Exodus 20

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Lesefassung (Exodus 20)

(Die Zehn Sprüche)

1 Dann sprach Gott alle diese Sprüche:

2 „Ich bin ⸂Jahwe⸃, euer Gott, der euch aus eurem Sklavenhaus, aus dem Land der Ägypter, geführt hat.

3 Ihr dürft in meiner Gegenwart keine anderen Götter haben – 4 das heißt, ihr dürft euch kein Kultbild anderer Götter machen: Keinerlei Darstellung von etwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde –; 5 ihr dürft euch vor ihnen nicht verneigen und euch ihnen nicht unterwerfen lassen.

Denn ich, ⸂euer Herr⸃, euer Gott, bin ein eifersüchtiger Gott. Wer mich hasst, für dessen Verbrechen bestrafe ich noch seine Nachkommen bis zur dritten, nein, bis zur vierten Generation; 6 aber meine Güte erweise ich bis zur tausendsten Generation an denen, die mich lieben und meinen Geboten folgen.a

7 Ihr dürft euch nicht unheilvoll zu ⸂eurem Herrn⸃, eurem Gott, bekennen, denn ⸂euer Herr⸃ wird denjenigen nicht freisprechen, der sich unheilvoll zu ihm bekennt.

8 Vergiss nicht, den Sabbat-Tag als heiligen Tag zu begehen! 9 Sechs Tage lang dürft ihr arbeiten und deinen Geschäften nachgehen, 10 aber der siebte Tag ist der Sabbat; er gehört ⸂eurem Herrn⸃, eurem Gott. Da dürft ihr keinem Geschäft nachgehen: Ihr nicht, euer Sohn und eure Tochter nicht, euer Knecht und eure Magd und euer Vieh und euer bei euch angestellter Immigrant aus eurem Ort nicht! 11 Denn sechs Tage lang hat ⸂euer Gott⸃ den Himmel und die Erde, das Meer und alles, was darauf und darin ist, gemacht, aber am siebten Tag hat er sich ausgeruht. Deshalb hat ⸂euer Gott⸃ den Sabbat-Tag gesegnet und ihn zum heiligen Tag erklärt.

12 Seid respektvoll und gehorsam gegenüber eurem Vater und eurer Mutter. Dann werdet ihr lange leben können auf dem Land, dass ⸂euer Herr⸃, euer Gott, euch geben wird.

13 Ihr dürft weder Mord noch Totschlag begehen.

14 Ihr dürft keine Ehe brechen.

15 Ihr dürft nicht stehlen.

16 Ihr dürft vor Gericht nicht falsch gegen euren Mitmenschen aussagen.

17 Ihr dürft euch das Haus deines Mitmenschen nicht aneignen wollen.

Ihr dürft die Frau eures Mitmenschen oder seinen Knecht oder seine Magd oder sein Rind oder seinen Esel oder irgendjemanden, der eurem Mitmenschen gehört, nicht entführen wollen.“

(Mose wird zum Sprecher Israels)

18 Währenddessen sah das ganze Volk die Donnerschläge und das Feuer und das Schofargetöse und den rauchenden Berg. Da fürchtete sich das Volk, zitterte, stellte sich weit entfernt hin 19 und sagte zu Mose: „Sprich du mit uns! Dann wollen wir hören. Aber ⸂unser Gott⸃ soll nicht mit uns sprechen, sonst sterben wir!“
20 Mose antwortete dem Volk: „Fürchtet euch nicht! Gott wollte euch auf die Probe stellen; er will ja, dass ihr euch stets vor Augen haltet, dass ihm Ehrfurcht gebührt, so dass ihr nicht sündigt.“
21 Und so blieb das Volk in der Ferne stehen, während Mose sich dem Wolkendunkel nahte, wo Gott war.

(Offenbarung des Bundesbuchs)

22 23 24 25 26

Anmerkungen

aMissverständlicher Satz, der zusammen mit Num 14 gelesen werden muss: Dort handelt Gott explizit nach dem Prinzip „4 Generationen Strafe, 1000 Generationen Güte“ – und vergibt daher den Schuldigen. „4 Generationen Strafe, 1000 Generationen Güte“ heißt also wahrscheinlich nur: „Weitaus bereiter zur Vergebung als zur Strafe“. (Zurück zu Lesefassung v.6)

Studienfassung (Exodus 20)


1bDann sprach Gott alle diese Sprüche (Worte) {wie folgt}:

2 „Ich [bin] JHWH, deinc Gottd, der dich aus dem Land der Ägypter (Ägypten), dem Haus der Sklaven (Knechte; aus dem Sklavenhaus) herausgeführt hat.

3 Du sollst (darfst; [Deshalb] darfst du...) keine anderen Götter vor mir (neben mir, statt mir?, mir ins Angesicht?)e haben –f 4 Du sollst (darfst) dir (kein Bild=) kein Götterdarstellung machen: (und) (Jegliches=) Keinerlei Gestaltg [von etwas], das am (im) Himmel oben oder {das} auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde [ist] –; 5 Du sollst (darfst) dich nicht vor ihnenh niederwerfen und dazu bringen lassen, ihnen zu dienen,i
denn ich, JHWH, dein Gott, [bin] ein eifersüchtiger (leidenschaftlicher) Gott, [der für] die Schuld (Sünde) der (Väter=) Vorfahren (die=) ihre (Söhne=) Nachkommen heimsucht (bestraft) bis in die dritte und vierte [Generation] [bei denen, die] mich hassenj,k 6 aber (Huld=) liebende Treue (Liebe, Güte) tausenden [Generationen] [bei denen] erweist (tut), [die] mich lieben und meine Gebote befolgen. 7 Du sollst (darfst) den Namen JHWHs, deines Gottes, nicht unnütz (schändlich)l tragen ([auf den Lippen] tragen?),m denn JHWH wird [denjenigen] nicht für unschuldig erklären (vergeben, ungestraft lassen), der seinen Namen unnütz trägt ([auf den Lippen] trägt).m 8 (Denke/Erinnere dich an den Sabbat-Tag, ihn zu heiligen=) Denke (Erinnere dich) daran, den Sabbat-Tag zu heiligenn (Denke an den Sabbat, indem du ihn heiligst / um ihn [so] zu heiligen). 9 Sechs Tage [lang] darfst (sollst, kannst) du arbeiteno und alle deine Arbeit verrichten, 10 doch der siebte Tag [ist] [der]p Sabbat für JHWH,q deinen Gott. Du sollst [an diesem Tag] (darfst) keinerlei Arbeit verrichten – [weder] du noch dein Sohn und deine Tochter, noch dein Knecht (Sklave) und deine Magd (Sklavin) und dein Vieh (Tier) und dein Gast (Fremder), der [sich] in deinen [Stadt-]Toren [aufhält].r 11 Denn sechs Tage [lang] (in sechs Tagen) hat JHWH den Himmel und die Erde, das Meer und alles, was darin (in ihnen) [ist], gemacht, aber (dann; und) am siebten Tag geruht. Deshalb hat JHWH den Sabbat-Tag gesegnet und ihn als heilig erklärt (geheiligt). 12 Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit (deine Tage lang sein werden=) dein Leben lang sein wird auf dem Land (dem Grund), den JHWH, dein Gott, dir geben wird.s 13 Du sollst (darfst) nicht morden.t 14 Du sollst (darfst) nicht die Ehe brechen.u 15 Du sollst (darfst) nicht stehlen (kidnappen?v). 16 Du sollst (darfst) nicht aussagen gegen deinen (Nächsten=) Mitmenschenw [als] lügnerischer Zeuge ([mit] lügnerischem Zeugnis).x 17 Du sollst (darfst) nicht giereny nach dem Haus deines (Nächsten=) Mitmenschen.w Du sollst (darfst) nicht gieren nach der Frau deines (Nächsten=) Mitmenschenw oder seinem Sklaven (Knecht) oder seiner Sklavin (Magd) oder seinem Rind oder seinem Esel oder irgendjemanden, der (irgendetwas, das) deinem (Nächsten=) Mitmenschenw [gehört].“


18 {Und} [Wie gesagt] [war (war gewesen)z] das ganze Volk sehend (wahrnehmend?)aa die Donnerschläge und die Fackelnab und das Schofar-Getöse und den rauchenden Berg. Da fürchtete sich (sah's)ac das (ganze)ad Volk, zitterte (stolperte zurück?)ae und stellte sich entfernt hin (stand entfernt), 19 und sie sagten zu Mose: „Rede du mit uns, dann wollen wir hören! Aber JHWH soll nicht mit uns reden, damit wir nicht sterben!“ 20 Da sagte Mose zum Volk: „Fürchtet euch nicht! Denn zum Zweck, euch zu erproben (versuchen), ist JHWH gekommen und zum Zweck, dass die Furcht vor ihm vor (auf) eurem Gesicht sei,af damit ihr nicht sündigt.“ag 21 [Während] sich [also] das (ganze)ad Volk entfernt hingestellt hatte,ah nahte sich Mose dem Wolkendunkel, wo JHWH [war].


22 Dann sagte JHWH zu Mose: „Dies sollst du den (Söhnen Israels=) Israeliten sagen:
[Weil]ai ihr gesehen habt,aj dass (wie) ich vom Himmel (her)ak mit euch gesprochen habe, 23 dürft ihr nicht machen bei mir Götter aus Silber, und Götter aus Gold dürft ihr nicht machen euch (dürft ihr nichts machen bei mir: Götter aus Silber und...?)al 24 Einen Altaram aus Erde sollst du mir [stattdessen] machen, und auf ihm opfern deine Brandopfer und deine Gemeinschaftsopfer (?),an dein Kleinvieh und dein Rindvieh.
Überall, wo ich meinen Namen ausrufe (anrufen lasse?, wo du meinen Namen anrufst),ao ([dort])ap werde ich zu dir kommen und dich segnen.
25 Wenn du mir einen Altar aus Steinen machst, darfst du nicht bauen mit ihnen als mit Behauenen,aq denn [dann] hättest du dein Schwert (dein Meisel?) über ihnar gehobenas und ihn entweiht.at 26 Und du darfst nicht auf Stufen auf (zu) meinen Altar hinaufsteigen, damit nicht deine Nacktheit über (auf, vor) ihm entblößt wird.au


Anmerkungen

Der in Vv. 1-17 überlieferte Text ist als „Die Zehn Gebote“ bekannt und lässt sich in seiner historischen Wirkung kaum überschätzen. Ob allerdings im Exodusbuch hier wirklich „zehn Gebote“ erlassen werden, ist gar nicht so klar. Der Text ist doppelt überliefert und steht noch ein zweites Mal in Dtn 5,6-21. Es gibt einige Unterschiede auch im Wortlaut des Textes selbst. Doch dies ist nicht das Verwirrende; verwirrend sind vielmehr die Unterschiede in der Rahmung: „Zehn Sprüche“ (nie: „Gebote“) auf „zwei steinernen Tafeln“ sind der Text in Ex 20,1-17 // Dtn 5,6-21 nur im Buch Deuteronomium (Dtn 4,13; 5,22). Die natürlichste Bedeutung des Texts im Exodusbuch dagegen ist, dass Gott dem Mose laut Ex 24,12; 31,18 das in Ex 20,22-23,33 überlieferte Bundesbuch und vielleicht das nachgereichte Sabbatgebot in Ex 31,13-17 auf steinernen Tafeln überreicht, dass Mose diese Tafeln in Ex 32,15f.19f. zerbricht und dann in Ex 34,28 mit Ex 34,10-26 andere Sprüche noch einmal auf steinerne Tafeln schreibt, und dass erst diese als „zehn Sprüche“ bezeichnet werden. Für den Text in Ex 20,2-17 gilt beides nicht: Weder steht er auf den berühmten steinernen Tafeln noch wird er irgendwo als „zehn Gebote“ o.ä. bezeichnet. Hinzu kommt dann noch die Merkwürdigkeit, dass in Vv. 18-21 das um den Sinai versammelte Volk von der eben ergangenen Offenbarung gar keine Notiz zu nehmen scheint; als hätte Gott geschwiegen, wenden sie sich an Mose, dass bitte er für sie mit Gott sprechen solle.

In der neuen Auslegung werden beide Merkwürdigkeiten – dass Ex 20,2-17 nach der Logik des Texts gar nicht die „zehn Sprüche“ zu sein scheinen und dass das Volk so gar nicht auf die Offenbarung dieser Verse reagiert – meist texthistorisch erklärt. Die Rekonstruktion der Textgeschichte ist wieder äußerst umstritten, aber am plausibelsten ist die schon ältere von Hossfeld 1982 (auch Hossfeld 2005; ebenso z.B. Schmidt 1993, S. 29; Konkel 2008, S. 270): Ex 20,1-17 stand ursprünglich gar nicht im Exodus-Text, sondern an Ex 19,18 schlossen sich unmittelbar Vv. 18-21 als Einleitung des sehr alten Bundesbuches an. Die Autoren hinter Dtn 5 hätten aus Bundesbuch(, Ex 34) und Hos 4,2 eine Einleitung zu ihrer Gesetzessammlung in Dtn 12-26 verfasst, die sie als direkte Offenbarung Gottes an das Volk gestaltet hätten, um etwas von ähnlicher Würde zu konstruieren wie das Bundesbuch als von Gott selbst formuliertem Vertragstext. Als dann gegen Ende der biblischen Textgeschichte Gen-Num und Dtn-2 Kön zusammengefügt wurden, hätten die Redaktoren Ex und Dtn unter anderem dadurch aneinander angeglichen, indem sie den Text aus Dtn 5 leicht verändert nach Ex 20 kopiert hätten. Aber:

Auf den ersten Blick ist der Text in Ex 20 also recht sperrig. Aber man kann auch den Text, wie er jetzt vorliegt, gut verstehen: Nachdem Gott wie nie zuvor und auch danach nie wieder höchstselbst dem gesamten Volk auf dem Sinai erschienen ist, spricht er auch noch Face to Face zu seinem Volk, was ebenfalls einzig hier im Ersten Testament vorkommt. Doch auf die Israeliten – wieder: die nörgelnden und ungehorsamen Israeliten (s. Ex 14,11f.; 15,24; 16,2f..25-29; 17,2-7) – scheint das Wie der Offenbarung in Vv. 1-17 offenbar weit größeren Eindruck zu machen als das Was derselben: Mit keinem Wort wird erkennbar, dass sie von ihrem Inhalt überhaupt Notiz genommen haben; in V. 18 fehlt sehr auffällig sogar ein Wort für das „Hören“ des Volks. Der Vers endet damit, dass das Volk sich in die Gottferne begibt. Stattdessen bitten sie in V. 19 den Mose: Lieber wollen sie ihn hören, er soll für sie mit Gott und vor allem für Gott mit ihnen sprechen. Aber Gott selbst zu hören? Nein, das können sie nicht ertragen. Mose beruhigt das Volk in V. 20: Ihre Ehrfurcht ist die angemessene Reaktion auf Gottes Größe; mit dieser Ehrfurcht haben sie nach Ex 15,25 und anders als in Ex 16,4 eine weitere Probe Gottes bestanden: Nun ist wirklich zu erwarten, dass sie als Gottes Volk dessen Geboten Folge leisten und so „nicht sündigen“ werden. Und so macht sich Mose, nachdem in Vv. 1-17 der Dekalog als Grundlage für den Vertragsschluss zwischen Gott und Israel offenbart wurde, in V. 21 auf, um mit dem Bundesbuch ebendiese Gebote zu empfangen.
Aber man muss sich doch fragen, ob eigentlich Mose die Reaktion des Volks wirklich richtig interpretiert hat: Während Gott sich im Exodusbuch nämlich gleich noch einmal selbst überbietet, eigenhändig eine Gesetzessammlung ausformuliert und darüber hinaus eigenhändig zwei Gesetzestafeln anfertigt (Ex 24,12), erweist sich Gottes auserwähltes Volk direkt nach der Ratifizierung des Vertrags in Ex 24,3-11 schon wieder als völlig unzulänglich und wird eben nicht der Erwartung gerecht, Gottes Geboten zu folgen, sondern bastelt sich just in dem Moment, da Mose die Tafeln in Empfang nehmen will, einen eigenen Götzen und bricht damit direkt den ersten Spruch des Dekalogs und das erste Gebot des Bundesbuchs. Hätten sie in V. 18 doch nur besser zugehört...

