Kommentar:Jona

Aus Die Offene Bibel

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Kommentar zu Jona
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Jona, der Fanatiker. Ein Kommentar zum Jonabuch

Dies ist vorerst nur eine vorläufige Version; über alles werde ich noch md. einmal drüber sehen, wenn auch die Absätze zu Jon 2-4 ein vorläufiges Gepräge erhalten haben. Ich stelle den Kom. zu Jon 1 dennoch schon mal ein, um vielleicht jetzt schon Diskussionen anzuregen, mich auf Fehler hinweißen zu lassen, die mir nicht aufgefallen sind, Ben seine Vorabbibliographie zu liefern (die unten angeführten sind ausschließlich die Werke, die ich in Jon 1 verwurstet habe) etc.--Sebastian Walter 00:28, 25. Apr. 2012 (CEST)

Teil I: Vorbereitendes und Vorläufiges[Bearbeiten]

Vorwort[Bearbeiten]

Schon seit der Antike ist das Jonabuch eines der bekanntesten und meistgelesenen Erzählungen der Bibel überhaupt. Dies aber hat gewisse „Nebenwirkungen“: So schreibt schon Hieronymus:

“Ich weiß, dass alte Kirchenschriftsteller, sowohl Griechen als auch Lateiner, über dieses Buch vieles gesagt haben. Sie haben mit all ihren Untersuchungen die Aussagen nicht so sehr geklärt als vielmehr verdunkelt, so dass ihre Erklärung selbst wieder einer Erklärung bedarf und der Leser nach der Lektüre noch viel unsicherer ist, als er es vorher war.“a

An diesem von Hieronymus beklagten Umstand hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. Denn so kurz das Jonabuch mit seinen 48 Versen auch ist, so leicht nachvollziehbar die geschilderte Handlung und so einfach die Sprache des Buches auch sein mag (so einfach ist sie, dass das Jonabuch häufig als erstes zu übersetzendes Werk in Hebräischkursen verwendet wirdb): Das Jonabuch hat Generationen von Exegeten Rätsel aufgegeben. Das geht schon los bei der Frage nach der Datierung; Vorschläge reichen vom 8. bis zum 2. Jahrhundert vor Christus; es wird für ein einheitliches Werk gehalten oder für ein zusammengesetztes; wenn zusammengesetzt, dann kann Jon 2 abgegrenzt werden oder Jona 4 oder beide oder keins oder sonst etwas. Manchmal werden auch noch differenziertere Quellenscheidungen vorgenommen.
Es geht weiter mit der Frage nach seiner Gattung. Vorgeschlagen wurden etwa: „Prophetenerzählung“ (von Rad, Craig), „Parabel“ (Scott, Rofé, Childs, mit Einschränkung Landes), „Legende“ (Jepsen; Couffignal: Anti-Legende), „didaktisches Geschichtswerk“ (Alexander), „narrative Dogmatik“ (Schmidt), „philosophische Abhandlung“ (Levine), Tragödie (Woodard), Komödie (Mather, Thorardson), „ironische Kurzgeschichte“ (West), Novelle (Wolff, Andrew, Syrén), Parodie (Band, Orth) „surrealistische Farce“ (Eagleton), Midrash (Budde, Winckler, Trible), Lehrdichtung / Tendenzerzählung in lehrhaftem Stil (Weiser), Märchen (Cavocoressi), Prosagedicht (Bewer) und mehr.
Und schließlich die Frage nach der Bedeutung des Jonabuches. Zu dieser Frage gibt es so viele Vorschläge, dass es nicht einmal mehr sinnvoll ist, für diese Vorschläge Beispiele zu bringen. Stattdessen führen wir exemplarisch drei Ordnungssystematiken für die diversen Vorschläge an - denn auch von diesen Systematiken gibt es verschiedenste Versionen. Bolin z.B. listet schlagwortartig 3 verschiedene Auslegungslinien (zu denen je noch einige „Unter-auslegungslinien“ hinzukommen):

  1. Das Jonabuch als anti-exklusitivistisches und anti-partikularistisches Buch
  2. Das Jonabuch als Kommentar zu Wesen und Funktion von Prophet und Prophezeiung
  3. Das Jonabuch als narrative Dogmatik mit der Natur Gottes als Thema.c

Bei Erich Zenger sind es vier Auslegungslinien:

  1. „Gegen die in Jonas Widerstand zum Ausdruck kommende Auffassung, dass Sünde einzig und allein durch Strafe gesühnt werden könne, wird in der Erzählung die sühnende und rettende Kraft der Umkehr demonstriert [...].
  2. Das Buch kritisiert nationalistische, partikularistische und fremdenfeindliche Tendenzen im nachexilischen Judentum und schärft ein, dass Israels Erwählung durch JHWH darauf abziele, den Völkern die Botschaft vom wahren Gott zu bringen. [...]
  3. Das Buch ist eine Lehrerzählung über die Dramatik einer prophetischen Berufung und/oder über die Bedeutung der Gerichts- und Unheilsprophetie. [...]
  4. Das Buch ist eine theologische Prophetenerzählung, die ihre LeserInnen (Juden und Christen) dazu einlädt, sich mit Jona zusammen zu jener Gottes-Wahrheit hinführen zu lassen, mit der das Buch endet: dass der Gott Israels als der Schöpfergott ein Gott der Gnade ist, der als Gott des Rechts zur Umkehr bewegt und sich darin als Gott der Vergebung und des Strafverzichtes erweist - weil er ein Gott der grenzenlosen Liebe zu allem Lebendigen ist.“d

Und Walton schließlich zitiert ein Schema, auf das Collins die Systematik von Alexander gebracht hat - mit nicht weniger als 11 „Bedeutungsgruppen“:

  1. „About repentance
    1. To encourage the Jews to repent
    2. To show the possibility of repenting
    3. To identify repentance as the correct response to prophecy
  2. About unfulfilled prophecy
    1. To discuss prophetic non-authentication
    2. To offer justification for unfulfilled prophecy
    3. To consider the problem of conditional vs. unconditional prophecy
  3. About Jewish attitudes toward Gentiles
    1. To encourage a missionary concern
    2. To condemn Jewish exclusivism
    3. To condemn the Jews reachtion against God´s forgiving the Gentiles
  4. About theodicy
    1. To affirm God´s freedom to act graciously
    2. To explore the relationship between mercy and justice.“e.

