Kommentar:Markus 11

Aus Die Offene Bibel

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Der Einzug in Jerusalem (Mk 11,1-10(11))[Bearbeiten]

Der Abschnitt des glorreichen Einzugs in Jerusalem markiert den Beginn des letzten Akts des Markusevangeliums, der in Jerusalem spielt (vgl. Collins 2007, 513). Der Einzug leitet nicht nur die Ereignisse ein, die zur Passion führen, sondern auch seine folgende Auseinandersetzung mit dem Tempel (Evans 2001, 147). Mit seinem Ritt scheint Jesus bewusst Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Gewöhnlich pflegte er zu Fuß zu reisen, und gerade zur Passa-Pilgerfahrt schien es üblich zu sein, dass nur Leute, die nicht zum Laufen imstande waren, nicht liefen (France 2002, 428f.). Die Erzählung vom Einritt in Jerusalem gerade auf einem Esel will die Prophetie aus Sacharja 9,9(-10) erfüllen, die deutlich messianisch ist.a Die Rufe der Menge zeigen, dass die Menschen das verstanden. Sie spielen auf Psalm 118,26 an. Nachdem Jesus sich schon von Bartimäus widerspruchslos mit dem Sohn Davids hat in Verbindung bringen lassen, zeigt diese Szene, dass Jesus es nicht nötig hat, sich selbst zum Messias auszurufen – die Menschen erkennen an seinen Handlungen, dass er es ist (France 2002, 428f.; vgl. Evans 2001, 140).

In den Makkabäerbüchern und bei Josephus gibt es ähnliche Berichte von triumphalen Einzügen in jüdische Städte (Evans 2001, 139). Von griechischen Schriftstellern sind ähnliche Szenen bekannt. Römische Triumphzüge liefern auch einige Parallelen (Collins 2007, 515).

Nach einer Untersuchung (Kinman 1999, zitiert bei Collins) könnte Jesu Einzug noch größere Ähnlichkeit mit dem gefeierten Besuch eines Prominenten (beispielsweise eines Herrschers oder Feldherren) haben, wobei die Würdenträger den Besucher schon außerhalb der Stadt in Empfang nahmen. Nach mehreren Festreden wurde der Gast in die Stadt begleitet und vielfach zum örtlichen Tempel geführt. Wurde dem Besucher die gebührende Ehrung versagt, konnte das schwerwiegende Konsequenzen haben. Besonders an Lukas' Bericht lässt sich festmachen, dass Jesus die erwartete Ehre völlig versagt wird, und dass ein Zusammenhang zu der vorhergesagten Zerstörung der Stadt besteht (Collins 2007, 515f.).

Die Römer hatten an anderen Gelegenheiten mit möglichen Umstürzlern oder vorgeblichen Messiasen, die eine Menschenmenge versammelt hatten, kurzen Prozess gemacht. Wenn die Geschichte vom Einzug in Jerusalem historisch ist, ist zu vermuten, dass sie Jesus nicht als Gefahr wahrnahmen, etwa weil seine Gruppe unbewaffnet war; weil sie nicht so groß war wie die Gruppen, gegen die die Römer zu anderen Zeiten einschritten; und/oder weil die Gruppe sich spontan zusammengefunden hatte und nicht organisiert war (Collins 2007, 513f.).

Die Menschenmenge ist vermutlich dieselbe, die Jesus schon seit einiger Zeit begleitet (vgl. 15,40f.). Das wird aus V. 9 klar. Bei der Menge handelte es sich vielleicht um galiläische Pilger, die zum Passafest nach Jerusalem zogen – ebenso wie Jesus und seine Anhänger. Es wird hier darum gar kein Einzug, sondern ein Eintreffen vor der Stadt beschrieben. Die Galiläer freuen sich über den Messias, die Jerusalemer sind noch etwas skeptischer (vgl. Mt 21,10-11). „The Galilean pilgrims shouted ‘Hosanna’ as they approached the city; the Jerusalem crowd shouted, ‘Crucify him’.“ (France 2002, 429f.; Zitat von S. 430)

Jesus und die Jünger nähern sich Jerusalem von der Ostseite, vom Ölberg her (V. 1). Das erinnert an Sach 14,4 (Evans 2001, 141; vgl. Collins 2007, 517). Dass Jesus den Jüngern so genaue Anweisungen gibt (V. 2), deutet entweder auf übernatürliches Wissen oder auf eine sorgfältige Inszenierung hin. Beide Möglichkeiten kommen hier infrage, doch die relativ dünne Ausrede, die Jesus den beiden mitgibt, könnte besonders auf eine Absprache hinweisen (France 2002, 431.432; Evans 2001, 143).

