Amos 8: Unterschied zwischen den Versionen

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{{S|6}} kaufend mit<ref name="V 6">Zu ''für'' in 6a vs. ''wegen'' in 6b s. zu [[Amos 2#s6 |Am 2,6]]: „Sandalen“ sind ein sprichwörtlich geringer Betrag; s. [[Jesus Sirach 46#s19 |Sir 46,19]]; auch 1 Sam 12,3 LXX. Die Präposition in 6b heißt aber nicht „für den Gegenwert von“, sondern „wegen“; gemeint ist also sehr wahrscheinlich: „wegen einer noch so geringen Geldschuld [die den Armen in die Schuldknechtschaft zwingt]“.</ref> Geld (Silber) die Schwachen
 
{{S|6}} kaufend mit<ref name="V 6">Zu ''für'' in 6a vs. ''wegen'' in 6b s. zu [[Amos 2#s6 |Am 2,6]]: „Sandalen“ sind ein sprichwörtlich geringer Betrag; s. [[Jesus Sirach 46#s19 |Sir 46,19]]; auch 1 Sam 12,3 LXX. Die Präposition in 6b heißt aber nicht „für den Gegenwert von“, sondern „wegen“; gemeint ist also sehr wahrscheinlich: „wegen einer noch so geringen Geldschuld [die den Armen in die Schuldknechtschaft zwingt]“.</ref> Geld (Silber) die Schwachen
 
_und den Armen wegen<ref name="V 6" /> einem Paar Sandalen!?
 
_und den Armen wegen<ref name="V 6" /> einem Paar Sandalen!?
Und den Abfall des Korns wollen wir [auch] verkaufen!“<ref>Viele ältere Kommentatoren verschoben diese letzte Zeile ans Ende von V. 5, um den Korn-Abfall-Verkauf bei den anderne Kornhandels-Betrügereien einreihen zu können. So leider neuerdings wieder BB, GN, HfA, NL. Das ist sehr falsch und damit wird einer der stärksten Züge dieser Strophe zunichte gemacht: Die Armen werden ''en passant'' aufgekauft; sie sind nur eine weitere Ware, die im Zuge des betrügerischen Kornhandelns mit über den Ladentisch gehen. Zudem unterstreicht die Rahmung des Armen-Kaufs durch die Getreide-Betrügereien, dass sie überhaupt erst dank dieser Betrügereien aufgekauft werden können (vgl. ähnlich bes. gut Lang 1981, S. 483; auch Eidevall; Carroll). Das Verb ist deshalb Qatal und nicht ebenfalls Infinitiv, um gleichzeitig deutlich zu machen, dass das eigentliche Ziel dieses ihres Handel(n)s tatsächlich die Versklavung der Armen ist.</ref></poem>
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Und den Abfall des Korns verkaufen wir [auch].“<ref>Viele ältere Kommentatoren verschoben diese letzte Zeile ans Ende von V. 5, um den Korn-Abfall-Verkauf bei den anderne Kornhandels-Betrügereien einreihen zu können. So leider neuerdings wieder BB, GN, HfA, NL. Das ist sehr falsch und damit wird einer der stärksten Züge dieser Strophe zunichte gemacht: Die Armen werden ''en passant'' aufgekauft; sie sind nur eine weitere Ware, die im Zuge des betrügerischen Kornhandelns mit über den Ladentisch gehen. Zudem unterstreicht die Rahmung des Armen-Kaufs durch die Getreide-Betrügereien, dass sie überhaupt erst dank dieser Betrügereien aufgekauft werden können (vgl. ähnlich bes. gut Lang 1981, S. 483; auch Eidevall; Carroll). Das Verb ist deshalb Qatal und nicht ebenfalls Infinitiv, um gleichzeitig deutlich zu machen, dass das eigentliche Ziel dieses ihres Handel(n)s tatsächlich die Versklavung der Armen ist.</ref></poem>
  
  

