Amos 7: Unterschied zwischen den Versionen

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„Kein Prophet [bin (war)]<ref>''[bin (war)]'' - Extrem umstrittene Stelle; für eine Übersicht über die verschiedenen Positionen in der Auslegung vgl. am besten Ridge 2018. Welche dieser Positionen vorzuziehen ist, ist aber ziemlich klar: Mit „Ich bin kein ''nabi`''“ bezieht sich Amos auf die Aufforderung von Amasja in Vv. 12b-13, andernorts „''nabi`'' zu sein“ (und nicht auf die Anrede als „Seher“ in 12a; ob es einen großen Unterschied zwischen „Sehern“ und „Propheten“ gab – wahrscheinlich nicht, s. [[2 Samuel 24#s11 |2 Sam 24,11]]; [[2 Könige 17#s13 |2 Kön 17,13]]; [[Jesaja 29#s10 |Jes 29,10]] –, ist für V. 14 also sehr wahrscheinlich irrelevant). Darauf Amos: Ich bin überhaupt kein Berufsprophet; eigentlich bin ich Landwirt, aber ''JHWH'' hat mir gesagt, ich soll ''hier'' prophezeien (das doppelte „kein ''nabi`''“ antwortet also auf das doppelte „dort“) – du hast mir also gar nichts zu sagen! So oder ähnlich z.B. auch Eidevall, Carroll, Gass 2012, S. 13f.; bes. gut García-Treto 1993, S. 122f.<br />'''Andere Auflösungen''': Sehr vielen Exegeten scheint es unmöglich, dass Amos in V. 14 von sich sagen soll, er sein kein Prophet, in V. 15 aber, dass ihn JHWH zum Prophezeien beauftragt habe.<br />(2) Die meisten übersetzen daher die beiden verblosen Sätze in 14ab mit Verben der Vergangenheit: „Ich ''war'' kein Prophet und kein Propheten-Azubi, sondern..., aber dann hat mich JHWH zum Propheten beauftragt.“ So z.B. Mays, Soggin, Jeremias, Kessler. Häufig wird eingewandt, dass das ja implizieren würde, dass Amos ''nun'' nicht nur Prophet, sondern auch Propheten-Azubi sei, aber richtig King 2019, S. 68: Das Argument greift nicht; V. 14ab könnte dann allgemein sagen „ich hatte überhaupt nichts mit Prophetie zu tun“, V. 15 dagegen „nun aber schon, nämlich wegen JHWH“, und impliziert wäre dann auch nach V. 14ab nur: „Nun bin ich eben doch ''nabi`''“. Letztlich kommt das auf das selbe hinaus wie die obige Primär-Deutung, die Sätze schlössen dann nur nicht so gut an Amasjas Aufforderung an. Unter größeren dt. Üss. ziehen auch nur ELB und SLT „war“ vor.<br />(3) Wirklich ernst zu nehmen ist sonst nur noch der Vorschlag von Bach 1981 (so auch Jeremias, King 2019, S. 81), V. 14 sei Vordersatz von V. 15: „Ohne dass ich ein Prophet war... – ich war bloß Rinderhirt ... –, nahm mich JHWH...“. Die Aussage wäre die selbe wie in (1) und (2), der Satz schlösse aber noch schlechter an Vv. 12f. an, und was der Mehrwert dieser Auflösung vor (2) sein soll, vermag ich nicht zu sehen. Zu den vielen anderen sehr unwahrscheinlichen Auflösungen der Syntax vgl. wie gesagt Ridge 2018.</ref> ich  
 
„Kein Prophet [bin (war)]<ref>''[bin (war)]'' - Extrem umstrittene Stelle; für eine Übersicht über die verschiedenen Positionen in der Auslegung vgl. am besten Ridge 2018. Welche dieser Positionen vorzuziehen ist, ist aber ziemlich klar: Mit „Ich bin kein ''nabi`''“ bezieht sich Amos auf die Aufforderung von Amasja in Vv. 12b-13, andernorts „''nabi`'' zu sein“ (und nicht auf die Anrede als „Seher“ in 12a; ob es einen großen Unterschied zwischen „Sehern“ und „Propheten“ gab – wahrscheinlich nicht, s. [[2 Samuel 24#s11 |2 Sam 24,11]]; [[2 Könige 17#s13 |2 Kön 17,13]]; [[Jesaja 29#s10 |Jes 29,10]] –, ist für V. 14 also sehr wahrscheinlich irrelevant). Darauf Amos: Ich bin überhaupt kein Berufsprophet; eigentlich bin ich Landwirt, aber ''JHWH'' hat mir gesagt, ich soll ''hier'' prophezeien (das doppelte „kein ''nabi`''“ antwortet also auf das doppelte „dort“) – du hast mir also gar nichts zu sagen! So oder ähnlich z.B. auch Eidevall, Carroll, Gass 2012, S. 13f.; bes. gut García-Treto 1993, S. 122f.<br />'''Andere Auflösungen''': Sehr vielen Exegeten scheint es unmöglich, dass Amos in V. 14 von sich sagen soll, er sein kein Prophet, in V. 15 aber, dass ihn JHWH zum Prophezeien beauftragt habe.<br />(2) Die meisten übersetzen daher die beiden verblosen Sätze in 14ab mit Verben der Vergangenheit: „Ich ''war'' kein Prophet und kein Propheten-Azubi, sondern..., aber dann hat mich JHWH zum Propheten beauftragt.“ So z.B. Mays, Soggin, Jeremias, Kessler. Häufig wird eingewandt, dass das ja implizieren würde, dass Amos ''nun'' nicht nur Prophet, sondern auch Propheten-Azubi sei, aber richtig King 2019, S. 68: Das Argument greift nicht; V. 14ab könnte dann allgemein sagen „ich hatte überhaupt nichts mit Prophetie zu tun“, V. 15 dagegen „nun aber schon, nämlich wegen JHWH“, und impliziert wäre dann auch nach V. 14ab nur: „Nun bin ich eben doch ''nabi`''“. Letztlich kommt das auf das selbe hinaus wie die obige Primär-Deutung, die Sätze schlössen dann nur nicht so gut an Amasjas Aufforderung an. Unter größeren dt. Üss. ziehen auch nur ELB und SLT „war“ vor.<br />(3) Wirklich ernst zu nehmen ist sonst nur noch der Vorschlag von Bach 1981 (so auch Jeremias, King 2019, S. 81), V. 14 sei Vordersatz von V. 15: „Ohne dass ich ein Prophet war... – ich war bloß Rinderhirt ... –, nahm mich JHWH...“. Die Aussage wäre die selbe wie in (1) und (2), der Satz schlösse aber noch schlechter an Vv. 12f. an, und was der Mehrwert dieser Auflösung vor (2) sein soll, vermag ich nicht zu sehen. Zu den vielen anderen sehr unwahrscheinlichen Auflösungen der Syntax vgl. wie gesagt Ridge 2018.</ref> ich  
 
_Und (kein=) nicht mal (Prophetensohn=) Propheten-Azubi<ref>''Propheten-Azubi'' - heb. ''ben nabi`'', w. „Sohn eines Propheten“. Wahrscheinlich identisch mit den ''bene hanebi`im'', den „Söhnen der Propheten“. Diese werden nicht selten in der Bibel erwähnt, sehr viel bekannt ist dennoch nicht über sie. Sicher belegt sind sie nur Zur Zeit von Elija und Elischa. Zu dieser Zeit waren es Gruppen von jungen Männern, die gemeinsam lebten (s. [[2 Könige 6#s1 |2 Kön 6,1-7]]) – sicher in Bethel, Jericho und Gilgal ([[2 Könige 2#s3 |2 Kön 2,3.5]]; [[2 Könige 4#s38 |4,38]]), vielleicht auch in Samaria (s. [[2 Könige 2#s18 |2 Kön 2,18.23-25]]; dann auch [[1 Könige 18#s2 |1 Kön 18,2-4]]; [[1 Könige 22#s1 |22,1-6]]) – und die Elija und Elischa irgendwie unterstanden (s. wieder 2 Kön 6,1-7; auch [[2 Könige 2#s15 |2 Kön 2,15]]; [[2 Könige 5#s20 |5,20-27]]; [[2 Könige 9#s1 |9,1]]) und von ihnen abhängig waren (s. [[2 Könige 4#s38 |2 Kön 4,38]]). An diesen Stellen hält man sie meist für Propheten-Schüler (daher hier z.B. BB, EÜ, HER05, ZÜR: „Prophetenschüler“); neuerdings manchmal auch für Angehörige von „Propheten-Gilden“ (daher hier z.B. GN, MEN, NeÜ: „ich gehöre zu keiner Prophetengemeinschaft“; TEX: „ich bin keiner von der Prophetenzunft“), aber klar ist jedenfalls, dass sie nicht den selben Rang hatten wie diese beiden großen Propheten (was besser durch die „Schüler“-Übersetzungsvariante als die „Gilden“-Übersetzungsvariante zum Ausdruck kommt). Das passt gut zum Rest dieses Verses, in dem Amos sich schrittweise immer kleiner macht.</ref> [bin (war)] ich,  
 