Wie gesagt, die Liste ließe sich verlängern. Jedoch: So sehr man sich in der Exegese auch darüber in den Haaren liegen mag, was genau denn nun eigentlich das Jonabuch bedeute - zwei Positionen haben in den letzten Jahren mehr und mehr an Vertretern gewonnen, so dass nun die Mehrheit der Jona-exegeten für sie optiert. Nennen wir diese Positionen den „Mythos vom lust´gen Jonabuch und dem bösen Jona“.
Zum ersten: In jüngerer Zeit ist nach und nach eine Position erstarkt, die im Jonabuch ein „komisches“ Werk sieht und in der Folge seinen Grund-duktus bezeichnet als „ironisch“, „parodistisch“, „satirisch“, „humoristisch“ u.w.m. - interessanterweise in der Regel ohne Rücksicht darauf, dass „Satire“ ein in biblischen Zeiten gar nicht bekanntes Genre warf und ohne anzugeben, wer denn eigentlich hier ironisch spreche, auf welche Textsorte das Jonabuch Parodie oder wer genau die Zielgruppe sei, die über das Jonabuch tatsächlich lachen könnte.
Zum zweiten: Fast ausnahmslos in der neueren und neuesten Exegese wird der Protagonist des Jonabuches, Jona ben Amittai, aufgefasst als „Antiheld“, der aus niederen Beweggründen so handelt, wie er eben handelt und sich dabei versündigt gegen die Schiffsbesatzung, die Niniviten und zuvorderst Gott. Nehmen wir als Beispiel den Jonakommentar von Wolff: Allein auf dem Raum einer Seite wird Jona charakterisiert mit „rechthaberisch“, „hartnäckig“, „trotzig“, „schamlos“, „Trotzkopf“ und er kommt vor in Sätzen wie „der über Ninive stierende Jona“, „Er will unbedingt etwas anderes „sehen“ als was Jahwe „sah““, „seine Haltung: wir werden sehen, ob mein Zorn in Ordnung ist! Sein Hohn gegenüber Jahwe [...]“ usw.;g und Nogalski leitet sein Jona-Kapitel ein mit "[...] no other prophetic writing [portrays foreigners] so consistently [...] positively at the expense of the prophet around whom the story revolves."h Diese negative Sicht auf Jona ben Amittai beherrscht nahezu sämtliche Aufsätze und Kommentare zum Jonabuch der neueren Zeit. Dabei sollte vor dieser Sicht allein schon warnen, wie die Altvorderen der Exegese - etwa Hieronymus, Theodoret, Gregor von Nazianz, Chrystostomus u.w.m. - Jona sahen, nämlich als „bewundernswert“, als „preiswürdig“, „gesegnet“; er wird charakterisiert anhand seiner „Geistesgröße“ und „Ehrbarkeit“. Auch darf man nicht vergessen, dass sowohl in Tobit als auch in 3 Makkabäer auf Jona einzig als auf einen wahren Propheten verwiesen wird, und selbstverständlich muss weiterhin berücksichtigt werden, dass die Rückverweise unseres Herrn Jesu Christi auf Jona nicht den Hauch eines negativen Untertons haben. Und schließlich gibt Hartmut Gese als weitere Indizien für die Verfehltheit dieser negativen Sicht auf die Figur des Jona ben Amittai Folgendes an:

Hinzu kommt die späte Abfassungszeit des Buches. Selbst wenn wir es noch in die persische Zeit setzen (erste Hälfte des 4. Jh.), was mir das wahrscheinlichste zu sein scheint, ist hier das Deuteronomistische Geschichtswerk als gegeben, und wenn auch nicht als kanonisch, so doch als in seinen Urteilen anerkannt vorauszusetzen; und das heißt, daß Jona gemäß 2 Kön 14,25 wahrer JHWH-Prophet im Sinne der deuteronomischen Lehre der succesio Mosaica (Dtn 18,15 ff.) war [...]. Vom Deuteronomistischen Geschichswerk her kommt Jona eine dementsprechende Würde und Bedeutung zu, die nach allem, was wir über die allgemeine Anerkennung des Deuteronomistischen Geschichtswerkes wissen, auch vom Verfasser des Jonabuches geteilt worden sein muß. Es ist ein folgenschwerer Irrtum zu meinen, der späte Verfasser des Jonabuches hätte sich den Propheten Jona herausgreifen können, um ihn gegen das vorhandene und anerkannte Jonabild als einen fragwürdigen Propheten, etwa als Gegenfigur zu Amos und Hosea, erscheinen zu lassen.“i

Wir halten beide Bestandteile des Mythos vom lust´gen Jonabuch und dem bösen Jona für verfehlt und wollen aus diesem Grund hier versuchen, eine etwas andere Jonageschichte zu erzählen. Ein solches Anschreiben gegen den exegetischen Mainstream will wohl belegt sein; weshalb wir uns auch dafür entschieden haben, statt der Struktur Übersetzung-Überblick-Einzelstellenkommentar lieber die Struktur Übersetzung-Einzelstellenkommentar-zusammenschauende Nacherzählung zu wählen.

