Liebe Mitbibler:
Olaf hat gestern eine FN zu Gen 1,2 erstellt (deren Wortlaut ich mittlerweile ein wenig bearbeitet habe):
Im Christentum wird „ein Sturm Gottes“ mit dem Heiligen Geist aus der Dreieinigkeit identifiziert. Dies wird vom Judentum abgelehnt. Die konfessionell unabhängige Offene Bibel folgt dem hebräischen Wortlaut und der wissenschaftlichen Diskussion, ohne dabei die christliche oder jüdische Perspektive auf den Text vorauszusetzen oder abzulehnen.
Zu dieser Frage hat auch Norbert schon geschrieben:
Das bei allen christlichen Kirchen anerkannte trinitarische Glaubensbekenntnis hat seine Verwurzelung -wenn nicht sogar Begründung- im Dreiklang der ersten drei Verse von Genesis. In Vers 1 wird Gott Vater als Schöpfer von Himmel und Erde vorgestellt, Vers 2 beschreibt die Unterstützung des heiligen Geistes im Hintergrund und im Vers 3 wird der Sohn als Wort Gottes eingeführt, durch den Gott der Vater Alles geschaffen hat. Es stellt sich von daher die Frage, in welchem Maße spätestens bei der Erstellung einer Lesefassung auf eine Übereinstimmung einzelner Textstellen mit dem Gesamtzeugnis der Bibel und anerkannten Grundaussagen über christlichen Glauben zu achten wäre.
Vielleicht müssen wir also hierüber noch mal reden. Ich stoße dieses darüber-Reden mal an und mache das am Beispiel von Gen 1,2 (aber: Gen 1,2 ist hier wirklich nur ein Beispiel, nicht das Thema des Blogs).
Die Studienfassung und die Lesefassung sind beide auf die wissenschaftlich plausibelste Interpretation verpflichtet. Die besagte Deutung von ruach haelohim als die dritte Person der Trinität - als Heiliger Geist - ist nicht die wissenschaftlich plausibelste Interpretation. Sie ist aus historisch-kritischer Perspektive sogar ganz unhaltbar, denn zur Abfassungszeit von Gen 1 existierte das Konzept der Dreieinigkeit ja noch lange nicht; erst recht nicht für die (jüdischen) Autoren (das könnte ich mit verschiedenen Exegetenzitaten belegen, aber ich glaube, das ist nicht notwendig, oder?).
Sie ist dennoch eine gerechtfertigte Interpretation - nur eben nicht aus wissenschaftlicher/historisch-kritischer Perspektive, sondern aus der Perspektive der geistlichen Schriftlesung* und der Schriftlesung in Orientierung an der Auslegung der Kirchenväter.
Das ist ein altes Problem: Häufig hat man geklagt, dass "die historisch-kritische Methode auch Grenzen zeigt, denn sie beschränkt sich auf die Forschung nach dem Sinn des biblischen Textes in den historischen Bedingungen seiner Entstehung und interessiert sich nicht für die weiteren Sinnmöglichkeiten, die im Verlauf späterer Epochen der biblischen Offenbarung und Kirchengeschichte zu Tage getreten sind" (Die Interpretation der Bibel in der Kirche). Die katholische Kirche (zum Beispiel) hat deshalb neben die historisch-kritische Exegese als gleichberechtigt weitere Interpretationsweisen gestellt, zum Beispiel eben die geistliche Schriftlesung und die Auslegung in Orientierung an alten christlichen oder jüdischen Texten.
Dass jetzt sowohl Norbert Bedenken bei Gen 1,2 angemeldet hat als auch Olaf die Notwendigkeit gesehen hat, hier eine FN zu setzen, heißt wohl, dass auch unter den OfBiblern der Wunsch danach besteht, auf solche "geistliche Sinne" zumindest hinweisen zu können. Gen 1,2 ist jetzt aber ein gutes Beispiel, weil hier dieser "geistliche Sinn" und die "altehrwürdige christliche Deutungstradition" der "wissenschaftlich plausibelsten Deutung" widersprechen. Ich würde deshalb meinen, dass nach unseren aktuellen Kriterien z.B. eine solche FN, wie sie Olaf verfasst hat, keinen Raum hat. Deswegen würde ich gerne mal drei Fragen in den Raum stellen:
- (1) Lässt sich eine solche "geistliche Schriftlesungs-dimension" vielleicht doch irgendwie mit unseren aktuellen Kriterien vereinbaren?
- (2) Wenn nicht (was ich glaube): Sollte diese Möglichkeit vielleicht noch gewährleistet werden?
- (3) Wenn sie gewährleistet werden soll - sollte sie Bestandteil unserer offiziellen Lesefassung selbst sein, oder sollten solche Bestandteile einer geistlichen Schriftlesung vielleicht wo anders hin (z.B. in irgendeinen Bereich, der noch einzurichten wäre)?
Ich persönlich bin mir noch nicht mal sicher, wie ich diese Fragen beantworten würde, deswegen würde ich mich über eine freundliche und produktive Diskussion sehr freuen.