_Und (kein=) nicht mal (Prophetensohn=) Propheten-Azubi<ref>''Propheten-Azubi'' - heb. ''ben nabi`'', w. „Sohn eines Propheten“. Wahrscheinlich identisch mit den ''bene hanebi`im'', den „Söhnen der Propheten“. Diese werden nicht selten in der Bibel erwähnt, sehr viel bekannt ist dennoch nicht über sie. Sicher belegt sind sie nur Zur Zeit von Elija und Elischa. Zu dieser Zeit waren es Gruppen von jungen Männern, die gemeinsam lebten (s. [[2 Könige 6#s1 |2 Kön 6,1-7]]) – sicher in Bethel, Jericho und Gilgal ([[2 Könige 2#s3 |2 Kön 2,3.5]]; [[2 Könige 4#s38 |4,38]]), vielleicht auch in Samaria (s. [[2 Könige 2#s18 |2 Kön 2,18.23-25]]; dann auch [[1 Könige 18#s2 |1 Kön 18,2-4]]; [[1 Könige 22#s1 |22,1-6]]) – und die Elija und Elischa irgendwie unterstanden (s. wieder 2 Kön 6,1-7; auch [[2 Könige 2#s15 |2 Kön 2,15]]; [[2 Könige 5#s20 |5,20-27]]; [[2 Könige 9#s1 |9,1]]) und von ihnen abhängig waren (s. [[2 Könige 4#s38 |2 Kön 4,38]]). An diesen Stellen hält man sie meist für Propheten-Schüler (daher hier z.B. BB, EÜ, HER05, ZÜR: „Prophetenschüler“); neuerdings manchmal auch für Angehörige von „Propheten-Gilden“ (daher hier z.B. GN, MEN, NeÜ: „ich gehöre zu keiner Prophetengemeinschaft“; TEX: „ich bin keiner von der Prophetenzunft“), aber klar ist jedenfalls, dass sie nicht den selben Rang hatten wie diese beiden großen Propheten (was besser durch die „Schüler“-Übersetzungsvariante als die „Gilden“-Übersetzungsvariante zum Ausdruck kommt). Das passt gut zum Rest dieses Verses, in dem Amos sich schrittweise immer kleiner macht.</ref> [bin (war)] ich,  
Sondern Rinderhirt (Rinderbaron?)<ref name="14cd">''Rinderhirt (Rinderbaron?)'' + ''Abernter von Maulbeerfeigenbäumen'' (V. 14) + ''von hinter der Herde'' (V. 15) - Ebenfalls etwas umstrittene Stelle; sie hängt zusammen mit der Frage nach der Üs. von ''noqed'' („Hirte“) in [[Amos 1#s1 |Am 1,1]]. Klassisch hat man diesen Ausdruck mit „Schafshirte“ übersetzt, was verwandte Wörter in verwandten Sprachen auch wirklich speziell bedeuten können. Das stimmte dann zusammen mit dem Wort für „Herde“ in V. 15, mit dem im Heb. ausschließlich Schafs- und Ziegenherden, nicht aber Rinderherden bezeichnet werden. Das Wort für „Rinderhirt“ in 14c aber, ''boqer'', ist sicher abzuleiten von ''baqar'' „Rind“ und beißt sich dann mit diesen beiden Ausdrücken. Was ''noqed'' angeht, muss das nicht problematisch sein, s. zu Am 1,1: Zum Beispiel im Akkadischen kann das verwandte Wort sicher „Hirt/Besitzer-sowohl-von-Kleinvieh-''als-auch''-von-Großvieh“ bedeuten. ''șo`n'' („Kleinvieh-Herde“) und ''boqer'' („Rinderhirt“) beißt sich dann aber immer noch.<br />Am besten erklärt man sich das mit Schult 1971 und Steiner 2003, S. 91-94. Erstens: Dass eine Ausnahme-Figur der Geschichte keine große Herkunft hat, sondern entweder Landwirt oder Viehhirt ist und just da berufen wird, wo er diesen seinen Beruf ausübt, ist ein verbreitetes Motiv in der Bibel und wird erzählt von Mose ([[Exodus 3#s1 |Ex 3,1ff.]]), Gideon ([[Richter 6#s11 |Ri 6,11ff.]]), Saul ([[1 Samuel 11#s5 |1 Sam 11,5ff.]]), David ([[1 Samuel 16#s11 |1 Sam 16,11.19]]; [[1 Samuel 17#s15 |1 Sam 17,15.28.34ff.]]) und Elischa ([[1 Könige 19#s19 |1 Kön 19,19-21]]). Von David wird dies sogar drei Mal mit fast exakt dem selben Ausdruck formuliert wie hier: „Gott nahm ihn von hinter der Herde weg“, s. [[2 Samuel 7#s8 |2 Sam 7,8]]; [[Psalm 78#s70 |Ps 78,70f.]]; 11QPs<sup>a</sup> 151A,10f. (von David: „Gott sandte sie, mich zu holen / von hinter der Herde weg“). Wahrscheinlich soll auch Amos hier eingereiht werden: Zum Einen über das Motiv, da er Rinder hat wie Saul und Elischa, zum Anderen über die Formulierung, da er „hinter der Herde weg-“berufen wurde wie David. Dass Amos tatsächlich auch Kleinvieh hatte, müsste dann mit dem Ausdruck in 15a also gar nicht gesagt sein, obwohl auch dann das Nebeneinander von ''boqer'' und ''șo`n'' etwas sperrig bleibt (s. auch u. Textkritik).<br />Steiner gehört nun zu jenen, die denken, das Wort ''noqed'' in Am 1,1 impliziere, dass Amos wohlhabend sei, und deutet daher hier auch ''boqer'' nicht als „Rinderhirt“, sondern als „Rinder-''Halter''“. Das könnte schon sein, aber für Amos Wohlstand spricht in diesem Vers noch weniger als in Am 1,1 – wegen dem Hinweis auf die ''Sykomoren'' in 14d, die eher dazu geeignet scheinen, Amos als arm denn als vermögend darzustellen, s.u. Als gewöhnlichen Hirten deuten Amos hier auch LXX, Aq, Sym, Theod, Quinta, VUL und Syr; auch Raschi, ibn Ezra, Kimchi, Eliezer von Beaugency, Abravanel – da bräuchte es starke Gründe, um auf dieser Basis den ''boqer'' als „Rinderbaron“ zu deuten. Die gibt es aber nicht; eher ist also der ''boqer'' doch der gewöhnliche Rinder-Hirt und ''boles schiqmim'', „Ernter von Sykomoren“, hat richtig Schmoller ausgelegt: „[Maulbeerfeigen ernten], zum Behufe des Unterhalts, um sie zu genießen. Denn offenbar bezieht sich d. Bemerkung zurück auf V. 12: dort ist dein Brod. Amos will sagen, daß er nicht des Brodes wegen irgendwohin zu gehen habe; Brod sucht er überhaupt nicht im Sinne eines besseren Auskommens, auch im Reiche Israel, in Bethel nicht. Er ist gewohnt, als Hirte sich mit Geringerem zu begnügen; aber das ist ihm auch genug, mehr will und braucht er nicht.(S. 194; so auch Moldenhawer und Hitzig). Gut dann Michaelis: „Ich bin weder Prophet noch Prophetensohn, sondern ein Hirte, und steche, wenn es mir an [Brot] fehlt, Sykomorenfeigen.; Struensee: „... sondern ich bin ein Hirte, der von wilden Feigen lebt [FN c: War die Speise der allerärmsten Leute.].“<br />'''Zur Sykomoren-Ernte''': Das Wort, das hier mit „Ernter“ übersetzt wurde – ''boles'' –, ist ebenfalls nur hier belegt, ist aber sicher verwandt mit arab. ''balasu'' („Feige, Sykomorenfrucht“), äth. ''balasa'' („Feige, Sykomorenfrucht“), MH ''bls'' („Sykomorenfrucht“; zum Wort vgl. Steiner 2003, S. 36f.); ''boles schiqmim'' heißt also „ich sykomorenfruchte Sykomoren“, oder „deutscher“ entweder „ich baue Sykomorenfrüchte an“ oder wahrscheinlicher „ich ernte Sykomorenfrüchte“, jedenfalls aber sicher nicht: „Ich besitze Sykomoren-''Bäume''“. Als „Rinderbaron“ und „Sykomorenbesitzer“ wurden die beiden Ausdrücke nämlich bisweilen in der jüd. Tradition gedeutet und daraus auch dort Amos Wohlstand abgeleitet. Aber tradiert wurde diese Deutung natürlich, weil der Vers in dieser berühmten Auslegung ''gegen den Strich'' gedeutet wurde; wie Steiner sich (auf S. 66) darauf stützen zu können glaubt, ist mir (S.W.) völlig schleierhaft. Vgl. b.Ned 38a (worauf sich auch die späteren Vertreter dieser Deutung beziehen): „''Rabbi Jochanan sagte: ‚Alle Propheten waren reich. Wie kommt man darauf? Wegen Mose, Samuel, Amos und Jona. Bei Mose deshalb, weil geschrieben steht ([[Numeri 16#s15 |Num 16,15]]): ‚Ich habe ihnen keinen Esel genommen.‘ ... Gemeint ist nämlich: [Er hat keinen Esel genommen], obwohl er dafür bezahlt hat. ... ‘ Bei Samuel deshalb, weil geschrieben steht ([[1 Samuel 12#s3 |1 Sam 12,3]]: ‚Wessen Ochsen und wessen Esel habe ich genommen?... Gemeint ist nämlich: [Er hat weder Ochsen noch Esel genommen], obwohl er dafür bezahlt hat. Bei Amos deshalb, weil geschrieben steht: ‚Ich bin ''boqer'' und ''boles schiqmim''‘ was Rabbi Josef übersetzt mit: ‚Weil ich ein Halter von Herden bin und Sykomoren in der Schefela besitze.‘ Bei Jona deshalb, weil geschrieben steht ([[Jona 1#s3 |Jon 1,3]]): ‚Er zahlte seinen Preis und stieg in es hinab‘, denn Rabbi Jochanan sagte[, dies heiße]: ‚Er kaufte das ganze Schiff‘, und Rabbi Romanus ergänzte: ‚Ein ganzes Schiff kostete 4000 Gold-Dinare.‘''“<br />Raffiniert ist diese Auslegung deshalb, weil ''boles schiqmim'' an sich das Gegenteil nahelegt. Die Zucht von Sykomorenfeigen war aufwendig, weil ihre Früchte in Palästina von einem Parasiten, nämlich der Wespenart ''Sycophaga sycomori'', befallen werden (s. z.B. [https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/32078/ Sykomore (WiBiLex)]). Um essbare Feigen zu erhalten, mussten sie daher drei bis vier Tage vor der Ernte angeschnitten werden, was erstens den Reifungsprozess beschleunigte und wodurch man zweitens dem Wespenbefall zuvorkam (s. Theophrast, Hist. Plant iv 2; Plinius, Nat. Hist. xiii 14; Physiologus 58. Auch in Israel, s. m.Dem i 1 (''mwsțpws'': „geöffnet“, also ebenfalls „aufgeritzt“); m.Scheb ii 5. Vgl. zur Technik z.B. Zeroni u.a. 1972, S. 378). Dieser komplexere Prozess wird auch der Grund sein, warum es für die Sykomorenernte anders als für die Ernte anderer Früchte ein eigenes Wort brauchte (richtig Steiner 2003, S. 47). Im Alten Israel war die Sykomorenfeige daher vor allem die Nahrung der ärmeren Bevölkerungsgruppen (Galil 1968, S. 178; Zohary 1986, S. 68); von Vermögenderen wurden die Früchte bes. sommers oft ignoriert und nicht angeschnittene Früchte galten daher selbst dann als Wildwuchs für den allgemeinen Verzehr, wenn der Baum einen Besitzer hatte (vgl. m.Dem i 1; Löw 1928, S. 278). Man ''kann'' natürlich mit Steiner 2003, S. 111f. annehmen, „ich sykomorenfruchte Sykomoren“ bedeute „ich bin Pächter von Sykomorenbäumen und verkaufe ihren Ertrag, ich bin also vermögend“ – sehr nahe liegt das aber nicht; wahrscheinlicher wäre allein der Hinweis auf seinen Umgang mit Sykomoren Amos eher abträglich gewesen, wenn er sich damit selbst als „finanziell unabhängig“ darstellen hätte wollen.<br />'''Textkritik''': Während Aq, Sym, Theod, Quinta und VUL mit „''Rinder''-Hirt“ übersetzen und so den Text von MT stützen, der auch in 4QXII<sup>g</sup> steht, hat LXX „''Ziegen''-Hirt“, Syr allgemein „Hirt“ und Tg überstzt mit der selben Fügung wie in Am 1,1. Nicht wenige nahmen daher an, dass statt ''boqer'' hier ursprünglich ''noqed'' wie in Am 1,1 gestanden habe (vgl. die im Heb. graphisch sehr ähnlichen Worte {{hebr}}בוקר{{hebr ende}} und {{hebr}}נוקד{{hebr ende}}; so z.B. BHS, Harper, Maag, Cripps, Snaith, Hammershaimb). Weil MT aber so breit gestützt wird, ist er aber sehr wahrscheinlich schon der ursprüngliche Text und die Üss. von LXX, Syr und Tg sind als Harmonisierungen von Vv. 14.15 zu werten.</ref> [bin (war)] ich  
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Sondern Rinderhirt (Rinderbaron?)<ref name="14cd">''Rinderhirt (Rinderbaron?)'' + ''Abernter von Maulbeerfeigenbäumen'' (V. 14) + ''von hinter der Herde'' (V. 15) - Ebenfalls etwas umstrittene Stelle; sie hängt zusammen mit der Frage nach der Üs. von ''noqed'' („Hirte“) in [[Amos 1#s1 |Am 1,1]]. Klassisch hat man diesen Ausdruck mit „Schafshirte“ übersetzt, was verwandte Wörter in verwandten Sprachen auch wirklich speziell bedeuten können. Das stimmte dann zusammen mit dem Wort für „Herde“ in V. 15, mit dem im Heb. ausschließlich Schafs- und Ziegenherden, nicht aber Rinderherden bezeichnet werden. Das Wort für „Rinderhirt“ in 14c aber, ''boqer'', ist sicher abzuleiten von ''baqar'' „Rind“ und beißt sich dann mit diesen beiden Ausdrücken. Was ''noqed'' angeht, muss das nicht problematisch sein, s. zu Am 1,1: Zum Beispiel im Akkadischen kann das verwandte Wort sicher „Hirt/Besitzer-sowohl-von-Kleinvieh-''als-auch''-von-Großvieh“ bedeuten. ''șo`n'' („Kleinvieh-Herde“) und ''boqer'' („Rinderhirt“) beißt sich dann aber immer noch.<br />Am besten erklärt man sich das mit Schult 1971 und Steiner 2003, S. 91-94. Erstens: Dass eine Ausnahme-Figur der Geschichte keine große Herkunft hat, sondern entweder Landwirt oder Viehhirt ist und just da berufen wird, wo er diesen seinen Beruf ausübt, ist ein verbreitetes Motiv in der Bibel und wird erzählt von Mose ([[Exodus 3#s1 |Ex 3,1ff.]]), Gideon ([[Richter 6#s11 |Ri 6,11ff.]]), Saul ([[1 Samuel 11#s5 |1 Sam 11,5ff.]]), David ([[1 Samuel 16#s11 |1 Sam 16,11.19]]; [[1 Samuel 17#s15 |1 Sam 17,15.28.34ff.]]) und Elischa ([[1 Könige 19#s19 |1 Kön 19,19-21]]). Von David wird dies sogar drei Mal mit fast exakt dem selben Ausdruck formuliert wie hier: „Gott nahm ihn von hinter der Herde weg“, s. [[2 Samuel 7#s8 |2 Sam 7,8]]; [[Psalm 78#s70 |Ps 78,70f.]]; 11QPs<sup>a</sup> 151A,10f. („Gott sandte sie, mich zu holen / von hinter der Herde weg“). Wahrscheinlich soll auch Amos hier eingereiht werden: Zum Einen über das Motiv, da er Rinder hat wie Saul und Elischa, zum Anderen über die Formulierung, da er „hinter der Herde weg“ berufen wurde wie David. Dass Amos tatsächlich auch Kleinvieh hatte, müsste dann mit dem Ausdruck in 15a also gar nicht gesagt sein, obwohl auch dann das Nebeneinander von ''boqer'' und ''șo`n'' etwas sperrig bleibt (s. auch u. Textkritik).<br />Steiner gehört nun zu jenen, die denken, das Wort ''noqed'' in Am 1,1 impliziere, dass Amos wohlhabend sei, und deutet daher hier auch ''boqer'' nicht als „Rinderhirt“, sondern als „Rinder-''Halter''“. Das könnte schon sein, aber für Amos Wohlstand spricht in diesem Vers noch weniger als in Am 1,1 – wegen dem Hinweis auf die ''Sykomoren'' in 14d, die eher dazu geeignet scheinen, Amos als arm denn als vermögend darzustellen, s.u. Als gewöhnlichen Hirten deuten Amos hier auch LXX, Aq, Sym, Theod, Quinta, VUL und Syr; auch Raschi, ibn Ezra, Kimchi, Eliezer von Beaugency, Abravanel – da bräuchte es starke Gründe, um auf dieser Basis den ''boqer'' als „Rinderbaron“ zu deuten. Die gibt es aber nicht; eher ist also der ''boqer'' doch der gewöhnliche Rinder-Hirt und ''boles schiqmim'', „Ernter von Sykomoren“, hat richtiger Struensee verstanden: „... sondern ich bin ein Hirte, der von wilden Feigen lebt [FN c: War die Speise der allerärmsten Leute.].“ (ähnlich Michaelis).<br />'''Zur Sykomoren-Ernte''': Das Wort, das hier mit „Ernter“ übersetzt wurde – ''boles'' –, ist ebenfalls nur hier belegt, ist aber sicher verwandt mit arab. ''balasu'' („Feige, Sykomorenfrucht“), äth. ''balasa'' („Feige, Sykomorenfrucht“), MH ''bls'' („Sykomorenfrucht“; zum Wort vgl. Steiner 2003, S. 36f.); ''boles schiqmim'' heißt also „ich sykomorenfruchte Sykomoren“, zu deutsch also wahrscheinlich (s.u.) „ich ernte Sykomorenfrüchte“, jedenfalls sicher nicht: „Ich besitze/züchte Sykomoren-''Bäume''“ (so z.B. BB, GN, HfA, NeÜ, NL). Als „Rinderbaron“ und „Sykomorenbesitzer“ wurden die beiden Ausdrücke nämlich bisweilen in der jüd. Tradition gedeutet und daraus auch dort Amos Wohlstand abgeleitet. Aber tradiert wurde diese Deutung, weil der Vers in dieser berühmten Auslegung ''gegen den Strich'' gedeutet wurde; wie Steiner sich (auf S. 66) darauf stützen zu können glaubt, ist mir (S.W.) schleierhaft. Vgl. b.Ned 38a (worauf sich auch die späteren Vertreter dieser Deutung beziehen): „''Rabbi Jochanan sagte: ‚Alle Propheten waren reich. Wie kommt man darauf? Wegen Mose, Samuel, Amos und Jona. Bei Mose deshalb, weil geschrieben steht ''([[Numeri 16#s15 |Num 16,15]])'': ‚Ich habe ihnen keinen Esel genommen.‘ ... Gemeint ist nämlich: [Er hat keinen Esel genommen], obwohl er dafür bezahlt hat. ... ‘ Bei Samuel deshalb, weil geschrieben steht ''([[1 Samuel 12#s3 |1 Sam 12,3]])'': ‚Wessen Ochsen und wessen Esel habe ich genommen?‘ ... Gemeint ist nämlich: [Er hat weder Ochsen noch Esel genommen], obwohl er dafür bezahlt hat. Bei Amos deshalb, weil geschrieben steht: ‚Ich bin ''boqer'' und ''boles schiqmim''was Rabbi Josef übersetzt mit: ‚Weil ich ein Halter von Herden bin und Sykomoren in der Schefela besitze.Bei Jona deshalb, weil geschrieben steht ''([[Jona 1#s3 |Jon 1,3]])'': ‚Er zahlte seinen Preis und stieg in es hinab‘, denn Rabbi Jochanan sagte[, dies heiße]: ‚Er kaufte das ganze Schiff‘, und Rabbi Romanus ergänzte: ‚Ein ganzes Schiff kostete 4000 Gold-Dinare.‘''“<br />Raffiniert ist diese Auslegung deshalb, weil ''boles schiqmim'' an sich das Gegenteil nahelegt. Die Ernte von Sykomorenfeigen war aufwendig, weil ihre Früchte in Palästina von einem Parasiten, nämlich der Wespenart ''Sycophaga sycomori'', befallen werden (s. z.B. [https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/32078/ Sykomore (WiBiLex)]). Um essbare Feigen zu erhalten, mussten sie daher drei bis vier Tage vor der Ernte angeschnitten werden, was erstens den Reifungsprozess beschleunigte und wodurch man zweitens dem Wespenbefall zuvorkam (s. Theophrast, Hist. Plant iv 2; Plinius, Nat. Hist. xiii 14; Physiologus 58. Auch in Israel, s. m.Dem i 1 (''mwsțpws'': „geöffnet“, also ebenfalls „aufgeritzt“); m.Scheb ii 5. Vgl. zur Technik z.B. Zeroni u.a. 1972, S. 378). So übersetzten auch einige alte Üss.: LXX: „ich kratze Maulbeerfeigen an“, Theod: „Ich ritze Maulbeerfeigen“, VUL: „Ich steche Maulbeerfeigen“; daher z.B. auch LUT, ZÜR: „Ich ritze Maulbeerfeigen“ (Das „ich veredle Maulbeerfeigen“ in der neuen EÜ übrigens ist verblüffend, nachdem EÜ 89 noch: „ich ziehe Maulbeerfeigen“. M.W. geht die „veredeln“-Übersetzungstradition auf eine Zeit zurück, in der man noch nicht wusste, welchem Zweck das Anritzen diente; dass EÜ dies nun frisch übernommen hat, ist seltsam). Dieser komplexere Prozess wird auch der Grund sein, warum es für die Sykomorenernte anders als für die Ernte anderer Früchte ein eigenes Wort brauchte (richtig Steiner 2003, S. 47). Im Alten Israel war die Sykomorenfeige daher vor allem die Nahrung der ärmeren Bevölkerungsgruppen (Galil 1968, S. 178; Zohary 1986, S. 68); von Vermögenderen wurden die Früchte bes. sommers oft ignoriert und nicht angeschnittene Früchte galten daher selbst dann als Wildwuchs für den allgemeinen Verzehr, wenn der Baum einen Besitzer hatte (vgl. m.Dem i 1; Löw 1928, S. 278). Man ''kann'' natürlich mit Steiner 2003, S. 111f. annehmen, „ich sykomorenfruchte Sykomoren“ bedeute „ich bin Pächter von Sykomorenbäumen und verkaufe ihren Ertrag, ich bin also vermögend“ – sehr nahe liegt das aber nicht; wahrscheinlicher wäre allein der Hinweis auf seinen Umgang mit Sykomoren Amos eher abträglich gewesen, wenn er sich damit selbst als „finanziell unabhängig“ darstellen hätte wollen.<br />'''Textkritik''': Während Aq, Sym, Theod, Quinta und VUL mit „''Rinder''-Hirt“ übersetzen und so den Text von MT stützen, der auch in 4QXII<sup>g</sup> steht, hat LXX „''Ziegen''-Hirt“, Syr allgemein „Hirt“ und Tg überstzt mit der selben Fügung wie in Am 1,1. Nicht wenige nahmen daher an, dass statt ''boqer'' auch hier ursprünglich ''noqed'' wie in Am 1,1 gestanden habe (vgl. die im Heb. graphisch sehr ähnlichen Worte {{hebr}}בוקר{{hebr ende}} und {{hebr}}נוקד{{hebr ende}}; so z.B. BHS, Harper, Maag, Cripps, Snaith, Hammershaimb). Weil MT aber so breit gestützt wird, hat er aber sehr wahrscheinlich schon den ursprünglichen Text und die Üss. von LXX, Syr und Tg sind als Harmonisierungen von Vv. 14.15 zu werten.</ref> [bin (war)] ich  
 