Zur Handlung[Bearbeiten]

Die Handlung des Jonabuchs ist schnell erzählt: Unvermittelt setzt sie ein mit dem an den bereits aus 2 Kön 14 bekannten Propheten Jona ben Amittai ergehenden Gotteswort: Ins Ausland soll er, nach Ninive, um dort „gegen die Stadt zu rufen“, da Gott ihre Schlechtigkeit nicht mehr länger ignorieren kann. Jona macht sich also auf - nicht aber, um dem Auftrag Gottes zu folgen, keineswegs: Nach Jafo geht er, um zu fliehen vor dem Ewigen und Allgegenwärtigen. So etwas bleibt nicht lange ungestraft. Wie schon in 1 Kön 13 und 1 Kön 20,35f. wird Befehlsverweigerung von Gott streng geahndet - mit dem Tod. Gott lässt einen Sturm entstehen, der so furchtbar im Meer wütet, dass das Schiff zu kentern droht. Durch Lose-werfen und anschließendes Bekenntnis von Seiten Jonas erfährt die Schiffsbesatzung von dessen Untat und dem einzigen Weg, hier heil wieder herauszukommen: Soll das Schiff gerettet werden, muss Jona hinaus, hinab ins Meer. Und da jedes weitere Mittel versagt und der Besatzung keine andere Wahl mehr bleibt, handelt sie gemäß dem Willen des Herrn. Jona geht über Bord, der Sturm flaut ab und die gesamte Besatzung bekennt sich dankbar zu unserem Herrn.

Es folgt eine der wohl bekanntesten Stellen der Bibel überhaupt. Jona sinkt hinab bis zum Grund des Meeres. Kurz vor dem Ertrinken kommt er zu sich und ruft flehend zu Gott, der daraufhin einen großen Fisch entsendet, der Jona verschlingt. Damit ist das Jonabuch aber noch nicht zu Ende: Jona nämlich stirbt nicht im Bauch des Fisches, sondern hält sich dort 3 Tage und Nächte lang auf. Es folgt ein Dankpsalm, in dem Jona rückblickend die Not im Meer noch einmal heraufbeschwört, Gott für die Rettung dankt und Besserung gelobt. Daraufhin erbricht der Fisch Jona an Land und die Handlung kann weitergehen.

Das dritte Kapitel setzt ebenso ein wie das erste: Ein zweites Mal ergeht das Gotteswort an Jona, doch diesmal macht er sich auf, zu handeln gemäß dem Willen des Herrn. Er gelangt nach Ninive und liefert dort die „kürzeste und zugleich erfolgreichste Predigt aller Zeiten“ (Hutmacher): Nur 23 Buchstaben - 5 Wörter - im Urtext beinhaltet sie: „Nach vierzig Tagen ist Ninive umgestülpt“. Postwendend wird in der ganzen Stadt ein Generalfasten ausgerufen, Mensch und Tier tragen reuig Sacktuch statt Straßenkleidung, der König rutscht von seinem Thron hinab in die Asche und ausnahmslos rufen alle, Mensch wie Tier, „arg zu Gott“. Diese Umkehr wird in der Folge sprichwörtlich werden; immer wieder werden Kirchenväter und Apologeten auf die Umkehr der Niniviten als Musterbild der idealen Reue verweisen und sie in den buntesten Farben ausmalen.j. Als Gott sieht, wie mustergültig die Niniviten auf Jona´s Prophezeiung reagieren, ändert er seine Meinung. Er bereut das Unheil, dass er ihnen angesagt hat - und tut nichts.

Jona nun ist zutiefst betrübt ob dieser Entscheidung Gottes. Über den Grund für diese Betrübnis haben Generationen von Exegeten und Kommentatoren sich vergeblich den Kopf zerbrochen; gleichwohl - er ist betrübt, zu Tode betrübt sogar. Flehentlich ruft er zu Gott: Wenn die Sache so steht, dann will er lieber sterben als zu leben, Gott solle ihn also doch bitte umbringen. Aber Gott - der in Kapitel 1 scheinbar überhaupt keine Probleme damit hatte, eine ganze Schiffsladung Matrosen zu opfern, nur um Jona tot zu sehen - Gott bleibt ruhig. Ja, mehr noch: In rascher Folge bestimmt er eine Efeupflanze, einen Wurm und einen Ostwind, um mit diesen in einer wortlosen Parabel sich Jona gegenüber für sein Handeln zu rechtfertigen und ihm seine Handlungsprinzipien darzulegen. Die Auseinandersetzung Gott vs. Jona ist der Höhe-, die Erklärung Gottes der Endpunkt des Jonabuches: „[...] As soon as he [i.e., der Autor des Jonabuches] has finished his story and driven home the truth he intended to teach he stops, for he is interested only in that.“k.

Gattung und Bedeutung des Jonabuches[Bearbeiten]

Struktur[Bearbeiten]

Die Handlung ist simpel; sie ist nicht das Problem, wenn es an die Gattungsbestimmung geht. Problematisch ist vielmehr die Struktur, in die die Handlung vom Autor gebracht wurde. Denn diese eigentlich so in sich geschlossene Struktur wird immer wieder aufgebrochen; virtuos setzt er Stilmittel wie Nachholungen, Einschübe und Gabelungen ein, um kleinere Einheiten des Jonabuches genau in die Anordnung zu bringen, die sie heute haben. Vgl. auch Nogalski:

"The general outline of the narrative may be reduced to a few sentences, but the manner in which the author tells this story marks it as one of the most artfully constructed works in the entire Old Testament."l