* Für die, die diesen Begriff nicht kennen: Die "geistliche Schriftlesung" fragt nicht nach dem historisch wahrscheinlichsten Sinn einer Bibelstelle, sondern nach ihrem "geistlichen Sinn", den "die biblischen Texte ausdrücken, wenn sie unter dem Einfluß des Heiligen Geistes im Kontext des österlichen Mysteriums Christi und des daraus folgenden neuen Lebens gelesen werden" (ebd) und den sie deshalb ausdrücken können, weil "der Heilige Geist, der Hauptverfasser der Bibel, den menschlichen Verfasser in der Auswahl seiner Ausdrücke so führen kann, daß diese eine Wahrheit ausdrücken, die dem Autor selbst nicht in ihrer ganzen Tiefe bewußt war" (ebd.) - das sind jetzt zwar zwei Zitate aus einem katholischen Dokument, aber ähnlich gibt es das Konzept auch in der lutherischen Tradition und wohl auch in vielen anderen Traditionen.
Kommentare
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Übrigens könnte es evt. sein, dass diese Frage letztendlich nur darauf hinausläuft, dass wir mal klären müssten, wie in einem Konfliktfall des ersten LF-Kriteriums ("wissenschaftlich plausibelste Deutung") mit dem vor-vorletzten LF-Kriterium ("inhaltliche Deutungsoffenheit des Urtextes") vorzugehen ist. Aber da bin ich mir nicht sicher; ich bin nicht mal sicher, ob z.B. das obige Problem überhaupt unter dieses vor-vorletzte LF-Kriterium fällt.
Bei der Gelegenheit: Auf der Kriterienseite ist in diesem Kriterium ein Absatz drin, der nicht reingehört (inhaltliche Deutungsoffenheit des ABSATZ Urtextes) - aber ich kann die Seite nicht bearbeiten. Könnte das mal einer der Mods machen?
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Eine interessante Fragestellung! Ich erhole mich immer noch von unserem Umzug am Wochenende und kann daher nicht zur Gänze darauf eingehen. Ich persönlich würde in der entsprechenden Fußnote ganz einfach auf die historische Bedeutung (und weiterhin ungebrochene Verbreitung) der Übersetzung "Geist Gottes" eingehen und erklären, warum wir uns anders entschieden haben. Das sollte wie immer so wertungsneutral wie möglich geschehen.
Dazu noch ein interessanter Hinweis: Wir haben uns nirgendwo ausdrücklich darauf verständigt, ausschließlich historisch-kritische Exegese anzuwenden... Man könnte also zumindest so viel sagen: Rein aus methodischer Perspektive sind deine Überlegungen nicht abzulehnen.
Wie wir die Fußnote letztendlich formulieren, hängt für mich auch von der Frage ab, welchen Zweck sie einmal für welche Zielgruppe erfüllen soll. Und damit willkommen beim Thema Kriterien der Studienfassung. :-)
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Nuja... - Die historisch-kritische Methode ist mindestens die "Leitmethode" (wibilex) wissenschaftlicher Exegese und immer noch die im universitären Kontext verbreitetste. Ich denke doch, dass "wissenschaftlich" "historisch-kritisch" mindestens impliziert - auf jeden Fall dann, wenn es nirgends näher spezifiziert wurde (Das nur zu deinem interessanten Hinweis).
sachliche Richtigstellung
Auch hier eine kurze Anmerkung zu einem Aspekt der Fußnote von Olaf und der Ergänzung durch Sebastian.
Zitat: "Die konfessionell unabhängige Offene Bibel folgt dem hebräischen Wortlaut und der wissenschaftlichen Diskussion, ohne dabei die christliche oder jüdische Perspektive auf den Text vorauszusetzen oder abzulehnen." Zitat Ende
Konfession bezeichnet allgemein anerkannt eine kirchlich organisierte Richtung innerhalb einer bestimmten Religion (z.B katholisch, evangelisch, freikirchlich und sunnitisch vs schiitisch oder auch orthodoxes Judentum bzw. Reformjudentum) Eine wissenschaftliche Sichtweise unter Berücksichtigung der jüdischen Perspektive nennt man von daher sachlich richtig nicht "konfessionell unabhängig" sondern "interreligiös".
Auf die Fußnote bezogen wäre die sachlich richtige Formulierung:
"Die interreligiöse Offene Bibel folgt dem hebräischen Wortlaut und der wissenschaftlichen Diskussion, ohne dabei die christliche oder jüdische Perspektive auf den Text vorauszusetzen oder abzulehnen."
Re: sachliche Richtigstellung
@Sebastian: Und genau das war natürlich impliziert. :-)
Ich glaube, es geht in der Fußnote um den letzten Absatz, der inzwischen lautet:
In der christlichen Tradition wird oft „Gottes Geist“ im Sinne von „der Heilige Geist“ rezipiert. Dem hebräischen (und jüdischen) Text selbst ist diese christliche Perspektive nicht zu entnehmen. Diese Interpretationsfrage ist unabhängig von der Frage nach der Übersetzung mit „Wind“ oder „Geist“, denn einerseits wird ja auch das Wort „Geist“ im Judentum nicht-trinitarisch verstanden, andererseits wird in der christlichen Tradition der Heilige Geist als der „Hauch Gottes“ oft mit Wind bzw. Sturm in Verbindung gebracht und also könnte aus christlicher Perspektive auch der „Wind/Sturm Gottes“ als Ausdruck für den Heiligen Geist gelesen werden.