„Herr“ könnte sich theoretisch auf den Besitzer beziehen (wenn der sich mit Jesus abgesprochen hat). Wahrscheinlicher sind aber Jesus oder auch Gott. Ein Code-Wort für Jesus (oder ein respektvoller Titel, so Collins 2007, 518) wäre denkbar, aber Markus nennt Jesus niemals „Herr“, und selbst in Lukas wird Jesus erst nach seiner Auferstehung so genannt (France 2002, 432; Evans 2001, 143). Wahrscheinlich hat France recht: „Herr“ bezeichnet Gott, gemeint ist: „Gott braucht es“ (France 2002, 432; Evans 2001, 143).

Dass noch niemand auf dem (Esels)Fohlen (V. 2; s.a. die Fußnote) geritten ist, zeigt vielleicht an, dass dies ein besonderes Tier ist, das für Jesus allein ausgesondert wurde, wie es dessen Ehre zukommt – möglicherweise wie bei dem neuen Grab, das Jesus später für sich alleine bekommt (Evans 2001, 142). Ähnlich Num 19,2 wäre der Esel zu einem heiligen Zweck ausgesondert (Collins 2007, 518). Es ist möglich, dass Jesus mit der Konfiszierung des Fohlens für seine eigenen Zwecke quasi ein königliches Recht ausübt, das ihm zusteht – oder es zumindest so aussehen lässt (France 2002, 431; Evans 2001, 142).

Die Gewänder (V. 7) dienen als Sattel (vgl. Evans 2001, 143). Als uneingerittenes Tier war der Esel nicht gesattelt. Dass er Jesus einfach gehorchte, könnte daran liegen, dass er an Packlasten gewohnt war. Ein Wunder kommt zwar in Frage, ist aber nicht wahrscheinlich, weil Markus keine Andeutung macht, dass Jesu Ritt auf einem uneingerittenen Esel gerade deshalb ungewöhnlich wäre.

Jesu Ritt auf dem Esel (V. 7b-8) erinnert an zwei atl. Königskrönungen. In 1Kö 1,38-40 wird Salomo zum König gekrönt, indem er von Würdenträgern auf Davids Maultier gesetzt, in einem Festzug in eine Stadt geführt und von einem Priester gesalbt wird. Wahrscheinlich ruft Sach 9,9 gerade diese Szene in Erinnerung. In 2Kö 9,13 wird Jehu kurz nach seiner Salbung zum König ausgerufen, wobei die Leute ihre Gewänder vor seinen Schritten auf die Treppenstufen legen. Auch von Cato ist bekannt, dass er von seinen Truppen eine ähnliche Ehrerbietung erfuhr (Plurarch, Cato Minor 7). In 2Makk 10,7; vgl. 1Makk 13,51 wird Judas der Makkabäer ebenfalls von Menschen mit Zweigen geehrt (Evans 2001, 143f.; Plutarch wird zu Cato auch zitiert bei Collins 2007, 519).

V. 8 zitiert Ps 118 (117,26a LXX). „Der kommt“ ist vielleicht ein (schon im Psalm so verstandener) Bezug auf den in Gen 49,10 verheißenen Herrscher Judas, der kommen soll.

Ist das der Fall, dann rufen die Leute Jesus als Messias und verheißenen König Judas aus (Collins 2007, 519f.). Eine ganz ähnliche Verbindung schafft schon der zeitgenössische Targum Psalmen zu Ps 118, der den Leuten in einer Form bekannt gewesen sein oder eine allgemeine Meinung wiedergegeben haben könnte (Evans 2001, 146). Der Chor geht jedoch in Rufe nach dem Reich Davids (V. 10) über, was nicht mehr aus dem Psalm stammt. Die Menge erkennt den messianischen Anspruch, den Jesus aufstellt, und feiert ihn, der sehr bewusst wie Salomo und als der vorhergesagte König (Sach 9,9) in Jerusalem einzieht. So wird dann auch der Vorwurf, sich für den König der Juden zu halten, später in seinem Verratsprozess eine zentrale Role spielen (France 2002, 434f.). V. 10b zitiert Ps 148,1.

