Kommentar:Markus 11

Aus Die Offene Bibel

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Der Einzug in Jerusalem (Mk 11,1-10(11))[Bearbeiten]

Der Abschnitt des glorreichen Einzugs in Jerusalem markiert den Beginn des letzten Akts des Markusevangeliums, der in Jerusalem spielt (vgl. Collins 2007, 513). Der Einzug leitet nicht nur die Ereignisse ein, die zur Passion führen, sondern auch seine folgende Auseinandersetzung mit dem Tempel (Evans 2001, 147). Mit seinem Ritt scheint Jesus bewusst Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Gewöhnlich pflegte er zu Fuß zu reisen, und gerade zur Passa-Pilgerfahrt schien es üblich zu sein, dass nur Leute, die nicht zum Laufen imstande waren, nicht liefen (France 2002, 428f.). Die Erzählung vom Einritt in Jerusalem gerade auf einem Esel will die Prophetie aus Sacharja 9,9(-10) erfüllen, die deutlich messianisch ist.a Die Rufe der Menge zeigen, dass die Menschen das verstanden. Sie spielen auf Psalm 118,26 an. Nachdem Jesus sich schon von Bartimäus widerspruchslos mit dem Sohn Davids hat in Verbindung bringen lassen, zeigt diese Szene, dass Jesus es nicht nötig hat, sich selbst zum Messias auszurufen – die Menschen erkennen an seinen Handlungen, dass er es ist (France 2002, 428f.; vgl. Evans 2001, 140).

In den Makkabäerbüchern und bei Josephus gibt es ähnliche Berichte von triumphalen Einzügen in jüdische Städte (Evans 2001, 139). Von griechischen Schriftstellern sind ähnliche Szenen bekannt. Römische Triumphzüge liefern auch einige Parallelen (Collins 2007, 515).

Nach einer Untersuchung (Kinman 1999, zitiert bei Collins) könnte Jesu Einzug noch größere Ähnlichkeit mit dem gefeierten Besuch eines Prominenten (beispielsweise eines Herrschers oder Feldherren) haben, wobei die Würdenträger den Besucher schon außerhalb der Stadt in Empfang nahmen. Nach mehreren Festreden wurde der Gast in die Stadt begleitet und vielfach zum örtlichen Tempel geführt. Wurde dem Besucher die gebührende Ehrung versagt, konnte das schwerwiegende Konsequenzen haben. Besonders an Lukas' Bericht lässt sich festmachen, dass Jesus die erwartete Ehre völlig versagt wird, und dass ein Zusammenhang zu der vorhergesagten Zerstörung der Stadt besteht (Collins 2007, 515f.).

Die Römer hatten an anderen Gelegenheiten mit möglichen Umstürzlern oder vorgeblichen Messiasen, die eine Menschenmenge versammelt hatten, kurzen Prozess gemacht. Wenn die Geschichte vom Einzug in Jerusalem historisch ist, ist zu vermuten, dass sie Jesus nicht als Gefahr wahrnahmen, etwa weil seine Gruppe unbewaffnet war; weil sie nicht so groß war wie die Gruppen, gegen die die Römer zu anderen Zeiten einschritten; und/oder weil die Gruppe sich spontan zusammengefunden hatte und nicht organisiert war (Collins 2007, 513f.).

Die Menschenmenge ist vermutlich dieselbe, die Jesus schon seit einiger Zeit begleitet (vgl. 15,40f.). Das wird aus V. 9 klar. Bei der Menge handelte es sich vielleicht um galiläische Pilger, die zum Passafest nach Jerusalem zogen – ebenso wie Jesus und seine Anhänger. Es wird hier darum gar kein Einzug, sondern ein Eintreffen vor der Stadt beschrieben. Die Galiläer freuen sich über den Messias, die Jerusalemer sind noch etwas skeptischer (vgl. Mt 21,10-11). „The Galilean pilgrims shouted ‘Hosanna’ as they approached the city; the Jerusalem crowd shouted, ‘Crucify him’.“ (France 2002, 429f.; Zitat von S. 430)