Ich frage mich immer noch, was dieser Absatz überhaupt austrägt. Ich würde viel eher am Anfang der Fußnote für die nötige Klarheit sorgen - und innerhalb eines Satzes erklären, dass die Offene Bibel von der geläufigen Übersetzung abweicht. Dem Leser schenkt das Klarheit, die er sich ansonsten zwischen den Zeilen zusammenlesen müsste.
Mein Ratschlag für Fußnoten allgemein: Der erste Satz muss das Problem für den Laien verständlich darlegen, d.h. klären, warum die Fußnote überhaupt notwendig ist.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Der Hinweis, dass die Offene Bibel entgegen dem Verständnis der anerkannten christlichen Konfessionen im Vers 2 nicht den Geist Gottes am Wirken sieht, sollte auch m.u.M.n. der Hauptinhalt der Fußnote sein. Umgekehrt sehe ich die weiteren Ausführungen in der FN kritisch und befürchte, wir begeben uns auf dünnes Eis, wollen wir in Ermangelung von Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen jüdischen Glaubens selber genau zu wissen meinen, wie das Wort Geist im Judentum verstanden wird.
Die bisherigen Ergebnisse der Offenen Bibel haben gezeigt, wie fruchtbar ein wissenschaftlicher Disput ist, wenn die daran teilnehmen, in unterschiedlichen christlichen Konfessionen und deren Ausprägung verwurzelt sind. Das könnte man niemals ersetzen, wollte man einfach nur sagen: Wir sind zwar alle lutherisch geprägt, aber wir wissen ja, wie Katholiken und Freikirchler so ticken. Deshalb können wir ihre Mitarbeit selbst erledigen und trotzdem überkonfessionell bzw. ökumenisch sein.
Genauso verhalten wir uns im Moment aber, wenn wir die von uns so interpretierte jüdische Perspektive als Außenstehende zum Maßstab für exegetische Entscheidungen machen, ohne dass Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen jüdischen Glaubens dabei zu Wort kommen können, um ihre ureigene Sichtweise selbst formulieren zu können. Von daher bezweifle ich den absoluten Wert von Aussagen, die auf der Kenntnis Außenstehender der jüdischen Schriftauslegung fußen.
Die jüdische Schriftauslegung, für die wir als Christen einzig wirklich kompetent sprechen können, ist die im Neuen Testament überlieferte Auslegung des Alten Testaments durch den Juden und früheren Pharisäer Paulus und den durch seine Mutter als Jude geborenen Rabbi Jesu einschließlich seiner Schüler. Die scheint mir aber bei der Beurteilung, inwiefern Hauch bzw. starker Wind Gottes in Genesis 1 Vers 2 mit Gottes Geist gleichzusetzen wäre, unterbelichtet.
Sonst wäre stärker Bezug genommen worden auf Johannes 20 Vers 22 (Zitat dazu aus Offene Bibel)
22 und nachdem er das gesagt hatte,⟨v⟩ hauchte (pustete) er sie an und sagte: „Empfangt [den] Heiligen Geist
und Apostelgeschichte 2 Vers 2-4 (ebenfalls in der Übersetzung der Offenen Bibel)
2 Und plötzlich kam (entstand; ereignete sich) vom (aus dem) Himmel ein Geräusch wie das Wehen eines heftigen Windes (wie wenn ein heftiger Wind weht)⟨d⟩ und erfüllte das ganze Haus, wo sie saßen (sich befanden)⟨e⟩3 und ihnen erschienen sich teilende (geteilt werdende) Zungen wie [von] Feuer⟨f⟩ und sie setzten sich auf jeden einzelnen (einen jeden) von ihnen, 4 und sie wurden alle vom Heiligen Geist erfüllt und begannen (fingen an), [in] anderen Sprachen (Zungen)⟨g⟩ zu sprechen, wie⟨h⟩ der Geist ihnen eingab (sie befähigte)⟨i⟩ {auszusprechen}.
Das Ganze nur als Beispiel dafür, wie ich es verstehe, was Sebastian -er aber nicht als Außenstehender sondern als Priesterseminarist- zum Verständnis des Begriffes "Geistliche Schriftlesung" als Gegengewicht zu "wissenschaftlicher/historisch-kritischer Perspektive" innerhalb der Katholischen Kirche beigetragen hat.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Ich hätte gehofft, dass wir hier die Diskussion beschränken können auf den Zusammenhang von LF und geistlicher Schriftdeutung. Zu Gen 1 gehe ich deshalb jetzt wieder auf die dazugehörige Diskussionsseite und zu "konfessionell unabhängig vs. interreligiös" antworte ich bei deinem Forum-post; hier daher nur so viel:
Es gibt nicht "das Verständnis der christlichen Konfessionen" - zu keiner Bibelstelle. Sogar in der katholischen Kirche sieht man die Schrift so, dass sich ihr Verständnis wandeln und vertiefen kann; v.a. durch das "Nachsinnen und Studium der Gläubigen und die theologische Forschung" (KKK 94). In den meisten protestantischen Konfessionen kann es solche "anerkannte Verständnisse" ja noch viel weniger geben, aber das wisst ihr ja alle besser als ich.