Ganz unvermittelt ist der Triumphzug in V. 11 vorbei. Der Vers ist antiklimaktisch, denn nach dem glorreichen Einzug hätte man damit gerechnet, dass Jesus zum König gekrönt wird. Doch Markus berichtet nicht, wie der Einzug endet. Schon in Mk 8,31 hatte Jesus die Erwartungen der Jünger an den Messias korrigiert und klar gemacht, dass der Messias leiden, sterben und auferstehen müsse. In Mk 14-15 wird Jesus dann ironisch als verachteter, leidender Messias dargestellt (Collins 2007, 520). Hat Jesus erwartet, im Tempel von den Priestern begrüßt zu werden? (Evans 2001, 146f.) Doch der Empfang bleibt aus, was für Würdenträger, die solch einen Empfang erwarten dürfen, eine Beleidigung darstellt (Collins 2007, 521).

Jesus kann sich nicht das eigentliche Heiligtum ansehen, das Priestern vorbehalten war, wohl aber den Vorhof der Heiden (wo er am nächsten Tag demonstrierte) und den der Frauen.b Er ist dabei weder Tourist, noch ist dies sein erster Besuch im Tempel, sondern er macht sich ein Bild der Lage, um seine Demonstration am nächsten Tag zu planen. Jerusalem war zu klein, um die Tausende von Festpilgern aufzunehmen, daher übernachteten viele von ihnen in den umliegenden Dörfern oder unter freiem Himmel. Nur die Passanacht selbst musste innerhalb der Stadt verbracht werden. Aus Lk 10,38-42 geht hervor, dass die Gruppe wohl bei Lazarus, Maria und Marta unterkam (vgl. Mk 14,3) (France 2002, 442).


Exkurs: Textkrik zu V. 3[Bearbeiten]

NA28, SBLGNT: ‚Der Herr braucht es und schickt es wieder zurück (hierher).‘ (01, D, L, 579, 892, 1241, d, Origenes und anderen. B enthält ebenfalls πάλιν, aber in etwas anderer Reihenfolge.)

Mehrheitstext u.a.: „‚Der Herr braucht es.‘ Dann (Und) schickt er es sofort hierher.“ (A, CC, W, X, Y, f1, f13, 700, 1342, byz, Lat, Sy, bo, goth)

Im zweiten Fall fehlt im griechischen Text lediglich das Wort πάλιν „wieder“, und das Subjekt von „schickt“ wäre nicht mehr der Herr, sondern der Fragesteller. Matthäus scheint die Tradition eben auf diese Weise verstanden zu haben (Mt 21,3; bei Lk fehlt die Stelle).

Lesart 2 könnte die schwierigere sein, weil christliche Leser „Herr“ automatisch auf Jesus bezogen hätten. War ursprünglich aber Gott gemeint und nicht Jesus, dann wäre πάλιν nicht nötig, denn dann wäre nicht „der Herr“, sondern der Gesprächspartner derjenige, der den Esel zurück zu Jesus schickt. Die Leser, die unter „Herr“ „Jesus“ verstanden, ergänzten dann „wieder“ (so France 2002, 428.432; Duncan/Derrett 2001). Ein weiteres Indiz dafür, dass πάλιν sekundär sein könnte, ist, dass es in der Tradition an verschiedenen Stellen überliefert ist, vielleicht sah man auch ein Problem darin, dass Jesus sich das Tier einfach nahm (Collins 2007, 512).

Doch die externe Evidenz für die erste Variante ist fast zu stark, um sekundär zu sein. Und auch Variante 1 ist wegen des Präsens schwierig: Erwarten würde man „wird schicken“ im Futur, was zur Auslassung geführt haben könnte. Genauso gut hätte „wieder“ eben aufgrund von Mt 21,3 wegharmonisiert werden können. Ein weitere Indikator: Bei Mt 21,3 hat niemand ein „wieder“ vermisst und eingefügt. Dass jemand πάλιν ausgelassen hat, ist also gut vorstellbar. Matthäus hat dann entweder eine andere Tradition gekannt oder absichtlich umformuliert (Metzger 1994, 92; Collins 2007, 512; vgl. Willker 2013, 442f.).

Exkurs: Laubzweige oder lange Grashalme? (Mk 11,8)[Bearbeiten]

Die Übersetzungen und viele Wörterbücher scheinen bei Gr. στιβάς wegen der synoptischen Parallelstellen von Zweigen (bzw. "Laubbüschel, Wedel" (BA, vgl. EWNT, LN, DBL Greek)) zu reden. Es gibt aber eine recht überzeugende Argumentation, dass eher lange Gräser gemeint sind (Evans 2001, 144). Der Konsens für die "Laubzweige" ist zwar groß, aber diese "Binsen" sind eine wenigstens erwähnenswerte Theorie, die sich vielleicht als richtig herausstellen könnte.