Version vom 22. September 2021, 19:34 Uhr

Syntax ungeprüft

SF ungeprüft.png
Status: Studienfassung zu prüfen – Eine erste Übersetzung aus dem Urtext ist komplett, aber noch nicht mit den Übersetzungskriterien abgeglichen und nach den Standards der Qualitätssicherung abgesichert worden und sollte weiter verbessert und geprüft werden. Auf der Diskussionsseite ist Platz für Verbesserungsvorschläge, konstruktive Anmerkungen und zum Dokumentieren der Arbeit am Urtext.
Folgt-später.png
Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Lesefassung (Amos 8)

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Anmerkungen

Studienfassung (Amos 8)

1a Dies zeigte mir (ließ mich sehen) JHWH (der Herr JHWH)b:c
Siehe: Ein Korbd mit Sommerfrüchten.e
2 Da sprach er: „Was siehst du, Amos?“
Und ich sprach: „Einen Korb mit Sommerfrüchten.“e

Und JHWH sprach zu mir:
„Das Endee ist gekommen für mein Volk Israel;
Ich kann nicht (werde nicht, möchte nicht) weiterhin fortfahren, an ihm vorüberzuziehen:f
3 Dann werden heulen die Sängerinnen (Lieder, Wände? Fürstinnen?)g des Palastes (Tempels) an jenem Tag“h
Spruch des Herrn JHWH –:
„Eine Menge an Leichen (viel sind der Leichen)! Überall hingeworfen (überall wirft man [sie] hin, überall ein Hinwerfen)!i Stille!“j


4 Hört dies, die (gieren=) ihr giert nach dem (schnappt nach dem, schnüffelt nach dem, anschnaubt den, tretet nieder den)k Geringen
{Und} Fortschaffendl die Armen (Demütigen) des Landes,k
5 Sprechend:m „Wann ist [endlich] der Neumond[tag]n vorübergegangen, dass wir Getreide verkaufen können,
Und der Sabbat,n dass wir [unsere] Korn[speicher] (Korn[behälter]) öffnen können,
Verkleinernd das Efao
Und vergrößernd den Schekelp
Und beugend eine betrügerische Waage;q
6 kaufend mitr Geld (Silber) die Schwachen
und den Armen wegenr einem Paar Sandalen!?
Und den Abfall des Korns verkaufen wir [auch].“s


7 JHWH schwört beim Stolz Jakobs: „Wenn ich je alle ihre Taten vergesse...!
8 Erbebt über diesen nicht die Erde und jammern alle, die auf ihr wohnen und völlig hinaufgehen wie der Fluss und aufwallen und sinken wie der Strom Ägyptens?
9 Und es geschieht an jenem Tag, Aus spruch des Herrn JHWH, und ich werde die Sonne am Mittag untergehen lassen und verfinstern die Erde am hellen Tag.
10 Und ich werde umkehren eure Feste in Trauer und alle eure Lieder in Wehklagen; und ich werde auf alle Hüften einen Sack bringen und auf alle Köpfe eine Glatze; und ich werde es machen wie die Trauer um den einzigen Sohn und ihr Ende wie einen bitteren Tag.
11 Siehe, Tage kommen“, Ausspruch des Herrn JHWH, „dass ich Hunger über das Land schicken werde, nicht Hunger nach Brot und nicht Durst nach Wasser, sondern um zu hören das Wort JHWHs.
12 Und sie wanken von Meer zu Meer und vom Norden und bis zum Osten; sie werden umherschweifen um das Wort JHWHs zu suchen und werden es nicht finden.
13 An jenem Tag werde die schönen Jungfrauen und die jungen Männer vor Durst ohnmächtig dahinsinken.
14 Die bei der Schuld Samarias schwören und sprechen: 'So wahr dein Gott lebt, Dan! Und so wahr der Weg nach Beerscheba lebt!' Und sie werden fallen und nicht wieder aufstehen.“

