das Zusammensein mit ihm hineinträumt. Die Tatsache, dass auch viele andere Mädchen in ihren Angebeteten verliebt sind, stört sie nicht; in ihren Augen steigert sie sogar nur noch, wie begehrenswert ihr Geliebter ist. Dieses Motiv findet sich des öfteren in ägyptischen Liebesliedern. Im Lied „Der Spaziergang“ zum Beispiel preist ein Liebender sein Mädchen mit den Worten: „Sie macht, dass alle Männerköpfe sich wenden, wenn sie sie sehen.(Üs. nach COS I, S. 128).


Auch das zweite Lied (Vv. 5-6) ist ein Sehnsuchtslied, allerdings eines ganz anderer Art. Während das erste vor allem im Modus des Träumens vom Geliebten spricht, ist im zweiten Lied von einem Geliebten auf den ersten Blick nicht mal die Rede; die Sprecherin spricht hauptsächlich von sich und ihrer dunklen Hautfarbe.ap „Schwarz bin ich, aber trotzdem schön!“, sagt sie; und: „schaut nicht auf mich herab, weil ich so schwarz bin“, und fügt dann noch eine Erklärung an, wie es zu dieser ihrer schwarzen Hautfarbe kam. Grund dafür ist, dass eine schwarze Hautfarbe nicht dem damals geltenden Schönheitsideal entsprach (s. Hld 5,10; bes. auch Klgl 4,7f.). Auch hierfür finden sich Parallelen in anderen antiken Texten, z.B. wieder im eben schon zitierten „Der Spaziergang“: „[Sie ist schön:] Strahlend, kostbar, mit weißer Haut ... Langer Hals, weiße Brust, Haare wie echter Lapislazuli [d.h. glänzend schwarz].“. Gerhards zitiert gut auch Theokrits zehnte Idylle:

Anmutige Bombayka, ‚Syrerin‘ nennen dich alle,
verdorrt, sonnenverbrannt, ich allein aber [nenne dich] honiggelb.
Auch das Veilchen ist schwarz und die beschriebene Hyazinthe,
aber dennoch hält man sie in den Kränzen für die besten [Blumen].(Üs.: Gerhards 2010, S. 213)

Auf den ersten Blick scheint also das zweite Lied eine Selbstverteidigung zu sein: Man soll doch nicht auf sie herabsehen, weil sie so schwarz ist; sie ist schwarz und trotzdem schön! So versteht das Lied z.B. gut Hunter 2000, S. 122f. - doch wäre dann schwer verständlich, was ein solches Lied in einer Sammlung von Liebesliedern zu suchen hätte. Der Schlüssel zum richtigen Verständnis findet sich in der Struktur von V. 6, wo auffällig das Pferd scheinbar von hinten aufgezäumt wird: „Ich bin schwarz - das deshalb, weil die Sonne auf mich geblickt hat - das deshalb, weil meine Brüder mir gezürnt und mich zur Weinbergshüterin eingesetzt haben - das deshalb, weil ich „meinen Weinberg, der mir gehört“, nicht gehütet habe.“ Das ganze Lied mündet auf diese Weise in den auffälligen Satz „Meinen Weinberg, der mir gehört, habe nicht gehütet.“ Auffällig ist er erstens wegen der unnötigen Wiederholung der Besitzangabe: „Mein Weinberg, der mir gehört“. Auffällig ist er außerdem, weil es ja Unsinn wäre, wenn die Brüder die Sprecherin zur Weinbergshüterin gemacht hätten, nachdem sie schon ihren eigenen Weinberg nicht gehütet hatte. Und auffällig ist er schließlich, weil eine Frau gar kein Land haben konnte, wenn es in ihrer Familie gleichzeitig erbberechtigte Brüder gab (s. Erbe/Erbrecht (AT) (WiBiLex)). „Mein Weinberg, der mir gehört“ ist daher sicher symbolisch zu verstehen. Hinweis darauf, wie er er zu verstehen ist, ist erstens das „Lied vom Weinberg“ in Jes 5,1-7, wo der „Weinberg“ Symbol für Israel, die Geliebte Gottes, ist, und zweitens Hld 8,8-12, wo gleichfalls von den „Brüdern“ und dem „Weinberg“ die Rede ist und sogar die die auffällige Formulierung „mein Weinberg, der mir [gehört]“ sich wieder findet: Auch dort ist der Weinberg Symbol für den Geliebten der Sprecherin. So ist der Weinberg also wahrscheinlich auch hier zu verstehen;aq Vv. 5-6 und Hld 8,8-12 handeln von den selben Zusammenhängen (s. dort): Die Brüder der Sprecherin haben ihre Schwester „aus dem Verkehr gezogen“, indem sie sie zur Weinbergshüterin machten, weil sie sich aus ihrer Verheiratung Gewinn versprachen. Auf diese Weise haben sie sie auch von „ihrem Weinberg, der ihr gehört“, getrennt: Von ihrem Geliebten. Symbol für diese Trennung ist die dunkle Hautfarbe, die die Sprecherin durch ihren Aufenthalt in den Weinbergen nun hat, und während sie im zweiten Lied vordergründig diese ihre dunkle Hautfarbe beklagt, zeigt die letzte Zeile, wofür diese dunkle Hautfarbe eigentlich steht: Den Verlust ihres Geliebten.


