2 Sam 22, Ps 18 und die Textkritik des Alten Testaments: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Offene Bibel übersetzt die im Hebräischen erhaltenen Bücher aus dem sogenannten „Kodex Leningradensis“, der – neben dem „Kodex Aleppo“ – ältesten Handschrift, die den gesamten jüdischen Textkanon überliefert. Ersterer stammt aus dem Jahr 1009 n. Chr., letzterer aus dem Jahr 925 n. Chr. Beide Handschriften sind damit teilweise weit über 1000 Jahre jünger als die Texte, die sie überliefern. Neben diesen beiden Handschriften gibt es eine große Zahl weiterer hebräischer und aramäischer Handschriften älteren Datums, in denen ebenfalls Teile dieser Texte überliefert sind; außerdem existiert eine Reihe von sehr alten Übersetzungen, die zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und dem 5. Jh. n. Chr. entstanden sind.<br />Sehr häufig differieren diese „Textzeugen“. Sehr grob lassen sich solche Differenzen auf drei Weisen erklären:  
 
Die Offene Bibel übersetzt die im Hebräischen erhaltenen Bücher aus dem sogenannten „Kodex Leningradensis“, der – neben dem „Kodex Aleppo“ – ältesten Handschrift, die den gesamten jüdischen Textkanon überliefert. Ersterer stammt aus dem Jahr 1009 n. Chr., letzterer aus dem Jahr 925 n. Chr. Beide Handschriften sind damit teilweise weit über 1000 Jahre jünger als die Texte, die sie überliefern. Neben diesen beiden Handschriften gibt es eine große Zahl weiterer hebräischer und aramäischer Handschriften älteren Datums, in denen ebenfalls Teile dieser Texte überliefert sind; außerdem existiert eine Reihe von sehr alten Übersetzungen, die zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und dem 5. Jh. n. Chr. entstanden sind.<br />Sehr häufig differieren diese „Textzeugen“. Sehr grob lassen sich solche Differenzen auf drei Weisen erklären:  
# Vor der schriftlichen Fixierung der biblischen Texte wurden diese vermutlich lange Zeit mündlich tradiert. Im Verlauf dieser Tradierung konnten unterschiedliche Varianten entstanden sein, die dann in unterschiedlichen Verschriftlichungen Eingang gefunden haben.  
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# Vor der schriftlichen Fixierung der biblischen Texte wurden diese vermutlich lange Zeit mündlich tradiert. Im Verlauf dieser Tradierung konnten '''unterschiedliche Varianten''' entstanden sein, die dann in unterschiedlichen Verschriftlichungen Eingang gefunden haben.  
# In den (viel häufigeren) Fällen, in denen man davon ausgehen kann, dass die unterschiedlichen Varianten einer Textstelle auf einem einheitlichen „Urtext“ basieren, können diese Varianten durch Lese- und Schreibfehler entstanden sein und sich dann im Verlauf der Textgeschichte verselbstständigt haben.<br />Ein Beispiel: Nehmen wir an, ein Tiroler Autor habe „Ich fahre nach Bozen“ schreiben wollen, aus Versehen aber „Ich fahre nach Bouzen“ (Variante a) geschrieben. Nehmen wir weiter an, ein Schreiber habe dies korrigiert nach „Ich fahre nach Bozen“ (Variante b), ein zweiter Schreiber dagegen nach „Bautzen“ (Variante c). Nehmen wir schließlich an, ein italienischer Übersetzer habe den Text mit Variante b vorliegen gehabt und daher „Bolzano“ übersetzt, ein französischer Übersetzer dagegen den Text mit Variante c als „Budisse“ übertragen. Vergliche nun jemand die fünf Texte, fänden sich die drei Varianten (a) „Bouzen“, (b) „Bozen“ + „Bolzano“, (c) „Bautzen“ + „Budisse“.
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# In den (viel häufigeren) Fällen, in denen man davon ausgehen kann, dass die unterschiedlichen Varianten einer Textstelle auf einem einheitlichen „Urtext“ basieren, können diese Varianten durch '''Lese- und Schreibfehler''' entstanden sein und sich dann im Verlauf der Textgeschichte verselbstständigt haben.<br />'''Ein Beispiel''': Nehmen wir an, ein Tiroler Autor habe „Ich fahre nach Bozen“ schreiben wollen, aus Versehen aber „Ich fahre nach Bouzen“ (Variante a) geschrieben. Nehmen wir weiter an, ein Schreiber habe dies korrigiert nach „Ich fahre nach Bozen“ (Variante b), ein zweiter Schreiber dagegen nach „Bautzen“ (Variante c). Nehmen wir schließlich an, ein italienischer Übersetzer habe den Text mit Variante b vorliegen gehabt und daher „Bolzano“ übersetzt, ein französischer Übersetzer dagegen den Text mit Variante c als „Budisse“ übertragen. Vergliche nun jemand die fünf Texte, fänden sich die drei Varianten (a) „Bouzen“, (b) „Bozen“ + „Bolzano“, (c) „Bautzen“ + „Budisse“. Dies ist die Situation, mit der man sich am häufigsten bei der Textkritik des AT konfrontiert sieht.
# Der Text könnte bewusst geändert worden sein. Besonders deutliche Beispiele dafür sind etwa die aramäischen Targumim, die häufig Auslegungen, Ausdeutungen u.ä. direkt in die Übersetzung des hebräischen Textes einschalten. Ein weiteres Beispiel ist der „Samaritanische Pentateuch“, eine Pentateuch-Variante der religiösen Gruppe der Samaritaner, in deren Glauben der Berg Garizim eine besondere Rolle spielte und die deshalb einige Änderungen im Text vornahmen. Im Dekalog zum Beispiel wird das neunte und zehnte zu einem Gebot zusammengefasst und als neues zehntes Gebot erlassen, einen Altar auf dem Garizim zu bauen.
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# Der Text könnte '''bewusst geändert''' worden sein. Besonders deutliche Beispiele dafür sind etwa die aramäischen Targumim, die oft Auslegungen, Ausdeutungen u.ä. direkt in die Übersetzung des hebräischen Textes einschalten. Ein weiteres Beispiel ist der „Samaritanische Pentateuch“, eine Pentateuch-Variante der religiösen Gruppe der Samaritaner, in deren Glauben der Berg Garizim eine besondere Rolle spielte und die deshalb einige Änderungen im Text vornahmen. Im Dekalog zum Beispiel wird das neunte und zehnte zu einem Gebot zusammengefasst und als neues zehntes Gebot erlassen, einen Altar auf dem Garizim zu bauen.
Die Aufgabe der Textkritik ist es, die Varianten einer Textstelle zu sammeln und zu erklären, wie sie zustande kamen, um so idealiter beurteilen zu können, ob man von ihnen auf einen gemeinsamen „Urtext“ schließen kann. Beim obigen Beispiel zu (2) etwa könnte ein Textkritiker aus den ihm vorliegenden Varianten folgern, dass sich die drei Varianten am leichtesten so erklären lassen, dass Variante b und Variante c aus Variante a entstanden sind („Bozen“ <= „Bouzen“ => „Bautzen“), und aus der Tatsache, dass die Zeile von einem Tiroler stammt, folgern, dass er statt dem sinnlosen „Bouzen“ vermutlich wirklich „Bozen“ hatte schreibe wollen.<br />
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Die '''Aufgabe der Textkritik''' ist es, die Varianten einer Textstelle zu sammeln und zu erklären, wie sie zustande kamen, um so idealiter beurteilen zu können, ob man von ihnen auf einen gemeinsamen „Urtext“ schließen kann. Beim obigen Beispiel zu (2) etwa könnte ein Textkritiker aus den ihm vorliegenden Varianten folgern, dass sich die drei Varianten am leichtesten so erklären lassen, dass Variante b und Variante c aus Variante a entstanden sind („Bozen“ <= „Bouzen“ => „Bautzen“), und aus der Tatsache, dass die Zeile von einem Tiroler stammt, folgern, dass er statt dem sinnlosen „Bouzen“ vermutlich wirklich „Bozen“ hatte schreibe wollen.<br />
 