Alles, was sich m.E. sagen lässt, ist, dass dieses Verständnis ein altes und verbreitetes ist - aber das reicht ja schon, oder?
Dass es im Judentum keine Dreieinigkeit gibt, ist doch keine besonders riskante Aussage?
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Allerdings habe ich in diesem thread gar nicht von der christlichen Tradition geschrieben, sondern schwerpunktmäßig davon, wie jüdische Exegeten des Neuen Testaments Aussagen des Alten Testaments auslegen. Da reden wir aneinander vorbei.
Mein Beispiel Apostelgeschichte 2 soll deutlich machen - wenn ich das mal näher erklären darf- dass Petrus den Wind des Pfingsttages in Auslegung von Joel Kapitel 3 als Gottes Geist interpretiert. Und Petrus war doch auch ein Jude. Somit ist seine Auslegung jüdische Exegese und nicht einfach christliche Tradition.
Nur davon rede ich. Von jüdischer Exegese außerhalb des neuen Testaments verstehe ich allerdings so gut wie nichts. Das überlasse ich den Exegeten jüdischen Glaubens. Wer sonst könnte sich da als wirklich kompetent erweisen, zumal es da genauso wenig DAS jüdische Verständnis gibt wie DAS Verständnis der christlichen Konfessionen.
Die Frage an die Kriterien wäre in diesem Zusammenhang und deshalb gehört es hier in diesen thread, ob die neutestamentlichen jüdischen Ausleger des Alten Testaments entsprechendes Gewicht haben oder ob man sie vernachlässigen kann als weniger wichtig.
Edit: Nachdem ich noch mal drüber nachgedacht habe, meine ich einen Grund für unser Aneinandervorbeireden gefunden zu haben. Was du beschreibst: als Gegensatz oder auch Ergänzung Zitat: "wissenschaftlicher/historisch-kritischer Perspektive und/oder Perspektive der geistlichen Schriftlesung und der Schriftlesung in Orientierung an der Auslegung der Kirchenväter" kennen wir Evangelschen im reformatorischen Sinn so nicht.
Für uns ist der reformatorische Ansatz evident, der lautet: sola scriptura. Dieser Ansatz ist durchaus als Protest der Protestanten gegenüber der ihrer Meinung nach unverhätnismäßigen Gewichtung der Tradition des Katholizismus im Vergleich zum biblischen Wort entstanden. Wenn auch inzwischen die Unterschiede längst nicht mehr wie bei Luthers Zeiten sind, bleibt doch bestehen, dass biblische Lehre im evangelischen Sinn sich gründet durch zwei oder drei biblische Zeugen, die jeweils verschiedene biblische Autoren sein müssen (also z.B. nicht durch nur 2 oder 3 Pauluszitate).
Von daher müsste man den Begriff geistliche Schriftlesung überkonfessioneller/ökumenischer fassen als nur vom katholischen Verständnis her. Im evangelischem Sinne heißt geistliche Schriftlesung: Ich forsche, wie in der Bibel durch vergleichbare Schriftstellen das Wort ausgelegt wird (wie z.B. die Beröaner in Apostelgeschichte 17 in Vers 10 getan haben). Für die Frage nach Gottes Geist oder Wind in Genesis 1 Vers 2 würde da unter anderem Apg 2 und Johannes 20 in Frage kommen.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Ich bleibe dabei, dass ich weitere Ausführungen zumindest bei Gen 1,2 unnötig finde.
Aaron, deine Position, wonach nur jüdische Theologen das echte jüdische Verständnis verstehen könnten, klingt für mich wie zum Beispiel wie die Vorstellung, dass nur Italiener die italienische Sprache richtig verstehen könnten. Nach der gleichen Logik müssten wir sagen: Wir bräuchten deutsch-griechische Muttersprachler für's NT, denn nur die können das Griechisch richtig verstehen und übersetzen!
Die beiden Probleme mit diesem Ansatz: Erstens ist die jüdische Exegese heute genauso wenig dieselbe wie die von vor Jahrtausenden, wie das heutige Griechisch noch dasselbe ist wie die Koine. Zweitens ist es keineswegs so, dass Außenstehende eine Binnenperspektive grundsätzlich nicht verstehen können, oder dass "Innenstehende" ihre eigene Perspektive grundsätzlich besser verstehen als gelehrte Außenstehende. Sicher kann nichts die Binnenperspektive ersetzen. Aber die Binnenperspektive schlägt nicht einfach eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Ein Grieche versteht zwar seine Muttersprache, aber kann sie vermutlich nicht erklären (und schon gar nicht ihre Entwicklung über die vergangenen Jahrtausende) - wohl aber der Linguist, der die Bestandteile der Sprache studiert hat. Genauso kann ein christliche Theologe, der die antike jüdische Denkweise und Theologie in der Tiefe studiert hat, sie besser verstehen als ein heutiger jüdischer Theologe, der sich noch nicht besonders tief mit dem Thema befasst hat.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Du liegst sicherlich richtig, dass ein heutiger jüdischer Theologe, der sich nicht besonders tief mit dem Thema befasst hat, uns nicht nützen würde.
