1 Samuel 1

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Lesefassung (1 Samuel 1)

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Anmerkungen

Studienfassung (1 Samuel 1)

1 Es war ein Mann (Danach (war=) lebte ein gewisser Mann)a aus (Ramatajim=) Rama, ein Zufiter (aus Ramatajim-Zofim, aus dem Ramatajim der Zufiter?)b aus dem Efraim-Gebirge.
{Und} Sein Name war Elkana (=Gott hat geschaffen) ben (, Sohn des) Jerachmeel (=Gott hat begnadet; Jerocham = Gnade wurde zuteil)c ben (, Sohn des) Elihu (=Gott ist er) ben Tohu (=Jungtier?; Toh=Jungtier?)d ben (, Sohn des) Zuf (=Honig; Zif),e des Efraimiters (Efratiters?).fg 2 Er hatte zwei Frauen. Der Name einer der Frau[en] (der Name der ersten/der einen Frau)h war Hanna (=Erbarmen), der Name der anderen Frau Peninna (=die mit vielen Nachkommen?).i Peninna hatte (bekam) Kinder, Hanna aber [hatte] keine Kinder.j

3 Und dieser Mann (der Mann) zog Jahr für Jahr von seiner Stadt aus hinauf, um (sich niederzuwerfen vor=) anzubeten den und Opfer zu spenden dem JHWH Zebaot in Schilo (=Orakel?).k
Dort [dienten] zwei Söhne von Eli (=Hoheit) – Hopni (=Kaulquappe) und Pinhos (=Dunkelhäutiger)l – als Priester JHWHs.


4 [Wieder] kam der Tag, an dem Elkana Opfer darbrachte. Und er wolltem seiner Frau Peninna und all ({all}) ihren Söhnen und Töchtern (ihren (Söhnen=) Kindern {und ihren Töchtern})n Anteile geben,o 5 Hanna aber wollte er einen [besonders] fetten Anteil geben, ([nur] einen Anteil, aber; zornig/unmütig einen Anteil; unterwürfig einen Anteil, einen doppelten Anteil, einen auserlesenen Anteil, einen zwei-Nasen-Anteil, einen ebenso großen Anteil),p denn Hanna liebte er [mehr als Peninna (mehr als diese)],q [obwohl] JHWH ihren Mutterschoß verschlossen hatte. 6 Aber ihre Rivalfrau (Nebenbuhlerin)r würde sie [dann] (bis zur Bekümmerung/Provokation=)s bis aufs Äußerste bekümmern (provozieren),t damit sie wehklage,u weil JHWH ihren Mutterschoß fest verschlossen hatte (, um ihr kein Kind zu geben).v 7 So handelte er (=Elkana) nämlich Jahr für Jahr, so oft sie (=Hanna) hinaufzog ins Haus JHWHs; [und] so bekümmerte (provozierte) sie (=Peninna) sie (=Hanna; so war sie/Hanna bekümmert) [ebenfalls jedes Jahr].w
Da weinte sie (=Hanna) und wollte nicht essen (aß nie/nicht).x 8 Da sprach ihr Mann Elkana zu ihr:

„Hanna!([“ Sie antwortete (ihm): „Ja(, Herr)?“ Und er sprach zu ihr: „])yWarumz weinst du?
Und warum isst du nicht(s)?
Und warum ist's schlecht [in] deinem Herzen?aa
Bin ich nicht besser für dich
Als zehn (Söhne=) Kinder!?“


9 Und Hanna stand auf nach ihrem (=Hanna's, nach dem, nach ihrem=ihrer aller)ab Essen in Schiloac und nach dem Trinken ({und nach dem Trinken})ad [und ging hinauf zum Haus JHWHs (stellte sich vor das Angesicht JHWHs)].aeaf Eli [war gerade] (saß [gerade])ag auf dem Thron am Torpfostenah des Tempels JHWHs. 10 [Da] sie [so] (bitteren Gemüts=) verzweifelt (verbittert) war, flehte sie zu JHWH und weinte [dabei wiederholt] (weinend=) sehrai  11 und schwur einen Schwur ([dem JHWH])aj und sprach:

„JHWH Zebaot! Wenn du [doch] (sehend=) nurai sähest auf das Elend deiner Magdak
Und dächtest an mich ({an mich} [und nicht vergäßest deine Magd])al
Und gäbest deiner Magd männliche(n Samen=) Nachkommenschaft –am
Ich würde ihn JHWH (vor das Angesicht JHWHs)af geben ([als Gegebenen], [als Nasiräer])an für alle Tage seines Lebens (bis zum Tag seines Todes)ao
([Wein und Rebensaft dürfte er nicht trinken])ap
Und ein Schermesser dürfte nicht an seinen Kopf kommen (über seinen Kopf fahren)!“ag


  12 Alsaq sie [immer weiter] verlängerte (vermehrte) ihr Beten zu JHWH (vor dem Angesicht JHWHs),af beobachtete ([der Priester / der Hohepriester])ag Eli ihren Mund, 13 [weil] sie (Hanna)ag (zu=) in ihrem Herzen sprach: Nur ihre Lippen (zitterten=) bewegten sich, aber ihre Stimme konnte man nicht hören. Und Eli hielt sie für betrunken([, Gott aber hörte sie]).ar 14 Darum sagte Eli zu ihr: „(Bis wann willst du dich nur betrunken aufführen!?=) Dass du dich hier wirklich so betrunken gebärdest...!as Tu deinen Wein weg, (der auf dir ist=) unter dessen Einfluss du stehst!at ([Verschwinde aus dem Angesicht JHWHs!])af 15 Hanna antwortete {sagend}: „Nein, (mein=) oh Herr! ([Sondern])ag ich bin eine (Frau mit einem harten Geist=) hartnäckige Frau (eine geplagte Frau?, eine Frau mit einem harten Tag);au ich habe keinen Wein und Rebensaft getrunken! Ich habe meine Seele (vor dem Angesicht JHWHs=) vor Gott ausgeschüttet! 16 Gib deine Magd nicht einer Belials-Tochter preis (der Tochter des Belias preis?, halte mich nicht für/behandle mich nicht als wertlos/ruchlos?, Vergleiche nicht deine Magd vor dir mit einer Belials-Tochter?),av denn aufgrund der [schieren] Menge meiner Beschwerde und ({meiner Beschwerde und})ag meines Kummersaw [ist's, dass] ich bis jetzt [meine Rede] gedehnt (gesprochen) habe!“ax 17 Da antwortete Eli {und sagte} {zu ihr}:ag „Geh in Frieden! Der Gott Israels wird (möge)ay (geben=) gewährenaz {dir}ag deine Bitte (alle deine Bitten),ag die du von ihm erbetenba hast.“ 18 Und sie sagte: „Möge deine Dienerin Gnadebb finden in deinen Augen!“bc
Und die Frau ging ihres Wegs ({ihres Wegs} [in ihre Kammer])bd und aßbe ({und aß}) ([mit ihrem Mann und trank]) und ließ ihre Gesichtszüge nicht mehr entgleisen (hatte kein [böses/unglückliches] Gesicht mehr, {und ließ ihre Gesichtszüge nicht mehr entgleisen}).bf


19 Und sie machten sich [früh]morgens auf und (warfen sich nieder=) beteten vor JHWH (vor dem Angesicht JHWHs).bg Dann (kehrten sie zurück und kamen=) kamen sie wieder in sein Haus (ihr Haus; gingen sie ihres Wegs und kamen in sein Haus)bh in Rama. Elkana (erkannte=) schlief mit Hanna, seiner Frau,bi und JHWH dachte an sie. 20 Zum Umlauf (Zu/nach Umläufen) der Tagebj (des Jahres)ag geschah's, dass Hanna schwanger war und ([wurde Hanna schwanger und es geschah, dass sie])ag einen Sohn gebar. Sie nannte (seinen Namen=) ihn „Samuel“ (=Name Gottes, Name ist Gott, Nachkomme Gottes?), denn ([sie sagte]):ag[So] erbeten hab ich ihn von (JHWH=) meinem Gott El!“bk 21 Da zog der Mann Elkana und sein ganzer Haus[halt] hinauf, um in Schilo (dem JHWH)bl das (Opfer der Tage=) alljährliche Opfer und sein Gelübde ([und alle Zehnt seines Landes])bm zu opfern.bn 22 Hanna aber zog nicht ([mit ihm])bo hinauf. Denn sie sagte zu ihrem Mann: „Ich ziehe nicht hinauf ({ich ziehe nicht hinauf}), bis (Erst, wenn) der Knabe abgestillt sein wird (wenn der Knabe hinaufzieht, sobald ich ihn abgestillt habe),bp werde ich ihn bringen und er soll (wird) erscheinen (bringen. Dann soll er erscheinen)bq beim Angesicht JHWHs und {beim Angesicht JHWHs} dort bleiben auf ewig, denn ich werde ihn geben als Nasiräer auf ewig {alle Tage seines Lebens} ({denn ich werde ihn [JHWH] geben als Nasiräer auf ewig alle Tage seines Lebens}).“br 23 Ihr Mann Elkana sagte: „Tu, was gut ist in deinen Augen (=Mach doch, was du willst?).bs Bleib, bis du ihn abgestillt hast. Möge nur JHWH dein Wort (sein Wort, was aus deinem Mund kommt) aufrichten!“bt
[Also] blieb die Frau und stillte ihren Sohn, bis sie ihn abgestillt hatte.


24 Dann ließ sie ihn mit sich hinaufziehen (zog sie mit ihm hinauf nach Schilo),bu nachdem sie ihn abgestillt hatte, (Dann zog sie mit ihm hinauf)bp mit einem dreijährigen Ochsen (drei Ochsen),bv ([Broten / einem Brot,]) einem ('nem, drei)bw Efa Mehl (Feinmehl)ag und einem Nebel Wein.bx Sie (ließ ihn kommen=) brachte ihn (sie kam)bu [zum] Haus JHWHs [in] Schilo. Und [so wurde] der Knabe zum Knappen: (Und der Knabe war ein Knabe.)by 25 {Und} Sie schlachteten (er schlachtete)bz den Ochsen und sie brachten (sie brachte)bz den Jungen zu Eli (vor das Angesicht Elis). 26 Und sie (Hanna)ag sagte (zu ihm / zu Eli):ag „Bitte, mein Herr; [beim] Leben Eurer Seele{, mein Herr} (mein Herr)!ca Ich [bin] die Frau, die bei Euch (vor Eurem Angesicht)by dort stand, um zu JHWH zu beten! 27 Um diesen habe ich gebetet, und JHWH hat mir ({mir})cb meine Bitte (gegeben=) erhört, die ich von ihm erbeten habe.“ 28 Ich meinerseits [will] ihn hiermit JHWH anbieten; für alle Tage, die er lebt (existiert),ag [sei] er JHWH angeboten (Angebot für JHWH; ...anbieten, [weil] er Angebot JHWHs ist).cc
Dann (warf sie sich nieder vor=) betete sie (er, beteten sie) dort ({dort}) zu JHWH.cd

Anmerkungen

Das erste Buch Samuel beginnt damit, nach den vielen „kleinen Richtern“ des Richter-Buches den letzten und womöglich größten Richter einzuführen: Den Propheten Samuel, der bald schon das Königtum in Israel einführen sollte. Vv. 1-18 erzählen seine Vorgeschichte, Vv. 19-23 von seiner Empfängnis und frühen Kindheit, Vv. 24-28 schließlich berichten, wie er in das Heiligtum von Schilo gelangte. In Vv. 1-18 sind Vv. 1-8 eine ausführliche Einleitung, bei der in Vv. 1-3 v.a. wichtige Personen und Orte eingeführt werden: In V. 1 wird Samuels Vater Elkana mit Herkunft in Stammbaum vorgestellt. Schon dieser Vers zeigt, wie die Samuelbücher gelesen werden müssen: Nicht als reine Prosa, sondern als etwas wie Prosagedichte (in die, wie in hebräischen Erzählungen üblich, auch immer wieder echte Lyrik eingestreut ist).
Es beginnt schon mit der irregelären Assonanz in Zeile 1 (s. FN b):

Es war ein Mann aus Haramatajim,
Ein Zufiter vom Har Efrajim.

Diese Prosa-Doppelzeile geht dann auch noch parallel mit dem folgenden Stammbaum:

Ein Mann aus Rama: ein Zufiter vom Gebirge Efraim
Elkana..., Nachfahre des Zuf, des Efraimiters. (gut Eslinger 1982, S. 106; Fokkelman 1993, S. 8).

Wir werden im Folgenden also gut Acht geben müssen auf Stil und Formulierung der Samuelbücher.
In der Textvariante des MT wurde dies sogar noch weiter geführt: Kontrastiert wird dort „ein gewisser Mann“ – wörtlich „ein Mann“ mit dem Zahlwort „eins“ – mit haramatajim, das im Hebräischen formal ein Dualwort ist, also dem „Doppel-Hügel“. Dieser Kontrast von „eins“ vs. „zwei“ deutet schon V. 2 an: Dieser eine Mann hat nämlich zwei Frauen: Hanna und Peninna. Die Zahl der vorgestellten Personen wird verdoppelt; und Samuels Mutter wird damit in die Erzählung eingeführt, indem sie mit der zweiten Frau des Eli kontrastiert wird. Darauf wechselt die Szene in V. 3a vom ersten für den jungen Samuel wichtigen Ort – Rama – zum zweiten – Schilo –, woran sich V. 3b anschließt, wo die ganze Dreierkonstellation von Elkana, Hanna und Peninna verdoppelt wird: Eine weitere Dreiergruppe wird vorgestellt, wieder beginnend mit dem Oberhaupt der Familie und darauf folgend mit einem mit diesem verbundenen Zweierpaar. Man achte dabei auf die Anfangsbuchstaben der Namen (wieder gut Fokkelman 1993, S. 19): Elkana – Hanna – Peninna | Eli – Hopni – Pinhos. Man achte außerdem darauf, dass „Peninna“ ursprünglich vermutlich „Penanna“ gelautet hatte; zur Abfassungszeit reimten sich also „Hanna und Penanna“, wie ähnlich „Hopni und Pinhos“ beinahe Anagramme sind (s. jeweils zu den Namen). In Kapitel 2 ist es dieses zweite Dreier-Gespann, die statt den ersten drei Personen zu Samuels Zweitfamilie werden werden. Nach diesen Versen haben wir also vier Paarungen: (1) Elkana vs. seine beiden Frauen, (2) Hanna vs. Peninna, (3) Eli vs. seine beiden Söhne, (4) Samuels Blutsverwandschaft vs. Samuels Schicksalsverwandschaft.

In V. 4-8 beginnt die eigentliche Erzählung mit der Vorgeschichte Samuels: Jedes Jahr pilgert Elkana mit seiner Familie zum Heiligtum von Schilo, um dort Gott ein Opfer darzubringen. Das sich an dieses Opfer anschließende Opfermahl aber – eigentlich für Israeliten eine sehr fröhliche Angelegenheit, bei der auch regelmäßig ordentlich gezecht werden durfte – ist für die kinderlose Hanna eine stete Qual: Zum einen muss sie jedes Mal mit ansehen, wie Peninna und ihrer Kinderschar Stück um Stück vom Opferfleisch ausgeteilt wird, wohingegen sie jeweils nur eines erhält. Und zum anderen erhält sie dafür aber das fetteste dieser Stücke, weil Elkana sie mehr liebt als Peninna – was zur Folge hat, dass diese sie Jahr um Jahr bekümmert. Vv. 4f. sind dabei strukturell sehr ähnlich gestaltet wie V. 2: Wieder werden doppelt die beiden Frauen miteinander kontrastiert; diesmal in der umgekehrten Reihenfolge: Peninna – Hanna, Hanna – Peninna.
Auch dieses Jahr beginnt es wieder ebenso; Hanna ist also wieder am Boden zerstört.ce Elkana reagiert darauf; ob seine Worte in V. 8 aber als Trost oder als Maßregelung aufzufassen sind, ist nicht ganz klar. Der dritte Satz klingt etwas mehr nach einem Vorwurf (Am ehesten: „Warum bist du so aufgebracht!?“), und sollte die alternative Formulierung des ersten „Warum“ die ursprüngliche sein (s. zum Wort), legte auch dies einen vorwurfsvollen Ton näher als einen tröstenden. Der Schlusssatz ist endgültig prollig und wenig einfühlsam; man kann kaum glauben, dass er dazu angetan war, dass die ursprüngliche Leserschaft Elkana danach positiv wahrgenommen hätte.

Vv. 9-11: Wie dem auch sei; klar ist: Elkana hat Hanna so doch wieder dazu gebracht, an dem ihr verhassten Opfermahl teilzunehmen, und folgerichtig ist sie danach noch unglücklicher als zuvor (V. 8: „Sie weinte“ => V. 10: „Immer wieder weinte sie weinend“). Das bewegt sie zu einer außerordentlichen Tat: Sie „steht auf und geht hinauf zum Tempel“. Nach allem, was wir wissen, „gehörte“ sich das nicht für eine israelitische Frau: Tempelgebete gehörten zu den Aufgaben von Priestern und Leviten. Männliche Laien waren bei solchen Gebeten hauptsächlich anwesend, um sie feierlich zu bestätigen. Weibliche Laien taten nicht einmal das; sie hatten sehr wahrscheinlich nicht einmal Zutritt zu Heiligtümern, und wenn sie beteten, dann zu Hause (vgl. Bar-Ilan 2020, S. 111f.). Hannas Tempelgebet ist ein „Akt der Auflehnung gegen die Grenzen patriarchaler Geschlechter-Hierarchie“ (de Andrado 2021, S. 281), was denn auch Elis Reaktion ab V. 12 erklärt.
Dass in Vv. 10f. das Bittgebet selbst ausgespart ist und nur Hannas Schwur wörtlich ausgeführt wird, unterstreichen dies Außergewöhnliche ihres Handelns und ihr Leid noch mehr; fünf Verben des Sagens folgen auf diese Weise fast direkt aufeinander: „Sie flehte zu JHWH und musste weinend weinen und schwur einen Schwur und sprach“. Die selbe Eindringlichkeit spricht aus ihrem Schwur in V. 11: Mit gleich drei Ausdrücken wird JHWH beschworen, sich ihrer anzunehmen: Er soll „sehend auf sie sehen“, soll „an sie denken“, und ihr so – das Wichtigste – durchaus „Nachkommenschaft schenken“.
Man beachte, wie Hannas Schwur der vorangegangenen Frage von Elkana entspricht: Beide beginnen mit einem Vokativ („Hanna!“, 8b; „JHWH Zebaot!“, 11b), darauf folgt ein Dreizeiler mit drei jeweils sehr ähnlichen an ein „Du“ gerichteten Anreden,cf dann schließen beide mit einem Zweizeiler, der vom „Ich“ spricht. Und dann aber achte man darauf, welch unterschiedliche Haltung aus den je zwei abschließenden Zeilen am Gedicht-Schluss spricht: Elkana macht sich groß und schaut auf sich; Hanna aber macht sich kleincg und schaut auf JHWH: Sollte Gott ihre Bitte gewähren, würde sie ihm als Gegenleistung ihr erstes männliches Kind weihen.
Zu dieser „Weihe“ gleich noch einmal mehr; vorerst: Dass zu dieser Weihe gehört, dass sein Haar nicht geschnitten werden darf, macht klar: Samuel soll Nasiräer werden, also einem asketischen Stand des Alten Israel angehören, der sein Leben besonders dem Dienst für Gott geweiht hatte. In der LXX wurde dies noch deutlicher formuliert: Erstens wird das „Nasiräertum“ Samuels auch wörtlich ausgeführt, zweitens wird mit der Abstinenz vom Alkohol ein weiterer Zug nasiräischen Lebensstils ergänzt.
Spätestens hier ist offensichtlich, dass die selbe Geschichte in der Bibel bereits einmal und fast genau so erzählt wurde: Samuel ist der „neue Samson“. Siehe nämlich Ri 13: Auch dessen Mutter war unfruchtbar, auch dieser wird das Ende ihrer Unfruchtbarkeit verheißen, und auch diese empfängt daraufhin einen Sohn, der im Falle des Samson sogar ebenfalls Nasiräer werden wird. Im Alten Orient sind noch weitere vergleichbare Geschichten belegt (zu diesen vgl. z.B. sehr gut Johnson 2010); dem Bibel-Leser bekannt sind etwa die vergleichbaren Erzählungen über Ismael und Isaak in Gen 16 und Gen 17, vor allem aber noch die Erzählung von der Geburt des Johannes in Lk 1,5-25. Dieses „Sohn einer Unfruchtbaren“-Motiv macht aus 1 Sam 1 eine „theologische Leseanweisung“ (Stipp 2013, S. 153), die anzeigt, wie die Figur des Samuel zu verstehen ist: Als einer der „Großen“ der Heilsgeschichte. Samuel wird geboren kraft der Gnade Gottes; seine im Folgenden berichteten Taten sind deshalb mittelbar Gottes Taten. Mit der Formulierung „wenn du doch sehend sähest auf das Elend deiner Magd“ spielt Hanna außerdem noch deutlich Ex 3,7 ein; Samuel ist also nicht nur der „neue Samson“, sondern auch noch der „neue Mose“.