So hat etwa der Leser zu Anfang von Kapitel 2 den Eindruck, der Fisch sei eine weitere Strafe Gottes, und erst mit dem Einsatz des Dankpsalms wird klar, dass der Fisch tatsächlich stattdessen die Rettung ist. Oder, noch eindrücklicher: Die Frage nach dem Grund für Jonas Flucht in Jon 1 wird dem Leser erst in Jon 4 offenbart. Diese Um-strukturierungen sind nicht beliebig, sondern planmäßig und durchdacht. Z.B.: In Jona 3 „werden die Bußriten schon vom ganzen Volk durchgeführt, obwohl sie erst in V. 6ff. angeordnet werden. [...] Auf diese Weise kann höchst kunstvoll der Bericht, daß Gott sein Unheilswort zurücknimmt (V.10), mit dem Ende des königlichen Erlasses verknüpft werden, in dem diese Erwartung in offener Spannung laut wird (V. 9: „wer weiß ...?“). So ist die Szene meisterhaft gestaltet.“m Oder: „Man beachte [...] die Nachholung in V. [1,]10b, daß Jona von seiner Flucht Mitteilung gemacht habe. Durch diesen kunstvollen Stil wird es möglich, allein das wesentliche, nämlich das JHWH-Bekenntnis, in der Jonarede wörtlich auszuführen, zumal dieses nun die Mitte des gesamten Textes 1,4 ff. ausmacht.“n.

Es ist dies ein Umstand, der, auch wenn er in der Regel von Kommentatoren erwähnt wird, bei der Gattungsanalyse des Jonabuches allzu selten berücksichtigt wurde. Explizit geht v.a. Wolff auf dieses Merkmal ein; er behauptet, die besondere Struktur des Jonabuches sei damit auf eine „Längsspannung“ hinstrukturiert und daher die Struktur einer Novelle. Ironischerweise verweist er hier auf Wolfgang Kaysers „Das sprachliche Kunstwerk“ - unglücklicher hätte er fast nicht wählen können, denn gerade Kayser charakterisiert die Novelle ausdrücklich als „an dem Verlauf einer Begebenheit interessiert“ und fährt fort: „Deswegen ist die Analyse des Aufbaus einer Novelle viel einfacher, da der Aufbau klar von der einen Begebenheit und ihrem Verlauf bestimmt ist.“o.
Beim Blick auf die Struktur des Jonabuchs stößt man auf ein weiteres Indiz für die Gattungsbestimmung: Sehr häufig stößt man in Kommentaren auf die Behauptung, Teile des Jonabuches seien konzentrisch strukturiert. Kombiniert man die verschiedenen Vorschläge, sind Jon 1,1-2 und Jon 3,3 die einzigen Verse, für die noch keine konzentrische Struktur vorgeschlagen wurden. Als Beispiel sei hier Jeremias´ Vorschlag zu Jon 3,1-2 angeführt - für Weiteres vgl. den Einzelstellenkommentar:

A Da erging das Wort Jahwes an Jona ein zweites Mal:
B Auf, mach dich auf den Weg nach Ninive, der großen Stadt,
C und ruf ihr die Botschaft zu, die ich dir mitteile!
B“Da machte sich Jona auf den Weg nach Ninive,
A“dem Wort Jahwes entsprechend.p

Eine solch außerordentliche Strukturierung spricht eher gegen eine epische Textsorte. Des Weiteren hat Christensen in zwei Aufsätzen den Versuch unternommen, die Metrik (1) des Jonapsalmsq und (2) des gesamten Jonabuches inklusive der Prosateile (!)r zu ermitteln - was ihm gelang. Und schließlich eignen dem Jonabuch als weitere stilistische Besonderheit der Leitwortstil - bestimmte Wörter werden bis zu 14x wiederholt - und das von Magonet herausgestellte Stilmittel der „growing phrase“.s
Schon 1912 hat Bewer aufgrund dieser Eigenarten vorgeschlagen, das Jonabuch deshalb lieber als „prose poem“ anzusehen,t und auch in der neueren Exegese ist diese Position vereinzelt anzutreffenu. Wir stimmen zu. Strukturell gesehen ist das Jonabuch relativ deutlich der Textsorte „Prosagedicht“ zuzuordnen.

Thema und Funktion[Bearbeiten]

Thematisch ist das Jonabuch relativ eindeutig zu bestimmen. Wir beginnen mit einer Analyse der Aktanten-konfiguration. Zunächst: Aufgrund der Parallelität von von Jon 1,1-3 und Jon 3,1-3 lässt sich das Jonabuch sehr deutlich in zwei Teile aufgliedern. Analysiert man weiterhin die Figurenkonfiguration, ergibt sich folgende Struktur:

Teil 1
1a) Jon 1,1-3: Jona und Gott
1b) Jon 1,4-16: Jona, Gott und Heiden
1c) Jon 2: Jona, Gott und „Gottesdiener“
Teil 2
2a) Jon 3,1-3a: Jona und Gott
2b) Jon 3,3b-10: Jona, Gott und Heiden
2c) Jon 4: Jona, Gott und „Gottesdiener“v

(1a) und (2a) dienen als Exposition, die restlichen Teile haben allesamt eine ähnliche Thematik: Eine bedrohliche Situation und zwei darauf folgende „Kehren“:

1b) Bedrohliche Situation (Sturm) => Bekehrung der Heiden => Kehre Gottes
1c) Bedrohliche Situation (Ertrinken) => Rückkehr Jona´s => Kehre Gottes
2b) Bedrohliche Situation (Vernichtung) => Umkehr der Heiden => Kehre Gottes
2c) Bedrohliche Situation (Hitzeschlag).

