Kommentar:Markus 12

Aus Die Offene Bibel

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Das Gleichnis der rebellischen Pächter des Weinbergs (Mk 12,1-12)[Bearbeiten]

Das Gleichnis der treulosen Pächter (12,1-11/12) gehört zu Jesu wichtigsten Lehren. Es erklärt nicht nur die Herkunft von Jesu Vollmacht, sondern zeigt auch, wie ungeeignet die gegenwärtigen religiösen Führer des Volkes für diese Aufgabe sind, die eigensüchtig vorgehen und damit ihren Auftrag am Weinberg und ihren Auftraggeber verraten. Doch Gott wird seine Ziele auch ohne sie, und trotz ihrer Todfeindschaft erreichen. Jesus identifiziert sich zudem mit dem getöteten Sohn des Besitzers und sagt voraus, trotz seiner „Verwerfung“ noch zu einem zentralen Stein (im von Gott geplanten Gebäude) zu werden. Mit dieser Kritik reiht sich Jesus unter die atl. Propheten ein (vgl. Evans 2001, 239).

Im 20. Jahrhundert wurde gerne angenommen, dass das Gleichnis von den untreuen Winzern eine Erfindung der frühen Kirche war oder, wenn es auf Jesus zurückgeht, hier nicht in seinem ursprünglichen Kontext steht. Auch das Zitat aus Psalm 118 sei dabei erst später mit der Allegorie in Verbindung gebracht worden. Evans 2001 zeigt jedoch, dass das Gleichnis durchaus auf Jesus zurückgehen kann, und dass es in dem bei Markus und den anderen Synoptikern vorgefundenen Zusammenhang hervorragend zu interpretieren ist, auch mitsamt des Psalmen-Zitats (ebd. 215-30).

Das Gleichnis orientiert sich an einem recht ähnlichen Gleichnis in Jes 5,1-7, wo Gott erklärt, wie er mit einem sorgfältig angelegten und gepflegten, doch fruchtlosen Weinstock verfahren wird. Er will den Weinberg komplett verwüsten, von Dornen überwachsen und keinen Regen mehr darauf fallen lassen. Jes 5,7 identifiziert den Weinberg mit dem Haus Israel und die Pflanzen mit den Männern Judas. Die Niedertracht der Winzer, sich das Erbe durch Mord anzueignen (V. 7), ist vielleicht von der Geschichte aus 1Kö 21 inspiriert, in der König Ahab sich unrechtmäßig den Erbbesitz von Nabot, einen Weinberg, aneignet, was später als besonders schweres Vergehen gegen den Bund ausgelegt wird (vgl. Evans 2001, 235f.).

Jesu Gleichnis ähnelt dem aus Jesaja in zahlreichen Punkten, etwa der Beschreibung des angelegten Weinbergs. Viele Formulierungen sind semitisch angehaucht. An einigen Beispielen lässt sich zeigen, dass der Text in Markus nicht vom griechischen Text von Jes 5 beeinflusst ist, also eher auf den hebräischen zurückgeht (Evans 2001, 224-26).

