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Version vom 9. Oktober 2017, 17:51 Uhr
Lesefassung (Klagelieder 2)
(kommt später)Studienfassung (Klagelieder 2)
1 Wie umwölkt der Herr in seinem Zorn,
die Tochter Zion,
warf aus dem Himmel [auf die] Erde
die Herrlichkeit (den Ruhm, die Schönheit) Israels
und gedachte nicht [mehr] des Schemels seiner Füße
am Tag seines Zorns.
2 Vernichtet (verschlungen) hat der Herr
und verworfen〈a〉 die Weiden (Wohnungen) Jakobs,
zerstört (zertrümmert, niedergerissen) hat er in seinem Ärger
die Festungen (befestigten Städte) der Tochter Juda,
warf zu Boden,
entweihte das Königtum (-reich) und seine Obersten (Beamten, Kommandanten, Fürsten).
3 Abgehauen hat er in der Hitze seines Zorns
jedes Horn (alle Macht, Kraft) Israels,
zog zurück seine (schützende) Rechte
vor dem Feind;
und er brannte (wütete) in Jakob wie ein Feuer,
[dessen] Flamme rundherum fraß.
4 Er spannte seinen Bogen wie ein Feind
[der] Pfeil [war] in seiner Rechten〈b〉
und er tötete wie ein Gegner〈c〉
[seine] ganze Augenweide〈d〉.
Im (ins) Zelt der Tochter Zion〈e〉
goss er seinen Grimm aus wie Feuer.
5 Der Herr ist wie ein Feind geworden,
hat Israel vernichtet (verschlungen),
vernichtet (verschlungen) all ihre〈f〉 Paläste
zerstört seine Festungen (befestigten Städte),
er vermehrte in der Tochter Juda
Traurigkeit und Trauer.
6 Er hat seine Hütte〈g〉 wie einen Weinstock〈h〉 preisgegeben〈i〉,
seine Versammlungsstätte zerstört,
in Vergessenheit geraten ließ JHWH in Zion
Fest und Sabbat,
verwarf (verabscheute, verachtete) in seinem grimmigen Zorn
König und Priester.
7 Verstoßen (verworfen) hat der Herr seinen Altar〈j〉,
entweiht (zerbrochen) sein Heiligtum.
Ausgeliefert hat er in die Hand (Gewalt) des Feindes
die Mauern ihrer〈k〉 Paläste.
Man lärmte〈l〉 im Haus JHWHs
wie an einem Festtag.〈m〉
8 JHWH ersann niederzureißen (zu verwüsten)
die Mauern der Tochter Zion
er spannte die Messschnur〈n〉 (hatte geplant),
hat seine Hand nicht zurückgezogen vom Vernichten (Verschlingen),
ließ trauern〈o〉 Wall〈p〉 und Mauer,
zusammen gaben sie nach〈q〉.
9 Niedergesunken auf die Erde sind ihre〈k〉 Tore
vernichtet und zerbrochen hat er ihre Riegel,
ihr König und ihre Obersten (Beamten, Hauptmänner) [leben] in [fremden] Völkern,
es gibt keine Weisung,
auch ihre Propheten bekommen (finden)
keine Offenbarung (Schauung, Vision) JHWHs.
10 Auf der Erde sitzen (wohnen)〈r〉
verstört (erstarrt, stumm)〈s〉 die Alten (Ältesten) der Tochter Zion,
sie haben Staub auf ihr Haupt gestreut,
sich [mit] Sackleinen gegürtet〈t〉;
auf die Erde ließen ihr Haupt sinken
die Jungfrauen Jerusalems.
11 Meine Augen sind in Tränen aufgelöst (dahingeschwunden, erschöpft),
mein Inneres (meine Eingeweide) ist aufgewühlt (gärt, schäumt).
Ausgeschüttet auf die Erde ist meine Leber〈u〉 (mein Leben),
wegen des Untergangs der Tochter meines Volkes,
als Kind und Säugling verreckten
in den Plätzen der Stadt.
12 Sie fragten ihre Mütter:
„Wo sind Getreide und Wein?“,
als sie verreckten wie durchbohrt
in den Plätzen der Stadt,
als sich ihr Leben (ihre Seele) ergoss
in den Schoß ihrer Mütter.
13 Was soll ich dir (als Trost) bezeugen,
was mit dir〈v〉 vergleichen, Tochter Jerusalem?
Was kann ich dir gleichstellen
um dich zu trösten〈w〉, Jungfrau, Tochter Zion?
Denn groß (endlos) wie das Meer [ist] dein Untergang (Zusammenbruch):
Wer wird dich heilen?