Als Zeichen des Vertragsbruches zerbricht dann Mose in Ex 32,19f. die beiden Vertragstafeln, und erst nach langer Diskussion lässt sich Gott darauf ein, noch einmal einen Vertrag mit Israel zu schließen – diesmal auf der Basis des Vertragstextes von Ex 34.
Wie ist also die Reaktion des Volk in den Vv. 18-21 einzuschätzen? Wirklich als angemessen? Und wie ist es im Exodusbuch einzuschätzen, dass Mose zum Sprecher Israels ernannt wird? Nach Ex 19,9 entspricht dies Gottes Plan. Aber ist es wirklich auch gut? Und vor allem: Was ist im Exodusbuch eigentlich der Text in 20,2-17? Lediglich Gottes erster Entwurf, der aber schon beim Hören zu viel ist für die Israeliten, der daher direkt in der Folge gleich zweimal revidiert wird und nur noch aus sozusagen archivarischem Interesse im Exodusbuch überliefert wird? Oder die unüberbietbare Formulierung des Vertrags zwischen Gott und Israel – das, was Gott eigentlich von seinem Volk verlangt? Und was bietet dann der Text in Ex 34,10-26? Bloß die klägliche Restmenge an Geboten, die allein Israel einzuhalten imstande ist? Oder die „Zehn Gebote letzter Hand“, die Krone der Gesetzeswerke im Exodusbuch? Beides lässt der Text offen und müssen sich Lesende selbst beantworten. Wie auch immer die Antwort ausfällt: Daneben steht gleichzeitig immer die Erzählvariante im Buch Deuteronomium, wo Gott selbst die Reaktion des Volks gutheißt und wo auch die „zehn Sprüche“ mitnichten überholt werden, sondern vielmehr das gesamte deuteronomische Gesetzeswerk präsentiert wird als Auslegung und Novellierung dieser grundlegenden zehn Sprüche Gottes.

An die Offenbarung der Zehn Sprüche schließt sich gleich ein weiterer Spitzentext des Ersten Testaments an, nämlich in Ex 20,2-23,33 die Offenbarung des „Bundesbuchs“, also der grosso modo ältesten Gesetzessammlung überhaupt in der Bibel. Eingeleitet wird es in Vv. 22-26 durch zwei Gebote, die regeln, welche Objekte man für die Ausübung der JHWH-Religion „machen“ darf. Genauer bestimmen Vv. 22f. mit einer Variante des ersten Spruchs in Vv. 3-5: Man darf sich keine Bilder anderer Götter „machen“, die dann „bei Gott“ – wahrscheinlich also wieder: an einem Kultort JHWHs – stünden.
Darauf folgen in Vv. 24-26 mit dem sogenannten „Altargesetz“ genauerer Bestimmungen dazu, was man Gott stattdessen „machen“ soll. Ausschließlich die einfachstmögliche Variante von Altären wird hier erlaubt: aus Erde und/oder aus Steinen, nicht mit Metall bearbeitet, nicht mit Treppe ausgestattet. Besonders der Jerusalemer Edelmetall-Treppen-Altar, den viele andere Bibelstellen im Gegenteil als den einzig zulässigen Altar darstellen, wäre danach in mehrerlei Hinsicht verboten. Vielleicht soll sogar auch mit der genaueren Bestimmung, nicht Götterbilder allgemein, sondern speziell Silber- und Gold-Götter seien verboten, noch zusätzlich auf diesen Goldaltar angespielt werden. Nebenbei wird unter der Hand anscheinend auch noch das Kultpriestertum für überflüssig erklärt, denn auf der Vielzahl von Dreckhaufen-Altären sollst „du“ opfern – und nach Ex 24,5 ist dieses du nicht Mose, sondern wie in den Zehn Sprüchen gehören dann zu diesem „Du“ wieder „alle Männer Israels, ihre Kinder, ihre Frauen, die Immigranten, ja, alle vom Holzfäller bis zum Wasserträger(Dtn 29,8-10; s. zu V. 2).
Man kann dieses Altargebot und das gegenteilige Gebot der „Kultzentralisierung“ nach Jerusalem sinnvoll so auslegen, dass beide miteinander harmonieren (s. zum Wort „Altar“ in V. 24). Bestenfalls bedeutete eine solche Auslegung aber, dass man entweder das Bundesbuch falsch versteht, wenn man es als allgemeingültiges Grundgesetz Israels auffasst, oder dass man mindestens Grundanliegen des Buchs Deuteronomium, das besonders entschieden für die Kultzentralisierung eintritt, regelmäßig falsch verstanden hat. Am ehesten wird man sich daher doch damit bescheiden müssen: Neben der Ansicht im Deuteronomium, zulässig sei nur der von der Priestergruppe der Leviten getragene Kult in Jerusalem, findet sich in der Bibel auch und sogar an derart zentraler Stelle die gegenteilige Ansicht, Priester seien überflüssig und der Jerusalemer Tempelkult nicht gottgefällig.