_(Und=) Ja, sogar Ernter-von-Maulbeerfeigenbäumen.<ref name="14cd" /> (Obwohl ich kein Prophet [war] ..., sondern Rinderhirt ..., nahm mich JHWH...)
 
_(Und=) Ja, sogar Ernter-von-Maulbeerfeigenbäumen.<ref name="14cd" /> (Obwohl ich kein Prophet [war] ..., sondern Rinderhirt ..., nahm mich JHWH...)
 
{{S|15}} Aber JHWH nahm mich von hinter der Herde<ref name=!14cd" />
 
{{S|15}} Aber JHWH nahm mich von hinter der Herde<ref name=!14cd" />

Version vom 15. September 2021, 16:40 Uhr

Syntax ungeprüft

SF ungeprüft.png
Status: Studienfassung zu prüfen – Eine erste Übersetzung aus dem Urtext ist komplett, aber noch nicht mit den Übersetzungskriterien abgeglichen und nach den Standards der Qualitätssicherung abgesichert worden und sollte weiter verbessert und geprüft werden. Auf der Diskussionsseite ist Platz für Verbesserungsvorschläge, konstruktive Anmerkungen und zum Dokumentieren der Arbeit am Urtext.
Folgt-später.png
Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Lesefassung (Amos 7)

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Anmerkungen

Studienfassung (Amos 7)

1a Dies zeigte mir (ließ mich sehen) der Herr JHWH:b
Siehe: Er schuf ([jemand] schuf) Heuschrecke[n] zum Anfang des Wachsens der Spätsaat (des Spätwuchses),
Und siehe: Die Spätsaat (der Spätwuchs) [kam] nach der Mahd des Königs!c
2 Und als sie gerade gänzlich fraßend ([damit] endeten, abzufressen) [sämtliche] Pflanzen {der Erde},e (Und [dies] würde geschehen, wenn man fertig sein würde, die Pflanzen {der Erde} zu essen.)f
Sprach ich (Da sprach ich): „Herr JHWH, bitte, vergib!
Wer könnte Jakob [sonst] wieder aufrichten ([Als] wer könnte Jakob bestehen, Wie könnte Jakob [sonst] bestehen / [wieder] aufstehen?)?g
Denn er ist [ja so] klein (gering)!“
3 JHWH tat dies Leid (JHWH bereute es).
„Es soll nicht geschehen!“, sprach JHWH.


4 Dies zeigte mir (ließ mich sehen) der Herr JHWH:b
Siehe: Es nahte sich zum Prozess (...)h mit (Feuer=) einer Dürrei der Herr JHWHj
Und (es=) sie fraß (die große Tiefe=) das Grundwasser (das Meer)k
Und würde fressen das Ackerland (das Land, das Land [Israel], die [ganze] Welt).
5 Da sprach ich: „Herr JHWH, bitte, tu's nicht (hör auf)!l
Wer könnte Jakob [sonst] wieder aufrichten ([Als] wer könnte Jakob bestehen, Wie könnte Jakob [sonst] bestehen / [wieder] aufstehen?)?g
Denn er ist [ja so] klein (gering)!“
6 JHWH tat dies Leid (JHWH bereute es).
„Auch dieses soll nicht geschehen!“, sprach der Herr JHWH.


7 Dies zeigte mir [er] (ließ [er] mich sehen):b
Siehe: der Herr stand auf (an) einer Zinn-Mauer (Blei-Mauer, auf einer mit einem Blei[lot gebauten] Mauer)m
Und in seiner Hand [war] Zinn (Blei, ein Blei[lot]).
8 Da sprach JHWH zu mir:
„Was siehst du, Amos?“
Und ich sprach: „Zinn (Blei, ein Blei[lot])“.
Und der Herr sprach: „Siehe, ich lege Zinn (Blei, ein Blei[lot])
In die Mitte meines Volkes Israel;
Ich kann nicht (werde nicht, möchte nicht) weiterhin fortfahren, an ihm vorüberzuziehen:n
9 Verwüstet werden die [Kult]höhen Isaakso
Und die Heiligtümer Israels werden zertrümmertp
Und ich werde mich aufrichten (erheben)q gegen das Haus Jerobeamsr mit dem Schwert.“


10s Da sandte Amasja, der Priester von Bethel,t [eine Nachricht]
An Jerobeam, den König von Israel, wie folgt:u
„Amos betreibt Verschwörung gegen dich
In der Mitte des Hauses Israel;
Das Land (die Erde) kann nicht (fassen=) ertragenv
Alle seine Worte.
11 Denn dies sprach Amos:b
'Durch das Schwert wird sterben Jerobeam
Und Israel wird (exiliert werdend=) sicher exiliert werden aus seinem Land!'“

12 Und Amasja sprach zu Amos:
„Seher, gehe, fliehe {dich}w in das Land Juda
und iss dort Brot (verdiene dir dein Brot?)x und prophezeie dort;
13 Aber in Bethel fahre nicht weiterhin fort zu prophezeien,
Denn ein Heiligtum des Königs [ist] dies
Und ein Haus des Königreiches [ist] dies!“y

14 Da antwortete Amos
Und sprach zu Amasja:
„Kein Prophet [bin (war)]z ich
Und (kein=) nicht mal (Prophetensohn=) Propheten-Azubiaa [bin (war)] ich,
Sondern Rinderhirt (Rinderbaron?)ab [bin (war)] ich
(Und=) Ja, sogar Ernter-von-Maulbeerfeigenbäumen.ab (Obwohl ich kein Prophet [war] ..., sondern Rinderhirt ..., nahm mich JHWH...)
15 Aber JHWH nahm mich von hinter der Herdeac
Und JHWH sprach zu mir: „Gehe, weissage meinem Volk Israel!“
16 Und nun höre das Wort JHWHs: „Du sprichstad: 'Du sollst nicht weissagen über Israel und du sollst nicht weissagenae über das Haus Isaak!'“
17 Deshalb sprach dies JHWH:b „Deine Frau wird in der Stadt zur Hure werden und deine Söhne und deine Töchter werden durch das Schwert fallen und dein Land wird mit der Messschnur verteilt werden und du wirst auf unreinem Land sterben und Israel wird (exiliert werdend=) sicher exiliert werden aus seinem Land!“

Anmerkungen

Mit Am 7 beginnt der letzte Großabschnitt des Amosbuches: Am 7-9 schildern nacheinander fünf Visionen. Die ersten drei Visionen folgen dierekt aufeinander, ab der dritten Vision wird an jede dieser Visionen noch ein Abschnitt anderer Gattung angeschlossen.
Bei den ersten vier Visionen gehören jeweils zwei als Visionspaare zusammen:

Schema A
Schema B
Am 7,1-3.4-6:
1. „Dies zeigte mir der Herr JHWH“

2. „Siehe: ...“

3. „Da sprach ich: Herr JHWH, bitte, vergib / tu's nicht!
Wer könnte Jakob sonst wieder aufrichten? Denn es ist ja so klein!“

4. „JHWH tat dies Leid.
Es/Auch dieses soll nicht geschehen!, sprach (der Herr) JHWH.“
Am 7,7-9; 8,1-3:
1. „Dies zeigte mir er/der Herr JHWH:“

2. „Siehe: ...“

3. „Da sprach JHWH zu mir: Was siehst du, Amos? Und ich sprach: ...“

4. „Und der Herr sprach: ...“

Zu den ersten drei Visionen in Am 7,1-9 wurde das Nötigste bereits oben erläutert, hier daher nur noch zwei Ergänzungen zum Zusammenhang dieser Visionen.
Zunächst: Die beiden zusammengehörigen Visionen Am 7,7-9 und Am 8,1-3 werden durch die Erzählung in Am 7,10-17 unterbrochen. Diese Verse aber sind keine Fremdkörper, sondern gehören untrennbar mit Am 7,7-9 zusammen: (1) Das „die Mitte des Volkes Israel“ in V. 8 wird durch „die Mitte des Hauses Israel“ in V. 10 aufgegriffen, (2) „mein Volk Israel“ in V. 8 durch die selbe Formulierung in V. 15, (3) „nicht weiterhin fortfahren“ in V. 8 durch die selbe Formulierung in V. 13, (4) der Parallelismus „Isaak + Israel“ in V. 9 im selben Parallelismus in V. 16, (5) der Parallelismus „Israel + Jerobeam“ in V. 9 durch den selben Parallelismus in V. 11, (6) das Beieinander von „Schwert + Jerobeam“ in V. 9 durch das selbe Beieinander in V. 11. Aus diesem Grund liegt auch die Annahme so nahe, dass wirklich (7) ähnlich das viermalige „Zinn“ (`anak / `anok, s.o.) in Vv. 7f. dreimal durch `anoki in V. 14 aufgegriffen wird (s. zu V. 7).