Grundlage der Arbeit eines Textkritikers ist daher der Umgang mit den unterschiedlichen „Textzeugen“ der hebräischen Bibel.
 
Grundlage der Arbeit eines Textkritikers ist daher der Umgang mit den unterschiedlichen „Textzeugen“ der hebräischen Bibel.
  
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=====Masoretischer Text=====
 
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Wie gesagt ist vor der schriftlichen Fixierung der biblischen Texte eine längere Phase der mündlichen Tradierung derselben anzusetzen. Wann genau die Phase der mündlichen von der der schriftlichen Tradierung abgelöst wurde, ist unsicher; die ersten erhaltenen schriftlichen Belege sind Kleinst-ausschnitte aus dem Buch Numeri aus dem frühen 6. Jh. v. Chr. Sicher ist aber, dass etwa ab dem 3. Jh. v. Chr. diese Verschriftlichungen schon zu Schrift''sammlungen'' zusammengefasst wurden, die man bereits zu dieser Zeit grob aufteilte in die drei Gruppen „Torah“, „Propheten“ und „Schriften“ (s. [[Jesus Sirach 38#s34 |Sir 38,34]]-39,1; [[2Makkabäer 2#13 |2 Makk 2,13-15]]). Sicher ist außerdem, dass in dieser Anfangszeit der schriftlichen Fixierung  diese Verschriftlichungen noch recht divergent waren und sich zu mehreren Tradierungs-„familien“ verselbstständigten.<br />Man kann es sich mit dem obigen '''Beispiel''' so vorstellen, dass Varianten a-c immer weiter vervielfältigt wurden, bis Variante a in einer Personengruppe A und Variante b in den beiden Personengruppen B und Z zirkulierten. Variante c war nicht sehr beliebt, aber bei den Personengruppen A und Z bekannt, so dass diese beiden Personengruppen (nicht aber Personengruppe B) sie gelegentlich statt „ihrer“ Variante in eine neue Abschrift des Satzes übernahmen. Würde einige hundert Jahre später ein Forscher viele Abschriften unseres Beispielsatzes in die Hände bekommen, könnte er also feststellen, dass sich (1) für Gruppe A besonders häufig „Bouzen“ und gelegentlich „Bautzen“ findet, (2) für Gruppe B nur „Bozen“ und (3) für Gruppe Z ebenfalls besonders häufig „Bozen“, gelegentich aber auch „Bautzen“. Personengruppen A, B und Z in diesem Beispiel wären in der Fachsprache „Täger-“ oder „Tradierungskreise“, die Dokumente , auf denen sich die Abschrift unseres Satzes findet, „Handschriften“ oder „Manuskripte“ (kurz „MSS“ oder „mss“), die „Varianten“, die sich auf ihnen finden, „Lesarten“ und jeweils die Gruppen von Manuskripten, auf denen sich je die Varianten a, b oder c finden, „Texttypen“ oder „Textfamilien“.<br />
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Der sog. „'''masoretische Text'''“ ist einer dieser Texttypen und als solcher weder der wichtigste noch der richtigste. Ungefähr ab dem Ende des 1./Anfang des 2. Jh.s n. Chr. aber war es dieser Texttyp, der sich gegenüber vielen anderen Texttypen durchgesetzt hat; von dieser Zeit an wurde als der hebräische Text der Bibel fast ausschließlich diese Textfamilie tradiert.<br />
  
auch: deRossi, Kennicott
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Im Verlauf der Tradierung wurden einige Änderungen an den Texten vorgenommen, die wieder Grund für Divergenzen zwischen Manuskripten dieser Textfamilie sein konnten. Ursprünglich war das hebräische eine phonetische Konsonantenschrift. D.h.: (1) Ausschließlich die Konsonanten der hebräischen Wörter wurden aufgeschrieben, die Vokale musste sich ein Leser hinzudenken. (2) Anders als heute gab es zu dieser Zeit keine Lexika oder standardisierte Schreibweisen; geschrieben wurde, wie die Konsonanten des Wortes sich ungefähr anhörten (s. dazu u. unter „Gründe für Unterschiede zwischen Textzeugen...“).<br />
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Um das Ergänzen der '''Vokale''' beim Lesen zu erleichtern, erfand man schon recht früh das System der „Matres lectionis“: Die vier Konsonanten ''Aleph'', ''He'', ''Waw'' und ''Jod'' wurden zusätzlich zu den „eigentlichen“ Konsonanten in den Text eingefügt, um nicht als tatsächliche Konsonanten zu dienen, sondern um zu markieren, dass hier ein bestimmter Vokal zu lesen sei. Diese Einfügung erfolgte aber nicht immer konsequent; einer der häufigsten Unterschiede zwischen Manuskripten des masoretischen Textes sind Unterschiede beim Einsatz oder Wegfall von Matres lectionis. Wird eine solche Mater lectionis gesetzt, spricht man von „Scriptio plena“, wird sie nicht gesetzt, von „Scriptio defectiva“. Erst ab dem 6. / 7. Jh. n. Chr. erfand man eindeutigere Systeme zur wirklichen „Vokalisierung“ hebräischer Texte. Das in den biblischen Texten zum Einsatz kommende „tiberische Punktationssystem“ wurde gar erst ab dem 8. Jh. verwendet, das älteste erhaltene Manuskript mit biblischen Texten, in denen dieses zum Einsatz kommt, stammt aus dem 10. Jh. Etwa zeitgleich wurde der Text außerdem angereichert um „Akzente“, eine Art System zur Notation des musikalischen Vortrags, das als solches nebenbei auch Auskunft über Betonung hebräischer Wörter und die Syntax der hebräischen Sätze gab und auch markierte, wann ein Vers zu Ende sei und der nächste beginne. <br />
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Die Aufteilung der biblischen Texte in '''Kapitel''' schließlich wurde erst im 13. Jh. von Kardinal Hugo in die Vulgata (s.u.) eingeführt und von dort im 15. Jh. in den masoretischen Text übertragen.<br />
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Von diesem im Laufe der Zeit immer wieder abgeschriebenen und überarbeiteten Text sind die oben genannten Codices „Aleppo“ und „Leningradensis“ zwei Handschriften von vielen, und wieder nicht die richtigsten, aber insofern die wichtigsten, als sie die ältesten Handschriften sind, die den gesamten Text der hebräischen Bibel enthalten. Neben diesen beiden Codices sind viele ältere, aber nur fragmentarische und viele ebenfalls vollständige, aber jüngere Manuskripte erhalten. Weil es auch zwischen Kodex Aleppo und Codex Leningradensis und auch zwischen diesen und den anderen Manuskripten viele Unterschiede gibt, veröffentlichte im 18. Jh. Benjamin Kennicott sein wichtiges zweibändiges Werk „Vetus Testamentum hebraicum cum variis lectionibus“ („Hebräisches Altes Testament mit verschiedenen Lesarten“), in dem zum ersten Mal systematisch versucht wurde, diese Unterschiede zwischen Manuskripten zu sammeln. Wegen einiger konzeptioneller Schwächen und Fehler in diesem Werk begann wenige Jahre später Giovanni Bernardo De Rossi, seinerseits Manuskripte zu vergleichen. Von 1784-88 erschien dann sein fünfbändiges „Variae Lectiones Veteris Testamenti“, in dem über 1400 Handschriften und Bibelausgaben miteinander verglichen wurden (Links zu [http://books.google.it/books?id=tK0WAAAAQAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s Band 1], [http://books.google.de/books?id=v60WAAAAQAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s Band 2], [http://books.google.de/books?id=qtZJAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s Band 3], [http://books.google.de/books?id=-BuKcwIIxVYC&hl=de&source=gbs_navlinks_s Band 4], [http://books.google.de/books?id=BHhBAAAAcAAJ&hl=de&source=gbs_navlinks_s Band 5]).
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Der Codex Leningradensis ist die Textbasis der kritischen Edition der „Biblia Hebraica Stuttgartensia“, von der gerade die Neuauflage „Biblia Hebraica Quinta“ in Arbeit ist und an der sich die Offene Bibel orientiert. Der Codex Aleppo dagegen ist die Textbasis der „Hebrew University Bible“, von der bisher aber erst drei Bände erschienen sind. Ein drittes Editionsprojekt ist die „Oxford Hebrew Bible“, die sich nicht an einem bestimmten Manuskript orientiert, sondern versucht, aus den verschiedenen Textzeugen den am wahrscheinlichsten ursprünglichen Text zu rekonstruieren. Bisher ist leider erst ein Band erschienen.
  
