Lukas 1

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Lesefassung (Lukas 1)

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46Und Maria sprach:


„Ich preise den Herrn,

47ich danke Gott, meinem Retter

48dafür, dass er sich meiner angenommen hat -

von nun an wird jeder mich für glücklich halten!:


49Der Mächtige hat Großes an mir getan.

Heilig ist er!

50Seine Huld wird ewig währen

für jene, die ihn fürchten.


51Nun wird er Gewaltiges mit seiner Macht wirken:

Er wird Hochmütige vernichten;

52er wird Machthaber von ihren Thronen herabstürzen

und Arme erhöhen;

53Hungernde wird er mit Gutem bereichern

und Reiche mit leeren Händen fortschicken.


54/ 55Er hat sich Israels angenommen:

er hat sich Abraham und seiner ganzen Nachkommenschaft

gnädig mit seiner Huld zugewandt -

gerade so, wie er es unseren Vorfahren verheißen hat.

56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80

Anmerkungen

Studienfassung (Lukas 1)

((Vorrede))

1 Weil ja vielea versucht (es unternommen) haben,b eine Erzählung aufzuschreiben über die Dinge, die bei uns vollendet (erfüllt)c wurden, 2 [und zwar] so, wie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und [später] Diener des Wortes waren,d 3 schien es auch mir sinnvoll (beschloss auch ich), nachdem (der) ich von Beginn an (seit Langem) allem (allen) genau gefolgt bin,e dir's geordnet (hiernach)f aufzuschreiben, verehrter Theophilos,g 4 damit du die Zuverlässigkeit der Worte erkennst, über die (in denen) du unterrichtet worden bist.h


((Verkündigung der Geburt des Johannes))


5 Es (war =) lebte[n] (in den Tagen des =) zur Zeit von Herodes, dem König von Judäa,i ein {gewisser} Priesterj namens Zachariask aus der Tagesdienstabteilung Abijaj und seine Frau (aus =) von den Töchtern Aarons,j und ihr Name [war] Elisabet.k 6 Es waren {aber} beide gerecht (vor Gott =) nach Gottes Urteil, insofern sie in allen Geboten und Satzungen des Herrn untadelig (fehlerlos) wandelten (wandelten; [sie waren] untadelig). 7 Aber es war ihnen kein Kind, weil die Elisabet unfruchtbar war, und beide waren (fortgeschritten in ihren Tagen =) in vorgerücktem Alter. 8 {Es geschah aber}l Als er seinen Priesterdienst vor Gottm versah (nach der Ordnung seiner Tagesdienstklasse =) als seine Tagesdienstklasse an der Reihe war,j 9 erloste er gemäß dem Brauch der Priesterschaft [das Privileg], den Weihrauch darzubringen,n so dass er in den Tempel des Herrn hineinging (nachdem er ... hineingegangen war). 10 Und die ganze Menge des Volkes betete draußen zur Stunde der Weihrauch-Darbringung. 11 [Da] erschien ihm {aber} ein Engel des Herrn, der zur Rechten des Altars der Weihrauch-Darbringung stand.o 12 Und als er ihn sah, wurde Zacharias erschüttert, und es fiel Furcht auf ihn. 13 Es sprach aber zu ihm der Engel:


„Fürchte dich nicht, Zacharias,p
Denn gehört wurde deine Bitte
Und Elisabet, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären,
Und du sollst (wirst) nennen seinen Namen ‚Johannes‘.k


14 Und er (es) wird sein (werden) dir Freude und Jubel
Und viele werden sich über seine Geburt freuen,
15 Denn er wird groß sein (aufwachsen?q) vor dem Herrn.
Und Wein und Alkohol wird er nicht trinken,r
(Und =) Sondern von heiligem Geist wird er erfüllt (voll) sein (werden)s
Schon (aus dem/im Leib seiner Mutter =) vor seiner Geburt (von Geburt an).t


16 Und viele der Kinder Israels
Wird er zuwenden zum Herrn, ihrem Gott
17 Und er wird treten vor ihn (ihm vorangehen)u
Im Geist und der Kraft Elijas
Um zuzuwenden die Herzen von Vätern den Kindernv
Und die Ungehorsamen zur Weisheit der Gerechten,w
Um vorzubereiten dem Herrn ein bereitetes (gerüstetes) Volk.“