Evans: The στιβάδας , “tall grass,” cut from fields may have been reeds or stalks of grain (see MM, 589: “a litter of reeds or rushes”; note also BAGD, which forces the evidence to insist that στιβάδας must refer to leafy branches). Of these options, either tall grass or stalks of grain (which at this time of season would be scarcely distinguishable from grass) is the better choice, for rushes or reeds were not likely to have been plentiful in the drier, rugged hills surrounding Jerusalem (as they would have been along the banks of the Jordan River and the Sea of Galilee). Mark’s στιβάδας are not the same as Matthew’s κλάδους ἀπὸ τῶν δένδρων , “branches from the trees” (21:8), which is a Matthean improvement, or John’s τὰ βαΐα τῶν φοινίκων, “the branches of palm trees” (12:13). Accordingly, Mohr’s argument (Markus- und Johannespassion, 56) that Mark’s “leafy branches” must refer to either the festival of Tabernacles or the festival of Dedication, instead of the festival of Passover, loses all force (as Gundry, 629, rightly points out). Nor is there any basis for Swete’s proposal (250), perhaps influenced by John 12:12–13, that some of Jesus’ following entered Jerusalem and brought back with them palm branches.

Die gemeinfreie Version von LSJ: "rushes, or leaves, whether strewn loose (cf. Ev.Marc.11.8)".

France 2002, 433: "The στιβάδες are simply unspecified vegetation, the word being used classically for straw, rushes, leaves, and other materials used for bedding (it is John who makes them βαΐα τῶν φοινίκων, palm branches), and provide further festive floor covering."

Dagegen Marcus 2009, z. St. : "leafy branches. Gk stibadas. In its classical usages this term means “a kind of bed or mattress made of straw, rushes, reeds, leaves, etc.” (BDAG 945). It does not occur elsewhere in the LXX or early Christian literature, and the present translation is reached from the context and the Matthean parallel, which changes stibadas to kladous (“branches”); in any event, the term is poetically appropriate, since the stibadas are strewn on the ground."

Da alle Übersetzungen und die meisten Wörterbücher bei "Zweigen" oder "Laubbüscheln" bleiben, gehen wir wie France und Marcus davon aus, dass der Begriff relativ bedeutungsoffen alles meint, was man in eine Matratze stopfen kann.


Unfruchtbarer Feigenbaum, unfruchtbarer Tempel und mächtiges Gebet (Mk 11,12-25)[Bearbeiten]

Der folgende Abschnitt ist eine verschränkte Erzählung einzelner Stränge, die nur lose miteinander verknüpft sind. Sie berichtet zunächst von einem Feigenbaum (11,12-14), dann Jesu Demonstration und Urteil im Tempel (15-19), wieder vom Feigenbaum (21-22) und zieht dann daraus Lehren über die Macht des im Glauben gesprochenen Gebetes (23-25). Nimmt man V. 11 als ersten Tempelbesuch hinzu, erhält man eine verschränkte Gliederung wie die von France:

A First visit to the temple (11:11)
B Cursing of the fig tree (11:12–14)
A Jesus takes action in the temple (11:15–19)
B The fig tree is found to be dead (11:20–25)
A Jesus returns to the temple (11:27) (France 2002, 436)

Die Episode mit dem Feigenbaum lässt sich nur symbolisch verstehen. Weil Markus hier wieder einmal zwei Erzählungen miteinander verwebt, hilft die Feigenbaum-Geschichte sinnbildlich dabei, Jesu Handlung im Tempel richtig zu verstehen. Jesu Handlung gegenüber dem Feigenbaum, auf den Tempel übertragen, erklärt viel über seine kritische Position gegenüber dem Tempel als Einrichtung.

Der unfruchtbare Feigenbaum (Mk 11,12-14)[Bearbeiten]

Feigenbäume waren damals die verbreitetsten Obstbäume. Im AT kommen sie häufig vor und stehen, zusammen mit dem Weinstock, oft symbolisch für Frieden und Sicherheit (z.B. Mi 4,4). Doch weil Feigenbäume im AT auf ganz verschiedene Weise metaphorisch benutzt wurden, lässt sich daraus nicht unmittelbar ableiten, was Jesu scheinbar übellauniges und irrationales Verhalten gegenüber dem Feigenbaum symbolisieren soll (vgl. Evans 2001, 154).