 
=====Qumran-Handschriften=====
 
=====Qumran-Handschriften=====
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=====Septuaginta=====
 
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=====Aquila=====
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=====Aquila, Symmachus, Theodotion=====
 
 
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===Gründe für Unterschiede zwischen Textzeugen des Alten Testaments===
 
===Gründe für Unterschiede zwischen Textzeugen des Alten Testaments===
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Wie oben schon gesagt lassen sich Differenzen zwischen Textzeugen des Alten Testaments grob erklären durch (1) alternative Texttraditionen, (2) Lese- und Schreibfehler und (3) bewusste Änderungen am Text. (1) und (3) sind so komplex, dass sie sich nur schwer noch weiter kategorisieren lassen, für (2) gibt es aber eine Reihe von Standardfällen. Viele davon hat Delitzsch in seinen „[https://archive.org/stream/dieleseundschrei00deli#page/n4/mode/1up Lese- und Schreibfehler im Alten Testament]“ erläutert und Beispiele dafür zusammengetragen; hier nur die wichtigsten:
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'''Verlesungen / Verschreibungen'''
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Einige hebräische Konsonanten sehen einander so ähnlich, dass sie leicht verlesen werden konnten; andere wiederum klingen einander so ähnlich, dass sie leicht verlesen werden konnten. Die wichtigsten:
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{| class="wikitable"
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! Buchstabe!! sieht ähnlich aus wie !! klingt ähnlich wie
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Wichtig v.a. für Spalte 3: Bei vielen solchen klassischerweise als „Schreibfehler“ bezeichneten Phänomenen muss es sich gar nicht notwendigerweise um „Schreibfehler“ gehandelt haben, sondern da es zu dieser Zeit noch keine Wörterbücher und standardisierte Schreibungen gab, könnte es sich jeweils auch schlicht um alternative Schreibweisen handeln.
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'''Haplographie''': Folgen zwei gleiche Konsonanten auf- oder stehen sie nah beieinander, konnte leicht vergessen werden, diesen Konsonanten ein zweites Mal zu schreiben.<br >Besonders häufig findet sich dieses Phänomen an Wortgrenzen, wenn also ein Wort auf den selben Konsonanten endet, mit dem auch das folgende Wort beginnt. In diesem Fall ist nicht eigentlich von einem „Schreibfehler“ zu sprechen, sondern von phonetischer Schreibweise: Ähnlich wie im gesprochenen Deutsch in solchen Fällen beide Vokale „verschmelzen“ („Wir gehen nach Hause“ = ''Wirgeh<u>n</u>a<u>ch</u>ause''), taten sie das auch im Hebräischen und ein Schreiber schrieb dies, wie man es sprach.
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'''Dittographie''': Ein Schreiber konnte häufig aus Versehen einen Konsonanten doppelt schreiben. Auch dies findet sich besonders häufig an Wortgrenzen; wahrscheinlich handelt es sich hier dann um nachträgliche falsche Korrekturen von mutmaßlicher phonetischer Schreibung, wie sie eben erläutert wurde.
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'''Homoiarkton''': Beginnen in einem Satz mehrere Worte mit den selben Konsonanten, konnte es passieren, dass die Augen des Schreibers beim Schreiben des ersten Wortes zum nächsten Wort sprangen, er stattdessen beim nächsten Wort weiterschrieb und das erste und die dazwischenliegenden Worte vergaß.
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'''Homoiteleuton''': Das selbe Phänomen findet sich auch in Fällen, wenn mehrere Worte mit den selben Konsonanten enden.
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'''Metathesis''': Vertauschung der Reihenfolge zweier aufeinanderfolgender Konsonanten.
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'''Kombination mehrerer Lesarten''': Falsche Schreibungen wurden gelegentlich nachträglich korrigiert, indem das richtige Wort über das falsche Wort geschrieben wurde. Spätere Schreiber schrieben dann gar nicht selten sowohl das falsche als auch das richtige Wort in den Fließtext. Bei 2 Sam 22 / Ps 18 findet sich z.B. in der Handschrift 4QSam<sup>a</sup> in V. 37 eine solche „supralineare“ Korrektur eines Schreibfehlers, die Kombination zweier Lesarten findet sich sicher in V. 43 und vermutlich in V. 39.
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'''Falsche / „falsche“ Einfügung von Matres lectionis''': Die Matres lectionis sind im Masoretischen Text wie gesagt nicht so konsequent gesetzt wie z.B. in vielen Qumran-Handschriften. Häufig ergänzten Schreiber daher nachträglich solche Matres lectionis – häufig an richtigen Stellen, manchmal aber auch an falschen Stellen, so dass dadurch der Sinn des Wortes verändert wurde.
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'''Falsche Vokalisierung''': Die heute gebräuchliche Vokalisierung stammt aus dem 8./9. Jh. n. Chr. Die Konsonanten vieler Wörter in der heb. Bibel könnten auf verschiedene Weisen vokalisiert werden, was häufig eine unterschiedliche Wortbedeutung ergibt. Dass die Masoreten ein Wort auf eine bestimmte Weise vokalisierten, frühere Übersetzungen die Vokalisierung eines Wortes aber anders deuteten und/oder die richtige Vokalisierung des Wortes vermutlich in der Tat eine andere ist, findet sich sehr häufig.
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'''Zeilensprung''': Ein Phänomen, dass sich besonders häufig in der biblischen Poesie findet, die schon in masoretischen Handschriften und auch schon vorher Zeile für Zeile und nicht kontinuierlich geschrieben wurde. Gelegentlich übersprang ein Schreiber beim Abschreiben biblischer Texte ganze Zeilen; manchmal wurden diese Zeilen dann nach den bereits geschriebenen Zeilen „nachgeliefert“. In 2 Sam 22 / Ps 18 etwa ist in V. 45 in 2 Sam die Reihenfolge der ersten zwei Zeilen eine andere als in Ps 18.
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'''Falsche Aufteilung in Verse / Kapitel''': Die schriftliche Aufteilung in Verse stammt wie gesagt aus dem 8-10. Jh. n. Chr., die Aufteilung in Kapitel gar erst aus dem 13./15. Jh. Auch hier finden sich nicht selten Fehler. <br />Schöne Beispiele für Fehler bei der Aufteilungen in Kapitel sind schon das erste Kapitel der Bibel, [[Gen 1]], das nicht mit V. 31, sondern erst bei [[Gen 2#s3 |Gen 2,3]] endete, oder das sog. „vierte Gottesknechtslied“, das sich hauptsächlich in [[Jesaja 53 |Jes 53]] findet, dessen erste beide Verse aber noch in [[Jesaja 52 |Jes 52]] zu finden sind.
  