Anmerkungen

aZum Stil von Am 8,1-3 s. zu Am 7,1. (Zurück zu v.1)
bTextkritik: JHWH (der Herr JHWH) - VUL, Tg und Syr wie MT: „der Herr JHWH“. LXX dagegen nur „JHWH“. Die Gottesbezeichnungen im Amosbuch sind ohnehin eine komplexe Problematik; bisher haben wir Varianten zu Gottesbezeichnungen überhaupt nicht verzeichnet, weil es in MT-Handschriften und LXX ungemein viele Varianten zu den Lesarten des Codex Leningradensis gibt (die auch jeweils sehr wenig Bedeutungsunterschied machen). In Am 7,1.4 z.B. setzt LXX nur „JHWH“ statt „der Herr JHWH“ voraus, in Am 7,7 „JHWH“ statt Ø. Auch hier nun hat LXX wie in Am 7,1.4 nur „JHWH“ statt „der Herr JHWH“ und ist damit kein sehr starker Textzeuge (LXX hätte alle vier Verse mit der selben Gottesbezeichnung aneinander angeglichen; welche Gottesbezeichnung ursprünglich wo stand, ließe sich aus LXX also nicht ableiten). Speziell zu diesem Vers ist nun aber kürzlich mit DSS F.Amos1 der mit Abstand älteste heb. Textzeuge dieses Verses identifiziert worden, und dieser hat wie LXX die kürzere Lesart (vgl. Tov 2014, S. 6f. [S. 4f. in Vorläuferdokument]). Das könnte hier sehr gut der ursprüngliche Text sein, da die längere Lesart sich auch leicht als Angleichung an Am 7,1.4 erklären lässt und da irgenwo die kürzere Lesart ja auch ursprünglich gestanden haben wird, die LXX dazu bewegte, die anderen Stellen daran anzugleichen. (Zurück zu v.1)
cDies zeigte mir der JHWH (der Herr JHWH) - Eine Abwandlung der Botenformel „dies sprach der Herr JHWH“ aus Am 1-3; s. dort. Anders als dort teilt sich JHWH dem Amos ab Am 7 also nicht mehr nur durch Worte, sondern durch Visionen mit, obwohl sich in Am 8-9 anders als in Am 7 an die Vision doch wieder eine Gottesrede anschließen wird. (Zurück zu v.1)
dtFN: Korb - Heb. kelub, seltenes Wort in der Bibel. Sonst nur noch in Jer 5,27 und Sir 11,28, beide Male in der Bed. „(Vogel-)Käfig“. Vgl. ähnlich kilubi („Vogelnetz“) in den Amarna-Briefen. An dieses Wort denkt hier offensichtlich auch LXX, die mit „Gerät des Vogelfängers“ übersetzt; auch VUL und Syr kannten das Wort offenbar nicht in der Bed. „Korb“ (VUL: „Obst-Haken“, Syr: „Zeichen für das Ende“). Die anderen alten Vrs. aber schon und die Bed. „Korb“ lässt sich auch etymologisch gut herleiten (vgl. v.a. Baumgartner 1951); an der Bed. hier gibt es also wenig Zweifel. (Zurück zu v.1)
eSommerfrüchte (Vv. 1f.) + Ende (V. 2) - Anders als Am 7,7f. verdichten Am 8,1-2 offensichtlich eine „Wortspiel-Vision“: qajiș („Sommerfrucht“) klingt vielleicht identisch, mindestens aber sehr ähnlich wie qeș („Ende“), daher können Sommerfrüchte in der Vision ein „Ende“ in der Realität bedeuten. S. näher bei „Genauer“. In dt. Üss. versucht man das manchmal nachzubilden: (1) „Ein Erntekorb ... Gekommen ist der Ernteschluss...“ (PAT), (2) „Ein Korb mit Erntefrüchten ... Das Abernten kommt über mein Volk Israel“ (R-S), (3) „Ein Korb mit Herbstfrüchten ... Es kommt der Herbst über mein Volk“ (TEX), (4) „Ein Korb mit Sommerfrucht ... Gekommen ist die Summe für mein Volk“ (TUR), (5) „ein Korb mit reifem Obst ... Mein Volk ist reif für das Ende“ (z.B. 80, GN, HER05, HfA, NeÜ, NL, LUT84, ZÜR), (6) „Ein Korb mit reifem Obst ... Die Zeit ist reif geworden“ (SLT), (7) vielleicht am besten: „Ein Korb mit reifen Sommerfrüchten ... es reift das Ende meines Volkes Israel“ (Vater). (8) Cool Duhm: „Ein Obstgericht ... Das Gericht ist gekommen...“.