In Vv. 12-16 folgt vor der gattungstypischen Ankündigung der Geburt des Gottes-Kinds ein retardierendes Moment: Eli fährt Hanna und Gott ins Gehege. Der Sinn dieser Episode erschließt sich erst im weiteren Verlauf des Buches: Eli ist im Samuelbuch keine positive Figur. Dieser Hohepriester von Schilo nämlich, der eigentlich Mittler zwischen Gott und den Menschen sein sollte und daher symbolträchtig „an den Torpfosten“ als der Schwelle zwischen weltlichem Außen und heiligem Innen des Tempels verortet wird, hat gar keine rechte Einsicht in das Wesen und Wirken Gottes. Wie er hier die Hanna nicht hören kann, wird er in Kapitel 2 Gott nicht hören, und noch dazu immer weniger sehen, und wie er hier beinahe Hanna der „Belials-Tochter“ Peninna ausliefert, liefert er ab Kapitel 2 ganz Israel seinen Söhnen, den „Belials-Söhnen“ (1 Sam 1,12), aus. Vv. 12-16 dienen also v.a. dazu, Späteres vorzubereiten und ineins damit Elis Charakter schon jetzt schärfer zu zeichnen: Offensichtlich ist er jemand, der „nicht alle Sinne beisammen hat“ und in seinem Urteil so richtig daneben liegen kann. Sein Vorwurf aber gibt Hanna die Gelegenheit, mit einem weiteren Satz auf das künftige Nasiräertum Samuels anzuspielen: Sie hat „keinen Wein und keinen Rebensaft getrunken“ – gerade so, wie sich das für die Mutter eines Nasiräers auch gebührt, s. Ri 13,4 (vgl. gut Stoebe; Eslinger 1982, S. 125). Im Gegenteil: Sie hat sich nichts eingegossen, sie hat vor Gott ausgeschüttet (gut Bodner 2009, S. 20).
„Vor Gott ausschütten“ lässt dabei außerdem denken an eine Libation, also ein Trankopfer, bei dem man JHWH opferte, indem man Flüssigkeit – meist Wein, gelegentlich auch Opferblut, außerdem (selten erwähnt, aber wohl am gebräuchlichsten) auch Wasser – vor seinem Altar oder auf einem Kultstein ausgoss. 1 Sam 1,15b ist wie die narrative Variante von Ps 51,19: anders als die beiden Eli-Söhne opfert Hanna, die als Frau nicht im Tempel beten, sondern natürlich erst recht nicht opfern darf, auf gottgefällige Weise (s. auch noch mal die FN zur „hartnäckigen Frau“). Das sind auffällig kultkritische Momente gleich zu Beginn des Samuelsbuches: Das Priestertum ist eigentlich ein erblicher Stand. Doch JHWHs Priester von Geburt sind schlechte Mittler, sind miese Priester, weshalb Gott sich denn auch irregulär einen neuen und treuen Priester weihen muss (1 Sam 2,35). Nasiräer ist man eigentlich auf begrenzte Zeit und nach m.Naz iv 6 darf eine Mutter ihren Sohn gar nicht zum Nasiräer machen, doch Hanna verspricht Gott den Samuel dennoch als Nasiräer, und dies sogar auf Lebenszeit – und Samuel wird damit zur Krone der Nasiräer werden. Und das „ordentliche“ Opfer und Opfermahl schließlich ist nutzlos und bringt Leid – Hannas außerordentliches Opfer, bei dem sie ihren „Kummer vor Gott ausgießt“, ist es, der ihr den erwünschten Segen Gottes einbringt.
Der nämlich wird ihr nun in V. 17f. von Eli in Form eines Heilsorakels verkündet: Gott wird ihr ihre Bitte gewähren.

V. 19 ist ein Brückenvers, der schon stilistisch die veränderte Rolle der Hanna in den folgenden Versen anzeigt; vgl.:
V. 3: (A) Dieser Mann (!) ging alljährlich aus seiner Stadt hinauf, um zu JHWH zu beten und ihm zu opfern in Schilo.
V. 9: (A') Hanna stand auf nach ihrem (!) Essen in Schilo und ging hinauf zum Haus JHWHs.
V. 19: (A'') Sie machten sich frühmorgens auf und beteten vor JHWH. (B) Dann kamen sie wieder in sein Haus in Rama.
Vv. 21f.: (A'''): Der Mann (!) Elkana und sein ganzes Haus zog hinauf, um in Schilo ... zu opfern; Hanna aber zog nicht hinauf.
V. 24: (A''''): Dann ließ sie ihn mit sich hinaufziehen .. und brachte ihn zum Haus JHWHs in Schilo.
2,11: (B') Elkana ging nach Rama in sein Haus.
Beginnend mit V. 9 hat sich für eine kurze Zeit Hanna selbst ermächtigt, indem sie die Geschlechterrollen durchbrochen hat. Diese Umkehrung der traditionellen Geschlechter-Rollen ist es denn auch, die sie in 1 Sam 2,1-10 vor allem besingen wird. Mit ihrer erfolgten Weihe des Samuel am Ende von 1 Sam 1 ist diese Einebnung der Geschlechter-Hierarchie aber wieder beendet; ab 1 Sam 2,11 ist wieder wie in V. 3 Elkana die handelnde Person.
Vv. 19-23 deuten den Grund dafür an: Die nächsten Jahre sind eine besondere Zeit; hier gelten besondere Regeln: Elkana „erkennt“ seine Frau und JHWH „denkt“ an sie, weshalb sie mit Samuel schwanger wird und ihn gebiert. Die Zeit, in der Samuel in ihrem Haus wohnt, ist eine Zeit des Heils, und Samuel Sakrament dessen, dass Gott sich Hannas angenommen hat: Er ist „Samuel“; er ist „Ich-habe-ihn-von-JHWH-erbeten“ (V. 20). Kein Wunder, dass Hanna diese Zeit so lange als möglich in die Länge ziehen will.

Mit V. 24 aber ist die Zeit gekommen, da Samuel Gott übergeben werden muss. Und noch stärker als je zuvor bricht hier die traditionelle und kultische Geschlechterhierarchie zusammen: Elkana wird gar nicht erst erwähnt; Hanna ist es, die Samuel mit sich hinaufziehen lässt; sie ist es auch, die ihn nebst Opfergaben zum Tempel bringt. V. 25 ist ohne Zweifel bewusst so formuliert, dass ein:e hebräische:r Leser:in daran denken muss, dass auch Hanna den zu opfernden Ochsen sogar selbst schlachtet (vgl. wieder de Andrado 2021, S. 284f.), und in Vv. 26f. wird dem:der Leser:in außerdem noch einmal deutlichstmöglich eingehämmert, was schon zuvor in V. 9 geschah: Ich bin die Frau (!) die bei Euch stand (!), um zu JHWH zu beten (!). Um diesen habe ich gebetet (!) und JHWH hat mir (!) meine Bitte (!) erhört, die ich von ihm erbeten (!) habe. Und dann noch mal in V. 28: Dann betete sie (!) dort (!) zu JHWH.

