Amos 5: Unterschied zwischen den Versionen

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{{S|7}} Die Recht-in-Wermut-Verwandler<ref>''Recht in Wermut verwandeln'' - Gut Driver 1915, S. 182: Durch sie entartet also das Recht, das eigentlich ein Instrument für das gute Leben sein soll, zu etwas Bitterem. Wie das funktionieren kann, zeigen Vv. 10-12.</ref> –  
 
{{S|7}} Die Recht-in-Wermut-Verwandler<ref>''Recht in Wermut verwandeln'' - Gut Driver 1915, S. 182: Durch sie entartet also das Recht, das eigentlich ein Instrument für das gute Leben sein soll, zu etwas Bitterem. Wie das funktionieren kann, zeigen Vv. 10-12.</ref> –  
 
_[Die] Gerechtigkeit zu Boden werfen sie!<ref>Prosopopoeia: Wie oben Samaria als Mensch dargestellt wurde, der „zu Boden fallen“ kann, so hier die „Gerechtigkeit“, die „zu Boden geworfen wird“. Nachträglich erweist sich so der Sturz Samarias als Umkehrstrafe: Er wird so geschehen, wie er geschehen wird, weil die Israeliten so handeln, wie sie eben handeln.<br />Wie ''V. 7'' mit den umgebenden Versen zusammenhängt, ist umstritten. Klar ist, dass mit dem „die Dunkelheit zum Morgen ''verwandeln''“ in V. 8 an „Recht in Wermut ''verwandeln''“ angeknüpft wird (um das klarer zu machen, haben wir hier ein „doch“ eingefügt). Klar ist auch, dass nach dem kultkritischen Abschnitt in Vv. 4-6 hier mit der Rede von „Recht“ und „Gerechtigkeit“ ein neues Thema eingeleitet wird, das in V. 10 fortgesetzt wird. Vermutlich sollen daher Vv. 7.8f. zunächst die beiden Parteien identifizieren, bevor dann Vv. 10f. klar machen, wie die zweite Partei auf die erste reagiert (so z.B. Keil 1866, S. 200: „Den Gedankenzusammenhang zwischen v. 8 u. 7 hat Hitzig richtig so angegeben: ‚Sie tun also, während Jehova der Allmächtige ist und plötzlich Verderben über sie bringen kann.‘“). Sehr viele Exegeten ergänzen stattdessen vor V. 7 ein „Weh“ („Weh! (Ach) die, die verwandeln...“), was aber textkritisch überhaupt keine Basis hat, glauben, man könne sich ein solches „Weh“ hier einfach dazudenken (so z.B. Andersen/Freedman; Mays) oder verschieben Verse so, dass V. 10 direkt an V. 7 anschließt. Keine dieser Optionen lässt sich wirklich ernst nehmen.</ref>
 
_[Die] Gerechtigkeit zu Boden werfen sie!<ref>Prosopopoeia: Wie oben Samaria als Mensch dargestellt wurde, der „zu Boden fallen“ kann, so hier die „Gerechtigkeit“, die „zu Boden geworfen wird“. Nachträglich erweist sich so der Sturz Samarias als Umkehrstrafe: Er wird so geschehen, wie er geschehen wird, weil die Israeliten so handeln, wie sie eben handeln.<br />Wie ''V. 7'' mit den umgebenden Versen zusammenhängt, ist umstritten. Klar ist, dass mit dem „die Dunkelheit zum Morgen ''verwandeln''“ in V. 8 an „Recht in Wermut ''verwandeln''“ angeknüpft wird (um das klarer zu machen, haben wir hier ein „doch“ eingefügt). Klar ist auch, dass nach dem kultkritischen Abschnitt in Vv. 4-6 hier mit der Rede von „Recht“ und „Gerechtigkeit“ ein neues Thema eingeleitet wird, das in V. 10 fortgesetzt wird. Vermutlich sollen daher Vv. 7.8f. zunächst die beiden Parteien identifizieren, bevor dann Vv. 10f. klar machen, wie die zweite Partei auf die erste reagiert (so z.B. Keil 1866, S. 200: „Den Gedankenzusammenhang zwischen v. 8 u. 7 hat Hitzig richtig so angegeben: ‚Sie tun also, während Jehova der Allmächtige ist und plötzlich Verderben über sie bringen kann.‘“). Sehr viele Exegeten ergänzen stattdessen vor V. 7 ein „Weh“ („Weh! (Ach) die, die verwandeln...“), was aber textkritisch überhaupt keine Basis hat, glauben, man könne sich ein solches „Weh“ hier einfach dazudenken (so z.B. Andersen/Freedman; Mays) oder verschieben Verse so, dass V. 10 direkt an V. 7 anschließt. Keine dieser Optionen lässt sich wirklich ernst nehmen.</ref>
{{S|8}} [Doch] der Plejaden-und-Orion-Macher,<ref>''Plejaden'' und ''Orion'', im Heb. w. „der Haufen“ und „der Narr“, sind zwei benachbarte Sternbilder. Sie sind nicht zusammen mit der Rede vom Wechsel von Tag und Nacht in Zeile b-c ein eigenes Thema neben dem zweiten Thema des Regen-Machens in Zeilen d-e, sondern besonders die Plejaden, ein sehr heller Sternhaufen (daher eben heb. ''kimah'', „Haufen“) aus sieben Sternen, waren im Alten Israel mit dem Regen und den Gezeiten assoziiert. Nach ältester Vorstellung führten sie wohl Regen und Flut ähnlich herbei, wie in Ägypten der Stern Sirius die Nilschwemme herbeiführte, und wurden daher noch lange als Götter verehrt (s. bes. [[2 Könige 23#s5 |2 Kön 23,5]]). In [[Richter 5#s21 |Ri 5,21]] ist daher das starke Strömen des Kischon wahrscheinlich nicht etwa unabhängig vom „Kampf der Sterne“ mit Sisera in Ri 5,20, sondern gerade die ''Waffe'' der Sterne. Später wandelte sich die Vorstellung dann dahin, dass Gott sich der Sterne als Instrumenten bediente, um Einfluss auf Regen und Gezeiten zu nehmen; daher beginnt eben hier der Vers mit der Rede von den Plejaden und dem Orion und endet mit der Rede von Ebbe und Regen; ebenso steht in [[Ijob 38#s25 |Ijob 38,25-35]] ein kurzer Abschnitt über die Sterne zwischen zwei Abschnitten über Witterung und Gezeiten. V. 8 beleuchtet daher mehrere Aspekte nur eines Themas: JHWH spendet den Regen – zum einen nämlich mittelbar insofern, als er die unmittelbar den Regen herbeiführenden Gestirne geschaffen hat und ihnen mit der Nacht einen eigenen Herrschaftsbereich einräumt, zum anderen selbst unmittelbar, insofern er zunächst die Meerwasser verdunsten lässt und dann wieder über die Erde ausgießt (eine mythische und eine quasi naturwissenschaftliche Erklärung des Regens werden hier also nebeneinander genannt. Dazu, dass auch im Alten Israel hier an Meerwasser gedacht werden konnte und nicht an Wasser des Himmelsmeeres gedacht worden sein musste, wie Koch 1974, S. 518 meint – was aber auch möglich wäre – vgl. die Deutung von [[Genesis 2#s6 |Gen 2,6]] durch Rabbi Eliezer (1. Jh. n. Chr.) in b.Taan 9b: „Es wird gelehrt, dass Rabbi Eliezer sagte: ‚Die ganze Welt trinkt von den Wassern des Ozeans, wie es ja heißt: ‚Nebel stieg von der Erde auf und bewässerte die ganze Erdoberfläche‘ (Gen 2,6).‘ Rabbi Jehoschua wandte ein: ‚Aber die Wasser des Ozeans sind salzig!‘ Er antwortete: ‚Sie werden in den Wolken noch gesüßt.‘“). V. 8 ist damit Vorbereitung der ersten Hälfte von V. 11, wie V. 9 die zweite Hälfte vorbereitet; s. dort.<br />
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{{S|8}} [Doch] der Plejaden-und-Orion-Macher,<ref>''Plejaden'' und ''Orion'', im Heb. w. „der Haufen“ und „der Narr“, sind zwei benachbarte Sternbilder. Sie sind nicht zusammen mit der Rede vom Wechsel von Tag und Nacht in Zeile b-c ein eigenes Thema neben dem zweiten Thema des Regen-Machens in Zeilen d-e, sondern besonders die Plejaden, ein sehr heller Sternhaufen (daher eben heb. ''kimah'', „Haufen“) aus sieben Sternen, waren im Alten Israel mit dem Regen und den Gezeiten assoziiert. Nach ältester Vorstellung führten sie wohl Regen und Flut ähnlich herbei, wie in Ägypten der Stern Sirius die Nilschwemme herbeiführte, und wurden daher noch lange als Götter verehrt (s. bes. [[2 Könige 23#s5 |2 Kön 23,5]]). In [[Richter 5#s21 |Ri 5,21]] ist daher das starke Strömen des Kischon wahrscheinlich nicht etwa unabhängig vom „Kampf der Sterne“ mit Sisera in Ri 5,20, sondern gerade die ''Waffe'' der Sterne. Später wandelte sich die Vorstellung dann dahin, dass Gott sich der Sterne als Instrumenten bediente, um Einfluss auf Regen und Gezeiten zu nehmen; daher beginnt eben hier der Vers mit der Rede von den Plejaden und dem Orion und endet mit der Rede von Ebbe und Regen; ebenso steht in [[Ijob 38#s25 |Ijob 38,25-35]] ein kurzer Abschnitt über die Sterne zwischen zwei Abschnitten über Witterung und Gezeiten. V. 8 beleuchtet daher mehrere Aspekte nur eines Themas: JHWH spendet den Regen – zum einen nämlich mittelbar insofern, als er die unmittelbar den Regen herbeiführenden Gestirne geschaffen hat und ihnen mit der Nacht einen eigenen Herrschaftsbereich einräumt, zum anderen selbst unmittelbar, insofern er zunächst die Meerwasser verdunsten lässt und dann wieder über die Erde ausgießt (eine mythische und eine quasi naturwissenschaftliche Erklärung des Regens werden hier also nebeneinander genannt. Dazu, dass auch im Alten Israel hier an Meerwasser gedacht werden konnte und nicht an Wasser des Himmelsmeeres gedacht worden sein musste, wie Koch 1974, S. 518 meint – was aber auch möglich wäre – vgl. die Deutung von [[Genesis 2#s6 |Gen 2,6]] durch Rabbi Eliezer (1. Jh. n. Chr.) in b.Taan 9b: „''Es wird gelehrt, dass Rabbi Eliezer sagte: ‚Die ganze Welt trinkt von den Wassern des Ozeans, wie es ja heißt: ‚Nebel stieg von der Erde auf und bewässerte die ganze Erdoberfläche‘ (Gen 2,6).‘ Rabbi Jehoschua wandte ein: ‚Aber die Wasser des Ozeans sind salzig!‘ Er antwortete: ‚Sie werden in den Wolken noch gesüßt.‘''“). V. 8 ist damit Vorbereitung der ersten Hälfte von V. 11, wie V. 9 die zweite Hälfte vorbereitet; s. dort.<br />
 
Die Identität des „Narren“ als Orion ist leicht umstritten; Dalman in AuS I, S. 486-489 und z.B. auch Koch 1974, S. 518f. halten ihn stattdessen für den Sirius. Ihre Gründe sind gut, die Identität des „Narren“ ist aufgrund der übereinstimmenden Üss. in mehreren alten Vrs. aber fast sicher (vgl. dazu z.B. den entsprechenden Abschnitt in [https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/30478/#h8 Sterne / Sternbilder / Sterndeutung (WiBiLex)]).<br />
 
