Kommentar:Markus 10

Aus Die Offene Bibel

Version vom 10. März 2014, 23:09 Uhr von Ben (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „===Scheidung und Wiederheirat (10-12)=== '''In diesem Abschnitt geht es darum, wie Jesus im Reich Gottes Ehe und Scheidung ordnet.''' Ähnlich wie bei dem Diskurs…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu: Navigation, Suche

Scheidung und Wiederheirat (10-12)[Bearbeiten]

In diesem Abschnitt geht es darum, wie Jesus im Reich Gottes Ehe und Scheidung ordnet. Ähnlich wie bei dem Diskurs zu Reinheit und reiner Nahrung in Kap. 7 diskutiert Jesus zuerst mit Pharisäern, dann privat mit den Jüngern. Nach dem Muster von Mk 4,34 erhalten die Außenstehenden nur Gleichnisse bzw. Rätsel, während der innere Kreis eine genauere Erklärung erhält. Wie in Kap. 7 macht Jesus aus einer einzelnen Frage eine Grundsatzdiskussion und bezieht auch Schriftstellen mit ein, die seine Gegner nicht erwartet hätten. Am Ende stellt er die Lehre der Pharisäer als oberflächlich hin und ruft zu einem radikaleren Gehorsam gegenüber Gottes eigentlicher Absicht (France 2001, 387).

In der römischen und griechischen Kultur war Scheidung verbreitet und offenbar nicht stigmatisiert. Beide Geschlechter hatten das Recht dazu. Am häufigsten kam es wegen Untreue oder Unfruchtbarkeit dazu. Bei der Eheschließung zahlte die Familie der Frau eine Mitgift an den Mann. Im Fall der Scheidung wurde die Frau mit der Mitgift wieder Teil ihrer Herkunftsfamilie (Collins 2007, 465).

Im Judentum war Scheidung eine nach Dtn 24,1-4 gestattete und verbreitete Praxis. Die Tora-Stelle sprach in erster Linie von Männern, doch auch Frauen hatten (wenigstens in einigen Regionen) unter gewissen Umständen das Recht auf Scheidung (Collins 2007, 459f., 463f.). France und Evans gehen jedoch unter Berufung auf Josephus davon aus, bei der Scheidung jüdischer Frauen handle es sich um Randerscheinungen und Ausnahmen, die die Regel bestätigen (France 2002, 393f.; Evans 2001, 84). Nach manchen Schriftauslegungen konnte ein Mann sich sogar von seiner Frau trennen, wenn er eine andere hübscher fand (France 2002, 387f.). Im Gegensatz zu dieser ausufernden Praxis hat schon Mal 2,10-16 möglicherweise in ursprünglicher Form die Scheidung ganz verboten. Auch in einigen Schriften aus der Zeit Jesu wird sie eingeschränkt oder untersagt, wogegen andere beispielsweise keine Wiederheirat zu ließen (Collins 2007, 460-64). Die Frage der Pharisäer ist angesichts so unterschiedlicher Vorstellungen plausibel. Vielleicht beabsichtigten die Pharisäer damit sogar, Jesus in dieser Frage in die Nähe Johannes' des Täufers zu rücken. Dass die beiden Gesinnungsgenossen waren, war bekannt. Johannes hatte seine Kritik Herodes' Heirat einer geschiedenen Frau den Kopf gekostet, vielleicht hoffen die Pharisäer, Jesus als ebenso politisch gefährlich darzustellen (Evans 2001, 81).

Jesus verbietet die Scheidung jedoch ganz, und zwar aufgrund der Schöpfungsordnung. Die Erlaubnis der Scheidung in Dtn 24 ist nur ein notwendiges Zugeständnis, hat aber nichts damit zu tun, wie Gott die ehe eigentlich beabsichtigt hat. Im Reich Gottes muss sich die theologische Vorstellung von der Ehe jedoch an ihrem ursprünglichen Zweck, nicht am Scheitern der Menschen orientieren (France 2002, 388f.).