Jon 4, das wird schon an dieser schematischen Struktur-überschau sichtbar, hat also offenbar eine Sonderrolle im Jonabuch. Blickt man weiter auf das Verhältnis von Jon 1-3 und Jon 4, wird schnell klar, dass das Schwergewicht des Jonabuches eindeutig auf Jon 4 liegt:

  1. Eröffnen sich von Kapitel 1 an immer wieder sogenannte Leerstellen, „gaps“, die sich bis zu Jon 4 durchziehen und dort erst aufgelöst werdenw
  2. wird in Jon 1-3 eine „dialogue pattern“ zwischen Gott und Jona aufgebaut, mit der erst in Jon 4 gebrochen wird (Jon 1: Nur Gott spricht zu Jona, Jon 2: Nur Jona spricht zu Gott, Jon 3: Nur Gott spricht zu Jona, Jon 4: Dialog Jona-Gott)x;
  3. haben Jon 1-3 jeweils ein geschlossenes Ende (Jon 1: Der Sturm flaut ab, die Heiden sind bekehrt; Jon 2: Jona kehrt um und wird gerettet; Jon 3: Die Heiden kehren um, Gott lässt ab von seinem Plan); Jon 4 dagegen endet mit einer offenen Fragey;
  4. bündelt Jon 4 Leitwörter aus sämtlichen vorangegangenen Kapiteln;
  5. wird in Jon 4 zurückgegriffen auf Jon 3z, während Jon 1-3 je für sich abgeschlossene Handlungen darstellen
  6. nimmt Gott in jedem Kapitel außer Jon 4 als Folge auf eine Kehre etwas zurück (Jon 1: den Sturm; Jon 2: Jona; Jon 3: Die Vernichtung Ninives).
  7. in Jon 1-3 lässt sich sehr klar eine „absteigende Jonalinie“ (Deissler) und eine „aufsteigende Jonalinie unterscheiden.aa In Jon 4 dagegen wird mit diesem Prinzip gebrochen.

Man kann deshalb sagen: Jon 1-3 münden in Jon 4.
Die Thematik ist also direkt ersichtlich: Die einzigen „stetige“ Aktanten sind Jona und Gott; in jedem Kapitel geht es um auf eine menschliche Kehre folgende göttliche Kehre, jeweils folgt auf ein Heidenkapitel ein Jonakapitel. Und alles mündet in Jon 4, in dem die Kehre Jonas ausbleibt. Dies ist der kritische Punkt und darauf zielt das ganze Buch ab. Das Jonabuch handelt davon, dass Jona über das Verhältnis von menschlicher und göttlicher Kehre belehrt wird (werden soll); das Jonabuch ist eine „Kehrlehre“ und damit ein didaktisches Buch.

Welches aber ist die Kehre Jona´s, die in Jon 4 ausbleibt und zu der Gott Jona belehren will? Die Antwort auf diese Frage hängt stark an der Interpretation von Jon 4,2; irgendwo hier liegt „der Hund begraben“. Zur Antwort auf diese Frage jedoch müssen wir den Leser auf den Kommentar zu eben dieser Stelle vertrösten - allzuviel müssten wir andernfalls jetzt schon dem Kommentar selbst vorwegnehmen. Der Leser, der sich so lange nicht gedulden will, sei einstweilen behelfsmäßig vertröstet mit den beiden folgenden Zitaten von Walton und Wolff:

“What angers Jonah is now clear. It reflects the same concern that has led interpreters to read conversion into this passage for centuries: „Is that all they did?“ Why should God even acknowledge, let alone respond to this shallow, naive repentance „Assyrian-style“? They understood neither Yahweh nor Torah, nor faith, nor monotheism. They were still just as pagan and, Jonah suspects, just as wicked - yet God had responded with grace. Jonah´s anger was theological. Niniveh´s condition was still wretched. But that is exactly God´s point. His grace is bestowed not upon the final achievement of an unblemished, perfect faith (for in that case what hope would any of us have?). Rather, His gracious acts reward attempts, no matter how small they may be. A step in the right direction is a significant step. What is communicated then about repentance is that though it is insufficient to provide deliverance by its own virtue, it has the ability like nothing else to stimulate God´s graciously bestowed compassion.“ab
“Es ist, als wolle er [Jahwe] seiner [Jonas] Intoleranz schon die paulinische Frage einschärfen: „Ist Gott etwa nur Gott der Juden oder nicht auch der Heiden?“ (Röm 3,29).“ac

Dies zu akzeptieren ist die Kehrlehre, deren Akzeptanz von Seiten Jonas jedoch in Jon 4 ausbleibt und die so dem Leser überantwortet wird. Thema des Jonabuches ist der Zusammenhang „Glaube und Vergebung“.

Charakter des Jonabuches[Bearbeiten]

Mit Struktur, Funktion und Thema wären wir im Normalfall nun so weit, die Gattung des Jonabuchs zu bestimmen; der „Charakter“ eines Buches spielt bei der Textsortenanalyse in der Regel keien Rolle. Aber wir würden auf diese Weise einen Aspekt des Jonabuches aus den Augen verlieren, der von früheren Kommentatoren weit mehr beachtet worden ist als in der neueren und neuesten Exegese.
In seinem Kommentar von 1949 schreibt Arthur Weiser:

"Der Stoff [...], den der Erzähler in seiner Tendenzschrift verwertet, reicht wahrscheinlich in ältere Zeit hinauf; wie weit er auf Traditionen zurückgreift, die mit der historischen Gestalt des Jona aus dem 8. Jahrhundert verknüpft waren, läßt sich nicht mehr ermitteln. Jedenfalls verwendet die jetztige Erzählung daneben noch Motive, die ursprünglich in der Welt des Mythus und des Märchens zuhause sind; so z.B. das Erlebnis mit dem Fisch, ein bei den verschiedenen Völkern wiederkehrendes Mythenmotiv, am bekanntesten in der griechischen Herakles- und Perseussage; auch die Episode mit der wunderbaren Rizinusstaude stellt ein bekanntes Märchenmotiv in den Dienst der Erzählung. Offenbar liegen den einzelnen Abschnitten der Jonaerzählung ursprünglich selbstständige Traditionen zugrunde, ohne daß sich im einzelnen immer klar scheiden ließe zwischen altem übernommenem Gut und späterer Bearbeitung und Komposition. Trotz dieser Kombination aus verschiedenen literarischen Stoffen und Gattungen muß die Schrift als Ganzes gewertet werden.“ad