aTextkritik: Es war ein Mann (Danach lebte ein gewisser Mann) - 1 Sam beginnt im MT wie viele biblische Erzählungen – z.B. Ri 13,2; 17,1; 19,1; ... – mit wajehi `iš `eḥad („Danach lebte ein gewisser Mann“). Mit diesem danach knüpft es an das zuvor Erzählte an; ähnlich wie Jos 1,1; Ri 1,1; Rut 1,1 zuvor und 2 Sam 1,1; 2 Kön 1,1 und ähnlich 1 Kön 1,1 danach. Gut dann VOICE: „When the judges ruled over Israel, there was a man...“. Niccacci 1995b hat daher klug angenommen, dass die Formulierung dieser Einleitungssätze nicht ursprünglich ist, sondern aus der Zeit der Endredaktion der hebräischen Bibel stammt, in der diese historischen Erzählungen zu einer Sammlung zusammengefügt wurden.
Im Falle unseres Verses könnten sich hiervon sogar noch Spuren finden: Einige LXX-Handschriften setzen stattdessen nämlich `iš hajah voraus: „Es war ein Mann“. Dies wird wohl der ursprüngliche Wortlaut gewesen sein (so auch McCarter): Der LXX-Wortlaut lässt sich kaum anders erklären, die MT-Formulierung dagegen gut mit Niccaccis Redaktions-Annahme.
Das hat weiterhin Auswirkungen auf die Interpretation dreier weiterer Stellen: Die selbe Eröffnungsformel, die hier auch die LXX-MSS voraussetzen, findet sich sonst nur noch am Beginn des Ijobbuches Ijob 1,1, der Nathan-Parabel 2 Sam 12,1 und der Baum-Parabel 2 Kön 14,9; und weil es gerade diese drei Erzählungen sind, die so eröffnet werden, nimmt man dort fast stets an, `iš hajah sei eine Art typische Märchenformel wie das dt. „Es war einmal“. Begann ursprünglich auch 1 Sam mit dieser Formel, wäre das falsch: Dann wäre dies keine „Märchen“-Formel, sondern schlicht die Eröffnung einer selbständigen Erzählung. (Zurück zu v.1)
bRamatajim - Langform des ON „Rama“, der sonst verwendet wird – auch in 1 Sam, s. 1 Sam 1,19 (!); 2,11; 8,4; 25,1; 28,3. Wohl Stilmittel: Irreguläre Assonanz mit „Gebirge Efraim“. Vgl. ähnlich Eslinger 1982, S. 106:
There once was a man from hārāmātayim,
a Zuphite from har `eprāyim.
Tg normalisiert auch hier zu diesem üblichen Namen. Gemeint ist sehr wahrscheinlich nicht das heutige er-Ram im einstigen Gebiet des Stammes Benjamin (so viele), sondern das heutige Bayt Rima im einstigen Gebiet des Stammes Ephraim; s. näher Rama (WiBiLex).
Zufiter (dazu auch unten) - d.h. ein Nachfahre Zufs (s. 1b), nach dem das gleichnamige Gebiet benannt wurde, und gleichzeitig Bewohner dieser Gegend; s. 1 Sam 9,5. Gut UDB: „a descendant of Zuph“.
Textkritik: Das auf die beiden selben Konsonanten endende Zofim des MT nämlich ist wohl nicht ursprünglich, sd. wurde aus einem ursprünglichen zufi, das noch LXX voraussetzt, wegen den beiden es umrahmenden -im-Worten und wegen dem folgenden m- erst später zu zofim verschrieben (so auch BHK, Wellhausen, Budde, Schlögl, Ginsburg, Driver; auch McCarter; Fokkelman 1993, S. 558; auch ). Ramatajim-Zofim, wie z.B. LUT, SLT, ZÜR übersetzen, ließe sich auch gar nicht erklären: Ramatajim ist grammatisch Dual des fem. ramah („Hügel“), zofim müsste dazu dann maskulines Partizipialattribut sein: „zufitisch-Doppelhügel“ (vgl. ähnlich Ri 15,17: „Kinn-Hügel“). Richtig zwar CTAT, Hutzli 2007, S. 48: Ramatajim-Zufim wäre grammatisch möglich („Ramatajim der Zufiter“; zur Konstr. vgl. Ri 8,32) – aber diese Textvariante ist ja gar nicht bezeugt.
Wohl wg. diesem zofim statt zufim leiten Tg, Syr, b.Meg 14a und der Midrasch dagegen zofim ab von zafah („sehen“) und machen aus Ramatajim-Zofim den „Hügel“ oder das „Rama“ „der (200) Seher“, z.B. Midrasch Samuel: „Zofim. Dazu bemerkt Rabbi Jochanan: Es war ein Ort, der zweihundert Seher gestellt hat.“ (Zurück zu v.1)
cTextkritik: LXX und VL setzen statt MT's Jerocham den verwandten Namen Jerachmeel voraus. Falsch Auld und McCarter: Jerachmeel ist nicht Langform des Kurzform-Namens Jerocham, wonach dann die Variante Jerachmeel leicht erklärlich wäre (Kurzform- und Langform-Namen waren austauschbar, weshalb z.B. der Prophet Micha aus Mi 1,1 in Jer 26,18 stattdessen Michajahu genannt werden kann. Zu weiteren Bspp. s. zu Am 7,10). Aber Jerocham ist eine Passiv-Bildung („Er wurde begnadigt“), Jerachmeel dagegen aktiv („Gott hat begnadet“). Jerocham und Jerachmeel sind also echte Varianten. Elkanas Vater heißt auch in 1 Chr 6,12.19 Jerocham; wahrscheinlicher ist daher hier in MT und dann auch in VUL, Tg, Syr an diese Stelle angeglichen worden. (Zurück zu v.1)
dTextkritik: LXX wie in 1 Chr 6,19 Toah, urspr. toḥ (zu Pataḥ furtivum > ε vgl. z.B. יְהוֹשֻׁעַ (Jos 1,1) > Ιωσουε bei Origines oder תַּפּוּחַ (Jos 15,53) > thafue in VUL; auch in 1 Chr 6,19 ja θιε, wo ι vielleicht ein תּיחַ voraussetzt, ε aber ja sicher Repräsentation des Pataḥ furtivum ist). Ursprünglich in 1 Sam ist sicher die Form des MT. Zum Namen vgl. DAHPN. (Zurück zu v.1)
eTextkritik: LXX setzt wie in 1 Chr 6,20 K voraus: Zif. Auld hält das für ursprünglich; aber wahrscheinlicher ist auch Zif in 1 Chr 6,20 nur verschrieben aus Zuf (weshalb dort auch Q Zuf lesen lassen will) und dann hier Zif in der Vorlage von LXX eine falsche Angleichung an diesen falschen Wortlaut von 1 Chr. (Zurück zu v.1)
fEfraimiter (Efratiter?) - Heb. `eprati, was sowohl Bewohner des Gebiets Efrata um Bethlehem, südwestlich von Jerusalem („Efratiter“, so Rut 1,2; 1 Sam 17,12), oder Bewohner des Stammesgebiets Efraim nördlich davon („Efraimiter“) bezeichnen könnte (wie auch Ri 12,5; 1 Kön 11,26). Nach dem Kontext zu urteilen ist hier klar Letzteres gemeint (so auch McCarter; , GN, LUT); nicht wenige übersetzen aber merkwürdigerweise dennoch „Efratiter“ (z.B. Tsumura; B-R, SLT, ZÜR). (Zurück zu v.1)
gV. 1b stellt wie viele Vv. eine neue Hauptperson über ihren Stammbaum vor. Besser als eine wörtl. Üs. z.B. wie UBD: „His father was [Jerachmeel], his grandfather was Elihu, and his great-grandfather was Tohu. ...“ (Zurück zu v.1)
htFN: der Name einer der Frau[en] (der Name der ersten/der einen Frau) - Angezielt ist wahrscheinlich die Bed. der Primärübersetzung. `aḥat kann (1) „die erste“ (vs. „die zweite“), (2) „die eine“ (vs. „die andere“) oder (3) wie ein unbest. Artikel „eine, irgendeine“ bedeuten. Bei (1) „die erste ... die zweite“ hätten i.d.R. beide Wörter einen Artikel (s. 1 Sam 14,4; Gen 2,11-13; 4,19; Ex 28,17f.; Ez 10,14), bei (2) „die eine ... die andere“ hätte keines einen Artikel (s. z.B. 1 Sam 10,3; 13,17f.; 2 Sam 12,1 u.ö.). Hier dagegen hat `aḥat keinen Artikel, šenit („die zweite / die andere“) aber schon. Das ist äußerst ungewöhnlich; Viele MSS schreiben daher auch das erste Wort mit Artikel (so auch Schlögl, Driver; auch McCarter; aber wie hätte der Artikel denn entfallen sollen?). So, wie der Text vorliegt, kann man kaum anders deuten denn so, dass `aḥat ... wehaššenit nicht „die erste und die zweite“ oder „die eine und die andere“ bedeutet, sondern dass `achat als unbest. Artikel fungiert und dann haššenit deswegen Artikel haben und „die andere“ bedeuten kann, weil von der ersten der beiden Frauen bereits die Rede war. Daher „eine der Frauen ... die andere Frau“.
Anders Fokkelman 1993, S. 16: „There is no order of rank in v.2b – unlike 2c where Peninnah is called ‚the second‘ – but a cardinal number! I render this: ‚Hannah is ‚number one.‘‘ Her number corresponds, therefore, to that of her husband.“ – doch mir scheint, das ist Überinterpretation; sprachlich naheliegend ist es jedenfalls nicht. (Zurück zu v.2)
iPeninna - etwas unklarer Name. Meist abgeleitet vom Verb *pnn, das nach verwandten Sprachen „verzweigt sein“ bed.; danach auch peninim („das mit vielen Verzweigungen“ = „Koralle“). Peninna wäre dann „die mit vielen Sprösslingen“. Ist das richtig, ist der Name ungewöhnlich gebildet: Ein Name von der Wurzel *pnn + Endung -ah würde gewöhnlich Pannah lauten; vgl. Zimmah (< Zammah) von zmm, Rinnah (< Rannah) von rnn, Tehinnah (< Tahannah) von ḥnn und natürlich zuvorderst Hannah von der selben Wurzel. „Hannah und Pannah“ wären dann ein Namenspaar wie „Uz und Buz“ in Gen 22,21; „Muppim und Huppim“ in Gen 46,21; „Schufam und Hufam“ in Num 26,39, „Hillek und Billek“ in b.San 98a usw. Aber so lautet Peninnas Name gerade nicht. Vielleicht ist das ein Stilmittel: Obwohl „Hannah und Peninna“ eigentlich als „Hannah und Pannah“ harmonieren müssten, tun sie es nicht: ursprünglich lauteten die beiden Namen „Hannah und Penannah (statt Pannah); im MT wäre dies noch forciert worden, indem das -a- in penannah wie üblich zu -i- „attenuiert“ wurde, das -a- in ḥannah (vgl. dagegen teḥinnah!) aber nicht. (Zurück zu v.2)
jMan beachte den Chiasmus: (A) Hanna – Peninna, (B) Peninna – Hanna. Gemeinsam mit der seltsamen Formulierung `aḥat ... wehaššenit (s. vorige FN) drückt dies aus: Hier steht noch nicht Hanna allein im Fokus, sondern beide Frauen gleichermaßen. (Zurück zu v.2)
kSchilo - Ort in Efraim, also recht nahe an Elkanas Heimat gelegen. Sitz eines sehr wichtigen Heiligtums. Exegeten haben aus Ri 21,19 abgeleitet, dass in Schilo bes. ein jährliches Fest gefeiert worden sei, das außerhalb der Reihe der drei großen Erntefeste Israels gestanden habe, und dann angenommen, dieses Fest sei es gewesen, zu dem Elkana jährlich pilgerte. Aber da dieses Fest nach Ri 21,20f. bes. in die Weingärten verortet wird, wird es sich dabei doch ebenfalls um eines der Erntefeste gehandelt haben, zu denen ein Israelit üblicherweise zu einem Heiligtum pilgerte (auch der Midrasch denkt bei unserem Vers an Schavuot, das jüd. Erntedank-Fest; LAB 50,2 ähnlich an Pesach). Zu welchem Anlass – sofern es denn einen bestimmten Anlass gab – Elkana jährlich nach Schilo pilgerte, sagt unser Text dann nicht. S. zum Ort näher Silo (WiBiLex). (Zurück zu v.3)
lHopni + Pinhos - keine heb. Namen, sd. ägyptische. Darüber hinaus beinahe Anagramme: ḥɔpny + pynḥɔs; ein üblicher Zug hebräischer Erzählkunst (s. zu Am 7,10 für weitere Bspp.). Aus diesem Grund halte ich (S.W.) hier Hopni besser als 's „Hofni“ und verfälsche außerdem Pinhas zu Pinhos.
Die Namen der beiden passen zu ihrer folgenden negativen Darstellung, s. 1 Sam 2,12ff.: sie sind Repräsentanten des Unglaubens. (Zurück zu v.3)
mDiese und die folgenden Verbformen übersetze ich (S.W.) anders als gewöhnlich. I.d.R. hält man Vv. 4-7 wegen V. 7 für eine weitere Exposition, die erzählt, was sich jedes Jahr zuträgt. Drei Gründe sprechen dagegen: (1) Die beiden ersten Verben in V. 4 lassen keinen Zweifel daran, dass nun etwas berichtet wird, was sich dieses Jahr zuträgt. Ebenso die vorletzte Verbform in V. 7 (alle: Wayyiqtol. Die verschiedenen Erklärungsansätze, mit denen Joosten 2002, Pardee 2012 und Krüger 2016 diese drei Formen wegerklären wollen, sind ganz fernliegend). Dann aber können die folgenden Yiqtols und Weqatals nicht iterativ verstanden werden. (2) V. 7 wäre sehr redundant, wenn nur gesagt würde, dass sich das, was sich nach Vv. 4-6 regelmäßig zuträgt, jedes Jahr so zuträgt. (3) Vv. 8ff. hingen in der Luft, wenn nicht erzählt würde, dass sich dies auch in diesem Jahr so zugetragen hat. Die obige modale Deutung der Verben liegt daher viel näher. (Zurück zu v.4)
nTextkritik: Der Text wird in unterschiedlichen Varianten bezeugt:
(1) für ihre Söhne (LXXB, A)
(2) für alle ihre Söhne und ihre Töchter (die meisten MSS, LXXL, VUL, Tg, Syr)
(3) für alle ihre Söhne und für ihre Töchter (5 MSS; Pes. r. 182a).
McCarter, Auld, Hutzli 2007, S. 52 u.a. halten (1) für ursprünglich und (2) für reine Ausfaltung von (1). Ich (S.W.) bin nicht überzeugt: Die Existenz von (3) zeigt, dass diese „Ausfaltung“ so nicht erwartbar wäre; erwartbar wäre bei einer bewusst gestalteten Ausfaltung von für Peninna, für alle ihre Söhne ..., aber für Hanna eben eine parallelere Formulierung mit für wie in (3), nicht wie in (2). Ursprünglich ist daher wohl doch (2); in (1) ist „und ihren Töchtern“ wg. Homoiteleuton entfallen; (3) ist stilistische Verbesserung von (2). (Zurück zu v.4)
oAnteile - Bei einem Opfer in einem Heiligtum wurde ein Teil davon selbst verspeist. Das Dtn fordert, dieses Festmahl müsse in Jerusalem stattfinden (s. z.B. Dtn 12,17f.). 1 Sam 1, wo ja noch kein Jerusalemer Tempel erbaut ist, setzt entsprechend voraus (s. V. 7), dass der ganze Haushalt nach Schilo zog und dort seine Anteile vom Opfer zum Opfermahl erhielt. Recht gut daher GN: „Er gab ihnen Anteile vom Opferfleisch“, besser noch SLT: „Teile vom Opfermahl“; am besten HfA, die einen erklärenden Satz einfügt: „Jedes Mal, wenn Elkana sein Opfer dargebracht hatte, kam die ganze Familie zu einem Festessen zusammen. ... “ (Zurück zu v.4)
ptFN: Schwieriges Wort. `appajim ist der Dual von `ap („Nase, Gesicht, Zorn“). Schon die Alten wussten damit nichts anzufangen:
(1) LXXB, A, Aq, Theod, Sym lesen nicht `appajim, sondern `epes („jedoch“; vgl. die graphisch sehr ähnlichen אפים mit אפס): „Er gab ihr zwar nur einen Anteil, jedoch: er liebte Hanna...“. So z.B. auch BHK, Wellhausen, Driver; Eslinger 1982, S. 710; auch BB, LUT 17, TEX.
(2a) LXXL orientiert sich an der Bed. „Gesicht“: „Er gab ihr einen Anteil kata prosopon = ins Angesicht“, also „er gab ihr eigens / höchstpersönlich einen Anteil“. So auch Barhebraeus: „höchstpersönlich“. Sicher ist dies ein false friend. So aber auch Fokkelman 1993, S. 558 („a chosen portion“); auch PAT: „er gab ihr nur einen, aber einen ganz persönlichen Anteil“. (2b) Ähnlich eine der Auslegungen in Pes.r. 46, im Midrasch und bei Raschi: „Eine Portion, die man nicht anders denn mit erfreutem Gesicht empfangen kann“.
(3) VUL orientiert sich an der Bed. „Zorn“: „Er gab ihr unmütig einen Anteil“. Vgl. dazu bes. Dan 11,20: be`appajim = „zornig“. So R-S: „er gab ihr verdrossen nur ein Stück“, TAF: „unmutig“; ähnlich B-R: „mit Kummerblick“, H-R: „er konnte ihr zu seinem Kummer nur einen Anteil geben“. Sinngemäß stark dann Grynäus: „Elkana legte bey der Opfermahlzeit der Peninna und ihren Söhnen und Töchtern zuerst vor; darnach auch, aber mit einem von der Betrübniß seines Herzens zeugenden Blicke, der Hanna.“
(4) Syr orientiert sich am Dual: „Er gab ihr einen doppelten Anteil“. Diese Deutung findet sich auch in Pes. r. 43 und im Midrasch. Ein „zwei-Gesichter-Anteil“ wäre also ein „zwei-Personen-Anteil“. So viele (z.B. , HfA, NeÜ, SLT, ZÜR), aber richtig Wellhausen und Driver: Was sollte dann die besondere Betonung davon, dass es nur ein Anteil ist?
(5) Tg hat sich die Bed. offenbar erraten, indem `eḥad (ein, ein besonderer) doppelt übersetzt wurde: „einen auserlesenen Anteil“ (vgl. van Staalduine-Sulman 2002, S. 190. Joseph Kara erklärt auch die Üs. von Tg wie 2b). So auch Auld: „one choice portion“; auch BigS: „einen besonderen Anteil“, HER05: „ein ganz besonderes Stück“, NVul: „unam partem electam“.
(6) Am besten wohl Bruno 1935, S. 45: Lies `epim; -pim ist zu verbinden mit pimah („Fett“) in Ijob 15,27, `e- aber besser als prosthetisches Alef zu erklären (wie `eben statt ben, `ebet statt bet usw. Dies auch Sarfatti 1959, S. 5; Simon 1997, S. 273 FN 15): „einen fetten Anteil“
(7) Walters 1988, S. 390 hält `appajim für eine Abkürzung von `appajim `arṣah „mit dem Angesicht zur Erde“ = „sich verneigend“ wie z.B. Gen 19,1
(8) McCarter: Der Text sei zu korrigieren zu kepim, was offenbar Kontraktion von kepihem sein soll. Vgl. Num 35,8 kepi = „nach dem Verhältnis“, wonach dann hier kepim = „entsprechend ihrer Menge“ heißen soll (?): „Hanna gab er ein genau so großes Stück“. Ähnlich im Midrasch: „Oder `appajim bedeutet: Entsprechend (kngd) der Peninna und ihren Kindern.“, wo aber nur mit der Entsprechung der Ausdrücke „Angesicht“ (`ap) und „angesichts“ (kngd: „angesichts, entsprechend“) gespielt wird.
(9) Ganz seltsam Tsumura: „Nase“ soll ein nur hier belegter Fachbegriff aus dem Opferkult sein und für das beste Stück stehen, das man zum Opfermahl erhielt (dies auch CTAT I). Und von diesen „Nasen“ erhielte Hanna dann gleich eine doppelte Portion: „er gab ihr zwei Nasen als einen Anteil“. (Zurück zu v.5)
qTextkritik: [mehr als Peninna (mehr als diese)]: LXXB, A haben das Plus „mehr als Peninna“ = מפננה, LXXL das Plus „mehr als diese“ = ממנה. Beide Wörter sind graphisch recht ähnlich. M.W. hält niemand dies für ursprünglich, aber wenn derart wie hier ein Text-Plus ähnlich, aber unterschiedlich bezeugt wird, ist das ein sehr starkes Zeugnis. So formuliert motiviert der Satz den nächsten Vers auch besser als MT, und zuletzt machte es strukturell sehr viel Sinn, wenn der Satz in der ursprünglichen Erzählung gestanden hätte (s. die Anmerkungen). Versuchsweise wird daher hier dieser Textvariante gefolgt. Wägt man bei dieser mehr als Peninna gegen mehr als diese ab, würde man zunächst vermuten, dass in diesem Kontext eher mmnh zu mpnnh verschrieben oder hierzu expliziert worden sein als umgekehrt. Aber s. auch hierzu die Anmerkungen; strukturell ist viel eher Peninna zu erwarten (angenommen werden muss dafür, dass stilistisch untypisch mpnnh vor dem Verb stand und dann als Homoiteleuton nach ḥannah entfallen konnte: כי את־חנה מפננה אהב). (Zurück zu v.5)
rRivalfrau (Nebenbuhlerin) - zum Wort vgl. sehr gut Driver: Aus der Zeit der Polygamie haben viele semitische Sprachen verwandte Wörter für „Mit-Frauen“, die alle abgeleitet sind von Wörtern wie „bedrängen, bedrücken, verletzen“. Die entsprechende Situation wird ja auch häufiger in der Bibel dargestellt, s. etwa Gen 16,1-6; 29,30. Vgl. auch Lev 18,18. Wichtigster Grund für eine solches gegenseitiges sich-Bedrängen war sicher v.a. ein möglicher Favoritismus vonseiten des Ehemanns, wie dies ja Gen 29 und unsere Stelle deutlich zeigen. Vgl. auch noch Dtn 21,15-17. Die entsprechende Situation wurde von der Anthropologin Granqvist noch Anfang des 20. Jhd.s in palästinischen Dörfern beobachtet: In einer Vielehe war regelmäßig eine der Frauen die „Geliebte“ und damit gleichzeitig die Herrin des Hauses, die anderen Frauen dagegen waren die „Gehassten“, und zwischen beiden Gruppen kam es regelmäßig zu Konflikten (vgl. Granqvist 1935, S. 194-202; zur Stelle Esler 2012, S. 123). Die selbe Situation spiegelt sich im Koran, wo daher Polygamie nur unter der Bedingung erlaubt wird, dass die bis zu vier Frauen gleich behandelt werden: „Und wenn ihr fürchtet, den Waisen gegenüber nicht gerecht zu handeln, so heiratet von den Frauen, was euch gut dünkt – zwei, drei oder vier! [D.h.: Polygamie ist gut, um möglichst viele Waisenmädchen durch Heirat von der Straße zu holen] Und wenn ihr fürchtet, ihnen nicht gerecht zu werden, dann nur eine oder was ihr an Sklavinnen besitzt! So könnt ihr am ehesten Ungerechtigkeit vermeiden.(4,3; Üs.: Bobzin).
Für die Zeit des AT haben wir uns also eine Situation zu denken, in der sich noch nicht die kulturelle Norm etabliert hatte, dass eine der Frauen in einer Vielehe standardmäßig und halboffiziell den Rang der „Geliebten“ innehatte, sondern in der die „Rivalfrauen“ untereinander um die Gunst ihres Ehemanns kämpfen mussten. Eine der mächtigsten Waffen war das Gebären von Kindern (s. deutlichst in Gen 30; so auch noch im 20. Jhd., s. Granqvist 1935, S. 201). Dass Hanna in 1 Sam 2,1 sagt, Gott habe sie mit der Geburt Samuels über ihre Feinde siegen lassen, ist also kontextuell gar nicht so unpassend, wie es zunächst scheint. (Zurück zu v.6)
sTextkritik: (bis zur Bekümmerung/Provokation=) bis aufs Äußerste - Fast jede der alten Vrs. hat hier einen anderen Text:
(1) MT + Syr + LXXL: Und es bekümmerte/provozierte sie ihre Rivalfrau bis zur Bekümmerung/Provokation.
(2) Tg: Und ihre Rivalfrau verärgerte sie und provozierte sie auch.
(3) VUL: Und ihre Rivalfrau bedrückte sie und setzte ihr sehr zu.
(4) LXXB, A: Weil JHWH ihr kein Kind schenkte, entsprechend ihrer Bedrückung und entsprechend ihrem Verzagen ob ihrer Bedrückung, .... Das Plus am Anfang von LXXB, A findet sich als weiteres Plus noch mal variiert am Ende des Verses: „Weil JHWH ihr kein Kind schenkte ... um ihr kein Kind zu geben“; eine der beiden Varianten, die sicher auf eine heb. Vorlage zurückgehen, wird also als Konflation in den Text geraten sein. Bleibt dennoch die Variante nach ihrer Bedrückung und ihrem Verzagen ob ihrer Bedrückung.
Was zunächst auffällt, ist, dass Tg und VUL scheinbar beide statt ka´as („Bekümmerung/Provokation“) nach dem verwandten Verb ka´as („bekümmern/provozieren“) ein zweites, anderes Verb gelesen haben. Die Textzeugen bilden also die drei Gruppen (a) MT + Syr + LXXL, (b) VUL + Tg, (c) LXXB, A. VUL + Tg könnten allerdings beide (wie dies auch viele Exegeten vorschlagen) auch nur das Nomen ka´as als Infinitiv ka´es gelesen und dann diversifizierend übersetzt haben; zu Tg's rgz („zittern“) für heb. k´s („bekümmern/provozieren“) s. 1 Kön 22,53; Jer 25,7 und zur Konstruktion vgl. Gen 31,15; 46,4; Num 16,13. Damit kann Gruppe (b) immerhin mit den Konsonanten von Gruppe (a) zusammenstimmen.
Zu (c) hat man mehrere Rückübersetzungen versucht (denn richtig Walters 1988, S. 394: Sicher ist immerhin, dass der im Gr. sinnlose Versteil Fehlübersetzung eines heb. Originals sein muss). Am besten nach Pisano: „entsprechend ihrer Bedrückung“ und „entsprechend ihrem Verzagen ob ihrer Bedrückung“ ist Konflation: das zweite entspricht dem Heb. k´sth ṣrth („es bekümmerte sie ihre Rivalfrau“; „Rivalfrau“ wird als das homonyme „Bedrückung“ verstanden), das erste einem kürzeren kṣrth („entsprechend ihrer Bedrückung“), das dann offenbar verschrieben worden war und nachträglich zum Wortlaut von MT korrigiert werden sollte. Das im Heb. folgende gm k´s b´bwr („bis zur Bekümmerung, um...“) übersetzt LXX anders und nimmt es aus diesem Satz heraus: „und (weiterhin) verzagte sie deswegen“. Bis hierhin setzt LXX also keinen anderen Konsonantentext voraus.
Wägt man dann (a) ka´as gegen (b) ka´es ab, ist (b) sicher schöner – aber so viel schöner, dass dann unerklärlich wäre, warum daraus später ka´as entstanden sein soll. Ursprünglich ist daher am ehesten (a). (Zurück zu v.6)
tMan beachte die a-Assonanz, die wohl das Schneidende von Peninnas Kränkungen nachbilden soll: weki´asattah ṣaratah gam-ka´as ba´abur hare´imah. (Zurück zu v.6)
udamit sie wehklage wird in den meisten Üss. weggelassen, weil es so schwierig ist. W. „um ihres Donnerns willen“. (1) Zu „donnern“ i.S.v. „wehklagen“ vgl. z.B. McCarter, Hutzli 2007, S. 56; auch FOX: „for the sake of making her complain“. Ähnlich TAF: „daß sie aufbrauste“. (2) Verbreitet ist daneben noch „damit sie zürne / sich ärgere“ (so z.B. Auld, Tsumura; B-R, H-R, MEN, R-S, SLT, TEX, van Ess) und – schwerlich zu rechtfertigen – (3) „um sie zu erniedrigen“ (so BigS, PAT, ZÜR). Der Midrasch Ein Yaakov, BB i 35 deutet offensichtlich wie (2) und vergleicht Peninna mit dem Satan in Ijob 1: Wie dieser den Ijob zum Fluchen verführen will, so wolle hier Peninna die Hanna zum „Donnern“ = „Fluchen“ verführen. (Zurück zu v.6)
vTextkritik: um ihr kein Kind zu geben - s. zu diesem Text-Plus von LXXB, A, L zwei FNn zuvor. Hier hat diesen Text anders als dort auch LXXL, wahrscheinlich stand er in LXX's Vorlage also hier. Mit nur LXX als Textzeugen ist die Evidenz zu schwach, um dies für ursprünglich zu halten. An sich ließe sich ein Ausfall aber gut damit erklären, dass V. 5 fast ebenso endete wie MT von V. 6 (für einen bes. klaren sehr ähnlichen Schreiberfehler s. Jes 2,19.21 in den Handschriften Urb. ebr. 2 und Reuchlianus 3, wo der Schreiber der Vorlage des Punktators ganz ähnlich je drei Wörter ausgelassen hat, weil auch Jes 2,10 mit dem Text vor diesen drei Worten endete). Wäre die längere Variante auch in 4QSama belegt (für diese Verse nicht erhalten), würde man dies mindestens für eine gleichberechtigte Variante halten; so ist der Text von LXX als Ausfaltung von MT zu betrachten. (Zurück zu v.6)
wSo lösen V. 7a klug Schulz 1784, S. 232 und Maurer 1835, S. 153 auf. Die meisten dt. Üss. korrigieren unnötiger Weise den heb. Text.
Genauer: Etwas seltsam formulierter Satz; es ist nicht offensichtlich, wer was tut. Auf den ersten Blick: „Wie er (=Elkana) alljährlich handelte, wenn sie (=Hanna) zum Haus JHWHs hinaufzog, bekümmerte sie (=Peninna) sie (=Hanna). Und sie (=Hanna) weinte...“ In den alten Vrs. und neuen Üss. ist entsprechend oft der Text geändert worden: Syr ändert das erste Verb er handelte zu sie (=Hanna) handelte (so auch BHK, Schlögl, Driver, Klein), Neuere wollen d.Ö. unhebräisch zum Passiv ändern (man handelte i.S.v. „so geschah es“; so Wellhausen, BHK, auch Hutzli 2007, S. 57; ähnlich Tsumura; auch BB, BigS, HfA, LUT 17, ZÜR u.a.: „So ging es Jahr für Jahr“). VUL macht dagegen aus dem fem. Sg. sie zog hinauf den Pl. sie zogen hinauf (auch BHK, Wellhausen, Schlögl, Driver, Ackroyd; auch , GN, HER05, HfA, NVul u.a.), einige LXX-MSS dagegen entsprechend V. 3 das Mask. er zog hinauf (auch Smith, Budde, Sievers). Offenbar soll mit dieser Formulierung noch einmal zusammenfassend „der Sack zugemacht“ werden und alle Hauptpersonen noch einmal kürzestmöglich in Erscheinung treten. Außerdem trägt so der Satz (ebenso wie die auffällige Formulierung „ihre Rivalfrau“ im vorigen Vers) dazu bei, dass das in den Anmerkungen beschriebene Namensmuster überhaupt möglich wird: Sieht man von Elkana's Rede ab, fallen die Namen der Frauen in der Exposition nur in der Kontrastierung Hanna – Peninna, Peninna – Hanna in V. 2 und hier im Bericht nur in der Kontrastierung Peninna – Hanna, Hanna – Peninna in Vv. 4f.
Textkritik: Statt tk´snh („sie bedrängte sie“) haben allerdings LXX + Syr nur „sie verzagte“ = tk´s. Weil ein Ausfall von -nh nicht gut erklärlich ist, mutmaßen Klostermann und Schlögl sinnvoll, ursprünglich sei tk´s ḥnh gewesen: „Hanna verzagte“ (diese Variante übrigens könnte evt. LAB 50,2 bezeugen, wo dann tk´s aber ebenfalls auf Peninna bezogen worden wäre: So verspottete sie sie täglich, und Hanna war sehr bekümmert). Eher aber LXX + Syr; die Textgeschichte wäre: tk´s „sie war bekümmert“ (LXX + Syr) > tk´s ḥnh „Hanna war bekümmert“ (LAB, expl.) > tk´snh „sie bekümmerte sie“ (MT, Tg, VUL). Ich persönlich (S.W.) halte diese Rek. für wahrscheinlicher. Der Text wäre so auch viel runder; der Satz würde so in einer Zfsg. vorwegnehmen, was in Vv. 9f. auch für das in 1 Sam 1 erzählte Jahr berichtet wird („Und wie Elkana jedes Jahr [auf die selbe Weise] handelte, wenn sie zum Haus des Herrn hinaufzog, so war sie [jedes Jahr auf die selbe Weise] verzweifelt, [wenn sie zum Haus des Herrn hinaufzog]). So aber niemand, daher sollte auch OfBi sich einstweilen am seltsamen MT orientieren. (Zurück zu v.7)
xwollte nicht essen (aß nie/nicht) - Richtig Frolov 2004, S. 85: Mit diesem „sie aß nicht“ wird nicht nur gesagt, dass Hanna zu traurig ist, um zu essen – sondern sie nimmt die Opfergabe nicht an und stört so das jährliche Ritual.
tFN: sie weinte und aß nie - Verbformen ungewöhnlich. Das erste Verb ist nach der Vok. im MT Wayyiqtol mit Langform: wattibkeh, „sie weinte (dieses eine Mal)“. Sonst stets Kurzform: wattibek, s. Gen 21,16; Ri 11,38; 14,16f.; Est 8,3. Darauf folgt der Yiqtol to`kal, auf den ersten Blick also „sie aß (wiederholte Male) nicht“. Am besten Frolov 2004, S. 85; Krüger 2016, S. 7: modales Yiqtol, „sie wollte nicht essen“ (s.o. zu den Verbformen). Alternativ: Pardee 2012, S. 298 FN 68, hält wattibkeh wegen der Langform für die Fehlvokalisation des Weyiqtol wetibkeh. Wegen seiner Interpretation des heb. Verbalsystems deutet Pardee dies dann nicht als iterativ, sd. als Finalsatz: „Peninna bedrängte sie, damit sie weine und nicht esse“. So vokalisiert offenbar auch VOICE, die anders als Pardee Weyiqtol aber wie gewöhnlich iterativ deutet: „So, as she often did, Hannah wept and refused to eat.“ Die iterative Deutung eines Weyiqtol könnte auch der Hintergrund für den Midrasch sein, wo mit einem Sprichwort erklärt wird: „Es ist geschrieben wtbkh wl` t`kl, weil die Rabbinen sagen: ‚Wer weint, isst nicht.‘“ Aber es ist gar nicht notwendig, hier umzupunktieren, s. eben oben. (Zurück zu v.7)
yTextkritik: Der längere Text in LXXB, A, L, die eingeklammerten Worte dabei nur in LXXB. Wegen diesen Unterschieden geht das Plus sicher auf eine heb. Vorlage zurück. Budde und Peters halten dies für ursprünglich, aber besser Wellhausen 1871, S. 38: „Da an eine absichtliche Streichung im MT nicht zu denken ist und ein zufälliger Ausfall sich nicht wahrscheinlich machen lässt,so liegt es nach vv. 5.11.14.19-24 am nächsten, eine Erweiterung in [der Vorlage von] LXX anzunehmen.“ (Zurück zu v.8)
zWarum - Im Heb. ungewöhnlich: 3x nicht lamáh, s.d lámeh. Rendsburg 2003, S. 13 und Tsumura halten das für eine dialektale Form. Das ist gut möglich; dann gehörte auch dies „nur“ zur heb. Erzählkunst und wäre ein Stilmittel zur Erzeugung von „Realitätseffekten“ (Barthes) – ähnlich, wie z.B. Thomas Mann gelegentlich Dialekte nachbildet, um seine Figuren noch plastischer zu machen.
tFN: Die Yiqtols übrigens sind typische Bspp. für präsentisches Yiqtol in Fragen.
Textkritik: Beim ersten lameh setzt LXX stattdessen mh lk kj voraus: „Was ist los mit dir, dass du...“, eine vorwurfsvollere Formulierung als das Heb. Richtig McCarter 1980, S. 53: „There is no basis for choosing between these variants“: Entweder hat LXX's Vorlage das dreimalige lameh einmal variiert oder die Vorlage von LXX diese Formulierung an die anderen beiden angeglichen. (Zurück zu v.8)
aaes ist schlecht in deinem Herzen, also entweder (a) „Warum ist dir das Herz so schwer?“ (schön BB, so deuten fast alle) oder (b) „warum bist du so verstimmt?“ (So Tg + Syr; auch McCarter; auch R-S, TEX; vgl. Dtn 15,10; ähnlich Gen 40,6f., wo Gen 40,6 mit „wütend“ übersetzt werden muss). LXX + VUL: „Warum bedrückt dich dein Herz?“, aber das ist nicht hilfreich: Entweder haben die beiden oder ihre heb. Vorlagen wie (a) gedeutet und dies deutlicher formuliert oder wie (b) und dann den Text zu jakeh geändert, um Hanna positiver darzustellen (richtig Hutzli 2007, S. 60). Üs. am besten mit der Mehrheit; der Ausdruck ist zu selten belegt, um ihn sicher deuten zu können. (Zurück zu v.8)
