Amos 4

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Status: Studienfassung in Arbeit – Einige Verse des Kapitels sind bereits übersetzt. Wer die biblischen Ursprachen beherrscht, ist zum Einstellen weiterer Verse eingeladen. Auf der Diskussionsseite kann die Arbeit am Urtext dokumentiert werden. Dort ist auch Platz für Verbesserungsvorschläge und konstruktive Anmerkungen.
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Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Lesefassung (Amos 4)

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Anmerkungen

Studienfassung (Amos 4)

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4 Kommt nach Bethel und sündigt,
Nach Gilgal, und sündigt noch mehr. (:)
{Und} Bringt eure Schlachtopfer am Morgen,
Am dritten Tag eure Zehnten.a
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Anmerkungen

aWas hier am Zehnt und den anderen Opfern in Vv. 4f. kritikwürdig erscheint, ist schwierig zu erschließen, da sich sehr schwer rekonstruieren lässt, was zur Verfassungszeit des Amosbuches der übliche Zehntbrauch war. Dennoch ist der Zehnt das stärkste Indiz dafür, was hier insgesamt kritisiert wird. In der Amos-Exegese geht man heute zumeist davon aus, dass damit auf eine Praxis angespielt werde, einen Zehnt-Teil aus den Erträgen seiner Felder und seiner Viehwirtschaft auszusondern und diesen dann bei einem rauschenden Fest in einem Heiligtum vor Gott zu verzehren, weshalb viele Israeliten dies um dieses Fests willen „liebten“ – und dies würde hier also kritisiert (so z.B. Rudolph 1971, S. 175). Es ist so wahrscheinlich, dass diese Mehrheitsmeinung falsch ist, dass dieser Frage gleich eine etwas ausführlichere FN gewidmet werden wird. Tatsächlich ist es u.a. gerade dieser Vers, der nahelegt, dass ein solches Fest, wie es des Öfteren im Deuteronomium beschrieben wird, zur Verfassungszeit des Amosbuches noch gar nicht vorausgesetzt werden darf (s.u.). Wahrscheinlicher daher die Erklärung von Koch 1976b, S. 24: „So wird wahrscheinlich das Darbringen von Opfer und Zehntem gerügt, weil es aus Gütern besteht, die von den Armen erpreßt sind [...]. So jedenfalls ist der Sinn im jetztigen Zusammenhang.“: Aus diesem Grund wird ein derartiges Opfern dann selbst zur Sünde. Am 4,4 ist dann ein sehr früher Vorläufer von Mt 23,23-28 einerseits und 1 Kor 11,21.27-29 andererseits.
Genauer: Im rabbinische Judentum der Mischna und teilweise auch schon im hellenistischen Judentum wurden insgesamt drei verschiedene Zehntabgaben unterschieden: (1) Der „ersten Zehnt“ (ma'aser rischon) zur Verpflegung der Leviten, die kein eigenes Vieh und keine eigenen Ländereien besaßen und daher auf diese Abgaben angewiesen waren. Die Leviten wiederum hatten von diesem ersten Zehnt ein Zehntel als terumah an die Priester abzutreten. (2) Den „zweiten Zehnt“ (ma'aser scheni). Nach den rabbinischen Bestimmungen musste auch dieser bei der Ernte und/oder Schlachtung ausgesondert werden; von ihm wurde (a) die Pilgerfahrt zu einem Heiligtum bestitten, von ihm wurde (b) am Heiligtum geopfert, um es dann aber (c) selbst in Jerusalem zu verspeisen. In der Amos-Exegese geht mal also unausgesprochen davon aus, dass in Am 4,4 nur von diesem zweiten Zehnt