Zur Deutung des Gleichnisses: Der Weinberg ist Israel, der Mann, der ihn anlegt, Gott (vgl. V. 9. Evans 2001, 232; Collins 2007, 547). Die Bauern oder Winzer sind die religiösen Führer, die Verwalter, denen Gott seinen Weinberg überlässt. Das wird aus V. 12 (und dem Kontext von Kap. 11) ersichtlich (Collins 2007, 545). Der geliebte Sohn (V. 6) muss Jesus sein, der mit dem Gleichnis die in 11,27 gestellte Frage nach seiner Autorität oder Bevollmächtigung beantwortet (Evans 2001, 230). Zudem wurde Jesus schon zweimal in Mk als „geliebter Sohn“ bezeichnet (1,11; 9,7)(France 2002, 458). Zu „geliebt“ s. die Fußnote in V. 6. In Jes 5 ist interessanterweise Gott der „Geliebte“ – daraus könnte man sowohl ableiten, dass Jesus Gott ist, als auch, dass er als Erbe (V. 7) in Wirklichkeit schon der Besitzer ist (France 2002, 460 Fn 14). Mit den Sklaven (Vv. 3-5) oder Knechten des Besitzers sind auf der allegorischen Ebene offenbar die Propheten des Alten Testaments gemeint. Der auf den Kopf geschlagene zweite Sklave (V. 4) könnte auf den enthaupteten Johannes den Täufer anspielen (ebd. 546). Die Beschreibung der Anlage des Weinbergs hat weiter keine symbolische Funktion (Evans 2001, 232). Wahrscheinlich soll die lose daran orientierte Beschreibung das Gleichnis aus Jesaja 5,1-7 ins Gedächtnis rufen und die Identifikation des Weinbergs mit Israel vollbringen (vgl. France 2002, 458f.). Die Reise des Besitzers ist typisch für Jesu Gleichnisse (vgl. die Talente in Mt 25,14f. und den Verlorenen Sohn in Lk 15,13) und ist ebenfalls theologisch nicht weiter zu deuten (Evans 2001, 232). Sie ist zudem für den Handlungsverlauf notwendig, wo der abwesende Eigentümer sich auf die Hilfe von Boten verlässt. Der geliebte Sohn

Die Aussage des Gleichnisses ist, dass die religiösen Führer, mit denen Jesus es zu tun hat, sich dasselbe zuschulden kommen lassen wie die Vertreter Israels, die die von Gott gesandten Propheten missachteten, verschmähten und teils töteten (vgl. Collins 2007, 546). Daher wird sie das Strafgericht Gottes treffen. Anders als häufig angenommen, geht es bei dem Gleichnis nicht darum, dass Israel den Weinberg verlieren und dafür die Heiden dieses Vorrecht erhalten werden (vgl. France 2002, 461f.). Erst Mt geht von dieser Bedeutung aus (vgl. Mt 21,43).

Besonders V. 5 spielt auf die biblische Tradition an, dass Israel Gottes Boten und Propheten missachtete (Evans 2001, 234; France 2002, 460). Mit der Sendung seines Sohnes geht Gott der implizierte Besitzer ein sehr großes Risiko ein, das gerade durch seine Realitätsferne zeigt, wie wichtig Gott diese Mission ist (France 2002, 460). V. 7 offenbart uns die Autorität des Sohnes: Kraft seiner Beziehung zum Vater ist der Sohn Besitzer und Erbe des Weinbergs. Er hat die Verfügungsgewalt über Israel. Die Weingärtner, also die religiösen Führer, lehnen sich jedoch gegen diese Hoheit auf und räumen den unwillkommenen Besucher aus dem Weg (vgl. Collins 2007, 547). Dass sie den Ermordeten anschließend ohne angemessene Bestattung hinauswerfen und den Tieren zum Fraß überlassen, ist doppelt schändlich (Evans 2001, 236; Collins 2007, 546). Für so ein Fehlverhalten, führt Jesus dann in V. 9 aus, wird der Besitzer keinen der Pächter ungestraft lassen.

Das Verhalten der Beteiligten wirkt aus unserer Sicht nicht realitätsnah. Man würde doch meinen, dass die Winzer mit Konsequenzen rechnen und daher nicht einfach den Beauftragten ihres Pachtherren angreifen würden. Genauso würde man meinen, dass der einen erfolglosen und gefährlichen Versuch nicht einfach wiederholt, besonders mit seinem Sohn. Die wahrgenommene Realitätsferne des Besitzers zeigt, wie wichtig es Gott ist, dass seine Botschaft ankommt. Er scheut weder Kosten noch Mühen, um die Pacht einzutreiben, die daher wohl mit einem geistlichen Ertrag, wohl dem Bundesgehorsam der Israeliten gleichzusetzen ist.