18 Und es sagte Zacharias zu dem Engel: „Woran werde ich dies erkennen?x Denn ich bin alt und meine Frau ist (fortgeschritten in ihren Tagen =) in vorgerücktem Alter.“ 19 Und antwortend sagte der Engel ihm:

„Ich bin Gabriel,y der vor Gott steht,p
Und ich wurde gesandt, um zu sprechen zu dir
Und um zu frohbotschaften dir dies.z
20 Und, siehe, du wirst stumm sein und nicht sprechen können
Bis zum Tag, an dem geschehen wird dies,
Weil du nicht geglaubt hast meinen Worten,
Welche erfüllt werden werden zu ihrer Zeit!“aa

21 Und das Volk wartete auf Zacharias und wunderte sich (staunte) über sein Verweilen im Tempel. 22 Als er aber herauskam, konnte er nicht zu ihnen sprechen.ab (Und sie =) Da erkannten sie, dass er eine Vision im Tempel gesehen hatte. Und er machte ihnen Zeichen und blieb stumm. 23 {Und es geschah, }l Als erfüllt waren die Tage seines Dienstes, ging er fort in sein Haus. 24 Nach diesen Tagen empfing Elisabet, seine Frau, und verbarg sich fünf Monate, weil sie [sich] sagte:ac 25 „So hat an mir gehandelt der Herr in den Tagen, an denen er [darauf] ([mich] an)gesehen hat, meine Schmach unter den Menschen fortzunehmen!“


((Verkündigung der Geburt Jesu))


26 Im sechsten Monat {aber} wurde der Engel Gabriel von Gott in ein Dorf (eine Stadt)ad in Galiläa mit dem Namen Nazaretad gesandt 27 zu einem Mädchen (einer Jungfrau),ae das verlobtaf war mit einem Mann mit Namen Josefag aus dem Haus Davids;ah und der Name des Mädchens (der Jungfrau) war Maria.ag 28 {Und} nachdem er bei ihr eingetreten (zu ihr eingegangen) war, sprach er:ai „Freue dich (Guten Morgen), Begnadete, der Herr [ist (sei)] mit dir!aj [ [Du bist gesegnet unter den Frauen! ] ]ak 29 Sie aber wurde durch diese Rede bestürzt und überlegte, was das für ein Gruß sei. 30 Da sagte der Engel zu ihr:

„Fürchte dich nicht, Maria,p
Denn du hast Gnade (Gefallen) gefunden bei Gott.al
31 Und siehe, du wirst (sollst)am empfangen im Leiban
Und gebären einen Sohn
Und nennen seinen Namen ‚Jesus‘.ao


32 Dieser wird groß sein
Und ‚Sohn des Höchsten‘ genannt werden.
Und geben wird ihm der Herr, Gott,
Den Thron Davids, seines Vorfahren (Vaters).
33 Und er wird König sein über das Haus Jakobs auf ewig
Und seine Königsherrschaft (sein Königsreichs) wird kein Ende haben.“

34 Maria aber sagte zum Engel: „Wie wird dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne (kenne)?“ap 35 Und antwortend sagte ihr der Engel:

„Heiliger Geist wird über dich kommenp
Und Macht (Kraft) des Höchsten wird dich überschatten.aq
Darum [wird] auch das Gezeugte heilig [sein],
Wird genannt werden: ‚Sohn des Höchsten‘ (Darum wird auch das heilige Gezeugte genannt werden ‚Sohn des Höchsten‘; Darum wird auch das Gezeugte ‚heilig‘ genannt werden, ‚Sohn des Höchsten‘).ar

36 Und, siehe, Elisabet, deine Verwandte – auch sie hat empfangen einen Sohn in ihrem Alter, und dies [ist] der sechster Monat für sie, die für unfruchtbar gehalten wird, 37 denn nie wird unmöglich sein für Gott irgendeine Sache.“ 38 Maria aber sagte: „Siehe, [ich bin] die Sklavin des Herrn. Mir möge geschehen nach deinem Wort.“
Und der Engel verließ sie.