die Rede ist. Die Aussonderung von ma'aser rischon und ma'aser scheni wird übrigens symbolisch noch heute im Judentum durchgeführt und ist eine Bedingung dafür, dass Speisen als koscher eingestuft werden können. (3) Alle drei Jahre hatte ein Israelit außerdem den „Armen-Zehnt“ (ma'aser ani) beiseite zu legen. Binnen der kommenden drei Jahre wurden hiervon Almosen an Bedürftige gegeben, die bei ihnen zuhause vorstellig wurden. Diskutiert wurden im rabbinischen Hebräisch die beiden Varianten, dass der Armenzehnt zusätzlich zum zweiten Zehnt entrichtet werden musste und die, dass er alle drei Jahre als Ersatz für den zweiten Zehnt entrichtet wurde. Diese erste Variante findet sich deutlich schon in JosAnt xxiii 8,22 (1. Jhd. n. Chr.): „Außer den beiden Zehnten, die ihr jährlich abgeben sollt – den einen für die Leviten, den anderen für die Gastmähler – soll in jedem Dritten Jahre ein dritter entrichtet werden für die Verteilung an Witwen und Waisen.“ So auch schon Tob 1,6-8 (2. Jhd. v. Chr.) nach dem Mehrheitstext. Noch häufiger ist in den rabbinischen Schriften aber die zweite Variante, die sich auch schon in Tobit 1,6-8 nach dem Wortlaut des Codex Sinaiticus findet: „Ich ging öfter nach Jerusalem, nahm die Erstlingsfrüchte und die Erstlinge und ein Zehntel des Viehs und die erste Schur der Schafe mit. Diese gab ich den Priestern, den Söhnen Aarons, vor dem Altar, und auch den Zehnt vom Wein, Korn, Olivenöl, den Granatapfeln und dem Rest der Baumfrüchte gab ich den Leviten, die in Jerusalem ihren Dienst taten. Ich pflegte außerdem, innerhalb der sechs Jahre (in denen man anders als in jedem siebten Jahr – dem „Jubeljahr“ – einen Zehnt zu entrichten hatte) einen zweiten Zehnt in Geld umzuwandeln; jedes Jahr ging ich und gab es in Jerusalem aus. Und ich gab davon den Waisen und Witwen und [Besitzlosen]: Ich gab es ihnen in jedem dritten Jahr.“ Eine dritte Variante aus etwa der selben Zeit steht in Dtn 26,12 LXX; hier ist aber unsicher, ob man wirklich von anderen rechtlichen Hintergründen oder von einer falschen Übersetzung der LXX ausgehen muss. Nach dieser nämlich sind der erste Zehnt – der Levitenzehnt – und der Armenzehnt - beide als ein Zehnt nur alle drei Jahre als Ersatz für den zweiten Zehnt – den Kultzehnt – zu entrichten: „Wenn du im dritten Jahr alles Verzehnten deiner Früchte vollendet hast, sollte du (weiterhin) einen zweiten Zehnt dem Leviten, dem [Besitzlosen], der Witwe und der Waise geben; sie sollen es in deinen Städten essen und fröhlich sein.
Der hebräische Text dagegen lautet anders, denn im Pentateuch findet sich mindestens eine vierte, vielleicht und eine fünfte und vielleicht eine sechste Variante: Entweder wird hier von jeweils der selben rechtlichen Regelung jeweils nur ein bestimmter Aspekt ausgeführt, oder den Texten liegen wirklich zwei oder drei unterschiedliche Regelungen zugrunde. Erstens nämlich die deuteronomischen Regelungen: Danach wäre in jedem ersten und zweiten Jahr nur der „zweite Zehnt“ und in jedem dritten Jahr nur der „Leviten- und Armenzehnt“ zu entrichten. Von diesem dritten Jahr ist in Dtn 26,12 die Rede, der im Heb. leicht anders lautet: „Wenn du im dritten Jahr, dem Zehntjahr, alles Verzehnten deiner Früchte vollendet hast, und ihn (den Zehnt) dem Leviten, dem [Besitzlosen], der Waise und der Witwe gegeben hast, damit sie in deinen Toren essen und sich sättigen...