abtFN: Heb. `akelah. Die erwartete Form eines Infinitivs von `kl wäre wie in Dtn 12,23 `akol. Shebanq und WHM analysieren daher wie bereits Raschi, Kimchi und Josef Qara als Inf. cstr. mit paragogischem He. Entsprechend dieser Analyse üs. die meisten dt. Üss. etwas wie „nachdem man gegessen hatte“. Das kann aber kaum richtig sein; schon grundsätzlich ist Inf.cstr. mit par. He sehr selten, und sieht man von dieser Stelle ab, findet es sich ausschließlich bei Infinitiven mit Präfix, und auch bei diesen fast ausschließlich in Pausalstellung. Tg, Syr, VUL und LAB 50,3 haben das -h daher als Suffix 3fsg. aufgefasst („nachdem sie gegessen hatte“; wohl aus diesem Grund verliest auch LXX das -h mit -m: „nachdem sie (pl.) gegessen hatten“; so auch BHK). Auch Stoebe und McCarter halten dies für die ursprünglich mit den Konsonanten angezielte Form, und so analysiert auch BHt, obwohl in L (und allen anderen von mir überprüften MSS) der Mappiq fehlt. So z.B. auch BigS, GN, SLT. So wohl auch b.Ket 65a (und b.KR ii 8), die offenbar ebenfalls das -h als Personalpronomen lesen und daher dann auch šatoh so verstehen: Woraus lässt sich ableiten, dass Frauen keinen Wein zu trinken haben? Weil gesagt wird: „Hanna stand auf nach `akelah in Schilo und nach schatoh.“ „Sie trank“, nicht: „Er trank“. Damit steht V. 9 auf den ersten Blick in Spannung zu V. 8, wo gesagt wird, dass Hanna nicht aß oder nicht essen wollte (s. Kimchi). Auflösen lässt sich diese Spannung nur so, dass V. 8 aufgefasst wird als Aussage darüber, dass das Essen, bei dem die andere „Fraktion“ so viel mehr Anteile erhält als sie, Hanna so unglücklich macht, dass sie deshalb „nicht essen will“ = „sich wünschte, es gäbe dieses Opfermahl nicht, weil es sie so unglücklich macht“ – was dann passend das Folgende vorbereitet. (Zurück zu v.9)
acEssen in Schilo - in Schilo nicht überflüssig; noch einmal wird betont: Gerade eben war dieses „Schilo-Essen“, also das Opfermahl, das Hanna so unglücklich macht (richtig CTAT, Hutzli 2007, S. 60). Umso auffälliger, als dadurch das folgende „und nach dem Trinken“ grammatisch äußerst unschön nachhinkt. (Zurück zu v.9)
adTextkritik: und nach dem Trinken fehlt in LXXB und LAB 50,3 (Nachdem sie gegessen hatte, stand sie auf und kam...); von allen anderen Textzeugen inkl. 4QSama wird es gestützt. Dennoch haben viele es mit LXXB streichen wollen: (1) weil es „trivial sei“, (2) weil es so unschön nachhinke und (3) weil Infinitivus absolutus nicht auf eine Präp. folgen könne. So z.B. BHK, Wellhausen, Budde, Driver; auch Stoebe, McCarter, Hutzli 2007, S. 61, Aejmelaeus 2012, S. 9. Keines dieser Argumente ist sehr gut: (1) offensichtlich nicht, zu (2) s. vorige FN, zu (3) vgl. IBHS §35.3.3 und Tsumura zu 2 Kön 13,17.19. Umgekehrt lässt sich die Streichung des Trinkens sehr gut erklären, s. die FN zu V. 18. (Zurück zu v.9)
aeDie beiden Varianten kommen letztlich auf das Selbe hinaus; „vor das Angesicht JHWHs“ = auch, und so hier: „angesichts des Heiligtums“, ein häufigerer Wechselbegriff. Vgl. etwa Jos 7,23; 18,1.6; 19,51. Zu den Varianten selbst s. nächste FN. (Zurück zu v.9)
afTextkritik - Hier müssen sechs Text-Differenzen in 1 Sam 1-2 gemeinsam besprochen werden. Zur Primärüs. von V. 9 s. gleich; einstweilen nur: LXX hat hier das Plus sie stellte sich vor dem Angesicht JHWHs auf und entsprechend in V. 14 das Plus und geh aus dem Angesicht JHWHs fort. In MT, Tg und VUL fehlen beide Sätze, in Syr der zweite, der dafür aber auch in JosAnt 5.10.345 und LAB 50,6 belegt ist. In V. 11 will Hanna nach LXX den Samuel vor das Angesicht JHWHs bringen, nach allen anderen erhaltenen Textzeugen dagegen zu JHWH; und entsprechend bringt sie ihn dann in V. 28 laut LXX wirklich vor das Angesicht JHWHs, laut den anderen Textzeugen dagegen wieder nur zu JHWH. In V. 12 betet Hanna nach allen Versionen zum Angesicht JHWHs, in vielen Handschriften und in einigen rabbinischen Schriften (z.B. j.Ber iv 1 und im Midrasch) ist aber auch hier stattdessen zu JHWH belegt. Und in 1 Sam 2,11 schließlich dient Samuel laut LXX vor dem Angesicht JHWHs, laut MT dagegen vor dem Angesicht Elis. Aejmelaeus 2012, S. 9 will daraus eine Gender-Frage machen: Angeblich habe ein Schreiber vermeiden wollen, dass gesagt werde, eine Frau stehe „vor dem Angesicht JHWHs“. Das liegt sehr fern, es erklärt nicht, warum das Selbe in 1 Sam 2,11 mit Samuel festzustellen ist und es erklärt nicht, warum in V. 12.15.19 dennoch in den meisten MSS vom „Angesicht JHWHs“ die Rede ist. Das selbe spricht gegen die etwas allgemeinere Annahme von Hutzli 2007, S. 67, ein Schreiber habe die vermenschlichende Rede vom „Angesicht JHWHs“ grundsätzlich vermeiden wollen; „diese Korrektur setzte sich aber in der Überlieferung von M [nur in V. 12] mehrheitlich nicht durch. Auch in 1Sam 1,15.19 ist לפני יהוה stehen geblieben.“
Fast sicher ist erstens, dass in V. 9 nicht die Minus-Variante von MT, VUL und Tg ursprünglich sein kann; diese Infomation ist „unverzichtbar“ (Budde, auch Wellhausen, Driver, Hutzli 2007, S. 61 u.a.). Und zweitens aber ist wohl nicht das Plus von LXX das ursprüngliche: Einige Syr-MSS (u.a. 7a1) haben nämlich mit der selben Formulierung wie in V. 7 das andere Plus sie ging hinauf zum Haus JHWHs, und diese Variante wird außerdem bezeugt von JosAnt 5.10.344 (In ihrem Schmerz ging sie zur Hütte und bat Gott kniefällig...) und LAB 50,3 (... stand sie auf und kam nach Schilo zum Haus JHWHs). Die Übereinstimmung gerade dieser drei voneinander unabhängigen Textzeugen verleiht dieser Variante starke Evidenz. Sie ist bisher offenbar noch niemandem aufgefallen; wohl, weil die Syr-Variante in der Mosul-Peschitta fehlt und LAB bisher noch nicht textkritisch ausgewertet wurde. Legt man diese Variante neben das LXX-Plus, ist wahrscheinlicher: (1) Sie ging hinauf zum Haus JHWHs ist ursprünglich und wohl wg. Homoiteleuton mit hekal JHWH („Tempel JHWHs“) entfallen (was noch wahrscheinlicher wäre, falls dort ursprünglich wie in der Rösel-Bibel ebenfalls „Haus JHWHs“ gestanden haben sollte). (2) Und geh aus dem Angesicht JHWHs fort stand nur in der Vorlage der Textfamilie, zu der 4QSama, LXXB, JosAnt und LAB gehören. (3) Erst der Schreiber der Vorlage von LXXB hat Sie ging hinauf zum Haus JHWHs an das zweite Text-Plus angeglichen. (4) Und wenn das richtig ist, wird ebenfalls dieser Schreiber die anderen Stellen an diese seine Lieblings-Formulierung angeglichen haben; wohl, um damit die Nähe JHWHs und Samuels schon vor dessen Geburt zu unterstreichen.
So und so ist eine Änderung zu „Angesicht JHWHs“ jeweils wahrscheinlicher als eine Ab-Änderung davon, weil bei der Annahme einer Abänderung Vv. 12.15.19 unerklärlich wären. (Zurück zu v.9 / zu v.11 / zu v.12 / zu v.14)
agTextkritik: Kleinere und unbedeutende Differenz zwischen den Textzeugen; ursprünglich ist wahrscheinlich die Primärüs. S. künftig BHQ, die sicher ebenso entscheiden wird. (Zurück zu v.9 / zu v.11 / zu v.12 / zu v.13 / zu v.15 / zu v.16 / zu v.17 / zu v.20 / zu v.24 / zu v.26 / zu v.28)
aham Torpfosten - d.h. vor dem Tempel. Das ist auch notwendig; darf man sich an den kultischen Regelungen des Jerusalemer Tempels orientieren, verrichtet Hanna ihr folgendes Gebet vor dem Tempel, da Frauen Heiligtümer nicht betreten durften. Auch die Frauen in 1 Sam 2,22 werden daher an den „Eingang“ verortet. (Zurück zu v.9)
ai(weinend=) sehr (V. 10); (sehend=) nur - Sog. „tautologische Infinitive“ wie diese beiden, durch die das finite Hauptverb mit dem selben Verb im Infinitiv verdoppelt wird, lassen sich im Normalfall nicht korrekt mit „sehr“ übersetzen; i.d.R. drücken sie aus, dass eine positive Aussage durchaus und eine negative durchaus nicht der Fall ist oder sein soll. Hier in 1 Sam 1 wird die Wort-Wdh. aber vielfach verwendet, um die Dramatik von Hanna's emotionaler Lage zu unterstreichen (daher der Midrasch: „Bei Hanna geschieht alles doppelt“). S. nur in diesen Versen: „Sie weinte weinend und schwur einen Schwur: ... ‚Wenn du doch nur sehend sähest!‘“ In diesem Kontext gehört daher auch diese Konstruktion in dieses Muster. (Zurück zu v.10 / zu v.11)
ajTextkritik: ([dem JHWH]) - So LXXB, 3 MSS. Ähnlich LXXL: dem JHWH Zebaot. Die anderen Textzeugen stützen MT. Richtig wohl wieder Hutzli 2007, S. 62: Der Ausdruck „einen Schwur schwören“ steht häufiger zusammen mit dem Adressaten „dem JHWH“ (z.B. Num 30,4; Ri 11,30); LXXB ist daher wohl Angleichung an diesem Sprachgebrauch, LXXL Angleichung dieser Angleichung an den gleich folgenden Gottesnamen. (Zurück zu v.11)
aksehend sehen auf das Elend - gut Eslinger 1982, S. 124: Zitat von Ex 3,7 („Sehend habe ich gesehen auf das Elend meines Volkes“). Samuel wird ein neuer Mose werden.
auf das Elend sehen - Hier und in der folgenden Zeile wird ein in der Bibel häufiges theologisches Modell verdichtet: Übel, das begegnet, ist nicht Gottes Werk, sondern darauf zurückzuführen, dass Gott jemanden „gerade nicht anblickt“ und erst wieder ansehen muss, jemanden „gerade vergessen hat“ und sich erst wieder an ihn erinnern muss, gerade „schläft“ und sich erst wieder erheben muss, gerade „fern ist“ und sich erst wieder nahen muss und Ähnliches (s. z.B. Dtn 31,17f.20; Ps 10,12; 13,2; 22,25; 27,9; 35,22f.; 42,10; 44,24f.; 59,5f.; 69,18; 88,15; 102,3; 104,29; 143,7; Jes 8,17; 49,14; 54,8; 59,2; 64,6; Jer 33,5; Klg 5,20; Ez 39,23f.29; Mi 3,4 u.ö.). Gott ist in der Bibel also sehr häufig gerade nicht verantwortlich für alles Übel, sondern dieses muss sozusagen „hinter seinem Rücken“ geschehen – und JHWH kann es abwenden, indem er sich eben umdreht. Das ist bei Hanna gerade nicht der Fall (s. Vv. 5f.); dennoch wird er hier von Hanna eben hierzu aufgefordert. (Zurück zu v.11)
alTextkritik: So nur LXXB, H; alle anderen Textzeugen wie in der Alternative: und dächtest an und nicht vergäßest deine Magd. McCarter hält die häufiger belegte Variante für ursprünglich, weil „die rhetorische Symmetrie des Schwurs die Ursprünglichkeit der Phrase naheleg[e](S. 53). Das ist wahr, s. die Anmerkungen. Aber gleichzeitig ist doch gerade dies das stärkste Argument dagegen. Welch seltsame Änderung wäre es, die derart ohne Auswirkung auf den Sinn die Symmetrie der poetischen Zeilen störte? Die kürzere Variante hält daher z.B. auch Auld für die ursprüngliche. (Zurück zu v.11)
amtFN: männliche Nachkommenschaft - doch wohl nicht „Samen eines Mannes/von Männern“ (so McCarter)!? Was immer Hannas Problem ist – mangelnde Besamung ist es doch wohl nicht. Im Gegenteil ist es hier notwendig, die Männlichkeit eines Nachkommen vorauszusetzen, damit Hanna ihn dem JHWH als Nasiräer oder Natinäer weihen kann. Vgl. auch die verschiedenen Erwägungen im Midrasch, z.B. von Rabbi Levi: männliche Nachkommen, ..., das heißt: Männer, deren Gesichter nicht denen von Affen oder von Eunuchen gleichen. (Zurück zu v.11)
anNasiräer - eine Art Gottgeweihter, der sich nicht die Haare schneiden durfte. Der berühmteste Nasiräer ist Samson in Ri 13-16.
Textkritik: ([als Gegebenen], [als Nasiräer]) - Schwierige textkritische Frage. Vgl. dazu ausführlicher und schön verständlich z.B. Heckl 2013, der allerdings zu einer anderen Bewertung kommt. In aller Kürze: MT, Tg, VUL und Syr haben die kürzere Textvariante. Alle LXX-Vertreter dagegen haben die längere. Verkompliziert wird dies (1) dadurch, dass 4QSama in V. 22 das Text-Plus [wnt]tjhw nzjr ´d ´wlm kwl jmj „ich werde ihn geben als Nasiräer auf ewig alle Tage...“ hat. Cross 1953, S. 18; Ulrich (beide auch in DJD XVII), McCarter, Aejmelaeus 2019, S. 10 u.a. nehmen daher an, dies habe in 4QSama ursprünglich auch hier gestanden, auch das „Gegebener“ der LXX sei Wiedergabe von „Nasiräer“ und das Text-Plus von 4QSama in V. 22 sei dann erst von hier aus dort eingedrungen. (2) Weniger schwerwiegend außerdem dadurch, dass z.B. auch Sir 46,13, m.Nazir ix 5 und natürlich der Midrasch die Tradition kennen, Samuel sei Nasiräer gewesen (m.Naz: Samuel war ein Nasiräer, entsprechend einem Ausspruch von Rabbi Nehorai, dass ja gesagt werde: „Und ein Schermesser soll nicht an seinen Kopf kommen. – Es wird von Samson gesagt: ‚Und ein Schermesser...‘, und es wird von Samuel gesagt: ‚Und ein Schermesser...‘. Wie das Schermesser bei Samson für ein Nasiräat steht, so steht das Schermesser bei Samuel für ein Nasiräat.“; dies auch im Midrasch). Man hat auch JosAnt 5.10.344 dafür stark machen wollen: ... sie bat Gott kniefällig, er möge ihr doch Kinder schenken und sie Mutter werden lassen, wobei sie versprach, sie wolle ihren ersten Sohn dem Dienste Gottes weihen; auch solle er eine von der der anderen Familienmitglieder verschiedene Lebensweise führen. (Üs. nach Clementz).
Auf (2) lässt sich schnell antworten: Josephus setzt nicht das Vorkommen eines Wortes „Gegebener“ oder „Nasiräer“ voraus, sondern kann leicht auch Wiedergabe des MT sein. Im Gegenteil ist der Text sogar ein starkes Indiz gegen die Ursprünglichkeit dieses Wortes in 1,11, denn in 1,22 stützt er die Variante von 4QSama (s. dort), hier aber eben nicht die von LXX. In m.Naz ix 5 wird es explizit aus der Erwähnung des Schermessers abgeleitet, dass Samuel Nasiräer gewesen sein solle; dass eine besondere „Samuel war Nasiräer“-Tradition im Umlauf war und erst recht, dass diese hier ihren Niederschlag gefunden hätte, setzt auch dies nicht voraus. In Sir 46,13 ist ebenfalls wirklich von „Nasiräer“ die Rede, aber wie an m.Naz ix 5 zu sehen ist, kann auch dies leicht nur aus dem MT abgeleitet worden sein. Diese drei Quellen haben also fast kein Gewicht, und wenn, dann mit Josephus „negatives Gewicht“.
Zu (1): Es fällt auf, dass das Text-Plus in 4QSama in V. 22 gar nicht dem von LXX in V. 11 entspricht; es steht „auf ewig, alle Tage (seines Lebens?)(4QSama) gegen „bis zum Tag seines Todes“ (LXX). Fincke 2001, S. 8 etwa rekonstruiert daher auch 4QSama in V. 11 anders als die oben Genannten: Es spricht wenig dafür, dass 4QSama schon hier den „Nasiräer“ hatte (s zu V. 22). Den kürzeren Text für ursprünglicher halten hier z.B. auch McCarter, Pisano und Driesbach 2016, S. 197f. Den längeren hat auch keine dt. Üss. im Text, aber z.B. VOICE. (Zurück zu v.11)
aoTextkritik - Die Alternative nur in allen LXX-Zeugen; die anderen Textzeugen stützen MT. Diese Umformulierung lässt sich entsprechend erklären wie die Einfügung von „als Gegebener“: „Bis zum Tag seines Todes“ entspricht Ri 13,7 und soll die intertextuellen Bezüge zu Ri 13 noch stärker und so Samuels Nasiräertum noch deutlicher machen (gut z.B. Pisano; Heckl 2013, S. 327f.). (Zurück zu v.11)
apTextkritik - Direkt bezeugt nur durch LXX. Der Text von 4QSama ist hier nicht erhalten, der erhaltene Text macht aber unzweifelhaft, dass auch in 4QSama ein Text von entsprechender Länge gestanden haben muss (so m.W. alle, die 4QSama rekonstruiert haben). Dieses Text-Plus halten daher viele für ursprünglich. Ein Ausfall wäre aber nicht gut erklärlich, eine Einfügung dagegen lässt sich wieder gut wie die zuvor besprochenen Text-Differenzen erklären: Auch dies soll Samuels Nasiräertum verdeutlichen, da Nasiräer nach Num 6,3 „keinen Wein und Rebensaft“ trinken durften. Keine dt. Üss. hält die längere Variante für ursprünglich, aber z.B. VOICE. (Zurück zu v.11)
aqTextkritik: Als sie verlängerte - Statt wehajah lies mit BHK, Wellhausen, Budde, Driver, auch mit McCarter; Krüger 2016, S. 7 und auch mit GKC §112uu; Bergsträsser §9b-k und JM §119z besser wajehi. S. zu diesem Vers und sechs weiteren Versen mit unerwartetem wajehi statt wehajah ausführlicher zu Am 7,2. (Zurück zu v.12)
arTextkritik: [Gott aber hörte sie]. So LXXL und VL. Sicher richtig Schlögl: Glosse. (Zurück zu v.13)
as(Bis wann willst du dich nur betrunken aufführen!?=) Dass du dich hier wirklich so betrunken gebärdest...! - Keine Sachfrage danach, wann Hanna ausgenüchtert sein werde, sd. heftiger Vorwurf: Erstens hervorgehoben durch die Verbform (=> šakar nur hier im Hithpael – nicht betrunken sein, sd. sich betrunken aufführen oder sich dem Rausch hingeben), zweitens durch „paragogisches Nun“ am Verb zur Steigerung der Emphase (bei 2. Pers. sonst nur noch in Jes 45,10 und Jer 31,22 (!); außerdem 4x im Rut-Buch, wo es aber sicher dialektal bedingt ist); drittens ist „bis wann“ eine Standard-Einleitung für Vorwürfe (vgl. bes. gut Gerstenberger 1991, S. 84; s. z.B. Ex 10,3; 16,28; Num 14,11.27; Jos 18,3; 1 Kön 18,21; Ijob 8,2; 18,2; 19,2f.; Spr 1,22 u.ö.). (Zurück zu v.14)
atTu deinen Wein weg, unter dessen Einfluss du stehst - Stark und richtig BB, GN, HfA: „Schlaf erst mal deinen Rausch aus!“ Näher am Text und ähnlich gut , HER05, ZÜR: „Sieh zu, dass du deinen Rausch los wirst!“
Auslegungsgeschichte: Im rab. Judentum hat man ausgehend von dieser Stelle erstens ausdiskutiert, ab wann man eigentlich als „besoffen“ gelte (coolste Definition in b.Erub 64a und im Midrasch: Wenn man noch in Gegenwart eines Königs sprechen könnte, ist man angeschickert, sobald man es nicht mehr kann, ist man besoffen.), zweitens haben einige Rabbinen aus dieser Stelle abgeleitet, dass man betrunken überhaupt nicht beten dürfe (vgl. ähnlich 1 Pet 4,7). Hieronymus geht das zu weit, daher VUL freier: Man sollte nur ein bisschen Wein trinken!. (Zurück zu v.14)
aueine hartnäckige Frau (eine geplagte Frau?, eine Frau mit einem harten Tag) - Umstrittener Ausdruck. (1) LXX hat statt dem Text von MT, Theod, Tg und Syr eine Frau, die einen harten Tag hatte, den selben Ausdruck wie in Ijob 30,25. Wahrscheinlich ein reiner Lesefehler, vgl. רוח mit יום – aber z.B. Thenius, Wellhausen, Budde und auch McCarter halten dies für den ursprünglichen Text.
(2) Das ist verständlich; man erwartet eine Aussage wie „ich bin nur äußerst unglücklich“ (so VUL: mulier infelix nimis, „eine äußerst unglückliche Frau“). So übersetzen die meisten, z.B. BB: „Ich bin eine verzweifelte Frau“; : „eine unglückliche Frau“; LUT: „eine betrübte Frau“, HfA: „Ich bin nur sehr, sehr traurig“; wörtlicher z.B. B-R: „ein Weib hartbedrückten Geistes“; H-R: „eine Frau, deren Geist beschwert ist“; VOICE: „a woman with a wounded spirit“. Ähnlich schon der Midrasch: Mein Geist ist beschwert angesichts meiner harten Not! Aber diese Bed. kann der Ausdruck harter Geist kaum haben. Friesen 2015 hat daher kürzlich versucht, den Ausdruck im MT auf andere Weise entsprechend zu erklären: In den Samuelbüchern findet sich häufiger die Idee, schlechtes Verhalten rühre her von Abergeistern, die Menschen quälten (s. 1 Sam 16,14-16; 18,10; 19,9f.; auch Ri 9,23; 1 Kön 22,23 = 2 Chr 18,22). Von einem solchen Geist soll dann auch hier die Rede sein, daher = „ich bin eine besessene = gequälte Frau“. Aber vergleicht man Friesens sechs Stellen, sieht man gleich, dass die Abergeister dort jeweils irrationale und v.a. böse Handlungen bewirken; das ist doch etwas sehr anderes als das, was man hier von Hanna erwartet. (2) ist also wohl nicht möglich.
(3) Am besten ist es daher, den „Geist“ als „Psyche“ aufzufassen und den „harten Geist“ dann nach Analogie von Ez 3,7 („hartes = verstocktes/hartnäckiges Herz“) und Dtn 2,30 („Gott verhärtete seinen Geist“ = „blieb hart“) als „starrsinning, hartnäckig, entschieden“ zu interpretieren (vgl. bes. Ahlström 1979; Muraoka 1996; auch Klein, Eslinger 1982, S. 126). Solche „Hartnäckigkeit“ muss nichts Schlechtes sein; vgl. z.B. Lk 18,1 („Jesus erzählte ihnen ein Gleichnis darüber, dass man ohne Unterlass beten und nicht ermatten solle“); Röm 12,12 („im Beten bleibt standhaft!“); 1 Thess 5,17 („Betet ohne Unterlass!“); Midrasch Samuel zu 1,12 („Hieraus geht hervor: Wer viel betet, wird erhört werden!“) – im Gebet ist Hartnäckigkeit (natürlich) kein Makel, sondern eine Tugend. Ähnlich BigS: „Ich bin eine willensstarke Frau“. (Zurück zu v.15)
avTochter Belials - d.i. Peninna, die Missetäterin. D.h. „weise mich nicht ab und sorge so dafür, dass diese mich noch weiterhin bedrängen kann!“ So Raschi, der Midrasch und Abravanel. Klostermann hält diese Deutung für „ganz ungehörig“ (S. 2), aber dies ist die einzige Auflösung, die grammatisch und semantisch gut funktioniert. Sie ist auch leicht erklärlich als Code-Switching; ähnlich, wie man sich heute z.B. im Gespräch mit einem Priester nicht über irgendeinen „Mistkerl“, sondern über einen „Sünder“ beschweren könnte. Im Gespräch mit dem Priester Eli verwendet Hanna also bewusst religiöses Vokabular.
W. Gib mich nicht vor das Angesicht einer Belials-Tochter, bewusst formuliert als Gegensatz zu Ich habe meine Seele ausgeschüttet vor dem Angesicht JHWHs in V. 15: Verwirf mich nicht von vor Gott und liefere mich so stattdessen wieder Peninna aus!
Andere Deutungen: (1) Belial = im Frühjudentum Eigenname eines Dämonen; später v.a. im Christentum (wie von VUL in 1 Kön 21,13: diabolus) gleichgesetzt mit dem Teufel und schon in Qumran identifiziert als der Gegenspieler Gottes; vgl. ähnlich 2 Kor 6,14f.. Daher Tsumura: „Gib mich nicht der Tochter Belials = der Tochter des Fürsten der Unterwelt preis!“ – aber im AT ist „Belial“ noch kein Eigenname und kann daher in 1 Sam 25,25 und 2 Sam 16,7 mit Artikel verwendet werden; das ist also sicher falsch.
(2) Belial ist etymologisch wahrscheinlich ein Kompositum aus beli („ohne“) und *ya´al („Wert“), also „wertlos“ (vgl. zur Etymolgie DDD 169). Als „Söhne/Töchter Belials“ werden im AT aber v.a. gott- und gesetzlose Menschen bezeichnet, s. 1 Sam 2,12ff.; 10,27; 25,17; 2 Sam 16,7f.; 20,1; auch Dtn 13,14; Ri 19,22; 1 Kön 21,10.13; Spr 19,28; ähnlich Dtn 15,9. In b.San 111b wird Belial daher spielerisch abgeleitet aus beli („ohne“) + ´ol („Joch“); „Kinder Belials“ sind dann jene, die „nicht das Joch des Himmels auf sich nehmen“ = „sich nicht Gott unterwerfen“. Die meisten Üss. orientieren sich hiernach entweder (2a) an der Etymologie und übersetzen etwas wie „denke nicht, ich sei wertlos/nutzlos!“ (z.B. ALTER, , VOICE) oder (2b) an der üblichen Verwendung und übersetzen etwas wie „denke nicht, ich sei ruchlos!“ (z.B. BB, BigS, LUT, PAT, ZÜR).
Beides basiert auf der Annahme, dass (a) ursprünglich hier nicht lipne („vor dem Angesicht von“) gestanden habe, sondern le- (natan le = „jmdn zu etw. machen“, was dann „vergleichen mit“ heißen soll). Dafür wird LXXB, A als Zeuge zitiert (mä dos eis), aber didomi eis ist schlicht idiomatisch für „jmdn jmdm preisgeben“ (vgl. Muraoka 165; s. z.B. Jes 42,24). LXX darf daher dafür nicht als Textzeuge genommen werden. Für den Fall, dass das doch möglich sein sollte, will ich aber unter (4) noch eine Erwägung anstellen; s. gleich. Oder aber es wird angenommen, dass (b) lipne hier ausnahmweise die Bedeutung „wie“ habe (wie sonst nur in Ijob 3,24; 4,19) oder dass statt lipne ursprünglich ke- im Text gestanden habe, was beides Theod voraussetzen könnte (hos mian ton apaideuton, „wie eine der Ungebildeten“). natan ke- heißt allerdings nicht „vergleichen mit“, sd. „behandeln als“. lipne i.S.v. „wie“ ist aber selten und der Ausdruck natan lipne gar nicht belegt, bei natan ke- wäre nicht erklärlich, wie daraus natan lipne hätte werden sollen.
(3) McCarter hat erwogen, den Text zu korrigieren zu von lipne zu lipneka le-: „(mache nicht die Magd) vor dir zu (einer Belialstochter).“ Das ließe sich mit Syr sogar stützen: qdmk, „vor dir“. Es machte auch gut Sinn: Damit, dass Eli eingeschritten ist, steht Hanna nunmehr nicht mehr nur als Bittstellerin „vor dem Angesicht JHWHs“, sondern auch vor Elis „Angesicht“: Er ist nun in der Pflicht (und kommt ihr in V. 17 denn auch nach). Das dürfte die zweitbeste Option sein, aber das Zeugnis nur von Syr ist textkritisch sehr schwach.
(4) Eine Erwägung noch: Nehmen wir wie üblich an, natan lipne könne „jmdn für etw. halten“ heißen – was soll dann die Rede von der „Belialstochter“? Vielleicht lässt sich das erklären: Es ist offensichtlich, dass in der Formulierung von Vv. 15.16 bewusst vor dem Angesicht JHWHs mit vor dem Angesicht einer Tochter Belials kontrastiert wird. Auch in 1 Sam 2,12 ist dieser Kontrast offensichtlich: „Die Söhne Elis waren Söhne Belials: Sie kannten JHWH nicht“. Ähnlich wollen in Dtn 13,14 die „Söhne Belials“ die Israeliten gerade zum Götzendienst verführen, und die spätere Entwicklung der Belials-Vorstellung wird ja auch nicht von ungefähr kommen. Das nehme man damit zusammen, dass „nichts-Nützige“ im AT auch ein Wechselbegriff für Götzen ist; s. 1 Sam 12,21; auch Jes 44,9; Jer 2,8.11 (gut wieder DDD, S. 170). Man darf Belial daher hier vielleicht doch nicht so unabhängig von Götzen sehen, wie es heute i.d.R. getan wird. Möglich dann etwa: Jes 28,7 (gesagt von den „Trunkenen Efraims“); Jes 65,11 und auch Am 6,4-7 zeigen, dass es im Alten Israel in bestimmten Kontexten durchaus üblich war, kultische Bräuche betrunken auszuüben, und dass dies aber verurteilenswert war (entsprechend z.B. Lev 10,8-11; Ez 44,21). In Jes 65,11 geschieht das im Kontext der Verehrung von Gad und Mani, in Am 6,4-7 bei einem Marzeach, was gleichfalls keine „JHWH-Institution“ war, und von den in Jes 28,7 Verurteilten heißt es in V. 15.18, sie hätten „einen Bund mit Mot geschlossen und einen Vertrag mit Scheol gemacht“, sie hätten „Zuflucht zur Lüge genommen und sich bei Falschheit geborgen“ (zwei häufigere Wechselbegriffe für Götzen) – die „Trunkenen Efraims“ sind also offenbar eine Art antike Satanisten. Wie's scheint, ist die Trunkenheit im Kult am ehesten charakteristisch für Gottlose, weil Andersgläubige. Vgl. ähnlich b.Ber 31b: Rabbi Elazar sagte: [Aus 1 Sam 1,16] lernen wir: Wenn eine betrunkene Person betet, gilt das, als gebe sie sich der Götzenverehrung hin, denn es heißt ja: „wie eine bat belia´al“. Könnte natan lipne „jmdn für etw. halten“ bedeuten, könnte „halte mich nicht für eine Belialstochter“ bedeuten: „Glaub nicht, ich sei hier betrunken vor das Angesicht eines Gottes getreten, wie das die Gottlosen tun [so auch David Kimchi]! Ich bin gottesfürchtig (lipne JHWH), nicht gottlos (lipne bat belia´al)!“ Aber wie gesagt, das Hauptproblem des Verses ist, dass natan lipne nur schwer als „jmdn für etw. halten“ interpretiert werden kann. (Zurück zu v.16)
awtFN: In orientalischen MSS וְכַעְסִי, Ajin mit Schwa quiescens. Baer/Delitzsch 92 verweisen gut auf die Parallelen Ijob 6,20 (!); 1 Kön 15,30; Hos 2,18, da sich diese Schreibung in allen Codices finde. Aber das ist gar nicht wahr; in palästino-tiberischen MSS etwa ist וְכַעֲסִי recht verbreitet (s. z.B. G3, NA12, TA17 und die palästino-tiberisierende MSS NA5 und NA36; zu den Siglen s. Wichtige Handschriften) und auch in anderen aschkenasischen MSS findet sich diese Schreibung häufig. וְכַעְסִי könnte nur Marotte sein, die am Anfang einer Schreibtradition entstand. (Zurück zu v.16)
axTextkritik: gesprochen habe nach MT, VUL, Syr, dem Midrasch und einer ungenannten gr. Üs., gedehnt nach LXX und Tg. Van Staalduine-Sulman 2002 denkt, dies sei aus V. 12 ergänzt, aber LXX und Tg verwenden an beiden Stellen jeweils us. Wörter. Vorlage dürfte eher ha`arakti wie 1 Kön 3,14 gewesen sein. Zwischen beiden Varianten lässt sich nur schwer entscheiden, aber dehnen scheint ein Objekt wie debaraj („meine Worte“, was Wellhausen ergänzen will) zu erfordern und macht es so zur schwierigeren Variante. Eher dürfte die zu dabarti („ich habe gesprochen“) vereinfacht worden sein als umgekehrt. (Zurück zu v.16)
ayNicht möge gewähren, sd. wird gewähren. Eine der Aufgaben von Priestern im israelitischen Kult war es, Bittstellern vor Gott Heilsorakel auszusprechen. Die beiden üblichen Einleitungen für ein solches Heilsorakels waren (1) „Fürchte dich nicht“ (Dtn 20,2-4; 1 Sam 12,20-22; auch Gen 21,17; 2 Kön 19,6f.; 2 Chr 20,14-17; Spr 3,25f.) oder eben „Friede dir“ oder „Geh in Frieden“ (vgl. Ri 6,23; abgewandelt in 1 Sam 25,35; auch 2 Kön 5,18f.; vgl. Ps 85,9f.), danach kam eine konkretere Heilszusage wie „Deine Bitte wird erfüllt werden!“ oder „Gott wird mit dir sein“ o.Ä. Vgl. am nähsten Ri 18,5f. und zur Gattung des Heilsorakels bes. gut z.B. Miller 1994, S. 141-177. (Zurück zu v.17)
azgeben=gewähren - das selbe Wort wie in V. 16: Eli „gibt“ Hanna nun nicht mehr „vor das Angesicht einer Belials-Tochter“, sondern verkündet, dass JHWH „geben“ wird. (Zurück zu v.17)
baBitte, die du erbeten hast - „Bitte“ und „erbitten“ = heb. beides ša`al. Ab 1,20 wird mit diesem Wort ein Wortspiel gespielt und darüber Samuels Name eingeführt werden. Hier zusätzlich unterstrichen durch Klangspiel mit Schin und Alef: še`elatek `ašer ša`alt. (Zurück zu v.17)
bbGnade - Wortspiel: ḥen, das selbe Wort, von dem auch der Name Ḥannah abgeleitet ist. (Zurück zu v.18)
bcMöge deine Dienerin Gnade finden in deinen Augen - nicht „sei so gut und denke an deine Magd“ (BB; ähnlich HfA: „Behalte mich in guter Erinnerung!“), sd. in solchen Kontexten so viel wie ein besonders unterwürfiges „Danke“. S. zu Rut 2,13. Dort deuten so richtig HfA, MEN, R-S. (Zurück zu v.18)
bdsie ging ihres Wegs - Ausdruck, der in Bibel oft dann verwendet wird, wenn jemand an einem Ort war, dort etwas geschehen ist, und die Person dann wieder nach Hause oder zu ihrer üblichen Reiseroute aufbricht (s. noch Gen 19,2; 32,2; Num 24,25; Jos 2,16; Ri 18,26; 19,27; 1 Sam 26,25; 30,2; 1 Kön 1,49; Jer 28,11; ähnlich Gen 13,3). Der heb. Text wirkt also geradezu so, als wäre Hanna alleine nach Hause aufgebrochen. Das passt ins Muster der folgenden Vv.; s. die Anmerkungen. Es passt auch ins Muster, dass dies in der Vorlage von LXX verändert wurde: Die außerordentliche Selbständigkeit, die in den folgenden Versen aus dem Handeln Hannas spricht, ist dort noch häufiger abgeschwächt worden. Üs. am besten: „ging nach Hause“.
in ihre Kammer in der LXX-Vorlage nämlich ist Heb. liškatah, was erstens ein Speisesaal war (s. 1 Sam 9,22f.; auch im Tempel: Jer 35,2.4), wo also gegessen wurde, und zweitens Bezeichnung der „Zellen“, in denen Leviten schliefen (1 Chr 9,33; Esra 10,6), wie ja Elkana in 1 Chr 6,12.19 und bei Josephus einer ist. Hanna wäre dann also nur zur Herberge ihres Mannes oder den Speisesaal dort zurückgekehrt.
Textkritik: ihres Wegs nach MT, VUL, Tg, Syr; in ihre Kammer nach LXX, vielleicht auch LAB 50,8 („in ihr Haus“), was aber auch aus V. 19 vorgezogen worden sein könnte. Ganz seltsam nehmen Budde, Bruno und McCarter an, ursprünglich sei beides gewesen und in beiden Textgruppen sei jeweils ein Glied durch Homoiteleuton entfallen. Ursprünglich war sicher MT, s.o. (Zurück zu v.18)
be - nunmehr gerne; so richtig Budde, McCarter. (Zurück zu v.18)
bf Textkritik: (1) Das Ende von V. 18 ist sehr unterschiedlich überliefert. und aß fehlt in Syr, Arab; in einigen MSS (zu K95.112.176.191.242; R16.20 erg. TA11) ebenfalls oder wurde dort nachgetragen.
(2) In LXX ist es dafür sogar verbunden mit einem Text-Plus, das auch durch JosAnt 5.10.346 gestützt wird: mit ihrem Mann und trank (JosAnt: Darauf kehrte sie voller Hoffnung zu ihrem Gatten zurück und nahm fröhlich am Mahl teil.; Üs. nach Clementz). Es ist sicher kein Zufall, dass dieses Text-Plus in dieser Textfamilie dem Text-Minus der selben Textfamilie in V. 9 entspricht (wo in LXX und LAB das nachgeschobene „und nach dem Trinken“) fehlt.