Sommerfrüchte sind v.a Feigen und Weintrauben (s. Gen 6,13; Ez 7,2.6; t.Ned iv 1f.), die im August/September geerntet wurden. Dieser Monat, der im Gezerkalender der „Monat der Sommerfrucht“ geannt wird (s. zu Am 7,1), war im Alten Israel der letzte Monat des Jahres; das Ende Israels fällt also mit dem Jahresende zusammen. Und eben mit der Ernte, was gut mit dem komplexen Wortspiel in Am 6,1.5.7 zusammenstimmt, s. dort.
Heute erklärt man die Verse überwiegend als reine Wortspiel-Vision; die Symbolik des Erntekorbes selbst wäre also relativ unwichtig. Früher war es umgekehrt und man hat v.a. versucht, den Korb symbolisch zu deuten. Bes. sinnvolle Ansätze: (1) Sommerobst und Ernte stehen für das Jahresende und damit symbolisch für das Ende Israels (z.B. Pussey, Driver, Harper). Das ist die beste Interpretation, da das Wort für „Sommerobst“ häufiger die Jahreszeit selbst bezeichnet: den „Sommer“. Vgl. außerdem Mt 13,39! (2) Sehr ähnlich, aber etwas simpler: Reifes Obst und Ernte stehen für das Ende, für das Israel nun reif ist (so z.B. Moldenhawer, Keil, Nowack, gut dann BB: „Reif wie das Obst ist mein Volk für das Ende“); (3) das Abschneiden / Abrupfen steht für die Bestrafung Israels (z.B. Baur).
Genauer: Häufig ist man der Meinung, im Dialekt des Nordreichs sei qeș sogar identisch wie qajiș ausgesprochen worden, da es im Gezer-Kalender nicht qjș, sd. geschrieben wird, wie ähnlich in den Samaria-Ostraka jajin („Wein“) nicht jjn, sondern jn geschrieben wird und also wohl jen gesprochen wurde (vgl. z.B. Wolters 1988 oder wieder Notarius 2016). Es ist also möglich, dass „Wein“ und „Sommerfrüchte“ im Nordreich zur Abfassungszeit des Amosbuches beide qeș ausgesprochen wurden. Bei dem Wort für „Sommerfrucht“ ist das ziemlich sicher, bei dem für „Ende“ allerdings nicht: Es ist gut möglich, dass auch dieses Wort damals und dort noch anders ausgesprochen wurde, nämlich nicht qeș, sondern qiș oder qișș. Sicherheit lässt sich darüber heute leider nicht mehr erlangen.
Exakte Homophonie ist für eine Wortspielvision aber gar nicht notwendig. Die einzige andere eindeutige biblische Wortspielvision ist die Doppelvision in Jer 1,11-14, wo der geschaute maqqel šaqed („Mandelstab“) bedeutet, dass Gott über sein Wort šoqed („wachen“) wird und der napuḥ („siedende“) Kessel bedeutet, dass Unglück tippataḥ („losbrechen“) wird. Wie man beim zweiten Beispiel sieht, können die aufeinander bezogenen Wörter in einer Wortspielvision lautlich auch recht weit entfernt voneinander sein.
Vergleichbare Beispiele kennt man aus der Traumdeutung der Antike. Für diese gilt das Selbe. Viele ägyptische Beispiele haben Noegel / Szpakowska 2007 zusammengetragen. Zu mesopotamischen Parallelen vgl. z.B. Oppenheim 1956, etwa das Bsp. auf S. 241: „Wenn ein Mann in seinem Traum einen Raben (arbu) isst, wird er Einkommen (irbu) haben.“ Für Griechenland finden sich viele entsprechende Bspp. in der Schrift Oneirokritika von Artemidor von Daldis aus dem 2. Jhd. n. Chr., besagte „Sprachphilosophie des Traums“ war in Griechenland aber schon lange zuvor so verbreitet, dass z.B. Aristophanes sie schon im 5. Jhd. v. Chr. in „Die Wespen“ veralbern konnte: „Sosias: ‚[In meinem Traum] nahm sich dieser schmutzige Wal eine Waage und wog Rindfleisch (demos) ab.