14 Deine (Heils-)Propheten hatten Visionen für dich:
Lüge (Leeres) und Tünche〈x〉,
aber deckten nicht auf deine Schuld〈y〉 (Missetat; Strafe),
um abzuwenden dein Schicksal (deine Gefangenschaft).
Sie hatten〈z〉 für dich Orakel (Sprüche)
aus Lüge (Leerem) und Verführung.〈aa〉
15 Es klatschen〈ab〉 über dich [in] die Hände
alle die des Weges ziehen,
sie zischen (pfeifen) und schütteln ihren Kopf
über die Tochter Jerusalem:
Ist dies die Stadt, die sie nennen (man nennt) "vollkommene Schönheit",
"Freude der ganzen Erde (für die ganze Erde)"?
Anmerkungen
a | wörtl.: nicht gedacht (Zurück zu v.2) |
b | Textkritik ― Der masoretische Text ist unverständlich (gegen Kraus, der die Inkongruenz der Genera nicht beachtet): stehend (Mask.) seine Rechte (Fem.). Die Übersetzung folgt dem Vorschlag der BHK. (Zurück zu v.4) |
c | Der masoretische Text überliefert: wie ein Gegner und er tötete. Die Übersetzung folgt dem Vorschlag der BHK. (Zurück zu v.4) |
d | Augenweide - wörtl.: Lust [des] Auges = die Bewohner Jerusalems bzw. Judas. (Zurück zu v.4) |
e | Zelt der Tochter Zion bezeichnet Jerusalem (Zurück zu v.4) |
f | d.h. der Tochter Zion (4c) (Zurück zu v.5) |
g | Hütte ― Wie aus 6b hervorgeht (Versammlungstätte) ist mit Hütte der Tempel gemeint. (Zurück zu v.6) |
h | wie einen Weinstock ― So LXX. Der masoretische Text überliefert wie den Garten bzw. bei Änderung der Vokalisation wie einen Garten. Der LXX hat ein leicht veränderter Text - גפן (géfen) statt גן (gan) - vorgelegen. Zum Bild des Weinstocks vgl. Ps 80,9-17. (Zurück zu v.6) |
i | preisgeben ― חמס (ḥāmas) wird meist mit Gewalt antun übersetzt. Stellen wie Hi 15,33 Jer 18,22 - parallel zu גלה (gāla = aufdecken) - und die Übersetzung der LXX mit διαπεταννύναι (ausbreiten, öffnen) legen jedoch entblößen, des Schutzes berauben als Grundbedeutung nahe. Die Zerstörung des Tempels würde dann mit dem Einreißen der Mauer eines Weingartens verglichen. (Zurück zu v.6) |
j | Der Altar steht als pars pro toto für den gesamten Tempel. (Zurück zu v.7) |
k | d.i. Zions (Zurück zu v.7 / zu v.9) |
l | wörtl. sie riefen (Zurück zu v.7) |
m | In bitterer Ironie vergleicht der Dichter das Kriegsgeschrei bzw. die Angstrufe bei der Eroberung des Tempels mit den Festtagslärm früherer Tage. (Zurück zu v.7) |
n | Messschnur spannen ist Synonym zu ersinnen, planen in 8a. (Zurück zu v.8) |
o | Nämlich um ihre Mannschaften, die getötet worden sind. (Zurück zu v.8) |
p | Wall ― Gemeint ist die Mauer vor der eigentlichen Stadtmauer. Andere übersetzen Heer in der Annahme, dass es sich bei חֵל (ḥēl) um eine orthographische Variante zu חֵיל (ḥêl = Heer) handelt (Zurück zu v.8) |
q | gaben sie nach ― eig. verwelkten sie (Zurück zu v.8) |
r | Auf der Erde sitzen war ein Zeichen von Trauer (vgl. Jes 29,4). (Zurück zu v.10) |
s | wörtl. und verstört sind (Zurück zu v.10) |
t | Zeichen von Trauer und Reue. (Zurück zu v.10) |
u | Das Ausschütten innerer Organe ist in der herbäischen Bibel Ausdruck, dass jmd tödlich getroffen ist (vgl. Hi 16,13). Nach Kraus (S. 40) ist die Leber Sitz der innersten Empfindungen. (Zurück zu v.11) |
v | D.h. mit deinem Untergang. (Zurück zu v.13) |
w | um dich zu trösten ― und dich [damit] trösten. (Zurück zu v.13) |
x | od.: salzlos, fade (Zurück zu v.14) |
y | wörtl.: sie deckten nicht auf [die Hülle] über deiner Schuld. (Zurück zu v.14) |
z | wörtl.: schauten (Zurück zu v.14) |
aa | Bei anderer Vokalisation: Orakel, Lüge und Verführung. (Zurück zu v.14) |
ab | klatschen ... zischen: beides Ausdrücke der Schadenfreude. (Zurück zu v.15) |