Daneben listet Weiser als weitere Indizien für die folkloristischen Quellen des Jonabuches die übersteigerte Größenangabe Ninives und die „Tatsache, daß der König weder mit seinem Namen genannt wird, noch sonst irgendwelche konkreten persönlichen Züge in der Darstellung trägt“ae. Sucht man danach, lässt sich diese Liste gewaltig in die Länge ziehen. Phyllis Trible allein z.B. listet 15 verschiedene folkloristische Motive im Jonabuch;af und selbst eine kurze Suche im Motiv-index von Aarne-Thompson ergibt vier verschiedene eindeutig folkloristische Motive:

“D1123 Magic ship. [...] „Jonah“.“
“D1318.10.1 Ship refuses to move with guilty man aboard [...] „Jonah“.“
“F911.4. Jonah. Fish (or water monster) swallows a man. [...]
“N134.1.5. Passenger brings bad luck to ship. Cast overboard. Jonah.“ag

Die Liste ließe sich beliebig erweitern, z.B. gibt es „Wunderpflanzen-motive“, „Gottesmann“-motive und weiteres mehr.

Besonders auf die Geschichte vom großen Fisch wird in diesem Zusammenhang immer wieder verwiesen. Schon 1919 stellt Frazer in „Folklore in the Old Testament“ eine ähnliche Geschichte aus Neu Guinea mit dem Jonabuch zusammenah; Coulter sammelt weitere Erzählungen aus aller Welt, in denen ähnliche Motivkomplexe verabeitet sind (bis hin zur Übereinstimmung (1) Verschlungen von großem Fisch - (2) 3-tägiger Aufenthalt im Fisch - (3) Wieder an Land gespuckt werden) und schreibt:

The „swallow“ type of tale (with a giant, a cow, a wolf, a huge fish or dragon as the swallower) is found all over the world and was probably old even in the days when the Book of Jonah was written.“ai

Hinzu kommt, dass König und Kapitän nur mit ihrem Titel bezeichnet werden, die Charaktere insgesamt nur grob skizziert werden; die Reaktionen der Schiffsbesatzung und der Niniviten werden übertrieben geschildert und Wal und Vieh werden als quasi-vernünftige Aktanten dargestellt. Ninive schließlich hat nichts gemein mit der historischen assyrischen Stadt, sondern ist „a large, far-away, legendary city of evil“aj.

Es spielt keine Rolle, ob das Jonabuch tatsächlich historische Tatsachen wiedergeben soll oder ob im Jonabuch theologische Fragen narrativ verarbeitet werden: ungeachtet dieser Fragen verleihen obige Züge dem Jonabuch auf jeden Fall etwas Märchenhaftes. Man muss die Textsorte des Jonabuchs deshalb bestimmen als „didaktisches Märchengedicht zum Thema „Glauben““.

Datierung und Quellenscheidung[Bearbeiten]

Datierung[Bearbeiten]

Datierungsvorschläge reichen, wie gesagt, vom 8. bis zum 2. Jahrhundert vor Christus; in der Mehrzahl jedoch wird Jona etwa Ende 5. / Anfang 4. Jahrhunder vor Christus datiert. Die Anhaltspunkte für diese Datierung lassen sich in drei Gruppen gliedern:

1) intratextuell: Das Jonabuch hat in einigen Belangen Ähnlichkeit mit späteren Texten der Bibel; etwa teilt es Motivkonfigurationen mit einigen späteren Psalmenak; auch teilt er bestimmte Gedanken mit Jeremia, Deuterojesaja und Anderen.al
Für sich heißt das noch nichts, da ja theoretisch auch diese späteren Psalmen, Jeremia und Jesaja Jona zitieren könnten statt umgekehrt. Aber es gibt weitere Indizien. Z.B. wird in Tob 14,4.8 und 3 Makk 6,8 auf das Jonabuch angespielt und Sir 49,10 spricht von den „Zwölf Propheten“. Wegen der Verfassungszeit dieser drei Bücher ist es höchstwahrscheinlich, dass der Kanon des Dodekaprophetons sich bis spätestens im 2. Jahrhundert in seiner heutigen Form ausgebildet hat und Jona zu dieser Zeit schon dazugehörte. Wieder gilt hier, dass dies allein nicht ausreicht für eine sichere Datierung: Es wäre ja durchaus möglich, dass etwa in Tobit und 3 Makkabäer nicht auf das Jonabuch, sondern auf Jonaüberlieferungen angespielt werden, die erst später Eingang finden sollten in das Jonabuch, und das Jesus Sirach auf einen alternativen Dodekapropheton-kanon verweist. Aber auch hier wieder: Es gibt weitere Indizien:
2) sprachlich: Im Jonabuch lassen sich mehrere Aramäismen finden. „[...] Its language betrays the strong influence of Aramaic, to which the Hebrew language was accomodated in post-exilic times (i.e., 5th pre-Christian century and afterwards).“am. Hierzu gehören unter Anderem:
* se mit den zusammengesetzten Formen besellemî und besellî (1,7.12; 4,10) sowie manah (2,1; 4,6.7.8) finden sich überwiegend in postexilischen Texten.
* ribbô (4.11) findet sich ausschließlich in postexilischen Texten; yit´asset (1,6) nur in Jona und Dan 6,4; ta´am (3,6) kommt einzig hier in einem hebräischen Text vor; dafür aber häufig in Ezra und Danielan.
Limburg gibt zu: „These connections with postexilic vocabulary do not prove that Jonah was composed in the postexilic period, but the evidence surely points in that direction.“,ao und in der Tat wurde z.B. vorgeschlagen, dass es sich hier nicht um Aramäismen, sondern um einen nordisraelitischen Dialekt handle.ap Allerdings bilden Vertreter dieses Vorschlags eine Minderheit und der "postexilische Vorschlag" lässt sich durch weitere Indizien stützen:
3) motivisch: Einige Züge der Stadt Ninive scheinen von einem persischen Vorbild geprägt, so etwa, dass Tiere in die Buße der Menschen mit einbezogen werdenaq, dass der König gemeinsam mit „seinen Großen“ die allgemeine Buße erlässt, dass die Niniviten als Monotheisten dargestellt werden und dass die v.a. für die postexilische Zeit typische Formel „Gott des Himmels“ verwendet wird, was ebenfalls unter Umständen durch persische Prägung erklärbar ist.ar.