‘ Xanthias: ‚Oh weh! Er will das Volk (demos) zerteilen!‘ Sosias: ‚Außerdem schien mir, dass Theorus neben ihm säße, aber er hatte den Kopf eines Raben (korax). Dann flüsterte Akibiades mir ins Ohr: ‚Schau, da ist Theolus mit dem Kopf eines Parasiten (kolax)!‘.‘ Sosias: ‚Da hat Alkibiades sich korrekt verlispelt[, das ist die Bedeutung des Traums].‘(40-46; das erste Wortpaar wird zumindest identisch geschrieben, das zweite nicht).
Wird also aus dieser Wortspielvision abgeleitet, dass auch Am 7,7f. eine Wortspielvision sein wird, muss weder für diese noch für jene Stelle daraus folgen, dass die betreffenden Worte Homophone waren. (Zurück zu v.1 / zu v.2)
fKlangspiel: lo `osip ´od ´ober lo; mit der starken o-Assonanz erinnert die Zeile sehr an die in Am 5,20, in der mit o-Assonanz der Klageruf ho ho nachgebildet wurde. S. näher die Anmerkungen zu Amos 7. (Zurück zu v.2)
gTextkritik: Sängerinnen (Lieder, Wände? Fürstinnen?) - Umstrittenes Wort. Ursprünglich sind sicher die Konsonanten שר(ו)ת (šr(w)t / ßr(w)t). (1) MT macht daraus širot („Gesänge“, vom Sg. širah). So auch Sym, Syr. So auch Stuart, Sweeney, Garrett, Carroll, Kessler; je entweder übersetzt wie oben oder unwahrscheinlicher „man wird Lieder heulen“. Dies entwickelt sich also gerade wieder zur Mehrheitsübersetzung. So auch H-R, HfA, SLT, NeÜ, NL, LUT, TAF, TUR, van Ess, ZÜR; so auch schon Raschi, Kimchi, Eliezer von Beaugency, Abravanel. (2) LXX und Theod dagegen übersetzen mit „Zimmerdecken / das, was oben ist“, dürften die Konsonanten also als šurot („Wände“) gedeutet haben. So auch Dahl, Hayes 1988, S. 196.208 und Gordis 1979-80, der sinnvoll LamR i 2 vergleicht: „Worin unterscheidet sich einer, der nachts weint, von einem, der tagsüber weint? Weint man nachts, weinen die [widerhallenden] Wände des Hauses und die Sterne am Himmel mit einem; weint man tagsüber, tun sie's nicht.“ Ähnlich auch schon Ehrlich 1912b, s. 250. Aber das wäre ein arg verkürzter Ausdruck – „die Wände werden heulen“ für „die Wände werden widerhallen vom Geheul aller“. Tg kombiniert übrigens (1) + (2) in einer Doppelübersetzung: „Zu jener Zeit wird in ihren Häusern Heulen statt Singen sein.“ (3) Aq und VUL haben sehr seltsam „dann werden die Türangeln quietschen“; so tatsächlich auch Schegg. Das ist so schief, dass es kaum eine freie Übersetzung sein wird, sondern wohl ein heb. șirot („Türangel“) statt širot voraussetzen muss, und dies widerum lässt sich kaum anders erklären denn als Hörfehler, bei dem (4) ßirot („Fürstinnen“) verhört wurde. Als „Edelfrauen“ wollen hier auch Praetorius und Sellin lesen; erwogen auch von Hammershaimb. (5) Bis vor kurzem dagegen wurde der Text fast einheitlich korrigiert zur scharot („Sängerinnen“). So z.B. Rudolph, Soggin, Paul, Jeremias, Eidevall; auch B-R, , GN, HER05, PAT, TEX. Dies ist zwar die einzige Deutung der heb. Konsonanten, die überhaupt keinen Rückhalt in der Textgeschichte hat, ist aber (1) vorzuziehen, weil sich 3c am besten als Wiedergabe des Geheuls von Personen deuten lässt, und hat unter Deutungen auf Personengruppen mit Abstand den meisten Rückhalt in Forschung und in dt. Üss. (Zurück zu v.3)