Jesus sucht etwa im April (zur Zeit des Passafests) nach Feigen (V. 13), die allerdings erst im Mai bis Juni reif werden (eine zweite Feigenernte reift zwischen August und Oktober). Seine Annahme, an dem Baum könnte „etwas“ (V. 13) Essbares zu finden sein, macht er daran fest, dass er belaubt ist. Aber außer Blättern findet er rein gar nichts, offenbar auch keine Ansätze (Evans 2001, 154f.). Die Blätter entwickeln sich vor den Früchten, und zur Zeit des Passafests sollten schon kleine unreife Früchte vorhanden sein, die zwar nicht besonders schmecken, aber essbar sind (France 2002, 440). Viele Ausleger nehmen an, dass Jesus von dem Feigenbaum erwartet, für ihn auch in der falschen Jahreszeit Früchte Soweit es sich aus unserer Perspektive feststellen lässt, verflucht Jesus den Feigenbaum also nicht, weil er die unrealistische Erwartung hätte, zur falschen Zeit Feigen zu finden – sondern weil der Baum ganz unfruchtbar ist. „denn/nämlich“ („es war nämlich nicht die Zeit für Feigen“, V. 13) leitet dann lediglich eine nachgeschobene Information ein, die schon früher hätte erwähnt werden können, ohne sich dabei auf die unmittelbar vorhergehende Aussage zu beziehen. Stattdessen könnte gemeint sein, dass Jesus daran zweifelte, wegen der Jahreszeit Feigen an dem Baum zu finden (Evans 2001, 156f.; Pryke 1976, 126f.). Vgl. NGÜ: „Es war allerdings auch nicht die Zeit der Feigen.“

France warnt jedoch vor allzu genauen Rekonstruktionen, die in manchen Kommentaren zu finden sind: „For such theories we are in the hands of the horticultural experts, and it may be questioned how far most commentators, for all their technical language, actually understand the ways of figs. I do not claim to do so, and the ‘expert evidence’ offered by commentators varies so considerably, even to the point of contradiction, that, while the above theory appeals to me, I do not feel able to offer a confident explanation.“ (ebd. 440)

Wahrscheinlich macht Jesus (oder wenigstens der Verfasser des Evangeliums) absichtlich eine Anspielung auf Mi 7,1(f.). Dort vergleicht sich der Prophet mit jemandem, der nach der Ernte keine Frucht mehr an den Pflanzen findet, auch keine Feige, auf die er Appetit/Hunger hat. Die folgenden Verse machen klar, dass er mit dem fehlenden Obst in Wirklichkeit den fehlen von echten Gläubigen bemängelt hat (Collins 2007, 525f.).

Der Tempelprotest (Mk 11,15-19)[Bearbeiten]

Die verkauften Tauben (V. 15) waren Opfertiere. Die Geldwechsler tauschten die Währungen der Besucher in die Tempelwährung um, die nötig war, um die Tempelsteuer von einem halben Schekel zu bezahlen (Ex 30,11-16). Herodes der Große hatte diesen äußeren Hof als öffentlichen Platz ausgebaut und so erst die Grundlage dafür geschaffen, dass hier – und nicht anderswo – Handel möglich war (Collins 2007, 527f.). Es gibt Hinweise darauf, dass erst Kaiaphas als Hoherpriester um etwa 30 n. Chr., gegen den Widerstand des Sanhedrins solche Geschäfte in dem geräumigen Vorhof zugelassen hatte. Vorher hatten die Geschäfte außerhalb des Tempelgeländes stattgefunden (France 2002, 443f.). Je nach Datierung des Todes Jesu (viele gehen vom Jahr 30, andere von einem Zeitpunkt einige Jahre später aus) wäre das zu dieser Zeit eine relativ neue Entwicklung gewesen (ebd. 444).

Woran genau könnte Jesus Anstoß genommen haben? Nach Ez 40-48 sollte der gesamte Tempel ein heiliger Ort und nicht irgendein öffentliches Forum sein, auf dem Geschäfte gemacht wurden. Sach 14,21 ist Zeugnis, dass das Haus Gottes eigentlich zu heilig war, um als Marktplatz für diverse Händler zu dienen. Zudem dienten als Tempelwährung vielleicht tyrische Silbermünzen, die den Kopf einer heidnischen Gottheit trugen. Das hätte gegen das Bilderverbot verstoßen, ganz abgesehen davon, dass es sich um einen Götzen handelte (Collins 2007, 528f.). Aus der Mischna, die später verfasst wurde als die Evangelien, ist ein Vorfall bekannt, indem ein Rabbi im Tempel sehr erfolgreich gegen Wucherpreise für Opfertauben protestierte. Vielleicht hängt Jesu Vorgehen gegen die Taubenverkäufer mit ähnlichen Problemen zusammen (Evans 2001, 172f.).