Und zweitens: Erklärungsbedürftig ist weiterhin der Übergang von Vision 1+2 zu Vision 3+4: Warum ist es in Vision 1+2 möglich, dass Amos Gottes Urteil über Israel noch abwenden kann, in Vision 3+4 aber nicht mehr? In der deutschen Bibelauslegung hat man gelegentlich versucht, dies biographisch zu erklären (so z.B. noch Jeremias und Leuenberger 2017): Vision 1+2 hatte Amos zu einem frühen Zeitpunkt seiner Prophetenlaufbahn geschaut, zu dem er sich noch als Heilsprophet verstand, der für Israel Partei ergreifen müsse. Entweder durch Vision 3 oder wegen dem in Am 7,10-17 Geschilderten oder schlicht durch hier nicht erwähnte Erfahrungen, die Amos mit Gott und mit Israel gemacht hatte, wandelte sich Amos (Selbst-)Verständnis und ihm wurde bewusst, dass Gottes Urteil über Israel verdient und unabwendbar war, was dann aus Vision 3+4 spreche. Das aber gehört gänzlich ins Reich der Spekulation. In Am 7 steht einfach nichts, das dieses Gegeneinander von Vision 1+2 einerseits und Vision 3+4 andererseits erklären würde. Vor allem Landy 1987 und Tiemeyer 2006 haben wegen dieser Leerstelle zwischen Vers 6 und Vers 7 daher etwas verfasst, was weniger als historische Exegese dieser Verse zu verstehen ist denn als Midrasch. Er ist nicht etwa „wahrscheinlicher richtig“ als die biographische Idee der deutschen Exegese, lässt aber zu, die Verse mit größerem geistlichem Gewinn zu lesen, und sei daher hier mitgeteilt:

Ein Midrasch zu Am 7,1-9:
Es ist zunächst einmal grundsätzlich erstaunlich, dass Gott Propheten so beruft, wie er sie beruft – nämlich nicht in einen „Berufsstand“, in dem nur läge, dass Propheten Gottes Worte an sein Volk weiterzugeben haben, sondern auch in einen Stand, zu dem fundamental auch die Aufgabe gehört, bei Gott Fürbitte für sein Volk einzulegen (s. Gen 20,7; 1 Sam 7,5.8; 12,19.23; Jes 37,2-4; vgl. dazu bes. Beckers Aufsatz „Der Prophet als Fürbitter“). So fundamental, dass Gott dem Jeremia sogar explizit untersagen muss, Fürbitte für Israel einzulegen (s. Jer 7,16; 11,14; 14,11). Bei einer Auseinandersetzung „Gott vs. Gottes Volk“ ist es also Gott, der dafür sorgt, dass sein Volk dabei immerhin von einem ordentlichen Anwalt vertreten wird. Erstaunlich ist zweitens, dass er dann auch jeweils tatsächlich auf diese Anwälte Israels hört (wie er es seit Beginn seiner Geschichte mit seinem Volk Israel getan hat, s. Ex 32,7-14; Num 14,11-20). Erstaunlich ist drittens, wie Gott auf diese Anwälte Israels hört: Es ist nicht etwa nur so, dass er sich von diesen nur „überzeugen“ lassen würde – sondern Propheten können für Gottes Volk eintreten, indem sie an Gottes Mitgefühl appellieren. So auch hier: Amos wendet gegen das geschaute Unheil in Vv. 1.4 nicht etwa ein, dass zum Beispiel im Grunde Israel doch gut sei oder dass es sich ja doch noch bessern könne; stattdessen bittet er Gott schlicht darum, „seinem kleinen Jakob“ zu verzeihen – wer sonst könnte das tun? Woraufhin Gott sich nicht einfachhin „anders entscheidet“, sondern „es ihm Leid tut“ (Vv. 3.6). „Gott kalkuliert nicht etwa kalt, sondern ‚fühlt‘ sich hinein in die Auswirkungen seines Handelns und zeigt ein Mitgefühl mit seinen Geschöpfen“ (Mays 1969, S. 130). Mit Landy und Tiemeyer kann man sich den Unterschied zwischen Vision 1+2 einerseits und Vision 3+4 andererseits daher vielleicht als einen „Taktik-Wechsel“ Gottes verstehen: Gott weiß, dass Israel reif zum Gericht ist. Und gleichzeitig ist ihm nach den ersten beiden Visionen ebenso bewusst: Sobald Amos Fürbitte einlegen wird für Israel, wird er nicht hart bleiben können. Aus diesem Grund zeigt er Amos ab V. 7 nicht mehr etwas Gefährliches wie eine Heuschreckenplage oder eine landesweite Dürre, sondern etwas Unverfängliches – eine Zink-Mauer in V. 7, einen Obstkorb in Am 8,1 –, und „stiehlt Amos so die Initiative“ in ihrem Dialog (Landy), da dieser bei der Schau eines Obstkorbes ja kaum um Erbarmen bitten wird. Nur so ist es ihm möglich, Israel sein verdientes Urteil mitteilen zu können – und auch dies nur gerade so: Auch in Am 7,7-9 und Am 8,1-3 bleibt Israel ja „sein Volk Israel“ (7,8; 8,2). Es geht sogar so weit, dass in Am 7,8; 8,2 nicht etwa er das vernichtende Urteil spricht. Das muss Amos tun (vgl. Novick 2008). Passend klingt dann auch noch im selben Vers in der letzten Zeile mit der deutlichen o-Assonanz wieder Gottes Klageruf durch: „[Oh! oh!] Ich kann nun nicht weiterhin fortfahren, an ihm vorüberzuziehen!“

Vv. 10-17 zeigen dann exemplarisch am Beispiel des Amasja, dass Gottes Urteil wirklich gerechtfertigt ist: ...