bDie Offene Bibel folgt hier der Verszählung der BHS. Recht eigentlich ist das nicht gut zu rechtfertigen. Im hebräischen Text entspricht der europäischen Einteilung in „Verse“ die Gliederung desselben durch besondere Lesezeichen namens „Akzente“. Für Ex 20 und Dtn 5 gilt die Besonderheit, dass in den einflussreichsten hebräischen Handschriften zwei Weisen der „Verszählungen“ gleichzeitig durch die masoretischen Akzente markiert werden. Die erste, „ṭa´ame ha-`eljon“ genannt („obere Akzente), teilt den Text in zehn Abschnitte, die offenbar der Zehnzahl der Sprüche entsprechen sollen. Die zweite (ṭa´ame ha-taḥton“, „untere Akzente) akzentuiert den Text, wie man gewöhnliche biblische Texte akzentuieren würde, und zieht daher z.B. die vier kurzen Sprüche gegen Ende zu einem Vers zusammen. In der lateinischen Tradition der Verszählung wurden aber beide zusammenaddiert, weshalb in westlichen Bibeln die zehn Sprüche erst in V. 17 enden.
Einer der Gründe für das Aufkommen der besonderen Akzentuierung war gewiss, dass unsicher ist, welche der nun folgenden Sätze jeweils zu den „zehn Sprüchen“ zusammengezogen werden müssen: Auch, wenn wir naheliegend davon ausgehen, dass jeder mindestens ein Ge- oder Verbot enthalten muss, finden wir insgesamt mindestens 12 davon, die irgendwie zu kombinieren sind (vgl. zur Problematik schön allgemeinverständlich z.B. Youngblood 1994). Einigkeit herrscht bei V. 7-16. Aber erstens ist V. 17 in Dtn 5 so gestaltet, dass man ihn dort als zwei Gebote auffassen muss. So zählen auch traditionell v.a. Katholiken und Lutheraner; so wird aber auch bereits durch die Einteilung des hebräischen Texts durch Freiräume („Petucha und Setuma“) gedeutet, die daher in Ex 20 nur auf 9 Abschnitte kommt. Zweitens und vor allem sind Vv. 2-6 umstritten: In der synagogalen Interpretation nimmt man heute V. 2 als eigenes Gebot und dann Vv. 3-6 als ein langes Gebot über die Verehrung fremder Götter. So gliedern auch Katholiken und Lutheraner, nehmen V. 2 dann aber als Prolog für alle zehn Sprüche. Ebenfalls in der synagogalen Interpretation verbreitet war die alternative Ansicht, Vv. 2-6 bildeten nur ein Gebot (und V. 17 dann eben zwei). Die Stuttgarter Handschrift Cod.Bibl.fol. 2 etwa, wo für gewöhnlich nach jedem hebräischen Vers der entsprechende Vers eines Targum steht, hat daher hier den Targum erst nach V. 6; so will neuerdings auch wieder DeRouchie 2013 gliedern. Orthodoxe, reformierte und anglikanische Kirchen sehen V. 2 ebenfalls als Prolog für die gesamten 10 Sprüche, teilen dann aber auf in die zwei Gebote V. 3 und Vv. 4-6. Adventisten schließlich zählen Vv. 2-3 als das erste und Vv. 4-6 als das zweite Gebot.
Links: Damaskus-Pentateuch. Oben: „Bei ‚Ich‘ gehört der Akzent Paschta zu den unteren Akzenten[, die erste Akzentreihe der oberen endet also mit V. 2, weil die untere weiter reicht].“
Unten erklärt Jacobson als: „[Erst] ‚Du sollst nicht machen‘ [in V. 4 ist] Versbeginn bei den unteren Akzenten“, heißt aber nur: „Merka gehört zur unteren Akzentreihe[, ergo das folgende Pazer zur oberen].“
Rechts: G20. Oben: „Bei ‚Ich‘ gehört der Akzent Tifcha zu den unteren Akzenten[, also endet die erste Akzentreihe der unteren Akzente mit V. 2, die der oberen also frühestens in V. 3].“
Das „Bei ‚du sollst nicht haben‘ [in V. 3] gehört Merka zu den unteren Akzenten“ müsste dann allerdings ein Fehler sein. Bei der nächsten Anmerkung ist G20 aber wieder auf der früheren Spur.
Genauer: Man nimmt heute gemeinhin an, die masoretischen Akzente sprächen für die erste synagogale Interpretation: V. 2 als erstes Gebot, Vv. 3-6 als zweites und V. 17 als ein Doppelgebot. Das ist so aber wahrscheinlich nicht richtig, was offenbar bisher noch niemandem aufgefallen ist. Welche Akzente jeweils zu den die Gebote markierenden ṭa´ame ha-`eljon gehören, ist nicht immer klar zu erkennen. Vgl. zur heute traditionellen Interpretation bes. ausführlich Japhet 1896, S. 157-166 (man ignoriere seine Ausführungen zum Rebia in V. 2; dieses ist nur ein Druckfehler in seiner Textausgabe). Breuer 1990 nun hat versucht, diese Interpretation noch weiter abzustützen, indem er erstens die Regel aufgestellt hat, zu den ṭa´ame ha-`eljon gehörten bei nebeneinanderstehenden Akzenten immer die Linken, und indem er auf den Damaskus-Pentateuch hingewiesen hat, wo vermerkt ist, dass der Silluq am Ende von V. 3 nicht zu dieser Reihe gehöre, wonach man also V. 3 bei der Gebotszählung nicht von V. 2 scheiden dürfe. Bei dieser Interpretation der Akzente sind ihm Jacobson o.J. und DeRouchie 2013 gefolgt; auch Dotan druckt die 10 Sprüche so in der Biblia Hebraica Leningradensia ab. Aber die Rechts-Links-Regel scheint falsch zu sein; man vergleiche rechts die Position der beiden Merkaim. Und neben den Anmerkungen im Damaskus-Pentateuch, die ähnlich übrigens auch im „Codex Hilleli“ und in EVR I Bibl 86 (Bild 88) stehen (die Randbemerkungen geben übrigens, wenn man diese drei Handschriften vergleicht, an, welche konjunktiven Akzente zu den unteren Akzenten gehören, nicht, wo jeweils ein Vers beginnt), scheint z.B. G20 eine alternative Tradition zu bezeugen, nach der die erste Akzentreihe der ṭa´ame ha-`eljon nicht in V. 2 endet. Nach dieser Tradition reichte wie bei den Adventisten das erste Gebot von V. 2 bis V. 3 und das zweite von V. 4 bis V. 6, wie wahrscheinlich auch schon JosAnt 3.91f und Philo, Dec 50f. und sicher Sifre Num 112 gegliedert haben. Damit lassen hebräische Handschriften zu: (1) Vv. 2-6 sind ein Gebot (Petucha und Setuma; Targum). (2) V. 2 ist Prolog oder ein Gebot und Vv. 3-6 sind ein weiteres (Akzente: Tradition 1; Judentum, Katholiken, Lutheraner). (3) Vv. 2-3 sind ein Gebot und Vv. 4-6 ein weiteres (Akzente: Tradition 2; Adventisten). Von den Handschriften her – die, wie man hier schön deutlich sieht, aber ja auch nur bestimmte theologische Traditionen und Interpretationen festhalten, nicht „die richtige“ Interpretation – ist nur die Interpretation unmöglich, die nur V. 3 und Vv. 4-6 als zwei Gebote betrachtet.
Anm. d. ZL (S.W.): Übrigens irritiert mich sehr, wie in Ex 20 das Lesezeichen Sof Pasuq verwendet wird. In Dtn 5 folgt die SP-Setzung offenbar keiner Regel. Aber in Ex 20 finden wir 10x Sof Pasuq, und dies offenbar unabhängig von der oberen und unteren Akzentuierung. Möglicherweise wird durch Sof Pasuq also auch noch eine vierte (!) Zählweise festgehalten, bei der V. 6 als eigener Ausspruch herausgehoben werden sollte: (1) V. 2 („Ich bin dein Gott“)(2) Vv. 3-5 (Fremdgötter und Götterbilder)(3) V. 6 (1000 Generationen Gnade)(4-9) Vv. 7-16 (Name - Falschzeugnis)(10) V. 17 (Begehren). (Zurück zu v.1)
cdein - Wer ist „Du“? Die Frage hat zwei Seiten: „Du“ in den 10 Sprüchen ist singular und maskulin. Ist mit diesem Sg.-Mask.-„Du“ das ganze Volk Israels als Kollektiv gemeint oder sind einzelne Personen angesprochen? Und nachdem das „Du“ in den nachfolgenden Sprüchen z.B. Eltern, Knechte und eigene Immigranten (!) hat, Ehen brechen kann, also männlich ist (s. zum Spruch) und nach Ehefrauen anderer „gieren“ kann – gehört jede:r Israelit:in zum angesprochenen Kollektiv Israel resp. zu den angesprochenen einzelnen „Dus“ oder nur bestimmte Gruppen? Die Frage ist gar nicht sehr umstritten: Besonders einflussreich bei der zweiten Frage war in der neueren Auslegung Crüsemann 1983, S. 28f., der aus den verschiedenen Sprüchen eine Adressatengruppe herauskonstruiert hat: Angesprochen seien ausschließlich erwachsene, volljährige, männliche, besitzende, freie Bio-Israeliten (ebenso z.B. Clines 1995, S. 33; Houtman 2000; Schmitz 2021, S. 18-21 und von Ex 19 her Plaskow 1991, S. 25-27). Mir (S.W.) scheint aber: Es würde doch auch niemand ernsthaft behaupten, dass wegen dem Gebot, Vater und Mutter zu ehren, nur jene angesprochen sind, bei denen sowohl Vater als auch Mutter noch am Leben sind. Dass mehrere Gebote nur für Untergruppen der Dekalog-Adressaten relevant sind, lässt keinen Schluss darauf zu, wer im Dekalog tatsächlich adressiert ist.
Was die erste Frage angeht: Eine recht große Mehrheit denkt heute, dass nicht Israel als Ganzes mit dem „Du“ gemeint sei, sondern: „Die Seele des Dekalogs aber ist sein ‚Du‘; hier wird [...] geboten, und zwar [je]dem [Einzelnen], der angesprochen wird, dem Hörer. [...J]edenfalls hat zu allen Zeiten nur der den Dekalog wirklich aufgenommen, der ihn als zu ihm selber gesprochen vernahm, das heisst, der das darin niedergelegte Angesprochenwordensein [...] als sein eigenes Angesprochenwerden erfuhr.“ (Buber 2019, S. 464; ebenso z.B. Köckert 2007, S. 21; Greenstein 2011, S. 3; Dohmen 2014, S. 194). Das ist zwar tiefsinnig, aber vom Numerus der Textoberfläche auf den Numerus der Adressaten rückzuschließen, geht auch nicht an; dass etwa in Dtn 12-26 der Sg. dennoch das Kollektiv Israel meint, ist in der Dtn-Auslegung die Standard-Meinung. Und richtig zu den Zehn Sprüchen dann z.B. Baker 2017, S. 32: Folgen wir dem Text, wie er sich selbst darbietet, ist der Dekalog der grundlegende Text für den Vertrag Gottes mit seinem ganzen Vertragsvolk Israel und zumindest bei Mose Referat des Dekalogs in Dtn 5 wird er eingeleitet mit „Höre, Israel(Dtn 5,1) und beschlossen mit „Diese Sprüche hat JHWH auf dem Berg zur ganzen Versammlung gesprochen“ (Dtn 5,22); und gemeint ist damit eine Vertragsvolk-Versammlung, als zu der gehörig in Dtn 29,8-10 aufgezählt werden: „eure Oberhäupter, eure Stämme, eure Ältesten und eure Anführer – alle Männer Israels –, eure Kinder, eure Frauen, dein (!) Immigrant in deinem Lager, [alle] vom Holzfäller bis zum Wasserträger(vgl. auch Dtn 31,12f.). Richtiger als mit Buber wird man daher wohl mit Zimmerli 1989, S. 120 sagen müssen: „Das Gebot Jahwes betrifft zunächst Israel als Volk. Es geht nicht vom Einzelnen aus, sondern von der Gemeinschaft, die durch Jahwes Ruf betroffen ist. [...] Das Gebot Jahwes meint die Gemeinschaft und nun allerdings auch gerade den Einzelnen in dieser Gemeinschaft. [...] Auch die immer wieder aufflammende Diskussion darüber, ob der Dekalog es mit dem Einzelnen oder mit dem Volke zu tun habe, kann lediglich verdeutlichen, wie selbstverständlich hier der Anruf an den Einzelnen in den Anruf an ganz Israel eingebettet ist.“ (Zurück zu v.2)
dNicht: „Ich, JHWH, bin dein Gott“ (so z.B. Jacob 1997; Kass 2021; BigS) – jedenfalls nicht nach der masoretischen Akzentuierung: Apposition schlägt jede andere Wortfügung, wenn es darum geht, welche Wortverbindungen durch die Akzente zusammengezogen und welche getrennt werden. Bei „Ich, JHWH, bin dein Gott“, wo „JHWH“ Apposition zu „ich“ wäre, müsste der Trenner stattdessen nach „JHWH“ stehen, nicht wie hier nach „ich“.
Gott stellt sich also hier seinem Volk vor als „dein Gott JHWH, der dich aus Ägypten geführt hat“ (eine geprägte Wendung im Deuteronomium, bei der ebenfalls stets „dein Gott“ in Apposition zu „JHWH“ steht, s. die Parallelstellen) – ähnlich, wie er sich Mose zuvor als „JHWH, der Gott deiner Vorfahren“ vorgestellt hatte (Ex 3,6). Anders also dort ist JHWH aber hier kein „Gott der Vergangenheit“ mehr: Er ist ein Gott, der soeben heilsam an seinem Volk gehandelt hat und der auf dieser Basis die nun folgenden Vertragsbedingungen für einen Vasallenvertrag mit seinem Volk stellen kann.
Auch formal erinnert der Vers an die Eröffnung eines Vasallenvertrags, da diese ähnlich wie unser Abschnitt regelmäßig mit einer kurzen Selbsteinführung desjenigen begannen, der die Vertragsbedingungen bestimmen konnte. Köckert 2007, S. 44 und Coogan 2014, S. 52 etwa denken auch wirklich, der Vers sei bewusst antiken Vasallenverträgen nachempfunden worden. Eine weitere mögliche und noch nähere Parallele sind aber antike Gesetzessammlungen. Hammurapi beginnt seinen berühmten Codex bspw. mit „Ich bin Hammurapi, der Hirte...“; Ähnliches begegnet in den Gesetzessammlungen von Urnammu, von Lipit Ischtar und im Codex Eschnunna. Müsste man sich die Gestaltung der Einleitung erklären, sollte man besser an diese Parallelen denken (so hier z.B. auch Albertz 2015; Reicke 1973, S. 2 überschreibt den Vers gar mit „Die Autorität des Gesetzgebers“). Aber der Sinn des Verses erschließt sich ja auch ohne diese Parallelen ganz von selbst. (Zurück zu v.2)
evor mir (neben mir, statt mir?, mir ins Angesicht?) - sehr unklarer Ausdruck. W. „vor/auf/gegen mein(em) Angesicht“; „Angesicht“ ist im Heb. aber sehr häufig derart bedeutungsentleert, dass Ausdrücke mit „Angesicht“ oft nur als umständlichere Präpositionen verwendet werden können (vgl. z.B. BrSynt §110k), daher z.B. „vor meinem Angesicht“ = „vor mir“. Dass grundsätzlich irgendetwas in die Richtung gefordert wird, Israel dürfe keine anderen Götter neben JHWH verehren, ist klar. „Neben mir“ oder „außer mir“ ist daher mit gutem Recht die mit Abstand häufigste Übersetzung (so auch schon LXX, Syr und die Targumim), obwohl die häufige Wortfügung sonst nie in dieser Bed. verwendet wird. Will man sich an der gewöhnlichen Bedeutung der Wortfügung orientieren, übersetzt man daher besser wie unten unter (3).