Es gibt aber auch jüdische Theologen wie der verstorbene Pinchas Lapide oder seine Witwe Ruth Lapide, von deren Schriftverständnis ein Christ durchaus manches lernen kann und das einfach nur deswegen, weil die zwei als Juden einen viel direkteren Zugang haben zu den ihnen eigenen Wurzeln.
Aber vor allem dürften wir uns doch einig sein, dass die jüdischen Ausleger des Alten Testaments (Jesus, Paulus, Jakobus, Johannes, Petrus u.s.w.) deren Auslegungen des AT uns im Neuen Testament überliefert sind, den modernen Theologen überlegen sind, weil sie einen viel direkteren Zugang hatten zu dem Urheber des Alten Testaments.
Im Übrigen hinkt dein Vergleich mit "deutsch-griechischen Muttersprachlern für's NT". Das heutige Iwrit ist nämlich dem Althebräisch viel viel näher als das Neugriechisch dem Altgriechischen. Der Grund sind die 2 Jahrtausende ohne Eretz Israel und damit ohne Weiterentwicklung des Hebräischen.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Vor allem praktizieren sie eine andere Auslegungsweise. Von "überlegen" lässt sich da nicht sprechen; innerbiblische Exegese folgt ganz anderen Standards als heutige wissenschaftliche Exegese.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Würde das unter Umständen bedeuten, dass Jesus, Johannes und Paulus in ihrer Exegese des Alten Testaments zu ganz neuen Ergebnissen gekommen wären, wenn sie das Instrument wissenschaftlicher Exegese zur Verfügung gehabt hätten?
Möglicherweise würden sie uns dann im Neuesten Testament -wie Olaf, Ben und Sebastian- plausibel machen, dass, als Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist Himmel und Erde geschaffen hatte, es die Erde gar nicht und anstatt Gottes Geist nur Wind gab.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Klar würden sie zu anderen Ergebnissen kommen.
(Das ist ja keine Abwertung dessen, was z.B. Jesus über das AT gesagt und Johannes und Paulus geschrieben haben. Oder was z.B. die Midraschim aus diesen Texten herausdeuten. Das ist einfach eine andere Form der Auslegung - keine minderwertigere, aber eben auch keine nach den Standards heutiger wissenschaftlicher Exegese, denen wir hier folgen wollen).
Deswegen ja meine Frage - könnten solche anderen Deutungsweisen hier auch ihren Platz haben oder nicht? Nicht statt dieser - aber vielleicht irgendwo neben der wissenschaftlichen Deutungsweise?
Übrigens gibt es natürlich auch bei evangelischen Konfessionen rein historisch-kritische Exegese, siehe nur die diversen evangelischen Kommentarreihen. Sogar als Gründer der hkE gilt ein Protestant (Johann Salomo Semler).
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Ob es prinzipiell möglich ist, wissenschafliche und geistliche Deutungsweise miteinander zu versöhnen? Wissenschaftliche Exegese ist logischerweise interreligiös bis hin zu religionsneutral. Eine betont christliche Wissenschaft kann es rein methodisch nicht geben, weil das der Wissenschaftlichkeit widerspricht.
Somit hätte die christliche Deutungsweise nur in der Lesefassung Platz. Die dabei anzuwendende geistliche Forschungsmethode haben als Blaupause die Beröer der Apostelgeschichte in Form von innerbiblischer Exegese vorexerziert. Notwendigerweise entsteht dadurch ein Deutungskonflikt mit der Studienfassung.
Der Anspruch der offenen Bibel, eine bessere Bibelübersetzung durch Einschränkung auf wissenschaftlich-interreligiöse Sichtweise unter Verzicht auf geistlich-christliche Deutungsweise liefern zu wollen, ist ziemlich vermessen und m.u.M.n. im Widerspruch zum Urheberanspruch des Geistes Gottes.
Dazu passt, dass versucht wird, gleich zu Beginn der Bibel in Genesis 1;2 Aussagen -aus der wissenschaftlich interreligiösen Methode gewonnen- gegen Widerstand durchzudrücken, die allen christlichen Bibelübersetzungen und dem Glaubensverständnis aller christlichen Konfessionen widersprechen.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Nicht zu "versöhnen". Ich hatte gefragt, ob das sinnvoll und gewünscht wäre, dass sie irgendwie auf OfBi nebeneinander existieren könnten. So, wie es sowohl historisch-kritische Kommentare als auch theologische Kommentare als auch geistliche Schriftlesungs-kommentare gibt, die alle "in Frieden nebeneinander existieren" können.
Wieso ist das vermessen? Dann wäre ja das Anliegen der meisten Bibelkommentare vermessen (?).
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Es geht hier um den vermessenen Anspruch, eine bessere aus der wissenschaftlich interreligiösen Methode gewonnene, gegen Widerstand durchgedrückte und allen christlichen Bibelübersetzungen und dem Glaubensverständnis aller christlichen Konfessionen widersprechende Lesefassung schreiben zu wollen.
Der Inhalt des Blogs ist die Lesefassung. Ob historisch-kritische Kommentare als auch theologische Kommentare als auch geistliche Schriftlesungs-kommentare alle "in Frieden nebeneinander existieren" können, wäre aber Inhalt der Studienfassung.
