Sehr wahrscheinlich gab es in Israel schon recht lange vor der Königszeit Priester. Das Amt des Hohepriesters dagegen kann man mit relativer Sicherheit erst zur Zeit Salomos nachweisen.
In der Königszeit hatte vermutlich jedes Hauptheiligtum einen eigenen „Oberpriester“ - selten bezeichnet als „Hohepriester“, oft nur „der Priester“ -, dem die Aufsicht über den Kult am jeweiligen Heiligtum oblag. Die landesweite Hoheit über den Kult dagegen oblag dem König: Zur Königszeit waren nicht die Priester, sondern die Könige „Hohepriester“.
Die Kultzentralisation von 621 v.Chr. bedeutete einen starken Machtgewinn für den Oberpriester des Hauptheiligtums von Jerusalem, seine zentrale Bedeutung erlangte er aber erst mit dem Ende des Königtums in der nachexilischen Zeit: Wie vorher nur der König wird nun der Jerusalemer Hohepriester gesalbt, die Machtinsignien des Königs - Kopfbund, Ornat und Amtsschild - werden auf ihn übertragen und er übernimmt Funktionen, die ehemals der König innehatte. Der Hohepriester wurde als religiöser und politischer Führer zu einer zentralen Figur Israels, deren Wichtigkeit und Macht in Politik und Religion nicht unterschätzt werden darf. Zu seinen Funktionen vgl. immer noch gut Jeremias 1929.
Mit dem Beginn der römischen Oberherrschaft um 63 v.Chr. büßte das Hohepriesteramt nach und nach wieder an Bedeutung ein; mit der Tempelzerstörung um 70 n.Chr. starb es aus.
Im NT ist neben „dem Hohepriester“ auch 59x die Rede von „den Hohepriestern“; seit Jeremias 1929 versteht man hierunter in der modernen Exegese meist die Priester unter den Angehörigen des Sanhedrins: Den Hohepriester, die „Hohepriester in Rente“, den Tempelhauptmann - Oberhaupt der Tempelpolizei -, den Tempelaufseher, drei Schatzmeister und weitere hochgestellte Funktionäre des israelitischen Priestertums (für eine alternative Interpretation vgl. Schürer 1979, S. 233-235). In der Folge kann dann auch die Bezeichnung „ein Hohepriester“ nicht mehr nur für „den Hohepriester“, sondern auch für einen Angehörigen der anderen eben genannten „Priester-typen“ stehen. Die Bezeichnung „die Hohepriester“ fungiert daher im NT oft als Wechselbegriff für den Jerusalemer Sanhedrin, „Hohepriester und Älteste“ oder „Hohepriester und Pharisäer“ bezeichnet die höchsten jüdischen Lehrinstanzen.
Literatur:
- Backhaus, Knut: Hohepriester, in: Wibilex, 2010; online unter: http://goo.gl/Vlt2Cd.
- Choi, Junghwa: Jewish Leadership in Roman Palestine from 70 C.E. to 135 C.E. Leiden, 2013.
- de Vaux, Roland: Ancient Israel. Its Life and Institutions. Grand Rapids, 1997.
- Jeremias, Joachim: Jerusalem zur Zeit Jesu II B. Leipzig, 1929. online unter: http://goo.gl/9NkX9H
- Kellermann, U.: ἀρχιερεύς, in: EWNT Bd 1, 1980.
- Miller, Patrick D.: The Religion of Ancient Israel. London/Louisville, 2000.
- Morgenstern, Julian: A Chapter in the History of the High-Priesthood, in: AJSLL 44/1, 1938. S. 1-24.
- Schürer, Emil: The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C.-A.D. 135). A New English Version revised and edited by Geza Vermes, Fergus Millar, Matthew Black. Bd II. Edinburgh, 1979.
- Rehm, Merlin D.: Levites and Priests, in: ABD Bd. 4, 1992.
- Reventlov/Ego/Sänger u.a: Priester/Priestertum, in: TRE Bd. 27, 1997.
- Wendel, A.: Hoherpriester, in: RGG Bd 3, 1965.