Genauere Deutungen, die daher vorgeschlagen wurden: (1) Markl 2007, S. 105 und Stoppel 2018, S. 68 haben die alte Deutung „mir zum Trotz“ (König 1917, S. 87) aufgefrischt; S. erklärt sie wie schon Propp 2006 witzig entsprechend dem Englischen „in your face“. Dagegen vgl. aber richtig Knieriem 1965, S. 25; Weinfeld 1991: Aus den drei von König zitierten Stellen Ijob 1,11; 6,28 und Jes 65,3 lässt sich diese Bed. nicht ableiten.
(2) Krebernik 1995, S. 31 und Köckert 2007, S. 50 nehmen an, der Ausdruck stamme aus der Formelsprache antiker Vasallenverträge, da es in einem assyrischen Vasallenvertrag Assurbanipals einen ähnlich schlecht verständlichen Ausdruck gibt: „ihr sollt keinen anderen König ina UGU-šú (w.: ‚auf ihm‘) suchen!“ „Auf ihm“ soll dann ein ungewöhnlicher Ausdrück für „an seiner Statt“ sein. Aber von nur einem assyrischen Beleg und einem hebräischen, die einander nicht einmal entsprechen, auf eine sprachübergreifende Formel zu schließen, ist viel zu gewagt. Propp 2006 will die selbe Bed. aus heb. Parallelstellen ableiten, aber bei keiner der von ihm zitierten Stellen macht das auch nur Sinn.
(3) Möglich scheint mir (S.W.) daher nur die Deutung von Knieriem 1965, Houtman 1997, S. 59 und Dozeman 2009: „Vor meinem Gesicht“ = „vor meinen Augen“: Fremde Götter haben nichts in meinem Tempel oder vor meinem Zelt oder vor meinem heiligen Berg zu suchen. Der zweite Satz, der sich so störend zwischen die „anderen Götter“ in V. 3 und das „vor ihnen“, das sich auf die Götter beiziehen muss, schiebt, ist dann eine vielleicht sekundäre (so z.B. gut Smend 1997, S. 23f.), aber eine treffende Glosse: Gemeint ist etwas Gegenständliches, das ebenso störend zwischen den körperlich präsent gedachten Gott und sein Volk tritt wie hier der störende V. 4 zwischen Vv. 3.5 – und v.a. genau wie das goldene Kalb, das die Israeliten in den nächsten Kapiteln direkt vor dem Gottesberg erschaffen. Dann würde hier gar nicht allgemein die Fremdgötterei verboten, sondern nur der Mischkult. Das kann schon sein: Wir werden noch zwei weitere Male feststellen, dass der Dekalog laxer ist als andere Gebotssammlungen und mitnichten so allgemein und umfassend formuliert ist, wie man zunächst meint. (Zurück zu v.3)
fW. „Andere Götter dürfen vor mir nicht für dich sein“. Übersetzen wir „vor mir“ mit den alten Versionen als „außer mir, neben mir“ (s. vorige FN), lässt es die Formulierung sowohl zu, bei diesem Gebot an einen echten Monotheismus zu denken („Du sollst davon ausgehen, dass außer mir keine anderen Götter existieren“) als auch, wie meist angenommen wird, an „Monolatrie“, also die Verehrung allein von JHWH, obwohl gleichzeitig die Existenz anderer Götter anerkannt wird. Verwandte theologische Entwicklungen im Umfeld Altisraels (vgl. z.B. Baumann 2006) machen auch bei einer Übersetzung mit „neben mir“ wirklich die Monolatrie-Deutung weit wahrscheinlicher. (Zurück zu v.3)
gExodus verknüpft die beiden Ausdrücke mit Waw. In Dtn 5,8 stehen sie dagegen unverbunden hintereinander. Die Formulierung in Dtn könnte man als hebräische Constructus-Verbindung auflösen („Du sollst dir keine Götterdarstellungvon jeglicher Gestalt machen“). Hossfeld 1982 und Dohmen 1985 nehmen das an und gehen sogar so weit, dass sie glauben, das „keine Götterdarstellung und keinerlei Gestalt“ in Ex solle mit seinen zwei Objekten das Plural-Personalpronomen „sie“ in V. 5 auffangen, das sich dann auf diese beiden Worte bezöge statt auf die Fremdgötter wie in Dtn, und so V. 3 und Vv. 4-5 in zwei Gebote splitten. Aber das liegt ganz fern; dann würde mit „und keinerlei Gestalt“ ja jegliche bildliche Darstellung verboten, nicht nur die von Göttern. Besser nimmt man daher mit Childs 1974; Graupner 1987, S. 314 und Albertz 2015 an, dass das Waw hier ein sog. „explikatives Waw“ ist: „Du sollst dir keine Götterdarstellung machen, das heißt präziser: keinerlei Gestalt...“ Ist das richtig, bezieht sich das „vor ihnen“ auch in Ex zurück auf die Fremdgötter, wonach dann mit der „Götterdarstellung, jeglicher Gestalt“ ebenfalls konkret Darstellungen anderer Götter gemeint sein müssen. Vgl. so klar die Umformulierung von LAB 11,6: „Du sollst dir keine geschnitzten Götter machen und auch kein verabscheuungswürdiges Bild von [anzubetenden] Sonne und Mond.
Spätere Autoren haben daher dem Dekalog Dtn 4 vorangestellt (zu Dtn 4 als späterer Interpretation des Bilderverbots vgl. v.a. Holter 2003), wo auch die „Gestaltung“ von JHWH-Bildern verboten wird (Dtn 4,15f.) – aber in unserem Vers liegt dies noch nicht im Blick (richtig Obbink 1929; Houtman 2000; Dozeman 2009). (Zurück zu v.4)
hihnen, also den Göttern. S. die Parallelstellen, die nur eine Auswahl derer sind, die man nennen könnte: „sich niederwerfen und dienen“ tut man nach biblischem Sprachgebrauch standardmäßig (vor) fremden Göttern (richtig z.B. Zimmerli 1950, S. 37f.; Schüngel-Straumann 1973, S. 80; Miller 2009, S. 14). Die Logik von Vv. 3-5a ist also: „(1) In meiner Gegenwart will ich keine anderen Götter sehen. (2) Fang gar nicht erst an, sie mit Kultbildern darzustellen. (3) Vor allem sollst du dich fremden Göttern nicht unterwerfen. Denn: ...“ (Zurück zu v.5)
itFN: sich dazu bringen lassen, ihnen zu dienen - so mit der hebräischen Vokalisierung, die auch durch 1QPhyl; 4QDtnn; 4QPhylb.j bezeugt wird. Die Üs. der großen Mehrheit, „du sollst ihnen nicht dienen“, vokalisiert entweder to´obdem um zu ta´abdem (so z.B. Albertz 2015) oder erklärt die Wortform mit GKC §60b als irreguläre Wortbildung mit der selben Bed. wie ta´abdem (so z.B. BHQ Dtn). Aber dafür gibt es keinen Anlass; „sich zum Dienst bringen lassen“ passt hervorragend in einem Kontext, in dem dieser Dienst bewusst parallelisiert wird dem Sklavendienst in Ägypten. Mit dem heb. Text übersetzen daher z.B. auch Dohmen 2004 und Stoppel 2018, S. 68. Der Einwand von Propp 2006, dies erfordere noch ein Suffix, ist mir (S.W.) unverständlich; Hofal in dieser Bed. steht regelmäßig ohne Suffix. (Zurück zu v.5)
jhassen + lieben wird gelegentlich so erklärt, dass die Begriffe hier keine Emotionen bezeichneten, sondern beide Worte Begriffe aus dem altorientalischen Vasallenvertragswesen seien und Menschen beschrieben, die ihrem Vertragsherrn treu vs. untreu sind (vgl. z.B. Levinson 2006, S. 168; Köckert 2007, S. 52). Ich (S.W.) bin unsicher, ob das so richtig ist. Es stimmt zwar, dass Vasallen in solchen Verträgen häufig dazu aufgefordert werden, ihre Herren zu „lieben“. Dass das gleichbedeutend ist mit „Vasallentreue“, ist damit aber noch nicht gesagt, und die Forderung, dass sie ihre Herrn nicht „hassen“ sollen, ist in Verträgen nicht ähnlich gebräuchlich. Besser geht man daher nicht von Vertragsterminologie aus und erklärt die beiden Worte stattdessen doch z.B. mit Jacob 1997 und Dozeman 2009 so, dass Gott hier auf emotionale Begriffe aus den Bereichen von Liebe und Ehe zurückgreift: Für den „eifersüchtigen“ Gott teilt sich die Welt in solche, die ihn „lieben“ und solche, die ihn „hassen“. Andere gibt es nicht. Auch das Schwarz-Weiß-Denken ist eine der Sprachen der Liebe. (Zurück zu v.5)
kVieldiskutierter Vers, da Gott hier auf den ersten Blick die Sippenstrafe für Fremdgötterverehrung verhängt (vgl. zu dieser Deutung am klarsten Krašovec 1994). Es gibt in der Bibel Verse, aus denen eine ähnliche Vorstellung von einer generationenübergreifenden Strafe spricht. Diese sind dann aber regelmäßig Beteuerung der eigenen Unschuld, die von Leidenden gesprochen werden: „Ich leide unter der Schuld meiner Vorfahren[; ich selber bin aber doch ganz unschuldig!](Ps 79,8; Klg 5,7; ähnlich 2 Chr 29,6-9; ähnlich auch 2 Kön 22,13; ähnlich schließlich auch der Fluchspruch in Ps 109,8-15). Man darf sie daher nicht als dogmatische Thesen missverstehen. Dass Gott nüchtern betrachtet und de facto nicht so handelt, sagen eine ganze Reihe von Versen explizit; s. Dtn 7,9f. (fast direkt nach dem deuteronomischen Dekalog); Dtn 24,16; Jer 31,29f.; Ez 18,2-4.19f.. Auch davon unabhängig ist der Vers wahrscheinlich missverstanden, wenn man ihn als Androhung generationenübergreifenden Strafhandelns liest:
Wichtig für das rechte Verständnis des Verses ist es erstens, zu sehen, dass der Vers V. 2 wieder aufgreift: „Ich [bin] dein Gott JHWH, der...“ – „Ich, dein Gott JHWH, bin...“ (gut gesehen von Auffret 2014, S. 818). Wichtig ist es zweitens, zu sehen, dass der zweite Teil der Begründung gar nicht den vorangehenden Hauptsatz begründet (*„Verehre keine fremden Götter, denn meine Huld währt 1000 Generationen für jene, die mich lieben“). Vv. 5b-6 begründen also nicht nur 5a, sondern schließen und runden die in V. 2 begonnene Selbstvorstellung Gottes ab und begründen den ganzen Abschnitt Vv. 3-5b: „Ich, JHWH, will dein Gott sein, also bete nicht stattdessen zu anderen Göttern und verehre nicht stattdessen Götterbilder, denn ich, JHWH, bin ein eifersüchtiger und ein huldvoller Gott.“
Für dies letztere lies: „denn ich, JHWH, bin ein besserer Gott als diese“: Die Pointe beim letzten Teil ist natürlich das Verhältnis 4 Generationen Strafe vs. 1000 Generationen Huld. Gott greift den verbreiteten Volksglauben von der generationenübergreifenden Strafe auf – und transformiert ihn durch seine Ergänzung in V. 6 (ähnlich in Ex 34,6f. durch eine andere Ergänzung, s. gleich). Wie, das zeigt Num 14, wo dieses Prinzip angewendet wird (und nicht in einem Kontext von Fremdgötterverehrung angewendet wird, was das eben Gesagte bestätigt): Wieder einmal murren die Israeliten. Da erscheint JHWH, gerät in Eifer und droht, sein ganzes Volk zu vernichten (V. 12). Doch Mose beschwichtigt ihn, indem er in V. 18 unseren Teilvers (in der Version von Ex 34,6f.) zitiert – „Du gerätst doch nur langsam in Zorn, bist groß an Güte, vergibst Ungerechtigkeit und Gesetzesbruch, entschuldigst aber nicht die Schuldigen und suchst die Ungerechtigkeit der Väter heim an ihren Nachkommen der dritten, nein, der vierten Generation!“ – und in V. 19 fortfährt: „Darum vergib doch die Ungerechtigkeit dieses Volkes!“ – und das tut Gott; entsprechend seinem Wesen straft er die Übeltäter nicht bis zur vierten Generation, sondern vergibt ihnen (V. 20) und beschränkt daher seine Strafe auf die aktuelle Generation (Vv. 22f.).
„Ich strafe für vier Generationen, bin aber huldvoll für 1000 Generationen“ ist danach keine verquere göttliche Arithmetik, bei der Gott leider ganz übersieht, dass die 1000 Generationen Huld doch leere Worte sind, wenn gleichzeitig jede Missetat bis in die vierte Generation bestraft wird. Sondern es ist nur eine verquere Formulierung für „ich bin ein eifernder Gott. Aber meine Huld ist noch viel größer als mein Eifer. So einer bin ich, JHWH, euer Gott, der euch aus Ägypten geführt hat.“
Dennoch werden die Verse üblicherweise verstanden als Ausdruck für das generationenübergreifende Strafhandeln Gottes; seit Beginn der Bibelauslegung hat man es daher unternommen, die Verse zu entschärfen. Einige Beispiele (weitere z.B. bei Neudecker 2000; Weiss 2017):
(1) In der Mechilta de Rabbi Schimon ist die Meinung festgehalten, das Wort für „heimsuchen“ müsse man hier nur i.S.v. „bemerken“ nehmen. Ähnlich noch Dohmen 2004: „der die Schuld der Väter bei ihren Kindern prüft“. Beides ist sprachlich möglich, aber der Satz ist ein Gemeinplatz in der Bibel, bei dem man daher nicht einfach einzelne Worte gegen den Strich deuten darf; s. die Parallelstellen; s. auch die Umformulierung in Dtn 4,23-26.
(2) Die häufigste Variante: Was hier gesagt wird, gilt nur, wenn sich auch die Kinder der Übeltäter ähnlich schuldig machen. Daher ergänzt z.B. der Targum Onkelos: „Ich räche die Sünden der Väter an ihren rebellischen Kindern; bis zur dritten und vierten Generation bei denen, die mich hassen, wenn die Kinder ihren Vätern im Sündigen nachtun.“ (fast ebenso TgN; b.San 27b; Raschi); ähnlich LAB 11,6: „Ich bin ein Gott, der die Sünden der bereits Gestorbenen an den lebenden Söhnen der Gottlosen vergilt, wenn auch diese auf den Wegen ihrer Eltern wandeln, bis ins dritte und vierte Geschlecht.“ – hier wird also sogar noch zusätzlich eingeschränkt, Kinder würden allenfalls dann für die Schuld ihrer Vorfahren bestraft, wenn diese schon vor ihrer Zeit aus ihrer Verantwortung entschlafen sind. Einige neuere Ausleger wollen dies zusätzlich damit abstützen, dass sie „bei denen, die ihn hassen/lieben“ nicht auf die Missetäter beziehen, sondern auf deren Kinder: „Ich suche die Schuld der Väter bei ihren Nachkommen heim, genauer gesagt bei jenen [Kindern], die mich hassen.“ So oder ähnlich z.B. schon Ambrosiaster, Quaestiones 14; Bonaventura, Collatio 2; z.B. auch Cassuto 1967; Schmid 1999, S. 33; Houtman 2000; Baker 2017, S. 54f. Das ergäbe ein ähnliches theologisches Modell wie (3), aber dass mit den „Hassenden“ die Missetäter selbst gemeint sind, ist nach dem Parallelstellen ziemlich klar.
