Kommentar:Psalm 16

Aus Die Offene Bibel

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Textkritik Vv. 2-4[Bearbeiten]

2 Ich sage (du sagst)a zu (über) JHWH: „Mein ({Mein}) Herr [bist] du!
Mein Wohlergehen (Glück) [ist] nicht außer durch dich (nicht über dir?)!“,b
3 Zu den (über die) Heiligen, die im Land (auf der Erde) [sind]: „Diese, die (meine) Herrlichen:
Mein ganzes Wohlgefallen [richtet sich] auf sie!“


4 Es vermehren ihre Schmerzen (ihre Götzenbilder; es werden vermehrt die Schmerzen derer), die einem anderen (die anderen) nacheilen (umwerben?),c
Nicht werde ich libieren ihre Blutlibationen,
Nicht werde ich heben ihre Namen auf meine Lippen!

aTextkritik: Ich sage (du sagst) - Im Heb. auf den ersten Blick 2. Pers. fem. Sg., „du (fem.) sagst“ (amart) oder mit anderen Vokalen 2. Pers. mask. Sg., (amarta; so auch Craigie 1983; Franken 1954; Schedl 1964b; Tournay 2001; Jerusalemer Bibel). Das „Du sagst, meine Seele“ in ELB und SLT rührt von der sehr alten und veralteten Deutung (die sich auch schon im Tg findet) her, der Sprecher halte hier wie in Ps 42,6.12; 43,5; Jer 4,19 (ähnlich Klg 3,24f.) ein Zwiegespräch mit seiner Seele. Diese wäre dann aber wie dort sicher auch ausgedrückt. Die meisten Exegeten und fast alle Üss. gehen davon aus, dass hier entweder mit einem zusätzlichen Jod am Ende (das sich auch in einigen Handschriften findet) als 1. Pers. Sg. (amarti) gelesen werden müsste oder dass die Konsonanten auch so als defektive Schreibung von amarti verstanden werden können, da so auch LXX, Syr, VUL übersetzen: „ich sagte“. (Zurück zu v.2)
bTextkritik: Meist übersetzt à la „Über dich hinaus gibt es kein Lebensglück für mich“ (Weber 2001; zum Gedanken vgl. Ps 73,25). Doch hier steht bal („nicht“) nicht vor „Mein Lebensglück“, sondern vor „über dir/dich hinaus“, „Mein Lebensglück ist nicht über dich hinaus“. Hätte der Dichter schreiben wollen „Es gibt für mich kein Lebensglück über dich hinaus“, hätte er bal eher wie 2x in V. 4 und 1x in V. 8 an den Beginn des Satzes gestellt (bal tobati `alecha) oder ´ejn verwendet (tobati ´ejn `alecha). LXX und VUL übersetzen daher diesen Satz mit „meine Güter sind nicht auf dir“ (=„du bedarfst ihrer nicht“; zum Gedanken vgl. Ijob 22,2f; 35,7; Röm 11,35; so verstanden den Vers z.B. auch Luther und Calvin), Aq sogar mit „meine Güte ist keinesfalls auf dir“, was wohl wie bei Raschi verstanden werden muss als „meine moralische Gutheit ist nicht auf dir (=kann dich nicht zu etwas verpflichten) [weil sie deiner nicht würdig ist]“; ähnlich Kimchi: „Meine guten Werke erreichen dich nicht“. Sym, Tg Hier und wohl auch Syr schien ein anderer Text vorzuliegen, nämlich tobati bal bil`adecha, „Mein Wohlergehen [ist] nicht, außer durch dich“, also „einzig dank dir geht es mir gut“ (vgl. 2 Makk 1,25); mit z.B. BHS, Houbigant 1777, Bonkamp 1949, Herkenne 1936 und Kraus 1961 sollte man davon ausgehen, dass dies der ursprüngliche Text war. (Zurück zu v.2)
cTextkritik: Vier textkritische Probleme in einer Zeile auf einmal: (1) „Es vermehren“ und „Es werden vermehrt“ wäre im ursprünglichen, nur aus Konsonanten bestehenden Text gleich geschrieben worden. MT, LXX, Hier, Aq, und Theod deuten als „es werden vermehrt“, Tg und Syr dagegen als „es vermehren“. In der Bed. läuft beides glücklicherweise grob auf das selbe hinaus.
(2) Im MT ist von „ihre Schmerzen“ die Rede: `atsbotam. So verstehen das Wort auch LXX, VUL, Syr, Aq, Sym. Dagegen die Übersetzungsvorlage von Tg, Hier, Theod und Quinta scheint gelautet zu haben: `atsabim / `atsabehem („(ihre) Götzenbilder“).
(3) Den meisten alten Versionen scheint wie in MT ´acher vorgelegen zu haben, „ein anderer“; Aq und Quinta dagegen der Plural desselben Wortes, ´acherim („andere“). Auch dies ist für die Üs. zum Glück nicht wesentlich.
(4) Am problematischsten: Die Konsonanten mhrw könnten sowohl als „eilen“ als auch als „Brautpreis zahlen“ gelesen werden: maharu vs. miharu. Bei beiden Varianten ist die wahrscheinlichste Bedeutung, dass von dem Anhangen an andere Götter die Rede ist: „Brautpreis zahlen“ wäre ein Ausdruck für „heiraten“ und das Verhältnis von JHWH zu seinem Volk wird noch öfters mit dem Bild der „Heirat“ ausgedrückt; die Rede vom „anderen Göttern nacheilen“ dagegen erinnert stark an den häufigen stehenden Ausdruck „anderen Göttern nachlaufen“ für Götzendienst. Beide Varianten sind aber problematisch: „Brautpreis zahlen“ ist etwas anderes als „heiraten“, da das Ziel dieser Handlung nicht die Braut ist, sondern ihr Vater und ihre Brüder (s. Gen 34,11f.; Ex 22,15; 1 Sam 18,25). Die Variation des Heiratsbildes durch das des Brautpreis-Zahlens wäre damit sehr schief. Darüber hinaus hätte für dieses Bild z.B. das treffendere Verb b`l („heiraten“) zur Verfügung gestanden, wodurch auch noch ein Wortspiel mit dem Göttername Ba`al zustande gekommen wäre. mhr I („eilen“) wiederum wird entweder absolut verwendet oder seltener mit einer Zielangabe („eilen“ oder „nach/zu X eilen“), auch in letzterer Bed. aber außer in Nah 2,6 nie ohne Präp. Die Bed. „(1) jmdm (2) nacheilen“ hat das Verb nie (vgl. CTAT IV, S. 71), schon gar nicht (3) ohne Präp. Auch die Verwendung dieses Verbs wäre damit merkwürdig schief, v.a., wo doch gerade eine Standardformulierung zur Verfügung gestanden wäre. Aq. scheint hemiru vorgelegen zu haben, „die andere eingetauscht haben“ (vgl. Ps 106,20; Jer 2,11; so auch erwogen von BHS); ähnlich schlagen Driver 1910, S. 27 und Kittel 1914, S. 51 baharu („wählen“) vor – ersteres hat nur eine schwache, letzteres gar keine externe Bezeugung. Eine textkritisch verantwortbare Entscheidung ist hier nicht möglich. (Zurück zu v.4)