All dies sind Indizien, die allesamt auch anders gedeutet werden könnten; aber in dieser Häufung weißen sie mit einer sehr viel größeren Wahrscheinlichkeit auf das 4./5. Jahrhundert.

Quellenscheidung[Bearbeiten]

Schwieriger ist die Frage nach der Quellenscheidung. Früher bestand allgemein Konsens, dass Jon 2,3-10 eine nachträgliche Einfügung sei, und auch heute noch wird dies von mehreren Exegeten vertreten; seltener wird zudem Jon 4 abgegrenzt. Vereinzelt stößt man auch auf die These, ursprünglich sei nicht der Prosateil, sondern der Jonapsalm, und der Prosateil sei um den Psalm herumkonstruiert worden.as Sehr selten werden auch noch differenziertere Quellenscheidungen vorgenommen.at Allerdings werden diese Positionen mehr und mehr von der verdrängt, die davon ausgeht, dass es sich beim Jonabuch um ein Buch „aus einem Guß“ handeltau.
Differenzierte Quellenscheidungen haben immer das Problem, dass sie als vermeintliche Brüche und Spannungen sehen, was unter Umständen z.B. einfach eine stilistische Eigenart sein könnte - Schmidt z.B. orientiert sich bei seiner Quellenscheidung stark an den Gottesnamen, deren Verwendung im Jonabuch aber planvoll geschieht. Eine solche Scheidung macht erst dann Sinn, wenn sich diese vermeintlichen Brüche als nicht mehr vereinbar erweisen mit dem „Gesamtplan“ des Jonabuches, und da wir der Überzeugung sind, dass sie sich in der Tat sämtlich hervorragend einfügen in diesen Gesamtplan, wollen wir diese differenzierteren Quellenscheidungen hier vernachlässigen. Es muss Aufgabe des Einzelstellenkommentars sein, aufzuweisen, wie bestimmte Textstellen in den Gesamtzusammenhang passen.
Die Abgrenzung von Jon 4 ist eine Minderheitenmeinung und also wollen wir auch sie vernachlässigen (die Zurückweisung wäre kompliziert und würde allzu viel Raum einnehmen); wenden wir uns deshalb der Frage nach dem Jonapsalm zu. Vertreter der Position, die den Psalm als nachträgliche Einfügung ansieht, argumentieren in der Regel immer nach dem selben Muster. Vanoni ist hier ein typischer Vertreter:

  1. "Der Psalm ist durch keine Wiederholungen von Wörterverbindungen mit dem Kontext verknüpft.[...]
  2. Die Literarikritik hat mehrere Spannungen festgestellt, die eine Ausscheidung des Psalms nahelegen. Durch den Psalm wird auch das System der Gottesnamen im Prosateil gestört.
  3. Einige Spannungen machten deutlich, daß der Psalm nicht für die Fischsituation geschrieben sein kann.
  4. Während die übrigen Gebete in Jon Jahwe direkt ansprechen, beginnt der Psalm erzählend und redet in der 3. Person von Jahwe.
  5. Das Wort gdwl steht 14mal in Jon, davon kein einziges Mal in 2,3-10.
  6. [... Dieser Punkt ist untypisch und haltlos; es würde allerdings zu viel Raum erfordern, ihn hier gesondert zurückzuweisen]
  7. Durch die Ausscheidung des Psalms wirkt das Verhältnis der beiden Hauptteile besser ausbalanciert. [...]
Zusammenfassung: Alle Argumente zusammengenommen haben genug Gewicht, um den Jonapsalm und die Prosateile als nicht zusammengehörig voneinander zu scheiden. Über die Einheitlichkeit des Psalms ist damit noch nichts gesagt.“av

Bis auf Punkt 5 lassen sich die Argumente, die Vanoni hier anführt, allesamt zurückweisen: Bei (1) scheint er nicht genau aufgepasst zu haben (allerdings ist dies häufiger zu lesen): „rufen“ in 2,3 etwa ist ein Leitwort, s. Jon 1,2.6.14; 3,2.4.5.8; in Jon 1,16 wird ebenso „gelobt“ und Opfer versprochen wie in Jon 2,10; „Hinabsteigen“ in 2,7 ist gleichfalls ein Leitwort aus Jon 1, in Jon 4,2-3 tauchen drei Schlüsselwörter aus dem Jonapsalm wieder auf, nämlich hayyîm in 2,7 und 4,3.8, nepes in 2,6.8 und 4,3 und hesed in 2,9 und 4,2.aw. Auch motivisch hängt der Jonapsalm eng mit dem Rest des Buches zusammen; so kommt z.B. Pyper überhaupt erst aufgrund dieser Zusammenhänge auf die Idee, der Prosateil sei aus dem Jonapsalm heraus entwickelt worden: Seiner Meinung nach wird z.B. der ominöse Pflanzenname in Jon 4 erklärbar, weil es sich beim Pflanzennamen um ein Wortspiel mit dem Erbrechen des Wals in 2,10 handelt, der Fischbauch wird zum „Magen der Unterwelt“, die plötzliche Opferbereitschaft und die Gelöbnisse der Seeleute in 1,16 seien Ableitungen aus Jon 2,10 und der antiheidnische Seitenhieb wird zur Bekehrung der Seemänner und dem Ärger über die Verschonung der ninivitischen Heiden.ax
Manchmal wird dieser Punkt zusätzlich ergänzt durch die Bemerkung, dass im Psalm ein anderer Sprachstil als im Prosa-jona vorliege. Dazu (und zu Punkt 3) schreibt Gese:

“Das Argument einer anderen Sprache als im Buch sonst, auch in den Prosagebeten, wiegt wenig: der Psalm ist voller Zitate des Psalters [...]. Daß er an dieser Stelle unpassend sei, weil er als Dankpsalm schon die Errettung, die Situation des Toda-Opfers im Tempel voraussetze (V. 10), oder weil er bei der Notbeschreibung von einem Hinabsteigen in die Untwelt spreche (V. 7), was nicht zur Situation im Fisch passe, hieße die mythische Sprache des Psalms und seine tiefergehende Wirklichkeitsauffassung verkennen. Im übrigen ist es ungereimt, Schwierigkeiten, die man bei der Herleitung vom Verfasser sieht, bei der Herleitung von einem Ergänzer gar nicht mehr zu emfpinden.“ay

Die vermeintlichen Spannungen wollen wir, wie gesagt, im Einzelverskommentar erklären. Punkt 3 wird von Brichto sehr polemisch zurückgewiesen:

“The reasons for this consensus are that the imagery of the psalm is more apposite to a drowning man than to one snug in the belly of a whale [...].
The incongruities are clear. The reasoning that they have stimulated is absurd. The imagery is indeed that of a drowning person, an oft-employed metaphor in the Book of Psalms (and hyperbolic at that) for a person at death´s door. But its literal appositeness would be most incongruous in the mouth of a person whose plight is actually described. A drowning man does not recite psalms, describe ocean´s canyons, or compain that he has been wreathed in a turban of seaweed. And to be sure, he is too busy praying for help to bribe the Deity with a hymn of praise recounting past beneficence or with vows pledging future sacrifices. The psalm of Jonah does not appear elsewhere in the Bible. To suppose that so inapposite a hymn was borrowed or composed for insertion is simply to solve the conundrum of a narrator´s idiocy by attributing that idiocy to a supposed editor.“az

Dass Jona im Psalm gelegentlich in der 3. Person von Gott spricht, ist einfach dadurch erklärbar, dass es sich hier um einen Dankpsalm handelt und Worte an die Versammlung der Gläubigen zu den Textsortenregeln der Textsorte „Dankpsalm“ gehört.ba Und dass die beiden Hauptteile gerade durch den Psalm in Jon 2 erst ausbalanciert sind, haben wir ja schon oben gezeigt. Häufig wird außerdem noch argumentiert, dass der Jona des Jonapsalms nicht zum Jona des Prosateil passe - zu „fromm“ sei erbb. Aber dass wir hier gegen das negative Jonabild anschreiben werden, wurde ebenfalls bereits oben gesagt.

Aber versuchen wir, das Psalmenproblem einmal anders anzugehen: Christensen hat, wie schon erwähnt, das gesamte Jonabuch metrisch analysiert. Ihre Analyse der Metrik ergibt aber, dass das gesamte Kapitel 2 die selbe Metrik aufweist und die Aufteilung in Strophen nicht mehr funktionieren würde, wenn man Jon 2,3-9 von Jon 2,1-2.10 trennen würde.bc.

Zur Erläuterung: Wir werden im Kommentar zu Jon 2 eine andere konzentrische Struktur von Jon 2 aufzeigen, als Christensen das getan hat. Aus diesem Grund können wir nicht einfach die Ergebnisse seiner metrischen Analyse zitieren. Arbeitet man sie aber um, indem man Christensens metrische Analyse kombiniert mit unserer Strukturanalyse, ergeben sich vier Strophen:
vv. 1-3: 127 morae
vv. 4-5: 86 morae
vv. 6-7: 82 morae
vv. 8-11: 129 morae;
ein Ergebnis, das sehr gut zur in Jon 2 herauszustellenden konzentrischen Struktur passt. Exkludierte man nun Jon 2,1-2.11, wäre die ganze schöne Ordnung dahin.

Der Jonapsalm darf also nicht unabhängig vom Prosateil von Jon 2 gedacht werden. Ohne Jon 2 fehlte aber etwas zwischen dem Hinabwerfen Jonas in Jon 1,15 und dem Neueinsatz in Jon 3,1. Dies könnte man wohl noch weg-erklären durch die Hypothese, Jon 2 habe ein ursprünglicheres Jon 2-Kapitel ersetztbd. Es gibt allerdings ein weiteres Indiz: Houk 1997 hat das Jonabuch stilometrisch analysiert. Und auch die Stilometrie legt nahe, dass, stilistisch gesehen, Jon 2,1-2.10 dem Jonapsalm ähnlicher ist als Jon 1 oder Jon 3. Außerdem ergaben seine Analysen interessanterweise, dass Jon 2 Jon 3 stilistisch sogar mehr ähnelt als Jon 3 Jon 1 und Jon 4.be Auch hier handelt es sich natürlich eher um Indizien als Beweise, aber kombiniert deuten sie recht eindeutig auf die „Ein-Guß-Position“.