(3) Richtiger übersetzen müsste man: „Spätestens in der vierten Generation“: Gott ist zwar ein gerechter Gott, der Missetaten durchaus bestraft – aber er ist auch ein langmütiger Gott, der den Familien von Missetätern bisweilen so lange Zeit gibt, Buße zu tun, bis selbst schon ihre Urenkel geboren worden sind. Spätestens dann aber wird er zur Tat schreiten, denn länger lebt ja kein Missetäter (Rabbi Juda [2. Jhd.] in der Mechilta de Rabbi Schimon; Ephräm der Syrer; ibn Ezra; Ramban). Das müsste man dann anders als Juda, Ephräm oder ähnlich z.B. Muffs 1992, S. 21f. wenigstens so verstehen, dass dann Gottes Strafe über sämtliche vier Generationen hereinbricht, die ja nun lange genug Zeit zur Buße hatten, und nicht so, dass nur die vierte Generation bestraft wird: Dass Gott Missetäter davonkommen lässt, aber ihre unschuldigen Urenkel bestraft, eignet sich weder gut für einen Aufweis der Gnade Gottes noch als Warnung vor Vergehen. Sprachlich wäre diese Deutung möglich, konzeptuell harmonierte es aber ebenso wenig mit Dtn 7,9 etc. wie die traditionelle Interpretation, wenn auch Gott am Ende etwas besser da steht.
(4) Hieronymus, Ep 147,3: Die Rede von den Generationen ist nur ein Bild dafür, dass Gott Sündern Zeit zur Reue lässt, bevor er sie bestraft.
(5+6) Köckert 2007, S. 51f.: 1000 Generationen Gnädigkeit sind doch viel länger als vier Generationen Strafe, der Text nimmt also zwar Sippenhaft an, will aber vor allem zum Ausdruck bringen, dass Gottes Huld viel größer ist als sein Eifer. Mit ähnlicher Stoßrichtung Houtman 2000: Nur vier Generationen zu bestrafen, das ist doch immerhin noch besser als Stellen wie 2 Sam 12,10 oder 1 Sam 2,31-33; 2 Sam 3,29, wo sogar noch ferne Generationen unter der Schuld von Missetätern zu leiden haben. Ähnlich schon Augustinus, Enchiridion 47: Dass Gott sein Strafhandeln maximal bis zur vierten Generation ausdehnt, ist doch schon Gnade! Aber beides ist doch nur zynisch – der vierten Generation hilft das wenig. (Zurück zu v.5)
lunnütz (schändlich) - w. „zu Nichtigem/Schändlichem“. (Zurück zu v.7)
mtragen, Heb. naśa`, hält man meist für eine Abkürzung des Ausdrucks „etwas auf den Lippen tragen“, der sich aber sonst nur noch einmal in Ps 16,4 findet. Gemeint wäre dann, dass der Name „nicht unnütz/schändlich ausgesprochen werden darf“ (so z.B. Houtman 2000; Markl 2007, S. 111; Miller 2009, S. 68; Albertz 2015), was man dann wiederum schon in der Antike mit Abstand am häufigsten konkret auf ein verkehrtes Schwören bei Gott bezogen hat. Die Annahme einer geprägten Wendung nur auf der Basis der einen Belegstelle Ps 16,4 und die noch weiterführende Annahme, diese Wendung sei hier auch noch abgekürzt, ist äußerst gewagt. Besser sollte man auf Jes 3,7 und wohl Ex 23,1 verweisen, wo anscheinend wirklich alleiniges naśa` i.S.v. „sprechen“ verwendet wird (vgl. ähnlich im Deutschen: „anheben“ = „sprechen“). Was genau man sich unter einem „den Namen Gottes zu Nichtigem/Schändlichem sprechen“ vorzustellen hat, ist dann aber immer noch unklar; dass wirklich etwas wie Schwüre beim Gottesnamen gemeint sind, ist allenfalls ein educated guess. Neuere Ausleger beschränken sich in der Auslegung daher oft darauf, verschiedene Gelegenheiten aufzuzählen, bei denen man den Gottesnamen aussprechen und damit falsch handeln könnte: Bei Schwüren, aber auch bei Gelübden, bei Flüchen, in der Zauberei, ... (s. z.B. Dozeman 2009; Baker 2017, S. 64f.; Rom-Shiloni 2019, S. 141). Nota bene: Die Präzisierung „zu Nichtigem/Schändlichem“ setzt voraus, dass das strenge Verbot, den Gottesnamen überhaupt auszusprechen, noch nicht galt. Selbst die alten jüdischen Ausleger dachten zumeist nicht hieran, anders als viele aktuelle populärtheologische Auslegungen.
Skulptur des ägyptischen Generals Haremhab; hier dargestellt als Schreiber. Auf seinem Arm das Symbol des Gottes Amun. Ägypten, 13. Jhd. v. Chr. CC0 via TheMet
Unabhängig davon findet neuerdings in der Auslegung eine alternative Deutung immer mehr Anhänger: Der entsprechende akkadische Ausdruck „našû einen Namen“ heißt „(als Zeichen der Zugehörigkeit) einen Namen als Brandmal tragen“ (CAD 11, S. 86). Bei der im CAD verzeichneten Belegstelle wird dies von einer gebrandmarkten Kuh gesagt; der entsprechende Brauch ist aber im ganzen Umland Israels und der westlichen Antike auch bei Menschen sehr breit bezeugt: Besonders Sklaven eines Besitzers, Soldaten eines Königs oder Diener eines Gottes trugen den Namen oder das Symbol ihres Herrn als Branding, als Tattoo oder als Narbendekoration auf der Haut, meist entweder auf dem Arm oder auf der Stirn (für Beispiele s. z.B. ThWNT VII s.v. stigma, Mendelsohn 1949, S. 42-50; Stolper 1998; Dandamaev 2009, S. 229-234; Huehnergard/Liebowitz 2013; für Beispiele speziell für den Namen oder das Symbol JHWHs vgl. z.B. Jacobs 2014, S. 7-16 und s. zu Sebastians PF von Gen 4,15). Auch von Judäern ist dies belegt; so in den Elephantine-Briefen B33: „Peṭosiri ..., ein Sklave, brandmarkte seine rechte Hand auf Aramäisch [mit] einem Brandmal, das lautete: ‚gehört Mibtachja‘.“; B39: „Meschullam ben Zakkur ... sagte zu seiner Sklaven Tapemet, die auf ihrer rechten Hand gebrandmarkt war wie folgt: ‚gehört Meschullam‘...(Üs. nach Porten 1996, S. 200.220). Noch Pseudo-Phokylides muss um die Zeitenwende dazu mahnen, die Brandmarkung von Sklaven doch bitte zu unterlassen (225) und Philo berichtet noch zur selben Zeit in SpecLeg I 58 vom entsprechenden Brauch beim „Götzendienst“. Bar-Ilan 1989, 2018; Block 2011 und v.a. Imes 2018 in Buchlänge haben daher vorgeschlagen, den Ausdruck auch hier entsprechend zu deuten: Gott soll der einzige Gott der Israeliten sein, entsprechend sollen diese – wahrscheinlich metaphorisch – seinen Namen tragen, und dies nur nicht laššaw`: „ohne Effekt“ oder gar so, dass sie gleichzeitig freveln – und hieraus folgen dann glatt alle weiteren Ge- und Verbote im folgenden Text. Diese Deutung ist besser: so gelesen ist der Ausdruck klar und fügt sich das Gebot besser zum Vorangehenden und baut eine Brücke zum Folgenden. (zu v.7)
ntFN: Casus pendens. So übersetzen sehr merkwürdig aber nur H-R und TEX; fast alle anderen: „Denke an den Sabbat, dass du ihn heiligst“, was man sogar im Deutschen als Casus pendens erkennt. Will man die Wortstellung des Heb. nachahmen, kann man übersetzen wie : „Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig“. (Zurück zu v.8)
oarbeiten - Heb. ´abad, das übliche Wort für „arbeiten“. Gleichzeitig aber dasselbe Wort, das auch in V. 5 i.S.v. „dienen“ verwendet wird und wovon auch das Wort für „Sklave“ in „Sklavenhaus“ (V. 2) abgeleitet ist: Nachdem Gott Israel aus dem Sklavenhaus befreit hat, verhindert er mit seinen Vorgaben, dass sich Israel anderen göttlichen Herrn als Sklaven unterwerfen und zu Sklaven ihrer Arbeit werden können: Israel hat frei zu sein, grundsätzlich und speziell in Bezug auf andere Götter und die Arbeit (gut Crüsemann 1983, S. 58). (Zurück zu v.9)
ptFN: „Sabbat“ schillert zwischen Eigenname und Klassennomen; es gibt daher mehrere Stellen wie diese, bei denen man einen Artikel vermisst und im Dt. ergänzen muss (vgl. Grund 2011, S. 94). Die Üs. „ein Ruhetag“ in manchen Üss. ist falsch; sie geht noch von der alten Meinung aus, „Sabbat“ leite sich ab vom Verb šabbat („aufhören“, also: „Aufhör-Tag“ = „Ruhetag“) statt vom akkadischen šabattu („Vollmond“, s. zur Etymologie bes. Rechenmacher 1996; Grund 2011, S. 43-49). (Zurück zu v.10)
qSabbat für JHWH, d.h. er ist „JHWH geheiligt“, „gehört nicht mehr dir, sondern JHWH“.
Anm. d. ZL (S.W.): Aber der Fokus liegt hier klar auf „für JHWH“, nicht auf „Sabbat“. Ich möchte daher vorschlagen, „Sabbat“ als Apposition zum „siebten Tag“ aufzulösen (zur Artikellosigkeit s. vorige FN): „Der siebte Tag, der Sabbat, [ist/sei] für JHWH“: er gehört JHWH. Im Heb. ist das Prädikat dann nur l-JHWH, wie man auch beim auf die Haut geschriebenen Gottesnamen l-JHWH geschrieben hätte. Eine Neben-Pointe ist dann: „Gehörst du mir, gehört auch dein Sabbat mir“. So hat m.W. aber bisher niemand aufgelöst.
Spekulation d. ZL (S.W.): Ist das richtig, fällt auf, dass „Sabbat“ hier alle drei Male präzisiert wird: In Vv. 8.11 durch die Formulierung „Sabbat-Tag“ und die jeweilige Ergänzung, dass es der siebte Tag nach den sechs Tagen nicht-Sabbat ist, und in V. 10 durch die besagte Apposition „der siebte Tag, der Sabbat“. Man ist sich heute in der Forschung recht einig, dass der alte Ruhetag alle sieben Tage (s. Ex 23,10-12; 34,21) und der alte Vollmond-Sabbat (s. bes. 2 Kön 4,23; Jes 1,13; Hos 2,13; Am 8,5) erst in der exilischen oder früh-nachexilischen Zeit zusammengeführt wurden, wonach erst der je siebte Tag zum arbeitsfreien Sabbat wurde (vgl. einführend Sabbat (AT) (WiBiLex); dort weitere Lit.). Man ist sich auch einig, dass der Dekalog – oder, falls wirklich eine Kurzform des Dekalogs schon älter sein sollte, mindestens die erste Vollform des Sabbatgebots – nicht wesentlich später entstanden sein dürfte. Es ist dann gut möglich, dass das doppelte „der Sabbat-Tag ... am siebten Tag“ und das „der siebte Tag – gemeint ist der Sabbat“ gezielt dazu dienten, die Identität von siebtem Tag und Sabbat überhaupt erst zu etablieren (vgl. ähnlich z.B. Smend 1997, S. 28; Köckert 2007, S. 69f.). Dann wäre dies der Witz der priesterschriftlichen Variante des Sabbatgebots in Ex: Anders als in der Dtn-Version würde bewusst nicht dazu aufgefordert, „die Heiligung des Sabbats zu achten“, sondern sich daran „zu erinnern“, und der Sabbat würde nicht mit dem einstigen Frondienst in Ägypten begründet, sondern als ältester und bereits mit der Schöpfung in Gen 2,1-3 eingeführter Feiertag vorgestellt, um damit diesen neuen heiligen Tag als ältestmögliche Tradition darzustellen. (Zurück zu v.10)
rFremder in deinen Toren - Also der in deinem Ort wohnende Immigrant, der oft als Tagelöhner für dich arbeitet, weil er selbst keinen Landbesitz hat. (Zurück zu v.10)
sGut Meynet 2013, S. 11: Erwartet hätte man erstens „Ehre deine Eltern, damit ihre Tage lang sein werden“ und zweitens „damit deine Tage lang sein werden auf dem Land, dass sie dir geben werden“. Beide naheliegenden Zusammenhänge werden hier aufgebrochen: Du selbst bist es, dessen Tage sich so verlängern werden, und Gott ist es, der dir das Land gibt, auf dem du deine langen Tage verbringen darfst. Man darf sich danach wahrscheinlich nicht fragen, was eigentlich der logische Zusammenhang von Elternehrung und langem Leben ist: Die überraschende Formulierung soll gerade zum Ausdruck bringen, dass dies die Frucht der Treue zu diesem Gebot Gottes ist. Vgl. LAB 11,9, wo dies durch eine Ergänzung ausdrücklich gemacht wird: Gott ist es, der dich dann derart segnen wird (Liebe deinen Vater und deine Mutter, und du sollst sie fürchten, und dann wird dir dein Licht aufsteigen. Und ich werde dem Himmel Befehl geben, und er wird dir seinen Regen gewähren, und die Erde wird ihre Frucht schnell bringen. Und du wirst viele Tage leben...“, Üs.: Dietzfelbinger). Verwandt ist die Erklärung von Cassuto 1967: Langes Leben folgt nicht speziell aus der Ehrung der Eltern, sondern Gott lohnt grundsätzlich gutes Handeln wie insbesondere die Treue gegenüber seinen Geboten mit langem Leben (s. Ex 23,24-26; Dtn 6,1f.; 11,8f.; 22,6f.; 1 Kön 3,14; Ps 41,2f.; dagegen Dtn 4,26f.; 30,16-20).