Jesus demonstrierte also dagegen, dass der Tempelhof für sekulare Geschäfte und Gewinnstreben benutzt wurde, quasi als „Touristenfalle“, womöglich mit einer „unreinen“ Währung. Das Mischzitat aus Jes 56,7 und Jer 7,11 in V. 17 bestätigt diese Deutung (Evans 2001, 169.171). Sein Protest war freilich rein symbolisch, denn als einzelner wäre es ihm schwer möglich gewesen, das gesamte Areal freizuräumen. Und Markus lediglich, dass er damit begann. Die meisten Besucher auf dem ca. 450x300m großen Gelände hätten seinen Protest wohl nicht einmal mitbekommen. So ist auch zu erklären, dass niemand gewaltsam eingriff, besonders wenn Jesus von einer größeren Pilgergruppe begleitet wurde (vgl. Mk 12,12) (Evans 2001, 166-71). Das vergleichsweise starke Wort „hinaustreiben/vertreiben“ ist vielleicht aus Hos 9,15 LXX entlehnt (France 2002, 444).

Zu V. 16 und V. 17 s. die Fußnoten. Die führenden Priester und Schriftgelehrten (V. 18) fühlen sich von seiner Kritik an der Tempelführung direkt angesprochen – und planen nicht zum ersten (oder letzten) Mal, Jesus zu „vernichten“, d.h. unschädlich zu machen: ihn aus dem Weg zu räumen oder umzubringen (vgl. Mk 3,6; 8,31). Die Menschenmenge besteht nun vermutlich nicht mehr bloß aus galiläischen Pilgern, sondern wohl auch aus Jerusalemern (France 2002, 446f.). Wir erfahren nun, dass der Fluch des unfruchtbaren Feigenbaums nach Markus' Darstellung im weiteren Sinn nicht dem ganzen Volk, sondern gerade den geistlichen Führern und Verantwortlichen im Tempel galt (Collins 2007, 532).

Der Feigenbaum ist verdorrt (Mk 11,20-21)[Bearbeiten]

Mehrfach ist das Bild einer bis zu den Wurzeln verdorrten Pflanze (V. 20) im AT zu finden. In Ijob 18,16 LXX beschreibt Bildad das Schicksal der Gottlosen mit dem Bild eines Baumes, dessen Wurzeln unten verdorren und dessen Ernte (hebr. Zweige) oben ausbleibt. Der Prophet Ezechiel verheißt dem König Zedekia für seinen Ungehorsam mit einem Vergleich mit einem Weinstock, seine Wurzeln würden verfaulen und seine Triebe verdorren (Eze 17,9 LXX) (Collins 2007, 533f.). Die direkteste Parallele ist jedoch zu Hos 9,10.16 LXX, wo Israel zunächst mit einer frühen Feige an einem Feigenbaum im ersten Jahr verglichen wurde (10), sich dann jedoch dem Baal-Götzendienst zuwandte. In V. 16 heißt es, Ephraim (=das Nordreich Israel) werde unfruchtbar werden, seine Wurzeln verdorrt sein und kinderlos bleiben, V. 17 zeigt an, dass damit die endgültige Zerstreuung des Nordreichs gemeint ist (vgl. France 2002, 447 Fn 64). Zumindest einigen Lesern wäre also wohl aufgefallen, dass der verdorrte Feigenbaum ein Symbol für von Gott gestraften Ungehorsam und Unglauben war. Aus dem Schicksal Zedekias (Eze 17) könnte man zudem ableiten, dass auch hier gerade die Führer, nicht das ganze Volk, das Problem sind (so Collins 2007, 534), andererseits ist in Hos 9 das ganze Volk des Nordreichs im Blick.

Im Rückblick wird für den Leser nach Jesu späteren Auseinandersetzungen mit der religiösen Führung deutlich, dass seine Demonstration nur der Anfang des Gerichts gegen den Tempel war, der am Ende zur völligen Auflösung des Tempelgottesdienstes führen würde. Der Feigenbaum liefert den Interpretationsrahmen für Jesu Tempelprotest – will er den Tempel reinigen und schützen, oder richtet er schon (France 2002, 437)? Strikt in seinem Kontext verstanden, entspricht der Feigenbaum dem Tempel. Trotz seiner Blätter – die Verehrung Gottes im Tempel scheint sehr gut zu verlaufen – ist keine Frucht da. Da ein Baum ohne Frucht keinen Wert hat und (von Jesus) zerstört wird, wird es dem Tempel genauso gehen. Diese Deutung wird durch das kombinierte Zitat in V. 17 unterstützt, wo in Jer die Strafe für das Fehlverhalten (d.h. den Tempel zu einer „Räuberhöhle“ gemacht zu haben) am Ende die Zerstörung des Tempels war. Der Vorhang im Tempel, der Gottes Gegenwart von den Menschen trennt, zerreißt in Mk 15,38, was mit diesem Fluch zusammenhängen könnte. (Evans 2001, 160f.).

