Kommentar:Psalm 13

Aus Die Offene Bibel

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Übersetzung[Bearbeiten]

1 Für den den Chorleiter (Dirigenten, Singenden, Musizierenden).a
Ein Psalm (begleitetes Lied) von (für, über, nach Art von) David.


2 Bis wann (wie lange) b, JHWH, wirst du mich [so] gänzlich (für immer, fortwährend) c vergessen d?

Bis wann (Wie lange)b wirst (willst) du dein Gesicht vor mir verbergene?

3 Bis wann (Wie lange)b muss (werde) ich Pläne (Auflehnung?, Schmerzen?, Kummer?, Sorgen?) f in meine Seele legen,

Wobei ([Bis wann (wie lange)] [wird sein/muss ich legen])g Kummer in meinem Herzen [ist] [sogar] am Tag (täglich?, den ganzen Tag?, Tag [und Nacht]? {am Tag}?)h?
Bis wann (Wie lange)b wird (darf) sich mein Feind gegen mich erheben?

Anmerkungen zum Text[Bearbeiten]

aGenaue Bedeutung unklar. Die gewählte Übersetzung ist mehr oder weniger Konvention, obwohl es nicht an alternativen Übersetzungsvorschlägen mangelt. (Zurück zu v.1)
bBis wann (wie lange) - Einige Exegeten denken, dass mit „bis wann“ eingeleitete rhetorische Fragen sich in der Bibel besonders in „vorwurfsvoller Rede“ fänden und daher als eine ungeduldigere Variante zum üblichen „Wie lange noch“ aufzufassen sei (so z.B. Gerstenberger 1991, S. 84; Herkenne 1936, S. 75f.; Zenger 1987, S. 75). Auf einige Stellen mag das auch passen, aber vgl. zum vorwurfsvollen „Bis wann“ vs. „Wie lange“ z.B. Jos 18,3; Ijob 18,2 vs. Ps 82,2; 94,8 und zum wohl eher „vorwurfslosen“ und unserem Vers ähnlicheren „Bis wann“ vs. „Wie lange“ z.B. Jer 47,6; Hab 1,2 vs. Ps 6,4; 74,10; 80,5; 90,13; 94,3 - „Bis wann“ und „Wie lange“ sind daher wohl doch eher schlicht gleichbedeutende Ausdrucksvarianten, die beide sowohl vorwurfsvollen als auch vorwurfslosen Unterton haben können. (zu v.2 / zu v.3)
c[so] gänzlich (für immer, fortwährend) - נֶצַח hat meist die Bedeutung „für immer“ (vgl. z.B. Ges18, S. 839); hier - wie auch Ps 74,10; 79,5; 89,47 - würde diese Deutung aufgrund des Gegensatzes von „wie lange“ und „für immer“ jedoch zu Nonsens führen: „Wie lange willst du mich für immer vergessen?“. Als Lösungen dieser Schwierigkeit wurde vorgeschlagen (unsere Lösung: Lösung (5)),
  1. der Text sei zwar logisch gesehen Nonsens, psychologisch aber verständlich: Der logische Widerspruch solle den „komplizierten Seelenzustand [des Psalmisten ausdrücken] wo, wie Luther ihn kurz und treffend beschreibt, im Angstgefühl des göttlichen Zornes ‚die Hoffnung selbst verzweifelt und die Verzweiflung dennoch hoffet‘.“ (Delitzsch 1894, S. 140; so auch Alter 2007; Baethgen 1892; Perowne 1880; Weiss 1984, S. 303f).
  2. der Dichter habe hier die beiden Fragen „Wie lange willst du mich vergessen?“ und „Willst du mich für immer vergessen?“ zusammengezogen, um durch dieses sprachliche sich-Überstürzen die Erregung des Psalmisten stilistisch nachzubilden (Köig 1900 S. 188; so auch Herkenne 1936, S. 76; ähnlich Ridderbos 1972, S. 152).
  3. dass wir es hier nicht mit einer Doppelfrage, sondern mit zwei Einzelfragen zu tun hätten; entweder also
    1. „Wie lange, JHWH? Willst du mich für immer vergessen?“ (so BB, Buttenwieser 1938; Christensen 2005.13; Goldingay 2006; GRAIL; Kraus 1961, S. 98; Limburg 2000, S. 37; Schmidt 1934; Seybold 1996; STAD; Weber 2005) oder
    2. „Wie lange willst du mich vergessen, JHWH? Für immer?“ (so Barnes 1869; Deissler 1989; Girard 1996; NGÜ; NW; Olshausen 1853; Prinsloo 2013; Terrien 2003).