((Maria bei Elisabet))as


39 {Aufgestanden aber}at Maria ging (mit Eile=) eilig ins Gebirgige in (eine Stadt Juda[s]=) eine judäische Stadt (?),au 40 und ging ins Haus des Zacharias und (be)grüßte Elisabet.av 41 {Und es geschah,} Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Babyaw in ihrem Bauch. Und Elisabet wurde vom heiligen Geist erfülltax 42 und sie schrie (rief) (mit lautem Schrei (Stimme)=)ay laut {(und sprach=) wie folgt}:

„Glückselig (gepriesen) [bist (seist)] du unter den Frauenp
Und glückselig [ist (sei, wird sein)] die Frucht deines Leibes!
43 (Und woher [widerfährt] miraz das=) Wie habe ich das verdient,
Dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?ba
44 (Denn siehe: als=) Als nämlich der Klang deines Grußes in meine Ohren kam,
Hüpfte das Baby (in Jubel=) jubelnd in meinem Leib!
45 {Und} Selig (preiswürdig) [ist] die, die geglaubt hat,bb
Weil [nun] (dass)bc [das] in Erfüllung gehen wird,
Was ihr gesagt worden ist vom Herrn!“


46Und Mariabd sprach:

„Meine Seele (Ich)be preist (macht großbf, dankt)bg den Herrn

47und mein Geist (Ich)be jubelt (begann, zu jubeln)bh über Gott (dankt Gott)bg, meinen Retter,

48denn (dafür, dass)bg auf die Armut (Niedrigkeit, Demut)bi seiner Sklavin (Magd)bj hat er geschaut (sich angenommen)bk -

{siehe}bl von nun an halten für glücklich (werden mich für glücklich halten)bm mich alle Geschlechter (jeder)! - (:)bn


49{denn (dafür, dass)bg}bn der Mächtige hat Großes an mir getan -

{und (dessen)}bo heilig [ist (sei)] sein Name (er)bp! -

50{und}bq seine Huld (Gnade, Erbarmen, Barmherzigkeit)br [ist (währt, wird währen)bs] in Generationen und Generationen (alle Generationen, ewig)bs

für jene, die ihn fürchten.bt


51([So hat er begonnen, zu tun, Nun wird er tun])bu Machttaten (Gewalt, (seine) Herrschaft) hat er getan (ausgeübt)bv mit seinem Arm (Macht)bv:bw

er zerstreute (machte zunichte)bx Hochmütige (Stolze)by an der Gesinnung ihres Gemüts (Hochmütige)bz ;

52er stürzte Machthaber (Mächtige)ca von [ihren] Thronen [herab]cb

und erhöhte Arme;

53Hungerndecc bereichert (füllt, sättigt)cd er mit Gutem (Gütern)

und Reiche schickt er leer (mit leeren Händen)ce fort.


54Er hat sich Israel, seines Sklaven (Knaben, Knechtes) angenommen:cf

er hat sich (gnädig) zugewandt (hat gedacht an)cf mit [seiner] Huld (huldvoll, was seine Huld angeht)cf -cg

55wie er es (ja auch) unseren Vätern (Vorfahren) gesagt hat (verheißen hat)ch -

(für) Abraham und seinem Samen (seine Nachkommen) auf ewig (allen seinen Nachkommen, seiner ganzen Nachkommenschaft).

56 Maria blieb bei ihr ungefähr drei Monate, dann kehrte sie zurück in ihr Haus.


((Die Geburt Johannes des Täufers))


57 Als aber für Elisabeth die Zeit bis zu ihrer Niederkunft abgelaufen warci, da gebar sie einen Sohn.

58 Und die Nachbarn und ihre Verwandten hörten, dass der Herr (sein Erbarmen mit ihr groß gemacht hatte =) ihr reiches Erbarmen erwiesen hatte und freuten sich mit ihr (beglückwünschten sie).

59 Und es begab sich am achten Tag, dass sie kamen, das Kind zu beschneiden und ihn mit dem Namen seines Vaters Zacharias zu benennen (ihm den Namen seines Vaters Zacharias zu geben).

60 Da antwortetecj seine Mutter {und sprach}: Nein, sondern er soll Johannes heißen (man soll ihn Johannes nennen).

61 Da sprachen sie zu ihr:ck Es gibt keinen aus deiner Verwandtschaft, der (mit diesem Namen genannt wird =) diesen Namen hat.

62 Sie gaben {aber} seinem Vater ein Zeichen, dascl „wie er es [das Kind]cm nennen wolle“cn.

63 Und er bat um eine Schreibtafel undco schrieb {folgendermaßen}: Johannes ist sein Name. Und alle wunderten sich.

64 Sofort {aber} wurde sein Mund geöffnet und seine Zunge [gelöst], und er sprach, indemcp er Gott lobte.

65 Und es (geschah =) fiel auf alle Furcht, die in ihrer Nachbarschaft wohnten, und im ganzen judäischen Bergland sprachen sich all diese Dinge herum,

66 und alle, die [davon] hörten, nahmen es sich zu Herzen undcq (sagten =) fragten: Was soll bloßcr [mit] diesem Kind werden? Denn die Hand Gottes war mit ihm.