Für die Lesefassung nun gibt es im Gegensatz zur Studienbibel kein friedliches Nebeneinander. Da braucht es die eine gültige Fassung, die in allen Teilen im Einklang mit der Gesamtaussage der Bibel sein muss und die ist nunmal christlich und weder wissenschaftlich noch interreligiös.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
"[In der] Lesefassung [...] braucht es die eine gültige Fassung, die in allen Teilen im Einklang mit der Gesamtaussage der Bibel sein muss und die ist nunmal christlich und weder wissenschaftlich noch interreligiös."
<=> siehe LF-Kriterium 1a, s. "Auf einen Blick_Punkt 3".
Damit, dass es "die eine, gültige Fassung" braucht, hast du recht, und daher war - wie gesagt - die Frage auch, ob vielleicht daneben noch eine alternative Kommentierung o.Ä. existieren sollte.
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OT:
Ich hoffe doch, dass wissenschaftlicher Anspruch nicht per se vermessen ist.
"Gegen Widerstand durchgedrückt"
V. 1: Olaf: "Ich bin mit der Syntax einverstanden [...]"; Ben "Ich ebenfalls".
V. 2 war Olafs Vorschlag, ich habe es umgesetzt, Ben ist "fast völlig überzeugt".
Wieso ist es vermessen, bei einem Verhältnis von 3:1 den 3 statt dem 1 zu folgen?
Wo widerspricht irgendetwas dem "Glaubensverständnis aller christlichen Konfessionen"? Dass es nach der Schöpfung keine Erde gibt, stand und steht nirgends in der LF (dazu müsste stehen: "Nachdem Gott mit der Schöpfung von Himmel und Erde begonnen hatte"). Siehe auch hier.
Und ob speziell der Ausdruck ruach haelohim für den Heiligen Geist verwendet wird, ist völlig unerheblich für den Glauben, dass der Heilige Geist an der Schöpfung beteiligt war. Wenn Gott der Schöpfer ist, ist auch der Heilige Geist Schöpfer (=> Dreieinigkeit).
Könnten wir jetzt bitte Gen 1,1f aus dem Blog hier rauslassen? Das war ein Beispiel, nicht das Thema.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Schade, dass du -den Sachverhalt verschleiernd- immer wieder falsche Fragestellungen ventilierst.
Wenn du die ursprüngliche Fassung von Genesis 1; 2 lesen würdest, die ich persönlich verantwortet habe und demnächst löschen werde, würde dir auffallen, dass ich "ruach ha elohim" mit Geist Gottes wiedergegeben habe und nicht mit "Heiliger Geist".
Dass damit der Heilige Geist gemeint ist, wäre wohl Teil dessen, was hier katholisch "Geistliche Schriftlesung" genannt wird. Das hat aber nur bedingt mit den Entscheidungen der Lesefassung zu tun, denn da steht in der ursprünglichen Lesefassung "Geist Gottes" und nicht "Heiliger Geist".
Für die Lesefassung wäre einmal die innerbiblische Exegese als Teil der geistlichen Schriftlesung ein Maßstab und da besonders die Frage, warum bei allen anderen christlichen Übersetzungen an allen anderen Stellen des Alten Testaments, wo "ruach ha elohim" vorkommt, mit "Geist Gottes" übersetzt wird.
Will sich die Offene Bibel von all diesen Maßstäben und damit von der Ökumene distanzieren und sich stattdessen abgesondert von allen christlichen Konfessionen als unabhängige Aktion verorten?
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Ich glaube, es wird Zeit, dieses Wortgefecht zu beenden. Ich würde euch dazu aufrufen, alle weiteren Diskussionen zu Gen 1,2 auf der Diskussionsseite zu führen. Denken wir daran, dass wir zu einer gemeinschaftlichen und m.M.n. auch zufriedenstellenden Lösung finden können/gefunden haben, auch wenn nicht jeder damit einverstanden ist.
Auf eine geistliche Interpretation einzugehen, halte ich für unser Projekt für aus hermeneutischen Gründen nicht umsetzbar. Einerseits müssten wir dazu eigene hermeneutische Regeln aufstellen, welche Interpretationen in Ordnung sind und welche nicht. Andererseits wäre das gesamte Unterfangen aufgrund unserer großen hermeneutischen Unterschiede vermutlich ein Sisiphus-Projekt.
Die Offene Bibel folgt der plausibelsten exegetischen Deutung. Das ist nach unseren Untersuchungen zu Gen 1,2 diejenige, die wir am Ende vorgezogen haben. Wir wenden uns dabei nicht gegen eine große Mehrheit, sondern folgen nach meinem Eindruck sogar einer mindestens relativen Mehrheit unter den modernen Auslegern.
Die Offene Bibel ist kein Ort für hermeneutische Streitigkeiten. Wir beschränken uns auf eine analytische Perspektive. Auch in Gen 1,2 sollten wir so vorgehen:
1. Wir analysieren den Textbestand und die im Kontext wahrscheinlichste Wortbedeutung. Diese wahrscheinlichste Wortbedeutung, und nichts sonst, wird die erste Wahl in der Übersetzung.