Jesus und die Jünger nähern sich Jerusalem von der Ostseite, vom Ölberg her (V. 1). Das erinnert an Sach 14,4 (Evans 2001, 141; vgl. Collins 2007, 517). Dass Jesus den Jüngern so genaue Anweisungen gibt (V. 2), deutet entweder auf übernatürliches Wissen oder auf eine sorgfältige Inszenierung hin. Beide Möglichkeiten kommen hier infrage, doch die relativ dünne Ausrede, die Jesus den beiden mitgibt, könnte besonders auf eine Absprache hinweisen (France 2002, 431.432; Evans 2001, 143).

„Herr“ könnte sich theoretisch auf den Besitzer beziehen (wenn der sich mit Jesus abgesprochen hat). Wahrscheinlicher sind aber Jesus oder auch Gott. Ein Code-Wort für Jesus (oder ein respektvoller Titel, so Collins 2007, 518) wäre denkbar, aber Markus nennt Jesus niemals „Herr“, und selbst in Lukas wird Jesus erst nach seiner Auferstehung so genannt (France 2002, 432; Evans 2001, 143). Wahrscheinlich hat France recht: „Herr“ bezeichnet Gott, gemeint ist: „Gott braucht es“ (France 2002, 432; Evans 2001, 143).

Dass noch niemand auf dem (Esels)Fohlen (V. 2; s.a. die Fußnote) geritten ist, zeigt vielleicht an, dass dies ein besonderes Tier ist, das für Jesus allein ausgesondert wurde, wie es dessen Ehre zukommt – möglicherweise wie bei dem neuen Grab, das Jesus später für sich alleine bekommt (Evans 2001, 142). Ähnlich Num 19,2 wäre der Esel zu einem heiligen Zweck ausgesondert (Collins 2007, 518). Es ist möglich, dass Jesus mit der Konfiszierung des Fohlens für seine eigenen Zwecke quasi ein königliches Recht ausübt, das ihm zusteht – oder es zumindest so aussehen lässt (France 2002, 431; Evans 2001, 142).

Die Gewänder (V. 7) dienen als Sattel (vgl. Evans 2001, 143). Als uneingerittenes Tier war der Esel nicht gesattelt. Dass er Jesus einfach gehorchte, könnte daran liegen, dass er an Packlasten gewohnt war. Ein Wunder kommt zwar in Frage, ist aber nicht wahrscheinlich, weil Markus keine Andeutung macht, dass Jesu Ritt auf einem uneingerittenen Esel gerade deshalb ungewöhnlich wäre.

Jesu Ritt auf dem Esel (V. 7b-8) erinnert an zwei atl. Königskrönungen. In 1Kö 1,38-40 wird Salomo zum König gekrönt, indem er von Würdenträgern auf Davids Maultier gesetzt, in einem Festzug in eine Stadt geführt und von einem Priester gesalbt wird. Wahrscheinlich ruft Sach 9,9 gerade diese Szene in Erinnerung. In 2Kö 9,13 wird Jehu kurz nach seiner Salbung zum König ausgerufen, wobei die Leute ihre Gewänder vor seinen Schritten auf die Treppenstufen legen. Auch von Cato ist bekannt, dass er von seinen Truppen eine ähnliche Ehrerbietung erfuhr (Plurarch, Cato Minor 7). In 2Makk 10,7; vgl. 1Makk 13,51 wird Judas der Makkabäer ebenfalls von Menschen mit Zweigen geehrt (Evans 2001, 143f.; Plutarch wird zu Cato auch zitiert bei Collins 2007, 519).

V. 8 zitiert Ps 118 (117,26a LXX). „Der kommt“ ist vielleicht ein (schon im Psalm so verstandener) Bezug auf den in Gen 49,10 verheißenen Herrscher Judas, der kommen soll.