Die Identität des „Narren“ als Orion ist leicht umstritten; Dalman in AuS I, S. 486-489 und z.B. auch Koch 1974, S. 518f. halten ihn stattdessen für den Sirius. Ihre Gründe sind gut, die Identität des „Narren“ ist aufgrund der übereinstimmenden Üss. in mehreren alten Vrs. aber fast sicher (vgl. dazu z.B. den entsprechenden Abschnitt in [https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/30478/#h8 Sterne / Sternbilder / Sterndeutung (WiBiLex)]).<br />
'''Genauer''': Weil der Zusammenhang der Plejaden mit dem Regen auch in der atl. Exegese nicht allgemein bekannt ist, seien hier einige Hintergründe und Belegstellen aus den rab. Schriften zusammengetragen.<br />Wann sich Sternbilder wo zeigen, hängt vom Ort der Himmelsbeobachtung und von der Jahreszeit ab; im Alten Orient dienten die Sterne daher allgemein und häufig als Zeitmesser und galten als Einflüsse auf die jahreszeitentypischen Witterungsverhältnisse. Neben dem Zeitraum, während dem ein Sternbild gar nicht zu sehen war, weil es zeitgleich mit der Sonne am Himmel stand, schenkte man v.a. in alten ägyptischen und sumerischen Texten besonders drei Zeitpunkten besondere Aufmerksamkeit: (1) Dem Zeitpunkt des „Aufgangs“ eines Sternbildes – dem Zeitpunkt also, an dem sich das Sternbild das erste Mal im Jahr wieder kurz am Morgen am Himmel zeigt, bevor die Sonne aufgeht (der sog. „heliakische Aufgang“), (2) dem Zeitpunkt, zu dem das erste Mal das Sternbild bereits mit Sonnenuntergang sichtbar ist („akronychischer Aufgang“), und schließlich (3) einem zwischen (1) und (2) liegenden Zeitpunkt, zu dem dieses Sternbild beim Sonnenuntergang „im Zenit“ steht („akronychische Kulmination“).<br />Mit dem [https://astro.unl.edu/nativeapps/ Heliacal Rising Simulator] der Uni Nebraska lassen sich diese Daten für das heutige Israel komfortabel berechnen, wegen der Präzession der Erde muss man für die Verfassungszeit des Amosbuches aber etwa einen Monat abziehen (vgl. zum Phänomen schön verständlich [https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/begriffe/H/Hundstage_pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=3 Puls 1998]). Danach wären die Plejaden zur Abfassungszeit des Amosbuches nur im April fast gar nicht zu sehen gewesen, weil sie zeitgleich mit der Sonne am Himmel standen. Um den 18. April zeigten sie sich das erste Mal kurz am Morgenhimmel, bevor die Sonne aufging (1), und dieser Zeitpunkt des Aufgangs der Plejaden rückte dann jeden Tag um vier Minuten nach vorne, bis sie Ende September schon mit Einbruch der Abenddämmerung sichtbar waren, dann die ganze Nacht hindurch am Himmel standen und erst nach 8 Uhr und damit nach Sonnenaufgang für das menschliche Auge unsichtbar untergingen (2). Anfang Januar standen sie außerdem zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs im Zenit (3). Beim Orion liegen diese Zeitpunkte alle etwa 1,5 Monate später; sicher schon mal nicht korrekt ist daher, was in manchen Kommentaren und Aufsätzen zu lesen ist – dass die Plejaden den Winter und der Orion den Sommer signalisieren / herbeiführen.<br />Weil in Israel die für den Ackerbau wichtige Regenzeit gegen Ende September/Anfang Oktober und damit etwa zeitgleich mit dem akronychischen Aufgang der Plejaden einsetzte, wurden die Plejaden zum Signal für den Beginn der Regenzeit. In b.RH 11b-12a wird daher die Regenzeit vom Stand der Plejaden her bestimmt: „Rabbi Yehoschua sagte: ‚[Die Flut geschah] am siebzehnten Ijjar, einem Tag, an dem die Plejaden am Tag untergehen und die Quellen beginnen, weniger Wasser zu geben [, also in der Dürreperiode vor September].‘ Rabbi Eliezer [widersprach]: ‚Sie geschah am siebzehnten Marcheschvan, einem Tag, an dem die Plejaden am Tag ''aufgehen'' und die Quellen daher gerade aufgefüllt werden [also in der Regenperiode].‘“ Beide stimmen aber darin überein, dass Gott die Flut herbeigeführt habe, indem er Einfluss auf die Plejaden ausgeübt haben; ebenso b.Ber 59a: „Als der Heilige, gelobt sei er, die Flut über die Welt bringen wollte, nahm er zwei Sterne der Plejaden und brachte die Flut über die Welt.“ (vgl. zu diesen Stellen gut auch [https://www.academia.edu/14959220/The_Pleiades_The_Flood_and_the_Jewish_New_Year Robbins 1999]. Wie sie auf ihre Daten auf S. 339 kommt, legt sie leider nicht offen). Vgl. schließlich JosAnt 13.8.2, wo Josephus von Regenfällen berichtet, die „[erst] mit dem ''Untergang'' der Plejaden einsetzten“, weshalb der belagerte Hyrcanus Durst leiden musste. Gemeint ist wahrscheinlich, dass dieses Jahr ein Dürrejahr war, und erst ein Frühlingsregen im April den Belagerten Erleichterung brachte – doch selbst dies wird an den Lauf der Plejaden gekoppelt.<br />Verwandt hiermit ist, dass die akronychische Kulmination der Plejaden Anfang Januar zum Signal des Endes der Pflanzzeit und des Beginns der Zeit des Wachsens der Pflanzen wurde (zu den Aussaatzeiten der wichtigsten Feldfrüchte vgl. [https://www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_bibelmodul/media/wibi/table/WILAT_Tab_Ackerbau.htm die Tabelle in Ackerbau (WiBiLex)]). Vgl. b.BM 106b: „Bis wann [geht die Pflanz-Zeit]? Rabbi Pappa sagte: Bis der Bauer vom Feld kommt und die Plejaden [dann] über seinem Kopf scheinen [also zum Zeitpunkt ihrer akronychischen Kulmination Anfang Januar].“<br />Ähnlich verwandt ist wohl auch Midrasch BerR x 6: „Rabbi Simon sagte: ‚Es gibt kein einziges Kraut oder Gewürz ohne ein eigenes Sternbild, das es anreizt und ihm zu wachsen befiehlt.‘ [...] Rabbi Chanina bar Pappa und Rabbi Simon [deuteten [[Ijob 38#s31 |Ijob 38,31]]]: ‚Die Plejaden reizen die Früchte auf[, regen also ihr Wachstum an].‘“ – was letztlich wohl naturwissenschaftlich gesehen nur heißt, dass sie ab dem Zeitpunkt der Plejaden-Kulmination im Januar und bis zu ihrem Untergang im April am schnellsten wachsen.</ref>
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'''Genauer''': Weil der Zusammenhang der Plejaden mit dem Regen auch in der atl. Exegese nicht allgemein bekannt ist, seien hier einige Hintergründe und Belegstellen aus den rab. Schriften zusammengetragen.<br />Wann sich Sternbilder wo zeigen, hängt vom Ort der Himmelsbeobachtung und von der Jahreszeit ab; im Alten Orient dienten die Sterne daher allgemein und häufig als Zeitmesser und galten als Einflüsse auf die jahreszeitentypischen Witterungsverhältnisse. Neben dem Zeitraum, während dem ein Sternbild gar nicht zu sehen war, weil es zeitgleich mit der Sonne am Himmel stand, schenkte man v.a. in alten ägyptischen und sumerischen Texten besonders drei Zeitpunkten besondere Aufmerksamkeit: (1) Dem Zeitpunkt des „Aufgangs“ eines Sternbildes – dem Zeitpunkt also, an dem sich das Sternbild das erste Mal im Jahr wieder kurz am Morgen am Himmel zeigt, bevor die Sonne aufgeht (der sog. „heliakische Aufgang“), (2) dem Zeitpunkt, zu dem das erste Mal das Sternbild bereits mit Sonnenuntergang sichtbar ist („akronychischer Aufgang“), und schließlich (3) einem zwischen (1) und (2) liegenden Zeitpunkt, zu dem dieses Sternbild beim Sonnenuntergang „im Zenit“ steht („akronychische Kulmination“).<br />Mit dem [https://astro.unl.edu/nativeapps/ Heliacal Rising Simulator] der Uni Nebraska lassen sich diese Daten für das heutige Israel komfortabel berechnen, wegen der Präzession der Erde muss man für die Verfassungszeit des Amosbuches aber etwa einen Monat abziehen (vgl. zum Phänomen schön verständlich [https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/begriffe/H/Hundstage_pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=3 Puls 1998]). Danach wären die Plejaden zur Abfassungszeit des Amosbuches nur im April fast gar nicht zu sehen gewesen, weil sie zeitgleich mit der Sonne am Himmel standen. Um den 18. April zeigten sie sich das erste Mal kurz am Morgenhimmel, bevor die Sonne aufging (1), und dieser Zeitpunkt des Aufgangs der Plejaden rückte dann jeden Tag um vier Minuten nach vorne, bis sie Ende September schon mit Einbruch der Abenddämmerung sichtbar waren, dann die ganze Nacht hindurch am Himmel standen und erst nach 8 Uhr und damit nach Sonnenaufgang für das menschliche Auge unsichtbar untergingen (2). Anfang Januar standen sie außerdem zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs im Zenit (3). Beim Orion liegen diese Zeitpunkte alle etwa 1,5 Monate später; sicher schon mal nicht korrekt ist daher, was in manchen Kommentaren und Aufsätzen zu lesen ist – dass die Plejaden den Winter und der Orion den Sommer signalisieren / herbeiführen.<br />Weil in Israel die für den Ackerbau wichtige Regenzeit gegen Ende September/Anfang Oktober und damit etwa zeitgleich mit dem akronychischen Aufgang der Plejaden einsetzte, wurden die Plejaden zum Signal für den Beginn der Regenzeit. In b.RH 11b-12a wird daher die Regenzeit vom Stand der Plejaden her bestimmt: „''Rabbi Yehoschua sagte: ‚[Die Flut geschah] am siebzehnten Ijjar, einem Tag, an dem die Plejaden am Tag untergehen und die Quellen beginnen, weniger Wasser zu geben [, also in der Dürreperiode vor September].‘ Rabbi Eliezer [widersprach]: ‚Sie geschah am siebzehnten Marcheschvan, einem Tag, an dem die Plejaden am Tag ''aufgehen'' und die Quellen daher gerade aufgefüllt werden [also in der Regenperiode].‘''“ Beide stimmen aber darin überein, dass Gott die Flut herbeigeführt habe, indem er Einfluss auf die Plejaden ausgeübt haben; ebenso b.Ber 59a: „''Als der Heilige, gelobt sei er, die Flut über die Welt bringen wollte, nahm er zwei Sterne der Plejaden und brachte die Flut über die Welt.''“ (vgl. zu diesen Stellen gut auch [https://www.academia.edu/14959220/The_Pleiades_The_Flood_and_the_Jewish_New_Year Robbins 1999]. Wie sie auf ihre Daten auf S. 339 kommt, legt sie leider nicht offen). Vgl. schließlich JosAnt 13.8.2, wo Josephus von Regenfällen berichtet, die „[erst] mit dem ''Untergang'' der Plejaden einsetzten“, weshalb der belagerte Hyrcanus Durst leiden musste. Gemeint ist wahrscheinlich, dass dieses Jahr ein Dürrejahr war, und erst ein Frühlingsregen im April den Belagerten Erleichterung brachte – doch selbst dies wird an den Lauf der Plejaden gekoppelt.<br />Verwandt hiermit ist, dass die akronychische Kulmination der Plejaden Anfang Januar zum Signal des Endes der Pflanzzeit und des Beginns der Zeit des Wachsens der Pflanzen wurde (zu den Aussaatzeiten der wichtigsten Feldfrüchte vgl. [https://www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_bibelmodul/media/wibi/table/WILAT_Tab_Ackerbau.htm die Tabelle in Ackerbau (WiBiLex)]). Vgl. b.BM 106b: „''Bis wann [geht die Pflanz-Zeit]? Rabbi Pappa sagte: Bis der Bauer vom Feld kommt und die Plejaden [dann] über seinem Kopf scheinen [also zum Zeitpunkt ihrer akronychischen Kulmination Anfang Januar].''“<br />Ähnlich verwandt ist wohl auch Midrasch BerR x 6: „''Rabbi Simon sagte: ‚Es gibt kein einziges Kraut oder Gewürz ohne ein eigenes Sternbild, das es anreizt und ihm zu wachsen befiehlt.‘ [...] Rabbi Chanina bar Pappa und Rabbi Simon [deuteten [[Ijob 38#s31 |Ijob 38,31]]]: ‚Die Plejaden reizen die Früchte auf[, regen also ihr Wachstum an].‘''“ – was letztlich wohl naturwissenschaftlich gesehen nur heißt, dass sie ab dem Zeitpunkt der Plejaden-Kulmination im Januar und bis zu ihrem Untergang im April am schnellsten wachsen.</ref>
 
_Der zum-Morgen-die-Dunkelheit-Verwandler –
 
_Der zum-Morgen-die-Dunkelheit-Verwandler –
 
_[Der ist's, der] den Tag [zur] Nacht verdunkelt (verdunkelte).
 
_[Der ist's, der] den Tag [zur] Nacht verdunkelt (verdunkelte).
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{{S|18}} Weh! [Ach sie,] (Wehe denen,)<ref>''Weh! [Ach sie,] (Wehe denen,)'' - Beide Alternativen sind möglich. Variante 1 z.B. bei LUT, Variante 2 z.B. bei EÜ, so die meisten Üss.. Heb. ''hoj'' ist primär ein Klageruf, der vor allem zur Einleitung einer Totenklage ausgerufen wird („Weh!“); da aber solche Totenklagen im Alten Orient dazu neigen, ineins mit der Klage über die Gestorbenen auch die Verantwortlichen anzuklagen, kann ''hoj'' selten auch geradezu zum anklagenden Ausruf werden („Wehe!“, s. deutlich z.B. [[Jesaja 1#s24 |Jes 1,24]]; [[Ezechiel 24#s6 |Ez 24,6]]; vgl. zur Stelle gut van Leeuwen 1974, S. 115f.).</ref> die den Tag JHWHs<ref>''Tag JHWHs'' - Ein Konzept, das sich in der Bibel häufiger, aber nur in den Büchern der Propheten findet. Gemeint sind damit grundsätzlich diverse ''Gerichtstage'' oder ''Gerichts-Zeiten'' JHWHs (dies dürfte auch die einfachste und verständlichste Übersetzung sein: „Gerichtstag Gottes“): Entweder handelt JHWH an einem solchen „Tag JHWHs“ strafend mithilfe anderer Völker an seinem eigenen Volk (z.B. [[Jesaja 2#s12 |Jes 2,12-17]]; [[Jesaja 22#s1 |Jes 22,1-14]]; [[Klagelieder 1#s12 |Klg 1,12]]; [[Klagelieder 2#s1 |2,1]].[[Klagelieder 2#s21 |21f]]; [[Zefanja 1#s7 |Zef 1,7-16]] u.ö.) oder er handelt strafend an anderen Völkern (z.B.: [[Jes 13#s6 |Jes 13,6]]: An Babylon; [[Jeremia 46#s10 |Jer 46,10]]; [[Ezechiel 30#s3 |Ez 30,3]]: An Ägypten; s. näher z.B. [https://www.bibelwissenschaft.de/de/stichwort/32258/#h8 Tag Jahwes (AT) (Wibilex)]).<br />Weil die Stelle in Am 5,18 wahrscheinlich die älteste ist, an der von diesem „Tag JHWHs“ die Rede ist, wird der Vers in der Forschung stark diskutiert – bis dahin, dass sich richtiggehende „Tag JHWHs-Schulen“ herausgebildet haben. Die meisten Theorien scheiden aber zumindest gerade für diesen Vers von vornherein aus – was häufig nicht genug bedacht wird, ist, dass in der Welt des Textes zwar auf diesen Tag vorausgeblickt wird, dass er für den Verfasser und die Hörer:innen/Leser:innen des Amosbuchs aber ja bereits in der Vergangenheit liegt: Gemeint ist konkreter (s. Vv. 2f.5f.15.27) die endgültige Niederlage Israels und Samarias um 720 v. Chr. Verfasser und Hörer:innen/Leser:innen wissen daher z.B. natürlich, dass diese „Zeit JHWHs“ nicht identisch war mit einem kultischen Festtag (z.B. Kapelrud, Eidevall), dass zu ihr keine Theophanie Gottes (so z.B. Koch, Paul, Jeremias) stattfand und dass die „''Dunkelheit''“ kein kosmisches Ereigniss war wie z.B. in [[Zefanja 1#s14 |Zef 1,14f.]]; [[Joel 4#s15 |Joel 4,15]]. ''Dunkelheit'' und ''Licht'' stehen hier also sicher nicht für „JHWH erscheint“ vs. „JHWH erscheint nicht“ oder für „Der Himmel verfinstert sich“ vs. „Es bleibt hell“ (?), sondern sind wie noch häufig allgemein Bilder für „Diese Zeit wird eine Zeit des Heils“ vs. „Diese Zeit wird eine Zeit des Unheils“.<br />Im Talmud ist eine schöne Parabel Rabbi Simlais überliefert, mit der er den Vers treffend auslegt: „''Man kann dies vergleichen mit einem Hahn und einer Fledermaus, die das Tageslicht herbeisehnen. Da sprach der Hahn zur Fledermaus: ‚Ich sehne es herbei, weil dies meine [Zeit] ist. Aber du – was taugt denn dir das Tageslicht?‘''“ (b.San 98b). Die von Amos angesprochenen warten auf den Tag JHWHs, als sei er etwas Gutes für sie – doch das Gegenteil ist der Fall.</ref> herbeiwünschen! {{par|Jesaja|5|19}}
 