(ebenso in Dtn 14,27-29). Der „zweite Zehnt“ dagegen ist in Dtn 12,16f.; 14,22f. geregelt; s. dort. Zweitens in Lev 27,30-32, wo es nur heißt, dass jeder Zehnt-Teil der eigenen Feldfrüchte und Viehwirtschaft „JHWH heilig“ sei. Einige Forscher nehmen dies mit Mal 3,10; Neh 12,44; 13,4f.; 2 Chr 31,11f. zusammen und gehen davon aus, dass hier eine andere rechtliche Regelung vorausgesetzt sei: Der Zehnt sei hier ausschließlich der Vorläufer des rabbinischen „ersten Zehnts“, der also komplett an die Leviten zu entrichten sei und nicht selbst verzehrt oder an Bedürftige abgegeben werde. Und drittens Num 18,21.24, wo offenbar der rabbinische erste und zweite Zehnt mindestens teilweise miteinander identisch sind: „den Zehnten der Israeliten, den sie JHWH als Hebopfer darbringen, habe ich den Leviten als Erbteil bestimmt.(V. 24). Möglicherweise ist dies eine dritte (bzw. sechste) Regelung, die wieder nicht den anderen beiden biblischen entspricht, möglicherweise wird aber eben auch in jeder dieser drei Regelungen – Dtn 12,16f.26f.; 14,22f.27-29; 26,12 zum Ersten, Lev 27,30-32 zum Zweiten und Num 18,21.24 zum Dritten – jeweils nur ein Aspekt einer einheitlichen Praxis näher geregelt (wie z.B. auch m.MS v 9 nur vom ersten Zehnt und Armenzehnt spricht, der zweite Zehnt hier aber sicher ebenfalls vorausgesetzt ist), die dann insgesamt so aussah:
Im jeweils dritten und sechsten Jahr eines Siebenjahres-Zyklus musste jeder Israelit einen Zehnt-Teil seines Ertrags als Almosen für Bedürftige und für Leviten, die nicht an einem Heiligtum bedienstet war, beiseite legen (Dtn 14,28f.; 26,12; ähnlich Tob 1,8). Im jeweils ersten, zweiten, vierten und fünften Jahr dagegen (s. Neh 10,36; Jub 32,10) legte er ihn für sich und für die Leviten und Priester, die an einem Heiligtum Dienst taten, beiseite. Diesen brachte er nach der Ernte zum Heiligtum. Den größten Teil davon trat er an die Leviten ab (Num 18,21.24; Neh 10,38f.; vgl. auch 2 Chr 31,19; Neh 12,44; 13,5.10), die davon wiederum einen Teil an die Priester abtraten (Num 18,26-31; vgl. auch Ex 29,27f.; Lev 7,14; 2 Chr 31,19; Neh 12,44; 13,5). Diese Teile für die Leviten und Priester wurden daher in speziellen Lagerhäusern gelagert (2 Chr 31,5-12; Neh 12,44; 13,4f.12f.; Mal 3,10; die Mischna bestimmt daher, dass nur lagerbare Speisen zehntpflichtig waren: m.Maas i 1.). Einen kleinen Teil davon aber opferte er direkt: Das Blut wurde vor dem Altar ausgeschüttet, Fleisch, Brot etc. dagegen durfte er selbst essen (Dtn 12,6f.16f.26f.; 14,23; Tob 1,8; Jub 32,7.14).
Möglich wäre zweitens, dass man die Regelungen aus Lev 27 und Num 18 bei den Deuteronomium-Stellen mitdenken muss: andernfalls müsste ja der gesamte Zehnt-Teil eines Jahres-Ertrags binnen der kurzen Zeit, die man am Heiligtum verbrachte, nur von den Opfernden und den anwesenden Leviten und Priestern verspeist werden. So scheint es auch in Jub 32,5-9 geschildert zu werden: Jakob opfert seinen Zehnt, isst dann selbst mit seinem Haushalt davon und gibt außerdem einen Teil an seinen Sohn Levi ab, den Vorfahren aller Leviten.