Ist das der Fall, dann rufen die Leute Jesus als Messias und verheißenen König Judas aus (Collins 2007, 519f.). Eine ganz ähnliche Verbindung schafft schon der zeitgenössische Targum Psalmen zu Ps 118, der den Leuten in einer Form bekannt gewesen sein oder eine allgemeine Meinung wiedergegeben haben könnte (Evans 2001, 146). Der Chor geht jedoch in Rufe nach dem Reich Davids (V. 10) über, was nicht mehr aus dem Psalm stammt. Die Menge erkennt den messianischen Anspruch, den Jesus aufstellt, und feiert ihn, der sehr bewusst wie Salomo und als der vorhergesagte König (Sach 9,9) in Jerusalem einzieht. So wird dann auch der Vorwurf, sich für den König der Juden zu halten, später in seinem Verratsprozess eine zentrale Role spielen (France 2002, 434f.). V. 10b zitiert Ps 148,1.

Ganz unvermittelt ist der Triumphzug in V. 11 vorbei. Der Vers ist antiklimaktisch, denn nach dem glorreichen Einzug hätte man damit gerechnet, dass Jesus zum König gekrönt wird. Doch Markus berichtet nicht, wie der Einzug endet. Schon in Mk 8,31 hatte Jesus die Erwartungen der Jünger an den Messias korrigiert und klar gemacht, dass der Messias leiden, sterben und auferstehen müsse. In Mk 14-15 wird Jesus dann ironisch als verachteter, leidender Messias dargestellt (Collins 2007, 520). Hat Jesus erwartet, im Tempel von den Priestern begrüßt zu werden? (Evans 2001, 146f.) Doch der Empfang bleibt aus, was für Würdenträger, die solch einen Empfang erwarten dürfen, eine Beleidigung darstellt (Collins 2007, 521).

Jesus kann sich nicht das eigentliche Heiligtum ansehen, das Priestern vorbehalten war, wohl aber den Vorhof der Heiden (wo er am nächsten Tag demonstrierte) und den der Frauen.b Er ist dabei weder Tourist, noch ist dies sein erster Besuch im Tempel, sondern er macht sich ein Bild der Lage, um seine Demonstration am nächsten Tag zu planen. Jerusalem war zu klein, um die Tausende von Festpilgern aufzunehmen, daher übernachteten viele von ihnen in den umliegenden Dörfern oder unter freiem Himmel. Nur die Passanacht selbst musste innerhalb der Stadt verbracht werden. Aus Lk 10,38-42 geht hervor, dass die Gruppe wohl bei Lazarus, Maria und Marta unterkam (vgl. Mk 14,3) (France 2002, 442).

Exkurs: Textkrik zu V. 3[Bearbeiten]

NA28, SBLGNT: ‚Der Herr braucht es und schickt es wieder zurück (hierher).‘ (01, D, L, 579, 892, 1241, d, Origenes und anderen. B enthält ebenfalls πάλιν, aber in etwas anderer Reihenfolge.)

Mehrheitstext u.a.: „‚Der Herr braucht es.‘ Dann (Und) schickt er es sofort hierher.“ (A, CC, W, X, Y, f1, f13, 700, 1342, byz, Lat, Sy, bo, goth)

Im zweiten Fall fehlt im griechischen Text lediglich das Wort πάλιν „wieder“, und das Subjekt von „schickt“ wäre nicht mehr der Herr, sondern der Fragesteller. Matthäus scheint die Tradition eben auf diese Weise verstanden zu haben (Mt 21,3; bei Lk fehlt die Stelle).

Lesart 2 könnte die schwierigere sein, weil christliche Leser „Herr“ automatisch auf Jesus bezogen hätten. War ursprünglich aber Gott gemeint und nicht Jesus, dann wäre πάλιν nicht nötig, denn dann wäre nicht „der Herr“, sondern der Gesprächspartner derjenige, der den Esel zurück zu Jesus schickt. Die Leser, die unter „Herr“ „Jesus“ verstanden, ergänzten dann „wieder“ (so France 2002, 428.432; Duncan/Derrett 2001). Ein weiteres Indiz dafür, dass πάλιν sekundär sein könnte, ist, dass es in der Tradition an verschiedenen Stellen überliefert ist, vielleicht sah man auch ein Problem darin, dass Jesus sich das Tier einfach nahm (Collins 2007, 512).