  4. dass נֶצַח hier die Bedeutung „fortwährend“ habe und also die schon im „Wie lange“ zum Ausdruck kommende Dauer des Leidens unterstreichen solle: „Wie lange willst du mich fortwährend vergessen?“ (AOAT; Bonkamp 1949; Briggs 1906; Craigie 1983; Dolson-Andrew 1994, S. 49; Duhm 1899; Janowski 2001, S. 26; Kittel 1914; Wöhrle 2011, S. 227).
  5. dass נֶצַח hier und z.B. auch in den obigen drei Stellen superlativische Funktion hat: „Wie lange willst du mich so völlig vergessen?“ (so bes. Ehrlich 1905, S. 25; Thomas 1956; auch ALB; ; H-R; HER05; Kissane 1953, S. 52; LUT; MEN; NeÜ; Nötscher 1959, S. 34; SLT; STAD; TUR; van Ess; Zenger 1987, S. 73; ZÜR.).
Dass man sich für eine Nonsens-Deutung wie (1) nur entscheiden sollte, wenn andere Deutungen nicht möglich sind, sollte offensichtlich sein. (2) ist eine Minderheitenmeinung; in der LF sollten wir uns ihr daher wohl besser nicht anschließen - sinnvoll ist sie aber allemal. Von (3.1) und (3.2) ist deutlich (3.2) vorzuziehen, weil der Vers derart analysiert auch mit der Struktur von Ps 74,10; 79,5; 89,47 übereinstimmen würde; in unserem Vers würden beide Analysen aber die Parallelität der Stichen 2a-3b aufbrechen. Deutungen (4) und (5) sind beide gleichermaßen möglich; wir haben Deutung (5) nur deshalb den Vorzug gegeben, weil sie in deutschen Bibelübersetzungen etablierter ist. (Zurück zu v.2)
dvergessen ist nicht wörtlich zu verstehen - als hätte Gott ein schlechtes Gedächtnis. Ähnlich, wie die Rede davon, dass Israel Gott oder seine Gebote „vergisst“, fast stets meint, dass es sich von Gott und seinen Geboten abgewandt hat, meint auch die Rede von Gottes „Vergessen“ ein aktives sich-Abwenden Gottes (s. noch 1Sam 1,11; Ps 10,12; 42,10; 44,25; Jes 49,14; Klg 5,20): Gott entzieht jenem, den er „vergisst“, seine Huld und lässt so zu (vielleicht sogar: sorgt dafür), dass ihm Schlimmes zustößt; vgl. gut Janowski 2001, S. 27f; Wöhrle 2011, S. 228.230. (Zurück zu v.2)
edein Gesicht vor mir verbergen - Die Rede davon, dass Gott „sein Angesicht vor jemandem verbirgt“, hat exakt die selbe Bedeutung wie die, dass er jemanden „vergisst“ (s.o.; vgl. FN u zu Ps 30,8): Gott verbirgt sein Gesicht vor jemandem = Gott schaut jemanden nicht mehr gnädig an (und lässt so zu, dass Unheil über ihn hereinbricht); vgl. ad loc. gut Kraus 1961, S. 100; Nötscher 1959, S. 34f; Prinsloo 2013, S. 793. (Zurück zu v.2)
fPläne (Auflehnung?, Schmerzen?, Kummer?, Sorgen?) - Die meisten Exegeten gehen davon aus, dass die „Pläne“ hier keinen Sinn machen. Wohl unnötigerweise; den meisten alten Exegeten war der Satz ganz unproblematisch: „Wie lange muss ich Pläne machen, wobei Kummer in meinem Herzen ist“ fragt danach, wie lange der Psalmist noch gezwungen sein wird, Auswege aus der leidvollen Situation zu suchen, die in 3c durch „Wie lange wird sich mein Feind gegen mich erheben“ umschrieben wird (vgl. Alexander 1850, S. 98; Baethgen 1892, S. 34; Barnes 1869, S. 110; Olshausen 1853, S. 75). Diese traditionelle Erklärung ist sicher vorzuziehen, denn die alternativen Vorschläge sind sämtlich problematisch:
  1. Driver 1946, S. 192f; Driver 1950, S. 410f.; Driver 1968b, S. 45 setzt eine Wurzel עֵצָה II Auflehnung an, die dann hier „harter Kampf, Agonie“ bedeuten soll (vgl. CDCH, S. 339; wohl daher NW: „Widerstreben“) und deshalb (?) und wg. der Übersetzung von Syr („Schmerzen“) mit „Schmerzen“ zu übersetzen sei. So auch Andersen 1972, S. 128; Craigie 1983, S. 140; Terrien 2003, S. 159f. - Wie dieses „deshalb“ hier aber gerechtfertigt sein sollte, vermag ich nicht zu sehen; ebenso wenig, warum die Rede davon sinnvoll sein sollte, dass jemand Schmerzen „in seine Seele setzt“. Dagegen auch Ges18, S. 1000; KBL3, S. 821.
