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# Wöhrle 2011 setzt an der Theorie an, dass die meisten Psalmen keine an eine bestimmte Situation gebundenen Gebete gewesen seien, sondern sog. „Gebetsformulare“, die möglichst viele Beter in möglichst unterschiedlichen Lebenssituationen nachbeten können sollten. Der „Stimmungsumschwung“ in diesen Gebeten solle dann ermöglichen, dass der Nachbeter dieser Gebetsformulare ''gleichzeitig'' seiner Klage als auch seinem Vertrauen in Gott Ausdruck verleihen könne. | # Wöhrle 2011 setzt an der Theorie an, dass die meisten Psalmen keine an eine bestimmte Situation gebundenen Gebete gewesen seien, sondern sog. „Gebetsformulare“, die möglichst viele Beter in möglichst unterschiedlichen Lebenssituationen nachbeten können sollten. Der „Stimmungsumschwung“ in diesen Gebeten solle dann ermöglichen, dass der Nachbeter dieser Gebetsformulare ''gleichzeitig'' seiner Klage als auch seinem Vertrauen in Gott Ausdruck verleihen könne. | ||
# Beide Vorschläge sind der Spekulation Begrichs sicher vorzuziehen; an der Inkohärenz des „Stimmungsumschwungs“ ändern sie aber nicht viel. Sinnvoller ist daher folgender Vorschlag: Nach Broyles 1989, S. 185f und Irsigler 1995, S. 80 dient z.B. unser V. 6 nicht dazu, für ein ''bereits erfolgtes'' Heilshandeln Gottes zu ''danken'', sondern dazu, Gott zu einem ''künftigen'' heilsamen Eingreifen zu ''bewegen''. Vgl. ähnlich auch Gerstenberger 1991, S. 84: „Preisende Elemente fungieren in den Klagepsalmen eines Einzelnen auf eine vorläufige Art und Weise - zur Unterstützung der Bitte [...]“ (meine Üs.). Nach dieser Deutung würden sich besagte dankend-preisende Textabschnitte wesentlich besser in den Kontext des Psalms fügen und sie ist daher Deutungen (1)-(3) deutlich vorzuziehen; die Verbformen wären dann am sinnvollsten folgendermaßen zu analysieren: Jussiv und Kohortativ fungieren als Kommissive, das hebräische ''ki'' („wenn, dass, weil“) ist als „sobald“ (dazu vgl. Airoldi 1973, S. 345-50; Craigie 1983, S. 141) zu deuten und das zweite Qatal als Futur II: „Ich vertraue auf deine Gnade. / Ich verspreche, dass mein Herz über deine Hilfe jubeln wird / Und ich JHWH besingen werde, sobald er Gutes an mir ''getan haben wird''.“ | # Beide Vorschläge sind der Spekulation Begrichs sicher vorzuziehen; an der Inkohärenz des „Stimmungsumschwungs“ ändern sie aber nicht viel. Sinnvoller ist daher folgender Vorschlag: Nach Broyles 1989, S. 185f und Irsigler 1995, S. 80 dient z.B. unser V. 6 nicht dazu, für ein ''bereits erfolgtes'' Heilshandeln Gottes zu ''danken'', sondern dazu, Gott zu einem ''künftigen'' heilsamen Eingreifen zu ''bewegen''. Vgl. ähnlich auch Gerstenberger 1991, S. 84: „Preisende Elemente fungieren in den Klagepsalmen eines Einzelnen auf eine vorläufige Art und Weise - zur Unterstützung der Bitte [...]“ (meine Üs.). Nach dieser Deutung würden sich besagte dankend-preisende Textabschnitte wesentlich besser in den Kontext des Psalms fügen und sie ist daher Deutungen (1)-(3) deutlich vorzuziehen; die Verbformen wären dann am sinnvollsten folgendermaßen zu analysieren: Jussiv und Kohortativ fungieren als Kommissive, das hebräische ''ki'' („wenn, dass, weil“) ist als „sobald“ (dazu vgl. Airoldi 1973, S. 345-50; Craigie 1983, S. 141) zu deuten und das zweite Qatal als Futur II: „Ich vertraue auf deine Gnade. / Ich verspreche, dass mein Herz über deine Hilfe jubeln wird / Und ich JHWH besingen werde, sobald er Gutes an mir ''getan haben wird''.