Das dritte Lied (Vv. 7-8) ist ein Rendezvous-antrag einer Ziegenhirtin an einen Schafhirten, mit dem ein mittägliches Stelldichein organisiert werden soll. Schon sprachlich ist der Text als Dialog erkennbar, denn ganz auffällig fehlt hier jegliches Merkmal für hebräische Lyrik; stattdessen wird sehr prosaisch zweimal ein einzelner Satz durch Enjambements in jeweils fünf Zeilen aufgeteilt.
Hirten machten um die Mittagszeit Rast und ließen ihr Vieh weiden; da also wäre es dem Päärchen möglich, sich einander zu widmen - wenn sie nur zueinander fänden. Denn dies war leichter gesagt als getan: Weibliche Hirten konnten ihre Tiere vermutlich nur in Dorfnähe weiden (s. gleich und vgl. AuS VI, S. 213.232), daher versteht es sich, dass sie nicht weiß, wo sich ihr Geliebter aufhält; zumal Hirten bisweilen beträchtliche Wege zurücklegen müssen konnten, um ihr Vieh vom Nachtlager zum mittäglichen Weideplatz zu bringen.
Damit, dass sie dennoch zu ihm kommen möchte, nimmt sie ein nicht Geringes Risiko auf sich: Vor allem unverschleiert umherlaufende Frauen liefen Gefahr, mindestens belästigt zu werden, wenn sie ohne Begleitung auf fremde Männer stießen. Im Koran (Al-Ahzab 33,59) etwa wird das Kopftuchgebot gerade damit begründet: „Oh Prophet! Sprich zu deinen Frauen und deinen Töchtern und zu den Frauen der Gläubigen, sie sollen ihre Übergewänder reichlich über sich ziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie erkannt und nicht belästigt werden.“ „Erkannt werden“ sollen sie vermutlich als zu einem muslimischen Mann gehörig: Der Brauch, eine Frau bei ihrer Hochzeit zu verschleiern, war im ganzen Alten Orient verbreitet (vgl. gut van der Toorn 1995), und die Verschleierung als Zeichen dafür, dass eine Frau vergeben und nicht zu belästigen ist, haben wir uns wohl auch für die Bibel zu denken. So verschleiert sich Rebekah in Gen 24,65 erst, als sie in die Sichtweite ihres künftigen Ehemanns kommt, und in der Geschichte von Tamar ist der Schleier der Gegensatz zu ihrer Witwenkleidung: Da legte sie die Witwenkleidung ab und bedeckte sich mit einem Schleier und verschleierte sich... Danach ging sie los, legte ihren Schleier ab und zog ihre Witwenkleidung an. (Gen 38,14.19):

„In early Oriental tradition the veil symbolized a state of distinction and luxury rather than feminine modesty. [...] It bespoke woman's inaccessibility not so much in a sexual sense but as a sanctified possession of her husband.“ (Brayer 1986, S. 139)

Wahrscheinlich ist dies der Hintergrund für des „als Verschleierte“ in V. 7: Die Hirtin fürchtet, statt auf ihren Geliebten auf andere Hirten zu stoßen, von denen sie als allein durch die Gegend ziehendes, unverheiratetes Mädchen belästigt werden könnte, wogegen sie sich nur schützen konnte, indem sie durch Verschleierung die Verheiratete spielte. In etwa die selbe Bedeutung hätte es, wenn man der Textvariante „wie eine Wandernde“ folgt: Sie hat Angst, auf ihrer Wanderung in die Nähe der anderen Hirten zu kommen.ar
Die Lösung ist einfach: Wenn sie seinen Weideplatz bis dahin nicht herausbekommen hat, soll sie den deutlich erkennbaren Spuren des Viehs zu den Zelten der Hirten folgen, also ihren Nachtlagern (AuS VI, 232.249) - dem einzigen Ort, wo mit Sicherheit um die Mittagszeit keiner der Hirten anzutreffen sein wird. Dort wird ein mittägliches Stelldichein möglich sein, ohne dass das Mädchen von anderen Hirten belästigt wird (so gut Gerhards 2010, S. 330f.; Rudolph 1962, S. 126).


Beduinin mit Kopfschmuck. Fotograf unbekannt.
Vv. 9-11 lassen sich auf zwei Weisen verstehen. In der Regel hält man es für ein Bewunderungslied: der Sprecher preist die durch ihren Schmuck noch unterstrichene Schönheit seiner Geliebten, indem er sie mit prächtig geschmückten Pferden vergleicht. Ab V. 10 spricht er also nicht mehr von Pferden, sondern von seiner geschmückten Geliebten, und begeistert beschließt er in V. 11, ihr noch exquisiteren Schmuck anfertigen zu lassen. Bei dem geschilderten Schmuck könnte man dann an etwas denken wie den rechts abgebildeten Beduinen-Kopfschmuck.

Dass aber auch im alten Israel solcher Kopfschmuck getragen worden wäre, ist nicht belegt. Und auch das zweimal verwendete Wort tor (s. FN ad) findet sich sonst nicht mehr als Bezeichnung für Frauenschmuck. Dafür findet sich das verwandte Wort tr zweimal in der ugaritischen Literatur im Zusammenhang mit Pferdewägen, es scheint sich dabei also um etwas zu Pferde zu handeln (vgl. Pope 1977, S. 343).
Das Pferd als Paradigma für Pracht findet sich zwar auch in Ijob 39,19-25; ein Vergleich einer Geliebten mit Pferden findet sich in der altorientalischen Literatur sonst offenbar nicht mehr. Dafür aber häufiger in der griechischen Literatur; man vergleiche z.B. Theokrits 18. Idylle:

Fruchtbarem Ackergefilde zum Schmuck prunkt hochauf die Saatflur,
Und die Kypresse im Garten, das Thessaler-Roß an dem Wagen:
So Lakedämon zum Schmuck ist der Helena rosiges Prangen.(Vv. 30f.; Üs.: Mörike/Notte).