Evans schreibt: „Because the temple incident is surrounded by the ominous story of the cursing of the fig tree (Mark 11:12–14, 20–21), there is little doubt concerning what the evangelist is trying to communicate. The temple establishment faces doom if it does not change its ways. The fig tree could yield nothing edible and so fell under judgment. If the temple establishment cannot, or will not, do better, then it too will fall under judgment. How serious this judgment would be is addressed in the parable of the Vineyard Tenants (Mark 12:1–11) and Jesus’ prophecy of the destruction of the temple (Mark 13:1–2).“ (ebd. 182)

Die Macht des Gebets (Mk 11,22-25)[Bearbeiten]

Vv. 22-25 werden von vielen als eine Reihe unabhängiger Aussprüche betrachtet, die Markus hier angehängt hat, weil sie zum Thema passen (Evans, Collins, France). Es gibt zwei thematische Anknüpfungspunkte:

  • Aus dem verdorrten Feigenbaum, den er verflucht hat, zieht Jesus die Lehre, dass Gebete effektiv sind, wenn sie nur von Glauben begleitet sind. Er zieht eine ähnlich plastische Illustration heran.
  • Jesus lehrt über Gebet, was mit dem Tempel als „Haus des Gebets“ zusammenhängt. Anscheinend macht er sich schon Gedanken darüber, was ist, denn der Tempel diese Funktion nicht mehr erfüllt. Das Gebet bespricht er als etwas vor allem innerhalb der Jüngergemeinschaft (France 2002, 448).

Aus diesen Versen lässt sich eine weitere Erkenntnis über den Tempelvorfall ziehen: Ist der Tempel in V. 17 nicht mehr Haus des Gebets, sondern Räuberhöhle geworden, dann heißt das implizit auch, dass der Glaube nicht mehr da ist, der zu dem Gebet geführt hätte. Das Gebet des Glaubens findet daher anderswo statt (Evans 2001, 192; France 2002, 441). Gebet ist der wichtigste Ausdruck der Gottesbeziehung im Glauben (Evans 2001, 195).

Der Berg, der sich ins Meer stürzt (V. 23), ist ein ebenso bizarres, unmögliches Bild wie das Kamel, das sich durch ein Nadelöhr zwängt (10,25). Er passt jedoch gut zu dem Feigenbaum, den Jesus verflucht hat (ebd.). Nach einem anderen Verständnis steht zunächst nicht die Macht des Gebets im Fokus, sondern Jesus erklärt den Jüngern, wie sie Wunder tun können. Nachdem er das im Evangelium bereits mehrfach von ihnen erwartet hatte und sie es nicht getan hatten, hat er schon in 9,21-24 zu erklären begonnen, wie das zu bewerkstelligen ist (Collins 2007, 534f.). Erst ab V. 24 geht es vordergründig um das Gebet (ebd. 536). V. 24 ist durch daher kausal stark mit der Aussage von V. 23 verknüpft (Evans 2001, 191). V. 25 schränkt ein, dass Gebet nur dann effektiv ist, wenn der Beter vorher anderen Vergebung gewährt hat und so selbst Vergebung erfährt (France 2002, 450).


Jesu Befugnis und die Johannestaufe (Mk 11,27-33)[Bearbeiten]

Dieser Abschnitt setzt thematisch die vorhergehenden fort (vgl. den zitierten Gliederungsvorschlag weiter oben). Die Frage nach Jesu Befugnis (V. 28) ist eine Reaktion auf die Tempelreinigung in Vv. 15-17. (Zum Hintergrund sowie Recht s. die Fußnote.) Genau dieses Ereignis ist es, auf das sich „diese [Dinge]“ beziehen. Vielleicht ist speziell im Blick, dass Jesus den Warenverkehr durch den Tempel unterbinden wollte, den die Tempeloberen ausdrücklich zugelassen hatten (Evans 2001, 209).

Die Demonstrativpronomina („dies/diese Dinge tun“ (2x sowie V. 29 & 33) sowie „dieses Recht“) sind etwas schwierig zu zu übertragen. NSS empfiehlt für „dies zu tun“ die Übersetzung „so zu handeln“. MEN: „Auf Grund welcher Vollmacht trittst du hier in solcher Weise auf?“ Für „dieses Recht“ könnte eine sinngemäße Wiedergabe i.S.v. „das entsprechende Recht“ oder „das Recht dazu“ sinnvoll sein.