“ | ||
− | # Die vier obigen Deutungen nehmen, wie gesagt, weniger speziell von Verbformen in Ps 13,6 ihren Ausgang, sondern von Erwägungen über die Textsorte „Klagelied des Einzelnen“ im Speziellen. Speziell in Ps 13,6 sind sie eigentlich ganz unproblematisch und lassen sich leicht auf eine mit dem Rest des Psalms kohärente Weise analysieren: Das erste Qatal ist ein gnomisches Qatal und kontrastiert den Psalmisten mit seinen Bedrängern: Während sie ihn schon als gefallen erachten, vertraut er dennoch auf Gottes Gnade und | + | # Die vier obigen Deutungen nehmen, wie gesagt, weniger speziell von Verbformen in Ps 13,6 ihren Ausgang, sondern von Erwägungen über die Textsorte „Klagelied des Einzelnen“ im Speziellen. Speziell in Ps 13,6 sind sie eigentlich ganz unproblematisch und lassen sich leicht auf eine mit dem Rest des Psalms kohärente Weise analysieren: Das erste Qatal ist ein gnomisches Qatal und kontrastiert den Psalmisten mit seinen Bedrängern: Während sie ihn schon als gefallen erachten, vertraut er dennoch auf Gottes Gnade und verspricht ihm daher schon jetzt und als zusätzliche Motivation ein künftiges Danklied im Falle der Erhörung: Wenn er nicht weiterhin wanken muss, wird er nach Gottes Rettung „über seine Hilfe jubeln“ und „ihn besingen“, und zwar will er ihn dankend besingen mit den Worten ({{hebr}}כי{{hebr ende}} zur Einleitung direkter Rede): „Er hat an mir Gutes getan.“ Übersetze daher doch einfach: „Mögen auch meine Bedränger wanken, vertraue ich dagegen auf deine Gnade: Mein Herz soll (dereinst) jubeln über deine Hilfe; ich möchte (dereinst) JHWH besingen (mit den Worten): ‚Er hat Gutes an mir getan!‘.“</ref> '''auf deine Gnade (Güte):'''<br /> |
'''Mein Herz soll [dereinst] jubeln<ref name="Verbformen" /> über deine Hilfe,'''<br /> | '''Mein Herz soll [dereinst] jubeln<ref name="Verbformen" /> über deine Hilfe,'''<br /> | ||
: '''Ich will JHWH [dereinst] besingen<ref name="Verbformen" />: „Er hat an mir [Gutes] getan<ref name="Verbformen" />!“''' | : '''Ich will JHWH [dereinst] besingen<ref name="Verbformen" />: „Er hat an mir [Gutes] getan<ref name="Verbformen" />!“''' |
Aktuelle Version vom 11. Dezember 2015, 17:27 Uhr
Übersetzung[Bearbeiten]
1 Für den den Chorleiter.
Ein Psalm von David.
2 Bis wann, JHWH, wirst du mich [so] gänzlich〈a〉 vergessen?
- Bis wann wirst du dein Gesicht vor mir verbergen?
3 Bis wann muss ich Pläne (Auflehnung?, Schmerzen?, Kummer?, Sorgen?)
〈b〉 in meine Seele legen,
- Wobei ([Bis wann (wie lange)] [wird sein/muss ich legen])〈c〉 Kummer in meinem Herzen [ist] [sogar] am Tag (täglich?, den ganzen Tag?, Tag [und Nacht]? {
am Tag}?)〈d〉? - Bis wann wird mein Feind mir überlegen sein?
4 Schau ([auf mich])!〈e〉, antworte mir, JHWH,〈f〉
- Mein Gott, lass meine Augen leuchten,
Damit ich nicht zum Tod entschlafe (im Tod schlafe, tot schlafe, den [Schlaf des] Tod[es] schlafe)〈g〉,
- 5 Damit mein Feind nicht sagen kann: „Ich habe ihn übermocht (Ich habe ihn ausgetilgt?, Ich habe es geschafft?)〈h〉!“
Mögen auch meine Bedränger jubeln, weil ich wanke,
- vertraue ich dagegen (Ich dagegen vertraue)〈i〉 auf deine Gnade (Güte):
Mein Herz soll [dereinst] jubeln〈i〉 über deine Hilfe,
Anmerkungen zum Text[Bearbeiten]
a | [so] gänzlich (für immer, fortwährend) - נֶצַח hat meist die Bedeutung „für immer“ (vgl. z.B. Ges18, S. 839); hier - wie auch Ps 74,10; 79,5; 89,47 - würde diese Deutung aufgrund des Gegensatzes von „wie lange“ und „für immer“ jedoch zu Nonsens führen: „Wie lange willst du mich für immer vergessen?“. Als Lösungen dieser Schwierigkeit wurde vorgeschlagen (unsere Lösung: Lösung (5)),
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b | Pläne (Auflehnung?, Schmerzen?, Kummer?, Sorgen?) - Die meisten Exegeten gehen davon aus, dass die „Pläne“ hier keinen Sinn machen. Wohl unnötigerweise; den meisten alten Exegeten war der Satz ganz unproblematisch: „Wie lange muss ich Pläne machen, wobei Kummer in meinem Herzen ist“ fragt danach, wie lange der Psalmist noch gezwungen sein wird, Auswege aus der leidvollen Situation zu suchen, die in 3c durch „Wie lange wird sich mein Feind gegen mich erheben“ umschrieben wird (vgl. Alexander 1850, S. 98; Baethgen 1892, S. 34; Barnes 1869, S. 110; Olshausen 1853, S. 75). Diese traditionelle Erklärung ist sicher vorzuziehen, denn die alternativen Vorschläge sind sämtlich problematisch:
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c | Wobei Kummer in meinem Herzen ist (Wie lange wird sein/muss ich legen Kummer in meinem Herz) - Beide Auflösungen sind hier gleichermaßen möglich; die eingeklammerte erfordert allerdings die Ergänzung (->Brachylogie) von „Wird sein“ und „muss ich legen“ aus dem vorigen Sticho, was aber nicht problematisch ist. Dass dieser Sticho der einzige in Vv. 2f ist, in dem das einleitende „Bis wann“ fehlt, ist aber so auffällig, dass die primäre Übersetzung doch etwas wahrscheinlicher ist. (Zurück zu v.3) |
d | [sogar] am Tag (täglich?, den ganzen Tag?, Tag [und Nacht]?, { |
e | Schau ([auf mich]) ist entweder eine sog. „phatische Äußerung“ - d.h. eine Äußerung, die die Aufmerksamkeit des Hörers auf den Sprecher lenken soll (vergleichbar etwa einem gehobenerem Deutschen „Hey!,...“, „Hör mal:...“; vgl. dazu z.B. Jenni 2005, S. 242), oder man muss ein „auf mich“ aus dem folgenden „antworte mir“ ergänzen (-> Brachylogie; so auch AOAT; Barnes 1869; Buttenwieser 1938; Christensen 2005.13; Dahood 1965; Dolson-Andrew 1994; FENZ; Fokkelman 2001, S. 92; Limburg 2000; NW; Terrien 2003; Zenger 1987). Beide Analysen sind hier gleichermaßen möglich; weil aber rückwirkende Brachylogien (d.h. unvollständige Konstruktionen, die man nicht aus einer vorangegangenen Konstruktion „vervollständigen“ muss, sondern aus einer erst noch folgenden Konstruktion - wie hier dem folgenden „antworte mir“) auch im Hebräischen eher selten sind, sollte man sich vielleicht doch eher für Analyse (1) entscheiden. (Zurück zu v.4) |
f | Die Strukturierung der Vv. 4f ist in der Exegese umstritten. Nach der masoretischen Akzentuierung (so daher auch die meisten Üss. und Exegeten) müsste man strukturieren:
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g | zum Tod entschlafe (im Tod schlafe, tot schlafe, den [Schlaf des] Tod[es] schlafe) - Analyse umstritten.
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h | Ich habe ihn übermocht (Ich habe ihn ausgetilgt?, Ich habe es geschafft?) - Bedeutung umstritten.
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i | Die Verbformen in V. 6 sind sehr spannend: „Ich vertraue“ (Qatal) - „Mein Herz soll jubeln“ (Jussiv) - „Ich will besingen“ (Kohortativ) - „er tut [Gutes]“ (Qatal). Ihre Deutung ist recht umstritten, was aber weniger auf ihre Problematik in unserem Psalm, sondern auf die Spekulation über die Textsorte „Klagelied des Einzelnen“ (zu der auch Ps 13 gehört) im Allgemeinen zurückzuführen ist. Bezeichnend für viele dieser Klagelieder eines Einzelnen ist nämlich, dass sie überwiegend im klagenden Tonfall gehalten sind, häufig aber - besonders am Ende des Psalms - einen Abschnitt / mehrere Abschnitte enthalten, die aus einer ganz anderen Stimmung gesprochen zu sein scheinen. Die traditionelle Deutung der Verbformen unseres V. 6 z.B. geht so: „Ich habe vertraut auf deine Gnade, / Mein Herz soll jubeln über deine Hilfe, / Ich will besingen JHWH, denn er hat getan Gutes an mir.“ - und die Vergangenheitsformen scheinen nahezulegen, dass zwischen V. 5 und V. 6 etwas passiert ist, das den Psalmisten dazu veranlasst, nun nicht mehr zu klagen, sondern für ein irgendwann zwischen der Äußerung von V. 5 und V. 6 erfolgtes Heilshandeln JHWHs zu danken. Man bezeichnet dieses Phänomen als den sogenannten „Stimmungsumschwung“ in den Klageliedern des Einzelnen.
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