Dies zusammennehmend vergleiche man nun mit unserem Lied Anakreons Gedicht an ein thrakisches Fohlen, mit dem sehr wahrscheinlich ein Mädchen gemeint ist:

Thrakisch Füllen, warum wirfst du doch
auf mich so schräge Blicke?
Grausam fliehst du mich, du traust
mir wohl des Klugen wenig zu?
Aber wisse nur, ich wollte
dich aufs allerbeste zäumen,
Und dich fest im Zügel haltend lenken
um das Ziel der Bahn.
Jetzt noch weidest du im Grünen,
spielst umher in leichten Sprüngen,
Denn es mangelt noch ein Reiter,
der der Schule kundig ist.(Üs.: Mörike)

Es ist sehr gut möglich, dass unser Lied besser entsprechend diesem Gedicht von Anakreon zu verstehen ist: Der Sprecher möchte seine Angebetene den „Pferden vor den Wägen des Pharao“ - also Kriegspferden; ähnlich wilden Pferden wie thrakische Pferde (die von den Thrakern ebenfalls vor ihre Streitwägen gespannt wurden) - gleich machen (V. 9), nämlich indem er sie sich durch Zügel zähmt (V. 11). Wie gut gefiele sie ihm doch in solchen Zügeln (V. 10)! Zu den „goldenen Zügeln mit Perlen“ vgl. man dann folgende Zeilen aus einem jerusalemer Klagelied auf den Tod einer jungen Frau:

O die junge Stute, unter den Pferden eine schnell eilende,
ihre Zügel sind mit Perlen und Korallen besetzt.(Üs.: Littmann);

außerdem folgende Zeilen aus einem arabischen Lied:

Vor dem Zelte des jungen Fürsten
steht eine junge Stute mit weißem Stirnmal
und angeschirrt mit Gold,
sie wird nicht in die Wüste hinausgelassen.(Üs.: Musil)


Das fünfte Lied (Vv. 12-14) ist ein Bewunderungslied, in dem die Sprecherin den Duft ihres Geliebten preist. Für ein ganz ähnliches Motiv s. das Eigenlob der Weisheit in Sir 24,15; auch oben Hld 1,3. Während man in V. 12 noch denken könnte, die Sprecherin preise ihren eigenen Duft, der bis zum König dringt, mache Vv. 13-14 klar: „der König“, „meine Narde“, „ein Myrrhensäckchen“ und „eine Hennadolde“ sind alles Ausdrücke für den wunderbar duftenden Geliebten, der auf seiner Couch so nahe bei ihr liegt, dass man ihn mit dem „Myrrhensäckchen zwischen ihren Brüsten“ vergleichen kann.


Columbarium in Hirbat Midras
Mosaik, 1. Jh.; Palästina: Ägyptisches Columbarium. (c) Zissu, Boaz: This Place is for the Birds, in: BAR 35/3, 2009.
Die nächsten drei Verse sind die erste Strophe des sechsten Liedes (Hld 1,15-2,7).as Motivisch ist es eng mit dem vorigen Lied verwandt, wo der Geliebte mehrfach als duftende Pflanze beschrieben wurde: auch von Hld 1,15-2,7 ist das vereinigende Motiv die Veschmelzung von menschlicher und „pflanzlicher“ Dimension. In Vv. 15-17 wird das Liebesnest des Päärchens unter Zedern und Zypressen zu ihrem Palast. Vv. 1-3 werden beide Geliebten zu Blumen; Vv. 2-3ab wiederholen dabei auf dieser metaphorischen Ebene die Aussagen von Vv. 15-16a.at Und in Vv. 4-7 wird das „Haus“ noch einmal umdefiniert zum „Weinhaus“ und die Vereinigung des Päärchens zu „Traubenkuchen und Aprikosen“.

Hld 1,15-17 ist sehr ekstatisch gesprochen, sowohl das dreimalige „Siehe/Fürwahr!“ als auch das zweimalige „Ja!“ dienen dazu, die Aussagen noch stärker zu machen: Es handelt sich hier nicht um nüchterne Lobessprüche, sondern jubilierende Lobpreisungen der Schönheit des jeweils anderen.
„Meine Freundin, du bist schön“, beginnt der Mann, und: „Deine Augen sind Tauben“. Wie diese Metapher zu verstehen ist, ist umstritten. „Aus dem Kontext können wir jedenfalls sicher darauf schließen, dass [sie] als Kompliment [gemeint] ist“ (Longman 2001, S. 108) und offenbar mit der Schönheit der Geliebten zusammenhängt. Das Bild der Geliebten als „Taube“ findet sich noch öfter im Hohelied: In Hld 2,14 wird die Geliebte selbst als „Taube in den Felsspalten, im Versteck in der Felswand“ bezeichnet, und in Hld 4,1 wird unser V. 15 noch einmal auführlicher wiederholt: „Deine Augen sind wie Tauben hinter deinem Schleier.“ Auch in unserem Kapitel war wenige Verse zuvor vom Schleier die Rede.
Weil Tauben gefragte Opfertiere waren und zum Beispiel auch bei der Seefahrt verwendet wurden, züchtete man sie in sog. „Columbarien“; zwei schöne Abbildungen kann man rechts betrachten. Entweder sind mit den „Felsspalten, dem Versteck in der Felswand“ diese gemeint oder ihre natürliche Variante, also natürliche Höhlen im Fels, in die Tauben sich zurückziehen. Lässt man sich beim Verständnis unseres Verses von Hld 2,14; 4,1 leiten, müsste man so erklären, dass das Hervorblicken der Augen der Geliebten von hinter ihrem Schleier (natürlich) als schön und reizend empfunden wurde, daher besungen wird und zu diesem Zweck gleichgesetzt wird mit der aus ihrem Felsversteck hervorspitzenden Taube.
Die Geliebte gibt das Kompliment zurück: „Auch du bist schön, mein Geliebter!“. Die folgenden Zeilen machen klar, woher die ekstatische Stimmung rührt: Die Liebenden liegen beieinander in einem Liebesnest unter Bäumen. Passend wird daher im letzten Vers auch dieses gepriesen und metaphorisch zum Königspalast überhöht (Zu Zedern und Zypressen als königliches Bauholz s. 1 Kön 5,22.24; zu Zedern noch 2 Sam 7,2; zu Zypressen noch 1 Kön 6,15).