aOb Am 7,1-8; Am 8,1-2 Prosa oder Lyrik sind, ist umstritten. Gewöhnliche Prosa sind die Vv. sicher nicht; allenfalls könnte man ihren Stil als einen deuten, den man gelegentlich als „epischen“ Stil bezeichnet hat (wie z.B. auch den von Gen 1,1-2,4). Dieser Stil allerdings ist noch so gut wie gar nicht erforscht; einstweilen analysieren und formatieren wir daher, als wären die Verse Lyrik. (Zurück zu v.1)
bDies zeigte mir der Herr JHWH /er (Vv. 1.4.7) + Dies sprach Amos (V. 11) + Dies sprach JHWH (V. 17) - In Vv. 1.4.7 steht eine Abwandlung der Botenformel aus Am 1-3; s. dort. Man könnte sagen, in Am 7 ändert sich Gottes „Kommunikationsmodus“ vom Mitteilen von Worten zum Wahrnehmen-Lassen von Visionen. In V. 11 verwendet dagegen ironischerweise der Priester Amasja die typische Botenformel – von Amos; für Amasja sind die Worte des Amos also nicht schon automatisch Gottes Worte. Amos (und Gott) wird in V. 17 darauf reagieren, indem er ein weiteres Mal zur üblichen Botenformel greift. (Zurück zu v.1 / zu v.4 / zu v.7 / zu v.11 / zu v.17)
cSpätsaat (Spätwuchs) + Ernte des Königs - Im Alten Israel teilte man das Jahr nicht nur in Monate und Jahreszeiten ein, sondern bisweilen auch in agrikulturelle Abschnitte. Der bekannteste derartige Kalender ist der „Gezer-Kalender“, eine der ältesten Inschriften aus Israel überhaupt. Das Jahr wird dort u.a. eingeteilt in: „Doppelmonat der Aussaat. Doppelmonat der Spätsaat/des Spätwuchses (leqesch, ‚das Späte‘). ... Monat der Sommerfrucht (qets).“ In der Aufzählung in 1QS x 7 folgt auf den „Doppelmonat der Spätsaat“ der Abschnitt des desche`, des „Grases“ (vgl. Talmon 1963, S. 183). Was Gott Amos hier sehen lässt, geschieht in diesem „Monat des Grases“: Das Getreide wurde ausgesät, ebenso „das Späte“, also entweder das Spätgetreide oder Gemüse wie z.B. Zwiebeln (Paul 1991, S. 227), und auch dies hat schon zu Wachsen begonnen (1b).
1c präzisiert außerdem, dass der Spätwuchs oder die Spätsaat nach der „Mahd (gz) des Königs“ kam. Die meisten Kommentatoren nehmen an, diese Zeile sei später hinzugefügt worden und eine Glosse, die das seltene Wort leqesch als etwas erklären soll, das regulär nach der Spätsaat komme (daher z.B. HER05: „... als das Spätgras zu sprossen begann [die Spatsaat folgt auf den Schnitt für den König].“, ebenso B-R, 80, PAT, ZÜR 31; ähnlich BB: „... gerade als die Spätsaat aufzugehen begann. – Die Spätsaat wächst ja im Frühsommer, nachdem das Gras für den König gemäht worden ist. – ...“). Aber das ist absurd, ganz richtig Wellhausen 1893, S. 89 und Reventlow 1962, S. 30: „den Zeitgenossen des Amos [die ja alle selbst Ackerbau betrieben!] braucht nicht weitläufig gesagt zu werden, wann der leqesch stattfinde.“ Hintergrund von 1c ist stattdessen sehr wahrscheinlich der: Wenn im Alten Israel die Saat spross, wurden diese Sprosse während der Regenzeit noch mindestens einmal geschnitten, da in der Klimazone Israels dies dann und derart gestutzte Getreide trotzdem noch ohne Ertragsminderung nachwuchs. Vgl. Sifra 4,43 zu Dtn 11,15: „Du schneidest (gzz) und fütterst die ganze Regenzeit hindurch dein Vieh, und 30 Tage vor der Ernte wirst du damit aufhören. Und [dennoch] wird [das Feld] fortfahren, wachsen zu lassen und nicht weniger Getreide produzieren!(vgl. dazu Dalman, AuS I, S. 409-411); auch m.Men x 8: „Junges Getreide kann man [noch] abschneiden und damit das Vieh füttern.“; auch t.Men x 32; m.Peah ii 1; t.Peah i 8. Diesen Getreideschnitt / den letzten dieser Getreideschnitte bezeichnete man auch als „Schnitt des Königs“; wohl, weil der Ertrag / ein Teil des Ertrags als Getreidesteuer an die königlichen Stallungen ging. Offenbar müssen wir uns vorstellen, dass dieser „Schnitt des Königs“ je nach Witterung vor oder nach dem leqesch liegen konnte, und dies präzisiert hier 1c: In diesem Jahr war die „Königsmahd“ nach dem leqesch. So versteht die Zeile wohl auch Tg: „... zu Beginn des Sprießens der Spätsaat, und siehe, es war zu[r Zeit des] Nachwachsens nach der Königsmahd des Junggetreides.“ Die Heuschrecken fressen also erstens das im „Doppelmonat der Aussaat“ gesäte Getreide ab, zweitens auch noch die Triebe der „Spätsaat“, und drittens tun sie das zu einem Zeitpunkt, an dem die „Königsmahd“ bereits stattgefunden hat, der Zeitpunkt also schon abgelaufen ist, bis zu dem man von Heuschrecken angefressene Pflanzen noch einmal schneiden und dennoch verlustfreien Ertrag produzieren konnte. Zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätte die Heuschreckenplage gar nicht kommen können. (Zurück zu v.1)
dgänzlich fraßen - Klangspiel: killah le`ekol; dass sie es „gänzlich“ (killah) fressen (le`ekol) wird durch die Ähnlichkeit der beiden Wörter zusätzlich unterstrichen. (Zurück zu v.2)
e[sämtliche] Pflanzen {der Erde} - „der Erde“ ist hier ganz überflüssig; natürlich geht es um irdische Pflanzen. Wahrscheinlich ist der Ausdruck ähnlich emphatisch wie Mk 9,3: „die Pflanzen auf der ganzen Erde“, also „die Pflanzen samt und sonders.“ Der Ausdruck spielt dann zusammen mit dem Klangspiel am Anfang der Zeile, s. vorige FN. (Zurück zu v.2)
ftFN: Die obige Üs. von 2a ist eine Verlegenheitsübersetzung. Die Parallelität von V. 2 mit V. 4 macht fast sicher, dass hier gesagt werden soll, dass die Heuschrecken die Pflanzen abfressen. Das scheint grammatisch aber nicht möglich zu sein: Grammatisch müsste man meinen, dass die Alternativübersetzung die korrekte ist. 2a wäre dann eine weitere Zeitangabe nach den beiden in 1c und 1d, die Heuschrecken kämen also erstens zu einem Zeitpunkt, zu dem es aussichtslos ist, dass nach ihrem Weiterziehen noch einmal etwas wachsen könnte (s.o.) und zweitens zu einem Zeitpunkt, zu dem auch sonst keine pflanzliche Nahrung mehr übrig ist, weil man sie direkt vor der Erntezeit bereits restlos verspeist hat. Zum wehajah `im-Satz ohne Apodosis ließe sich nur Sach 6,15 vergleichen, zu wehajah `im mit temporalem statt konditionalem `im nur Ri 6,3 (!) und vielleicht Ri 4,20; 1 Sam 3,9; 2 Sam 11,20.
Genauer: Die Stelle beginnt mit wehajah `im („Und es wird/soll geschehen: Falls/wenn...“). In dieser Konstruktion ist wehajah für gewöhnlich kein Vollverb, sondern ein Textdeiktikon, das anzeigt, dass der Satz nach dem direkt folgenden und mit `im eingeleiteten Satz ein futurischer oder modaler Satz (s. Num 15,24; Dtn 8,19; 11,13; 20,11; 21,14; 24,1; 25,2; 28,1.15; Ri 4,20; 1 Sam 3,9; 23,23; 2 Sam 11,20; 11,38; Jer 12,16; 17,24; Am 6,9) oder selten auch ein iterativer Satz (s. Gen 38,9; Num 21,9; Ri 6,3) sein wird. Der `im-Satz ist dabei fast stets ein konditionaler Satz. Bsp: Am 6,9: „Und es wird geschehen (wehajah): Wenn (`im = falls) zehn Männer in einem Haus übrig bleiben, [Apodosis:] werden sie sterben.“ Ähnlich kann wehajah mit folgendem b- + [Zeitangabe] oder mit b- + Inf. cstr. verwendet werden (s. z.B. Dtn 27,2.4: „Und es soll geschehen (wehajah): Am Tag, an dem ihr über den Jordan setzt..., [Apodosis:] sollst du dir große Steine aufrichten. ... [V. 4:] Und es soll geschehen (wehajah): nach-eurem-Übersetzen über den Jordan ... [Apodosis:] sollt ihr diese Steine ... auf dem Berg Ebal aufrichten.“) oder mit k- / ki / ka`ascher (z.B. Dtn 26,1f.: „Und es soll geschehen (wehajah): Wenn (ki) du in das Land kommst ..., [Apodosis: sollst du deine Erstlingsfrüchte opfern].“). Das Verb in der Apodosis ist dabei stets ein Yiqtol- oder Weqatal-Verb.
In 2a macht diese Konstruktion aber keinen Sinn, daher scheint man rein syntaktisch wie in Sach 6,15 wehajah hier doch als Vollverb auffassen und übersetzen zu müssen wie in der Alternativübersetzung.
Die Primärübersetzung orientiert sich stattdessen hieran: Neben Am 7,2 werden weitere neun Stellen gelegentlich als Fälle mit „außergewöhnlicher wehajah-Verwendung“ aufgezählt. Aus diesen auszuscheiden sind sicher Ri 6,3 (s.o.: iterativ; mit Weqatal in der Apodosis gehört die Stelle ohnehin nicht in diese Reihe); 2 Sam 6,16 (wo 4QSama und der parallele Vers 2 Chr 15,29 wajehi haben) und Jes 37,11 (wo erstens alle wichtigen MSS nach dem Vers Setumah haben, so dass man sicher nicht als Protasis analysieren kann, und wo zweitens ebenfalls viele MSS wajehi lesen). Damit bleiben als Parallelen immerhin noch die vier Verse 1 Sam 10,9; 13,22; 17,48; 2 Kön 3,15, bei denen ebenso wie scheinbar hier mit Wayyiqtol oder mit Qatal fortgefahren wird, außerdem vielleicht 1 Sam 1,12, wo aber wehajah eher wie in WHM nicht als Weqatal, sondern als Waw-Qatal zu analysieren ist. Vergleichbar ist außerdem der merkwürdige V. 1 Sam 25,20, wo mit Partizip fortgefahren wird. Auch bei den 1 Sam-Stellen gibt es jeweils auch wenige MSS, die wajehi oder nur hajah lesen; sehr wahrscheinlich sind dies aber sämtlich nachträgliche Korrekturen und deshalb so schwach und i.d.R. nur in jungen MSS bezeugt; bei 2 Kön 3,15 scheint es gar keine alternative Lesart zu geben (auch hier will aber BHS wajehi lesen). Isaksson 1998, S. 22f. und Blum 2008, S. 131 nehmen nun an, dass bei diesen Stellen wehajah anzeigen soll, dass das in Protasis und Apodosis Geschilderte gleichzeitig geschehe (z.B. 1 Sam 10,9: „Und es geschah (wehajah): Gleichzeitig mit seinem-sich-Umdrehen, um von Samuel wegzugehen, [Apodosis:] verwandelte Gott sein Herz“; entsprechend hier: „Und es geschah (wehajah): Gleichzeitig damit, dass sie die Pflanzen vollständig abfraßen, [Protasis:] sprach ich: ...“; so zur Stelle bereits Gese 1981, S. 76 und bes. Seidl 1987; auch Kessler; Reimer 1992, S. 162; Rüterswörden 1993, S. 44). Eigentlich ist dies vor dem Hintergrund der sehr einheitlichen sonstigen Verwendung von wehajah-Vordersätzen eine zu gewagte Annahme (dagegen auch Stipp 1991, S. 538); sicher weniger gewagt ist die Annahme, dass hier jeweils wjhj als whjh verschrieben wurde, was aber an unserer Stelle wegen `im nicht funktioniert.
Andere Vorschläge gehen aber noch weniger an: (1) Garrett will die Stelle iterativ verstehen („Wann immer sie damit fertig wurden, die Pflanzen zu fressen, sprach ich...“), was sich aber nicht mit dem Wayyiqtol vereinbaren lässt; allenfalls müsste man zu Weyiqtol umvokalisieren. Auch textkritisch wird man dieses Problem nicht lösen können; der Text wird mindestens gestützt durch 4QXIIc, LXX, Tg und Syr. (2) Ginsburg; GKC §112 uu; JM §119z; Bartczek 1980, S. 32; Hammershaimb und Reventlow 1962, S. 31 wollen dennoch wajehi lesen, aber die Sequenz wajehi `im existiert nicht im Heb (und machte syntaktisch auch gar keinen Sinn). (3) Huesman 1956, S. 433 und Rudolph wollen wehajoh vokalisieren und als sequentiellen Inf. abs. analysieren, aber Inf. abs. von hjh findet sich sonst nur 6x als tautologischer Inf. (Gen 18,18; Num 30,6; 1 Kön 13,32; Jer 15,18; Ez 1,3; 20,32) und ohnehin führt sequentieller Inf. abs. den Modus des vorangehenden Verbs fort; der vorangehende Satz hier ist aber ein verbloser Satz. (4) Verbreitet ist außerdem die Textkorrektur von whjh `jm-klh zu wjhj h` mklh („Und es geschah: [Als] diese fertig seiend [waren] (die Pflanzen zu fressen)“, so z.B. BHS, Wellhausen, Harper, Driver, Sellin, Robinson, Mays), aber richtig Gordis 1979-80: das wäre kaum idiomatisch; weder die Sequenz wjhj h` noch klh i.S.v. „fertig sein“ als Partizip (wobei man Letzteres immerhin noch dadurch retten könnte, dass man klh nicht als „fertig sein“, sondern als „etw. gänzlich tun“ deutet). Grammatisch scheint man also nur analysieren zu können wie vor dem „Genauer“-Abschnitt erläutert; weil es aber strukturell so sehr zu erwarten ist, dass hier vom Fressen der Heuschrecken die Rede ist, hat man fast keine Wahl, als bei der Interpretation von Issakson und Blum mitzugehen. (Zurück zu v.2)
gTextkritik: wer könnte aufrichten ([Als] wer könnte bestehen, wie könnte bestehen?) - Der heb. Text hatte ursprünglich sicher die Konsonanten mj jqm j´qb. MT vereindeutigt jqm durch Vokalisierung und Sym durch Übersetzung zu jqwm („bestehen, Bestand haben“), LXX, VUL und Syr dagegen zu jkjm („aufrichten“), was sich auch in wenigen MSS findet („Wer könnte Jakob aufrichten?“). Dass Tg jqwm stütze, wie BHQ behauptet, ist mindestens unsicher: „Wer steht auf (jqwm) und legt Fürbitte ein für Jakob?“ ist eher eine Doppeldeutung von jqm einmal als jqwm und einmal als jqjm.