2. Gibt es andere wichtige Auslegungstraditionen oder mögliche Bedeutungen, gehen wir darauf in einer Fußnote ein. In Gen 1,2 würde das nach meinem Urteil so aussehen, dass wir zunächst die Problematik in Form der Zweideutigkeit der Stelle beschreiben. Dann gehen wir auf dieser Grundlage auf vertretbare und historisch vertretene Positionen ein und begründen unsere Übersetzung.
Wie Wolfgang bin ich der Meinung, dass das Konzept der Offenen Bibel dabei nicht erwähnt werden sollte.
Ein Wort zu Exegese, Wissenschaftlichkeit und Hermeneutik. (Historisch-kritische) Exegese will wissenschaftlich vorgehen. Die Ergebnisse hängen dabei von den gesetzten hermeneutischen Herausforderungen ab. Soweit ich das verstehe, hat man sich in der heutigen universitären Theologie darauf geeinigt, in der Exegese gewissermaßen eine neutrale, gewissermaßen außenstehende Perspektive auf den christlichen Glauben einzunehmen. Das hat den Vorteil, dass man sich auf das beschränken kann, was an der heutigen Wirklichkeit gemessen real ist. Übernatürliche Aspekte wie berichtete Wunder nimmt man dann als historisches Zeugnis ernst, (am besten) ohne darüber zu urteilen, ob sie auch so stattgefunden haben oder nicht.
Aus so einer "Minimalperspektive" lässt sich natürlich unmöglich sagen, dass die Dreieinigkeit im Schöpfungsbericht zu finden ist. Das ist aber nicht das Gleiche wie zu sagen (wie das auch häufig geschieht): Die Dreieinigkeit ist nicht im Schöpfungsbericht. Wir können mit heutigen Methoden eben nicht mehr hinter den Bericht zurück, können auch mit wissenschaftlichen Methoden kein Urteil über Inspiration und göttliche Vorsehung treffen. Dennoch würden viele Ausleger aufgrund ihrer Hermeneutik zu dem Schluss kommen, dass der Heilige Geist in Gen 1,2 nicht gemeint ist.
Doch man kann selbstverständlich auch mit anderen hermeneutischen Voraussetzungen wissenschaftlich (und historisch-kritisch) arbeiten. Das beweist die evangelikale Theologie, die sich im angelsächsischen Raum zu einer bedeutenden Stimme entwickelt hat.
Lässt man in seiner Hermeneutik Raum für ausdrückliche Glaubensaussagen, etwa die Möglichkeit, dass in der Entstehung der Bibel neben den menschlichen Autoren auch Gottes Geist gezielt am Werk war, dann ist es nicht undenkbar, dass sich Gen 1,2 auf den Heiligen Geist bezieht. Das geht beispielsweise über einen sensus plenior, einen erweiterten Schriftsinn, der durch Gottes Planung in den Texten enthalten ist, ohne dass dies den menschlichen Autoren bewusst war. So oder ähnlich haben auch die ntl. Autoren das AT ausgelegt. Haben diese Autoren das AT korrekt ausgelegt, dann ist ihre Auslegungstechnik natürlich irgendwie legitim. (Leider haben die uns keine Auslegung zu Gen 1,2 überliefert.)
Aus dieser Perspektive lässt sich aber keine absolute Interpretation herleiten, weil so ein erweiterter Schriftsinn unbeweisbar ist. Mit anderen Worten: Hier verlassen wir den Boden der Wissenschaftlichkeit. Wir können wissenschaftlich erforschen, wie die NT-Autoren das AT ausgelegt haben - aber wir können dieselben Methoden nicht selbst wissenschaftlich eine überprüfbare Auslegung leisten. So können wir nur sagen:
Es ist möglich, dass der Heilige Geist in Gen 1,2 mit gemeint ist (sofern meine Denkvoraussetzungen zutreffen).
Diese Aussage ist genauso sattelfest wie die anders lautende Deutung:
Sofern meine Denkvoraussetzungen zutreffen, ist es unmöglich, dass Gen 1,2 einen Hinweis auf die Trinität enthält.
Und aus diesem Grund beschränken wir uns bei der Offenen Bibel auf das Festhalten von (exegetischen und historischen) Beobachtungen.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Hallo,
nach evangelischer Perspektive gibt es – wie Norbert zu Recht anmerkt – kein Konzept von geistlicher Schriftlesung. Zugleich wird aber auch die von Norbert vorgeschlagene Deutung der Bibel aus der Tradition strikt abgelehnt. Es soll sich nämlich umgekehrt die Tradition an der Schrift messen lassen.
So spricht man in der lutherischen Theologie von der Bibel als „Norma normans“ (Maßstab, an dem die Tradition zu messen ist) und von den Bekenntnissen als „Norma normata“ (Maßstab, der selbst an der Bibel zu messen ist).
Um dieses Messen ohne Verfälschungen durchführen zu können, sollte jede Bibelstelle möglichst selbstständig übersetzt sein, ohne sie bereits mit anderen Bibelstellen zu vermischen. Sonst kann man das Gesamtbild der biblischen Aussagen nämlich nicht mehr zuverlässig beurteilen.