aLied der Lieder - Eine der Weisen, im Heb. einen Superlativ zu bilden: „Das schönste Lied“. (Zurück zu v.1)
bwelche [sind] (welches [ist]) - der Nebensatz lässt sich entweder auf das Lied („Salomo hat dieses schönste aller Lieder geschrieben“) oder auf der Lieder beziehen („Dieses Lied ist das schönste von Salomos Liedern“). Diese zweite Auflösung ist wahrscheinlicher, da für die erste Auflösung die Relativpartikel welche(s) unnötig wäre (s. die vielen Psalmüberschriften ohne Relativpartikel; so richtig Rudolph 1962, S. 121). (Zurück zu v.1)
cDas Hohelied besteht zu einem großen Teil aus Dialogen. Das Verständnis des Textes wird sehr dadurch erschwert, dass im hebräischen Text nie angegeben ist, wer welche Textteile spricht. Schon in der LXX und VUL haben daher Schreiber sog. „Rubriken“ eingefügt, also mit roter Tinte geschriebene Angaben darüber, welchem Sprecher welche Äußerung zuzuschreiben ist (vgl. dazu Treat 1996, bes. S. 399ff.). Zur Förderung der Verständlichkeit der Üs. folgen wir diesem Beispiel; nur dort, wo in der Exegese größere Uneinigkeit über die Zuordnung einer Äußerung zu einem Sprecher herrscht, folgt darauf noch eine Extrafußnote zur Begründung dieser Zuordnung. (Zurück zu v.2 / zu v.5 / zu v.7 / zu v.8 / zu v.9 / zu v.12 / zu v.15 / zu v.16)
dKüsse seines Mundes - die Extra-nennung von „seines Mundes“ ist nicht überflüssig, da im Alten Orient auch der Nasenkuss verbreitet war: das Aneinanderreiben der Nasen als Zeichen der Zuneigung, wie wir das heute noch als „Eskimokuss“ kennen. Intimer war aber der Mundkuss (vgl. Fox 1985, S. 97), und dieser wird hier ersehnt.
Das mi- („mit / mit einigen von“) ist daher eher ein sog. „Min instrumenti“ („Er soll mich mit Mund-küssen küssen!“) als ein „Min partitivum“ (Einige der Küsse seines Mundes sollen auch mich treffen“). (Zurück zu v.2)
edeine (V. 2) + der König (V. 4) - Die Wechsel von der 3. zur 2. Person in V. 2 (Er küsse mich“ - „Deine Liebkosungen“) und von der 2. zur 3. Person und wieder zurück in V. 4 (Zieh“ - „Der König bringt“ - „über dich) werden von den meisten Exegeten als P-Shifts verstanden: Im Heb. kann von einer Zeile auf die nächste von einer Person zur nächsten gewechselt werden, ohne, dass dies einen Unterschied in der Bedeutung machen soll. Zu übersetzen wäre dann auch in Vv. 2-3 durchgehend mit der 3. und in V. 4 durchgehend mit der 2. Person. Da aber in Vv. 2f. auch in den nächsten Zeilen mit der 2. Person fortgefahren wird, sind Personenwechsel besser mit Peetz 2015, S. 65f.; Zakovitch 2004, S. 110 zu erklären: Sie sollen das jeweils Folgende als Phantasie erscheinen lassen: „Die Frau träumt im Wachen: Ihre Sehnsucht nach dem ‚König‘, dem Geliebten, ist so groß, dass sie sich bei ihm wähnt“ (Zakovitch 2004, S. 110). (Zurück zu v.2 / zu v.4)
fLiebkosungen - Eher nicht: „Liebe“ (so viele Üss.); dod meint md. im Hohelied recht eindeutig sexuelle Handlungen (vgl. z.B. Bloch/Bloch 1995, S. 3.137). (Zurück zu v.2)
g[müssen] besser [sein] ([sind] besser) - Dass in der ersten Zeile die Küsse des Geliebten ersehnt werden, heißt wahrscheinlich, dass die Frau ihn zuvor noch nicht geküsst hat. Darauf weist auch, dass die Tatsache, dass seine Küsse besser sind als Wein, Grund für alle Mädchen ist, ihn zu lieben (sie werden es doch wohl nicht alle am eigenen Leib erfahren haben?). S. außerdem noch Hld 8,1, wo die Frau wünscht, ihr Geliebter wäre ihr Bruder, so dass sie ihn küssen könnte: Andernfalls wäre ihr dies nicht möglich. Der verblose Satz ist daher besser als Vermutung zu verstehen (sog. „epistemische Modalität“ (Vermutungen, Einschätzungen etc.) wird im Heb. nicht eigens markiert und muss daher aus dem Kontext erschlossen werden (vgl. z.B. Lauber 2008-2011) - anders als im Dt., wo hierfür z.B. Hilfsverben wie „müssen“, „dürfen“ etc. oder Modalpartikel wie „wahrscheinlich“, „vermutlich“ etc. dienen). (Zurück zu v.2)
hWein ist hier ein Symbol für das sehr Gute, das nur durch die „Liebkosungen“ des Geliebten noch übertroffen wird. Zu V. 2 s. ganz ähnlich Sir 40,20. V. 4 meint dann etwas wie „Mehr preisen, als wir Wein preisen würden“, nämlich eben, nachdem der Angebetete ihnen Grund zu diesem Preis gegeben hat. (Zurück zu v.2 / zu v.4)