(3) Der letzte Satz schließlich ist in MT nicht leicht verständlich; man muss mit den meisten annehmen, „Gesicht“ bedeute so etwas wie „trauriger Gesichtsausdruck“ wie in Ijob 9,27. Die anderen Vrs. setzen aber alle einen anderen Text voraus. LXX: Und ihr Gesicht fiel nicht mehr; Sym: Ihr Gesicht wandte sich nicht mehr ab/war nicht mehr abgewandelt; VUL: Ihr Gesicht war nicht mehr verändert; Syr: Ihr Gesicht bewegte sich nicht mehr für sie / war für sie nicht mehr verängstigt (s. Syr in Dtn 1,29). Tg (ihr Gesicht war nicht mehr boshaft für sie) könnte nahelegen, dass man nicht ein haju-lah graphisch ähnliches Wort zu suchen hat, wie bisher alle taten, sondern dass ein ganzes Wort entfallen ist, aber kein Wort könnte gut als kleinster gemeinsamer Nenner für alle diese Üss. dienen (am ehesten ´aqaš, „verdrehen, pervertieren“; s. Tg in Spr 28,18. Gemeint wäre dann: „Ihr Gesicht war nicht mehr verzerrt“. Aber spätestens LXX ließe sich auch damit gar nicht mehr erklären). LXX dagegen legt klar eher etwas wie naplu nahe ([ihr Gesicht] fiel“, s. Gen 4,5f.). Auld etwa hält dies für ursprünglich, aber viel besser Klostermann nach Jer 3,12: upaneha lo`-hippilah ´od (vgl. הפילה mit היו לה). Daraus könnten zur Not auch die anderen Varianten entstanden sein – außer Tg, der sicher haju wie MT voraussetzt. Tg könnte dann aber Nachinterpretation des bereits verderbten Proto-MT sein. Weil das immer noch die eleganteste Erklärung ist, wurde dies als primäre Variante gewählt.
1 Sam 1 18 in K112.png
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1 Sam 1,18 in G69.31.38: 2x Nachgetragenes watto`kal, 3x doppeltes Tifcha
(4) Dazu kommt dann auch noch, dass in diesem letzten Satz die Akzentuierung ganz durcheinander ist. Was bei Ginsburg gar nicht klar wird: G21.31.35.38.42.67.69 haben nicht nur Tifcha an der falschen Stelle, sondern haben sogar doppeltes Tifcha; s. rechts. Die anderen MSS akzentuieren ebenfalls unterschiedlich: upanehaK lo-haju-lah |Tifcha ´od |Silluq in den meisten (was ebenfalls falsch ist: Die Wortstellung Subjekt - Verb erfordert trennenden Akzent auf dem Subjekt), in vielen aber stattdessen upaneha |Tebir lo-hajuK lah |Tifcha ´od |Silluq, und G19.29.34; TA12; NA17.26 haben statt Tebir Zaqef gadol. Solche Akzentuierungsdifferenzen können ebenfalls ein Zeichen dafür sein, dass entweder zur Zeit, als die Rezitation des Bibeltextes normiert wurde, der Wortlaut noch im Fluss war (s. Textkritik des AT; das erste Bsp. dort ist mit dem vor Tifcha sehr ungewöhnlichen Doppel-Maqqef unserem sehr ähnlich), oder dass immerhin Vorlagen der Akzentuatoren kürzere oder längere Textfassungen hatten, weshalb die Akzentuatoren improvisieren mussten.
In unserem Vers haben Wellhausen, Smith und Hutzli 2007, S. 72 angenommen, dass der ganze Satz ab watto`kal („und sie aß“) bis wattešt („und sie trank“) sekundäre Ergänzung ist, weil „eine Auslassung in den betreffenden Textzeugen schwierig zu erklären [wäre](Hutzli). Aber das ignoriert ja völlig den Zhg. dieser Textdifferenz mit der in V. 9. Besser nimmt man an, dass erstens ein Schreiber das und nach dem Trinken in V. 9 strich und stattdessen hier mit ihrem Mann und trank einfügte, um erstens den Text besser mit V. 15 zusammenstimmen zu lassen, wo Hanna sagt, sie habe nichts getrunken, und um zweitens wie schon durch die Umformulierung von „sie ging ihres Wegs“ zu „sie ging in ihre Kammer“ direkt zuvor und wie noch häufiger die Selbständigkeit Hannas abzuschwächen und sie wieder stärker ihrem Mann zuzuordnen. Der Schreiber der Vorlage von Syr und den Minus-MSS in V. 18 hätte dieses Plus ebenfalls vorliegen gehabt, aber gestrichen, und irrtümlich dabei auch watto`kal („und sie aß“) eliminiert (zu 1+2). Die Verschreibung von lo`-hippilah zu lo haju lah wäre unabhängig davon vonstatten gegangen und mehrere Schreiber hätten unterschiedlich improvisiert, um mit den nun fünf Worten nach dem Zaqef zurechtzukommen (zu 3+4). Ursprünglich gewesen wäre dann watto`kal[LXX: K ´im-`iššahPaschta wattešt ]|Zaqef upaneha |Tebir lo`-hippilah |Tifcha ´od |Silluq. (Zurück zu v.18)
bgTextkritik: Eine ähnliche Textdifferenz wie mehrfach oben; hier aber umgekehrt: Alle erhaltenen Textzeugen vor dem Angesicht JHWHs, nur LXX vor JHWH. Eher ist Letzteres ursprünglich, was umso deutlicher zeigt, dass MT kaum aus theologischer Motivation die anderen vor dem Angesicht JHWHs-Belege verändert haben wird. (Zurück zu v.19)
bhTextkritik: Alle Textzeugen wie MT, nur LXXB, L: Sie gingen ihres Wegs und Elkana kam in sein Haus und erkannte seine Frau; LXXA und die LXXL-Handschrift c2 außerdem sie gingen ihres Wegs (×) und kamen (×) und Elkana kam in sein Haus und Elkana erkannte seine Frau, offensichtlich eine Konflation, bei der und Elkana kam in sein Haus sekundär ist: Sie gingen ihres Wegs [und kamen | und Elkana kam in sein Haus] und Elkana erkannte seine Frau.
Wir haben also die drei Varianten (1) Sie kehrten zurück und kamen in ihr Haus und Elkana erkannte seine Frau (MT + Rest), (2) Sie gingen ihres Wegs und kamen in sein Haus und Elkana erkannte seine Frau (LXXA), (3) Sie gingen ihres Wegs und Elkana kam in sein Haus und erkannte seine Frau. (LXXB, L).
Zu sie kehrten zurück vs. sie gingen ihres Wegs s. zu sie ging ihres Wegs in V. 18; ursprünglich ist in V. 19 sicher sie kehrten zurück.
Zur unterschiedlichen Position von Elkana: Auffällig ist, dass sowohl der Numerus-Wechsel in LXXA von sie gingen zu sein Haus und der in LXXB, L von sie gingen zu er kam hart ist: „Gehen und kommen“ nämlich ist eine häufige Doppelverbformel im Heb. (s. zu Rut 2,3), bei der aber nie wie hier in LXX das abschließende „Kommen“ nur von einem Teil der Reisegruppe ausgesagt wird. Die Differenz von (2) vs. (3) lässt sich daher am besten als stilistische Korrektur von (2) zu (3) erklären, bei der schon in der hebräischen Vorlage von LXXB, L dem Numerus-Wechsel von sie gingen zu sein Haus die Härte genommen werden sollte, indem Elkana vorgezogen wurde, wonach man „gehen und kommen“ nicht mehr als Doppelverb-Formel, sondern als zwei selbständige Sätze verstehen konnte.
Schließlich zu ihr Haus vs. sein Haus: ihr Haus wäre natürlicher, sein Haus würde noch stärker hervorheben, wie unabhängig voneinander Elkana und Hanna nun handeln (s.o. und die Anmerkungen). Eine Änderung von ihr Haus zu sein Haus wäre in der LXX-Vorlage kaum erklärlich; eher muss man annehmen, dass dieser ungewöhnliche Sprachgebrauch, der stilistisch zu erklären ist, im MT natürlicher formuliert wurde. Am ehesten ursprünglich ist daher die Formulierung oben im Fließtext. (Zurück zu v.19)
biAuslegungsgeschichte: sie kamen wieder in ihr Haus. Elkana schlief mit Hanna - Woraus im Talmud übrigens abgeleitet wird, dass es verboten sei, auf Reisen Geschlechtsverkehr zu haben (b.Ket 65a). (Zurück zu v.19)
bjUmlauf der Tage - also entweder (1) nach einem Jahr (z.B. BB: „im Verlauf eines Jahres“) oder (2) zum Jahresschluss (daher z.B. BigS, , ZÜR: „zur Jahreswende“). Der folgende Vers macht (1) sehr wahrscheinlich, da direkt auf diese Zeitangabe folgend gesagt wird, dass Elkana zu seinem alljährlichen Opfer aufbrechen wolle. So auch der Midrasch: Während man in rab. Schriften sonst tequfah („Umlauf“) als „Jahreszeit“ nimmt und dann annimmt, dass Samuel nach mindestens sechs Monaten (mehrere tequfot) und mindestens zwei Tagen (mehrere Tage) geboren worden sein muss (so z.B. b.Nid 38b), nimmt der Midrasch tequfah in der Bed. „Sonnenwende“, daher: „nach [mehr als einer=] zwei Sonnenwenden“ = „nach einem Jahr“. Sicher ebenfalls verbreitet war im Alten Judentum aber auch Deutung (2), weshalb man 1 Sam 1 im aschkenasischen und sefardischen Judentum zu Rosch haSchanah, dem jüdischen Neujahrsfest, in der Synagoge liest. Ablesen lässt sich diese Interpretation auch an den wenigen heb. Handschriften, die „Nach Umlauf der Tage“ austauschen durch „nach Umlauf des Jahrs“.
Textkritik: LXX verschiebt die Zeitangabe nach „Und es geschah, dass Hanna schwanger wurde“, wonach der „Umlauf der Tage“ Hannas Schwangerschaft bis zur Niederkunft meinen könnte. So z.B. auch Thenius, Budde, Schlögl, Driver; auch HER05, MEN, SLT u.a.: „Und es geschah, dass Hanna schwanger wurde; und als die Tage um waren, gebar sie einen Sohn“ o.Ä. Ursprünglich ist das sicher nicht; dann ließe sich umgekehrt nicht erklären, warum die anderen Textzeugen die Wortstellung derart verhunzt hätten. (Zurück zu v.20)
bkSamuel, denn: So erbeten hab ich ihn von meinem Gott El! - W. Samuel, denn von JHWH habe ich ihn erbeten. Eine der häufigen pseudo-etymologischen Namenserklärungen in der Bibel: Der Leser soll den Namen „Samuel“ zurückführen auf die Bestandteile še- („welcher [ist]), -me- („von“) und -el („Gott“; so am besten Wellhausen, McCarter). Mit dem „erbeten“ wird außerdem bereits angespielt auf Saul in 1 Sam 9: „erbitten“ ist heb. ša`al, also das Wort, mit dem (diesmal wirklich) der Name „Saul“ gebildet wird (gut Bodner; Eslinger 1982, S. 150; Polzin 1989, S. 26).
Rein sprachwissenschaftlich gesehen hat der Name „Samuel“ weder etwas zu tun mit še-me- noch mit ša`al (daher falsch HfA: „‚Ich habe Gott um einen Sohn gebeten‘, sagte sie und nannte ihn daher Samuel (‚von Gott erbeten‘).“), sondern bed. entweder „Name Gottes“ oder „JHWH ist Gott“ (w. „Šem [‚Name‘] ist Gott“, mit šem als noch im heutigen Judentum üblichem Wechselbegriff für JHWH [=> haŠem, „der Name“]; vgl. DDD 764). Ersteres ist wahrscheinlicher; vgl. die aram. Namen Šem`ab („Name des Vaters“) und Šem`adad („Name Hadads“, nur unwahrscheinlich „Šem ist Hadad“) in Arad(6).110:1. Zu vergleichen wären im Heb. dann die Namen Betuel („Haus Gottes“) und Penuel („Gesicht Gottes“).
„Nachkomme Gottes“, wie schon Jastrow 1900 und bes. Rapaport 1982 deuten wollten, indem sie šem primär „Nachkomme“ bedeuten lassen, und worin ihnen nun auch FHR 596 und DAHPN (s. auch MSSAP §116) folgen, kann wohl nicht angehen, denn richtig Driver: šem kann in der Tat für Nachkommen-schaft verwendet werden, aber nur insofern, als diese den Namen eines Menschen weiterleben lassen (vgl. Gen 48,16; Jos 7,9 u.ö.), nicht insofern, als šem tatsächlich auch den einzelnen Sohn bezeichnen könnte.
Ganz irreführend ist die FN in GN: „Der Name Samuel klingt im Hebräischen ähnlich wie ‚Gott hat gehört‘.“ Das ist zwar richtig und Keil hat daher in der Tat „Samuel“ als šemua´`el („Gott hat gehört“) erklärt; diese Herleitung hat aber haltlos und wurde schon häufig widerlegt. (Zurück zu v.20)
blTextkritik: dem JHWH nach allen Vrs., nur LXX in Schilo. Dass LXX aber den Gottesnamen für eine alternative Formulierung gestrichen haben soll, ist kaum vorstellbar (richtig Hutzli 2007, S. 74); viel eher ursprünglich ist daher in Schilo. (Zurück zu v.21)
bmTextkritik - und alle Zehnt seines Landes nur nach LXX und JosAnt 5.10.346. Sicher richtig Klostermann, Wellhausen, Hutzli 2007, S. 75 u.a.: Ergänzung aus Dtn 12,11, 14,22ff. u.ö., um schon Elkana in der Richterzeit diese jüngeren Gesetze erfüllen zu lassen. (Zurück zu v.21)
bnGelübde opfern - im Heb. so unnatürlich wie im Dt.; „Gelübde“ opfert man nicht. LXXL und VL daher auch: „um das alljährliche Opfer zu opfern und sein(e) Gelübde zu erfüllen“ (ähnlich Tg, s. gleich), was aber sicher keine echte Variante ist, sondern nur natürlichere Formulierung.
(1) Deshalb und weil von einem Gelübde Elkanas sonst nicht die Rede ist, sinngemäß wohl richtig Syr: „das alljährliche Opfer seines Gelübdes“; angenommen werden müsste also, was hier nicht gesagt wird, dass Elkana deshalb alljährlich zu einer Pilgerfahrt mit abschließendem Opfer aufbricht, weil er dies gelobt hat, so dass er bei diesem Opfer sozusagen „sein Gelübde opfert“ = mit seinem Opfer einlöst. So schon David Kimchi, der so auch den Tg versteht, welcher übersetzt: „um zu opfern das Festopfer, um [damit] sein Gelübde zu erfüllen“.
(2) Alternativ nehmen Schulz 1784, S. 233 und Frolov 2004, S. 91f. an, dass hier stillschweigend vorausgesetzt würde, dass nicht nur Hanna ein Gelübde abgelegt hat, um ihre Kinderlosigkeit zu beenden, sondern auch Elkana, und von diesem vorher nicht erwähnten Gelübde sei hier die Rede.
(3) Oder wie Hertzberg, Campbell und Fokkelman 1993, S. 62 annehmen: Elkana hat sich Hannas Schwur zu eigen gemacht und will nun pragmatisch die Übergabe Samuels mit seinem alljährlichen Opfer verbinden. Woran sich dann sehr glatt der folgende Vers anschlösse. Aber hätte ein Leser im Alten Israel „Elkanas Gelübde“ verstanden als „Hannas Gelübde, das Elkana sich zu eigen gemacht hat“? Eher also wie (1) oder (2). (Zurück zu v.21)
boTextkritik: Fast die selbe Textdifferenz wie in V. 18 („mit ihrem Mann“). Hutzli denkt, hiermit solle die „Zusammengehörigkeit“ von Elkana und Hanna stärker zum Ausdruck gebracht werden; vergleicht man die us. Textdifferenzen ab V. 18, wird man eher sagen müssen, dass Hanna durch die LXX-Varianten stärker ihrem Mann zugeordnet werden soll. So und so ist die Variante auch hier sicher sekundär. (Zurück zu v.22)
bpTextkritik: In Vv. 22.24 finden sich zwei komplexere Textdifferenzen, die bisher selbst von Hutzli 2007 noch nicht ausführlich genug bedacht wurden. In V. 22 haben LXXL und VUL am Anfang das Plus ich ziehe nicht hinauf. MT, Tg und Syr haben den kürzeren Text. Dafür haben LXXA, B statt wenn der Knabe abgestillt sein wird die längere Variante Wenn der Knabe hinaufzieht, nachdem ich ihn abgestillt habe mit dem selben Ausdruck wie MT in V. 24 (nachdem sie ihn abgestillt hatte). Dort wiederum fehlt der Ausdruck in LXXB, L, steht aber in LXXA und auch in LAB 51,1, das ja zur selben Textfamilie gehört wie LXXB. In 4QSama sind an den entscheidenden Stellen Lücken: In V. 22 ist noch ´ad `ašer als Variante von MT's ´ad („bis“) belegt, in V. 24 noch ka`ašer („nachdem“) wie ebenfalls im MT und nicht in LXXB. Cross und Ulrich rekonstruieren an beiden Stellen dennoch in Orientierung an LXXB: Wenn [der Knabe hinaufzieht, nachdem ich ihn abgestillt habe, soll/wird er erscheinen] beim Angesicht JHWHs in V. 22; in V. 24 wird ein Text für die ganze Lücke erfunden, obwohl dort noch MT's ka`ašer belegt ist und obwohl der Satz dort auch in LAB steht (als [Elkana hinaufzog, um JHWH zu opfern, mit einem Ochsen, einem] Sohn der Herde von drei Jahren). Das ist schwerlich zu rechtfertigen; weitaus wahrscheinlicher die Rekonstruktion von Fincke 2001, S. 9: Wenn [ich den Knaben abgestillt habe, werde ich ihn bringen und er soll erscheinen] beim Angesicht JHWHs in V. 22; nachdem [sie ihn abgestillt hatte, und präsentierte ihn mit einem Ochsen, einem Sohn] der Herde von drei Jahren in V. 24. Mindestens ist klar, dass sich die Variante von LXXB weder in V. 22 noch in V. 24 mit 4QSama stützen lassen.
Wir haben also in V. 22 zwei unterschiedliche Plusse, die unterschiedlich zuerst von einem „Hinaufziehen“ sprechen:
(1) Bis der Knabe abgestillt sein wird (MT, Tg, Syr) und vielleicht Bis ich den Knaben abgestillt habe in 4QSama
(2) Ich ziehe nicht hinauf, bis der Knabe abgestillt sein wird. (LXXL, VUL)
(3) Bis der Knabe hinaufzieht, nachdem ich ihn abgestillt habe. (LXXA, B)
Erstens: Das Zeugnis von LXXA ist unklar: Entweder hatte ihre Vorlage den selben Text wie die von LXXB und V. 24 wäre um das Plus in MT ergänzt worden, oder den selben Text wie MT und V. 22 wäre um das Plus von LXXB in V. 22 ergänzt worden. Da nachdem ich ihn abgestillt habe auch in LXXL fehlt, ist Ersteres wahrscheinlicher. Zweitens: Das Plus des „Hinaufziehens“ in V. 22 stand, obwohl es wahrscheinlich nicht in 4Q stand, ursprünglich in einem heb. Text, da es entweder von LXXL + VUL oder von LXX(A), B verschrieben oder umformuliert wurde. Drittens: Wegen dem zusätzlichen Konsonanten am Ende ist weder eine Verschreibung von ´ljtj („ich ziehe hinauf“) zu ´lwt („das Hinaufziehen“) noch umgekehrt sehr wahrscheinlich; eher wird man an eine bewusste Umformulierung zu denken haben. Dann liegt am nächsten, dass die Vorlagen von LXX umformuliert haben, weil es zur Strategie dieses Textes passt, die auf einmal so selbstständige Hanna zu depotenzieren: Nicht „sie zieht hinauf“, sondern „der Knabe“ zöge dann hinauf; Hanna dagegen ist nur für das Abstillen zuständig (weshalb weiterhin zum einen Ausdruck aus V. 24 nach oben gezogen wurde, zum anderen auch in V 24 das „sie brachte ihn hinauf“ zu „sie zog mit ihm hinauf“ umformuliert wurde). Fünftens: Hanna zog nicht hinauf. Denn sie sagte zu ihrem Mann: „Ich ziehe nicht hinauf, bis...“ ist sehr redundant. Es wäre schwer erklärlich, warum jemand dies ich ziehe hinauf ergänzen hätte sollen; eine Streichung aus stilistischen Gründen dagegen wäre leicht nachvollziehbar. Die heb. Vorlage wiederum wäre dann derart redundant formuliert worden, um Hannas Selbstständigkeit nur noch mehr zu betonen.
Versuchsweise wird daher hier „Ich ziehe hinauf“ als der ursprüngliche Text angesehen. (Zurück zu v.22 / zu v.24)
bqtFN: bringen und er soll/wird erscheinen (bringen. Dann soll er erscheinen) - Weqatal lässt sowohl die futurische Deutung („und er wird erscheinen“) als auch die modale Deutung („und er soll erscheinen“) zu. Der Text ist außerdem mit zwei unterschiedlichen Akzentuierungen überliefert: Nach den meisten steht auf werde ich ihn bringen Rebia, nach vielen MSS aber auch Zaqef (s. Ginsburg). Der Unterschied ist minimal: Nach der ersten Akzentuierung wäre aufzulösen: „Bis er abgestillt ist, werde ich ihn bringen und er wird...“; nach der zweiten: „Bis er abgestillt ist, werde ich ihn bringen. dann wird er ...“. OfBi orientiert sich an der Akzentuierung in BHS.
Textkritik: Er wird/soll erscheinen wird gemeinsam mit zehn anderen Vorkommen dieses Wortes in dieser Wortform seit langem, oft und hier auch ohne Stütze in den Vrs. geändert zu dann wollen wir sehen (das Gesicht JHWHs) oder dann soll er sehen (das Gesicht JHWHs). So selbst noch Hutzli 2007, S. 77. Anders als an den anderen Stellen gibt es dafür aber hier keinen Anlass. (Zurück zu v.22)
brTextkritik: Der längere Text nur in 4QSama; er wird aber auch gestützt durch JosAnt 5.10.347: Und die Frau, eingedenk des Gelübdes, das sie betreffs des Kinds abgelegt hatte, brachte ihn dem Eli, ihn darbietend, auf dass er Gott ein Prophet würde.; „Prophet“ kann gut „Nasiräer“ entsprechen (vgl. Ulrich 1978, S. 166). Zur Rekonstruktion vgl. gut McCarter: Das Plus selbst ist sicher wieder eine Konflation: beim Angesicht JHWHs und [dort | beim Angesicht JHWHs] bleiben auf ewig, denn ich werde ihn geben als Nasiräer [auf ewig | alle Tage seines Lebens]. Ist das richtig, kann denn ich werde ihn geben als Nasiräer auf ewig gut als Homoiteleuton nach dem ersten auf ewig entfallen sein. Als Ausfaltung von MT dagegen wäre es mitnichten „typisch“ für 4QSama (so Tsumura); dafür ist das Plus zu lang.
An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass in V. 11 auch LXX wahrscheinlich gegen alle erhaltenen Textzeugen davon sprach, dass Hanna gelobte, Samuel Gott „als Nasiräer bis zum Tag seines Todes“ zu übergeben. Ist LXX's „Gegebener“ wirklich die Entsprechung von „Nasiräer“ (was nicht sicher ist), bezeugte also in V. 11 LXX gegen alle erhaltenen Textzeugen den Nasiräer, und hier 4QSama und JosAnt. Das lässt uns drei Optionen:
(1) In der Vorlage dieser drei Textzeugen war sowohl in V. 11 als auch in V. 22 vom Nasiräer die Rede. LXX hätte dies hier gestrichen, JosAnt in V. 11 nicht erwähnt. Das ist nicht unmöglich; es wäre aber ein großer und sehr unglücklicher Zufall, dass JosAnt vom Inhalt des Gelübdes zufällig gerade nicht bei seiner Paraphrase dieses Gelübdes, sondern erst beim folgenden Rückblick darauf berichtet hätte.
(2) In der Vorlage dieser drei Textzeugen war nur in V. 11 vom Nasiräer die Rede; in der jüngeren Vorlage nur von 4Q und JosAnt wäre dies dann später auch in V. 22 wieder aufgegriffen worden. Daher die Konflation [auf ewig | alle Tage seines Lebens] in 4Q. JosAnt hätte dies darüber hinaus in seiner Paraphrase nur hier und nicht bereits in V. 11 erwähnt. So die meisten (z.B. Pisano 1984, S. 19; Seppänen 2018, S. 10; Aejmelaeus 2019). Auch hiergegen spricht aber wieder Josephus. Und noch wichtiger: Die Konflation ist nur auf den ersten Blick ein gutes Indiz: Der einzige Vertreter dieser Textfamilie, der in V. 11 den Nasiräer bezeugt, ist ja LXX – und die hat in V. 11 eine andere Zeitangabe (bis zum Tag seines Todes statt alle Tage seines Lebens). Man müsste also zusätzlich davon ausgehen, dass nach dem Entstehen der Konflation in 4Q LXX noch einmal aus irgendeinem Grund die Zeitangabe vertauscht hätte.
(3) In der Vorlage dieser drei Textzeugen war nur in V. 22 vom Nasiräer die Rede; LXXB hätte dies aber nach V. 11 verschoben. Das ließe sich leicht erklären: Hanna rekurriert ja deutlich auf ihr Gelübde in V. 11 (was schon genügt, um hier die Konflation in 4Q zu erklären). Runder wäre der Text daher, wenn dieser Teil ihres Versprechens bereits oben und nicht erst hier als „Nasiräer ex machina“ käme. LXX könnte also gut diesen Textteil nach oben verschoben haben, um so den Text zu glätten. Es passt außerdem zum Profil von LXXB; s. zwei FN zuvor oder zur Zeitangabe in V. 20. Wir werden in 1 Sam noch häufiger auf diese Eigenart von LXXB stoßen.
Nimmt man dies zusammen, muss man sagen: Wenn das „Nasiräer-Plus“ irgenwo ursprünglich gewesen sein soll, dann eher hier in V. 22 und nicht bereits in V. 11. Das Homoiteleuton ist ja auch eine gute Erklärung für einen Ausfall. Für eine Ausfaltung des MT in der Vorlage von 4Q und JosAnt dagegen wäre dieses Plus ungewöhnlich lang. Daher wird hier dieser längeren Textvariante der Vorzug gegeben. (Zurück zu v.22)
bsTu, was gut ist in deinen Augen (=Mach doch was du willst?) - Häufiger Ausdruck in der Bibel. Könnte durchaus eine Blanko-Bevollmächtigung ohne kritische Untertöne sein (vgl. etwa 1 Sam 14,40; 2 Sam 19,27; Gen 16,6 u.ö. Selbst von Gott kann gesagt werden, eine bestimmte Handlungsoption sei „gut ist in seinen Augen“, s. 1 Sam 3,18; Dtn 6,18; Ri 10,15 u.ö.). Richtig aber weiterhin Frolov 2004, S. 92: Gelegentlich muss dieser Ausdruck negativ verstanden werden. S. bes. Gen 19,8; Ri 19,24; 21,25: Wer tut, was „gut ist in seinen Augen“, tut womöglich nicht das, was „gut ist in JHWHs Augen“. Vielleicht schwingt in diesem Ausdruck also wirklich auch Kritik mit; klare Kritik ist es aber jedenfalls nicht. (Zurück zu v.23)
btD.h. „ein Wort ins Sein setzen und so diesem Wort treu bleiben“. Viele Üss. gut: „das Wort wahr machen“. Klostermann: „Gott gebe, dass wir's erleben und es so geschehe, wie du es dir ausgedacht und mir vorgemalt [hast!](S. 3; ähnlich Campbell und schon Abravanel. Vgl. zu diesem Sprachgebrauch 1 Sam 15,13; 1 Kön 12,15; Jes 44,26; Jer 28,6; 33,14; 35,16. Hornkohl 2014 kommt zu einem sehr ähnlichen Verständnis des Ausspruchs, obwohl er MT für ursprünglich hält [s. gleich].).
Auslegungsgeschichte: MT hat „sein Wort“. Das ist wohl nicht der ursprüngliche Wortlaut (s. gleich); im Midrasch ist dazu aber eine so fantastische Erzählung überliefert, dass sie hier dennoch mitgeteilt sei. Die alten Rabbinen dachten bei „JHWHs Wort“ nämlich d.Ö. an eine in der Bibel nicht erhaltene Verheißung Gottes, einen Propheten wie Samuel senden zu wollen (so wohl schon LAB 51,2: Eli sagte zu ihr: Nicht du allein hast dir [diesen Sohn] erbeten: das ganze Volk hat um ihn gebetet. Es war nicht deine Bitte allein, sondern er wurde schon in der Vorzeit den [12] Stämmen Israels verheißen.). Dazu dann der Midrasch: Tagtäglich schallte Gottes Stimme durch die ganze Welt und sagte: „Ein Gerechter ist bestimmt, zu erstehen. Sein Name wird Samuel sein“. Jede Frau, die einen Sohn gebar, nannte diesen daraufhin „Samuel“. Sobald sie aber jeweils seine Taten sahen, sagten sie: „Das ist [zwar] Samuel, [aber] er ist nicht [der richtige] Samuel.“ Als dann aber dieser Samuel geboren wurde und als die Leute seine Taten sahen, sagten sie: „Dieser hier muss es sein!“
Textkritik: Wie MT auch VUL: „sein Wort“. Ähnlich Tg: „seine Worte“. Syr dagegen „dein Wort“, und 4QSama und LXX: „was aus deinem Mund herauskommt“. Die meisten Exegeten halten 4Q und LXX für die ursprüngliche Variante, aber zweifellos richtig Driesbach 2016, S. 245: Am nächsten liegt, dass Syr ursprünglich ist. In MT, VUL und Tg wäre aus dem ePP „sein“ das ePP „dein“ geworden – ein Unterschied von nur einem Konsonanten und ein Fehler, der leicht geschehen sein kann, weil „JHWH möge sein Wort aufrichten“ eine sehr häufige Formel ist –, in 4QSama und LXX dagegen wäre es zu seiner feierlicheren Form umformuliert worden. Fast alle Üss. wie MT; wie Syr nur ALTER, TEX, ZÜR 31.
In 4QSama und LXX wäre der Ausdruck dann genauer so zu verstehen: „JHWH bestätige dein Gelübde“, das du als Frau nämlich gar nicht eigenmächtig ablegen kannst. Vgl. Num 30,3-16; zu „was aus deinem Mund kommt“ i.S.v. „Gelübde“ auch Ri 11,36; Jer 44,17. Wieder würde mit der Variante von 4Q und LXX also Hanna depotenziert.
Gegen MT spricht außerdem auch noch, dass von einem Wort JHWHs, das er erfüllen könnte, hier ja noch keine Rede war. Zum Abschluss daher noch einige Vorschläge zum Verständnis des MT: (1) Elis Heilsorakel in 1,17 (an das Schlögl, CTAT I 141, Tita 2001, S. 66f. und schon Raschi, David Kimchi und Josef Qara denken) wurde ja bereits erfüllt. (2) Die Interpretation von Miscall, Bodner und Walters 1988, S. 411f., hier sei von gar keinem bestimmten Wort die Rede, sondern es werde allgemein der Wunsch ausgesprochen, dass Gott nur je und je seinem Wort treu bleiben möge, liegt ganz fern. (3) Nur theoretisch möglich noch wie Frolov 2004, S. 92: Der Ausspruch sei so etwas wie eine Drohung: „Aber denke nur daran, JHWH wird seinem Wort treu bleiben. Wag es also nur nicht, den Knaben nicht nach Schilo zu bringen“ (ähnlich schon Thenius: „Denke nur daran, später deinem Wort auch treu zu bleiben!“). (4) Schließlich auf Gottes Verheißung in Dtn 18,15.18, „einen Propheten wie Mose aufrichten zu wollen“ (so BdA 136; Walters 1988, S. 412), wird wahrscheinlich nicht deutlich genug angespielt. (Zurück zu v.23)
buZu Versbeginn MT, Tg, VUL Syr wie in der Primärüs. LXX wie in der Alternative (sie zog mit ihm hinauf nach Schilo); LAB 51,1 ebenfalls sie zog mit ihm hinauf (ohne „nach Schilo“). Die Konsonanten von 4QSama könnten entweder gedeutet werden als Sie zog mit ihm hinauf nach Schilo oder als sie ließ ihn mit sich nach Schilo hinaufziehen; sicher ist hier jedenfalls das Plus nach Schilo. Am Versschluss nur LXX wie die Alternative: Nicht sie ließ ihn kommen, sondern sie kam. Beide Verbvarianten lassen sich wieder mit der üblichen Strategie von LXX erklären, Hanna das Heft aus der Hand zu nehmen. Das Plus „nach Schilo“ ist vermutlich nur eine Angleichung an 24b oder dient, wie Driesbach 2016, S. 168 meint, der unnötigen Präzisierung. Ein Ausfall wäre jedenfalls nicht sehr gut erklärlich; eine spätere Hinzufügung viel leichter. (zu v.24)
bvTextkritik: MT, Sym, Tg, VUL: „drei Ochsen“. LXX, Syr: „ein dreijähriger Ochse“. Der Unterschied liegt nur in der Aufteilung der beiden Worte: bprm šlš in MT, Sym, Tg und VUL; bpr mšlš in LXX und Syr. 4QSama hatte wahrscheinlich den selben Text vorliegen wie LXX und Syr, aber in Orientierung an Gen 15,9 umformuliert: „[mit einem Ochsen, einem Sohn] der Herde von drei Jahren“. Fast alle halten LXX und Syr für den ursprünglichen Wortlaut; auch, weil in V. 25 nur noch von einem Ochsen die Rede ist. Michaelis 1777, S. 165 und Schulz 1784, S. 233 erklärten sich die drei Ochsen noch so, dass mit den alten Rabbinen nach 2 Makk 7,28 angenommen wurde, dass Samuel mindestens zwei Jahre lang gestillt worden sei, erst in seinem dritten Lebensjahr nach Schilo gebracht wurde und dass dann für jedes dieser Lebensjahre ein Ochse geopfert werden sollte. (Zurück zu v.24)
bwTextkritik: Broten/einem Brot und einem ('nem, drei) - MT, Tg und Syr wie im Fließtext. VUL hat die kleinste Abweichung: „drei Efa“ statt einem. LXX: „Brote und ['n] Efa Mehl“ ohne Numerale vor „Efa“. 4QSama: „ein Brot und ein Efa“. Erstens: Die Differenz „eins“ vs. „drei“ vs. nil macht sehr wahrscheinlich, dass hier die Minus-Variante die ursprüngliche war. Zweitens: Die Brote wurden sicher aus Ex 29,23 hier eingefügt (so Wellhausen, McCarter; auch Hutzli 2007, S. 82 und Driesbach 2016, S. 246). Das erklärte schon die Abweichungen: In LXX wären sie eingefügt worden in Angleichung an das Efa Mehl ohne Zahlenangabe, in 4Q stärker Ex 29,23 entsprechend mit der Numerale eins. Die eins vor dem Efa in 4Q, MT, Tg und Syr sind ähnlich wie die drei von VUL unabhängig von Ex 29,23 und nur in Differenz zu den resp. in Angleichung an die drei direkt davor entstanden. (Zurück zu v.24)
bxein Efa Mehl und ein Nebel Wein - nebel: Große Amphore, die bis zu 1 Bath fassen konnte. Bath = hebräisches Flüssigmaß, Efa = hebräisches Trockenmaß. In späterer biblischer Zeit entsprachen sich Bath und Efa; beides = 39 Liter. In früherer biblischer Zeit hätte ein Efa Mehl etwa 10-12 kg entsprochen und eine große Amphore ein Vielfaches davon gefasst. Übersetze am besten einfach: „ein Sack Mehl und ein Fass Wein“. (Zurück zu v.24)
bySo wurde der Knabe zum Knappen (Und der Knabe war ein Knabe) - Antanaklasis: Knabe und Knappe (präziser: „Diener, Untergebener“, s. z.B. 1 Sam 9,3; 2 Sam 13,28; 16,1) sind im Heb. das selbe Wort. Die Üs. oben schön nach König 1900, S. 11; so deuten hier auch Stähli 1978, S. 184ff.; Eslinger 1982, S. 143; Talmon/Fields 1989, S. 100; Blenkinsopp 1996, S. 252. Die meisten Exegeten ändern den Text nach LXX und 4QSama zu „der Knabe war bei ihnen“ (s.u.), die meisten Üss. übersetzen wie z.B. auch CTAT und Tsumura das „der Knabe war ein Knabe“ als „der Knabe war noch sehr jung“ o.ä. (z.B. BigS: „Der Junge war noch ein richtiges Kind“), was der Satz aber nur schwerlich bedeuten kann.
Fokkelman 1993, S. 68 wendet gegen die Antanaklasis-Deutung ein, erst müsse dies doch berichtet werden, dass Samuel Tempeldiener würde, bevor dies hier gesagt werden könne. Vergleichbare Sätze wie diesen, in dem dann bereits die folgenden Abläufe bis 1 Sam 2,11 vorweggenommen werden, finden sich aber häufig in der Bibel; in der Exegese bezeichnet man sie als „proleptische Summarien“ (Bspp. z.B. bei Ska 1995).
Textkritik: 4QSama und LXX haben in Vv. 24.25 einen ähnlichen und sehr viel längeren Text als MT. Der von 4Q z.B. lautet in der Rekonstruktion von Ulrich und McCarter: Und der Knabe [war bei ihnen (Fincke: war ein Knabe) und sie brachten ihn (LXX: vor das Angesicht JHWHs) und es opferte sein Vater] das Opfer, wie er es [alljährlich für JHWH tat, und sie brachten den Knaben,] und er opferte [den Ochsen und *Hanna, die Mutter des Knaben, kam* zu Eli.]