(1) MT könnte man zur Not schon zufriedenstellend auflösen als „Als wer könnte Jakob bestehen“, d.h. „Wer wäre Jakob, dass er bestehen könnte?“, was gut mit der nächsten Zeile zusammenstimmte (s. zur Konstruktion IBHS §18.2d; so z.B. Hitzig, Harper, Ehrlich. Vgl. Jes 51,19: „[Als] wer könnte ich dich trösten?“). (2) Alternativ wird gelegentlich auf Rut 3,16 verwiesen und mi danach als „Wie“ gedeutet (z.B. Garrett, Eidevall, Carroll) doch dieser V. ist nicht vergleichbar, s. dort. So aber fast alle Üss: „Wie sollte Jakob bestehen!?“ (3) Aber nach Am 5,2 war doch wahrscheinlicher mi jaqim angezielt. So auch Dahl; Öttli 1901, S. 75; Riedel 1902, S. 28; auch Moldenhawer, Schegg, Struensee, LUT 84 („Wer soll Jakob wieder aufhelfen?“; nicht mehr LUT 17), R-S („Wer hilft nur Jakob auf?“). (Zurück zu v.2 / zu v.5)
hnahte sich zum Prozess (...) - Schwierige Formulierung; es sind zu viele Auflösungen verbreitet, um sie hier alle aufzuzählen, s.u. Nach unserer Auflösung (s.u. sub (4)) setzen Vv. 4bc voraus, dass Israel den in 4b angedeutete „Prozess“ gegen Gott natürlich verloren hat, weshalb Gott die Strafe in 4c verhängt.
tFN: rib („Prozess“) ist nicht schon die Strafe, sondern entweder „der Zank“ oder „die Gerichtsverhandlung“. Dass JHWH „zankt“, haben wenig überraschend bisher nur TAF und TUR erwogen (TAF: „der Herr Jehovah rief das Feuer zum Hadern“; TUR: „Gott, der Herr, rief zur Fehde mit dem Feuer“); das Wort scheint also im forensischen Sinn genommen werden zu müssen. Daraus ergeben sich aber zwei Schwierigkeiten. Erstens heißt qara` („rufen“) im forensischen Zhg. „anklagen, vorladen“ (s. Dtn 25,8; Ijob 9,16; 13,22; 14,15; Jes 59,4; vgl. ThWAT VII 128), zweitens steht vor „Feuer“ die Präposition b- und rib b- heißt forensisch „streiten gegen“.
(1) Man scheint diesen Vers also deuten zu müssen als „JHWH lud das Feuer vor Gericht, um gegen es zu prozessieren“. So natürlich niemand.
(2) Die meisten (explizit Marti, Hammershaimb und wahlweise Rüterswörden 1993, S. 48, wohl auch Carroll, Eidevall, Garrett, Kessler, Paul, Vater) beziehen qara` daher über lerib hinweg auf „das Feuer“ und deuten es nicht-forensisch als „rufen“ so dass man auflösen müsste: „JHWH rief nach dem Feuer, um [mit seiner Hilfe] zu Prozessieren“. So auch , NeÜ, SLT, ZÜR („Gott der Herr rief, um mit Feuer in den Streit zu ziehen“). Das ist erstens syntaktisch nicht naheliegend, zweitens müsste man qara` in diesem Kontext gegen den Strich des Textes deuten, drittens wäre der Sinn des Verses auch dann immer noch der, dass das „Fressen“ des Feuers nicht als Strafe, sondern eine gerichtliche Untersuchung zu verstehen wäre (was in dt. Üss. gerne verschleiert wird, indem man „prozessieren“ wie ZÜR als „in den Streit ziehen“ oder wie als „angreifen“ übersetzt).
(3) Keil, Justi und Schmoller gehen daher noch weiter und deuten wie bes. Limburg 1973, S. 349 rib als „strafen“: „Gott der HERR rief das Feuer, um damit zu strafen“ (LUT 84). So auch H-R, JB, Michaelis; auch NL: „Gott, der Herr, machte sich bereit, sein Volk mit einer großen Dürre zu bestrafen.“ Aber das geht endgültig nicht an, rib heißt sicher nicht „strafen“.
(4) Wellhausen und wahlweise Rüterswörden 1993, S. 48 nehmen aus diesem Grund qara` nicht als „rufen“, sondern als Nebenform von qarah „sich nahen“: „JHWH nahte sich dem Prozess und hatte Feuer dabei“. Das ist die einzige Auflösung, die einigermaßen zufriedenstellenden Sinn ergibt, ohne den Text zu verändern. Die meisten tun stattdessen dies
(5) und verändern ohne Rückhalt in der Textgeschichte qr` lrb b`š zu qr` lrbb `š („er rief einen Feuerregen“, so Krenkel 1866, S. 271, z.B. auch Andersen/Freedman, Jeremias, Mays, Wolff; Leuenberger 2017, S. 56; auch HER05, LUT 17)
(6) oder zu qr` lhb `š (s. z.B. Joel 2,5; so z.B. Sellin, Cripps, Rudolph) oder syntaktisch besser, aber graphisch noch ferner qr` lhbt `š (s. Ps 29,7; beides: „er rief eine Feuerflamme“. So z.B. Robinson, Snaith, Reimer 1992, S. 165; auch PAT: „der Gebieter und Herr rief eine Feuerflamme“),
(7) oder neuerdings zu qr` lrkb `š („Er rief einen Feuerwagen“, so Simone 2016). Diversen älteren Vorschlägen zur Textkorrektur hat sich niemand angeschlossen. (Zurück zu v.4)
iDas Feuer meint hier wahrscheinlich eine Dürre. Wären Buschbrände gemeint (so z.B. Hammershaimb), wäre unerklärlich, wie diese „die Tiefe“ „fressen“ sollten. Gemeint sein könnte natürlich auch ein Feuer von solch mythischem Ausmaß, dass es sogar „die Tiefe verzehrt“, aber sehr nahe liegt das nicht: V. 5 setzt ja voraus, dass Israel immerhin nach dem Wirken dieses Feuers noch am Leben ist. (Zurück zu v.4)
jtFN: das der Herr JHWH hier so spät kommt, ist in der heb. Syntax noch ungewöhnlicher als in der dt. Oft wird dies redaktionskritisch damit erklärt, dass „der Herr JHWH“ hier eine nachträgliche Einfügung sei, aber wieder wird damit nur das Problem verschoben: Warum sollte es bei einem Ergänzer weniger wahrscheinlich sein als beim Verfasser des Texts, dass er syntaktisch wohlgeformte Sätze bilden konnte? Vermutlich steht „der Herr JHWH“ hier nur deshalb am Ende des Satzes, um die Zeile enger mit 4a zu verbinden, die ebenfalls auf „der Herr JHWH“ endet (was stark dafür spricht, dass V. 4 Lyrik sein soll). (Zurück zu v.4)
kdie große Tiefe könnte mythisch gemeint sein als jener Ort am Meeresgrund, an dem im Weltbild des Alten Israel die Unterwelt begann (s. Jon 2,3.6, so z.B. Anderson/Freedman, auch : „die große Urflut“), eher gemeint ist aber hier das ganz „un-mythische“ Grundwasser, das die Quellen an der Erdoberfläche speist (s. Ijob 38,16; Spr 8,28) und deshalb sehr wichtig für die Fruchtbarkeit der Erde war (s. Dtn 33,13), daher MEN: „es verzehrte die große Flut des Grundwassers“. Manchmal ist mit „der Tiefe“ auch „das Meer“ gemeint (so z.B. R-S: „Es fraß das große Meer“), aber das macht hier am wenigsten Sinn. (Zurück zu v.4)
lZu tu's nicht vgl. Jenni 1997f, S. 197.201; ZLH 223. Das macht viel mehr Sinn als die einheitliche Übersetzung „hör auf“; gebeten wird ja nicht um Abbruch dessen, was in der Vision geschaut wird, sondern darum, dass das Geschaute nicht Wirklichkeit wird. (Zurück zu v.5)
mÄußerst umstrittene Verse. Mehr als einen educated guess über ihren Sinn lassen sie heute nicht zu. Auszugehen ist hiervon: Am 7,7-8 sind klar parallel mit Am 8,1-2 (s. die Anmerkungen). Am 8,1-2 sind eine Wortspiel-Vision (Horst); das „Sommerobst“ (qajits), das dort geschaut wird, ist kaum für sich selbst bedeutsam, sondern hauptsächlich deshalb, weil sich damit in V. 8 ein Wortspiel mit „Ende“ (qets) bilden lässt – ein Wortspiel, das deshalb möglich ist, weil im Nordhebräischen qajits wie qets ausgesprochen wurde. Ein solches Wortspiel ist dann auch hier zu erwarten. Gleichzeitig unterscheiden sich die beiden Visionen darin, dass eine Zinn-Mauer anders als ein Korb mit Sommerobst für sich genommen nicht fraglos ist: Sommerobst-Körbe gibt es, Zinn-Mauern aber nicht. Man muss deshalb davon ausgehen, dass die Mauer hier nicht bedeutungslos ist, sondern anders als der Korb in Am 8,1-2 schon auch für sich genommen Bedeutung hat. Vielleicht also so: `anak („Zinn, Blei, evt. Bleilot“) ist zunächst einmal Charakteristikum der geschauten „Mauer“. In V. 7 wird v.a. diese Mauer geschaut, das Zinn in 7c ist bereits jenes Zinn, das Gott in V. 8 „in die Mitte seines Volkes setzen“ wird. Wird in V. 7 das Zinn also als Mauer-Material eingeführt, wird auch das Zinn, das er in V. 8 in die Mitte seines Volkes setzt, für Mauern stehen, nämlich nach V. 17 für die Trennung Israels von seinem Heimatland und für die Mauern, die nach der Neuverteilung des Landes mit der Messschnur innerhalb dieses Landes errichtet werden werden. Eine „Zinn-Mauer“ ist die Mauer nur wegen einem Wortspiel: `anak („Zinn“) wurde im Nordreich wohl mancherorts eher wie `anok ausgesprochen (s bes. Notarius 2016; vgl. ähnlich mibchor in 2 Kön 3,19 und 2 Kön 19,23 neben gewöhnlichem mibchar und biktob in Ps 87,6 neben gewöhlichem biktab; dazu Rendsburg 2003, S. 11) und klang daher ebenso wie die Kurzform `anok von `anoki („Ich“; belegt z.B. in Origines Secunda, wo `anoki in Ps 46,1 als anoch transkribiert wird). Wie noch viele andere Wörter aus Vv. 7-9 (s. die Anmerkungen) wird dies `anak / `anok(i) in Vv. 10-17 wieder aufgegriffen werden, nämlich im dreimaligen `anoki („Ich“) des Amos in V. 14. Dieses „Ich“ nämlich wird dort zum Grund für Gottes hartes Urteil über Israel: Gerade deshalb, weil Amasja zu Amos so sprach, wie er eben gesprochen hat, verhängt Gott über Israel die in V. 17 geschilderte Strafe. Erst mit V. 14 würde dann also klar: Das `anak, von dem in Am 7,7-8 die Rede ist, ist in einem tieferen Sinne das `anoki des Amos: Amos selbst wird zum Grund für das Exil der Israeliten, weil diese so auf seine Warnungen reagieren, wie sie reagieren.
Aber das ist sehr unsicher; diese Doppeldeutung ist nur die, die am besten (und dann immer noch nicht sehr gut) zum näheren und weiteren Kontext zu passen scheint.
Genauer: Am 7,7f. sind berühmt für ihre Schwierigkeit. Weigl 1995 hat eine ganze Forschungsgeschichte zu diesem Vers verfasst; hier seien daher nur die wichtigsten Deutungs-Optionen vorgestellt, die häufiger in der Forschung vertreten wurden.
(1) Traditionell verstand man `anak als „Blei“ und mit Ephräm dem Syrer, Raschi und weiteren jüd. Exegeten dieses Blei dann als „Bleilot“; die „Bleilot-Mauer“ sollte dann eine Mauer sein, die mit einem Bleilot erbaut worden war (wie 1 Kön 19,6: „ein Glühstein-Kuchen“ = „ein Kuchen, der mit Glühsteinen gebacken wurde“). Dieses Bleilot, mit dem gemessen wurde, ob bei einer Mauer noch „alles senkrecht“ war, wird dann in V. 8 „in die Mitte meines Volkes Israel“ gebracht, um auch dieses zu „vermessen“. Wie in Vv. 4-6 müsste man dann voraussetzen, dass bei Israel offenbar nicht „alles senkrecht“ war, weshalb Gott dann die Strafe in V. 9 verhängt. Diese Deutung gibt es mit verschiedensten Akzentsetzungen, die Deutungsvariante hier ist davon nur die unproblematischste.
(2) 1965 veröffentlichte dann Landsberger seinen Aufsatz „Tin and Lead“, in dem er heftigst gegen die Übersetzung „Blei“ Einwand erhob: Das akkadische annaku und entsprechend dann auch das heb. `anak, das in der Bibel nur in diesen zwei Versen steht, heiße ausschließlich „Zinn“. Dafür sprach 1965 nicht viel mehr als heute und in der Akkadistik wurde das auch nicht einheitlich anerkannt. In der Hebraistik aber schon, und in der Folge erschien ein Aufsatz nach dem anderen und 1988 sogar eine ganze Monographie (Beyerlins „Bleilot, Brecheisen oder was sonst?“), in denen moniert wurde, dass Übersetzungen, Kommentare und Wörterbücher einfach nicht „mit der Forschung gingen“ und stattdessen bei der traditionellen Übersetzung blieben. Die „Zinnmauer“ und das „Zinn“ wurden dann unterschiedlichst gedeutet:
(2a) Zinn ist für sich genommen kein sehr stabiles Metall, gemeint sei mit der „Zinnmauer“ also die schwache Verteidigung der Israeliten, die JHWH überwand (Landsberger 1965, S. 287; Paul, Carroll), und das „Zinn“, das Gott „in die Mitte seines Volkes Israel legte“, sei ein Stück der Mauer, das JHWH herausgerissen hatte und ihnen vor die Füße warf (Carroll).
(2b) Zinn ist aber außerdem neben Kupfer der wichtigste Bestandteil von Bronze; entsprechend wurde die „Zinnmauer“ wie die Bronzemauer in Jer 1,18; Jer 15,20 und die Eisenmauer in Ez 4,3; 2 Makk 11,9 verstanden als besonders harte Mauer. Das ist sehr fernliegend, weil dann ganz unerklärlich wäre, warum nicht „Bronze“, sondern eben „Zinn“ gesagt würde; dennoch hat ist diese Deutung heute sehr beliebt. Genauer besagten dann die Verse: (2bα) Die Zinnmauer stehe derart für den ursprünglich schützenden Gott, der nun aber diese seine Schutzmacht als Angriffsmacht gegen Israel einsetze (z.B. Beyerlin 1988, Eidevall) (2bβ) oder für den Schutzwall der Israeliten, den Gott aber überwunden hatte, um nun mit (einem) Bronze(schwert) in der Hand gegen sie in den Krieg zu ziehen (z.B. Uehlinger 1989, Jeremias), (2bγ) oder für eine harte Belagerungsmaschine, auf der Gott gegen die Israeliten anrücke (Gese 1981, S. 79f.; ähnlich schon Cornet 1951), (2bδ) oder aber für einen riesigen Rohstoffvorat, auf dem Gott steht und aus dem er Schwert um Schwert schmieden könnte, um damit gegen die Israeliten zu streiten (z.B. Brunet 1966, Holladay 1970, Bovati/Meynet).