{{S|18}} Weh! [Ach sie,] (Wehe denen,)<ref>''Weh! [Ach sie,] (Wehe denen,)'' - Beide Alternativen sind möglich. Variante 1 z.B. bei LUT, Variante 2 z.B. bei EÜ, so die meisten Üss.. Heb. ''hoj'' ist primär ein Klageruf, der vor allem zur Einleitung einer Totenklage ausgerufen wird („Weh!“); da aber solche Totenklagen im Alten Orient dazu neigen, ineins mit der Klage über die Gestorbenen auch die Verantwortlichen anzuklagen, kann ''hoj'' selten auch geradezu zum anklagenden Ausruf werden („Wehe!“, s. deutlich z.B. [[Jesaja 1#s24 |Jes 1,24]]; [[Ezechiel 24#s6 |Ez 24,6]]; vgl. zur Stelle gut van Leeuwen 1974, S. 115f.).</ref> die den Tag JHWHs<ref>''Tag JHWHs'' - Ein Konzept, das sich in der Bibel häufiger, aber nur in den Büchern der Propheten findet. Gemeint sind damit grundsätzlich diverse ''Gerichtstage'' oder ''Gerichts-Zeiten'' JHWHs (dies dürfte auch die einfachste und verständlichste Übersetzung sein: „Gerichtstag Gottes“): Entweder handelt JHWH an einem solchen „Tag JHWHs“ strafend mithilfe anderer Völker an seinem eigenen Volk (z.B. [[Jesaja 2#s12 |Jes 2,12-17]]; [[Jesaja 22#s1 |Jes 22,1-14]]; [[Klagelieder 1#s12 |Klg 1,12]]; [[Klagelieder 2#s1 |2,1]].[[Klagelieder 2#s21 |21f]]; [[Zefanja 1#s7 |Zef 1,7-16]] u.ö.) oder er handelt strafend an anderen Völkern (z.B.: [[Jes 13#s6 |Jes 13,6]]: An Babylon; [[Jeremia 46#s10 |Jer 46,10]]; [[Ezechiel 30#s3 |Ez 30,3]]: An Ägypten; s. näher z.B. [https://www.bibelwissenschaft.de/de/stichwort/32258/#h8 Tag Jahwes (AT) (Wibilex)]).<br />Weil die Stelle in Am 5,18 wahrscheinlich die älteste ist, an der von diesem „Tag JHWHs“ die Rede ist, wird der Vers in der Forschung stark diskutiert – bis dahin, dass sich richtiggehende „Tag JHWHs-Schulen“ herausgebildet haben. Die meisten Theorien scheiden aber zumindest gerade für diesen Vers von vornherein aus – was häufig nicht genug bedacht wird, ist, dass in der Welt des Textes zwar auf diesen Tag vorausgeblickt wird, dass er für den Verfasser und die Hörer:innen/Leser:innen des Amosbuchs aber ja bereits in der Vergangenheit liegt: Gemeint ist konkreter (s. Vv. 2f.5f.15.27) die endgültige Niederlage Israels und Samarias um 720 v. Chr. Verfasser und Hörer:innen/Leser:innen wissen daher z.B. natürlich, dass diese „Zeit JHWHs“ nicht identisch war mit einem kultischen Festtag (z.B. Kapelrud, Eidevall), dass zu ihr keine Theophanie Gottes (so z.B. Koch, Paul, Jeremias) stattfand und dass die „''Dunkelheit''“ kein kosmisches Ereigniss war wie z.B. in [[Zefanja 1#s14 |Zef 1,14f.]]; [[Joel 4#s15 |Joel 4,15]]. ''Dunkelheit'' und ''Licht'' stehen hier also sicher nicht für „JHWH erscheint“ vs. „JHWH erscheint nicht“ oder für „Der Himmel verfinstert sich“ vs. „Es bleibt hell“ (?), sondern sind wie noch häufig allgemein Bilder für „Diese Zeit wird eine Zeit des Heils“ vs. „Diese Zeit wird eine Zeit des Unheils“.<br />Im Talmud ist eine schöne Parabel Rabbi Simlais überliefert, mit der er den Vers treffend auslegt: „''Man kann dies vergleichen mit einem Hahn und einer Fledermaus, die das Tageslicht herbeisehnen. Da sprach der Hahn zur Fledermaus: ‚Ich sehne es herbei, weil dies meine [Zeit] ist. Aber du – was taugt denn dir das Tageslicht?‘''“ (b.San 98b). Die von Amos angesprochenen warten auf den Tag JHWHs, als sei er etwas Gutes für sie – doch das Gegenteil ist der Fall.</ref> herbeiwünschen! {{par|Jesaja|5|19}}
_Wozu nur<ref>'''tFN''': ''zeh'' („dies“) ist hier sehr wahrscheinlich kein Demonstrativpronomen („Warum [tut ihr] dies“, so z.B. Reimer 1992, S. 124), sondern verstärkt ''lamah'' („Wozu, Warum“; vgl. GKC §136c). Gut Paul 1991, S. 185: ''lamah-zeh l-...'' hat in der Bibel fast stets die Bedeutung „Wozu (nicht: Warum) nur taugt jmdm. etw.“, s. [[Genesis 25#s32 |Gen 25,32]]; [[Genesis 27#s46 |27,46]]; [[Ijob 30#s2 |Ijob 30,2]]. S. ähnlich auch [[Jesaja 1#s11 |Jes 1,11]]; [[Jeremia 6#s20 |Jer 6,20]]; anders deutlich nur die ähnliche Frage Rebekkas in [[Genesis 25#s22 |Gen 25,22]], die aber ohne ''l-...'' und damit anders formuliert ist.</ref> soll euch der Tag JHWHs [dienen]?<ref>Lies: „Was glaubt denn ihr, was euch der Tag JHWHs bringen wird!?“</ref> (Warum dies? Der Tag JHWHs – er...)  
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_Wozu nur<ref>Lies: „Was glaubt denn ihr, was euch der Tag JHWHs bringen wird!?“<br />'''tFN''': ''Wozu (warum)'' - Gut Paul 1991, S. 185: ''lamah-zeh l-...'' hat in der Bibel fast stets die Bedeutung „Wozu (nicht: Warum) nur taugt jmdm. etw.“, s. [[Genesis 25#s32 |Gen 25,32]]; [[Genesis 27#s46 |27,46]]; [[Ijob 30#s2 |Ijob 30,2]]. S. ähnlich auch [[Jesaja 1#s11 |Jes 1,11]]; [[Jeremia 6#s20 |Jer 6,20]]; anders deutlich nur die ähnliche Frage Rebekkas in [[Genesis 25#s22 |Gen 25,22]], die aber ohne ''l-...'' und damit anders formuliert ist.<br />''zeh'' („dies“) ist hier sehr wahrscheinlich kein Demonstrativpronomen („Warum [tut ihr] dies“, so z.B. Reimer 1992, S. 124), sondern verstärkt ''lamah'' („Wozu, Warum“; vgl. GKC §136c. Richtig BH<sup>t</sup>: „Abtönungspartikel“).</ref> [soll] euch der Tag JHWHs [dienen]? (Warum dies? Der Tag JHWHs – er...)  
 
_Er wird Finsternis sein und nicht Licht!
 
_Er wird Finsternis sein und nicht Licht!
{{S|19}}
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{{S|19}} [Ihr seid] ([Er ist]) wie wenn ein Mann entkommt (flieht vor) dem Löwen
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_Und er trifft auf den Bären,<ref>'''tFN''': ''er trifft auf den Bären'' - w. „Ein Bär trifft auf ihn“. Vgl. ähnlich z.B. [[Ijob 31#s27 |Ijob 31,27]]: „Wenn meine Hand meinen Mund geküsst hätte“ (statt „mein Mund meine Hand“): Gelegentlich kann im Heb. derart Subjekt und Objekt vertauscht werden, um so zum Ausdruck zu bringen, dass das Objekt die aktivere Rolle spielt (vgl. Driver/Gray 1921, S. 269).</ref>
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Oder [wie wenn] er in das Haus kommt (und [dann] in das Haus kommt) –<ref>Ob in V. 19 zwei Vergleiche stehen oder nur einer, ist umstritten. Mindestens lässt sich Folgendes sagen: V. 19 erzählt nicht, wie die meisten denken, einfach eine Geschichte, in der ein Mann zwei Mal einem Unheil entkommt, nur um dann doch von ihm getroffen zu werden, so dass die Aussage wäre, dass der „Tag JHWHs“ als ''drohender'' Tag unausweichlich ist. Dagegen spricht die masoretische Akzentuierung, dagegen spricht, dass „er kommt in das Haus“ ein denkbar schwacher Ausdruck für „auch dem Bären entkam er gerade noch so“ wäre, und dagegen spricht schließlich, dass die Abfolge Löwe – Bär – Schlange so antiklimaktisch wäre, dass die Schlange hier kaum für dass ''umso schlimmere'' Geschick der Angesprochenen stehen wird. Auch dann, wenn hier eine zusammenhängende Geschichte erzählt wird, muss man sie sich in zwei Abschnitten denken, in denen zwei Mal zum Ausdruck kommt: „sich in Sicherheit wähnen“ (19a.19c; s. [[Amos 6#s1 |Am 6,1]]!) – „doch nicht sicher sein“ (19b.19de). In der LF würde dies durch eine Üs. mit „oder“ statt „und“ sicher deutlicher.</ref>
 +
_Seine Hand an die Mauer (stützt=) legt
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_Und ihn [dann] die Schlange beißt!<ref>''und ihn dann die Schlange beißt'' - Klangspiel, in dem das Zischen der Schlange direkt hörbar wird: ''une'''sch'''a'''ch'''o '''h'''ana'''ch'''a'''sch'''''.</ref>
 
{{S|20}} Ist nicht der Tag JHWHs Finsternis (Dunkelheit) und nicht Licht? Dunkelheit, nicht Helligkeit (Glanz, Tageslicht) ist er.<ref>„ist er“ ist eine Umschreibung für{{hebr}} לוׄ{{hebr ende}}, wörtlich „zu ihm“, „ihm zueigen“.</ref>
 
{{S|20}} Ist nicht der Tag JHWHs Finsternis (Dunkelheit) und nicht Licht? Dunkelheit, nicht Helligkeit (Glanz, Tageslicht) ist er.<ref>„ist er“ ist eine Umschreibung für{{hebr}} לוׄ{{hebr ende}}, wörtlich „zu ihm“, „ihm zueigen“.</ref>
 
{{S|21}} Ich hasse, ich verwerfe eure Feste, und eure Festversammlungen kann ich nicht riechen.
 
{{S|21}} Ich hasse, ich verwerfe eure Feste, und eure Festversammlungen kann ich nicht riechen.

Version vom 13. August 2021, 15:16 Uhr

Syntax ungeprüft

SF ungeprüft.png
Status: Studienfassung zu prüfen – Eine erste Übersetzung aus dem Urtext ist komplett, aber noch nicht mit den Übersetzungskriterien abgeglichen und nach den Standards der Qualitätssicherung abgesichert worden und sollte weiter verbessert und geprüft werden. Auf der Diskussionsseite ist Platz für Verbesserungsvorschläge, konstruktive Anmerkungen und zum Dokumentieren der Arbeit am Urtext.
Folgt-später.png
Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Anmerkungen

Studienfassung (Amos 5)

1 „Hört dieses Wort,
Das icha anhebe über euch [als] Totenklage,b Haus Israel:c
2 ‚Es ist gefallen,d es kann nicht wieder aufstehen
Das Mädchen Israels,e
Es ist hingestreckt auf seinen Boden,
Es gibt keinen, der es aufrichtet (aufrichten könnte)!‘“

3 Denn (Fürwahr) [auch] so spricht der Herr JHWH:
„Die Stadt, die ausziehtf zu tausend (als Tausendschaft)
Wird hundert übrig behalten,g
Und die auszieht zu hundert (als Hundertschaft)
Wird zehn übrig behalten für das Haus Israel.“


4 Allerdings (denn, fürwahr) [auch] so spricht (sprach) JHWH zum Haus Israel:
„Sucht mich,h (und lebt=) dann werdet ihr leben!“
5 Aber (und) sucht nicht auf Betheli
Und nach Gilgalj geht nicht
Und nach Beerschebak zieht nicht hinüber,
Denn Gilgalj wird (ins Exil gehend ins Exil gehen=) ganz bestimmt ins Exil gehenl
Und Bethel wird zur Nichtigkeit.m
6 Sucht JHWH, (und lebt=) dann werdet ihr leben,
Damit er nicht entzünde (spalte, durchdringe, verbrenne, dareinfahre)n wie {das}o Feuer das Haus Josefsp
das (frisst=) verbrennt, (und=) während niemand löscht für Bethel (wegen Bethel)!q


7 Die Recht-in-Wermut-Verwandlerr
[Die] Gerechtigkeit zu Boden werfen sie!s
8 [Doch] der Plejaden-und-Orion-Macher,t
Der zum-Morgen-die-Dunkelheit-Verwandler –
[Der ist's, der] den Tag [zur] Nacht verdunkelt (verdunkelte).
Der Meereswasser-Rufer –
[Er ist's, der] sie [dann] ausgießt auf die Oberfläche der Erde.
JHWH ist sein Name!
9 Der über-dem-Starken (der Burg)u-Verwüstung (Zerstörung)-aufblitzen-Lasser (...-Verwüstung-Lächler)v
[Er ist's, der] Verwüstung (Zerstörung)w bringt (und Verwüstung kommt)x über die Festung (befestigte Stadt).
10 Man hasst (sie hassen) im Tor den Kläger (Richter)y
Und verabscheut (verabscheuen) den aufrichtig (untadelig) Sprechenden (das aufrichtig Gesprochene).z
11 Darum:aa Weil ihr trampelt auf dem (zertrampelt den, Getreide eintreibt vom)ab Armen
Und Korn-Darbringungen (erlesene Geschenke, Korn-Abgaben?)ac nehmt von ihm[, gilt]:
Häuser aus behauenen [Steinen]ad habt ihr gebaut,
Aber ihr werdet nicht wohnen in ihnen;
Köstliche Weingärten habt ihr gepflanzt,
Aber ihr werdet nicht trinken ihren Wein!ae

12 Denn ich weiß, wie vielfältig eure Verbrechen [sind]
Und [wie] zahlreich eure Sünden:
Gerechten-Bedränger, Bußgeld (Schweigegeld)af-Nehmer –
Die Armen im Tor verdrängen sie!ag
13 Darum wird (muss, soll) die Weise (der Weise, der Wohlhabende?, der Tor?)ah in dieser Zeit schweigen,
Denn eine böse (schlechte) Zeit [ist] sie.


14 Sucht das Gute und nicht das Böse,
Damit ihr (lebt=) am Leben bleibt!
Dann könnte (wird) es so sein, dass JHWH, der Gott der Heerscharen, mit euch [ist],
Wie ihr (sagt=) behauptet.
15 Hasst das Böse und liebt das Gute (Wie ihr ja sagt: ‚Wir hassen das Böse und wir lieben das Gute‘)ai
Und richtet [wieder] auf (und aufgerichtet werden wird)ai im Tor das Recht!
Vielleicht wird [dann] gnädig sein JHWH, der Gott der Heerscharen,
Dem Überrest Josefsp (uns gnädig sein ... : dem Überrest Josefs)!ai
16 Darum spricht so JHWH,aj
Der Gott der Heerscharen, der Herr:
„Auf allen Plätzen [wird herrschen (herrsche)] Weinen,
In allen Gassen wird man sagen (sage man): ‚Weh! Weh!‘ak
Und man wird rufen (man rufe) den Ackerknecht zur Trauer
Und die Klage zu den Klagelied-Kundigen (und zur Klage die Klagelied-Kundigen)al
17 Und in allen Weingärten [wird herrschen (herrsche)] Trauer (Wehklage),
Denn ich werde durch deine Mitte ziehen“,am
Spricht JHWH.


18 Weh! [Ach sie,] (Wehe denen,)an die den Tag JHWHsao herbeiwünschen!
Wozu nurap [soll] euch der Tag JHWHs [dienen]? (Warum dies? Der Tag JHWHs – er...)
Er wird Finsternis sein und nicht Licht!
19 [Ihr seid] ([Er ist]) wie wenn ein Mann entkommt (flieht vor) dem Löwen
Und er trifft auf den Bären,aq
Oder [wie wenn] er in das Haus kommt (und [dann] in das Haus kommt)ar
Seine Hand an die Mauer (stützt=) legt
Und ihn [dann] die Schlange beißt!as
20 Ist nicht der Tag JHWHs Finsternis (Dunkelheit) und nicht Licht? Dunkelheit, nicht Helligkeit (Glanz, Tageslicht) ist er.at
21 Ich hasse, ich verwerfe eure Feste, und eure Festversammlungen kann ich nicht riechen.
22 Denn wenn ihr mir Brandopfer opfert, missfallen sie mir, und an euren Speiseopfern habe ich keinen Gefallen, und das Heilsopfer von einem Mastvieh will ich nicht ansehen.
23 Halte den Lärm deiner Lieder von mir fern! Und das Spiel deiner Harfen will ich nicht hören!
24 Aber Recht ergieße sich wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein immerfließender Bach!
25 Habt ihr mir vierzig Jahre in der Wüste Schlachtopfer und Speiseopfer dargebracht, Haus Israel?
26 Und habt ihr den Sikkut und Kiun getragen, eure Götzenbilder, den Stern eurer Götter, die ihr euch gemacht habt?
27 So werde ich euch über Damaskus hinaus gefangen wegführen, spricht JHWH, Gott der Heerscharen ist sein Name.