 
==Durchführung: 2 Sam 22 und Ps 18==
 
==Durchführung: 2 Sam 22 und Ps 18==
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{{L|1}} '''''Für den Chorleiter. Vom Diener JHWHs, von David, welcher sprach zu JHWH die Worte dieses Lieds am Tag, als JHWH ihn rettete aus der Handfläche all seiner Feinde und aus der Handfläche''' (Hand)<ref>'''Textkritik''': In den meisten heb. Handschriften des Psalms – auch in 11QPs<sup>c</sup> – steht hier „Hand“, in den meisten heb. Handschriften von 2 Sam „Handfläche“, also das selbe Wort wie zuvor. Einige heb. Handschriften des Psalms  gleichen die Formulierung des Psalms an die von 2 Sam an, einige heb. Handschriften von 2 Sam an die des Psalms. LXX und VUL (und Hier) haben an beiden Stellen das selbe Wort. Das aber ist nicht aussagekräftig: Auch sonst, wenn sich in einem Vers „Handfläche“ und „Hand“ beieinander finden, übersetzen LXX und VUL die beiden Wörter häufig mit dem selben Wort, s. z.B. [[Psalm 71#s4 |Ps 71,4]]; [[Jesaja 1#s15 |Jes 1,15]]; [[Jesaja 62#3 |62,3]]; [[Jeremia 15#s21 |Jer 15,21]]; anders aber z.B. [[Sprichwörter 31#s19 |Spr 31,19f.]].<br />Tg gleicht beide Stellen aneinander an, ändert aber jeweils das zweite Wort in „Schwert“, wohl in Orientierung an [[Psalm 17#s13 |Ps 17,13f.]]. Syr übersetzt in 2 Sam eine sehr andere Überschrift und hat den Vers in Ps gar nicht. Von Aq, Sym und Theod sind hier keine wichtigen Lesarten überliefert. Tg, Syr, Aq, Sym und Theod können für diese Frage also vernachlässigt werden. Können Textzeugen für eine textkritische Frage vernachlässigt werden, erwähnt man sie in der Textkritik i.d.R. nicht; wird im Folgenden also nichts über bestimmte Textzeugen gesagt, heißt das, dass sie für die jeweilige textkritische Frage keine Rolle spielen.<br />
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Man könnte diese unterschiedlichen Lesarten entweder (1) damit erklären, dass schon in der Phase der mündlichen Tradierung die beiden Varianten entstanden und so von Beginn der Niederschrift an nebeneinander standen, (2) damit, dass in Ps das eine der beiden gleichen Wörter variiert werden sollte und daher nachträglich zu „Hand“ geändert wurde oder (3) dass in 2 Sam die beiden unterschiedlichen Wörter aneinander angeglichen werden sollten und daher nachträglich das „Hand“ an „Handfläche“ angeglichen werden sollte. Ebenso, wie sich häufig die Variation ''kaph'' („Handfläche“) - ''jad'' („Hand“) findet (s.o.), findet sich auch häufiger ein doppeltes ''(mi)jad ... u(mi)jad'' („(aus) der Hand ... und (aus) der Hand“) oder ''(mi)kaf ... u(mi)kaf'' („(aus) der Handfläche ... und (aus) der Handfläche“); s. z.B. [[Genesis 9#s5 |Gen 9,5]]; [[Exodus 18#s10 |Ex 18,10]]; [[Richter 6#s9 |Ri 6,9]] für ''jad'' und [[2 Könige 16#s7 |2 Kön 16,7]] für ''kaf''. Es lässt sich also kein guter Grund dafür ausmachen, warum ein Schreiber die Abfolge ''mikaf ... umijad'' oder ''mikaf ... umikaf'' verändern hätte sollen; man sollte also von zwei nebeneinander bestehenden Traditionen ausgehen und in 2 Sam das zweite Wort ebenfalls mit „Handfläche“, in Ps aber mit „Hand“ übersetzen.</ref> '''Sauls.'''''
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{{L|2}} '''Und er sagte:'''
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<poem>'''Ich will dich lieben, JHWH, meine Stärke!''' ({<s>Ich will dich lieben, JHWH, meine Stärke</s>}, Deine Erbarmungen, JHWH, [sind] meine Stärke)'''!'''<ref>'''Textkritik''': Der erste Satz des Gedichts findet sich in der Ps-Version, nicht aber in der 2 Sam-Version. LXX, Aq, Sym, Theod, Tg, VUL stimmen mit ihren jeweiligen Quelltexten überein. Syr hat den Satz in beiden Versionen, gleicht aber häufig die eine Version an die andere an. Das heb. Wort für „ich will dich lieben“ ist ein Aramäismus. Früher hat man solche Aramäismen fast automatisch für spätere Einfügungen gehalten, weil der Einfluss des Aramäischen auf das Bibelhebräische in der spätbiblischen Zeit stark zunahm. Einige ältere Exegeten betrachten den Satz daher auf dieser Grundlage als spätere Einfügung. Mittlerweile weiß man aber, dass einzelnen Aramäismen nur schlecht als Indizien zur Datierung dienen können. Weder bei den Textzeugen noch in der Formulierung finden sich also Indizien, auf deren Basis man die eine Variante für ursprünglicher als die andere halten könnte; man sollte also davon ausgehen, dass die Version mit und die Version ohne diesen Satz zwei nebeneinander stehende Texttraditionen sind und in Ps mit diesem Satz, in 2 Sam ohne ihn übersetzen.<br />In 11QPs<sup>c</sup> sind statt dem Wort ''´erchamka'' die drei Konsonanten ''rchm[  ]'' erhalten. Van der Ploeg vermutet, es seien die Anfangsbuchstaben von ''rechamtik'' („Ich ''liebe'' (statt: will lieben) dich“) wie in [[Jesaja 54#s8 |Jes 54,8]]; [[Jesaja 60#s10 |60,10]]. Für diese Änderung gäbe es aber keinen Anlass. Näher liegt vielleicht die Annahme, dass der Wortbeginn zu ergänzen ist zu ''rachameka'' („deine Erbarmungen“), wie es sich noch häufiger mit folgendem „JHWH“ in den Ps findet: s. bes. [[Psalm 25#s6 |Ps 25,6]]; [[Psalm 119#s156 |119,156]]; auch [[Psalm 40#s11 |40,11]]; [[Psalm 51#s3 |51,3]]; [[Psalm 69#s16 |69,16]]; [[Psalm 79#s8 |79,8]]; [[Psalm 119#s77 |119,77]]. Diese Korrektur liegt nahe; ''racham'' steht eigentlich nicht für das Lieben hierarchisch tiefer Stehender, sondern das müttergleiche Erbarmen vonseiten Höhergestellter; der Satz in Ps ist daher recht hart. Die Version in 11QPs<sup>c</sup> dagegen wäre zu übersetzen als „Deine Erbarmungen, JHWH, [sind] meine Stärke“, woran sich dann sehr glatt V. 3 anschlösse. Diese Variante ist aber nur hier bezeugt und daher wohl als nachträgliche Korrektur zu werten.</ref>
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Version vom 20. Juli 2018, 23:29 Uhr