  2. Alternativ wird häufig emendiert: עֵצוֹת sei zu lesen als עַצֶּבֶת Schmerz, Kummer, עַצָּבוׂת Schmerzen, Kummer o.Ä. (so BHS, Briggs 1906; Budde 1915; Cheyne 1904; Duhm 1899; Ehrlich 1905; Girard 1996; Halévy 1894c; Kissane 1953; Schmidt 1934; Seybold 1996; „Schmerzen“ haben auch Christensen 2005.13, , TEXT, Zuber 1986; „Kummer“ bei GRAIL). Anders als Drivers Vorschlag ließe sich dieser Vorschlag mit Syr stützen, aber er beruht auf einer Emendation, ist unnötig, und wieder ist nicht einsichtig, warum der Psalmist sinnvollerweise davon reden sollte, dass er „Schmerzen/Kummer in seine Seele setzt“.
  3. Kraus 1961, S. 98 denkt außerdem, עֵצוֹת habe hier die Bedeutung „Sorgen, sorgenvolle Gedanken“, was „durch Spr 27,9 und Sir 30,21 bestätigt“ werde (so auch Janowski 2001, S. 26; Weber 2005, S. 121; Wöhrle 2011, S. 227; „Sorgen“ auch Bonkamp 1949, Buttenwieser 1938, Delitzsch 1894, Fokkelman 2001, S. 92; Gerstenberger 1972, Gunkel 1968, Herkenne 1936, Kittel 1914, Nötscher 1959,Weiss 1984, S. 299 und viele Üss.). - Spr 27,9 jedoch bestätigt gar nichts: Die Bedeutung „Sorgen“ liegt für den hebräischen Text sogar sehr fern und die Übersetzung der LXX (συμπτωμάτων Missgeschicke) ist weder geeignet, diese Bedeutung zu belegen, noch hat die Wiedergabe des zweiten Versteils in der LXX überhaupt viel mit dem hebräischen Text zu tun (so auch Dolson-Andrew 1994, S. 50f). Für Sir 30,21 HBmarg dagegen würde „Sorgen“ in der Tat passen; doch nur wegen dieser einen Stelle sollte man keine weitere Nebenbedeutung für das Wort ansetzen, wenn gleichzeitig die sichere Bedeutung „Pläne“ dort sogar noch besser passt („Deine Pläne sollen dich nicht zu Fall bringen“); so deutet ja auch hier die LXX. (Zurück zu v.3)
gWobei Kummer in meinem Herzen ist (Wie lange wird sein/muss ich legen Kummer in meinem Herz) - Beide Auflösungen sind hier gleichermaßen möglich; die eingeklammerte erfordert allerdings die Ergänzung (->Brachylogie) von „Wird sein“ und „muss ich legen“ aus dem vorigen Sticho, was aber nicht problematisch ist. Dass dieser Sticho der einzige in Vv. 2f ist, in dem das einleitende „Bis wann“ fehlt, ist aber so auffällig, dass die primäre Übersetzung doch etwas wahrscheinlicher ist. (Zurück zu v.3)
h[sogar] am Tag (täglich?, den ganzen Tag?, Tag [und Nacht]?, am Tag?) - W.: „am Tag“. Weil das „unmöglich“ sei (Gunkel 1968, S. 46), wird sehr häufig emendiert: (1) Entweder ergänzt man mit LXX ולילה und in der Nacht („wobei Tag [und Nacht] Kummer in meinem Herzen ist“) oder (2) man emendiert יוֹמָם am Tag zu יום יום Tag auf Tag, täglich, fortwährend („wobei täglich/fortwährend Kummer in meinem Herzen ist“). (3) Delitzsch 1894, S. 140 und Edel 1966, S. 19 denken außerdem, in Sticho a sei ein implizites „in der Nacht“ mitzuverstehen („Wie lange muss ich [nachts] Pläne in meine Seele legen, während tagsüber Kummer in meinem Herzen ist?“). Von diesen drei Vorschlägen wäre deutlich (3) vorzuziehen, weil er von der Notwendigkeit einer Emendation entbinden wurde; noch eleganter ist aber der Vorschlag von Barthélemy 1982, S. 54, den auch Zenger 1987 und Janowski 2001 übernommen haben: (4) Anders als das Deutsche setzt das Hebräische häufig keine Fokuspartikel, wo dies im Deutschen geboten wäre. Weil die Zeit, zu der man den „Kummer im Herzen“ besonders intensiv empfindet, eigentlich die Nacht ist (so schon Olshausen 1853, S. 75), ist das „am Tag“ steigernd zu verstehen: Nicht nur in der Nacht, sondern selbst am Tag empfindet der Psalmist deutlich den Kummer in seinem Herzen. In der LF muss man daher ein für das Deutsche notwendige „selbst, sogar“ ergänzen. (Zurück zu v.3)

Kommentar[Bearbeiten]