67 {Und} Zacharias, sein Vater, wurde mit heiligem Geist erfüllt und weissagte (verkündigte die Gottesoffenbarung, enthüllte prophetisch, sagte voraus) {folgendermaßen}:

68 Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels,
weil er heimgesucht hatcs und Erlösung geschaffen hat für sein Volk,
69 und für uns erweckt hat (ein Horn der Rettung =) eine starke Stütze der Rettungct
im Haus Davids, seines Knechtes,
70 wie er gesprochen hat durch den Mund seiner heiligen Propheten von Urzeiten her,
71 eine Rettung vor unseren Feinden und aus (der Hand =) der Gewaltcu aller, die uns hassen,
72 um Erbarmen an unseren Vätern zu übencv
und seines heiligen Bundes zu gedenken,
73 einen Eid, den er unserem Vater Abrahm zugesichert (zugeschworen) hat,
uns zu gewähren (zu geben), 74 dass wir, aus (der Hand =) der Gewalt der Feinde errettetcw,
ihm dienen 75 in Frömmigkeit und Gerechtigkeit
vor ihm alle unsere Tage.
76 Aber du, [mein] Kind, wirst Prophet des Höchsten (genannt werden =) seincx.
Du wirst nämlich vor dem Herrn vorangehen, seine Wege zu bereiten,
77 seinem Volk Kenntnis vom Heil (Erkenntnis des Heils) zu geben
durch den Erlass ihrer Sünden
78 durch das mitleidige Herz unseres Gottes,
durch das uns besuchen wird eine Lichterscheinung aus der Höhecy
79 zu erscheinen denen, diecz in Finsternis (Dunkel) und Todesschatten sitzen,
um unsere Füße auf den Weg des Friedens zu lenken.

80 {Aber} das Kind wuchs heran und erstarkte (wurde stark) im Geistda. Und es war in einsamen Gegenden bis zum Tag seiner Beauftragung (Einsetzung)db vor Israel.

Anmerkungen

1-4: Als einziger der vier Evangelisten beginnt Lukas sein Doppelwerk mit einem kurzen Abschnitt über Sinn und Wesen des Folgenden. Solche einleitenden Vorworte sind in griechischen historischen Werken üblich; ihr Sinn hier ist v.a. auch, zu zeigen, dass das Folgende den Qualitätskriterien einer historischen Schrift genügt. Lukian (2. Jh. n. Chr.) etwa charakterisiert gute Geschichtsschreibung in Wie soll man Geschichte schreiben? 47f. wie folgt:
Die Gegenstände selbst aber soll der Geschichtschreiber nicht auf's Geradewohl zusammentragen, sondern erst nach vorhergegangener sorgfältiger, bisweilen selbst mühsamer und wiederholter Prüfung zur Darstellung ausheben. Hauptsächlich aber berichte er uns das, wovon er als Augenzeuge sprechen kann; und kann er es nicht, so höre er wenigstens auf die Zeugnisse derer, von denen er voraussetzen kann, dass sie als unbestechliche Wahrheitsfreunde weder von Gunst noch von Ungunst sich bestimmen lassen werden, irgendeine Tatsache zu verkleinern oder zu vergößern. Und hier wird vornehmlich das Talent erfordert, mit Sicherheit zu urteilen, und durch richtige Kombinationen das Wahrscheinlichste auszumitteln.
Und wenn er dann seinen Stoff ganz oder größtenteils beisammen hat, so fange er damit an, denselben in einem voräufigen Entwurf zusammenzuordnen, so dass das Ganze vorerst als ein roher, noch ungegliederter, reizloser Körper vorhanden sei. Jetzt erst lege er die ausbildende Hand an, gebe dem Ganzen, wie jedem einzelnen Teil, seine Schönheit und Vollendung, und schmücke sein Werk mit den Reizen des Ebenmaßes und den blühenden Farben der Darstellung. (Üs. nach Pauly).
All diese Kriterien erfüllt seine Schrift, so Lukas: Zumindest seine Quellen waren Augenzeugen der berichteten Geschehnisse und als „Diener des Wortes“ vertrauenswürdig (V. 2); ihre diversen Berichte hat Lukas aufmerksam gelesen oder gehört (V. 3) und den so gesammelten Stoff zu einer Erzählung „zusammengeordnet“ (ebd.). Aus diesem Grund darf er hoffen, dass seiner Darstellung mehr Verlässlichkeit zukommt als dem, was sein Adressat Theophilos schon zuvor vom Hörensagen weiß.