Anmerkungen

In Vv. 1f. folgt Gottes Totenklage über Israel, die in Am 4,13 bereits angekündigt wurde. Solche Totenklagen wurden für gewöhnlich natürlich erst gesungen, wenn jemand bereits „vollständig gestorben“ war, und nicht, wenn man – wie hier das „Mädchen Israels“ – erst dem Tode nah ist, wenn einem aber theoretisch noch „aufgeholfen“ werden könnte. Auch dies verstärkt noch einmal das, was bereits in Kapitel 4 deutlich wurde: Israels Schicksal steht wirklich bereits fest; schon vor seinem Tod kann Gott daher seine Totenklage anstimmen. In V. 3 wird diese dann sogar auch noch einmal durch einen Urteilsspruch Gottes zusätzlich abgestützt und präzisiert. Genauer sieht das Geschick Israels nämlich so aus: Gott wird es dezimieren.

In V. 4 wird dieses Urteil immerhin noch etwas eingeschränkt, woraufhin dann aber in Vv. 5-6 auch diese Einschränkung wiederum eingeschränkt wird. Offenbar besteht doch noch etwas Hoffnung: Dann nämlich, wenn die Israeliten Gott „suchen“, werden sie doch am Leben bleiben, so dass Gott seine Totenklage doch nicht anzustimmen braucht. Vv. 5-6 stellen dann aber klar und nehmen damit schon das Thema von Vv. 21-27 vorweg: „Gott suchen“ heißt hier nicht das, was es üblicherweise bedeutet, nämlich religiöse Kulthandlungen in den Heiligtümern Israels auszuüben (was ohnehin gar nicht möglich sein wird, da diese Heiligtümer vernichtet werden werden: 5de). Was es stattdessen heißt, werden dann erst die Vv. 14-17 präzisieren.

Mit V. 7 beginnt einen neuer Abschnitt im Großabschnitt Am 5,1-17, in dem vor allem die korrupten Rechtspraktiken Israels angeklagt werden. Der Zusammenhang der Vv. 7-11 ist nicht ganz leicht zu sehen. Vermutlich so: In V. 7 und Vv. 8f. werden zunächst die beiden Parteien identifiziert: Auf der einen Seite stehen die „Recht-in-Wermut-Verwandler“ (V. 7), die vor Gericht das Recht derer beugen, die ihr Recht einklagen wollen (Vv. 10.12). Auf der anderen Seite JHWH, der Gott, der den Regen schenkt oder zurückhält (s. zu V. 8) und der ganze Festungen vernichten kann. Diese Parteien sind sozusagen „natürliche Feinde“, und darum gilt: Weil die Recht-in-Wermut-Verwandler das Rechtswesen Israels pervertieren, indem sie es dazu missbrauchen, Arme noch zusätzlich auszubeuten, wird dieser regenspendende Gott seinen Regen von ihren Weingärten zurückhalten und dieser vernichtende Gott ihre Häuser dem Erdboden gleichmachen (V. 11).
Vv. 12f. formulieren das Selbe dann noch einmal anders: Weil diese „Gerechten-Bedränger, Bußgeld-Nehmer“ das Recht der Armen beugen, droht ihnen eine „böse Zeit“.

Vv. 14-17 greifen dann noch einmal zurück auf Vv. 4-6: Das „Sucht mich, dann werdet ihr leben“ wird nach dem vorangehenden Abschnitt über die korrupten Reichen variiert zu „Sucht das Gute, damit ihr am Leben bleibt“. Denn, wieder: Dann gibt es doch noch Hoffnung für Israel, dann wird Gott – vielleicht! – wenigstens einen kleinen Überrest der Israeliten übrig lassen und diesen gnädig sein (V. 15). Doch dies eben nur, wenn die Israeliten sich auch wirklich dem Guten zuwenden, und um dies herbeizuführen, ist über den größeren Teil Israels bereits das Gericht gesprochen: Sie werden wirklich sterben müssen – in solcher Zahl, dass ganz Israel von den Stadtmitten bis zu den umgebenden Weingärten erfüllt sein werden von Totenklagen.

Mindestens diese Verse setzen klar die zeitgeschichtliche Situation nach 720 v. Chr. voraus, in der lag, dass Israels Heiligtümer vernichtet und Israel selbst von den assyrischen Königen Salmanassar und Sargon besiegt, dezimiert, deportiert und auf wenige Gebiete rund um die Hauptstadt Samaria reduziert worden war (s. dazu die Einleitung zum Buch). Diese Situation ist es dann auch, die erklärt, warum in V. 2 einfachhin eine Klage über Samaria, das „Mädchen Israels“, als Klage über ganz Israel bezeichnet werden kann: Von Israel ist bereits jetzt nicht mehr viel mehr übrig als eben Samaria und die umliegenden Gebiete. Dieser kümmerliche Rest ist auch der „Überrest Josefs“, von dem V. 15 spricht, und dieser ist dann auch der eigentliche Adressat dieses Kapitels: Selbst für diesen kümmerlichen Rest, sagt der Verfasser des Kapitels, steht gar nicht fest, dass Gott ihm gnädig sein wird (V. 15cd). Selbst für diesen kümmerlichen Rest gilt dies allenfalls dann, wenn sie endlich anders handeln, als man in Israel schon lange gehandelt hatte – wenn sie nämlich endlich aufhören, nicht nur den Armen ihre Rechte zu nehmen, sondern auch noch das Recht pervertieren, um sie noch zusätzlich auszubeuten. „Sucht das Gute!“, ruft der Verfasser, und das heißt: „Richtet endlich wieder das Recht auf!“ (15b).

aIch ist wahrscheinlich JHWH, nicht Amos: Am 5,1 beginnt wie wie die beiden vorangehenden Kapitel mit „Hört dieses Wort...“. Beide Male wird dadurch ein Ausspruch JHWHs eingeleitet (Am 3,1: „Hört dieses Wort, das JHWH über euch redet...“; Am 4,1f.: „Hört dieses Wort...: Es schwört der Herr JHWH bei seiner Heiligkeit: ...“). Weil in Am 5,1 anders als dort kein Sprecher des wiedergegebenen Ausspruchs in V. 2 identifiziert wird, halten die meisten Am 5,1f. für die Rede des Amos, so dass Am 5,1f. aus dem Muster von Am 3,1 und Am 4,1 fallen würde (z.B. Fleischer 1989, S. 95: „Wäre der Sprecher von V 1 JHWH, so würde man vor dem Höraufruf eine einleitende Botenspruchformel erwarten. Daß erst V 3 mit einer solchen eingeleitet wird, kann zumindest als schwaches Indiz dafür gewertet werden, daß der Verfasser dieses Verses die VV 1-2 nicht als Gottesrede verstanden hat. Damit entsteht aber eine Spannung zwischen dem dbr des Höraufrufs in Am 3,1 und 4,1 und demjenigen in Am 5,1, der auf eine Prophetenwort hinweist.“). Nun folgt aber Am 5,1 direkt auf Am 4,13 (man bedenke hier auch, dass die Aufteilung der hebräischen Bibel in Kapitel erst im 15. Jahrhundert geschah. Ursprünglich ist die Bibel nicht in Kapitel gegliedert, sondern in Abschnitte, die mal enger mit den vorangehenden und/oder folgenden Abschnitten zusammenhängen, mal loser), wo davon die Rede war, dass Gott „dem Menschen seine Klage kündet“ (s. dort); und dies zusammen mit der üblichen Verwendung von „Hört dieses Wort“ macht doch sehr wahrscheinlich, dass hier und im Folgenden JHWH spricht, der nun wirklich „seine Klage kündet“. LXX ergänzt daher sogar „das Wort [des Herrn]“. (Zurück zu v.1)
bTotenklage: Kultischer Volksbrauch im Alten Israel: Starb ein:e Israelit:in, stimmte man eine Totenklage auf den/die Verstorbene:n an (s. z.B. 2 Sam 1,17ff.; 3,33f. zu zwei Totenklagen Davids). Gelegentlich war diese Totenklage auch Aufgabe besonderer Spezialist:innen (s. z.B. Jer 9,16f.19f.; Ez 32,16), von denen in diesem Kapitel auch in V. 16 die Rede sein wird. S. dazu näher Totenklage (AT) (WiBiLex). (Zurück zu v.1)
cHaus Israel - Biblisches Idiom. Weil Kernfamilien i.d.R. zusammen in einem Haus lebten, konnte man „Haus“ auch als Wechselbegriff für „Familie“ verwenden. Diese Verwendung von „Haus“ ließ sich auch ausweiten, so dass „Haus“ auch stehen konnte für die erweiterte Familie (die „Sippe“) und am Ende sogar für ein ganzes Volk, das sich als Nachkommenschaft eines Stammvaters wie hier Israels (=Jakobs, s. Gen 32,29) verstand.
Textkritik: Der Vokativ klappt ungewöhnlich nach; normalerweise würde man ihn am Beginn der Zeile erwarten. LXX und VUL verbinden u.a. deshalb diese Worte mit dem folgenden Vers (wieder: man bedenke hier auch, dass die schriftliche Einteilung hebräischer Texte in Verse frühestens im 8. Jahrhundert geschah). Das ist grammatisch nicht möglich, da „Haus Israel“ maskulin, die folgenden Verbformen dagegen feminin sind. Außerdem findet sich ein vergleichbar nachklappendes „Haus X“ nicht nur hier, sondern auch am Ende von V. 3 und V. 6 und ist daher sogar eher typisch für dieses Kapitel, so ungewöhnlich es im Heb. auch klingt. Der sich durch die Verschiebung ergebende V. 2' ist aber so klar gegliedert, dass auch deshalb leicht einsehbar ist, warum LXX und VUL den Text dennoch so aufgefasst haben:

(A) Das Haus Israel (B) ist gefallen, (C) Es kann nicht wieder aufstehen,

(A') Das Mädchen Israels (B') wurde auf seinen Boden geworfen,
(C') Es gibt keinen, der es aufrichtet. (Zurück zu v.1)
dgefallen - und liegt nun im Sterben, daher hier als Einleitung der (etwas voreiligen) Leichenklage. (Zurück zu v.2)
eMädchen Israels - Ein weiteres Idiom; ebenso in Jer 18,13; 31,4.21. Gemeint ist nicht ganz Israel, wie die übliche Üs. „Jungfrau Israel“ nahelegt, sondern hier Samaria, die Hauptstadt Israels. Im ganzen Alten Orient verbreitet war nämlich das Bild von Hauptstädten als Frauen, die in besonders engem Verhältnis zu einer männlichen Gottheit standen. So bes. ausführlich z.B. in Jes 47, wo Babylon nacheinander als „Tochter“, „Mutter“ und „Witwe“ (im Gegensatz zu „Braut“, s. z.B. Jes 62,3f.) dargestellt wird. Die andere geographische Größe, die (sehr häufig) als betulah bezeichnet wird, ist „Zion“, also Jerusalem als die Hauptstadt des Südreiches. Dazu passt dann, dass auch im nächsten Vers nur von einzelnen Städten die Rede ist, und dazu passt weiterhin der geschichtliche Hintergrund, den man für Am 5,1-17 voraussetzen muss (s. die Anmerkungen).
Heb. betulah ist nicht eigentlich die „Jungfrau“, s. Joel 1,8, wo eine Witwe als betulah bezeichnet wird. betulah (von btl „trennen, absondern“) ist stattdessen wahrscheinlich das junge und daher regelmäßig noch im Haus ihres Vaters von anderen Männern „abgesonderte“ Mädchen. I.d.R. ist es daher schon eine Jungfrau, in der Wortbedeutung liegt dies aber nicht. Werden daher hier und andernorts Samaria und Jerusalem als betulah bezeichnet, sollen diese Städte damit wahrscheinlich dargestellt werden als von Gott besonders behütete Städte (vgl. bes. Schmitt 1991, S. 386f.), und dies hier und in Jer 18,13 deshalb, weil gerade gesagt werden soll, dass dieses Behütet-Sein von Gott nun nicht mehr gilt. Samaria gehört als „Mädchen“ hier also zum „Hausstand“ des „Hauses Israel“, nämlich als das Nästhäkchen dieser Familie. Dass gerade dieses Nesthäkchen nun sterben wird, ist besonders tragisch. (Zurück zu v.2)
fauszieht - Gemeint ist der militärische Auszug, s. Gen 4,16; Dtn 20,1; 1 Sam 8,20 u.ö. Dazu passen die Zahlen; Israels Armee war organisiert in „Tausendschaften“ und „Hundertschaften“, s. bes. 1 Sam 22,7; 2 Sam 18,1; auch 1 Sam 17,18; 18,13. Gut daher Wolff: „als Tausendschaft“ und „als Hundertschaft“; gut auch BB („Ziehen aus einer Stadt 1000 Männer in den Krieg...“); LUT („Die Stadt, aus der tausend zum Kampf ausziehen...“); ZÜR („Die Stadt, die ausrückt mit tausend...“) u.a. (Zurück zu v.3)
gtFN: übrigbehalten - Prima vista eigentlich: „übrig lassen“; der Hifil von scha`ar ist häufig und hat stets diese Bed. (s. z.B. Dtn 2,34; 1 Sam 14,36; 1 Kön 16,11 u.ö.). Einzige Ausnahme ist vielleicht die stehende Wendung ´ad bilti hisch`ir-lo ßarir „bis ihm kein Überlebender übrig blieb“ (Num 21,35; Dtn 3,3; 28,55; Jos 10,33; 11,8). Wegen der üblichen Verwendung von scha`ar Hifil will Ehrlich 1912, S. 239f. hier stattdessen das Piel tischa`er lesen. Entweder dies, oder scha`ar Hifil hat hier ausnahmsweise die selbe Bed. wie in besagter Redewendung, oder es ist dies die sechste Stelle in Am (nach Am 2,8.13.15; 4,3.7), an der Hifil ungewöhnlicherweise nicht transitive, sondern intransitive Bed. hat (also nicht „übrig lassen“, sondern eben „übrig behalten“). (Zurück zu v.3)
hSucht mich - Zur Bed. s. die nächste FN. (Zurück zu v.4)
iBethel - Name einer Stadt Israels, in der sich ein wichtiges Heiligtum befand; s. zu Am 4,4. W. „Haus Gottes“; Vv. 4f. sind also geradezu paradox: JHWH soll Israel „suchen“, das „Haus Gottes“ aber soll es nicht „auf-suchen“ (im Heb. das selbe Wort). Suchen, Heb. darasch, kann im Zhg. mit dem Kult drei unterschiedliche Bed. haben: (a) „eine Kultstätte aufsuchen“ (s. z.B. Ps 24,6 mit Ps 24,3.7), (b) „Gott (evt.: durch ein Medium) befragen“ (s. z.B. 1 Sam 9,9), (c) „Gott verehren“ – entweder durch kultische Verehrung oder noch häufiger dadurch, dass seinen Geboten Folge geleistet wird (s. z.B. Ps 119,2 mit Ps 119,10.45.94). Klar wird durch das Beieinander von Vv. 4.5 zunächst: darasch heißt überraschenderweise auf jeden Fall schon mal keinesfalls (a) und (c1); das sollen die Angesprochenen gerade nicht tun. Und V. 14 wird dann noch weiter präzisieren: darasch JHWH heißt hier wirklich einzig (c2): Nicht kultische Verehrung, sondern nur gottgemäßes Handeln. In die gleiche Kerbe wird dann deutlichst noch mal Am 5,21-27 hauen.
Im babylonischen Talmud findet sich in b.Mak 23b-24a eine schöne und sehr passende Auslegung dieser Stelle: „Rabbi Simlai lehrte: ‚613 Gebote [die sog. mitzvot, an die strenggläubige Juden sich noch heute halten] wurden Mose gegeben. ... Dann kam David und dampfte die 613 Gebote auf elf ein [denn in Ps 15 stehen elf Vorschriften]. ... Dann kam Jesaja und dampfte sie auf sechs ein [denn in Jes 33,15 stehen sechs Tugenden]. ... Dann kam Micha und dampfte sie auf drei ein [s. Mi 6,8]. ... Dann kam noch mal Jesaja und dampfte sie auf zwei ein [s. Jes 56,1]. ... Und schließlich kam Amos und dampfte sie auf nur noch eines ein [nämlich eben in diesem Vers: Sucht mich (und mehr braucht es nicht, denn schon dann) werdet ihr leben!].‘ Rabbi Nachman ben Isaak wandte ein: ‚Vielleicht bedeutet dieser Vers aber ja: ‚Sucht mich mit allen [Vorschriften der] Torah!‘ Aber auch dann kam ja immerhin Habakuk und dampfte sie zu einem ein, da es dort ja heißt (Hab 2,4): ‚Der Gerechte wird leben durch seinen Glauben.‘‘ (Zurück zu v.5)
jGilgal - Name einer Stadt Israels, in der sich ein weiteres wichtiges Heiligtum befand (s. Ri 3,19; 1 Sam 15,21; Hos 12,12). W. „Steinhaufen-Steinhaufen“, vielleicht i.S.v. „Stein-Kreis“ (vgl. Jos 4,20-22). (zu v.5)
kBeerscheba - Name einer Stadt im äußersten Norden Judas nahe der Grenze zu Israel, in der sich ebenfalls ein wichtiges Heiligtum befand (s. Gen 26,25; 46,1); offenbar war es auch nach der Trennung von Israel und Juda noch üblich, dass Israeliten zu diesem Heiligtum „hinüberzogen“. W. „Brunnen der Sieben“ / „Brunnen des Schwurs“, vgl. Gen 21,22-34. (Zurück zu v.5)
lKlangspiel: gilgal galoh jigleh. Wellhausen daher schön, aber wenig sinngemäß: „Gilgal wird zum Galgen gehen“; näher de Wette („Gilgal entgilt es mit Gefangenschaft“), auch Rudolph (ungefähr: „Für Gilgal gilt: Exil!“) und TUR („Gilgal wird gleich geleert“); ganz fern Ewald („Gilgal wird Galle weinen“) und B-R („der Ringwall, rings gewalzt wird er, abgewalzt“). (Zurück zu v.5)
mBethel + Nichtigkeit - Wahrscheinlich ein Sinnspiel: „Nichtigkeit“, heb. awen, ist d.Ö. ein Schimpfwort für falsche Götzen (s. z.B. Jes 66,3). Dazu soll nun also gerade Bethel, das „Haus Gottes“, werden. Östlich von Bethel lag außerdem ein Ort namens „Beth Awen“ (W. „Haus der Nichtigkeit“; s. bes. Jos 7,2), was geradezu zu Wortspielen einlud – Hosea verwendet daher gleich „Beth Awen“, wenn er gegen Bethel polemisieren will (s. Hos 4,15; 5,8; 10,5), was LUT 1545 + 1912 + 1984 (nicht mehr 2017) offenbar auch hier als ursprünglichen Text ansah („Beth-El wird Beth-Aven werden“). Vielleicht kann man diese Verballhornung wirklich auch schon für die Zeit des Am voraussetzen, so dass hier auch auf diese immerhin angespielt würde. Wellhausen jedenfalls deshalb sehr schön: „Bethel wird des Teufels werden“, weniger sinngemäß Rudolph: „Bethel ist einen Bettel wert“, ähnlich TUR („Bet-El wird zum Bettel“), ähnlich auch Ewald + MEN + NeÜ + SLT („Bethel [Gotteshaus] wird zum Unheilshause werden“) und B-R („Betel, das Gotteshaus, wird zur Argstätte“). (Zurück zu v.5)
ntFN: entzünde (spalte, durchdringe, verbrenne, dareinfahre) - Umstrittenes Wort. tsalach heißt sonst entweder „gelingen, gedeihen, gut zu gebrauchen sein“ oder ausschließlich dann, wenn der „Geist Gottes“ das Subjekt des Verbs ist, „eindringen, durchdringen“ (z.B. Ri 14,6). Im Aramäischen heißt es außerdem „spalten“, was die jüd. Exegeten ibn Janach, ibn Ezra und Kimchi auch hier verstehen („damit Gott das Haus Josephs nicht spalte wie Feuer“). Sonst ist diese Bed. im Heb. aber nicht belegt. Eine weitere Bed. des Wortes könnte dagegen nur in 2 Sam 19,18 belegt sein, wo Personen Subjekt des Verbs sind und viele mit „eilen zu“ übersetzen. Hier ist dagegen Feuer das Subjekt des Verbs, in Sir 8,10 eine dann brennende Kohle sein Objekt. Entsprechend übersetzen hier LXX, VUL, Tg und Syr alle mit einem Wort für „anzünden, entbrennen“.
(a) Nur wenige Kommentare, aber die meisten Üss. orientieren sich an der Primärbed. des Verbs, z.B. : „Sonst dringt er in das Haus Josef ein wie ein Feuer“; Jeremias 1995: „Sonst durchdringt er das Haus Josef wie Feuer“. Aber wie gesagt, dies scheint eine Sonderbed. zu sein, die das Wort nur in Verbindung mit dem „Geist Gottes“ annimmt. (b) Eine ganze Reihe von Exegeten denkt stattdessen, dass das Wort tatsächlich etwas wie „brennen“ bedeuten müsse. (b1) Tawil 2012 und Paul 1991 verweisen daher auf einige hebräische, ugaritische und akkadische Wörter, die primär Verben der Bewegung sind, sekundär aber gleichzeitig die Bed. „brennen“ haben, und nehmen auf dieser Basis an, dass dies auch für dieses Wort gelte. Mit den primären Bedd. „gelingen“ und „eindringen“ passt unser Wort aber nicht sehr gut in dieses Muster; beide müssen daher ganz am unsicheren V. 2 Sam 19,18 ansetzen und dem Wort dort die singuläre Bed. „eilen zu“ geben. (b2) Rudolph und Soggin setzen ein tsalach II an, das mit Akk. tselû „brennen“ verwandt sein soll, aber richtig Paul 1991, s. 165: Dieses akk. Wort heißt eigentlich „räuchern, rösten“ und hat außerdem bereits ein Kognat im heb. tsalah „rösten“. (b3) Eine dritte Gruppe von Exegeten korrigiert יצלח כאש zu ישלח באש „er sandte=verbrandte mit Feuer (das Haus Josefs)(vgl. Ri 20,48; 2 Kön 8,12) oder zu ישלח אש ב „er sandte Feuer in (das Haus Josefs)(vgl. Ez 39,6; Hos 8,14); so z.B. Maag 1951, Mays 1969. (c) Eine weitere Gruppe von Exegeten schließlich setzt wie Tawil und Paul an der Sonderbed. (?) „eilen zu“ in 2 Sam 19,18 an und lässt sich in der Üs. hiervon leiten, z.B. Ehrlich 1912: „Er wird dareinfahren wie Feuer“; Andersen/Freedman 1989 und Garrett 2008: „Lest he rush upon the House of Joseph like a flame“; Eidevall 2017: „Otherwise he will attack the house of Joseph like fire“.
Alles in allem ist keine dieser Positionen ganz unproblematisch; Sir 8,10 macht aber wirklich sehr wahrscheinlich, dass das Wort auch die Bed. „entzünden“ haben kann. (Zurück zu v.6)
otFN: wie {das} Feuer - W. „wie das Feuer“, eine heb. Stileigentümlichkeit: Anders als im Dt. wird dort in Vergleichen das Verglichene determiniert, während es im Dt. unbestimmt bliebe (s. ähnlich z.B. Ps 33,7; 104,6; Hld 6,5; 8,6; Klg 2,6.14; Ob 4 u.ö.). (Zurück zu v.6)
pHaus Josefs (V. 6) + Überrest Josefs (V. 15) - Zu „Haus“ s. zu V. 1. Josef war einer der Söhne Israels/Jakobs, das „Haus Josefs“ also ein Teil des „Hauses Israel“, genauer nämlich das Kerngebiet im Zentrum des Nordreiches „Israel“, zu dem unter anderem Samaria und im 8. Jh. auch Bethel gehörte und in dem auch der Rumpfstaat „Ephraim“ lag, auf den Tiglath-Pileser das Nordreich reduziert hatte (s. die Einleitung). Gemeint ist also in V. 6: „Damit Gott nicht auch noch den Rest Israels vernichtet“, in V. 15: „Vielleicht wird Gott dann ja wenigstens diesem Rest Israels gnädig sein“. (Zurück zu v.6 / zu v.15)
qfür Bethel (wegen Bethel) - übersetze etwa: „trotz ihrer Opfergaben“. Der nicht ganz leicht erklärliche Text lässt sich am glattesten so verstehen, dass Bethel hier als wichtigstes kultisches Zentrum des Nordreichs stellvertretend für den ganzen religiösen Kult Israels oder das ganze kult-treibende Israel genannt wird (so z.B. Moldenhawer 1787, S. 260; Keil 1866, S. 199; Hitzig 1881, S. 127; Harper 1905, S. 112; Driver 1915, S. 181). Man könnte also geradezu übersetzen: „trotz Bethel“: Obwohl so fleißig in Bethel (und Gilgal und Beerscheba) geopfert wird, ist da niemand, der „für Bethel“ – als Gegenleistung für oder als Reaktion auf den Kult also, den die Israeliten betrieben (zu dieser Verwendung von le- vgl. Jenni 2000, S. 300: Angabe eines Anlasses; Bsp: Jes 30,19: „JHWH wird dir gnädig sein le die Stimme deines Schreiens.“) – JHWHs Feuer wieder löschte; und dies deshalb, weil der ganze Kult wertlos ist, wenn nicht auf richtige Weise „Gott gesucht“ wird.
Andere Deutungen: (1) Viele Exegeten v.a. des letzten Jahrhunderts ändern den Text (s. gleich) und gehen auf den Sinn von „für Bethel“ daher gar nicht ein. (2) Wolff 1969 übersetzt mit „wegen Bethel“ und Jeremias 1995 merkwürdigerweise mit „betrifft Bethel“; beide denken, hiermit solle abschließend noch einmal darauf hingewiesen werden, dass der Grund des Verbrennens Gottes die schuldhaften Taten seien, die zu Bethel geschahen („während niemand löscht – [und all dies] wegen Bethel“). Mithören müsste man für diese und nach dieser Deutung Am 4,4f. und diese Verse dann so verstehen, dass bereits dort der Kult in Bethel als sündiger Kult abgeurteilt wurde. Das geht kaum an und selbst dann wäre die Einspielung des sündigen Bethel-Kults hier so knapp und poetisch so schief, dass diese Deutung von Wolff und Jeremias bisher verständlicherweise kaum Anhänger gefunden hat. (3) Eine weitere größere Gruppe von Exegeten hält „betrifft Bethel“ und auch „betrifft Israel“ in V. 3 für sekundäre Glossen. Neuere Beispiele: Kessler 2021 übersetzt ebenso wie Jeremias, hält aber „betrifft Israel/Bethel“ für später hinzugefügte Leseranweisungen („in diesem Abschnitt ging es übrigens um Israel/Bethel“). Für Mays wollte ein Schreiber den Leser beruhigen: „[Diese Drohung in V. 6 gilt übrigens nur speziell] für Bethel“. Und Rudolph hält diesen Strophenschluss ernsthaft für eine Anweisung an Schreiber: V. 6 hätte ursprünglich an einem anderen Ort gestanden, ein erster Schreiber hätte mit der Anmerkung „gehört zu Bethel“ = „gehört zur Bethel-Strophe“ darauf hingewiesen, dass der Vers am falschen Ort sei, und ein zweiter Schreiber hätte diese Anmerkung zwar richtig verstanden und den Vers an seinen richtigen Ort verschoben, dabei aber aus Versehen auch die Anmerkung kopiert. Auf diese Weise ausgeklammert hat man unliebsame Textpassagen v.a. Anfang des 20. Jhd.s, während in der heutigen Exegese solche Deutungen als „Leserlenkungs-Glossen“, „Schreiber-Anmerkungen“ u.ä. kaum noch mehrheitsfähig sind.
Textkritik: LXX und VL ändern zum wesentlich einfacheren „für das Haus Israel“, womit dann einfach angegeben würde, wer vom Löschen profitierte. Doch Aq, Sym, VUL, Tg und Syr stützen den MT, der daher sicher ursprünglich ist. Viele ältere Exegeten folgten dennoch LXX (z.B. Houbigant, BHK, Cripps, Gordis, BHS); andere strichen einfach die Spezifikation (z.B. Wellhausen, Nowack, Mays, Rudolph). Die Variante der LXX läge merkwürdigerweise auch von der poetischen Struktur von Vv. 4-6 her näher, da diese Verse deutlich eine Ringkomposition bilden:
So sprach JHWH zum Haus Israels (lebet jißrael):
Sucht mich, dann werdet ihr leben!
Aber sucht nicht auf Bethel
Und nach Gilgal geht nicht
Und nach Beerscheba zieht nicht hinüber,
Denn Gilgal wird ganz bestimmt ins Exil gehen
Und Bethel wird zur Nichtigkeit.
Sucht JHWH, dann werdet ihr leben!
Damit er nicht entzünde wie Feuer das Haus Josefs, das verbrennt, während niemand löscht [für das Haus Israels (lebet jißrael statt lebet-el)].
Dennoch, eine solche textkritische Operation wäre heute durchaus nicht mehr zulässig; wie dieses so naheliegende „Haus Israel“ derart einheitlich zu „Bethel“ verderbt worden sein sollte, ließe sich ja gar nicht erklären. Es ist ein etwas merkwürdiger Abschluss dieses Verses. (Zurück zu v.6)
rRecht in Wermut verwandeln - Gut Driver 1915, S. 182: Durch sie entartet also das Recht, das eigentlich ein Instrument für das gute Leben sein soll, zu etwas Bitterem. Wie das funktionieren kann, zeigen Vv. 10-12. (Zurück zu v.7)
sProsopopoeia: Wie oben Samaria als Mensch dargestellt wurde, der „zu Boden fallen“ kann, so hier die „Gerechtigkeit“, die „zu Boden geworfen wird“. Nachträglich erweist sich so der Sturz Samarias als Umkehrstrafe: Er wird so geschehen, wie er geschehen wird, weil die Israeliten so handeln, wie sie eben handeln.
Wie V. 7 mit den umgebenden Versen zusammenhängt, ist umstritten. Klar ist, dass mit dem „die Dunkelheit zum Morgen verwandeln“ in V. 8 an „Recht in Wermut verwandeln“ angeknüpft wird (um das klarer zu machen, haben wir hier ein „doch“ eingefügt). Klar ist auch, dass nach dem kultkritischen Abschnitt in Vv. 4-6 hier mit der Rede von „Recht“ und „Gerechtigkeit“ ein neues Thema eingeleitet wird, das in V. 10 fortgesetzt wird. Vermutlich sollen daher Vv. 7.8f. zunächst die beiden Parteien identifizieren, bevor dann Vv. 10f. klar machen, wie die zweite Partei auf die erste reagiert (so z.B. Keil 1866, S. 200: „Den Gedankenzusammenhang zwischen v. 8 u. 7 hat Hitzig richtig so angegeben: ‚Sie tun also, während Jehova der Allmächtige ist und plötzlich Verderben über sie bringen kann.‘“). Sehr viele Exegeten ergänzen stattdessen vor V. 7 ein „Weh“ („Weh! (Ach) die, die verwandeln...“), was aber textkritisch überhaupt keine Basis hat, glauben, man könne sich ein solches „Weh“ hier einfach dazudenken (so z.B. Andersen/Freedman; Mays) oder verschieben Verse so, dass V. 10 direkt an V. 7 anschließt. Keine dieser Optionen lässt sich wirklich ernst nehmen. (Zurück zu v.7)
tPlejaden und Orion, im Heb. w. „der Haufen“ und „der Narr“, sind zwei benachbarte Sternbilder. Sie sind nicht zusammen mit der Rede vom Wechsel von Tag und Nacht in Zeile b-c ein eigenes Thema neben dem zweiten Thema des Regen-Machens in Zeilen d-e, sondern besonders die Plejaden, ein sehr heller Sternhaufen (daher eben heb. kimah, „Haufen“) aus sieben Sternen, waren im Alten Israel mit dem Regen und den Gezeiten assoziiert. Nach ältester Vorstellung führten sie wohl Regen und Flut ähnlich herbei, wie in Ägypten der Stern Sirius die Nilschwemme herbeiführte, und wurden daher noch lange als Götter verehrt (s. bes. 2 Kön 23,5). In Ri 5,21 ist daher das starke Strömen des Kischon wahrscheinlich nicht etwa unabhängig vom „Kampf der Sterne“ mit Sisera in Ri 5,20, sondern gerade die Waffe der Sterne. Später wandelte sich die Vorstellung dann dahin, dass Gott sich der Sterne als Instrumenten bediente, um Einfluss auf Regen und Gezeiten zu nehmen; daher beginnt eben hier der Vers mit der Rede von den Plejaden und dem Orion und endet mit der Rede von Ebbe und Regen; ebenso steht in Ijob 38,25-35 ein kurzer Abschnitt über die Sterne zwischen zwei Abschnitten über Witterung und Gezeiten. V. 8 beleuchtet daher mehrere Aspekte nur eines Themas: JHWH spendet den Regen – zum einen nämlich mittelbar insofern, als er die unmittelbar den Regen herbeiführenden Gestirne geschaffen hat und ihnen mit der Nacht einen eigenen Herrschaftsbereich einräumt, zum anderen selbst unmittelbar, insofern er zunächst die Meerwasser verdunsten lässt und dann wieder über die Erde ausgießt (eine mythische und eine quasi naturwissenschaftliche Erklärung des Regens werden hier also nebeneinander genannt. Dazu, dass auch im Alten Israel hier an Meerwasser gedacht werden konnte und nicht an Wasser des Himmelsmeeres gedacht worden sein musste, wie Koch 1974, S. 518 meint – was aber auch möglich wäre – vgl. die Deutung von Gen 2,6 durch Rabbi Eliezer (1. Jh. n. Chr.) in b.Taan 9b: „Es wird gelehrt, dass Rabbi Eliezer sagte: ‚Die ganze Welt trinkt von den Wassern des Ozeans, wie es ja heißt: ‚Nebel stieg von der Erde auf und bewässerte die ganze Erdoberfläche‘ (Gen 2,6).‘ Rabbi Jehoschua wandte ein: ‚Aber die Wasser des Ozeans sind salzig!‘ Er antwortete: ‚Sie werden in den Wolken noch gesüßt.‘). V. 8 ist damit Vorbereitung der ersten Hälfte von V. 11, wie V. 9 die zweite Hälfte vorbereitet; s. dort.