(3) Williamson 1990, Hoffmeier 1998 und dann endgültig Noonan 2013 zeigten aber Schritt für Schritt, dass Landsberger Unrecht hatte: Das akkadische annaku kann für verschiedenste Metalle stehen: Für Zinn, für Blei und z.B. auch für besonders arsenhaltiges Kupfer. Kessler etwa ist daher mittlerweile schon wieder zur Bleilot-Deutung zurückgekehrt: „Er sieht also wohl eine mithilfe eines Bleilots gebaute Mauer und eben ein Bleilot in JHWHs Hand“ (2021, S. 219).
(4) Parallel zu dieser Diskussion wurde eine zweite These immer wieder vertreten: Der mit Am 7,7-8 deutlich parallele Abschnitt Am 8,1-2 ist klar eine „Wortspiel-Vision“, entsprechend müsste man dann auch hier erwarten, dass `anak nicht „um seiner selbst Willen“ genannt würde, sondern nur um eines Wortspiels Willen. Anders als in Am 8,1-2 ist hier aber kein Wortspiel zu erkennen.
(4a) Eine Gruppe hält daher `anak für eine bloße Anspielung auf das Wort `anacha oder `anaqah (beides: „Stöhnen, Seufzen“; so bereits b.B.M. 59a; oft in der jüd. Auslegung, s. Routtenberg 1943, S. 140) oder glaubt, es gäbe doch ein sonst unbelegtes Wort `anak mit der selben Bedeutung (z.B. Stuart, Horst 1960, S. 201; Sweeney 2000, S. 254; Novick 2008, S. 126).
(4b) Eine noch größere Gruppe dagegen glaubt, mit `anak, das im Nordhebräischen eventuell `anok ausgesprochen worden sein könnte (s.o.), würde auf `anoki („Ich“) oder die Kurzform `anok (s.o.) angespielt. (4bα) Dieses „Ich“ solle dann entweder für JHWH stehen (Praetorius 1915, S. 22: „Ich will das Ich mitten in mein Volk Israel stellen“, so z.B. noch Baltzer 1991; Behrens 1997, S. 4f. FN 9; Coote 1981, S. 92; Landy 1987, S. 229; besser dann aber Notarius, die von einem weiteren Wortspiel ausgeht: ßam „ich werde legen“ klang im Nordhebräischen ähnlich wie šam „dort“, entsprechend wäre ßam `anak „ich werde Zinn legen“ gleichzeitig scham `anok „dort [werde] ich [sein]) oder (4bβ) für Amos („ich will das Ich=dich mitten in mein Volk stellen“; so Eidevall, Bezzel 2014, S. 542; Campos 2011, S. 7; Cooper 1997, S. 16; Hoffmeier 1998, S. 317). Garrett hält (4b) insgesamt für „grammatisch gesehen absonderlich und ziemlich weit hergeholt“ (S. 214), was für Praetorius Übersetzung auch wirklich gilt. Man sollte nicht denken, dass schon diese Zeile als „ich will das Ich in die Mitte meines Volkes stellen“, in dem das „Ich“ auch noch „dich“ bedeuten soll, verstanden werden müsste: Erst im Zusammenspiel mit V. 14 schimmerte nachträglich diese Bedeutung in `anak durch, das für sich genommen und buchstäblich selbstverständlich „Zinn/Blei“ und weiter nichts bedeutet.
Das „er stand an einer Mauer“ in H-R, HER05 und PAT geht auf eine früher sehr verbreitete textkritische Operation zurück, die das erste `anak strich (z.B. BHS, noch Schart 2009 in Senkblei (WiBiLex)). (Zurück zu v.7)
nKlangspiel: lo `osip ´od ´ober lo; mit der starken o-Assonanz erinnert die Zeile sehr an die in Am 5,20, in der mit o-Assonanz der Klageruf ho ho nachgebildet wurde.
Die Formulierung dagegen schließt eng an Am 5,17 an: Wie Gott dort ankündigte, „durch Israels Mitte zu ziehen“, so legt Gott hier das Zinn „in die Mitte seines Volkes Israel“, weil er nicht weiterhin „an ihm vorüberziehen“ kann. (Zurück zu v.8)
oIsaak - Sehr ungewöhnlich: „Jakob“ wie in Vv. 2.5 ist ein häufiger Wechselbegriff für das gesamte (!) Israel, „Isaak“ dagegen wird in der Bibel nur hier und in V. 16 so verwendet. Der Name passt dafür auch noch sehr schlecht, denn Isaak war nicht nur als Vater Jakobs der Stammvater der Israeliten, sondern als Vater Esaus auch noch der Stammvater der Edomiter. Offenbar reframed hier Gott: Sein Gegenüber kann nun nicht mehr „der kleine Jakob“ sein, sondern ist „der alte Isaak“, und dieser muss vernichtet werden. Alternativ muss man hier „Israel“ ähnlich eng fassen wie in Am 1,1; 2,6 u.ö. und auf das Nordreich beziehen (was sehr gut möglich ist); die „Kulthöhen Isaaks“ wären dann demgegenüber die Heiligtümer des Südreichs, da nach einer biblischen Legende Isaak Beerscheba gegründet hat (s. Gen 26,23-25; diese Deutung des Ausdrucks ist allerdings weniger naheliegend). Dafür, dass auch Isaak hier Wechselbegriff für das Nordreich sein soll (so viele), spricht gar nichts; im Gegenteil legt der Parallelismus Israel // Isaak nahe, dass ab V. 7 „Israel“ nicht mehr nur auf das Nordreich zu beziehen ist (so richtig z.B. Wellhausen, Stuart, Thang 2011, S. 76). (Zurück zu v.9)
pKlangspiel: jecherabu („zertrümmern“) klingt sehr ähnlich wie das chereb („Schwert“) in der nächsten Zeile. (Zurück zu v.9)
qmich aufrichten - bittere Ironie: Fragte Amos in Vv. 2.5. noch danach, wer „Jakob“ wieder aufrichten könnte, kündigt hier Gott an, sich aufzurichten – nämlich gegen Israel. (Zurück zu v.9)
rHaus Jerobeams wird hier ungewöhnlicherweise nicht die „Dynastie“ von König Jerobeam II. meinen, sondern das Heiligtum in Bethel, das von Jerobeam I. als königliches Heiligtum gegründet wurde und daher zu Lebzeiten des Amos auch „Haus von König Jerobeam II.“ war (s. V. 13). Die Alternative ist schwieriger: König Jerobeam war kein Vater einer „Dynastie“, die man als „Haus Jerobeams“ bezeichnen können hätte – der zu erwartende Name dieser Dynastie wäre „Haus Jehus“ wie in Hos 1,4 (richtig Garrett). Jerobeams Sohn allerdings wurde tatsächlich von Ursupatoren getötet, s. 2 Kön 15,8-10. Ist das richtig, hat Amasja Amos Prophetie in V. 10 nicht nur etwas überspitzt widergegeben, sondern an dieser Stelle doch bewusst verfälscht. (Zurück zu v.9)
sDie Frage nach dem Stil von Vv. 10-17 ist noch komplizierter als die nach dem von Vv. 1-9. Heute werden die Verse sehr einheitlich als Prosaerzählung gefasst, und wenn man sich nur am Inhalt und an der Häufigkeit von „Prosa-Partikeln“ orientiert, ist das auch gerechtfertigt. In jeder anderen Hinsicht sind Vv. 10-17 aber sogar „noch lyrischer“ als Vv. 1-9; Anfang des 20. Jahrhunderts war es daher üblicher, sie als Poesie zu analysieren (z.B. Elhorst; Löhr 1901, S. 27; Baumann 1903, S. 52; Harper; Guthe/Sievers 1907, S. 28; Staerk 1908, S. 12f.; Nowack; teilweise BHK). Ohne damit schon eine Entscheidung treffen zu wollen, wird daher auch hier so analysiert, als seien die Verse wirklich Poesie – schlimmstenfalls wären damit die Verse etwas übersichtlicher formatiert. (Zurück zu v.10)
tAmasja, dt. „stark ist Jah“, ist im Grunde der selbe Name wie „Amos“ („stark [ist Jah]), die Kurzform dieses Vollform-Namens (s. DAHPN). Hinzu kommt, dass es „den Priester von Bethel“ so nie gegeben haben dürfte; Bethel als eines der beiden größten Heiligtümer des Nordreiches hatte sicher eine ganze Priester-Schar. In der Regel behilft man sich mit der Annahme, mit „dem Priester“ sei hier der Ober-Priester von Bethel gemeint (so schon Tg, so daher auch NeÜ), aber richtig Levin 1995, S. 310: Das steht so schlicht nicht im Text. Es ist gut möglich, dass Amasja nicht als historische Gestalt genommen werden darf, sondern nur Antitypus des Amos sein soll. Zu ähnlichen Namenspaaren wie „Amos und Amasja“ vgl. Jabal, Jubal und Tubal-Kain in Gen 4,20-22; Gog und Magog in Gen 10,2; Uz und Buz in Gen 22,21; Muppim und Huppim in Gen 46,21; Eldad und Medad in Num 11,26; Schufam und Hufam in Num 26,39; Jannes und Jambres in 2 Tim 3,8; Chillek und Billek in b.San 98a; vielleicht auch Machlon und Kiljon („schwächlich“ und „gebrechlich“) in Rut 1,2. Um die Ähnlichkeit der Namen auch im Dt. erkennbar zu machen, transkribieren wir hier nicht wie das ÖVBE als „Amazja“, sondern als „Amasja“. (Zurück zu v.10)
uAmasja „petzt“ hier nicht etwa, sondern V. 1 hat einen sehr greifbaren geschichtlichen Hintergrund: Prophetien wurden im Alten Orient natürlich als tatsächliche Prophetien aufgefasst, die über die Zukunft belehrten. Von besonderem Interesse sind in unserem Zhg. 1 Kön 11,29-39 und 2 Kön 8,10-13, wo beide Male ein Thronwechsel prophezeit wird; Prophetien konnten also auch gerade für Könige relevant sein. Aus diesem Grund hatte z.B. König David auch mehrere Privat-Seher (s. 2 Sam 24,11; 1 Chr 25,5; 2 Chr 35,15). Und aus dem selben Grund ließ sich zum Beispiel Zimri-Lim, der König von Mari, regelmäßig Berichte über Prophetien zukommen, in Assyrien wurden Prophetien am Königshof archiviert und in Esarhaddons Thronfolge-Vertrag wurde ähnlich wie in Mari bestimmt, dass u.a. jede negative Prophetie am Königshof gemeldet werden musste (an Assurbanipal ist auch ein entsprechender Brief erhalten). Ähnlich wird auch im hebräischen Lachisch-Brief 3 eine prophetische Warnung an einen Militärkommandanten weitergegeben (vgl. zu diesen Parallelen Couey 2008, S. 307f.). Vermutlich gehörten solche „Prophetie-Depeschen“ besonders in den Aufgabenbereich von Priestern, da diese Aufsichtspflicht über das prophetische Geschehen in ihrem Einzugsbereich hatten, s. Jer 29,26; auch Jer 20,1f.. Das ist es also, was hier geschieht. Dass Amos Prophetie derart „ent-theologisiert“ und gänzlich ins Politische transformiert wird, ist daher verständlich. Aber s. zu V. 9. (Zurück zu v.10)
v(fassen=) ertragen - w. „es kann sie nicht beinhalten“ (s. zum wörtl. Gebrauch 1 Kön 7,26.38; 2 Chr 4,5; Jer 2,13). Ähnlich wie hier wird das Wort auch in Jer 10,10 und Joel 2,11 gebraucht; im Hintergrund dieses übertragenen Gebrauchs steht wohl etwas wie Jer 20,9. Hier stimmt es aber besonders gut zusammen mit der Rede vom „Tropfen“ des Amos in V. 16; s. dort. Mitgehört werden kann also: Amos hat Israel mit seinen Worten gefüllt bis zum Rand; bald wird hier etwas explodieren! (Zurück zu v.10)
wgehe, fliehe {dich} - Klangspiel: „dich“ wurde ursprünglich wohl nicht wie im MT als leka, sondern als lak ausgesprochen (vgl. z.B. Suchard 2019, S. 204) und klang daher sehr ähnlich wie „gehe“ (lek). Das „dich“, ein sog. „Davitus ethicus“, steht im Heb. sehr häufig nach Verben des Gehens und ist gar nicht auffällig; hier ist es aber sehr passend, da es zusätzlich unterstreicht, dass Amos zu seinem eigenen Nutzen fliehen soll. Durch das Klangspiel wird dies hier sogar noch verstärkt (lek berach-lak). Aber das kann Amos nicht, denn um ihn geht es nicht: s. V. 15. (Zurück zu v.12)
xiss Brot ist nicht allgemein bekannt als ein stehender Ausdruck, der hier viel Sinn machte. (1) Vielleicht: „Lebe dort“, wie hier die Textkritik lehrt: LXX hat statt „iss Brot“ katabiou, „lebe!“. Tg dagegen hat statt „und prophezeie dort“ den Halbsatz „und lebe dort“. Wahrscheinlich wurde in einer heb. Handschrift „lebe!“ als Glosse zu „iss Brot!“ über „iss dort Brot und prophezeie“ geschrieben; in einer Handschriftengruppe wurde „iss Brot“ dann aber dadurch ersetzt, in einer anderen noch verkehrter „prophezeie“. „Leben“ sehen hier auch Schröder 1829, S. 379; KBL3 und Reventlow 1962, S. 15 als die Bed. des Ausdrucks, und es scheint wirklich gelegentlich ein Ausdruck für die allgemeinen Lebensumstände eines Menschen sein zu können, vgl. Gen 3,19; Dtn 8,9; Ps 127,2; Ez 12,18f.. (2) Verbreiteter ist aber die Deutung dieses dann singulären Ausdrucks als „verdiene dir dort deinen Lebensunterhalt!“ (z.B. Paul, Garrett, Kessler, so schon Raschi, ibn Ezra; so daher auch BB, Dahl, HfA, NeÜ, NL, R-S, TEX). Man denkt dabei gerne und sinnvoll an 1 Sam 9,8; 1 Kön 14,3; 2 Kön 8,9; Ez 13,19; Mi 3,11, woraus man ersieht, dass Prophetie im Alten Israel ein echter Brotberuf war. (3) Noch einmal anders, aber ähnlich wie (1) Poser 2010, S. 82 und Eidevall, die die Phrase als Ausdruck für die „Zugehörigkeit zu einer sozialen Einheit“ verstehen und daher übersetzen: „Bleib dort“. Diesen Ausdruck gibt es wirklich, vgl. z.B. 2 Sam 9,7 und Ps 41,10 vs. Jes 4,1; gebildet wird er aber, indem man hinzusagt, wessen Brot man isst und zu wem man also derart gehört, was hier nicht der Fall ist. (Zurück zu v.12)