In 2 Sam 22 und Ps 18 findet sich zwei Mal das selbe (mit 51 Versen recht lange) Gedicht. Beide Versionen unterscheiden sich sehr deutlich, nämlich nach einer Berechnung von Clines 2012, S. 213 bei mehr als jedem vierten Wort. Weil damit die Textkritik der beiden Kapitel sehr komplex ist und sie sich wie kein anderes Kapitel in der Bibel für eine Einführung in die Textkritik der hebräischen Bibel eignen, soll auf dieser Seite beides dargeboten werden: In Abschnitt 1 wird kürzestmöglich in die Textkritik eingeführt, um diese dann in Abschnitt 2 anhand dieser beiden Kapitel vor- und durchzuführen.

Einführung: Textkritik des Alten Testaments[Bearbeiten]

Die Offene Bibel übersetzt die im Hebräischen erhaltenen Bücher aus dem sogenannten „Kodex Leningradensis“, der – neben dem „Kodex Aleppo“ – ältesten Handschrift, die den gesamten jüdischen Textkanon überliefert. Ersterer stammt aus dem Jahr 1009 n. Chr., letzterer aus dem Jahr 925 n. Chr. Beide Handschriften sind damit teilweise weit über 1000 Jahre jünger als die Texte, die sie überliefern. Neben diesen beiden Handschriften gibt es eine große Zahl weiterer hebräischer und aramäischer Handschriften älteren Datums, in denen ebenfalls Teile dieser Texte überliefert sind; außerdem existiert eine Reihe von sehr alten Übersetzungen, die zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und dem 5. Jh. n. Chr. entstanden sind.
Sehr häufig differieren diese „Textzeugen“. Sehr grob lassen sich solche Differenzen auf drei Weisen erklären:

  1. Vor der schriftlichen Fixierung der biblischen Texte wurden diese vermutlich lange Zeit mündlich tradiert. Im Verlauf dieser Tradierung konnten unterschiedliche Varianten entstanden sein, die dann in unterschiedlichen Verschriftlichungen Eingang gefunden haben.
  2. In den (viel häufigeren) Fällen, in denen man davon ausgehen kann, dass die unterschiedlichen Varianten einer Textstelle auf einem einheitlichen „Urtext“ basieren, können diese Varianten durch Lese- und Schreibfehler entstanden sein und sich dann im Verlauf der Textgeschichte verselbstständigt haben.
    Ein Beispiel: Nehmen wir an, ein Tiroler Autor habe „Ich fahre nach Bozen“ schreiben wollen, aus Versehen aber „Ich fahre nach Bouzen“ (Variante a) geschrieben. Nehmen wir weiter an, ein Schreiber habe dies korrigiert nach „Ich fahre nach Bozen“ (Variante b), ein zweiter Schreiber dagegen nach „Bautzen“ (Variante c). Nehmen wir schließlich an, ein italienischer Übersetzer habe den Text mit Variante b vorliegen gehabt und daher „Bolzano“ übersetzt, ein französischer Übersetzer dagegen den Text mit Variante c als „Budisse“ übertragen. Vergliche nun jemand die fünf Texte, fänden sich die drei Varianten (a) „Bouzen“, (b) „Bozen“ + „Bolzano“, (c) „Bautzen“ + „Budisse“. Dies ist die Situation, mit der man sich am häufigsten bei der Textkritik des AT konfrontiert sieht.
  3. Der Text könnte bewusst geändert worden sein. Besonders deutliche Beispiele dafür sind etwa die aramäischen Targumim, die oft Auslegungen, Ausdeutungen u.ä. direkt in die Übersetzung des hebräischen Textes einschalten. Ein weiteres Beispiel ist der „Samaritanische Pentateuch“, eine Pentateuch-Variante der religiösen Gruppe der Samaritaner, in deren Glauben der Berg Garizim eine besondere Rolle spielte und die deshalb einige Änderungen im Text vornahmen. Im Dekalog zum Beispiel wird das neunte und zehnte zu einem Gebot zusammengefasst und als neues zehntes Gebot erlassen, einen Altar auf dem Garizim zu bauen.

Die Aufgabe der Textkritik ist es, die Varianten einer Textstelle zu sammeln und zu erklären, wie sie zustande kamen, um so idealiter beurteilen zu können, ob man von ihnen auf einen gemeinsamen „Urtext“ schließen kann. Beim obigen Beispiel zu (2) etwa könnte ein Textkritiker aus den ihm vorliegenden Varianten folgern, dass sich die drei Varianten am leichtesten so erklären lassen, dass Variante b und Variante c aus Variante a entstanden sind („Bozen“ <= „Bouzen“ => „Bautzen“), und aus der Tatsache, dass die Zeile von einem Tiroler stammt, folgern, dass er statt dem sinnlosen „Bouzen“ vermutlich wirklich „Bozen“ hatte schreibe wollen.
Grundlage der Arbeit eines Textkritikers ist daher der Umgang mit den unterschiedlichen „Textzeugen“ der hebräischen Bibel.