In der damaligen Zeit wäre es aufgrund der Reisewege und der Schwächen der Obrigkeit unter Umständen gar nicht so leicht für einen Pachtherren gewesen, einen geschuldeten Pachtzins einzutreiben. Zwei recht ähnliche Beispiele hat Zenon aufgezeichnet. In einem Fall waren Arbeiter nicht bereit, einen vereinbarten Betrag zu leisten. In einem anderen versuchte Zenon, mithilfe eines Bediensteten und Behördenvertretern in Judäa eine Schuld einzutreiben, doch die Abgesandten wurden misshandelt und mit leeren Händen fortgeschickt. Wie weitere Bemerkungen zeigen, hatte Zenon auch zu anderer Gelegenheit noch mit rebellischen Arbeitern zu kämpfen. Cicero musste einmal zu militärischer Gewalt greifen, um Schulden der Stadt Salamis einzutreiben. Während der Belagerung des Senatsgebäudes verhungerten fünf Senatsmitglieder (Collins 2007, 545f.; Evans 2001, 233, 236).

Aufgrund von Jes 5,5 wäre beinahe zu erwarten, dass die Konsequenz für die Rebellion die Zerstörung des gesamten Weinbergs wäre. Doch hier geht es nur um die Verantwortlichen, die Gott bestrafen und ersetzen wird. So hilft das Gleichnis, Jesu Gericht gegen den Feigenbaum aus Mk 11 mit als Aktion gegen die Führer des Volks bzw. des Tempels und nicht gegen das ganze Volk zu verstehen (Collins 2007, 547).

Das Zitat aus Ps 118,22-23 in Vv. 10-11 dient als nimschal, eine Art Erklärung, das sich an den maschal, das Herzstück des Gleichnisses, anschließt. Es verleiht der Allegorie die Autorität der Heiligen Schrift (Collins 2007, 547f.). Zu Schlussstein vs. Eckstein (V. 10) s. die Fußnote. Hier zu ergänzen sind noch die Meinungen einiger Psalmen-Kommentatoren. Terrien 2003, 785 hält die Constructus-Verbindung für qualitativ: Es geht nicht um ein „Haupt [der] Ecke“, sondern um einen „eckigen Hauptstein“. (Als Parallele verweist er auf das Französische, wo eine ähnliche Konstruktion möglich wäre.) Damit sei dann wohl ein Grundstein gemeint, aber auch jeder andere mögliche wichtige eckige Stein, wie ein Schlussstein.
Goldingay 2008, 361f. glaubt, ein „Kopfstein“ hätte in verschiedenen Schlüsselpositionen zum Einsatz kommen können; in Ijob 38,6 sei es ein Teil des Fundaments, in Sach 4,7 jedoch ein Schlussstein. Er beschreibt, wie man sich die Ablehnung der Bauleute vorzustellen hat: Die Bauleute gingen die verfügbaren Steine durch, um zu sehen, welcher am besten an welche Stelle des geplanten Gebäudes passte. Ein Stein, der nicht ins Fundament passte, hätte dann beispielsweise später an anderer Stelle gut Verwendung finden können. Es ist gut vorstellbar, dass dabei Steine von älteren Gebäuden wiederverwendet wurden. Dabei hätte ein vormals unwichtiger Stein im neuen Gebäude eine zentrale Funktion haben können.

Mit dem abgelehnten Stein, der zum Schlussstein wird, bezieht Jesus sich auf sich selbst – gerade vor dem Hintergrund des gewissermaßen unvollendet, ja unbeachtet gebliebenen Einritts in Jerusalem (Mk 11,1-11) und der fehlenden Anerkennung durch die religiösen Führer der Juden. Diese sind mit den Bauleuten gemeint. In der zeitgenössischen jüdischen Auslegung hatte man Ps 118,22f. noch auf den – zunächst als Königskandidaten ja „übersehenen“ – König David bezogen (Evans 2001, 238). Mit dem Zitat gibt Jesus gleichzeitig auch zu verstehen, dass er diese Ereignisse als Erfüllung seiner Vorhersage aus Mk 8,31 versteht. Dort hatte Jesus zum ersten Mal vorausgesagt, von den religiösen Führern abgelehnt zu werden. Diese intertextuelle Verbindung zeigt auch, dass sich das Gleichnis gegen die religiösen Führer richtet (Collins 2007, 548).
Zu „Das kommt vom Herrn“ (V. 11) und V. 12 s. die Fußnoten.