iÖle - das altisraelitische Pendant zu Parfumen. (Zurück zu v.3)
jTextkritik: [deine] (deine) - In 6QCant (der bei Weitem ältesten erhaltenen heb. Handschrift v. Hld 1,3) und VUL fehlt das „deine“ (das -ka in schemaneka), das sich im MT und den übrigen alten Üss. findet. Das könnte gut die ursprüngliche Textversion sein: „deine“ wäre dann als Brachylogie aus der vorigen Zeile zu ergänzen; der Effekt dieser brachylogischen Formulierung ist ein Binnenreim: schemanim tobim („Öle gut“). MT und die alten Üss hätten dann das „deine“ zur Vereindeutigung auch im Text ergänzt. Ebenso gut möglich wäre aber, dass ein Schreiber gerade zur Herstellung dieses Binnenreims das -eka durch -im ersetzt hat. Da aber dadurch gleichzeitig der Gleichklang von schemaneka („deine Öle“) und schemeka („dein Name“) zerstört worden wäre, ist das erste wahrscheinlicher. (Zurück zu v.3)
kdein Name - häufiger Wechselbegriff für „du selbst“: Der Geliebte selbst ist „Mr. Parfum“, „Mr. Wohlgeruch“. Im MT wird diese Gleichsetzung unterstrichen durch den Gleichklang von „deine Öle“ und „dein Name“: schemaneka - schemeka.
Ein Nebeneffekt der Formulierung mit „dein Name“ ist, dass in diesen ohnehin schon sehr sinnlichen Versen auch noch eine Synästhesie zu finden ist: „dein Name (akustisch) ist ausgegossenes Öl (olfaktorisch + visuell).“ (Zurück zu v.3)
lZieh mich! Hinter dir... - Meist übersetzt als „Zieh mich hinter dir her! Lass uns rennen!“, so dass „uns“ sich auf die Geliebte und den Geliebten bezöge. Das liegt recht fern: Erstens zeigen die Akzente des MT (d.h. die Zeichen, mit denen die Schreiber des MT angezeigt haben, wie der Satz auszusprechen ist), dass der Text aufzuteilen ist zwischen „Zieh mich“ und „hinter dir“ und nicht zwischen „zieh mich hinter dir [her]“ und „lass uns rennen“. Auch LXX teilt den Text so auf. Und zweitens ist es vor allem sehr unwahrscheinlich, dass die Frau ihren Geliebten im Folgenden dazu auffordern sollte, dass er gemeinsam mit ihr über sich selbst jubeln und seine eigenen Liebkosungen preisen soll. Richtiger daher van Ess: „Ziehe mich! Dir eilen wir nach!“; z.B. auch Daland 1888, S. , der den Text als Drama aufgefasst hat: „Court Lady: ‚Draw me - ‘ Chorus of Ladies: ‚- after thee will we run.‘ Lady: ‚Oh! that the king would bring me to his chambers!‘.“ Zu absolutem „Zieh mich“ s. Hos 11,4. Alle wollen hinter ihm herlaufen, aber sie soll er ziehen.
Zum Sinn s. dann die Anmerkungen. (Zurück zu v.4)
mKönig - Kosename für den Geliebten. Ähnlich wird der Geliebte z.B. in ägyptischen Liebesliedern als „Prinz“ und in akkadischen Texten als „Herr“ und „Meister“ bezeichnet (vgl. Fox 1985, S. 98; Held 1961, S. 5; Loretz 1963, S. 78).
Manche verstehen unter dem König in V. 12 auch eine andere Person als den Geliebten; gesagt würde dann: „Mein Geliebter duftet so gut, dass sein Geruch bis in den Palast des Königs dringt.“ (Zurück zu v.4 / zu v.12)
ntFN: die Gerechten ([mit] Recht?) - Zweifelhaftes Wort. Meist wird es aufgefasst als „Recht, Gerechtigkeit, Geradheit“, konstruiert als adverbialer Akkusativ der Art und Weise: „[mit] Recht“ (z.B. JM §126d), was recht schwierig ist (s. gleich). Wir folgen daher stattdessen Ginsburg 1857, S. 132: Die Zeile steht klar im Parallelismus mit der letzten Zeile von V. 3 und damit der Abstraktbegriff „Gerechtigkeit“ mit dem konkreten Begriff „die jungen Frauen“. Wahrscheinlich haben wir hier also das Stilmittel „Abstractum pro concreto“ vor uns: Ein Abstraktbegriff wird im Parallelismus mit einem konkreten Begriff ebenfalls wie ein konkreter Begriff verwendet. „Gerechtigkeit“ bedeutet also „die Gerechten“ und meint „die jungen Frauen.“ So schon VUL: „Gerechte lieben dich“; ähnlich Sym: „Gerecht sind, die dich lieben“; vielleicht auch LXX, die aber wörtlich übersetzen: „Gerechtigkeit liebt dich“. Daneben sind noch viele andere Vorschläge gemacht worden, die sämtlich aber nicht sehr wahrscheinlich sind und von denen auch keine besonders viele Anhänger hat finden können.