Die Textzeugen des Alten Testaments[Bearbeiten]

Hebräische und aramäische Textzeugen[Bearbeiten]

Masoretischer Text[Bearbeiten]

Wie gesagt ist vor der schriftlichen Fixierung der biblischen Texte eine längere Phase der mündlichen Tradierung derselben anzusetzen. Wann genau die Phase der mündlichen von der der schriftlichen Tradierung abgelöst wurde, ist unsicher; die ersten erhaltenen schriftlichen Belege sind Kleinst-ausschnitte aus dem Buch Numeri aus dem frühen 6. Jh. v. Chr. Sicher ist aber, dass etwa ab dem 3. Jh. v. Chr. diese Verschriftlichungen schon zu Schriftsammlungen zusammengefasst wurden, die man bereits zu dieser Zeit grob aufteilte in die drei Gruppen „Torah“, „Propheten“ und „Schriften“ (s. Sir 38,34-39,1; 2 Makk 2,13-15). Sicher ist außerdem, dass in dieser Anfangszeit der schriftlichen Fixierung diese Verschriftlichungen noch recht divergent waren und sich zu mehreren Tradierungs-„familien“ verselbstständigten.
Man kann es sich mit dem obigen Beispiel so vorstellen, dass Varianten a-c immer weiter vervielfältigt wurden, bis Variante a in einer Personengruppe A und Variante b in den beiden Personengruppen B und Z zirkulierten. Variante c war nicht sehr beliebt, aber bei den Personengruppen A und Z bekannt, so dass diese beiden Personengruppen (nicht aber Personengruppe B) sie gelegentlich statt „ihrer“ Variante in eine neue Abschrift des Satzes übernahmen. Würde einige hundert Jahre später ein Forscher viele Abschriften unseres Beispielsatzes in die Hände bekommen, könnte er also feststellen, dass sich (1) für Gruppe A besonders häufig „Bouzen“ und gelegentlich „Bautzen“ findet, (2) für Gruppe B nur „Bozen“ und (3) für Gruppe Z ebenfalls besonders häufig „Bozen“, gelegentich aber auch „Bautzen“. Personengruppen A, B und Z in diesem Beispiel wären in der Fachsprache „Täger-“ oder „Tradierungskreise“, die Dokumente , auf denen sich die Abschrift unseres Satzes findet, „Handschriften“ oder „Manuskripte“ (kurz „MSS“ oder „mss“), die „Varianten“, die sich auf ihnen finden, „Lesarten“ und jeweils die Gruppen von Manuskripten, auf denen sich je die Varianten a, b oder c finden, „Texttypen“ oder „Textfamilien“.
Der sog. „masoretische Text“ ist einer dieser Texttypen und als solcher weder der wichtigste noch der richtigste. Ungefähr ab dem Ende des 1./Anfang des 2. Jh.s n. Chr. aber war es dieser Texttyp, der sich gegenüber vielen anderen Texttypen durchgesetzt hat; von dieser Zeit an wurde als der hebräische Text der Bibel fast ausschließlich diese Textfamilie tradiert.

Im Verlauf der Tradierung wurden einige Änderungen an den Texten vorgenommen, die wieder Grund für Divergenzen zwischen Manuskripten dieser Textfamilie sein konnten. Ursprünglich war das hebräische eine phonetische Konsonantenschrift. D.h.: (1) Ausschließlich die Konsonanten der hebräischen Wörter wurden aufgeschrieben, die Vokale musste sich ein Leser hinzudenken. (2) Anders als heute gab es zu dieser Zeit keine Lexika oder standardisierte Schreibweisen; geschrieben wurde, wie die Konsonanten des Wortes sich ungefähr anhörten (s. dazu u. unter „Gründe für Unterschiede zwischen Textzeugen...“).
Um das Ergänzen der Vokale beim Lesen zu erleichtern, erfand man schon recht früh das System der „Matres lectionis“: Die vier Konsonanten Aleph, He, Waw und Jod wurden zusätzlich zu den „eigentlichen“ Konsonanten in den Text eingefügt, um nicht als tatsächliche Konsonanten zu dienen, sondern um zu markieren, dass hier ein bestimmter Vokal zu lesen sei. Diese Einfügung erfolgte aber nicht immer konsequent; einer der häufigsten Unterschiede zwischen Manuskripten des masoretischen Textes sind Unterschiede beim Einsatz oder Wegfall von Matres lectionis. Wird eine solche Mater lectionis gesetzt, spricht man von „Scriptio plena“, wird sie nicht gesetzt, von „Scriptio defectiva“. Erst ab dem 6. / 7. Jh. n. Chr. erfand man eindeutigere Systeme zur wirklichen „Vokalisierung“ hebräischer Texte. Das in den biblischen Texten zum Einsatz kommende „tiberische Punktationssystem“ wurde gar erst ab dem 8. Jh. verwendet, das älteste erhaltene Manuskript mit biblischen Texten, in denen dieses zum Einsatz kommt, stammt aus dem 10. Jh. Etwa zeitgleich wurde der Text außerdem angereichert um „Akzente“, eine Art System zur Notation des musikalischen Vortrags, das als solches nebenbei auch Auskunft über Betonung hebräischer Wörter und die Syntax der hebräischen Sätze gab und auch markierte, wann ein Vers zu Ende sei und der nächste beginne.
Die Aufteilung der biblischen Texte in Kapitel schließlich wurde erst im 13. Jh. von Kardinal Hugo in die Vulgata (s.u.) eingeführt und von dort im 15. Jh. in den masoretischen Text übertragen.

Von diesem im Laufe der Zeit immer wieder abgeschriebenen und überarbeiteten Text sind die oben genannten Codices „Aleppo“ und „Leningradensis“ zwei Handschriften von vielen, und wieder nicht die richtigsten, aber insofern die wichtigsten, als sie die ältesten Handschriften sind, die den gesamten Text der hebräischen Bibel enthalten. Neben diesen beiden Codices sind viele ältere, aber nur fragmentarische und viele ebenfalls vollständige, aber jüngere Manuskripte erhalten. Weil es auch zwischen Kodex Aleppo und Codex Leningradensis und auch zwischen diesen und den anderen Manuskripten viele Unterschiede gibt, veröffentlichte im 18. Jh. Benjamin Kennicott sein wichtiges zweibändiges Werk „Vetus Testamentum hebraicum cum variis lectionibus“ („Hebräisches Altes Testament mit verschiedenen Lesarten“), in dem zum ersten Mal systematisch versucht wurde, diese Unterschiede zwischen Manuskripten zu sammeln. Wegen einiger konzeptioneller Schwächen und Fehler in diesem Werk begann wenige Jahre später Giovanni Bernardo De Rossi, seinerseits Manuskripte zu vergleichen. Von 1784-88 erschien dann sein fünfbändiges „Variae Lectiones Veteris Testamenti“, in dem über 1400 Handschriften und Bibelausgaben miteinander verglichen wurden (Links zu Band 1, Band 2, Band 3, Band 4, Band 5).