Jesu Frage in V. 3 bezieht sich auf das Gesetz des Mose. Für die Juden war es als „Gründungsdokument“ ihres Volkes im Zweifelsfall die höchste Autorität. Die Pharisäer fassen in ihrer Antwort (V. 4) Dtn 24,1-4 zusammen. Doch diese Stelle trifft kein Werturteil zur Scheidung und lässt weitgehend offen, welche Umstände eine Scheidung legitimierten (vgl. Evans 2001, 83). Jesus fragt nach Geboten, doch die Pharisäer können nur anbringen, was Mose zugelassen hat (France 2002, 390f.).

Das Schöpfungsprinzip (V. 6-8), auf das sich Jesus beruft, hebt die Ehe von der Abmachung zwischen zwei Menschen auf die ontologische Ebene. Verheiratet zu sein, wird zum Wesen der beiden Menschen, sie sind nicht mehr zwei einzelne, sondern ein „zusammengefügtes“ „Fleisch“ (vgl. France 2002, 393).

Collins glaubt, Jesus stelle auch Moses Gebot (V. 3) Gottes Gebot (V. 6-9) gegenüber, wie Jesus Gott und Mensch gegenüberstellt (V. 9). Impliziert wäre dann, dass Gottes Gebot höher steht als Moses Gebot (2007, 466ff.). Aber das sieht nach einer sehr künstlichen Unterscheidung aus. Erstens belegt Collins selbst, dass die Juden es als Häresie betrachteten, Moses Gebote als den anderen gegenüber sekundär einzustufen. Zweitens hat nach klassischer jüdischer Vorstellung Moses auch den Schöpfungsbericht geschrieben, zweitens benutzt Jesus „das, was Moses geboten hat“ (in V. 3) relativ offensichtlich pars pro toto für die gesamten Gebote des Gesetzes. Jesus macht also offenbar keinen Unterschied zwischen Gottes und Moses Vorschriften.

(Andernfalls müsste man ja annehmen, dass Jesus die Pharisäer nur nach der Lehre fragt, die von Mose kommt. Damit würde Jesus nicht nur selbst, sondern auch bei den Pharisäern voraussetzen, dass das 1. Buch Mose von den anderen Geboten der Torah zu trennen ist, ohne darauf einen anderen Hinweis zu liefern, und obwohl die Juden diese Vorstellung ablehnten. Seine Argumentation wäre dann künstlich: 1. Ihr dürft mir nur sagen, was Mose schreibt (aber nicht, was Gott Besseres schreibt). Schließlich richtet ihr euch ja danach. 2. Ich sage euch dann, was von Gott kommt und darum das überlegene Gebot ist. 3. Ich habe recht, weil ihr nicht gemerkt habt, dass zwischen Gott und Mose ein Unterschied besteht, obwohl ihr wisst, welche Gebote von Gott und welche nur von Mose kommen.)

In V. 10-12 beantwortet Jesus die implizite Frage nach der Wiederheirat, die er ganz verbietet. Die Scheidung scheint dabei offenbar hingenommen für den Fall, dass es doch zu einer Scheidung kommt (Collins 2007, 469). Jesus scheint jedoch nicht von seinem grundsätzlichen Verbot der Scheidung abzuweichen. Die Scheidung gab das Recht zur Wiederheirat, sodass es künstlich wäre, hier die Scheidung von der Wiederheirat zu trennen. Vielmehr geht Jesus auf weitere Details seiner Position zur Scheidung ein (France 2002, 393).

Jesus gibt der Frau dabei gleiche Rechte wie dem Mann. In der Antike galt Ehebruch hauptsächlich als Vergehen an dem betrogenen Mann, dessen Frau ihn begangen hatte. Jesus weitet das auch auf die Frau aus (Collins 2007, 469f.; France 2002, 394).

V. 12: Wenn es stimmt, dass die Scheidung der Frau nach jüdischem Recht nicht gestattet war (und es nur in Ausnahmefällen dazu kam, vgl. France 2002, 393f.; Evans 2001, 85; für einige Gegenbeispiele s. Collins 2007, 459f., 463f.), dann könnte es gut sein, dass Markus entweder bzw. sowohl 1. in Rom schrieb, wo Frauen das möglich war, oder bzw. und 2. indirekte Kritik an Herodes Antipas' Frau Herodias übt, die sich ja (nach römischem Recht?) von ihrem ersten Mann hatte scheiden lassen, um Antipas zu heiraten (die er allerdings privat an seine Jünger weitergibt; vgl. Evans 2001, 85f.).