Die übliche Auflösung ist schwierig, weil zwar im Deutschen „Recht“ in „mit Recht“ auch „berechtigt“ bedeuten kann, im Heb. für eine ähnliche Synonymie aber jedes Indiz fehlt (so richtig z.B. Fox 1985, S. 99). Vom Heb. her sollte man eher vermuten, dass das Wort im adv. Akk. der Art und Weise etwas bedeutet wie „Sie lieben dich auf gerade/gerechte/redliche Weise“. (Zurück zu v.4)
oDas Hohelied besteht aus mehreren, voneinander mehr oder weniger unabhängigen Einzelliedern (s. näher die Anmerkungen). Wo jeweils ein neues Lied beginnt, ist im hebräischen Text nicht erkennbar; wir haben daher zur Steigerung der Verständlichkeit jeweils dort ein Sternchen eingefügt, wo unserer Meinung ein neues Lied beginnt. (Zurück zu v.4 / zu v.6 / zu v.8 / zu v.11 / zu v.14)
pTöchter Jerusalems = „Jerusalemerinnen“. (Zurück zu v.5)
qKedar: Die Kedarener waren ein in Zelten wohnender Beduinenstamm. Zelte wurden damals aus der Wolle schwarzer Ziegen hergestellt, daher sind die „Zelte Kedars“ ein gutes Symbol für Schwärze.
Wortspiel: Die Konsonanten des Wortes qedar sind auch die Konsonanten des Wortes qadar („schwarz werden“). (Zurück zu v.5)
rZelte - Das Wort heißt nicht „Zeltdecken“ oder gar „Wandbehänge“, wie sich das in vielen Üss. findet, sondern ist, wie das aus dieser Stelle und Jes 54,2; Jer 4,20; 10,20; 49,29 hervorgeht, klar ein Synonym zum vorigen „Zelte.“ Wahrscheinlich ist „Zelte Salomos“ ein poetischer Ausdruck für „Salomos Palast“, das Symbol für Schönheit und Pracht schlechthin (vgl. Eidelkind 2012, S. 327).
Textkritik: Viele Exegeten und Üss. korrigieren allerdings den Text von schelomoh („Salomo“) zu schalmah („wie die Zelte Salmas“), ein arabischer Beduinenstamm. Diese Korrektur lässt sich mit keiner der alten Üss. stützen und ist daher abzulehnen. (Zurück zu v.5)
sHyperbaton: = „schwarz wie die Zelte Kedars, schön wie die Zelte Salomos.“ (so z.B. Krinetzki 1964, S. 90). (Zurück zu v.5)
tWollt ihr mich nicht ansehen...!? - Verneinte rhetorische Frage (wie noch häufig) zum Ausdruck einer starken Aufforderung: „Schaut mich an...!“ (vgl. Exum 1981, S. 417f.; Gerhards 2000, S. 63-66; Gerhards 2010, S. 208). (Zurück zu v.6)
uso schwarz - Heb. schecharchoret; einzig hier belegte Variante zum üblichen schachor. Solche Verdopplungen von Konsonanten (hier: chr: schecharchoret) machen das so gebildete Wort häufig emphatischer; das ist wohl auch hier die Bed: „so schwarz“. Andere fassen diese Wortbildungsform als Abschwächung: „[nur], weil ich ein bisschen schwärzlich bin“ (so z.B. Zakovitch 2004, S. 119; schon Ibn Ezra). Das seltene Wort ist sicher gewählt, weil sich auf diese Weise am Ende dieser Doppelzeile die Zischlaute sehr häufen, was die beiden inhaltlich verwandten Zeilen auch lautlich zueinander in Zhg. bringt: sche´ani schecharchoret scheschschezafatni haschemesch („weil ich so schwarz [bin], weil auf mich geblickt hat die Sonne“). (Zurück zu v.6)
vSöhne meiner Mutter - d.h. meine Vollbrüder, im Ggs. zu meinen Halbbrüdern, den Söhnen der anderen Frauen meines Vaters. Hier wohl statt „Brüder“ verwendet, weil „Schwester“ im Hld öfter als Kosename für die Geliebte verwendet wird; bei „Brüder“ wäre die Gefahr bestanden, dass man die „Brüder“ als ihre Geliebten missverstehen könnte. S. Hld 8,1, die einzige Stelle im Hld, wo das Wort „Bruder“ fällt: Dort ist es gerade auf den Geliebten bezogen. (Zurück zu v.6)
wentbrannt - nämlich im Zorn. Wortspiel: Das Wort für „entbrannt“ passt eigentlich besser zur Sonne als zu den Brüdern, denn das ist hier ihre Rolle: Sie hat die Frau „verbrannt“, also „gebräunt“ (vgl. Ijob 30,30: „Meine Haut ist schwarz geworden, / mein Leib ist vor Hitze verbrannt“). Auf diese Weise wird der Zhg. der beiden Zeilen auch auf der Ebene der Wortbedeutung ausdrücklich gemacht: Dass die Sonne sie „verbrannt“ hat, ist letztlich darauf zurückzuführen, dass ihre Brüder gegen sie „entbrannt“ sind. (Zurück zu v.6)
xden meine Seele liebt - d.h. „den ich liebe“; „meine Seele“ ist im Heb. ein häufiger Wechselbegriff für „ich“. (Zurück zu v.7)