han jenem Tag - häufigerer Ausdruck für den „Tag JHWHs“, s. zu Am 5,18. (Zurück zu v.3)
iÜberall hingeworfen - also entweder: Menschen wurden en masse erschlagen, oder: Sie werden bloß „hingeworfen“, weil der Tod in solchem Maße überall herrscht, dass man gar nicht dazu kommt, die ganzen Leichen zu begraben.
Zum merkwürdigen Satzbau vgl. gut Rudolph 1971, S. 239f.: „Man hört und sieht Frauen, die die Totenklage anstimmen über ein schreckliches Massensterben, die Worte kommen ihnen, offenbar von Weinen unterbrochen, nur stoßweise von den Lippen [...].“ (ebenso Mays, Paul, Carroll).
tFN: Im Heb. vokalisiert wie Hifil: hišli(j)k „man wirft [sie] hin“. Weil das ohne explizites Subjekt und ohne Objekt nicht sehr schön ist, wird meist umvokalisiert zu Hofal: hašlak („Sie wird hingeworfen“; so z.B. Harper, Paul, Eidevall). Alternativ vokalisieren Öttli, Halévy und Rudolph als Infinitiv: hašlek („überall ein Hinwerfen!“) und B-R und Niditch 1980, S. 36 als Imperativ hašlik („wirf hin!“; s. nächste FN). Nötig sind die ersten beiden Umdeutungen nicht; nach Am 2,8.13.15; 4,3.7 und vielleicht Am 5,3 lässt sich dieses Hifil leicht als sechstes / siebtes Hifil lesen, das im Amosbuch ungewöhnlicherweise nicht transitive, sondern intransitive Bed. hat: „Die Menge der Leichen, überall ist sie hingeworfen!“ (Zurück zu v.3)
jStille - s. zu Am 6,10. Wieder wird ironischerweise nicht deshalb zu „heiligem Schweigen“ aufgefordert, weil Gott anwesend ist, sondern weil er grausig abwesend ist, s. Vv. 11f.
Leider nicht sehr treffend daher BB, GN, HfA, NL: „Überall herrscht Totenstille“. Früher wurde diese Interjektion gelegentlich quasi-adverbial gedeutet, daher z.B. LUT 84: „viele Leichname, die man heimlich (=still) hinwirft.“ Völlig anders noch B-R, die den Satz JHWH in den Mund legen und als Kette knappster Befehle deuten: „Genug! Leichen allerorten! Zusammenwerfen! Dann still!“ Ähnlich noch Niditch 1980, S. 35: „Throw them anywhere! Silence!“; ähnlich bereits Tg und Raschi. Dann aber wäre der Sg. des Imperativs erklärungsbedürftig; dies ist sehr unwahrscheinlich.
tFN: Ob die Akzentuierung falsch ist und ein trennender Akzent vor diese Interjektion gehörte, ist gar nicht sicher. Es gibt nicht viele Interjektionen, die nicht am Klausel-Beginn, sondern -Ende stehen können; das häufige selah (mit ungewisser Bed.) in den Psalmen aber zumindest wird stets mit verbindendem Akzent mit dem vorangehenden Wort verbunden, ebenso na` ohne Maqqef („bitte!“), s. Ps 118,25; Jes 36,8; Jer 17,15 u.ö. Es ist gut möglich, dass dies normal ist für die Prosodie hebräischer Interjektionen am Klauselende. (Zurück zu v.3)
kgieren (schnappen, schnüffeln, anschnauben, treten) + fortschaffen - zu den us. Deutungsmöglichkeiten des ersten Wortes s. den Kommentar zu Am 2,7. Fast alle Neueren deuten hier ebenso wie dort merkwürdigerweise nicht als š`p („gieren, schnappen“, vielleicht auch „schnüffeln“), sondern mit LXX und Syr zu Am 2,7 als Nebenform von šup („trampeln, treten“). Dabei deuten hier so nicht mal LXX und Syr (LXX: „die ihr ermahnt“, via „anschnauben“, Syr wie Tg: „die ihr verachtet“, beide haben also entweder hš`pjm als hš`țjm verlesen oder deuten „anschnauben“ als Geste der Verachtung). Dafür