Lukas „ordnende“ Hand ist besonders in den ersten beiden Kapiteln spürbar, in denen jeder Abschnitt nach dem selben Schema gestaltet ist: Auf eine Angabe von Zeit und Ort folgt der Auftritt der beteiligten Figuren, am Ende ihr Abtritt; den Kern jeder Szene bildet ein Gedicht oder ein gedichteter Dialog (vgl. Laurentin 1967, S. 28f.).
So auch bei den Versen 5-25, in denen das „eigentliche“ Evangelium damit einsetzt, den ersten Teil einer Legende über Johannes den Täufer zu erzählen, die in Vv. 57-80 fortgesetzt wird. Vv. 5f. führen Zeit und die erste Hauptfigur Zacharias ein, Vv. 8-11 konkretisieren Zeit und Ort und lassen Gabriel, die zweite Hauptfigur, auftreten. Vv. 12-20 bilden mit der langen Geburtsverheißung Gabriels den Kern der Szene. Sehr ähnliche Erzählungen finden sich im Alten Testament auch in Gen 16 und Gen 17 über die Geburt Ismaels und Isaaks, besonders aber in Ri 13 über die Geburt Simsons und in 1 Sam 1 über die Geburt Samuels. Johnson 2010 hat diese Erzählungen sinnvoll zusammengefasst und erklärt als die „son of a barren woman“-type scene: (1) Eine Frau ist unfruchtbar, (2) das Ende dieser Unfruchtbarkeit wird verheißen, (3) die Frau empfängt und gebiert einen Sohn (S. 272). Dieser „Sohn einer Unfruchtbaren“-Topos macht aus Lk 1,5-25 eine „theologische Leseanweisung“ (Stipp 2013, S. 153), die anzeigt, wie die Figur von Johannes dem Täufer zu verstehen ist: Als einer der „Großen“ der Heilsgeschichte. Johannes wird geboren kraft der Gnade Gottes; seine im Folgenden berichteten Taten sind deshalb mittelbar Gottes Taten.
Das ist es denn auch, was Gabriel in den zwei Strophen von Vv. 14-17 in hymnischem Stil explizit prophezeit. Das verheißene Kind wird für viele Grund zur Freude sein (V. 14), denn er wird ein Diener Gottes sein, durch den Gott selbst wirkt (15b-d). Ja, er wird sogar ein besonders wirksamer Diener Gottes sein. Denn was er herbeiführen wird, ist nichts weniger als die Allversöhnung: Er wird die „Kinder Israels“ zu Gott wenden (16a) – also Einheit stiften zwischen Gott und den Menschen –, Väterherzen ihren „Kindern“ zuwenden (17c) – also Einheit stiften unter den Menschen – und Ungehorsame zur Weisheit der Gerechten hinwenden (17d) – ein Bild, in dem noch einmal beide Dimensionen aufgehoben sind. So sieht ein „Gott bereitetes Volk“ aus: Gott und einander zugeneigt, Gott gehorchend und um Gott wissend. Besonders nahe an diesen Versen sind die Vv. 8-9 des zeitgenössischen 18. Psalm des Salomo: Dort wird der christus des Herrn seine Zuchtrute schwingen, „um jeden auszurichten auf Werke der Gerechtigkeit und der Gottesfurcht, um alle aufzustellen in der Gottesfurcht: Ein gutes Geschlecht in der Gottesfurcht zur Zeit seiner Gnade.“ Was Johannes hier zugeschrieben wird, ist nicht bloß die Rolle eines Wegbereiters Jesu, vielmehr teilen sich nach diesen Versen Johannes und Jesus die Aufgaben des Messias untereinander auf.