yTextkritik: als Verschleierte (wie eine Wandernde) - MT, wahrscheinlich 6QCant und LXX haben „Verschleierte“. Syr, Sym, VUL und Tg aber übersetzen etwas wie „Wandernde“. Das könnte bedeuten, dass ihnen statt k`th die Konsonanten kt`h vorlagen. Möglicherweise hat aber auch das Wort im MT selbst auch die zweite Bedeutung „herumwandern“, nach der diese Versionen dann übersetzt hätten (vgl. z.B. Ginsburg 1857, S. 136; so schon Raschbam). Viele Exegeten und Üss. folgen dieser Variante; vgl. z.B. gut Bloch/Bloch 1995, S. 142. Die Bedeutung wäre so und so aber wahrscheinlich die gleiche, s. die Anmerkungen. (Zurück zu v.7)
zMann (Töchter Jerusalems) - Eine ganze Reihe von Auslegern verstehen diese Anweisung als Aussage nicht des Mannes, sondern der Töchter Jerusalems; die meisten, weil sie die Äußerung als Abweisung der Frau verstehen. Einige wenige halten außerdem die Hirten oder gar den Dichter für die Sprecher. Nichts zwingt zu diesem Verständnis und „da in 7 der Geliebte angeredet wird, ist es natürlich, daß dieser und nicht sonst jemand in 8 antwortet.“ (Rudolph 1962, S. 125). (Zurück zu v.8)
aatFN: Brüste - So z.B. Peetz 2015, S. 91, da das Wort hier im Femininum statt wie üblicher im Maskulinum steht. Aber vgl. 11QPs 28,4, wo das Wort ebenfalls im Fem. steht. Es gehört also offenbar zu den Wörtern, die sowohl Mask. als auch Fem. sein können. (Zurück zu v.8)
abPferden (einer Stute, meiner Stute) - Heb. susati, von sus („Pferd“). Das Suffix -ti könnte entweder (1a) als Possessivpronomen „mein“ oder (1b) als bedeutungsloses „Hireq compaginis“ verstanden werden (daher „meine“ vs. „eine“), und das Suffix -a könnte das Wort entweder (2a) als Femininum oder (2b) als Kollektivbegriff markieren (daher „Stute“ vs. „Pferde“). Möglich ist daher jede der vier obigen Deutungen und jede ist schon vertreten worden. Da die folgenden „Wagen“ im Plural stehen, ist (2b) wahrscheinlicher als (2a) (so schon LXX und VUL) und da die Pferde nicht vor die Wagen des Sprechers, sondern die des Pharao gespannt sind, ist (1b) wahrscheinlicher als (1a) (so schon Ibn Ezra). Für (1b) und (2b) z.B. Gerhards 2010, S. 331 FN 31. (Zurück zu v.9)
acmeine Freundin - Häufige Bezeichnung für die Geliebte im Hld; s. Hld 1,9.15; 2,2.10.13; 4,1.7; 5,2; 6,4. Außer in Hld 5,2 fällt der Ausdruck stets im Zhg. mit einer Aussage über das Aussehen der „Freundin“; wahrscheinlich hörte ein Israelit bei dem Ausdruck also irgendwie „Schönheit“ mit. (Zurück zu v.9 / zu v.15)
adKetten (Zaumzeug) - Heb. torim; unbekanntes Wort. Wahrscheinlich hängt es zusammen mit dem Verb tur („herumgehen“), daher ist es wohl etwas gemeint, das um den Kopf herumgeht und über die Wangen reicht. Zur Alternative „Zaumzeug“ s. die Anmerkungen. (Zurück zu v.10 / zu v.11)
aePerlen (?) - Heb. charuzim, ein weiteres unbekanntes Wort. Vielleicht hängt es zusammen mit dem arabischen ḫaraz („Perle“). Da sie am Hals getragen werden, wären dann „Perlenketten“ gemeint (so schon Raschi; auch LXX und VUL übersetzen mit „Ketten“). Aber s. noch die Anmerkungen. (Zurück zu v.10)
afwill ich (wollen wir) - W. „wollen wir“. Da niemand sonst in diesem Lied erwähnt wird, handelt es sich vielleicht wie z.B. in Gen 1,26 um einen „Plural deliberationis“ mit Sg.-Bed. (so z.B. Krinetzki 1964, S. 293): Aufgrund der Schönheit seiner Geliebten fasst der Sprecher den Entschluss, ihr noch exquisiteren Schmuck anfertigen zu lassen. (Zurück zu v.11)
agMit Punkten aus Silber! - d.h. wohl „mit Silber granuliert“ (so gut Bloch/Bloch 1995, S. 146). „Granulation“ ist eine antike Goldschmiedetechnik, bei der Goldflächen mit kleinen Kügelchen aus Gold oder anderen Metallen verziert werden (vgl. Granulation (Goldschmiedekunst) (Wikipedia)) - der Geliebte will ihr das Kostbarste vom Kostbaren anfertigen lassen. (Zurück zu v.11)
ahCouch - Heb. mesab; im Biblischen Heb. hat es sonst die Bed. „Umgebung“. Hier besser nach dem Mischna-Heb. zu verstehen als „Couch, Divan“, die um einen Tisch herum angeordnet waren (daher viele Üss.: „Tafelrunde“; inspiriert von LXX: „Tisch“); vgl. z.B. Fox 1985, S. 105; Pope 1977, S. 347. (Zurück zu v.12)
aiNarde - teurer Duftstoff aus dem Himalaya-Gebirge. Zur Verwendung von Nardenparfum bei Tisch s. noch Mk 14,3; Joh 12,3. (Zurück zu v.12)