aber vielleicht VUL: qui conteritis, „die ihr bedrückt“. Grund für diese Übersetzungsentscheidung dürfte sein, dass die meisten auch das folgende lašbit in der Bed. „beseitigen“ = „ausrotten“ nehmen. Das ist aber nie die Bed. dieses Worts. Negiert heißt es „etwas nicht mangeln lassen“, das Positiv davon ist „etwas mangeln lassen“, indem man es „abschafft“ oder „fortschafft“. Daher häufig mit Ortsangabe, die angibt, von wo etwas fortgeschafft werden soll; s. Ex 12,15; Jes 30,11; Jer 36,29; Ez 23,48; 30,13; 34,25 (richtig Fleischer 1989, S. 186-8; Kessler). „Treten + beseitigen“ liegt hier auch gar nicht nahe; wie dieses „Gieren“ und „Fortschaffen“ sich äußert, schildern nämlich Vv. 5f. („indem ihr sprecht:...“): Die Armen sollen mitnichten getötet werden, sondern sollen als Schuldknechte aufgekauft werden, nachdem sie zunächst ihr Land vermutlich an die selben Käufer verkaufen mussten (daher auch der Ausdruck „die Armen des Landes). „Gieren“ auch Schröder, Ewald, Hitzig, Budde, Hayes 1988, Fleischer 1989.
Fortschaffen - Klangspiel: Heb. la-šbit klingt ähnlich wie „Sabbat“ (šabbat) in V. 5. (zu v.4)
lDer Sinn der einzelnen Zeilen von Vv. 4b-6b ist nicht ganz einfach zu deuten, da hier sechs Infinitive aufeinander folgen, die im Heb. ähnlich wie im Dt. unterschiedlichste Funktionen haben können. Wahrscheinlich so: fortschaffend = konsekutiver Infinitiv: „[ihr giert nach dem Armen] und schafft ihn demzufolge fort (von seinem Land)“. Sprechend = spezifizierender Infinitiv: „Und dabei sprecht ihr: ...“. Verkleinernd, vergrößernd, beugend = entweder ebenso oder konsekutive Infinitive: „Wir wollen unsere Kornspeicher öffnen und haben dabei ein verkleinertes Efa“ usw. oder „wir wollen sie öffnen und dann das Efa verkleinern“. Kaufend schließlich ist finaler Infinitiv: „Wir wollen endlich handeln und dabei betrügen, um die Armen kaufen zu können.“
Der Sinn dieser langen Infinitivkette ist klar: Ähnlich, wie in den vorangegangenen Kapiteln v.a. die Kritisierten durch Partizipienketten charakterisiert werden, so eben hier durch diese Infinitivkette: Vv. 4-6 sind ein einziger Mega-Vorwurf des Amos an seine Gegner. Mir ist keine Üs. bekannt, die versucht, dies auch im Dt. nachzubilden. (Zurück zu v.4)
mAnakrusis: lemor („sprechend“ = „indem ihr sprecht“) steht hier außerhalb des Metrums. Für gewöhnlich würde es sogar noch im vorangehenden Vers stehen, steht hier aber am Versbeginn, um einen weiteren Infinitiv an dieser Zeilenposition zu erhalten. (Zurück zu v.5)
nNeumond[tag] + Sabbat - Zwei hohe Feiertage, gemeinsam auch genannt in 2 Kön 4,23; Jes 1,13f.; 66,23; Ez 46,3; Hos 2,13. Der Sabbat wird noch heute im Judentum beachtet; eine ganze Reihe von speziellen Ge- und Verboten hat sich im Laufe der Jahre an die Sabbat-Observanz angelagert. Dies dürfte die älteste Stelle sein, an der immerhin bereits belegt ist, dass sabbats (und neumonds) nicht gehandelt werden durfte, ähnlich wie hierzulande und heutzutage am Sonntag. Ähnlich Ez 46,3: Neumond und Sabbat sind keine Arbeitstage, sondern religiöse Festtage. Ursprünglich war der Sabbat aber wahrscheinlich kein wöchentlicher, sondern ein monatlicher Feiertag, der mit dem Vollmondtag zusammenfiel; sehr wahrscheinlich war dies auch zur Abfassungszeit des Amosbuches die Situation. S. näher z.B. Sabbat (AT) (WiBiLex). (zu v.5)