Der kundige Leser weiß: Jesu Vollmacht stammt tatsächlich vom Himmel (vgl. Mk 2,10). Er ist der inthronisierte und von Gott mit aller Macht versehene Menschensohn (Dan 7,13-14), der alle Macht im Himmel und darum auch auf der Erde hat (Evans 2001, 202f.).

In seiner Gegenfrage (V. 29-30) geht Jesus forsch und unerschrocken auf die Herausforderung durch die höchsten jüdischen Autoritäten ein. Er nützt Jesus Johannes' allgemeine Beliebtheit für sich und dreht den Spieß um. Impliziert ist, dass Johannes' Taufe vom Himmel kam und dieselbe Berechtigung hat wie Jesu Protest im Tempel. Jesus selbst ist ja von Johannes getauft worden, das zeigt, dass er dessen himmlische Bevollmächtigung anerkennt und sich selbst ebenfalls vom Himmel bevollmächtigt sieht. Die Frage gerade nach Johannes' Taufe ist darum mit Bedacht gewählt (Evans 2001, 204f.).

Seine Gegenspieler hätten jedoch anders geantwortet. Doch weil sie nicht riskieren wollen, sich öffentlich negativ über Johannes zu äußern (V. 33), bleiben sie lieber still und überlassen Jesus das Schlachtfeld (vgl. France 2002, 455). Die religiösen Führer verhalten sich mickerig und egoistisch, indem sie sich lieber selbst schützen, als den (aus ihrer Sicht angegriffenen) Tempel zu verteidigen – was ihre eigentliche Aufgabe wäre. Ihre Antwort ist peinlich, weil sie entweder offensichtlich eine besonders feige Ausrede ist, oder weil sie theologische Inkompetenz offenbart (Evans 2001, 207f.). Auch das wird Jesus vorausgesehen haben – die Tempeloberen haben sich blamiert. Ob dieser Weigerung muss dann auch Jesus nicht mehr antworten. Das unmittelbar folgende Gleichnis geht jedoch auf die Frage ein (Evans 2001, 207f.).


Fußnoten[Bearbeiten]

aIm Hintergrund stehen könnten auch Gen 49,10f. und 1Kö 1,38-40 (France 2002, 429; Collins 2007, 518). (Zurück zum Text: a)
bDaher haben wir in der Übersetzung das genauere Wort „Tempelbezirk“ in eine Klammer gesetzt. Da auch dieser Bereich des Tempels einfach Tempel genannt wurde, geht die normale Übersetzung „Tempel“ völlig in Ordnung. (Zurück zum Text: b)


Textkritik[Bearbeiten]

Vers 3[Bearbeiten]

3 Und falls euch jemand fragt: ‚Was macht ihr da (Warum macht ihr das)?‘, [dann] sagt: ‚Der Herr braucht es und schickt es [später] wieder zurück (hierher).‘“ c

c‚Der Herr braucht es und schickt es [später] wieder zurück (hierher).‘ Oder nach einer anderen Lesart: „(sagt:) ‚Der Herr braucht es.‘, dann (Und) schickt er es sofort hierher.“ Im zweiten Fall fehlt im griechischen Text lediglich das Wort πάλιν „wieder“, und das Subjekt von „schickt“ wäre nicht mehr der Herr, sondern der Fragesteller. Matthäus scheint die Tradition eben auf diese Weise verstanden zu haben (Mt 21,3; bei Lk fehlt die Stelle). Für detaillierte Textkritik vgl. den Exkurs im Kommentar. (Zurück zu v.3)

Vers 26[Bearbeiten]

26 [ [ Doch wenn ihr nicht vergebt, dann wird auch euer Vater im Himmel eure Verfehlungen nicht vergeben. ] ]d

dTextkritik: In einigen der besten Zeugen fehlt V. 26 (01, B, L, W, Δ u.a.). Neben dem Mehrheitstext ist er auch in westlichen, cäsaräischen und einigen alexandrinischen Handschriften zu finden (unter anderem in C, D, 28 und 33). Der Vers setzt die Argumentation aus V. 25 fort. Zusammen erinnern beide Verse stark an Mt 6,14-15. Wahrscheinlich handelt es sich um eine frühe, irrtümliche Ergänzung um den vermeintlich fehlenden Abschnitt nach dem Muster von Mt 6,15 (vgl. Evans 2001, 184, 194). Dass der Vers trotz seines hilfreichen Inhalts in so vielen Zeugen fehlt, weist ebenfalls darauf hin, dass er sekundär ist (France 2002, 435). Wir zeigen ihn nur aus technischen Gründen im Fließtext an. (Zurück zu v.26)