Als Christ glaube ich, dass an der Schöpfung Vater, Sohn und Heiliger Geist beteiligt waren. Es wäre aber falsch, den Vater und den Sohn in Genesis 1 „hineinzuschreiben“. Und ob man nun „Geist“ oder „Wind“ übersetzt, ist für meinen Glauben ziemlich egal, denn beides wird von mir persönlich als Gegenwart des Heiligen Geistes verstanden. Der Bibeltext selbst enthält diese trinitarische Deutung aber mit Sicherheit noch nicht.
Eine Bibelübersetzung, die Glaubensbekenntnisse als Entscheidungsgrundlage nimmt, ist aus protestantischer Sicht unbrauchbar, weil sie die Reihenfolge verdreht. Damit wäre diese Übersetzung ökumenisch nur noch sehr begrenzt verwendbar.
Leider ist es nun aber extrem schwer, unter Absehung der eigenen Tradition zu übersetzen. Die bekannten Formulierungen kritisch zu hinterfragen, ist harte Arbeit, denn man hat diese Formulierungen ja im Kopf und die Versuchung ist sehr groß, im Zweifelsfalls doch wie alle anderen zu übersetzen, um nicht als „Ketzer“ missverstanden zu werden. Damit bewirkt die Angst vor einer als „dogmatisch falsch“ wahrgenommenen Übersetzung gerade die Tendenz, die Arbeit der Bibelübersetzung „dogmatisch falsch“ von der Tradition her anzugehen. Dieser Effekt ist auch deshalb so groß, weil fast alle Übersetzungen die eigentlich gebotene unabhängige Sprache verfehlen.
Ich finde es deshalb extrem wichtig, dass die Offene Bibel konsequent auf der wissenschaftlichen Exegese aufbaut. Dadurch würden wir uns aus evangelischer Sicht nicht etwa vom Bekenntnis entfernen, sondern umgekehrt eine zentrale Forderung unserer Bekenntnisschriften erfüllen.
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Hm, schade. Ich war mir ja selbst nicht sicher, ob das wirklich gewünscht und überhaupt möglich ist, eine solche "geistliche Perspektive" noch irgendwo einzubinden - aber schön wäre das schon gewesen. Aber da ich eure Bedenken teile, ist das wohl gegessen.
Vielleicht noch zur Info, Olaf: Die geistliche Schriftlesung gibt es auch (oft) in evangelischen Konfessionen. Auch unter diesem Begriff. Meist wird es da aber eher als Synonym zu "meditative Schriftlesung" verwendet, soweit ich sehe (auch bei den Katholiken, übrigens. Ich glaube, wie die Bibelkommission "geistliche Schriftlesung" verwendet, ist eher untypisch - aber das sollte hier ja eh nur ein Wechselbegriff für "Kommentierung durch die Brille des Glaubens" sein).
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Hallo Sebastian,
dass ein anderes Konzept von „geistlicher Schriftlesung“ in evangelischen Kreisen üblich ist, halte ich bei der Allgemeinheit der Formulierung für durchaus einleuchend. Mit ging es bei meiner Antwort speziell um die von dir erwähnte Koppelung der „geistlichen Schriftlesung“ an einen „geistlichen Schriftsinn“. Letzteres knüpft ja inhaltlich an das von den Reformatoren abgelehnte Konzept des Vierfachen Schriftsinns an. (Was natürlich nicht ausschließt, dass einige evangelische Christen diese Bekenntnisgrundlage verlassen und dann doch wieder so etwas wie einen geistlichen Nebensinn der Bibel behauten.)
Unabhängig von dieser Thematik ist übrigens die Frage, in wie weit wir die Rezeption von zentralen Bibelstellen in wichtigen christlichen Konfessionen und im Judentum in Fußnoten kurz erwähnen möchten, wie ich es in Genesis 1 gemacht habe. Dies würde meines Erachtens die Verständlichkeit für die theologische Relevanz erhöhen und somit mit den Lesefassungskriterien gut kompatibel sein. Die Frage ist aber, wie wir „zentral“, „wichtig“ und „kurz“ definieren. Deshalb sollten wir tatsächlich versuichen, hierfür eine genauere Regelung zu finden. (Ich weiß aber noch nicht, wie die aussehen könnte.)
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Das einfachste wäre wahrscheinlich, wenn die FN-Beispiel-liste bei LF-Kriterium 2b erweitern um "wichtige Deutungstraditionen" o.Ä.:
"Wo nötig, werden für das Verständnis des Textes wichtige Informationen in Fußnoten erläutert (z.B. biblisches Spezial-Vokabular, kulturgeschichtlicher Kontext, bibelkundliche Zusammenhänge, Mehrdeutigkeiten im Urtext, wichtige Deutungstraditionen...)"
Nur müssten wir dazu wieder an die Kriterien, und das ist ja, glaube ich, nicht gewünscht. Vielleicht ist das aber auch hier unproblematisch, weil die Punkte das ja als offene Liste auszeichnen?
Re: geistliche Schriftlesung und Lesefassung
Wäre für mich nicht undenkbar, das noch zu ergänzen. Andererseits haben wir schon den "kulturgeschichtlichen Kontext" - das ist so vage, das könnte das auch mit einschließen.
Aber für mich ist eine bedeutende historische Deutung schon eine Erfüllung des Relevanzkriteriums. Die Deutung gehört mitelbar zum Verständnis der Stelle, daher ist es relevant, auf sie einzugehen.