Doch die externe Evidenz für die erste Variante ist fast zu stark, um sekundär zu sein. Und auch Variante 1 ist wegen des Präsens schwierig: Erwarten würde man „wird schicken“ im Futur, was zur Auslassung geführt haben könnte. Genauso gut hätte „wieder“ eben aufgrund von Mt 21,3 wegharmonisiert werden können. Ein weitere Indikator: Bei Mt 21,3 hat niemand ein „wieder“ vermisst und eingefügt. Dass jemand πάλιν ausgelassen hat, ist also gut vorstellbar. Matthäus hat dann entweder eine andere Tradition gekannt oder absichtlich umformuliert (Metzger 1994, 92; Collins 2007, 512; vgl. Willker 2013, 442f.).

Exkurs: Laubzweige oder lange Grashalme? (Mk 11,8)[Bearbeiten]

Die Übersetzungen und viele Wörterbücher scheinen bei Gr. στιβάς wegen der synoptischen Parallelstellen von Zweigen (bzw. "Laubbüschel, Wedel" (BA, vgl. EWNT, LN, DBL Greek)) zu reden. Es gibt aber eine recht überzeugende Argumentation, dass eher lange Gräser gemeint sind (Evans 2001, 144). Der Konsens für die "Laubzweige" ist zwar groß, aber diese "Binsen" sind eine wenigstens erwähnenswerte Theorie, die sich vielleicht als richtig herausstellen könnte.

Evans: The στιβάδας , “tall grass,” cut from fields may have been reeds or stalks of grain (see MM, 589: “a litter of reeds or rushes”; note also BAGD, which forces the evidence to insist that στιβάδας must refer to leafy branches). Of these options, either tall grass or stalks of grain (which at this time of season would be scarcely distinguishable from grass) is the better choice, for rushes or reeds were not likely to have been plentiful in the drier, rugged hills surrounding Jerusalem (as they would have been along the banks of the Jordan River and the Sea of Galilee). Mark’s στιβάδας are not the same as Matthew’s κλάδους ἀπὸ τῶν δένδρων , “branches from the trees” (21:8), which is a Matthean improvement, or John’s τὰ βαΐα τῶν φοινίκων, “the branches of palm trees” (12:13). Accordingly, Mohr’s argument (Markus- und Johannespassion, 56) that Mark’s “leafy branches” must refer to either the festival of Tabernacles or the festival of Dedication, instead of the festival of Passover, loses all force (as Gundry, 629, rightly points out). Nor is there any basis for Swete’s proposal (250), perhaps influenced by John 12:12–13, that some of Jesus’ following entered Jerusalem and brought back with them palm branches.

Die gemeinfreie Version von LSJ: "rushes, or leaves, whether strewn loose (cf. Ev.Marc.11.8)".

France 2002, 433: "The στιβάδες are simply unspecified vegetation, the word being used classically for straw, rushes, leaves, and other materials used for bedding (it is John who makes them βαΐα τῶν φοινίκων, palm branches), and provide further festive floor covering."

Dagegen Marcus 2009, z. St. : "leafy branches. Gk stibadas. In its classical usages this term means “a kind of bed or mattress made of straw, rushes, reeds, leaves, etc.” (BDAG 945). It does not occur elsewhere in the LXX or early Christian literature, and the present translation is reached from the context and the Matthean parallel, which changes stibadas to kladous (“branches”); in any event, the term is poetically appropriate, since the stibadas are strewn on the ground."

Da alle Übersetzungen und die meisten Wörterbücher bei "Zweigen" oder "Laubbüscheln" bleiben, gehen wir wie France und Marcus davon aus, dass der Begriff relativ bedeutungsoffen alles meint, was man in eine Matratze stopfen kann.