Der Codex Leningradensis ist die Textbasis der kritischen Edition der „Biblia Hebraica Stuttgartensia“, von der gerade die Neuauflage „Biblia Hebraica Quinta“ in Arbeit ist und an der sich die Offene Bibel orientiert. Der Codex Aleppo dagegen ist die Textbasis der „Hebrew University Bible“, von der bisher aber erst drei Bände erschienen sind. Ein drittes Editionsprojekt ist die „Oxford Hebrew Bible“, die sich nicht an einem bestimmten Manuskript orientiert, sondern versucht, aus den verschiedenen Textzeugen den am wahrscheinlichsten ursprünglichen Text zu rekonstruieren. Bisher ist leider erst ein Band erschienen.

Qumran-Handschriften[Bearbeiten]
Weitere wichtige heb. und aram. Textzeugen[Bearbeiten]

Samaritanischer Pentateuch

Cairo Genisa

Masada

Naḥal Ḥever

Murabba´at

Alte Übersetzungen[Bearbeiten]

Septuaginta[Bearbeiten]
Aquila, Symmachus, Theodotion[Bearbeiten]
Vetus Latina[Bearbeiten]
Vulgata[Bearbeiten]

Auch: Psalterium iuxta Hebraeos

Peschitta[Bearbeiten]
Targumim[Bearbeiten]
Weitere Übersetzungen[Bearbeiten]
Mischna, Tosefta und Talmud[Bearbeiten]
Kommentatoren[Bearbeiten]

Gründe für Unterschiede zwischen Textzeugen des Alten Testaments[Bearbeiten]

Wie oben schon gesagt lassen sich Differenzen zwischen Textzeugen des Alten Testaments grob erklären durch (1) alternative Texttraditionen, (2) Lese- und Schreibfehler und (3) bewusste Änderungen am Text. (1) und (3) sind so komplex, dass sie sich nur schwer noch weiter kategorisieren lassen, für (2) gibt es aber eine Reihe von Standardfällen. Viele davon hat Delitzsch in seinen „Lese- und Schreibfehler im Alten Testament“ erläutert und Beispiele dafür zusammengetragen; hier nur die wichtigsten:

Verlesungen / Verschreibungen

Einige hebräische Konsonanten sehen einander so ähnlich, dass sie leicht verlesen werden konnten; andere wiederum klingen einander so ähnlich, dass sie leicht verlesen werden konnten. Die wichtigsten:

Buchstabe sieht ähnlich aus wie klingt ähnlich wie
א ´ - ע `
ב b ד d
כ k
ר r
פ p
ג g ו w
ז z
נ n
-
ד d ז z
ך k
ר r
-
ה h ח ch
ת t
ח ch
ו w ז z
י j
נ n
-
ז z ו w צ ts
ח ch ה h
ת t
ה h
כ k
ט ț ש ß / sch ת t
י j ו w -
כ k ב b
פ p
ח ch
ס s ם m צ ts
ש ß / sch
ע ` צ ts א ´
פ p כ k ב b
צ ts ע ` ס s
ש ß / sch
ר r ד d
ו w
-
ש ß / sch ט ț ס s
צ ts
ת t ה h
ח ch
ט ț

Wichtig v.a. für Spalte 3: Bei vielen solchen klassischerweise als „Schreibfehler“ bezeichneten Phänomenen muss es sich gar nicht notwendigerweise um „Schreibfehler“ gehandelt haben, sondern da es zu dieser Zeit noch keine Wörterbücher und standardisierte Schreibungen gab, könnte es sich jeweils auch schlicht um alternative Schreibweisen handeln.

Haplographie: Folgen zwei gleiche Konsonanten auf- oder stehen sie nah beieinander, konnte leicht vergessen werden, diesen Konsonanten ein zweites Mal zu schreiben.
Besonders häufig findet sich dieses Phänomen an Wortgrenzen, wenn also ein Wort auf den selben Konsonanten endet, mit dem auch das folgende Wort beginnt. In diesem Fall ist nicht eigentlich von einem „Schreibfehler“ zu sprechen, sondern von phonetischer Schreibweise: Ähnlich wie im gesprochenen Deutsch in solchen Fällen beide Vokale „verschmelzen“ („Wir gehen nach Hause“ = Wirgehnachause), taten sie das auch im Hebräischen und ein Schreiber schrieb dies, wie man es sprach.

Dittographie: Ein Schreiber konnte häufig aus Versehen einen Konsonanten doppelt schreiben. Auch dies findet sich besonders häufig an Wortgrenzen; wahrscheinlich handelt es sich hier dann um nachträgliche falsche Korrekturen von mutmaßlicher phonetischer Schreibung, wie sie eben erläutert wurde.

Homoiarkton: Beginnen in einem Satz mehrere Worte mit den selben Konsonanten, konnte es passieren, dass die Augen des Schreibers beim Schreiben des ersten Wortes zum nächsten Wort sprangen, er stattdessen beim nächsten Wort weiterschrieb und das erste und die dazwischenliegenden Worte vergaß.

Homoiteleuton: Das selbe Phänomen findet sich auch in Fällen, wenn mehrere Worte mit den selben Konsonanten enden.

Metathesis: Vertauschung der Reihenfolge zweier aufeinanderfolgender Konsonanten.

Kombination mehrerer Lesarten: Falsche Schreibungen wurden gelegentlich nachträglich korrigiert, indem das richtige Wort über das falsche Wort geschrieben wurde. Spätere Schreiber schrieben dann gar nicht selten sowohl das falsche als auch das richtige Wort in den Fließtext. Bei 2 Sam 22 / Ps 18 findet sich z.B. in der Handschrift 4QSama in V. 37 eine solche „supralineare“ Korrektur eines Schreibfehlers, die Kombination zweier Lesarten findet sich sicher in V. 43 und vermutlich in V. 39.

Falsche / „falsche“ Einfügung von Matres lectionis: Die Matres lectionis sind im Masoretischen Text wie gesagt nicht so konsequent gesetzt wie z.B. in vielen Qumran-Handschriften. Häufig ergänzten Schreiber daher nachträglich solche Matres lectionis – häufig an richtigen Stellen, manchmal aber auch an falschen Stellen, so dass dadurch der Sinn des Wortes verändert wurde.

Falsche Vokalisierung: Die heute gebräuchliche Vokalisierung stammt aus dem 8./9. Jh. n. Chr. Die Konsonanten vieler Wörter in der heb. Bibel könnten auf verschiedene Weisen vokalisiert werden, was häufig eine unterschiedliche Wortbedeutung ergibt. Dass die Masoreten ein Wort auf eine bestimmte Weise vokalisierten, frühere Übersetzungen die Vokalisierung eines Wortes aber anders deuteten und/oder die richtige Vokalisierung des Wortes vermutlich in der Tat eine andere ist, findet sich sehr häufig.