Das Strafwunder in Vv. 18-22 ist ein kleiner Kunstgriff des Lukas, in dem ein weiteres Mal seine ordnende Hand spürbar wird: Die Stummheit des Zacharias macht es ihm möglich, das Loblied des Zacharias erst in Vv. 67-80 folgen zu lassen; Lk 1,5-80 hat daher insgesamt die Struktur:

Vv. 5-25: Geburtsankündigung Johannes
Vv. 26-38: Geburtsankündigung Jesus
Vv. 39-56: Danklied der Maria für Jesu Geburt
Vv. 57-80: Danklied des Zacharias für Johanni Geburt (vgl. ähnlich Wolter 1998, S. 415)

Auch durch die Struktur des Kapitels kommt so zum Ausdruck, dass die Mission von Johannes und Jesus eine gemeinsame ist. Und ein Weiteres findet in diesem raffinierten Aufbau des ersten Kapitels seinen Ausdruck, nämlich ein typischer Zug der Erzählkunst des Lukas: Immer wieder wird er im Verlauf seines Evangeliums eine Erzählung von einer Frau und eine dieser entsprechende Erzählung von einem Mann nebeneinander stellen: Hier Zacharias und Maria, Maria und Zacharias, in Lk 2,25-35.36-8 Simeon und Anna, in 4,26.27 die Witwe von Sarepta und den Syrer Naaman, in 11,31.32 die Königin des Südens und die Männer von Nineveh, in 13,18f.20f. den Mann mit dem Senfkorn und die Frau mit dem Sauerteig, in 15,3-7.8-10 den Mann mit den Schafen und die Frau mit den Münzen, in 17,34.35 die schlafenden Männer und die mahlenden Frauen und in Lk 24,1-11.12 schließlich die Frauen am Grab und Petrus am Grab (vgl. Seim 2004, S. 15). Matthäus etwa erzählt anders, bei ihm wird z.B. die Geburt Jesu Josef verkündet, nicht Maria. Für eine Schrift aus dem 1. Jh. ist das nicht überraschend, Lukas Erzählweise dagegen sehr – es ist, also würde schon durch die Struktur des Werks dieses Evangelisten, bei dem noch an vielen weiteren Stellen und auf weitere Weisen eine ganz verblüffende Wertschätzung von Frauen zum Ausdruck kommt, gesagt werden: „Mann und Frau stehen gemeinsam und Seite an Seite vor Gott; sie sind gleich an Würde und Gnade, sind beschenkt mit den selben Gaben und haben die selbe Verantwortung“ (Navone 1970, S. 224).

Auch Vv. 26-38 entsprechen der üblichen Struktur der Abschnitte in Lk 1-2. Vv. 26f. setzen Zeit und Ort und führen die beiden Figuren Gabriel und Maria ein, mit 38b wird der Engel wieder aus der Szene genommen. Vv. 28-38a bilden mit dem Dialog zwischen den beiden den Kern der Szene. Auch hier wird primär eine Geburt verkündigt, dennoch handelt es sich hier nicht rein um die Gattung „Geburtsverheißung“, sondern um eine Mischung aus „Geburtsverheißung“ und „Berufung“: Maria wird zur Mutter des Herrn bestellt und beschließt denn auch das Gespräch in 38a mit einer Unterwerfung unter den Willen Gottes: Sie wird diesen ihren Auftrag ausführen (Lk 2,35 wird den Auftrag noch genauer ausfalten: Er erschöpft sich mitnichten nur im Austragen des Sohns Gottes, sondern in ihm liegt auch die mitleidende Teilnahme am ganzen Leben Jesu).
Die Geburtsankündigung selbst ist ganz parallel mit der des Johannes gebaut; deutlich sieht man die Entsprechungen von V. 13 und Vv. 30f.. In Vv. 14-17 und 32f. werden die Aufgaben der beiden Kinder differenziert: Geisterfüllter Allversöhner wird der eine sein, königlicher Messias und als solcher „Sohn Gottes“ der andere. Dies ist klar. Sehr schwierig ist aber die Deutung von Vv. 34f.: Verkündet Gabriel hier, dass Maria ihren Sohn jungfräulich durch den Heiligen Geist empfangen wird, wie die Verse fast einheitlich ausgelegt werden? Oder äußert Maria in V. 34 gattungsgemäß Zweifel an ihrer Eignung für ihre Berufung wie Mose in Ex 3,11, Gideon in Ri 6,15 und Jeremia Jer 1,6, woraufhin ihr wie diesen (s. Ex 3,12; Ri 6,16; Jer 1,8) Mut zugesprochen wird: Gott wird bei ihr sein, indem er sie unterstützt mit seinem Geist und schützt mit seiner Macht?