Will man bei dieser Deutung nicht mitgehen, bieten sich verschiedene Optionen an, den Zusammenhang doch „logischer“ zu erklären: (1) Sir 3,8f. (In Wort und Tat ehre deinen Vater, damit von ihm Segen auf dich kommt! Der Segen des Vaters schafft den Wurzelgrund, der Fluch der Mutter jedoch rupft die Pflanze aus.“; der zweite Satz ist wahrscheinlich Entfaltung der Rede vom „lange leben auf dem Land“ in unserem V.) legt nahe, dass es der Segen der Eltern ist, der langes Leben verleiht (zum lebensverlängernden Segen s. Dtn 30,16-20). (2) Vorstellen könnte man sich mit Bekhor Schor, Köckert 2007, S. 75 und Miller 2009, S. 203f. auch noch etwas wie: Wenn du deine Eltern ehrst, werden wahrscheinlicher auch deine Kinder dich ehren und so wirst du lange leben können – vgl. insb. Sir 3,5: „Wer den Vater ehrt, wird selbst durch die eigenen Kinder erfreut werden.“ Diesen Konnex gibt es auch häufiger in der griechischen Spruchweisheit (z.B. Sprüche der sieben Weisen, Spruch 8: „Welche Gefälligkeit du den Eltern erweist, solche kannst du auch selbst im Alter von deinen Kindern erwarten.“; Pseudo-Isocrates, Ad Dem 14a: „Verhalte dich so gegenüber deinen Eltern, wie du dir wünschst, dass deine Kinder sich dir gegenüber verhalten.(3) Die Erklärung von Jacob 1997 und Houtman 2000, Ehrung der Eltern sei Bedingung für einen gesunden Volkskörper, der dann als Kollektiv lang im Land Israel existieren kann (ähnlich schon ibn Ezra), scheint mir (S.W.) arg kompliziert. (4) Markl 2007, S. 118 deutet anscheinend so: Auf das Verfluchen der Eltern und den Ungehorsam ihnen gegenüber steht die Todesstrafe (Lev 20,9; Dtn 21,18f.); „lange leben“ heißt also nur: „nicht vorzeitig zur Strafe getötet werden“. Aber „lange leben“ ist doch wohl etwas anderes als „nicht früh getötet werden“?
Wie aber „ehrt“ man eigentlich seine Eltern? – Besonders zwei Deutungen bieten sich an:
(1) Die aussagekräftigste Parallele in der Bibel ist Mal 1,6f.: „Ein Sohn muss den Vater ehren und ein Sklave den Herrn. Wenn ich, Gott, Vater bin, wo werde ich geehrt? Und wenn ich Herr bin, wo werde ich gefürchtet? ... Ihr bringt unreines Brot als Opfer auf meinem Altar dar und sprecht dann auch noch: ‚Hm? Wo sollen wir dich denn verunreinigt haben?!‘, und gleichzeitig: ‚Ich verachte JHWHs Altar!‘“. JHWH als Vater zu „ehren“ hieße demnach, ihm durch Wort und Tat den gebührenden Respekt zukommen zu lassen. Ähnlich ist wahrscheinlich auch Lev 19,3 zu verstehen: „Ihr sollt vor euren Eltern Furcht/Ehrfurcht haben!“ Was das in Bezug auf die eigenen Eltern konkreter bedeuten kann, lässt sich dann ex negativo bestimmen: Es gibt viele Stellen in der Bibel, die sagen, wie man sich gegenüber den eigenen Eltern nicht verhalten soll und die gut mit diesen beiden Stellen und unserem Vers harmonieren. Dazu gehört es insbesondere, die eigenen Eltern zu verachten (Dtn 27,16; Spr 23,22; 30,17; Ez 22,7; Mi 7,6) und sie zu verfluchen oder zu verspotten (Ex 21,15.17; Lev 20,9; Spr 20,20; 30,11; Sir 3,16. Vgl. noch Sir 3,13: Dies gilt auch, wenn sie bereits dement sind). Außerdem beziehen Eph 6,1-3 und 4QInstrb 2 III 15-19 das Gebot konkreter auf die Pflicht, seinen Eltern zu gehorchen (s. auch Dtn 21,18-21; Spr 1,8; 23,22; 30,17; Mi 7,6; Sir 3,1; Tob 4,4), was an diesen Stellen übrigens zumeist die Pflicht erwachsener Kinder ist, nicht von minderjährigen. Nicht direkt zur Pflicht der „Ehrung“ gehört es wahrscheinlich, die Eltern nicht zu berauben (Spr 28,24) oder gar handgreiflich gegen sie zu werden (Spr 19,26), aber dies versteht sich danach ja von selbst.
(2) Im Alten Israel gab es keine Altersvorsorge und keine Pflegeheime; versorgt und gepflegt wurden alte Eltern von ihren Kindern (s. z.B. Tob 4,3f.; Talmud, b.Jeb 65b). Vor allem im Talmud, b.Qid 31b, wird unser Ausdruck so verstanden: „Die Weisen lehren: Was heißt ... ‚(die Eltern) ehren‘? – Sie mit Essen und Trinken versorgen, sie bekleiden und bedecken, sie ausführen und zurückbringen“ So deuten unseren Vers z.B. auch Lang 2015, S. 32; Zink 2016, S. 43f. und Trimm 2017, S. 249. Näher liegt vom Wort her aber Deutung (1).
tFN: Ptz., verwendet als Futurum instans (vgl. GKC §116p). (Zurück zu v.12)
tmorden - nicht: „töten“; heb. raṣah steht speziell für das „gewalttätige [... unmoralische] Töten“ (ThWAT VII, Sp. 654), allerdings nicht notwendig auch für das „schuldhafte“ (ebd.), sondern auch für den versehentlichen Totschlag (Dtn 4,41f.; Jos 20,3). Wieder ist der Dekalog laxer als z.B. Gen 9,6, wo das Blutvergießen schlechthin mit der Todesstrafe belegt wird. (Zurück zu v.13)
uWichtig: Ehebruch ist im polygamen Israel nicht schon jeder Verkehr außerhalb der eigenen Ehe. Geschlechtsverkehr zwischen einem verheirateten Mann und einer unverheirateten Frau z.B. ist kein „Ehebruch“, sondern hat nur zur Folge, dass der Mann dann auch noch diese Frau heiraten muss (Ex 22,15f.; Dtn 22,28f.). Gemeint ist hier also nur der Einbruch in eine andere Ehe (vgl. z.B. Köckert 2007, S. 78; Coogan 2014, S. 84; Baker 2017, S. 113f.). (Zurück zu v.14)
vkidnappen - so Mechilta; b.San 85b; Raschi, Ramban; kürzlich auch wieder Coogan 2014, S. 85, da ihm sonst die Überschneidungen dieses Gebots mit dem letzten zu groß wären. Vgl. Ex 21,16; Dtn 24,7, wo zwar das selbe Verb verwendet wird, aber natürlich anders als hier noch präzisiert wird, dass von „gestohlenen“ Menschen die Rede ist. Dass dies auch hier gemeint ist, liegt äußerst fern. S. noch zum letzten Gebot. (Zurück zu v.15)
wDer Nächste, heb. re´, von ra´ah („zusammensein, Umgang haben mit“), ist jeweils der, mit dem man „Umgang hat“ (Jacob 1997; Dohmen 2004; Albertz 2015) und daher nicht auf bestimmte Gruppen von Menschen wie den „Volksgenossen“ (Cassuto 1967; Childs 1974; Baker 2017, S. 136) oder gar nur den „Vollbürger aus dem eigenen Volk“ (Childs 1974; Crüsemann 1983, S. 63; Houtman 2000) eingeschränkt: In Ex 11,2 etwa sind auch Ägypter „Nächste“ von Israeliten. Die Pointe des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) ist es ebenfalls, dass nicht nur Volksgenossen und erst recht nicht nur höhergestellte Volksgenossen „Nächste“ sind. Am besten übersetzt man daher mit etwas wie „Mitmensch“. Köckert 2007, S. 81 verbindet den Ausdruck klug mit der Philosophie von Kant: Der „Nächste“ ist jeweils das Gegenüber, „an dem die eigene Freiheit ihre Grenze findet“. (Zurück zu v.16 / zu v.17)
xZeuge - Gemeint ist mit dem Wort speziell derjenige, der vor Gericht aussagt. Inbegriffen ist allerdings auch der, den man heute als „Ankläger“ oder „Verteidiger“ bezeichnen würde (vgl. Wells 2004, S. 44-48); am treffendsten ist daher zu übersetzen: „Du sollst vor Gericht nicht lügen“. Ein drittes Mal ist der Dekalog hier laxer als z.B. Lev 19,11, wonach man grundsätzlich nicht lügen darf, oder Ex 23,7, wonach man nicht einmal in die Nähe von Lügen kommen soll. (Zurück zu v.16)
ygieren - trad. „begehren“. So sollte man nicht mehr übersetzen, da das Gebot in der populären Auslegung oft ungut und unzutreffend dahin konkretisiert wurde, sich in die Frau eines anderen zu verlieben oder einen anderen um seine Habe zu beneiden. Das kann das heb. Wort ḥamad selten zwar auch bedeuten (Jes 53,2: „Hässliche Menschen attraktiv finden“; Spr 1,29: „Lust daran haben, andere zu verspotten“; Hld 2,3: „Gefallen daran finden, im Schatten eines Baums zu sitzen“). Sonst steht das Verb aber stets dafür, etwas haben zu wollen, oft konkret als Vorstufe des Raubs (z.B. Ex 34,24; Dtn 7,25; Jos 7,21; Spr 12,12; Am 2,7; Mi 2,2). Das ist hier weit wahrscheinlicher gemeint, da ja kaum verboten wird, z.B. das Rind eines Mitmenschen prachtvoll zu finden (richtig z.B. Houtman 2000; Dohmen 2004; Köckert 2007, S. 83). Schüngel-Straumann 1973, S. 57; Crüsemann 1983, S. 76f.; Coogan 2014, S. 90; Albertz 2015, S. 70 glauben gar, das Verb stehe gar nicht für das „Gieren“, sondern synekdochisch bereits für den Raub. Aber dann hätte Coogan recht und das Gebot wäre wirklich identisch mit den Verboten von Diebstahl und Ehebruch. (Zurück zu v.17)
zwar gewesen - so v.a. Cassuto 1967; Jacob 1997 nach Raschbam: Vv. 18-21 lassen nicht erkennen, dass soeben der Dekalog offenbart wurde. Eine sehr große Mehrheit an Auslegern nimmt daher an, dass der Dekalog erst später hier eingefügt wurde und 20,18 ursprünglich direkt an 19,19 anschloss. Raschbam, Cassuto und Jacob wollen das selbe Phänomen stattdessen damit erklären, dass Exodus hier nicht chronologisch erzähle, sondern dass das in Vv. 18-21 Berichtete schon vor der Offenbarung des Dekalogs geschehen sei, nämlich ebenfalls just nach dem, was Ex 19,19 berichtete, und dass die Erzählung davon aus irgendeinem Grund hier nur noch nachgeliefert worden sei. Das liegt sehr fern. (Zurück zu v.18)
aasehend (wahrnehmend?) - Heb. R`H, womit meist visuelle Wahrnehmungen bezeichnet werden, was nicht gut zu den Donnerschlägen und zum Schofargetöse passt. ibn Ezra; Dohmen 2004; Albertz 2015 u.a. denken, dies sei unproblematisch, da das Verb auch allgemein „wahrnehmen“ mit akustischen Sinneseindrücken als Objekt bedeuten könne. Das wäre möglich, s. neben Vv. 18.23 noch Gen 42,1f.; 1 Sam 19,3; dazu ThWAT VII 235. Aber mindestens SamP sah es offenbar als nötig an, hier sprachlich zu glätten, und bietet daher stattdessen den Wortlaut „Das ganze Volk hörte die Donnerschläge und das Schofargetöse und sie sahen ...“ Vgl. auch Mechilta de Rabbi Schimon: „Für gewöhnlich ist's unmöglich, Donner zu sehen.“ Wahrscheinlicher ist das Verb hier also doch erklärungsbedürftig.
Einige Vorschläge: (1) Schwienhorst-Schönberger 2005, S. 57f. und Berner 2013, S. 387, denken, allein über dieses Verb solle zum Ausdruck kommen, dass das Volk übrigens leider von Gottes Offenbarung gar nichts verstanden, sondern nur unverständliche optische Eindrücke wahrgenommen habe. Aber welcher Hörer hätte sich das so erschlossen? Nimmt man noch V. 19 hinzu, der den Anschein erweckt, als hätten die Israeliten gar nichts von einer Gottesrede mitbekommen, müsste man dann ja sogar am natürlichsten annehmen, dass das Volk nicht einmal begriffen hätte, dass der entsetzliche Lärm Gottes Sprechen war. (2) Ich (S.W.) möchte daher alternativ und wohl einfacher vorschlagen: Im nächsten V. bittet das Volk ja explizit darum, JHWH nicht (mehr) hören zu müssen. Wahrscheinlich soll daher bereits durch das Fehlen von „Hören“ in diesem V. nur angedeutet werden, dass das Volk entsetzt wegehört hat. Beide Deutungen erklären auch am besten das Partizip „es [war] sehend (gewesen)“ zu Beginn des Verses, das wohl ausdrücken soll, dass dieses Sehen zeitgleich mit der Offenbarung des Dekalogs geschah. (3a) Wieder anders glauben ibn Ezra und Kass 2021, S. 335f., das nicht ganz passende Wort solle die Verwirrung des Volks ausdrücken; (3b) Sarna 1991 und Sommer 2015, S. 41 meinen ähnlich, durch das unpassende Verb solle das Übernatürliche der Selbstoffenbarung Gottes als unbeschreiblich dargestellt werden. (4) Markl 2007, S. 124f. schließlich schlägt vor, mit dem Verb solle nur auf den V. Ex 19,11 angespielt werden, nach dem Gott „vor den Augen des Volks“ auf den Berg hinabsteigen würde. (Zurück zu v.18)
abFackeln - V. 18 soll offensichtlich noch einmal die übernatürlichen Phänomene aus Ex 19,16.18 zusammenfassen. Danach sind die Fackeln vielleicht die „Blitze“ aus V. 16 (so z.B. Stoppel 2018, S. 295; Kass 2021, S. 335; die meisten dt. Üss. inkl. SLT 51: „Donnerschläge und Blitze“), wahrscheinlicher aber die einzelnen Lohen des Feuers aus V. 18 (so ELB, NeÜ, SLT 2000, TAF, TUR, van Ess: „Donnerschläge und Flammen“).
Redaktionskritik: Dass diese Phänomene in einer Wiederaufnahme noch einmal aufgegriffen werden, macht sehr wahrscheinlich, dass dieser Versteil (bis „rauchender Berg“) erst später gemeinsam mit dem Dekalog hier eingefügt wurde. So die meisten Redaktionskritiker. Da der Versteil sich aber glatt in die Erzählung fügt, kann man ihn problemlos mitübersetzen. (Zurück zu v.18)
acTextkritik: Die meisten Vrs. wie MT: „es sah“. LXX und VUL aber mit anderer Vokalisierung: „es fürchtete sich“. Wahrscheinlicher wurde ursprüngliches „fürchten“ an „sehen“ in V. 18a assimiliert als dass ursprüngliches „sehen“ an das „fürchten“ in V. 20 assimiliert wurde. So z.B. auch Houtman 2000; Propp 2006; Albertz 2015. (Zurück zu v.18)
adTextkritik: SamP, LXX, TgJ assimiliert in V. 18b an 18a: „das ganze Volk“. Ähnlich viele LXX-MSS, VL und JosAnt 11,15 in V. 21. (Zurück zu v.18 / zu v.21)
aezitterte (stolperte zurück?) - Die Alternative nach ibn Ezra; so auch Ehrlich 1908, S. 345; Houtman 2000; Dohmen 2004; ALTER. ibn Ezra und Ehrlich leiten diese Wortbed. aber nur daraus ab, dass das Volk am Ende des Verses „in der Ferne steht“. Da ´MD auch „sich hinstellen“ bedeuten kann, ist das Versende aber unproblematisch und keinesfalls stark genug als Indiz zur Ansetzung einer weiteren Nebenbed. des häufigen Verbs NW´ („zittern, schwanken, umhergehen“). Auch die Vrs. deuten durch die Bank als „zittern“, inkl. 4Q377 2 ii 9. So explizit auch Mechilta: „´md heißt nur ‚schwanken‘.“ Urkomisch sogar der Midrasch zu den Zehn Geboten: Mehrere frühjüdische Schriften ergänzen zum „sich in der Ferne hinstellen“: „12 Meilen in der Ferne“; hiernach der Midrasch: „Als die Israeliten die göttliche Rede hörten, wurden sie zwölf Meilen weit fortgeschleudert.“ (Zurück zu v.18)