Die Identität des „Narren“ als Orion ist leicht umstritten; Dalman in AuS I, S. 486-489 und z.B. auch Koch 1974, S. 518f. halten ihn stattdessen für den Sirius. Ihre Gründe sind gut, die Identität des „Narren“ ist aufgrund der übereinstimmenden Üss. in mehreren alten Vrs. aber fast sicher (vgl. dazu z.B. den entsprechenden Abschnitt in Sterne / Sternbilder / Sterndeutung (WiBiLex)).

Genauer: Weil der Zusammenhang der Plejaden mit dem Regen auch in der atl. Exegese nicht allgemein bekannt ist, seien hier einige Hintergründe und Belegstellen aus den rab. Schriften zusammengetragen.
Wann sich Sternbilder wo zeigen, hängt vom Ort der Himmelsbeobachtung und von der Jahreszeit ab; im Alten Orient dienten die Sterne daher allgemein und häufig als Zeitmesser und galten als Einflüsse auf die jahreszeitentypischen Witterungsverhältnisse. Neben dem Zeitraum, während dem ein Sternbild gar nicht zu sehen war, weil es zeitgleich mit der Sonne am Himmel stand, schenkte man v.a. in alten ägyptischen und sumerischen Texten besonders drei Zeitpunkten besondere Aufmerksamkeit: (1) Dem Zeitpunkt des „Aufgangs“ eines Sternbildes – dem Zeitpunkt also, an dem sich das Sternbild das erste Mal im Jahr wieder kurz am Morgen am Himmel zeigt, bevor die Sonne aufgeht (der sog. „heliakische Aufgang“), (2) dem Zeitpunkt, zu dem das erste Mal das Sternbild bereits mit Sonnenuntergang sichtbar ist („akronychischer Aufgang“), und schließlich (3) einem zwischen (1) und (2) liegenden Zeitpunkt, zu dem dieses Sternbild beim Sonnenuntergang „im Zenit“ steht („akronychische Kulmination“).
Mit dem Heliacal Rising Simulator der Uni Nebraska lassen sich diese Daten für das heutige Israel komfortabel berechnen, wegen der Präzession der Erde muss man für die Verfassungszeit des Amosbuches aber etwa einen Monat abziehen (vgl. zum Phänomen schön verständlich Puls 1998). Danach wären die Plejaden zur Abfassungszeit des Amosbuches nur im April fast gar nicht zu sehen gewesen, weil sie zeitgleich mit der Sonne am Himmel standen. Um den 18. April zeigten sie sich das erste Mal kurz am Morgenhimmel, bevor die Sonne aufging (1), und dieser Zeitpunkt des Aufgangs der Plejaden rückte dann jeden Tag um vier Minuten nach vorne, bis sie Ende September schon mit Einbruch der Abenddämmerung sichtbar waren, dann die ganze Nacht hindurch am Himmel standen und erst nach 8 Uhr und damit nach Sonnenaufgang für das menschliche Auge unsichtbar untergingen (2). Anfang Januar standen sie außerdem zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs im Zenit (3). Beim Orion liegen diese Zeitpunkte alle etwa 1,5 Monate später; sicher schon mal nicht korrekt ist daher, was in manchen Kommentaren und Aufsätzen zu lesen ist – dass die Plejaden den Winter und der Orion den Sommer signalisieren / herbeiführen.
Weil in Israel die für den Ackerbau wichtige Regenzeit gegen Ende September/Anfang Oktober und damit etwa zeitgleich mit dem akronychischen Aufgang der Plejaden einsetzte, wurden die Plejaden zum Signal für den Beginn der Regenzeit. In b.RH 11b-12a wird daher die Regenzeit vom Stand der Plejaden her bestimmt: „Rabbi Yehoschua sagte: ‚[Die Flut geschah] am siebzehnten Ijjar, einem Tag, an dem die Plejaden am Tag untergehen und die Quellen beginnen, weniger Wasser zu geben [, also in der Dürreperiode vor September].‘ Rabbi Eliezer [widersprach]: ‚Sie geschah am siebzehnten Marcheschvan, einem Tag, an dem die Plejaden am Tag aufgehen und die Quellen daher gerade aufgefüllt werden [also in der Regenperiode].‘“ Beide stimmen aber darin überein, dass Gott die Flut herbeigeführt habe, indem er Einfluss auf die Plejaden ausgeübt haben; ebenso b.Ber 59a: „Als der Heilige, gelobt sei er, die Flut über die Welt bringen wollte, nahm er zwei Sterne der Plejaden und brachte die Flut über die Welt.(vgl. zu diesen Stellen gut auch Robbins 1999. Wie sie auf ihre Daten auf S. 339 kommt, legt sie leider nicht offen). Vgl. schließlich JosAnt 13.8.2, wo Josephus von Regenfällen berichtet, die „[erst] mit dem Untergang der Plejaden einsetzten“, weshalb der belagerte Hyrcanus Durst leiden musste. Gemeint ist wahrscheinlich, dass dieses Jahr ein Dürrejahr war, und erst ein Frühlingsregen im April den Belagerten Erleichterung brachte – doch selbst dies wird an den Lauf der Plejaden gekoppelt.
Verwandt hiermit ist, dass die akronychische Kulmination der Plejaden Anfang Januar zum Signal des Endes der Pflanzzeit und des Beginns der Zeit des Wachsens der Pflanzen wurde (zu den Aussaatzeiten der wichtigsten Feldfrüchte vgl. die Tabelle in Ackerbau (WiBiLex)). Vgl. b.BM 106b: „Bis wann [geht die Pflanz-Zeit]? Rabbi Pappa sagte: Bis der Bauer vom Feld kommt und die Plejaden [dann] über seinem Kopf scheinen [also zum Zeitpunkt ihrer akronychischen Kulmination Anfang Januar].
Ähnlich verwandt ist wohl auch Midrasch BerR x 6: „Rabbi Simon sagte: ‚Es gibt kein einziges Kraut oder Gewürz ohne ein eigenes Sternbild, das es anreizt und ihm zu wachsen befiehlt.‘ [...] Rabbi Chanina bar Pappa und Rabbi Simon [deuteten Ijob 38,31]: ‚Die Plejaden reizen die Früchte auf[, regen also ihr Wachstum an].‘“ – was letztlich wohl naturwissenschaftlich gesehen nur heißt, dass sie ab dem Zeitpunkt der Plejaden-Kulmination im Januar und bis zu ihrem Untergang im April am schnellsten wachsen. (Zurück zu v.8)
utFN: der Starke (die Burg) - Heb. עָז, entweder Pausalform von עַז „der Starke“ oder von עֹז „das Starke, die Burg“. Einige Exegeten (z.B. Andersen/Freedman, Eidevall, Hammershaimb, Maag, Mays, Reimer 1992, S. 103) und ZÜR31 wählen die zweite Variante, in dt. Üss. viel verbreiteter ist die Variante „über Starke“. Das ist auch gut so; mit der Variante „Burg“ würden 9a und 9b ja nicht nur gut zusammenpassen, sondern 9b wäre in solchem Maße gleichbedeutend mit 9a, dass die Zeile ganz redundant wäre. (Zurück zu v.9)
vtFN: ...-Verwüstung-aufblitzen-Lasser (...-Verwüstung-Lächler) - unsicheres Wort. Das Wort balag ist wohl verwandt mit arab. balağa „glänzen, leuchten“. In der Bibel steht es sonst nur noch in Ijob 9,27; 10,20; Ps 39,13 und bedeutet nach dem Kontext dort stets „aufheitern, erholen“. So deuten hier frei auch Aq, Sym, VUL und Saadja (z.B. VUL: qui subridet vastitatem super robustum „der Verwüstung über den Starken spottet“, via „aufheitern“). Ähnlich glauben Garrett 2008 und Jeon 2015, das Wort könne hier in dieser Bed. wörtlich, aber ironisch verwendet werden: „Verwüstung auf den Starken herablächeln“. Die meisten glauben aber besser, dass das Wort hier näher an seinem arabischen Kognat liegt als bei den anderen drei Stellen und etwas bedeutet wie „aufleuchten, aufblitzen, plötzlich erscheinen“, was auch im Mittelhebräischen häufig und im Neuhebräischen ausschließlich die Bed. dieses Wortes ist (so z.B. Keil, Gordis, Rudolph, Soggin, Eidevall, Ges18, KBL3). Daneben sind viele verschiedene Textkorrekturen verbreitet; am häufigsten nach LXX, die mit „der zuteilt“ übersetzt, von המבליג zu המבדיל (z.B. Andersen/Freedman, Wolff) oder המפליג (so z.B. BHS, Paul; beides zur Not: „der zuteilt“), daher HER05: „Verderben bestellt er über den Starken“; verbreitet auch המפיל „der herabsendet“ (so z.B. Marti, Mays), weshalb wahrscheinlich H-R: „Er läßt Verderben über die Starken kommen“, R-S: „Vernichtung bringt er starken Plätzen“, ZÜR31: „ER lässt Verderben auf die Burgen fallen“.
Textkritik: Eine verblüffende Textkorrektur sei bei dieser Gelegenheit noch erwähnt: Ohne irgendeinen Anhalt in der Überlieferungsgeschichte des Textes liest Hoffmann 1883 statt schod „Vernichtung“ jeweils schor „Bulle“ und vokalisiert außerdem ´az „Burg“ als ´ez „Ziege“ und mibtsar „Festung“ als mebatser „Weinleser“ (was nicht einmal die Bed. des Wortes sein kann, vgl. Zalcman 1981, S. 55f.) und kommt so zu der völlig anderen Übersetzung „der den Bullen direkt nach der Ziege aufgehen / und den Bullen direkt nach dem Weinleser untergehen lässt“. V. 9 wäre dann also noch einmal ein nachgeschobener Astronomie-Abschnitt, denn „der Bulle“ soll das Sternbild Taurus, „die Ziege“ das Sternbild Capella und „der Weinleser“ das Sternbild Vindemiatrix sein. Ganz verblüffend hat er damit ziemlich viele Anhänger gefunden, z.B. BHK, BHS, Driver 1953, S. 209; Maag, Snaith, Cripps, NEB; so tatsächlich auch noch Ges18, S. 151. Ähnlich auch Duhm, Nowack und Greßmann, die noch einen Schritt weiter gehen und zusätzlich zunächst das zweite schod nach LXX als scheber lesen (s. nächste FN) und dann scheber zu schebo „Edelstein“ emendieren, das dann für das Sternbild Gemma stehen soll.
Dass sich dieser Vorschlag so immer noch in Ges18 findet, ist klar ein Anachronismus; derartige textkritische Operationen entsprechen mitnichten mehr den Normen der Textkritik. (Zurück zu v.9)
wTextkritik: Das selbe Wort wie in Zeile a. Das ist ungewöhnlich, aber vgl. allein im Am noch Am 3,9; 9,5 – möglich ist es schon. Hinzu kommt aber, dass LXX die beiden Worte mit zwei unterschiedlichen griechischen Worten übersetzt: syntrimmon ... talaiporian „Verwüstung und Mühsal“. Das könnte darauf weisen, dass ursprünglich statt dem zweiten schod ein anderes Wort im Urtext stand; vermutlich dann scheber („Bruch, Zusammenbruch“. Vgl. Jes 60,18: schod wascheber = syntrimma kai talaiporia). Auch dieses Indiz ist aber nicht eindeutig; vgl. Jer 4,20: scheber ´al-scheber = talaiporia kai syntrimmon. LXX könnte also ebenso gut aufgrund anderer stilistischer Normen tatsächlich die beiden identischen Worte durch zwei unterschiedliche übersetzt haben, so dass letztlich keine der alten Vrs. wirklich eindeutig einen anderen Urtext bezeugt. Ältere Exegeten hielten dennoch häufig scheber statt dem zweiten schod für ursprünglich, woraus sich wahrscheinlich die vielen Varianten in dt. Üss. erklären, die hier mit us. Wörtern übersetzen. Bspp: HER05: „Verderben + Vernichtung“, MEN + NeÜ: „Vernichtung + Verwüstung“, PAT: „Verderben + Zerstörung“. (Zurück zu v.9)
xTextkritik: er bringt (kommt) - MT wie in der Alternativüs.: jbw „kommt“. Alle anderen Textzeugen (LXX, Sym, VUL, Tg, Syr) übersetzen aber mit „bringt“, was eine Textvorlage jbj nahelegt. Bei einer so einheitlichen Bezeugung ist sicher jbj als die ursprünglichere Variante einzuschätzen; so z.B. auch BHS (BHQ entscheidet sich nicht), Mays, Gordis, Rudolph, Soggin, Paul, Jeremias. MT für ursprünglicher halten aber z.B. auch die wichtigen Kommentare von Wolff, Andersen/Freedman, Garrett, Eidevall u.a. (Zurück zu v.9)
y
Stadtplan des alten Beersheba. (c) https://www.biblewalks.com/telbeersheba
Tor + Kläger (Richter) - Übersetze etwa: „Sie hassen, wer vor Gericht sein Recht einklagen will“. Größere Städte im Alten Israel hatten als Tore häufig nicht nur größere Türen, sondern die Stadttore waren ein relativ großflächiger architektonischer Komplex (für ein Bsp. s. rechts). Versammlungen wurden daher nicht auf dem Stadtplatz, sondern „in den Toren“ abgehalten (s. z.B. Neh 8,1; 2 Chr 32,6). Auch die Rechtsprechung im Alten Israel fand daher meist „im Tor“ statt (s. z.B. Dtn 21,18-20; 25,7-9; Rut 4). An dieses Szenario hat man hier also zu denken.