Die Fangfrage nach der Steuerpflicht gegenüber Cäsar (Mk 12,13-17)[Bearbeiten]

Die Frage der Pharisäer impliziert, dass Treue zu Gott und Treue zum Kaiser nicht zusammenpassen können (France 2002, 465). Doch Jesu Antwort macht klar, dass religiöse und staatsbürgerliche Pflichten für Gott keinen Widerspruch bilden. Die Fangfrage erinnert an diejenige, die Jesus den jüdischen Führern in Mk 11,27-33 im Tempel gestellt hatte. Jesus soll sich mit seiner Antwort ins Abseits manövrieren und Feinde machen – entweder die Römer oder die gläubigen Juden. Viele Juden und auch die hier anwesenden Pharisäer erachteten es für inakzeptabel, dass mit dem Kaiser ein menschlicher Herrscher über ihnen stand. Sie wollten nur Gottes Herrschaft anerkennen (ebd.). Die ebenfalls anwesenden Herodianer dagegen hatten keine Bedenken gegenüber der Kopfsteuer und werden eher an Jesu Haltung und Loyalität gegenüber dem Herrscher interessiert gewesen sein (Evans 2001, 244).

Auf den Denaren, die hier im Mittelpunkt stehen und in denen die Kopfsteuer zu entrichten war, wurde der Kaiser zudem als „Sohn des göttlichen Augustus“ und „Hoher Priester“ bezeichnet. Für die Juden wäre das eine Provokation gewesen. Kaiser war zu dieser Zeit Tiberius (France 2002, 466.68).

Um Gotteslästerung zu vermeiden, benutzten die Juden ansonsten eigene Kupfermünzen ohne Abbildungen. Dass Jesus sich von seinen Gegenpielern eine heidnische Silbermünze geben lassen kann, rückt sie möglicherweise in ein zweifelhaftes Licht (France 2002, 466. Aber das Verb „bringen“ könnte auch andeuten, dass keiner der Betroffenen eine solche Münze bei sich hatte). Das ist sein erster Punktgewinn. Aber seine Antwort zeigt, dass der theologische Anstoß der Juden an der Herrschaft und den Steuern der Römer völlig verfehlt war. Es gibt also keinen Widerspruch zwischen Gott und Cäsar.

Die Herodianer kommen nur hier und in Mk 3,6 vor, wo sie ebenfalls gegen Jesus arbeiten. Wie sich diese Gruppe zusammensetzte und welche Ziele sie verband, ist heute unbekannt. Als Anhänger der umstrittenen Herrscherdynastie waren sie eher eine politische als eine religiöse Partei. Es überrascht, sie hier in Jerusalem zu sehen, wo gar kein Herodianer herrschte (die waren in Galiläa und Gaulonitis/Golan; vgl. Evans 2001, 244f.; France 2002, 467).

Textkritik[Bearbeiten]

Vers 9[Bearbeiten]

9 Was wird nuna der Besitzer (Herr) des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner (Bauern) ausmerzen (töten, vernichten), und den Weinberg wird er anderen geben.

anun Textkritik: NA28 setzt das Wort als unsicher in eckige Klammern, SBLGNT lässt es aus. Zwar fehlt die Konjunktion nur in wenigen alten Zeugen (B, L, 892*, 1342, pc, k, Sy-S, sa-mss, bo), doch ist sie bei Markus so selten, dass es sich um eine stilistisch motivierte Glättung handeln könnte. Gesichert kommt die Konjunktion in Mk nämlich nur fünfmal vor (dagegen 56 mal in Mt). Die geringe Verbreitung der kürzeren Variante gibt den Ausschlag, das Wort eher im Text zu behalten (vgl. Willker 2013, 467ff.). (Zurück zu v.9)