Zunächst zu den Worten zwischen den beiden Sternen: Dieser Text ist auch belegt in LAB 51,2: Und Hanna stellte den Knaben vor das das Angesicht Elis. Das macht sehr wahrscheinlich, wie schon d.Ö. angenommen wurde (z.B. BHK, Wellhausen, Klostermann, Budde, Schlögl), dass `em „Mutter“ in LXX eine Verschreibung aus `et „den“ ist, die nicht in der ganzen Textfamilie, sondern nur in der Vorlage von LXX stattgefunden hat. Man sollte in 4Q also besser rekonstruieren: und Hanna brachte den Knaben zu Eli. Man könnte außerdem davon ausgehen, dass in manchen Texten dieser Familie auch hier `el „zu“ wieder zu lipne „vor das Angesicht von“ verändert wurde; in diesem Fall könnte dies aber auch Assimilation von V. 25 an den V. 26 sein, den LAB in der Paraphrase herausgekürzt hat und wo LXXB, A, L und VUL „vor Eurem Angesicht“ statt „bei Euch“ bezeugen. Dennoch macht es auch hier den Wortlaut von 4Q etwas unsicher. Ich rekonstruiere:
והנער [עמם / נער ויביאוהו לפני יהוה וישחט אביהו את ]הזבח [כ]אשר [יעשה מימים ימימה ליהוה ויביאו את הנער וי]שחט את הפר ותבוא חנה את הנער אל / לפני עלי
Wegen den beiden unterstrichenen Wörtern nehmen die meisten Textkritiker überraschender Weise an, der Satz zwischen diesen beiden Wörtern sei entfallen, ausnahmsweise seien in diesem Fall (anders als bei Homoiteleuta üblich) aber beide Wörter stehen geblieben (so Cross, Ulrich und selbst Tov 1992, S. 114 und Driesbach 2016, S. 77). Aber das ist gar nicht sinnvoll; erstens funktioneren Homoiteleuta so nicht (richtig Pisano 1984, S. 163; Walters 1988, S. 403; Hutzli 2007, S. 85), und zweitens sieht man ja schon auf den ersten Blick, dass das kein natürlicher Text ist, sondern dass hier mehrere Konflationen stattgefunden haben. Vgl. zum Folgenden gut und sehr ähnlich McCarter:
(1) MT: (a) ... Und der Knabe [war] ein Knabe. 25 (b) Und sie schlachteten den Ochsen (c) und brachten den Knaben zu Eli.
(2) 4Q + LXX: (a) Und der Knabe [war] bei ihnen. 25 (d) und sie brachten ihn (LXX: + vor das Angesicht JHWHs). (b) [Und sein Vater schlachtete das Opfer, wie er alljährlich für JHWH tat | Und er schlachtete den Ochsen] (c) [Und sie brachte den Knaben | Und Hanna brachte den Knaben zu Eli]
Zu (a) s.u.
Zu (b): Ursprünglich ist in 4Q / LXX sicher Und er schlachtete den Ochsen, das durch und sein Vater schlachtete das Opfer, wie er es alljährlich für JHWH tat doppelt präzisiert werden sollte. Die Differenz zum MT ist also nur das unbestimmte sie schlachteten dort vs. er schlachtete hier.
Zu (c) Ebenso einfach: Offenbar sind die Handlungen der beiden Plural-Verben im MT aufgesplittet worden auf die Tätigkeit des Vaters („schlachten“) und die der Mutter („bringen“), daher Und sie brachte den Knaben zu Eli, was durch Hanna ähnlich präzisiert werden sollte.
(d) Wenn es hier also ein wirkliches Plus gibt, dann nur in (d), und dort macht die Differenz Und sie brachten ihn (4Q) vs. Und sie brachten ihn vor das Angesicht JHWHs recht wahrscheinlich, dass auch das und sie brachten ihn nur ein drittes Sprengsel der Konflation (c) ist, die in LXX möglichst sinnvoll um vor das Angesicht JHWHs ergänzt wurde. Dort hätte man dann also das primäre sie brachte den Knaben zu Eli zunächst präzisiert zu Und Hanna brachte den Knaben zu Eli und zuletzt dies noch einmal variiert zum Plural und sie brachten ihn; wohl, um Hanna auch noch diese alleinige Aktivität zu nehmen.
Die Textgeschichte wäre also: (I) Und der Knabe war bei ihnen. Und er schlachtete den Ochsen und sie brachte den Knaben zu Eli > (II) Darüber oder daneben varriiert und präzisiert mit Und sein Vater schlachtete das Opfer für JHWH, wie er es alljährlich tat, und Hanna brachte den Knaben zu Eli. > (III) Der letzte Satz noch einmal verändert zum Plural: Und sie brachten ihn > (IV) Nachdem dies an der falschen Stelle in den Text geraten war, ergänzt die LXX-Vorlage um vor das Angesicht JHWHs und verschreibt außerdem `em zu `et.