Welche Funktion in diesem Rechtssystem der mokiach hatte, ist unsicher. Das Verb jakach kann zu Beginn eines Konflikts „tadeln, anklagen, zur Rede stellen“ bedeuten (s. z.B. Gen 21,25; Ijob 6,25f.; 13,3; 22,4; 40,2), am Ende eines Konflikts aber auch „richten; feststellen, was Recht ist“ und in der Folge sogar „bestrafen“ (s. bes. Spr 24,24f.; z.B. auch Gen 31,37; 1 Chr 12,17; Ijob 13,10; 23,7; Ps 6,2; vgl. Boecker 1970, S. 45-47). Entsprechend könnte ein mokiach theoretisch entweder ein „Ankläger“ (z.B. PAT: „Anwalt“; TUR: „der, der im Tor rügt“) oder ein „Richter“ sein (z.B. NL: „Richter“; LUT 17 + SLT: „der, der im Tor Recht spricht“; ZÜR: „der, der den Entscheid fällt“). Führt man sich vor Augen, dass ein Rechtsstreit im Alten Israel üblicherweise von den streitenden Parteien selbst vor die Richtenden getragen wurden (s. nur die drei obigen Beispielstellen), wird es aber wahrscheinlich kein eigenes Ankläger- oder Anwalts-„Amt“ gegeben haben; genauer hat man also entweder zu denken an einen ungerecht Behandelten, der seine eigene gerechte Sache vor Gericht bringen will, oder eben an den Richter im Tor. V. 12 macht dann die erste Möglichkeit wahrscheinlicher. Außerdem deshalb: Im Alten Israel gab es natürlich keine hauptamtlichen Richter, sondern das Recht wurde üblicherweise von den „Ältesten“ gesprochen, also von respektablen Bürgern einer Stadt, die nebenbei als eine Art Schöffen fungierten. Und richtig dann Fleischer 1989, S. 155: „Da anzunehmen ist, daß die Adressaten der Anklagen des Amos, die allem Anschein nach der Oberschicht zugehören, selbst aufgrund ihrer Position die Richterfunktion am Tor an sich gerissen haben, wäre die Rede vom ‚Haß auf den Richter‘ verwunderlich.“ (Zurück zu v.10)
zTextkritik: den aufrichtig Sprechenden (das aufrichtig Gesprochene) - Die heb. Konsonanten dbr tmjm lassen beide Möglichkeiten zu, da dbr sich sowohl als dober „Sprechender“ als auch als dabar „Gesprochenes“ vokalisieren ließe. MT vereindeutigt durch Vokalisierung und VUL, Tg und Syr durch Üs. zu „Sprechender“, LXX, Theod und Sym dagegen durch Üs. zu „Gesprochenes“. Nach 10a war mit den Konsonanten wahrscheinlicher die erste Variante angezielt als die zweite. (Zurück zu v.10)
aaDarum: - d.h.: „Darum gilt für euch dieses Urteil Gottes:“ (Zurück zu v.11)
abtFN: trampeln (zertrampeln, Getreide eintreiben) - Unsicheres Wort. Die Versionen helfen auch nicht weiter: LXX und Syr übersetzen wie in Am 2,7 mit „niederprügeln“, VUL und Tg wohl via bzz als „ausplündern“. Heb. hat die Konsonanten bšskm, ein zugrundeliegendes Verb bšs ist aber sonst nicht mehr belegt. Zwei Deutungen sind verbreitet: Die einen halten nach Wellhausen 1893, S. 81 bšs für ein angezieltes b(w)s („trampeln“), das fälschlich als geschrieben und dann zu bs korrigiert wurde, wonach dann die beiden Varianten š und s beide als Konflation in den Text geraten wären (wie dies sicher ebenso geschah bei npjšsjs in Neh 7,52 und bei ´mšsj in Neh 11,13). Ältere Exegeten hielten alternativ bšs nur für eine dialektale Nebenform oder Verschreibung von bss (Polel von b(w)s: „zertrampeln“; so z.B. schon Vater 1810, Keil 1866, ähnlich bereits Raschi, Kimchi). So z.B. B-R: „Weil ihr den Armen zertrampelt“ NL: „Ihr tretet die Armen in den Staub“; MEN + SLT: „Weil ihr den Geringen niedertretet“. Die anderen wollen mit Torczyner 1936, S. 6f. das Wort herleiten vom akkadischen šbš („Getreideabgaben erheben“), das so ins Hebräische gewandert wäre, dass sowohl Konsonantenwechsel (šbš > šbs) als auch Metathesis (šbs > bšs) stattgefunden hätte. Gemeint wären dann wieder Abgaben von landwirtschaftlichen Subunternehmern, die ihr Land von Großgrundbesitzern pachteten und dafür hohe Abgaben zu zahlen hatten, s. zu Am 2,8. So z.B. BB: „Ihr fordert Pachtzinsen von dem Hilflosen“; : „Weil ihr vom Hilflosen Pachtgeld annehmt“; NeÜ: „Weil ihr vom Hilflosen Pachtgeld verlangt“; ZÜR: „Weil ihr dem Hilflosen Pachtzins auferlegt“. Beides ist nicht unproblematisch und erschwerend kommt hinzu, dass weder das akkadische Wort šbš noch das hebräische Wort b(w)s sonst wie hier mit der Präp. ´al belegt sind. Die zweite Variante ist aber wohl nur deshalb so beliebt, weil sie so gut zu der üblichen Übersetzung „Korn-Abgaben“ in der nächsten Zeile passt, womit man diese Zeile aber missverstehen dürfte (s. gleich); vorzuziehen ist daher sehr wahrscheinlich die erste Variante. (Zurück zu v.11)
acKorn-Darbringungen (erlesene Geschenke, Korn-Abgaben?) - Üblicherweise übersetzt entsprechend der zweiten Alternativüs. Zu „Korn“ vs. „erlesen“ s.u. Für die Üs. „Abgaben“ orientiert man sich am punischen Kognat, das „Abgabe“ heißt, und an 2 Chr 24,6.9, wo das Wort oft als „Steuern“ gedeutet wird („Warum hast du die Leviten nicht aufgefordert, aus Juda und Jerusalem zu bringen die maß`et des Mose und der Versammlung Israels für das Zelt des Zeugnisses? ... Da rief man aus, dass man JHWH die Mose-maß`et Israels in der Wüste darbringen sollte.“). Effektiv geht es dort zwar wirklich um eine Steuer, da mit dieser Eintreibung jährlich der Tempel renoviert werden soll; was Mose den Israeliten nach Ex 30,12-16 auferlegte, war aber keine Steuer, sondern ein jährlich zu entrichtendes monetäres Sündopfer für JHWH, wie ähnlich auch das fragliche Wort selbst in Ez 20,40 für ein Opfer für JHWH gebraucht wird. Man darf diese „Abgabe“ also nicht als „Steuer“ im eigentlichen Sinne verstehen, und entsprechend heißt das Wort häufiger (ungeschuldetes!) „Geschenk“ oder „Ehrengabe“ s. Gen 43,34; 2 Sam 11,8; Est 2,18; Jer 40,5. Gemeint sind damit also wahrscheinlich nicht ordentliche Pachtzinsen, zu denen man sich hinzudenken muss, dass diese häufig exorbitant hoch waren, sondern im Gegenteil unordentliche Abgaben, die die Armen den Angeklagten geben mussten, ohne dass sie diesen zugestanden hätten. Orientiert man sich am MT mit bar=„Korn“ (aber s. gleich), ist hier also vom Selben die Rede wie in Am 2,8: Reiche Großgrundbesitzer bereichern sich an Armen noch zusätzlich zu den ohnehin schon exorbitant hohen Pachtzinsen für ihre Kornfelder, weshalb diese dann z.B. auch noch selbst ihre Mäntel pfänden mussten.
Textkritik: MT hat bar „Korn“. Das lässt sich allerdings durch keine der Vrss. stützen: LXX und Syr setzen statt br „Korn“ brrwt voraus (oder brr, wenn defektiv [wie dies LXX und Syr auch für mß`t voraussetzen und daher stattdessen entsprechend mß`wt deuten] und wenn t- des folgenden tiqchu shared consonant ist: מַשְׂאֹת בְרֻרֹ תִּקְחוּ), VUL brr, LXX und Syr also den Pl. und VUL den Sg. von brr („ausgewählt sein, auserlesen sein“, s. 1 Chr 7,30; 9,22; 16,41; Neh 5,18). Daher LXX + Syr: „auserlesene Geschenke“, VUL: „auserwählte Beute“. Tg dürfte den selben Text vorliegen gehabt haben, dann aber wie VUL gedeutet und frei mit ähnlichen Worten wie im folgenden Vers übersetzt haben: „ergaunertes Geld“. Kommentare und Üss. und daher auch OfBi folgen sehr einheitlich dem MT, an sich spricht die Evidenz aber recht stark für ein ursprüngliches brr statt br. Gemeint wäre dann etwas wie „Weil ihr gleichzeitig zum Einen die Armen ausnehmt und zum Anderen auch noch erlesene Geschenke von ihnen annehmt, gilt für euch: ...“. (Zurück zu v.11)
adHäuser aus behauenen [Steinen] - Also protzigen Gebäuden im Vergleich zu den Lehmziegel-Hütten, in denen viele Israeliten wohnten. (Zurück zu v.11)
ae
Assyrer fällen nach Belagerungssieg Dattelpalmen der unterlegenen Stadt. (c) Paterson 1912: Assyrian Sculptures. S. 13.
11c-f ist der sog. „Vergeblichkeitsfluch“, der in der Bibel häufig verwendet oder auf den zumindest angespielt wird. S. noch Am 9,14; auch Dtn 20,5f.; 28,30.39; Jes 65,21f.; Jer 29,5.28; 31,4; Ez 28,26; 36,36; Mi 6,15; Zef 1,13. Smoak 2008 hat einen längeren Artikel über diesen Fluch verfasst; er glaubt, dieser Fluch sei aufgekommen, als die Assyrer den Belagerungskrieg „erfanden“, bei dem nach dem Sieg nicht nur die Stadt geschleift, sondern außerdem auch die umliegenden Gärten und Felder verwüstet wurden (für eine Abbildung s. rechts). Diese Kriegstaktik gab es aber bereits viele Jahre zuvor z.B. bei den Ägyptern, s. z.B. den Bericht von Pharao Pepis Offizier Uni: „Die Armee kehrte sicher zurück, nachdem ich ihre Stadtmauern einstürzen lassen hatte. Die Armee kehrte sicher zurück, nachdem ich ihre Feigenbäume und Weinstöcke niedergemäht hatte. Die Armee kehrte sicher zurück, nachdem ich Feuer an all ihre Behausungen gelegt hatte.“ (nach ANET 228). Oder s. die Drohung auf der Kriegsstele des Ka-mose: „Du Ruchloser, du elender Aamu! Sieh! Ich trinke vom Wein deines Weingartens! ... Ich vernichte deinen Wohnsitz! Ich haue deine Bäume um!“ (TUAT I/6, S. 531).
Solche Kriegstaktiken könnten wirklich der Ursprung dieses Fluches sein; mitgehört werden müsste also jeweils: „Du wirst das Haus, das du gebaut hast, nicht bewohnen, [weil es vernichtet werden wird]. Du wirst den Wein der Weingärten, die du gepflanzt hast, nicht trinken, [weil sie zerstört werden werden].“ In unserem Kontext ist aber ja klar, warum die Angeklagten ihre Häuser nicht bewohnen und ihre Ernten nicht einholen können werden: Weil Gott der Herr des Regens ist und als solcher ihre Weingärten verdorren lassen wird, und weil Gott außerdem ihre „Festungen“ vernichten werden wird (s. Vv. 8f.; s. ähnlich Am 4,7-9.11). (Zurück zu v.11)
afBußgeld (Schweigegeld) - Beides ist möglich; nicht sehr wahrscheinlich ist dagegen die ebenfalls häufige Übersetzung „Bestechungsgeld“. kofer kommt von kafar „zudecken“; besonders häufig ist das abgeleitete Verb kipper „sühnen, ein Sühnopfer darbringen“ (weil mit solchen Sühnopfern sozusagen die Sünden „zugedeckt“ und so aus der Welt geschafft werden). Zunächst ist kofer also ein „Zudeckungsgeld“ (B-R). Sicher meint es als solches mindestens auch das Strafgeld, mit dem eine vor Gericht festgestellte Schuld abgegolten werden konnte (s. Ex 21,30; einige Verbrechen konnten durch solche Bußgelder nicht abgegolten werden, s. Num 35,31). 1 Sam 12,3 legt außerdem sehr nahe, dass es auch „Schweigegeld“ bedeuten kann: „Wem habe ich Gewalt angetan? Oder von wem habe ich kofer angenommen, sodass ich meine Augen verschlossen hätte?“ Für die Bed. „Bestechungsgeld“ dagegen, das in Ex 23,8 als schachar „Geschenk“ bezeichnet wird, gibt es keine Indizien.
Besser als „Schweigegeld“ passt hier aber „Bußgeld“, denn Gerechten-Bedränger, Bußgeld-Nehmer sind wahrscheinlich keine zwei unterschiedlichen Beschuldigungen, sondern ist ein Hendiadyoin und stehen daher hier so eng in einer Zeile beieinander: Gerechte werden bedrängt, indem ihnen Bußgelder auferlegt werden, die sie als Gerechte eigentlich gar nicht zahlen müssten. Dies wäre also eine der Weisen, wie man Arme zu ungeschuldeten Korn-Geschenken verpflichten konnte (s. V. 10). (Zurück zu v.12)
agim Tor verdrängen = „um ihr Recht bringen“, gut daher R-S: „Ihr raubt den Armen vor Gericht ihr Recht“, NeÜ: „Ihr verweigert den Armen das Recht“. Sehr ähnlich formuliert in Spr 18,5; noch knapper in Mal 3,5. Der zugrunde liegende vollständigere Ausdruck ist wahrscheinlich der in Jes 10,2 („vom Recht wegdrängen“). Häufig wird daher auch sinnvoll übersetzt: „Sie beugen das Recht der Armen im Tor“ (z.B. ELB, MEN, NL, van Ess); meist aber „wörtlicher“: „Sie unterdrücken die Armen im Tor“. (Zurück zu v.12)
ahdie Weise (der Weise, der Wohlhabende?, der Tor?) - So deuten Sellin 1929, S. 143 und Eshel/Talmon 1986f.: Heb. maßkil steht am häufigsten in den Psalmüberschriften und bezeichnet dort eine Liedgattung, wahrscheinlich das „Kunstlied“ oder „kunstvoll gestaltete Lied“ (so z.B. Kraus 1961, S. XXIII). Hier stünde es dann für freudige Lieder, die aber in „dieser Zeit“ gerade nicht ertönen, weil es eine derart schlimme Zeit ist. Diese Deutung liegt strukturell am nähsten, da laken „darum“ im Amosbuch sonst stets einen Urteilsspruch JHWHs einleitet (s. Vv. 11.16; auch Am 3,11; 4,12; 6,7; 7,17).