ajMyrrhensäckchen (V. 13) + Hennabündel (V. 14) - Neben dem Auftragen von duftenden Ölen war im Alten Israel eine alternative Weise der Parfumierung das Tragen aromatischer Substanzen um den Hals (vgl. Pope 1977, S. 351). Das ist mit dem Myrrhensäckchen gemeint; auch die Hennadolden (für eine Abbildung s. hier) wurden wahrscheinlich in solchen Säckchen getragen. Zur Verwendung vom Myrrhenparfum im Bett s. noch Spr 7,17f. (Zurück zu v.13 / zu v.14)
akRuhend - Könnte sich sowohl auf das Myrrhensäckchen als auch auf den Geliebten beziehen. (Zurück zu v.13)
alEn-Gedi - Oase an der Westküste des Toten Meeres, wo auch heute noch Henna wächst. Archäologische Funde lassen vermuten, dass dort früher außerdem Parfums produziert wurden (vgl. Pope 1977, S. 354). (Zurück zu v.14)
amDeine Augen sind Tauben! - Umstrittene Metapher; s. die Anmerkungen. Alternativ sind zu ihrer Aufschlüsselung die verschiedensten Vorschläge gemacht worden; z.B., dass die Farbe von Tauben gemeint sei (graublau), die Form von Tauben (weil Augen in der antiken Ikonographie manchmal in Taubenform dargestellt wurden), die Konnotation von Tauben (Unschuld), der Symbolwert der Taube (gelegentlich nämlich: Taube=Götterbote; u.a. von Liebesgottheiten, daher „Liebesbote“) usw. (Zurück zu v.15)
antFN: Häuser: Plural mit Sg.-Bed.; vgl. GKC §124q (Zurück zu v.17)
aoAssonanzen - Verwendung von Wörtern, die ähnliche Laute enthalten; vgl. dazu kürzlich sehr gut Noegel/Rendsburg 2009, S. 63-127. (Zurück zum Text: ao)
apMan beachte die Häufung der Worte für „ich“, „mich“ und „mein“. Im Heb. ist das noch auffälliger als in der Übersetzung; jedes dieser im Dt. eigenständigen Wörter ist im Heb. nämlich das Suffix -i, so dass neun der 15 Wörter im heb. Text auf -i enden: „Wollt ihr mich nicht ansehen, weil ich so schwarz bin, weil auf mich die Sonne geblickt hat? Die Söhne meiner Mutter waren gegen mich entbrannt. Sie haben mich der Weinberge gemacht. Meinen Weinberg, der mir gehört habe ich nicht gehütet.“ (Zurück zum Text: ap)
aqEs sei darauf hingewiesen, dass diese Deutung eine Minderheitenmeinung ist; in der neueren Exegese besteht ein recht weiter Konsens darüber, dass der „Weinberg“ hier als die Jungfräulichkeit der Sprecherin zu verstehen ist. Zum Verständnis des Weinbergs als „Geliebter“ s. noch Ehrlich 1914, S. 3; Gordis 1974b, S. 79f. Andere verstehen ihn außerdem als Symbol für das Aussehen der Frau (z.B. Assis 2009, S. 42; NET) oder als „weibliche Bedürfnisse“, die nicht befriedigt werden konnten (z.B. Fox 1985, S. 102). (Zurück zum Text: aq)
arEinen ähnlichen Zhg. hat kürzlich Giszczak 2015 vermutet, der glaubt, „damit ich nicht sein muss wie eine Verschleierte bei den Herden deiner Gefährten“ solle die Angst der Hirtin ausdrücken, einen der anderen Hirten als den Geliebten heiraten zu müssen. Sehr viel verbreiteter ist die Position, die die Verschleierung der Tamar in Gen 38 als Zeichen für ihren Prostituiertenstand lesen möchten und daher diese Stelle so deuten, dass die Hirtin fürchtet, von den anderen Hirten für eine Prostituierte gehalten zu werden. Doch vor dem Hintergrund anderer altorientalischer Gebräuche, wo gelegentlich Prostituierten das Tragen von Kopftüchern sogar explizit verboten ist, ist das unwahrscheinlich; auch ist ja Rebekah in Gen 24 keine Prostituierte. Andere verstehen den Schleier z.B. als Trauerkleidung (z.B. Raschi) oder als Ausdruck der Schüchternheit der Hirtin (z.B. Assis 2009, S. 45). Es ist sogar vorgeschlagen worden, das Wort meine „damit ich nicht mein Gewand ablausen muss“, also mich in Gegenwart der anderen Hirten zu Tode langweile und daher mein Gewand nach Läusen durchsuche (z.B. Emerton 1996). (Zurück zum Text: ar)
asHld 1,15-17 und Hld 2,1-3 betrachten z.B. auch Assis 2009, S. 60 und Ehrlich 1914, S. 5 als zusammenhängend; Hld 2,1-3 und Hld 2,4-7 z.B. Fischer 2010, S. 51 und Fox 1985, S. 95. Meistens werden diese drei Teile aber als einzelne Lieder genommen. (Zurück zum Text: as)
at„Du bist schön, meine Freundin“ = „Wie eine Iris unter Disteln ist meine Freundin unter den Töchtern“ und „Du bist schön, mein Geliebter; ja, lieblich“ = „Wie ein Aprikosenbaum unter Waldbäumen ist mein Geliebter unter den Söhnen [...,] seine Frucht ist süß an meinem Gaumen.“ (Zurück zum Text: at)