oEfa - Ein Trockenmaß zum Abmessen von Getreide. Diesem verpassen sie einen doppelten Boden, um ihre Käufer betrügen zu können und weniger Getreide ausgeben zu müssen. Zu dieser und den folgenden Betrügereien vgl. bes. gut Bohlen 1986, S. 288f.; Fendler 1973, S. 41.
Die ersten drei Betrügereien werden im Alten Orient noch häufiger gemeinsam genannt, waren also eine verbreitete Praxis. Vgl. z.B. in der Lehre des Amenomepe: „Schiebe nicht die Handwaage beseite, verfälsche nicht die Gewichte, schädige nicht die Teile des Scheffelmaßes.(TUAT III/2, S. 240); im ägyptischen Totenbuch: „Ich habe dem Hohlmaß nichts hinzugefügt noch etwas weggenommen; ich habe das Flächenmaß nicht geschmälert und beim Ackerland nicht betrogen; ich habe nicht am Gewicht der Handwaage etwas hinzugefügt; ich habe das Lot der Standwaage nicht festgehalten...(TUAT II/4, S. 511f.); im Schamasch-Hymnus: „Er, der dabei betrügt, wenn er die Waage hält, der Gewichte vertauscht, der verringert [...](nach: COS I, S. 418); im Codex Hamurapi §73: „Wenn ein Kaufmann ... das Geld mit zu kleinem Gewichtsstein bzw. das Getreide mit zu kleinem Meßgefäß hingibt, bei der Rücknahme das Geld mit (zu großem) Gewichtsstein bzw. das Getreide (mit zu großem Messgefäß) zurücknimmt...(TUAT I/1, S. 54) usw. (Zurück zu v.5)
pSchekel - Normgewicht. Zur Abfassungszeit des Amosbuches gab es noch keine geprägten Münzen mit feststehendem Wert; bezahlt wurde daher, indem Edelmetalle abgewogen wurden mit einer Waage wie der, von der gleich die Rede ist. Dieses Normgewicht machen die Händler schwerer, um ihren Käufern noch mehr Edelmetall aus der Tasche zu ziehen. (Zurück zu v.5)
qdie betrügerische Waage beugen - d.h. wir manipulieren sie, so dass sie über unsere eben erwähnten Betrügereien hinaus noch zusätzlich zu unseren Gunsten wiegt. Hier auch noch verdoppelt: Die Waage wird „manipuliert“, und schon zuvor und prinzipiell ist sie eine „betrügerische Waage“. (Zurück zu v.5)
rZu für in 6a vs. wegen in 6b s. zu Am 2,6: „Sandalen“ sind ein sprichwörtlich geringer Betrag; s. Sir 46,19; auch 1 Sam 12,3 LXX. Die Präposition in 6b heißt aber nicht „für den Gegenwert von“, sondern „wegen“; gemeint ist also sehr wahrscheinlich: „wegen einer noch so geringen Geldschuld [die den Armen in die Schuldknechtschaft zwingt]“. (zu v.6)
sViele ältere Kommentatoren verschoben diese letzte Zeile ans Ende von V. 5, um den Korn-Abfall-Verkauf bei den anderne Kornhandels-Betrügereien einreihen zu können. So leider neuerdings wieder BB, GN, HfA, NL. Das ist sehr falsch und damit wird einer der stärksten Züge dieser Strophe zunichte gemacht: Die Armen werden en passant aufgekauft; sie sind nur eine weitere Ware, die im Zuge des betrügerischen Kornhandelns mit über den Ladentisch gehen. Zudem unterstreicht die Rahmung des Armen-Kaufs durch die Getreide-Betrügereien, dass sie überhaupt erst dank dieser Betrügereien aufgekauft werden können (vgl. ähnlich bes. gut Lang 1981, S. 483; auch Eidevall; Carroll). Das Verb ist deshalb Qatal und nicht ebenfalls Infinitiv, um gleichzeitig deutlich zu machen, dass das eigentliche Ziel dieses ihres Handel(n)s tatsächlich die Versklavung der Armen ist. (Zurück zu v.6)