Andere Deutungen: Alternativ wollen Jackson 1986 und Smith 1988c maßkil als „den Erfolgreichen“ lesen, was das Wort ebenfalls gelegentlich bedeutet, und dies dann auf den „Wohlhabenden“ deuten: Dieser müsste dann zu dieser Zeit schweigen. Aber richtig Goff 2008, S. 639: Diese Bed. von maßkil wäre nicht idiomatisch. Ähnlich auch die sehr fernliegende Deutung von Tawil 2012b, S. 62, der das Wort hier verbinden will mit akk. saklu „der Tor, der Übeltäter“, wonach dann maßkil sowohl den Weisen als auch den Toren bezeichnen könnte. Diese „Toren, Übeltäter“ wären die selben wie Jacksons und Smiths „Wohlhabende“ und müssten ebenso schweigen.
Fast alle anderen deuten maßkil hier stattdessen als „den Weisen“, was das Wort auch häufiger bedeutet. Was der so gedeutete Vers hier soll, ist dann aber nicht gut erklärlich. Am besten noch Dahl 1795, S. 166: „Weil die Gerechtigkeit so schlecht gehandhabt wird, so mache der vernünftige Redliche erlittende Beleidigungen nur gar nicht klagbar, er läuft ja doch Gefahr; einen schiefen Urtheilsspruch zu erhalten!“ (ebenso Baur, Wellhausen, Driver 1915, Snaith, Mays). Gut übersetzte dann Moldenhawer: „Dieserhalb schweiget auch der, welcher vorsichtig ist, weil die Zeiten so arg sind.“ Neuere Kommentatoren halten den Vers dagegen häufiger für eine sekundäre, nicht zum ursprünglichen Text gehörige und überhaupt nicht zu ihm passende Empfehlung an „den Weisen“, besser nichts zu sagen (z.B. Jeremias 1995, S. 70: „Ein späterer Leser nach dem Exil aus dem Kreis der Weisen hat die Lücke genutzt, um angesichts der ‚schlimmen Zeit‘, unter der er seine eigene Generation im Lichte der Amosworte verstand, vor dem schuldhaften Wort zu warnen, d.h. vermutlich: vor einem Dreinreden in Gottes strafendes Handeln (vgl. die Freunde im Hiobbuch).“ So deutet bereits Raschi). Weitere, seltener vertretene Deutungen: Nach Garrett müsste man sinngemäß übersetzen: „Dazu kommt auch noch, dass die Weisen schweigen, statt die Armen zu verteidigen“, was vom Sinn her tatsächlich ziemlich gut zu 10b passte (ähnlich Hitzig und Anderson/Freedman, die dies nicht auf die Situation der Armen vor Gericht beziehen: V. 13 schildert nur ein weiteres Charakteristikum dieser schlimmen Zeit, nämlich eben das, dass sogar auch noch die Weisen schlechthin schweigen); nach Goff 2008, S. 639 schließlich: „So schlimm ist diese Zeit, dass es dem Weisen geradezu die Sprache verschlägt.“. (Zurück zu v.13)
aiTextkritik: hasst (wir hassen) + liebt (wir lieben) (V. 15a) + richtet auf (aufgerichtet sein/werden wird) (15b) + gnädig sein (uns gnädig sein) (V. 15c) - In V. 15a 4QXIIg und LXX wie in der Alternativübersetzung; VUL, Tg und Syr stützen MT. In 15b LXX-Mss wie in der Alternativübersetzung; VUL, Tg und Syr stützen MT; in 4QXIIg ist dieses Wort nicht erhalten. In V. 15c 4QXIIg und LXX-Mss wie in der Alternativübersetzung; viele LXX-Mss, VUL, Tg und Syr stützen MT. Die Unterschiede im Konsonantentext zu den Varianten im MT sind minimal (z.B: ßn`nw „wir hassten“ vs. ßn`w „hasst!“; jḥnnw „er wird gnädig sein mit uns“ vs. jḥnn „er wird gnädig sein“; whșjg „und aufgerichtet sein/werden wird“ [als intransitives Hifil oder als Hofal] vs. whșjgw „und richtet auf!“). Dass die Lesarten des MT die ursprünglichen sind, ist gar nicht ausgemacht. Zum einen ließe sich eine Änderung von Indikativ zu Imperativ, die dann die anderen Änderungen nach sich gezogen hätten, leichter als Angleichung von V. 15 an V. 14 erklären als umgekehrt, zum anderen ließe sich mit der Lesart von 4QXIIg auch der Unterschied von Jussiv in V. 14 und `ulaj „vielleicht“ + Yiqtol in V. 15 besser erklären: „Dann wird es wirklich so sein, dass JHWH mit euch ist, wie ihr sagt: ‚Vielleicht wird [daher] JHWH gnädig sein mit uns!‘“ Wir ziehen hier hauptsächlich deshalb die Lesart von MT als die ursprünglichere vor, weil auch sonst niemand 4QXIIg für ursprünglicher hält; an sich müsste diese Differenz aber noch einmal genauer in der Forschung reflektiert werden. (zu v.15)
ajDarum spricht so JHWH - Warum? Die Gedankenverknüpfung ist wohl die: JHWH wird dem Überrest vielleicht gnädig sein, wenn sie sich wieder recht verhalten, und um dies herbeizuführen, bestürzt er sie mit den zuvor genannten „Erziehungsmaßnahmen“. (Zurück zu v.16)
akWeh! Weh! - Im Heb. ho ho, eine Variante des üblicheren Totenklagerufs hoj (s. z.B. 1 Kön 13,30). Warum hier diese singuläre Variante steht, ist unerklärlich; V. 18 und Am 6,1 steht die übliche Form. Zur Totenklage s. zu V. 1. (Zurück zu v.16)
alUnd die Klage zu den Klagelied-Kundigen (und zur Klage die Klagelied-Kundigen) - Ungewöhnliche Satzkonstruktion. Vielleicht soll mit den beiden unterschiedlichen Konstruktionen in 16e und 16f die Allgegenwart der Trauer und Klage zusätzlich unterstrichen werden – als würde man sagen: „Ruft die Trompeter zum Spiel / und die Musik zu den Trommlern (statt: und die Trommler zur Musik)!“ Dem selben Zweck soll sicher das Hyperbaton in Vv. 16f. dienen: Die Klageliedkundigen aus 16f sollen auf den Plätzen und in den Gassen in 16cd klagen, wo sie „hingehören“, die Ackerknechte aus 16e dagegen in den Weingärten in 17a.
CTAT III:664f. will die Konstruktion als Hypallage erklären, also als Stilmittel, bei dem ein Ajektiv oder eine Partikel „un-grammatisch“ auf das falsche Wort bezogen wird (bekanntestes Beispiel ist Wodehouse' „I lighted a thoughtful cigarette“), aber zum Einen scheint es mit Partikeln keinen weiteren Beleg für dieses Stilmittel in der heb. Bibel zu geben (am nähsten ist der V. Ez 39,11, auf den auch ibn Ezra hinweist: `eten legog meqom-scham qeber „Ich werde dem Gog geben einen Ort dort als Grabstätte“ statt ... meqom-qeber scham „... einen Grabstätten-Ort dort“), zum Anderen müsste ja trotzdem auch nach der Einordnung dieser Formulierung als Stilmittel erklärt werden, welche Wirkung damit angezielt werden sollte.
Textkritik: VUL und Syr übersetzen so, wie man es erwarten würde: „Und zur Klage die Klagelied-Kundigen“. Sehr viele Exegeten halten dies für die ursprünglichere Variante, aber sicher ist dies nur eine Normalisierung der merkwürdigen Syntax. (Zurück zu v.16)
amdurch deine Mitte ziehen - Richtig NL: „Denn ich werde hindurchgehen und in deiner Mitte alles vernichten.“ JHWH nämlich ist so groß und furchtbar, dass überall, wo er „hindurchzieht“, eine Spur der Vernichtung hinterlässt (vgl. Dtn 9,3; 31,3; 1 Kön 19,11; in Ex 33,22 muss Gott den Mose extra abschirmen, um an ihm vorüberziehen zu können). (Zurück zu v.17)
anWeh! [Ach sie,] (Wehe denen,) - Beide Alternativen sind möglich. Variante 1 z.B. bei LUT, Variante 2 z.B. bei , so die meisten Üss.. Heb. hoj ist primär ein Klageruf, der vor allem zur Einleitung einer Totenklage ausgerufen wird („Weh!“); da aber solche Totenklagen im Alten Orient dazu neigen, ineins mit der Klage über die Gestorbenen auch die Verantwortlichen anzuklagen, kann hoj selten auch geradezu zum anklagenden Ausruf werden („Wehe!“, s. deutlich z.B. Jes 1,24; Ez 24,6; vgl. zur Stelle gut van Leeuwen 1974, S. 115f.). (Zurück zu v.18)
aoTag JHWHs - Ein Konzept, das sich in der Bibel häufiger, aber nur in den Büchern der Propheten findet. Gemeint sind damit grundsätzlich diverse Gerichtstage oder Gerichts-Zeiten JHWHs (dies dürfte auch die einfachste und verständlichste Übersetzung sein: „Gerichtstag Gottes“): Entweder handelt JHWH an einem solchen „Tag JHWHs“ strafend mithilfe anderer Völker an seinem eigenen Volk (z.B. Jes 2,12-17; Jes 22,1-14; Klg 1,12; 2,1.21f; Zef 1,7-16 u.ö.) oder er handelt strafend an anderen Völkern (z.B.: Jes 13,6: An Babylon; Jer 46,10; Ez 30,3: An Ägypten; s. näher z.B. Tag Jahwes (AT) (Wibilex)).
Weil die Stelle in Am 5,18 wahrscheinlich die älteste ist, an der von diesem „Tag JHWHs“ die Rede ist, wird der Vers in der Forschung stark diskutiert – bis dahin, dass sich richtiggehende „Tag JHWHs-Schulen“ herausgebildet haben. Die meisten Theorien scheiden aber zumindest gerade für diesen Vers von vornherein aus – was häufig nicht genug bedacht wird, ist, dass in der Welt des Textes zwar auf diesen Tag vorausgeblickt wird, dass er für den Verfasser und die Hörer:innen/Leser:innen des Amosbuchs aber ja bereits in der Vergangenheit liegt: Gemeint ist konkreter (s. Vv. 2f.5f.15.27) die endgültige Niederlage Israels und Samarias um 720 v. Chr. Verfasser und Hörer:innen/Leser:innen wissen daher z.B. natürlich, dass diese „Zeit JHWHs“ nicht identisch war mit einem kultischen Festtag (z.B. Kapelrud, Eidevall), dass zu ihr keine Theophanie Gottes (so z.B. Koch, Paul, Jeremias) stattfand und dass die „Dunkelheit“ kein kosmisches Ereigniss war wie z.B. in Zef 1,14f.; Joel 4,15. Dunkelheit und Licht stehen hier also sicher nicht für „JHWH erscheint“ vs. „JHWH erscheint nicht“ oder für „Der Himmel verfinstert sich“ vs. „Es bleibt hell“ (?), sondern sind wie noch häufig allgemein Bilder für „Diese Zeit wird eine Zeit des Heils“ vs. „Diese Zeit wird eine Zeit des Unheils“.
Im Talmud ist eine schöne Parabel Rabbi Simlais überliefert, mit der er den Vers treffend auslegt: „Man kann dies vergleichen mit einem Hahn und einer Fledermaus, die das Tageslicht herbeisehnen. Da sprach der Hahn zur Fledermaus: ‚Ich sehne es herbei, weil dies meine [Zeit] ist. Aber du – was taugt denn dir das Tageslicht?‘(b.San 98b). Die von Amos angesprochenen warten auf den Tag JHWHs, als sei er etwas Gutes für sie – doch das Gegenteil ist der Fall. (Zurück zu v.18)
apLies: „Was glaubt denn ihr, was euch der Tag JHWHs bringen wird!?“
tFN: Wozu (warum) - Gut Paul 1991, S. 185: lamah-zeh l-... hat in der Bibel fast stets die Bedeutung „Wozu (nicht: Warum) nur taugt jmdm. etw.“, s. Gen 25,32; 27,46; Ijob 30,2. S. ähnlich auch Jes 1,11; Jer 6,20; anders deutlich nur die ähnliche Frage Rebekkas in Gen 25,22, die aber ohne l-... und damit anders formuliert ist.
zeh („dies“) ist hier sehr wahrscheinlich kein Demonstrativpronomen („Warum [tut ihr] dies“, so z.B. Reimer 1992, S. 124), sondern verstärkt lamah („Wozu, Warum“; vgl. GKC §136c. Richtig BHt: „Abtönungspartikel“). (Zurück zu v.18)
aqtFN: er trifft auf den Bären - w. „Ein Bär trifft auf ihn“. Vgl. ähnlich z.B. Ijob 31,27: „Wenn meine Hand meinen Mund geküsst hätte“ (statt „mein Mund meine Hand“): Gelegentlich kann im Heb. derart Subjekt und Objekt vertauscht werden, um so zum Ausdruck zu bringen, dass das Objekt die aktivere Rolle spielt (vgl. Driver/Gray 1921, S. 269). (Zurück zu v.19)
arOb in V. 19 zwei Vergleiche stehen oder nur einer, ist umstritten. Mindestens lässt sich Folgendes sagen: V. 19 erzählt nicht, wie die meisten denken, einfach eine Geschichte, in der ein Mann zwei Mal einem Unheil entkommt, nur um dann doch von ihm getroffen zu werden, so dass die Aussage wäre, dass der „Tag JHWHs“ als drohender Tag unausweichlich ist. Dagegen spricht die masoretische Akzentuierung, dagegen spricht, dass „er kommt in das Haus“ ein denkbar schwacher Ausdruck für „auch dem Bären entkam er gerade noch so“ wäre, und dagegen spricht schließlich, dass die Abfolge Löwe – Bär – Schlange so antiklimaktisch wäre, dass die Schlange hier kaum für dass umso schlimmere Geschick der Angesprochenen stehen wird. Auch dann, wenn hier eine zusammenhängende Geschichte erzählt wird, muss man sie sich in zwei Abschnitten denken, in denen zwei Mal zum Ausdruck kommt: „sich in Sicherheit wähnen“ (19a.19c; s. Am 6,1!) – „doch nicht sicher sein“ (19b.19de). In der LF würde dies durch eine Üs. mit „oder“ statt „und“ sicher deutlicher. (Zurück zu v.19)
asund ihn dann die Schlange beißt - Klangspiel, in dem das Zischen der Schlange direkt hörbar wird: uneschacho hanachasch. (Zurück zu v.19)
at„ist er“ ist eine Umschreibung für לוׄ, wörtlich „zu ihm“, „ihm zueigen“. (Zurück zu v.20)