yHaus des Königreiches - In diesem Kontext ist sicher gemeint: „Bethel ist ein Staatsheiligtum“. Der Ausdruck „Haus des Königreiches“ klingt sehr danach, als solle stattdessen gesagt werden: „Dies ist eine Königs-Residenz“, was zB. Ehrlich 1912, S. 249 daher auch als Bed. annimmt. Vgl. 2 Chr 2,1; Est 1,9; 2,16; Est 5,1. Doch dies passt zur sonstigen Rede des Amasja; sehr gut Eidevall: „Amasja vergisst [doch glatt], die Gottheit zu erwähnen, die in diesem Tempel wohnen soll. Mit solchen subtilen Methoden stellt der Erzähler Amos und Amasja dar als Repräsentanten von zwei konfligierenden Autoritäten, nämlich von Gott – und König Jerobeam.“ (2017, S. 208; ebenso z.B. García-Treto 1993, S. 119). (Zurück zu v.13)
z[bin (war)] - Extrem umstrittene Stelle; für eine Übersicht über die verschiedenen Positionen in der Auslegung vgl. am besten Ridge 2018. Welche dieser Positionen vorzuziehen ist, ist aber ziemlich klar: Mit „Ich bin kein nabi`“ bezieht sich Amos auf die Aufforderung von Amasja in Vv. 12b-13, andernorts „nabi` zu sein“ (und nicht auf die Anrede als „Seher“ in 12a; ob es einen großen Unterschied zwischen „Sehern“ und „Propheten“ gab – wahrscheinlich nicht, s. 2 Sam 24,11; 2 Kön 17,13; Jes 29,10 –, ist für V. 14 also sehr wahrscheinlich irrelevant). Darauf Amos: Ich bin überhaupt kein Berufsprophet; eigentlich bin ich Landwirt, aber JHWH hat mir gesagt, ich soll hier prophezeien (das doppelte „kein nabi`“ antwortet also auf das doppelte „dort“) – du hast mir also gar nichts zu sagen! So oder ähnlich z.B. auch Eidevall, Carroll, Gass 2012, S. 13f.; bes. gut García-Treto 1993, S. 122f.
Andere Auflösungen: Sehr vielen Exegeten scheint es unmöglich, dass Amos in V. 14 von sich sagen soll, er sein kein Prophet, in V. 15 aber, dass ihn JHWH zum Prophezeien beauftragt habe.
(2) Die meisten übersetzen daher die beiden verblosen Sätze in 14ab mit Verben der Vergangenheit: „Ich war kein Prophet und kein Propheten-Azubi, sondern..., aber dann hat mich JHWH zum Propheten beauftragt.“ So z.B. Mays, Soggin, Jeremias, Kessler. Häufig wird eingewandt, dass das ja implizieren würde, dass Amos nun nicht nur Prophet, sondern auch Propheten-Azubi sei, aber richtig King 2019, S. 68: Das Argument greift nicht; V. 14ab könnte dann allgemein sagen „ich hatte überhaupt nichts mit Prophetie zu tun“, V. 15 dagegen „nun aber schon, nämlich wegen JHWH“, und impliziert wäre dann auch nach V. 14ab nur: „Nun bin ich eben doch nabi`“. Letztlich kommt das auf das selbe hinaus wie die obige Primär-Deutung, die Sätze schlössen dann nur nicht so gut an Amasjas Aufforderung an. Unter größeren dt. Üss. ziehen auch nur ELB und SLT „war“ vor.
(3) Wirklich ernst zu nehmen ist sonst nur noch der Vorschlag von Bach 1981 (so auch Jeremias, King 2019, S. 81), V. 14 sei Vordersatz von V. 15: „Ohne dass ich ein Prophet war... – ich war bloß Rinderhirt ... –, nahm mich JHWH...“. Die Aussage wäre die selbe wie in (1) und (2), der Satz schlösse aber noch schlechter an Vv. 12f. an, und was der Mehrwert dieser Auflösung vor (2) sein soll, vermag ich nicht zu sehen. Zu den vielen anderen sehr unwahrscheinlichen Auflösungen der Syntax vgl. wie gesagt Ridge 2018. (Zurück zu v.14)
aaPropheten-Azubi - heb. ben nabi`, w. „Sohn eines Propheten“. Wahrscheinlich identisch mit den bene hanebi`im, den „Söhnen der Propheten“. Diese werden nicht selten in der Bibel erwähnt, sehr viel bekannt ist dennoch nicht über sie. Sicher belegt sind sie nur Zur Zeit von Elija und Elischa. Zu dieser Zeit waren es Gruppen von jungen Männern, die gemeinsam lebten (s. 2 Kön 6,1-7) – sicher in Bethel, Jericho und Gilgal (2 Kön 2,3.5; 4,38), vielleicht auch in Samaria (s. 2 Kön 2,18.23-25; dann auch 1 Kön 18,2-4; 22,1-6) – und die Elija und Elischa irgendwie unterstanden (s. wieder 2 Kön 6,1-7; auch 2 Kön 2,15; 5,20-27; 9,1) und von ihnen abhängig waren (s. 2 Kön 4,38). An diesen Stellen hält man sie meist für Propheten-Schüler (daher hier z.B. BB, , HER05, ZÜR: „Prophetenschüler“); neuerdings manchmal auch für Angehörige von „Propheten-Gilden“ (daher hier z.B. GN, MEN, NeÜ: „ich gehöre zu keiner Prophetengemeinschaft“; TEX: „ich bin keiner von der Prophetenzunft“), aber klar ist jedenfalls, dass sie nicht den selben Rang hatten wie diese beiden großen Propheten (was besser durch die „Schüler“-Übersetzungsvariante als die „Gilden“-Übersetzungsvariante zum Ausdruck kommt). Das passt gut zum Rest dieses Verses, in dem Amos sich schrittweise immer kleiner macht. (Zurück zu v.14)
abRinderhirt (Rinderbaron?) + Abernter von Maulbeerfeigenbäumen (V. 14) + von hinter der Herde (V. 15) - Ebenfalls etwas umstrittene Stelle; sie hängt zusammen mit der Frage nach der Üs. von noqed („Hirte“) in Am 1,1. Klassisch hat man diesen Ausdruck mit „Schafshirte“ übersetzt, was verwandte Wörter in verwandten Sprachen auch wirklich speziell bedeuten können. Das stimmte dann zusammen mit dem Wort für „Herde“ in V. 15, mit dem im Heb. ausschließlich Schafs- und Ziegenherden, nicht aber Rinderherden bezeichnet werden. Das Wort für „Rinderhirt“ in 14c aber, boqer, ist sicher abzuleiten von baqar „Rind“ und beißt sich dann mit diesen beiden Ausdrücken. Was noqed angeht, muss das nicht problematisch sein, s. zu Am 1,1: Zum Beispiel im Akkadischen kann das verwandte Wort sicher „Hirt/Besitzer-sowohl-von-Kleinvieh-als-auch-von-Großvieh“ bedeuten. șo`n („Kleinvieh-Herde“) und boqer („Rinderhirt“) beißt sich dann aber immer noch.
Am besten erklärt man sich das mit Schult 1971 und Steiner 2003, S. 91-94. Erstens: Dass eine Ausnahme-Figur der Geschichte keine große Herkunft hat, sondern entweder Landwirt oder Viehhirt ist und just da berufen wird, wo er diesen seinen Beruf ausübt, ist ein verbreitetes Motiv in der Bibel und wird erzählt von Mose (Ex 3,1ff.), Gideon (Ri 6,11ff.), Saul (1 Sam 11,5ff.), David (1 Sam 16,11.19; 1 Sam 17,15.28.34ff.) und Elischa (1 Kön 19,19-21). Von David wird dies sogar drei Mal mit fast exakt dem selben Ausdruck formuliert wie hier: „Gott nahm ihn von hinter der Herde weg“, s. 2 Sam 7,8; Ps 78,70f.; 11QPsa 151A,10f. („Gott sandte sie, mich zu holen / von hinter der Herde weg“). Wahrscheinlich soll auch Amos hier eingereiht werden: Zum Einen über das Motiv, da er Rinder hat wie Saul und Elischa, zum Anderen über die Formulierung, da er „hinter der Herde weg“ berufen wurde wie David. Dass Amos tatsächlich auch Kleinvieh hatte, müsste dann mit dem Ausdruck in 15a also gar nicht gesagt sein, obwohl auch dann das Nebeneinander von boqer und șo`n etwas sperrig bleibt (s. auch u. Textkritik).
Steiner gehört nun zu jenen, die denken, das Wort noqed in Am 1,1 impliziere, dass Amos wohlhabend sei, und deutet daher hier auch boqer nicht als „Rinderhirt“, sondern als „Rinder-Halter“. Das könnte schon sein, aber für Amos Wohlstand spricht in diesem Vers noch weniger als in Am 1,1 – wegen dem Hinweis auf die Sykomoren in 14d, die eher dazu geeignet scheinen, Amos als arm denn als vermögend darzustellen, s.u. Als gewöhnlichen Hirten deuten Amos hier auch LXX, Aq, Sym, Theod, Quinta, VUL und Syr; auch Raschi, ibn Ezra, Kimchi, Eliezer von Beaugency, Abravanel – da bräuchte es starke Gründe, um auf dieser Basis den boqer als „Rinderbaron“ zu deuten. Die gibt es aber nicht; eher ist also der boqer doch der gewöhnliche Rinder-Hirt und boles schiqmim, „Ernter von Sykomoren“, hat richtiger Struensee verstanden: „... sondern ich bin ein Hirte, der von wilden Feigen lebt [FN c: War die Speise der allerärmsten Leute.].“ (ähnlich Michaelis).
Zur Sykomoren-Ernte: Das Wort, das hier mit „Ernter“ übersetzt wurde – boles –, ist ebenfalls nur hier belegt, ist aber sicher verwandt mit arab. balasu („Feige, Sykomorenfrucht“), äth. balasa („Feige, Sykomorenfrucht“), MH bls („Sykomorenfrucht“; zum Wort vgl. Steiner 2003, S. 36f.); boles schiqmim heißt also „ich sykomorenfruchte Sykomoren“, zu deutsch also wahrscheinlich (s.u.) „ich ernte Sykomorenfrüchte“, jedenfalls sicher nicht: „Ich besitze/züchte Sykomoren-Bäume(so z.B. BB, GN, HfA, NeÜ, NL). Als „Rinderbaron“ und „Sykomorenbesitzer“ wurden die beiden Ausdrücke nämlich bisweilen in der jüd. Tradition gedeutet und daraus auch dort Amos Wohlstand abgeleitet. Aber tradiert wurde diese Deutung, weil der Vers in dieser berühmten Auslegung gegen den Strich gedeutet wurde; wie Steiner sich (auf S. 66) darauf stützen zu können glaubt, ist mir (S.W.) schleierhaft. Vgl. b.Ned 38a (worauf sich auch die späteren Vertreter dieser Deutung beziehen): „Rabbi Jochanan sagte: ‚Alle Propheten waren reich. Wie kommt man darauf? Wegen Mose, Samuel, Amos und Jona. Bei Mose deshalb, weil geschrieben steht (Num 16,15): ‚Ich habe ihnen keinen Esel genommen.‘ ... Gemeint ist nämlich: [Er hat keinen Esel genommen], obwohl er dafür bezahlt hat. ... ‘ Bei Samuel deshalb, weil geschrieben steht (1 Sam 12,3): ‚Wessen Ochsen und wessen Esel habe ich genommen?‘ ... Gemeint ist nämlich: [Er hat weder Ochsen noch Esel genommen], obwohl er dafür bezahlt hat. Bei Amos deshalb, weil geschrieben steht: ‚Ich bin boqer und boles schiqmim‘ was Rabbi Josef übersetzt mit: ‚Weil ich ein Halter von Herden bin und Sykomoren in der Schefela besitze.‘ Bei Jona deshalb, weil geschrieben steht (Jon 1,3): ‚Er zahlte seinen Preis und stieg in es hinab‘, denn Rabbi Jochanan sagte[, dies heiße]: ‚Er kaufte das ganze Schiff‘, und Rabbi Romanus ergänzte: ‚Ein ganzes Schiff kostete 4000 Gold-Dinare.‘
Raffiniert ist diese Auslegung deshalb, weil boles schiqmim an sich das Gegenteil nahelegt. Die Ernte von Sykomorenfeigen war aufwendig, weil ihre Früchte in Palästina von einem Parasiten, nämlich der Wespenart Sycophaga sycomori, befallen werden (s. z.B. Sykomore (WiBiLex)). Um essbare Feigen zu erhalten, mussten sie daher drei bis vier Tage vor der Ernte angeschnitten werden, was erstens den Reifungsprozess beschleunigte und wodurch man zweitens dem Wespenbefall zuvorkam (s. Theophrast, Hist. Plant iv 2; Plinius, Nat. Hist. xiii 14; Physiologus 58. Auch in Israel, s. m.Dem i 1 (mwsțpws: „geöffnet“, also ebenfalls „aufgeritzt“); m.Scheb ii 5. Vgl. zur Technik z.B. Zeroni u.a. 1972, S. 378). So übersetzten auch einige alte Üss.: LXX: „ich kratze Maulbeerfeigen an“, Theod: „Ich ritze Maulbeerfeigen“, VUL: „Ich steche Maulbeerfeigen“; daher z.B. auch LUT, ZÜR: „Ich ritze Maulbeerfeigen“ (Das „ich veredle Maulbeerfeigen“ in der neuen übrigens ist verblüffend, nachdem 89 noch: „ich ziehe Maulbeerfeigen“. M.W. geht die „veredeln“-Übersetzungstradition auf eine Zeit zurück, in der man noch nicht wusste, welchem Zweck das Anritzen diente; dass dies nun frisch übernommen hat, ist seltsam). Dieser komplexere Prozess wird auch der Grund sein, warum es für die Sykomorenernte anders als für die Ernte anderer Früchte ein eigenes Wort brauchte (richtig Steiner 2003, S. 47). Im Alten Israel war die Sykomorenfeige daher vor allem die Nahrung der ärmeren Bevölkerungsgruppen (Galil 1968, S. 178; Zohary 1986, S. 68); von Vermögenderen wurden die Früchte bes. sommers oft ignoriert und nicht angeschnittene Früchte galten daher selbst dann als Wildwuchs für den allgemeinen Verzehr, wenn der Baum einen Besitzer hatte (vgl. m.Dem i 1; Löw 1928, S. 278). Man kann natürlich mit Steiner 2003, S. 111f. annehmen, „ich sykomorenfruchte Sykomoren“ bedeute „ich bin Pächter von Sykomorenbäumen und verkaufe ihren Ertrag, ich bin also vermögend“ – sehr nahe liegt das aber nicht; wahrscheinlicher wäre allein der Hinweis auf seinen Umgang mit Sykomoren Amos eher abträglich gewesen, wenn er sich damit selbst als „finanziell unabhängig“ darstellen hätte wollen.
Textkritik: Während Aq, Sym, Theod, Quinta und VUL mit „Rinder-Hirt“ übersetzen und so den Text von MT stützen, der auch in 4QXIIg steht, hat LXXZiegen-Hirt“, Syr allgemein „Hirt“ und Tg überstzt mit der selben Fügung wie in Am 1,1. Nicht wenige nahmen daher an, dass statt boqer auch hier ursprünglich noqed wie in Am 1,1 gestanden habe (vgl. die im Heb. graphisch sehr ähnlichen Worte בוקר und נוקד; so z.B. BHS, Harper, Maag, Cripps, Snaith, Hammershaimb). Weil MT aber so breit gestützt wird, hat er aber sehr wahrscheinlich schon den ursprünglichen Text und die Üss. von LXX, Syr und Tg sind als Harmonisierungen von Vv. 14.15 zu werten. (zu v.14)
ac (Zurück zu v.15)
adPartizip, also wörtlich: „Du [bist] ein Sprechender“. (Zurück zu v.16)
aeDas Verbum meint eigentlich nicht „weissagen“, sondern „herabtropfen lassen“, im Sinne von: die Rede über die Lippen tropfen/strömen lassen. (Zurück zu v.16)