Ist das richtig, haben wir nur zwei echte Varianten: Der Knabe war ein Knabe (MT) vs. Der Knabe war bei ihnen (LXX; vielleicht 4Q) einerseits und die beiden Pluralverben sie schlachteten und sie brachten (MT) vs. er schlachtete und sie brachte (4Q + LXX).
Bei der ersten Variante hat man früher gern angenommen, bei ihnen sei ursprünglich, aber wiederum aus bei ihr verdorben (da ja zuvor nur von der Mutter, nicht von Mutter und Vater die Rede war. So z.B. BHK, Wellhausen, Klostermann, Budde, Driver). So lässt sich heute nicht mehr textkritisch argumentieren. Wir haben daher zwei Optionen: Entweder gehen wir davon aus, dass mit dem Ende von V. 24 doch unausgesprochen davon ausgegangen wird, dass (natürlich) auch der Vater bei der Reise dabei war, weshalb ab hier mit Plural formuliert wird, oder davon, dass das schwierige der Knabe war ein Knabe ursprünglich ist und von LXX (+ 4Q) vereinfacht wurde, wie ja auch VUL, Tg und Syr vereinfachend mit und der Knabe war jung übersetzen. Die zweite ist textkritisch gesehen wahrscheinlicher.
Zur zweiten Variante: Wäre er schlachtete ursprünglich, müsste sich das er im Wortlaut von MT auf den gerade erst abgestillten Samuel beziehen. Das ist so absurd, dass man allein schon deshalb davon ausgehen muss, dass die Plurale ursprünglich sind. S. dann näher die nächste FN. (Zurück zu v.24 / zu v.26)
bzsie schlachteten ... und brachten - der Plural der beiden Verben ist textkritisch ein wenig unsicher; s. die vorige FN. Der Plural in MT, Tg, VUL und Syr könnte Tempeldiener meinen (so z.B. Wellhausen, Driver; auch Hutzli 2007, S. 85; ähnlich Tsumura); wahrscheinlicher sind es aber doch beide Elternteile, da es üblicherweise das Familienoberhaupt war, das ein Familien-Opfer in einem Heiligtum darbrachte. So z.B. Esler 2012, S. 132; so auch schon David Kimchi und auch 4Q und LXX, die das in der Üs. expliziert haben („sein Vater Eli schlachtete...“) – was in MT klar bewusst nicht geschieht, um so Hannas Selbständigkeit noch stärker hervorzuheben. Keinesfalls sollte man daher in der Üs. zu den Eltern vereindeutigen wie z.B. GN („Nachdem die Eltern den Stier geschlachtet hatten, brachten sie...“) oder HfA („Nachdem Elkana und Hanna einen der Stiere geopfert hatten, brachten sie...“). Allenfalls wie Michaelis: („Sie und ihr Mann opferten [den Ochsen]...“)
Auslegungsgeschichte: Im Talmud wird der Plural durch einen Midrasch erklärt, der auch für christliche Opfertheologie nicht ganz irrelevant ist: „Sie schlachteten den Ochsen und brachten den Knaben zu Eli“ – Brachten sie den Knaben deshalb zu Eli, weil sie den Ochsen geschlachtet hatten? Nein, es war so: Eli sprach zu ihnen: „Bringt mir einen Priester, damit er kommt und schlachtet“. Als Samuel sah, dass sie einen Priester zum Schlachten suchten, sprach er zu ihnen: „Warum sucht ihr nach einem Priester zum Schlachten? Auch das Schlachten eines Laien ist gültig!“ Da brachten sie ihn zu Eli, und dieser sagte zu ihm: „Woher hast du das?“ Er antwortete: „Wer hätte [in der Bibel] geschrieben: ‚Der Priester soll schlachten‘? [In Lev 1,5] heißt es vielmehr: ‚Die Priester sollen [das Blut] darbringen.‘ Erst mit der Aufnahme [des Blutes beginnt dort] das Gebot, die Priesterschaft [solle dies tun]. Woraus man ableiten kann [wie es wirklich aus Lev 1 hervorgeht], dass das Schlachten eines Laien gültig ist.“ (b.Ber 31b).
Der Midrasch steigert das sogar noch mal: Samuel kam und fand die Leute bei ihren Opfern stehen. Er fragte sie: „Warum schlachtet ihr nicht?“ Sie antworteten ihm: „Wir warten darauf, dass der Priester kommt, wie geschrieben steht: ‚Und man schlachte den Ochsen vor dem Ewigen.‘“ Da sprach er: „Steht auf und schlachtet! Wir haben doch gelernt, dass das Schlachten von Laien, von Frauen selbst von Sklaven sogar bei allerheiligsten Opfern gültig ist!“ (Üs. nach Wünsche). (zu v.25)
cabeim Leben Eurer Seele - Heb. Formel zur Bekräftigung der folgenden Aussage; manchmal auch erweitert zu „Bei JHWHs Leben und beim Leben deiner Seele“ (s. 1 Sam 17,55; 20,3; 25,26; 2 Sam 11,11; 14,19; 2 Kön 2,2.4.6; 4,30); Variante des häufigeren alleinigen „bei JHWHs Leben“ oder „bei meinem Leben“ (vgl. Lande 1949, S. 111). Sinngemäß richtig deshalb Grynäus: „Gewiss bin ich die Frau...“; VOICE: „My lord, I swear I am the woman...“ Ein solcher Schwur passt hier nicht mal so gut; in diesem Kontext dient die Formel v.a. dazu, ein weiteres Mal den Gestus der Unterwürfigkeit Hannas zu unterstreichen: Beim Leben eines Anderen schwört man nur im Gespräch mit Höhergestellten (1 Sam 20,3 ist eine bewusst gestaltete Ausnahme); die Formel ist daher gleichzeitig Höflichkeitsfloskel. Stilgerechter daher: „Bitte, mein Herr; wenn ihr mir glauben wollt, mein Herr: ...“
Textkritik: Das zweite mein Herr ist wahrscheinlich sekundär und fehlt daher nicht nur in LXX, sd. auch bei Sym (so auch McCarter). Zum Stil passt es aber gut, da es die Unterwürfigkeit noch mal so stark macht. Vielleicht ist dies also nicht einmal ein Textfehler, sd. eine stilistische Aufwertung des Texts. (Zurück zu v.26)
cbTextkritik - mir ist nur in LXXB nicht bezeugt. Hutzli 2007, s. 87 zieht dies als Lectio brevior vor, aber wieder lässt sich diese Differenz gut mit der üblichen Strategie von LXXB erklären: MT stellt Hanna dem Übersetzer von LXXB allzu sehr in den Fokus. (Zurück zu v.27)
ccBitte, erbeten, anbieten und angeboten / Angebot in Vv. 27.28 sind im Heb. alle das selbe Wort, das auch schon 2x in V. 17 und 1x in V. 20 stand: ša`al. Daher BigS: „Der Heilige hat mir gegeben, was ich in meiner Bitte von ihm erbeten habe. So mache ich ihn nun selbst zu einem, der von dem Heiligen erbeten ist. Alle Tage, die er lebt, wird er ein Erbetener vor dem Heiligen sein.“; B-R: „ER hat mir meinen Wunsch gegeben, den ich von IHM erwünschte. Auch ich habe IHM ihn zugewünscht, alle Tage, die er lebt, sei er ein IHM Zugewünschter.“ Am besten TUR, für die LF aber vielleicht zu antiquiert: „Der Ewige hat mir meine Bitte gewährt, die ich von ihm erbeten. So erbiete ich ihn dem Ewigen; alle Tage, die er lebt, sei er dem Ewigen erboten.“ (Zurück zu v.28)
cdTextkritik: 1 Sam 1,28-2,11 lassen sich gliedern in sechs Text-Bausteine, die in unterschiedlichen Textzeugen in unterschiedlicher Reihenfolge stehen oder nicht stehen:

LXXB: (a) „Er ist JHWH geliehen.“ (d) HANNAS GEBET (f) Und Elkana ging nach Rama.
LXXB-MSS: (a) „Er ist JHWH geliehen.“ (b) Und sie beteten zu JHWH. (d) HANNAS GEBET (e) Und sie ließen ihn vor dem Angesicht JHWHs (c) dort (f) und gingen nach Rama.
MT: (a) „Er sei JHWH angeboten.“ (b) Und er betete zu JHWH (c) dort. (d) HANNAS GEBET (f) Und Elkana ging nach Rama.
LXXA, L: „Er ist JHWH geliehen.“ (b) Und er betete / sie beteten zu JHWH. (d) HANNAS GEBET. (e) Und sie ließen ihn vor dem Angesicht JHWHs (c) dort. (b) Und sie beten zu JHWH (f) und gingen nach Rama.
4QSama: [(a) „Er sei JHWH angeboten.“ (e) Und sie ließen] ihn (c) dort. (b) Und sie betete [...]

Diese unterschiedliche Reihenfolge macht fast sicher, dass Hannas Gebet in 1 Sam 2 erst später hier eingefügt wurde (so alle). Gegen die Rekonstruktion der weitergehenden Textgeschichte in DJD vgl. richtig Trebolle Barrera 2010, S. 266. Aber auch seine Rekonstruktion, die von sechs (!) Schritten der Entwicklung vom ursprünglichen Wortlaut zum MT ausgeht, ist allzu kompliziert. Am einfachsten so: Als Entsprechung von „sie ließen ihn zurück“ rekonstruiere man nicht das naheliegende ותעזבהו wie Cross, Ulrich und McCarter, sondern mit Fincke 2001, S. 9 das wie in 2 Kön 25,12 verwendete ותשאירהו. Es entstand als falsche Korrektur des am Anfang und Ende graphisch ähnlichen ותשתחו, das ein Schreiber für ותשרהו mit ausgefallenem Alef gehalten hatte (wie z.B. מהתנבות statt מהתנבאות in 1 Sam 10,13; vielleicht noch unter dem Einfluss von שלתך statt שאלתך in V. 17). In der Textfamilie von 4Q und LXX wurde außerdem wieder „vor JHWH“ zu „vor dem Angesicht JHWHs“ verändert. Unabhängig davon war eine dritte – die früheste – Variation des ursprünglichen Wortlauts die Hinzufügung eines zusätzlichen „dort“. Alle drei Varianten standen wieder über oder neben dem Text. Die letzten beiden Annahmen legen sich fast schon von selbst nahe: Dass „dort“ über oder neben dem Text gestanden haben muss, ist aufgrund der us. Position in den obigen Varianten offensichtlich, und dass „vor JHWH“ von der betreffenden Textfamilie zu „vor dem Angesicht JHWHs“ verändert wurde, ist uns bereits oben mehrfach begegnet.
Mit diesen drei Annahmen lassen sich alle Variationen erklären: In LXXB ist keine der Varianten eingedrungen, der ursprüngliche Wortlaut wurde aber aus stilistischen Gründen vor 1 Sam 2,1 mit seiner ganz ähnlichen Aussage gestrichen. In LXXB-MSS sind alle drei Varianten nach dem ursprünglichen Wortlaut in den Text eingedrungen und dazwischen wurde das Gebet eingefügt, in 4QSama nur zwei der drei Varianten davor und das Gebet wurde danach eingefügt, in LXXA, L ebenso alle drei Varianten davor, das Gebet wurde noch mal davor eingefügt, und zuletzt der Text vor dem Gebet an den von MT angeglichen. Die Varianten er betete und sie beteten vs. sie betete und die Variante sie gingen vs. Elkana ging sind davon unabhängige unterschiedliche Strategien, mit dem Bruch von sie betete zu Elkana ging... zurechtzukommen, der aber wieder stilistisch-literarisch zu erklären ist (s. dort). (Zurück zu v.28)
ceDie jüd. Schrift Seder Elijahu Rabbah hat sie übrigens deshalb zum Paradigma für kinderlose Frauen gemacht; der Abschnitt sei kurz mitgeteilt: Einmal ging ich von einem Ort zu einem anderen. Da traf mich ein Greis. Er sagte zu mir: Rabbi, wieso gibt es in Israel verheiratete Männer, die keine Kinder haben? Ich sagte zu ihm: Mein Sohn, weil der Heilige, gepriesen sei er, sie mit vollkommener Liebe liebt und sich an ihnen erfreut. Und er läutert sie, damit ihre Zuneigung zu ihm groß werde.
Komm und lerne von Abraham und Sara, die fünfundsiebzig Jahre zu unfruchtbar für Isaak waren. Und ihre Zuneigung wuchs, bis Isaak zur Welt kam und sie sich an ihm erfreuten.
Komm und lerne von Rebekka, die zwanzig Jahre unfruchtbar war, und ihre Zuneigung wuchs, bis Jakob zur Welt kam und sie sich an ihm erfreuten.
Komm und lerne von Rahel, die vierzehn Jahre für ihre beiden Kinder zu unfruchtbar war. Und ihre Zuneigung wuchs, bis beide zur Welt kamen und sie sich an ihnen erfreute.
Komm und lerne von Hanna, die neunzehn Jahre und sechs Monate unfruchtbar war, bis Samuel zur Welt kam und sie sich an ihm erfreute.
(99; Üs.: Zuber 2018, S. 82). Ein Leid wie die ungewollte Kinderlosigkeit der Hanna wäre also damit zu erklären, dass erstens Gott die Leidenden mit dem Leid anregen will, immer intensiver auf ihn zu bauen, und dass er zweitens die Freude der Kinderlosen über ein spätgeborenes Kind nur um so größer machen will. (Zurück zum Text: ce)
cfWäre in dieser zweiten Ansprache in Zeile 2 das „und nicht vergäßest deine Magd“ ursprünglich, wäre das noch deutlicher; dann entspräche ein dreimaliges „Magd“ dem dreimaligen „Warum“ im ersten Gedicht. Aber das dürfte textkritisch nicht zulässig sein, diesen Satz als ursprünglich anzusehen. (Zurück zum Text: cf)
cgwie sie sich den ganze Schwur hindurch und auch im Folgenden klein macht: Von sich selbst in der dritten Person als der „Magd“ eines anderen zu sprechen, JHWH mit dem Epitheton „JHWH Zebaot“ anzusprechen und den Angesprochenen wie in der vierten Zeile außerdem in der dritten Person anzusprechen, sind alles hebräische Floskeln der Höflichkeit und Unterwürfigkeit, die sich exakt so z.B. auch im Magnificat in Lk 1,46-55 finden. Vgl. dazu Lande 1949, S. 29f.71f. (Zurück zum Text: cg)