Zeilensprung: Ein Phänomen, dass sich besonders häufig in der biblischen Poesie findet, die schon in masoretischen Handschriften und auch schon vorher Zeile für Zeile und nicht kontinuierlich geschrieben wurde. Gelegentlich übersprang ein Schreiber beim Abschreiben biblischer Texte ganze Zeilen; manchmal wurden diese Zeilen dann nach den bereits geschriebenen Zeilen „nachgeliefert“. In 2 Sam 22 / Ps 18 etwa ist in V. 45 in 2 Sam die Reihenfolge der ersten zwei Zeilen eine andere als in Ps 18.

Falsche Aufteilung in Verse / Kapitel: Die schriftliche Aufteilung in Verse stammt wie gesagt aus dem 8-10. Jh. n. Chr., die Aufteilung in Kapitel gar erst aus dem 13./15. Jh. Auch hier finden sich nicht selten Fehler.
Schöne Beispiele für Fehler bei der Aufteilungen in Kapitel sind schon das erste Kapitel der Bibel, Gen 1, das nicht mit V. 31, sondern erst bei Gen 2,3 endete, oder das sog. „vierte Gottesknechtslied“, das sich hauptsächlich in Jes 53 findet, dessen erste beide Verse aber noch in Jes 52 zu finden sind.

Durchführung: 2 Sam 22 und Ps 18[Bearbeiten]

1 Für den Chorleiter. Vom Diener JHWHs, von David, welcher sprach zu JHWH die Worte dieses Lieds am Tag, als JHWH ihn rettete aus der Handfläche all seiner Feinde und aus der Handfläche (Hand)a Sauls. 2 Und er sagte:

Ich will dich lieben, JHWH, meine Stärke! ({Ich will dich lieben, JHWH, meine Stärke}, Deine Erbarmungen, JHWH, [sind] meine Stärke)!b
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51

aTextkritik: In den meisten heb. Handschriften des Psalms – auch in 11QPsc – steht hier „Hand“, in den meisten heb. Handschriften von 2 Sam „Handfläche“, also das selbe Wort wie zuvor. Einige heb. Handschriften des Psalms gleichen die Formulierung des Psalms an die von 2 Sam an, einige heb. Handschriften von 2 Sam an die des Psalms. LXX und VUL (und Hier) haben an beiden Stellen das selbe Wort. Das aber ist nicht aussagekräftig: Auch sonst, wenn sich in einem Vers „Handfläche“ und „Hand“ beieinander finden, übersetzen LXX und VUL die beiden Wörter häufig mit dem selben Wort, s. z.B. Ps 71,4; Jes 1,15; 62,3; Jer 15,21; anders aber z.B. Spr 31,19f..
Tg gleicht beide Stellen aneinander an, ändert aber jeweils das zweite Wort in „Schwert“, wohl in Orientierung an Ps 17,13f.. Syr übersetzt in 2 Sam eine sehr andere Überschrift und hat den Vers in Ps gar nicht. Von Aq, Sym und Theod sind hier keine wichtigen Lesarten überliefert. Tg, Syr, Aq, Sym und Theod können für diese Frage also vernachlässigt werden. Können Textzeugen für eine textkritische Frage vernachlässigt werden, erwähnt man sie in der Textkritik i.d.R. nicht; wird im Folgenden also nichts über bestimmte Textzeugen gesagt, heißt das, dass sie für die jeweilige textkritische Frage keine Rolle spielen.
Man könnte diese unterschiedlichen Lesarten entweder (1) damit erklären, dass schon in der Phase der mündlichen Tradierung die beiden Varianten entstanden und so von Beginn der Niederschrift an nebeneinander standen, (2) damit, dass in Ps das eine der beiden gleichen Wörter variiert werden sollte und daher nachträglich zu „Hand“ geändert wurde oder (3) dass in 2 Sam die beiden unterschiedlichen Wörter aneinander angeglichen werden sollten und daher nachträglich das „Hand“ an „Handfläche“ angeglichen werden sollte. Ebenso, wie sich häufig die Variation kaph („Handfläche“) - jad („Hand“) findet (s.o.), findet sich auch häufiger ein doppeltes (mi)jad ... u(mi)jad („(aus) der Hand ... und (aus) der Hand“) oder (mi)kaf ... u(mi)kaf („(aus) der Handfläche ... und (aus) der Handfläche“); s. z.B. Gen 9,5; Ex 18,10; Ri 6,9 für jad und 2 Kön 16,7 für kaf. Es lässt sich also kein guter Grund dafür ausmachen, warum ein Schreiber die Abfolge mikaf ... umijad oder mikaf ... umikaf verändern hätte sollen; man sollte also von zwei nebeneinander bestehenden Traditionen ausgehen und in 2 Sam das zweite Wort ebenfalls mit „Handfläche“, in Ps aber mit „Hand“ übersetzen. (Zurück zu Lesefassung v.1)
bTextkritik: Der erste Satz des Gedichts findet sich in der Ps-Version, nicht aber in der 2 Sam-Version. LXX, Aq, Sym, Theod, Tg, VUL stimmen mit ihren jeweiligen Quelltexten überein. Syr hat den Satz in beiden Versionen, gleicht aber häufig die eine Version an die andere an. Das heb. Wort für „ich will dich lieben“ ist ein Aramäismus. Früher hat man solche Aramäismen fast automatisch für spätere Einfügungen gehalten, weil der Einfluss des Aramäischen auf das Bibelhebräische in der spätbiblischen Zeit stark zunahm. Einige ältere Exegeten betrachten den Satz daher auf dieser Grundlage als spätere Einfügung. Mittlerweile weiß man aber, dass einzelnen Aramäismen nur schlecht als Indizien zur Datierung dienen können. Weder bei den Textzeugen noch in der Formulierung finden sich also Indizien, auf deren Basis man die eine Variante für ursprünglicher als die andere halten könnte; man sollte also davon ausgehen, dass die Version mit und die Version ohne diesen Satz zwei nebeneinander stehende Texttraditionen sind und in Ps mit diesem Satz, in 2 Sam ohne ihn übersetzen.
In 11QPsc sind statt dem Wort ´erchamka die drei Konsonanten rchm[ ] erhalten. Van der Ploeg vermutet, es seien die Anfangsbuchstaben von rechamtik („Ich liebe (statt: will lieben) dich“) wie in Jes 54,8; 60,10. Für diese Änderung gäbe es aber keinen Anlass. Näher liegt vielleicht die Annahme, dass der Wortbeginn zu ergänzen ist zu rachameka („deine Erbarmungen“), wie es sich noch häufiger mit folgendem „JHWH“ in den Ps findet: s. bes. Ps 25,6; 119,156; auch 40,11; 51,3; 69,16; 79,8; 119,77. Diese Korrektur liegt nahe; racham steht eigentlich nicht für das Lieben hierarchisch tiefer Stehender, sondern das müttergleiche Erbarmen vonseiten Höhergestellter; der Satz in Ps ist daher recht hart. Die Version in 11QPsc dagegen wäre zu übersetzen als „Deine Erbarmungen, JHWH, [sind] meine Stärke“, woran sich dann sehr glatt V. 3 anschlösse. Diese Variante ist aber nur hier bezeugt und daher wohl als nachträgliche Korrektur zu werten. (Zurück zu Lesefassung v.2)