Am besten stimmt aber mit den biblischen Texten die folgende dritte Deutung der biblischen Texte zusammen: Dass nämlich die Abgabe des „zweiten Zehnts“ und „Armenzehnts“ statt dem „ersten Zehnt“ für die Leviten eine Innovation im Deuteronomium war und man also bei Lev 27 und Num 18 noch keinen Brauch voraussetzen darf, nach dem der Zehnt auch nach dem Opfer selbst verspeist wurde und/oder als Almosen diente. Dann wären die Regelungen aus Lev 27 und Num 18 die älteren (die dann in Neh 12,44; 13,4f.; 2Chr 31,11-12 erst wieder instituiert werden mussten). Das ließe sich auch geschichtlich gut erklären: Das Dtn setzt voraus, dass der Kult in allen Heiligtümern außer dem Jerusalemer Tempel aufgegeben worden war. Der Zehnt, der für den Unterhalt dieser Heiligtümer und ihre Bediensteten nötig gewesen war, war damit zu einem großen Teil nicht mehr erforderlich und wurde so frei für eine andere Verwendung, nämlich eben für Opferfeste am Jerusalemer Tempel, an den die Israeliten nunmehr enger gebunden werden sollten, und/oder für Almosen für Bedürftige, zu denen das Dtn auch die nunmehr arbeitslos gewordenen Leviten zählt (s. Dtn 14,29; 16,14; 26,12f.; vgl. gut Ajah 2012, S. 29). Diese Situation setzt auch Neh 13,10 voraus, wo berichtet wird, dass in nachexilischer Zeit an die Leviten kein eigener Zehnt mehr gegeben wurde.
Es gibt noch drei weitere und noch ältere Stellen in der Bibel, die vom Zehnt sprechen, nämlich die beiden Ätiologien in Gen 14,17-20 und Gen 28,22 einerseits und eben Am 4,4 andererseits. Diese machen diese dritte Möglichkeit ebenfalls wahrscheinlicher: In Gen 14,20 ist nur davon die Rede, dass der Priester Melchisedek den Zehnten von Abrahams Gewinn erhält, in Gen 28,22 nur davon, dass Jakob (in Bethel!) den Zehnt seines Ertrags an das Gotteshaus in Bethel abtreten will (auch m.Zeb xiv 8 legt nahe, dass der Zehntbrauch auch auf Kulthöhen gepflegt wurde: „Nachdem Kulthöhen verboten wurden, ... durften allerheiligste Opfer (nur noch) hinter den Vorhängen (des Tempels) gegessen werden, weniger heilige Opfer und der zweite Zehnt innerhalb der Mauern (Jerusalems)“. Dass 2 Chr 31 den Erlass der genaueren Jerusalemer Zehnt-Regelungen in die vordeuteronomische Zeit Hiskijas, des judäischen Königs zur Zeit Tiglat-Pilesers, datiert, muss also kein Anachronismus sein). Von einem selbst verzehrten Zehnt oder einem Almosenzehnt ist also auch hier noch nicht die Rede. Und dann eben Am 4,4: Wenn wir uns die deuteronomische Variante des Zehntgebrauchs schon für die Verfassungszeit des Amosbuches zu denken haben, würde hier ja eine Institution kritisiert, die zumindest teilweise der Armenfürsorge diente - was gerade im Amosbuch nur schwer denkbar ist.
Wenn das aber richtig ist und der Zehnt nach Am 4,4 nicht für den eigenen Genuss gedacht werden darf – was ist dann so kritikwürdig am Zehnt? Offenbar das Selbe, was am Schlachtopfer, am Dankopfer und am freiwilligen Opfer kritikwürdig ist. Denkbar wäre, dass diese Opfer kritikwürdig sind, weil in Bethel und Gilgal nicht (nur) JHWH verehrt und geopfert wurde (so Barstad 1984, S. 57). Aber von anderen Göttern spricht das Amosbuch ja nirgends sonst. Denkbar wäre auch, dass speziell das Opfern in Bethel und Gilgal als nicht-Jerusalem kritikwürdig waren (so z.B. Stuart 1987, S. 337f.). Das könnte auch der Beginn von V. 4 nahelegen, aber Am 5,6 macht wahrscheinlich, dass im Amosbuch anders als im Hoseabuch der Kult in Bethel (und Gigal) an sich gar nicht kritikwürdig ist, sondern dass die Vernichtung Bethels etwas Schlimmes ist, weshalb dann ja auch in Am 3,14 damit gedroht werden kann. Den Alternativvorschlag von Eidevall 2017 verstehe ich nicht; anscheinend soll er eine Präzisierung von Stuart sein, die aber so schlecht zu V. 4 passt, dass ich hoffe, Eidevall falsch zu lesen. Als wahrscheinlichste Deutung dürfte daher die Deutung von Koch bleiben. (Zurück zu v.4)