afdie Furcht vor ihm soll vor (auf) eurem Gesicht sein, entweder soll also Israel sich stets vor Augen halten, dass Gott Ehrfurcht gebührt (Propp 2006), oder der Israelit hat einer zu sein, dem die Ehrfurcht vor Gott beständig ins Gesicht geschrieben steht (wie für Papst Franziskus dem Christen die Freude über die Erlösung beständig ins Gesicht geschrieben stehen soll; so zur Stelle Jacob 1997). Die meisten kommunikativen dt. Üss. übersetzen frei „damit ihr Ehrfurcht vor ihm habt“ o.Ä.; wie Propp aber z.B. , LUT, TUR, ZÜR („damit die Furcht vor ihm euch vor Augen stehe“); BB („Haltet euch vor Augen, dass er zu fürchten ist“); MEN, ZÜR 31 („damit die Furcht vor ihm euch gegenwärtig bleibt“); wahrscheinlich wie Jacob B-R („dass seine Furcht euch überm Antlitz sei“). (Zurück zu v.20)
agSchwieriger Satz; zum einen wegen der paradoxen Formulierung „Fürchtet euch nicht, denn Gott ist gekommen, damit ihr Furcht habt“, zum anderen wegen der Rede von der „Erprobung“ / „Versuchung“, einem komplexen Konzept im AT (dazu vgl. z.B. Lohfink 1981, S. 58-70; Frevel 2018, S. 35-38; Braulik 2019, S. 25-39). Zu berücksichtigen ist auch Dtn 5,28f. ([Gott sprach: „Über die Bitte, dass du statt ihnen mit mir sprichst, ist zu sagen:] Alles, was sie gesprochen haben, ist gut. Oh dass sie sich doch diese Gesinnung, mich alle Zeit zu fürchten und meine Gebote zu beachten, bewahren mögen! Dann wird es ihnen und ihren Nachkommen auf ewig wohl ergehen!“): Unabhängig davon, ob Ex 20,18-21 oder Dtn 5,23-33 älter ist (s. nächste FN), wird in jedem Fall einer der beiden Aussprüche durch den anderen kommentiert.
Erprobung durch Gott in der Wüste ist eine geläufige Idee in den Büchern Ex und Dtn, s. Ex 15,25; 16,4; Dtn 4,34; 7,19; 8,2.16; 29,2; 33,8; konzeptuell ähnlich auch Gen 22,1; Dtn 13,4; Ri 2,22; 3,1.4; 2 Chr 32,31. Schon die bloße Versliste macht sehr wahrscheinlich, dass die Idee der Wüsten-Erprobung eine deuteronomistische ist, dass also eher Ex 20,19-20 nach Dtn 5,23-29 gebildet wurde als umgekehrt. Genauer liegt in dieser Idee: Gott hat durch eine Reihe von Erprobungen Israel darauf trainiert, „sein Volk“ zu sein (Dtn 4,34), das seine Gebote hält, und gewährt ihm als Gegenleistung für das Bestehen jeder Trainingseinheit wie auch für das Halten seiner Gebote jeweils Gnadengaben. In Ex 15,23-27 kommt die Idee am konzisesten zum Ausdruck: Israel hat Durst, findet aber zunächst nur bitteres Wasser (23-24). Mose macht das Wasser trinkbar, gibt dem Volk bei dieser Gelegenheit ein erstes Mal Gebote und kommentiert dies damit, dass dies „Erprobung“ sei (25f.). Offenbar bewährt sich das Volk, und also führt Gott sie in V. 27 nach Elim, einem Ort mit gleich zwölf Wasserquellen. Vgl. so ausführlich auch das ganze Kap. Dtn 8.
Unser Vers mit der überraschenden Formulierung „Fürchtet euch nicht, denn Gott ist gekommen, damit ihr Furcht habt“ lässt sich dann entweder so verstehen, dass das Volk bei dieser konkreten Gelegenheit Gottes Probe bereits bestanden hat, weshalb gar kein Grund mehr zur Furcht besteht: (1) Childs 1974; Houtman 2000; Irsigler 2021, S. 282: Sie haben sich grundsätzlich als Gott fürchtend erwiesen und so seine Probe bestanden; (2) Jacob 1997: Sie haben richtig damit gewählt, Mose zu ihrem Propheten zu machen, was Gott nach Ex 19,9 ja wirklich geplant hatte; (3) Stoppel 2018, S. 306: Sie haben richtig damit gewählt, dass sie nicht wie in Ex 19,13 gestattet auf den Berg gestiegen sind, sondern respektvoll Abstand gewahrt haben; (4) Albertz 2015: Alles davon.
Oder man versteht ihn à la „Jungs, ihr kennt das doch schon! Das ist nur wieder eine Probe von Gott“ – aber bestanden ist diese Probe noch nicht. (5) Gemeint ist nämlich der Dekalog, der als Kurzfassung von Gottes Geboten soeben nur schon mal testweise erlassen wurde (Propp 2006), (6) oder die 40-tägige Abwesenheit von Mose, die sich gleich anschließen wird (Ruppert 1972, S. 62). Bei diesen beiden Proben würden die Israeliten dann in Kap. 32 durchfallen.
Liest man unseren Vers mit Dtn 5,28f. zusammen, liegt davon klar (1) am nächsten. Jede der Deutungen oben erfordert dabei, „Furcht“ im doppelten Sinn zu nehmen: „Habt keine Angst: Gott will ja nur, dass ihr Ehrfurcht vor ihm habt.“ (z.B. Childs 1974; Oswald 1998, S. 51; Propp 2006). (Zurück zu v.20)
ahRedaktionskritik: Die meisten neueren Redaktionskritiker halten Vv. 19-20 für eine spätere Ergänzung nach Dtn 5. Dafür sprechen in der Tat stark die Wiederaufnahme von V. 18 in V. 21 und die Tatsache, dass die Versuchungs-Idee in V. 20 wahrscheinlich eine deuteronomistische Idee ist (s. vorige FN). Für eine ausführliche Analyse vgl. Berner 2013, S. 384; ebenso z.B. Oswald 1998, S. 50; Aurelius 2003, S. 159; Germany 2017, S. 117. Blum 1990, S. 93f. und Schmitt 2022b, S. 46 haben eingewandt, dass Dtn 5 glatter ist als Ex 20,18-21, was überraschte, wenn Dtn 5 der Geber- und Ex 20 der Nehmertext wäre. Aber sperrig ist der Abschnitt Ex 20,18-21 in der Formulierung nur wegen der Wiederaufnahme, die so erklärlich wurde. Konzeptuell ist er eigentlich nicht sperrig; er wirkt auf den Ausleger nur so, weil in der Exegese so viele verschiedene Deutungsvorschläge zur „Erprobung“ in V. 20 nebeneinander diskutiert werden. Aber das ist ja nicht die Schuld des Textes. Wie schon die deuteronomistische Ergänzung in Ex 19,3-8 fügt sich auch diese glatt in den Textverlauf, so dass man sie ohne Probleme mitübersetzen kann. (Zurück zu v.21)
ai[Weil] - Nur durch Wortstellung (S – V statt V – S) markierter Nebensatz. Mit „weil“ übersetzt m.W. kein Kommentar, stattdessen werden Vv. 22.23 regelmäßig als zwei Hauptsätze übersetzt. Dass V. 22 aber auch textlogisch die Basis ist, auf der Vv. 23ff. geboten werden, ist klar (s. z.B. Cassuto 1967; Sprinkle 1994, S. 37; Houtman 1997, S. 51; Propp 2006); z.B. auch Tigay 2004, S. 203; Kass 2021, GN, LUT, MEN, NeÜ, NL, SLT leiten daher stattdessen V. 23 ein mit „Darum“. (Zurück zu v.22)
ajSehen“ ist wieder das Verb R`H wie in V. 18. Hier ist es aber unproblematisch: Dass es vom Himmel her war, von wo Gott mit ihnen redete, mussten die Israeliten ja wirklich sehen. (Zurück zu v.22)
akvom Himmel (her) - Mit dem „vom-Himmel-her-Reden“ ist gewiss die Offenbarung der Zehn Sprüche gemeint. Diese erfolgte in Exodus aber strenggenommen vom Berg aus, nicht vom Himmel her wie in Dtn 4,36. Überraschend viele Ausleger nehmen daher an, ein deuteronomistischer Autor habe den Wortlaut unseres Verses nur hier ziemlich unpassend an die Szenerie von Dtn 4 angepasst, wonach der Text sich nun mit dem Rest von Ex 19-20 beißt (z.B. selbst noch Albertz 2015). Aber das wäre ein merkwürdiger Autor, der Ex 19 unangetastet gelassen und nur hier den Text geändert hätte. Die komplizierte Annahme ist auch ganz unnötig; dass der Berg nach der Herabkunft Gottes in den Himmel ragt, ließ sich in Ex 19,18 ja deutlich sehen – auch von diesem Berggipfel aus sprechend ist Gott damit noch im Himmel (ähnlich z.B. Cassuto 1967; Sprinkle 1994, S. 30; Oswald 1998, S. 155; Propp 2006). (Zurück zu v.22)
alUmstrittener Satz. Nach den Akzenten des hebräischen Textes müsste man auflösen wie in der Alternativübersetzung (zu „nichts bei mir“ vgl. v.a. Jes 63,3: „Von den Völkern [war] kein Mensch bei mir.“). Ob das sprachlich möglich ist, ist aber nicht sicher, da umstritten ist, ob heb. lo` („nicht“) wirklich auch nominal übersetzt werden kann („ihr dürft nichts bei mir machen“, sc. „ihr dürft nichts machen, was dann bei mir wäre“, wie laut V. 3 „keine Götterbilder vor mir“ stehen dürfen). Ließe sich lo` wirklich so übersetzen, sollte man wegen der klaren Parallele zu V. 3 gewiss dem hebräischen Text folgen und so übersetzen wie in der Alternative. Dies tun z.B. Houtman 1997, S. 50; Jacob 1997; Janowski 2011, S. 4; Albertz 2015; Schmitt 2022c, S. 220. Aber es gibt keine guten Parallelen für diese Verwendung von lo`: Anhänger der Dahood-Schule nennen zwar häufiger v.a. einige Ijob-Stellen (Ijob 3,16; 6,21; 9,16 [wo auch noch der Athnach zu verschieben sein soll]; 11,11; 24,25; 31,32; Spr 19,7; Jes 53,3). Nur bei Ijob 6,21 wird diese Ansicht aber auch in Mainstream-Lexika wie BDB oder HALOT geteilt; ähnlich ZLH („Ihr seid ein Nein geworden“). Und da gerade in diesem Vers nicht einmal sicher ist, ob dort überhaupt auch wirklich unser Wort steht (s. zur Stelle), kann man diese Übersetzung hier nicht mit diesem unsicheren Vers rechtfertigen. Besser vertretbar ist es daher, entgegen den hebräischen Akzenten das „Götter aus Silber“ noch zum ersten Satz zu ziehen und dann zu übersetzen wie oben vorgeschlagen (so die meisten).
Der Satz ist dann ein Hyperbaton: Sowohl „bei mir“ als auch „für euch“ bezieht sich auf beide Objekte, also: „Ihr dürft euch für euch nichts machen, das dann bei mir wäre: Weder Götterbilder aus Silber noch Götterbilder aus Gold“.
Textkritik: Statt „bei mir“ setzt LXX wie in 23b auch in Zeile a „für euch“ voraus; ähnlich Syr: „bei mir für euch“; in VUL fehlen beide Ausdrücke. Aber LXX ist gewiss nur Assimilation von Zeile a an Zeile b, Syr ein Kompromiss aus LXX und MT. (Zurück zu v.23)
amSehr spannende Bestimmungen. (a) Die häufigste Form öffentlicher Altäre, die man in Israel gefunden hat, sind Altäre aus behauenem Kalkstein, (a1) entweder aus zurechtgehauenen Quadern wie der zu Am 3,14 abgebildete (weitere Abbildungen z.B. bei Waszkowiak 2014, S. 49.57) oder (a2) in einem Stück aus dem Fels gehauen wie die Schilo-Altäre. (b) Vergleichbar mit a1 sind Altäre aus gebrannten Lehmziegeln wie die von Tell el-Hayyat oder Tell Haror. (c) Der Opferaltar, der in Ex 27,1f. für die Stiftshütte gebaut werden soll, wird aus Holz und Kupfer sein; (d) der Räucheraltar der Stiftshütte in Gen 37,25 aus Holz und Gold; ebenso der Altar des Jerusalemer Tempels in 1 Kön 6,20.
Mindestens die Altartypen (a), (c) und (d) scheinen mit den Bestimmungen hier aber verboten zu werden: Entweder wird mit allen Versen insgesamt nur ein Altartyp erlaubt, der aus sowohl Erde als auch unbehauenen Feldsteinen erbaut werden soll wie der auf Bild 1 oder der von Motza in diesem YouTube-Video. Oder es werden bis zu drei verschiedene Arten von Altären zugelassen: Erstens ein reiner Erdaltar, wie er – zweifellos auch wegen der vergänglichen Konstruktionsweise (richtig Stendebach 1976, S. 180) – nur sehr selten gefunden wurde; rechts auf Bild 2 etwa ein überkalkter und nur deshalb so gut erhaltener Erdaltar aus Aschkelon (Philistäa). Da es solche aber zweifellos gab, ist es unwahrscheinlich, dass die Bezeichnung „Erdaltäre“ eigentlich „Lehmziegel-Altäre“ meint (so z.B. Conrad 1968, S. 21-31; Crüsemann 2015, S. 202; Schmitt 2022c, S. 218). Zweitens wieder der nicht-begehbare Erd-und-Feldstein-Altar wie der auf Bild 1. Und drittens ein reiner Feldsteinaltar, den man sich dann als mit Rampe begehbaren Großaltar vorzustellen hat wie den berühmten „Josua-Altar“ auf dem Ebal (Bild 3), der aber nicht mit Treppe begehbar sein darf wie der in Megiddo (oder der in Ez 43,12).
Was davon wahrscheinlicher ist, hängt auch davon ab, ob mit V. 26 das Besteigen von Altären absolut oder nur das Besteigen von Altären über Treppen statt Rampen verboten wird: Gilt Letzteres und es wird also vorausgesetzt, dass immerhin manche Altäre sehr wohl über Rampen bestiegen werden dürfen, spräche das für die zweite Option, da bisher bei Ausgrabungen kein begehbarer Erd(-und-Feldstein)-Altar gefunden wurden. Gilt Ersteres, wäre die erste Option ebenso möglich. Aber auch die Tatsache, dass Vv. 24.25 zwischen „Altären aus Erde“ und „Altären aus Steinen“ differenzieren, macht die zweite Option wahrscheinlicher: „Altäre aus Erde“ ist Oberbegriff (Sprinkle 1994, S. 38), darunter fallen sowohl reine Erdaltäre, Erd-und-Stein-Altäre und reine Stein-Altäre, und über letztere macht dann V. 26 noch eine weitere Vorgabe.
Wie ist das zu erklären, dass gerade die wichtigsten Altäre der Bibel hier in dieser wichtigsten, von Gott höchstselbst formulierten und niedergeschriebenen Gesetzessammlung verboten werden? Vier Erklärungsansätze sind verbreitet; der erste ist der mir (S.W.) sympathischste:
(1) Sie werden gar nicht verboten; Ex 20 spricht nur über andere Altäre. Und andererseits werden an anderen Stellen der Bibel, wo es heißt, nur in Jerusalem dürfe ein Tempel stehen und nur Priester dürften in diesem Tempel Opfer darbringen, entgegen dem üblichen Verständnis nicht auch lokale Altäre für den privaten oder regionalen Opferkult verboten: Die regionalen Opferstätten, wohin JHWH nur zeitweise „kommt“, und der große Jerusalemer Tempel, wo „JHWHs Name wohnt“, existierten zeitgleich; die kleinen Altäre waren auch rechtlich offiziell erlaubt und Ex 20 bestimmt nur, dass sie keine kostbaren Altäre sein dürfen, damit sie einem Zentral-Heiligtum keine Konkurrenz machen (Sprinkle 1994, S. 44; Pitkänen 2000, S. 56; bes. stark Foreman 2019). Damit lassen sich dann übrigens auch die Miniatur-Altäre erklären, die man zu Hunderten in Israel gefunden hat (vgl. v.a. Zwickel 1990; Katalog aktualisiert durch Szanton 2014; für Abbildungen früher Exemplare s. noch Gat 2019, S. 17ff.24ff., für Abbildungen später Exemplare Stern 2019, S. 90.94.06) und auf denen vermutlich Privatpersonen im eigenen Wohnhaus oder bei ihren Feldern als Opfergaben Brot oder symbolisch Räucherwerk dargebracht haben (Zwickel 1990, S. 250): Auch mit der Errichtung staatlicher Tempel blieben die Israeliten ein „Königreich von Priestern“ (Ex 19,6) und opferte sogar zu Hause, ohne dabei auf ein professionelles Priestertum angewiesen zu sein. Nach Jer 44,15-19.24-28 scheinen zu Hause übrigens v.a. Frauen als Priesterinnen geopfert zu haben. Diese Deutung passt am besten zu den Ergebnissen von archäologischen Ausgrabungen (vgl. z.B. Zwickel 2012; Faust 2019: Der israelitische Kult nie ein überwiegend an zentralen Tempeln praktizierter Kult) und mehrere Stellen selbst im Dtn lassen sich so am besten erklären.
(2) Die verschiedenen Altarkonzepte sind chronologisch zu erklären: Hier in der Wüste und noch bis zur Einführung der Monarchie sind lokale Altäre gestattet, danach aber ist Opfern nur noch am Jerusalemer Tempel erlaubt (z.B. Houtman 1997, S. 72.74; Otto 1999, S. 348f.).
(3) Die verschiedenen Altarkonzepte sind chronologisch zu erklären: Wie der Wechsel vom Sg. zum Pl. zeigt, gilt dieses Altargebot nur konkret für den einen Altarbau von Mose in Ex 24,4, danach gelten die Vorgaben von Dtn 12 (Hossfeld 1982, S. 182f.; Schwienhorst-Schönberger 1990, S. 295; Kilchör 2019, S. 458f.). Aber der Sg. ist gewiss nicht auf Mose zu beziehen, in Ex 24 opfern schließlich die Jünglinge statt Mose, und auch danach werden auch im dtn. Geschichtswerk noch weitere Altäre gebaut.
(4) Die unterschiedlichen Altarkonzepte sind texthistorisch zu erklären: Entweder bietet Ex 20 die älteste Vorstellung, und nach und nach sind immer prachtvollere Altartypen und immer engere Regularien dazu, wer an ihnen opfern dürfe, bestimmt und veröffentlicht worden (so die meisten). Oder Ex 20 bietet einen sehr jungen Text: Entweder soll in diesem nur polemisch gegen die Zentralisierungsbestimmungen des Dtn angeschrieben werden (Conrad 1968, S. 15; Halbe 1975, S. 377ff.; 481f.) oder die deuteronomischen Bestimmungen sollen für die Exilssituation novelliert werden: Weil es im babylonischen Exil weder in Israel noch in Babylon ein zentrales Heiligtum und oft auch keine Priester gab, wurden für diese Zeit auch Opfer an ärmlichen Altären von Nicht-Priestern erlaubt, was dann aber zur Zeit von Esra/Neh wieder zurückgenommen worden wäre (so z.B. Oswald 1998, S. 142f., Levin 2003, S. 99f.; Chavel 2015). (Zurück zu v.24)
anBrandopfer und Gemeinschaftsopfer - zwei der häufigsten Opfer-Arten in der Bibel. Der Ablauf der ersten wird am ausführlichsten geschildert in Gen 22 und 1 Kön 18. Auch ihr Name ist klar: Wörtlich heißt sie „Aufstiegs-Opfer“, der Fokus des Namens liegt also darauf, dass eine zu verbrennende Speise im Rauch zu Gott „aufsteigt“. Auch bei der zweiten ist der Ablauf relativ klar (s. z.B. Lev 3,7ff.): Gemeint ist eine Opferhandlung, bei der ein Teil der Opfergabe für Gott verbrannt und ein anderer Teil bei einem Gemeinschaftsmahl verzehrt wurde. Gott geopfert wurde und Opfergabe war dabei strenggenommen nur der erste Teil; das Wort bezeichnet aber (bes. in jüngeren Texten) noch häufiger den gesamten Zusammenhang Teilweise-Verbrennen-und-teilweise-Essen (vgl. z.B. Willi-Plein 1993, S. 92-95). Ihr Name ist aber umstritten: Heb. heißt sie šalm, was sich gewiss herleitet vom Verb ŠLM, das aber unterschiedlichste Bedeutungen hat: (1) „abschließen, ganz machen“, daher z.B. Lisowsky: „Abschlussopfer“ (nach dem Brandopfer); (2) „ganz sein, heil sein“, daher z.B. ZÜR: „Heilsopfer“; (3) „heil sein, in Frieden sein“, daher z.B. SLT: „Friedensopfer“; (4) „einen Handel abschließen, bezahlen“, nach „Bezahlungs-Opfer“ daher z.B. LUT: „Dankopfer“. Weil die Wortbed. so unsicher ist, übersetzen einige Üss. frei, indem sie nur den Ablauf dieses Opfertyps umschreiben: BigS, GN, R-S: „Mahlopfer“; HER05, NGÜ: „Gemeinschaftsopfer“. Das ist wohl die beste Option. (Zurück zu v.24)
aoTextkritik: ich rufe meinen Namen aus (ich lasse ihn anrufen?, du rufst ihn an) - Schwierige Stelle. Das heb. Verb ist der Hifil von ZKR. Wird das Verb in dieser Wortform mit dem „Namen Gottes“ als Objekt verwendet, sind sonst stets Menschen Subjekt dieses Verbs, die dann Gottes Namen „anrufen“ oder (Gottes Namens=) Gottes „gedenken“ – für gewöhnlich ZKRt Gott nicht selbst seinen Namen, wie dies hier die meisten Versionen bezeugen.
(1) Syr und die Targumim TgN, FTV, PTF bezeugen stattdessen die 2. Pers., was dem gewöhnlichen Sprachgebrauch entspricht: „der Ort, an dem ihr meinen Namen anruft“. Entweder ist dies eine spätere Angleichung an den üblichen Sprachgebrauch (so urteilen die meisten), oder die 1. Pers. in MT und den anderen Textzeugen ist Angleichung des Verbs an die anderen Verben in der 1. Person oder theologische Angleichung an Dtn 12,5, und Syr etc. bieten den ursprünglichen Wortlaut (so urteilen z.B. Heger 1999, S. 28-30; Tigay 2004, S. 203; van Seters 2006, S. 170-173; Chavel 2015, S. 177-179).
(2) In dt. Üss. folgt man sehr einheitlich dem MT und deutet den Hifil dann kausativ: „der Ort, an dem ich meines Namens gedenken lasse“ = „der Ort, an dem ich meinem Namen ein Gedächtnis stifte“ (z.B. ) oder „der Ort, wo ich meinen Namen anrufen lasse“ = „an jeder Stätte, die ich dazu bestimmen werde, dass man mich daselbst verehre“ (z.B. TEX). Aber richtig Schottroff 1964, S. 248: Der Hifil von ZKR ist nie derart kausativ.
(3) Folgt man daher MT, müsste man stattdessen deuten wie ebd.; Stamm 1945, S. 306; Levin 2003, S. 102; Levinson 2008, S. 313f.: Besonders Gen 26,24.25 und Gen 28,13.16-18 schildern, wie Gott zwei Menschen erscheint, seinen Namen nennt, und wie diese daraufhin am selben Ort einen Altar errichten und Gott opfern. Das Selbe geschieht hier, s. zur Namensnennung V. 2, zum Altarbau und Opfer direkt nach der Offenbarung von Dekalog und Bundesbuch Ex 24,4f.. Auch sonst werden im Buch Genesis Altäre häufig nach einer Erscheinung Gottes errichtet; auch, wenn nicht berichtet wird, dass Gott bei dieser Erscheinung seinen Namen genannt habe. Hält man den Wortlaut des MT für ursprünglich, müsste man den Text so deuten: „Überall dort (aber auch nur dort sicher), wo ich dir erscheine und bezeuge, dass wirklich ich es bin, der dir da erscheint, darfst du einen Altar bauen, und dann garantiere ich: jedes Mal, wenn du dann dort opferst, werde ich zu dir kommen und dich segnen.“
Man muss abwägen zwischen (1): Üs. nach Syr oder (3): Üs. nach Stamm. Nur, weil (3) mehr Rückhalt in dt. Üss. und in der Exegese hat, wird hier (3) vorgezogen; an sich ist die textkritische Frage fast unentscheidbar. (Zurück zu v.24)
apTextkritik: SamP, LXX, TgO wie in der Alternative, was nicht nur šm(j) („mein Name“), sondern šm(j) šm („mein Name, dort“) voraussetzt. Das kann gut der ursprüngliche Wortlaut gewesen sein; am Sinn des Texts ändert es aber nichts. (Zurück zu v.24)
aqtFN: W. „Du darfst nicht bauen sie Behauene“. Akkusativobjekt ist nicht „er“, also der Altar, sondern auf das Verb folgt „sie“, die Steine. Ist der Text korrekt, muss dies Akkusativ des Stoffes sein (ebenso Dtn 27,6; 1 Kön 15,22; bes. 1 Kön 18,32) und auch das folgende „Behauene“ ist nicht Objekt des Verbs, sondern das Objekt ist erspart und „Behauene“ steht stattdessen in Apposition zum Akkusativ des Stoffs: „du darfst [den Altar] nicht mit ihnen in Form von behauenen Steinen erbauen“, sc.: „verwende für den Altarbau keine behauenen Steine!“ (Zurück zu v.25)
artFN: ihn - laut dem heb. Text: über „jeden einzelnen Stein“, wieder nicht der Altar, der im Heb. ein anderes Genus hätte. (Zurück zu v.25)
asgehoben - Vielleicht ein Wortspiel: „heben“ ist auch ein terminus technicus aus dem israelitischen Kultwesen: Über einen Altar „gehoben“ werden sonst Opfergaben. Diese Handlung würde hier mit dem „Heben des Schwerts über seinen Steinen“ pervertiert (gtu z.B. Propp 2006). (Zurück zu v.25)
atMit einem Schwert werden Steine sonst nicht behauen. Der Vorschlag z.B. noch von Houtman 1997, S. 56, aus Jos 5,2f. ließe sich ableiten, dass heb. ḥarb auch speziell ein „Werkzeug zur Steinbearbeitung“ bezeichnet werden könnte, liegt sehr fern: Gewiss soll doch dort nicht gesagt werden, dass Israeliten mit einem Meisel beschnitten worden seien, sondern das „Stein-Messer“ ist ein antikes Messer aus Stein statt aus Metall, wie es im Alten Israel selbst noch in der frühen Eisenzeit sehr gebräuchlich war. Besser ist noch die Erklärung z.B. von ibn Ezra und Ramban, ḥarb sei gar nicht speziell das Schwert, sondern hier abzuleiten vom Verb ḤRB („schneiden, spalten“) und bezeichne qua „Schneid-Ding, Spalt-Ding“ doch den Meisel. Dagegen spricht aber die sonst sehr einheitliche Verwendung des häufigen Worts ḥarb. Nach einer der beiden Erklärungen übersetzen dennoch auch viele Neuere hier einfachhin mit „Meisel“ oder „Werkzeug“ (z.B. Dozeman 2009, Albertz 2015, Kass 2021; die meisten dt. Üss. inkl. ZÜR 07).
Kann ḥarb nicht den „Meisel“ bezeichnen, muss man sich fragen, warum dann hier ḥarb („Schwert/Messer“) statt garzen („Meisel“) wie in 1 Kön 6,7 gesagt wird. In der Mechilta wird u.a. angenommen, „Schwert“ sei Metonymie für „Eisen“, so dass der Halbvers in die selbe Richtung ginge wie Dtn 27,5; Jos 8,31 (daher R-S, SLT, TAF, van Ess, ZÜR 31: „Eisen“; BigS, TEX: „Eisenwerkzeug“). Das könnte richtig sein: Man könnte hinter all diesen Versen den weit verbreiteten Aberglauben (ibn Ezra: „Wir sollten nicht nach einer [rationalen] Erklärung für dieses Gebot suchen.) annehmen, Metall und Übernatürliches seien Gegensätze, weshalb Heiliges wie selbst die Bärte von Priestern nicht in Kontakt mit Metall kommen (Bspp. bei Frazer 21 §2) und z.B. für den Altarbau nur `abanim šalimot („heile Steine“) verwendet werden dürfen (Dtn 27,6; Jos 8,31; 1 Kön 6,7). Das „Schwert“ könnte dann der Inbegriff solchen Metalls sein und stünde deshalb ungewöhnlich als Gegensatz zur „Heil-heit“ der Steine (vgl. Olyan 1996) metonymisch für „Eisen“ oder „Metall“. Ist das richtig, übersetzt man besser frei: „... denn dann hättest du ein Eisenwerkzeug über sie gehoben und sie beschädigt“. (Zurück zu v.25)
auWird hier das Besteigen des Altars schlechthin verboten oder nur speziell das Besteigen über Treppen statt Rampen (s. zu V. 24), weil dabei der menschliche Schambereich leichter entblößt werden könnte? Dies hängt auch davon ab, warum und vor wem die menschliche Scham nicht entblößt werden darf: Geziemt sich das nicht gegenüber dem heiligen Altar oder geziemt sich das nicht gegenüber anderen Menschen, wenn man in der Funktion des Opfernden auf dem Altar steht? In beiden Fällen wäre Altisrael mit dieser Ansicht ein Sonderfall im Alten Nahen Osten: Nacktheit galt dort grundsätzlich nicht als anstößig, sondern allenfalls als entwürdigend (s. zu Gen 3,7), und auch deshalb finden sich sogar mehrere Abbildungen von Menschen, die nackt Götter opfern – manche davon wie z.B. diese hier aus Ur erwecken den Eindruck, als sei am Altar Nacktheit sogar normaler als anderswo. Ex 28,42f. hilft auch nicht weiter: Hier wird zwar Priestern die als altisraelitisches Kleidungsstück ungewöhnliche Hose vorgeschrieben, aber wieder lässt sich nicht erkennen, ob damit die Scham des Hosenträgers vor dem Altar oder vor Mitmenschen verborgen werden soll. Das einzige schwache Indiz, an das wir uns hier zur Deutung halten können, ist daher die parallele Formulierung von Vv. 25.26 mit der Präp. ´al: „Du hättest sonst dein Metallwerkzeug über ihn gehoben“ und „damit nicht über ihm deine Scham entblößt wird“. Das legt leicht nahe, dass sowohl das Metallwerkzeug über den Altarsteinen als auch die menschliche Scham über dem Altar das Problematische sind. Ist das richtig, ist wahrscheinlicher, dass das Besteigen des Altars hier grundsätzlich problematisch ist (wonach ja auch nach einer Besteigung per Rampe die menschliche Scham von unten sichtbar wäre), weshalb die Priesterschrift, die die Praxis der Ritualbesteigung beibehalten will, die Priesterhose gebietet, unser Gebot dagegen gleich die Treppe verbietet, über die ein Altar bestiegen werden könnte. (Zurück zu v.26)