Exkurs: Jesus Christus, Gottes eingeborener Sohn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria: Lk 1,26-38 ist einer der Spitzentexte des Christentums; so konzentriert wie kaum anderswo im Neuen Testament wird hier darüber gesprochen, wie Jesus zu verstehen ist. Die traditionell und mit Abstand häufigste Deutung von Vv. 34f. ist diese: Jesus soll dargestellt werden als der „Sohn“ Gottes im eigentlichsten Sinn des Wortes. Um diesen auf die Welt zu bringen, so erklärt hier Gabriel, kommt Gottes Geist auf/in Maria herab, die Jungfrau ist und bleibt, und so empfängt sie auf irgendeine Weise Jesus, den Christus. Zwei Aspekte sind hier erklärungsbedürftig und lassen sich nur recht vor dem Hintergrund antiker Parallelen verstehen: (1) Jesu „Gottessohnschaft“ und (2) seine mutmaßliche „Empfängnis durch eine Jungfrau vermöge des Heiligen Geists.“
Gottessohnschaft war zu Jesu Zeit ein recht verbreitetes Konzept; besonders zwei Varianten legen sich als Verständnisfolie für die Gottessohnschaft Jesu nahe: (a) eine ägyptisch-griechisch-römische und (b) eine jüdische Variante.
Nach der ägyptisch-griechisch-römischen Variante waren göttliche Menschen und „Söhne Gottes“ bes. Pharaonen, Könige und Kaiser. Schon im Alten Ägypten, mehr als 1000 Jahre v.Chr., wurden die Pharonen als göttlich, vergöttlicht oder als Kinder von Göttern angesehen. Die Ptolemäer, griechische Herrscher über Ägypten im 4./3. Jh. v. Chr., übernahmen diese Konzeption; von hier aus wanderte sie zunächst in den griechischen Herrscherkult und dann in den römischen Kaiserkult vor, während und nach Jesu Zeit. Julius Caesar († 44 v. Chr.) etwa wurde schon zu Lebzeiten als „sichtbar erschienener Gott und Retter des menschlichen Lebens“ verehrt (IvE 251); nach seinem Tod wurden ihm Tempel erbaut, Priester für seine Verehrung eingesetzt und ein Verehrungskult geschaffen. Seinem Nachfolger Augustus († 14 n. Chr.) wurden schon zu Lebzeiten Tempel errichtet (vgl. Cassius Dio 51.20.8); er wurde verehrt als „einheimischer Zeus und Retter des Menschengeschlechts(IBM IV/1 894); ihm zu Ehre wurde beschlossen, das Kalenderjahr an seinem Geburtstag, dem „Geburtstag des Gottes(OGIS 458), beginnen zu lassen. In einer zu seinen Lebzeiten verfassten lykischen Inschrift heißt es: „Den Gott Augustus, den Sohn Gottes, den Caesar Imperator über die Erde und das Meer, den Wohltäter und Erretter der ganzen Welt, ehrt das Volk der Myrer.(IGR III 719). Wie hier zu sehen ist, lässt sich Augustus also als „divi filius“, „Sohn des Göttlichen“, verehren, was aber nicht biologisch zu verstehen ist, sondern sein enges Verhältnis zu seinem vergöttlichten Adoptivvater (!) Julius Caesar unterstreichen sollte. Dennoch rankten sich bald Legenden um ihn; Sueton berichtet etwa in Div Aug XCIV 4, Augustus sei der Sohn Apollos gewesen. Ganz ähnlich wurde sein Nachfolger Tiberius in einer Inschrift bezeichnet als „erhabener Gott, erhabener Götter Sohn, Herr der Erde und des Meeres, Wohltäter und Retter der ganzen Welt(Klauck 1996, S. 54); auch er war aber nicht Augustus leiblicher Sohn, sondern Stiefsohn. Auch der 68 n. Chr., also kurz vor der Abfassung des Lukasevangeliums, gestorbene Kaiser Nero wurde als Gott verehrt; in einer Inschrift etwa wird er bezeichnet als „Herr der ganzen Welt, der größte Imperator, ... die neue Sonne, die den Hellenen aufgegangen ist, ...; Nero, der befreiende Zeus(SIG3 814). In einer Ekloge führt der Dichter Calpurnius Siculus gar das Wachsen der Pflanzen auf das Wirken Neros zurück und schließt: „Kaiser, ob du nun Jupiter bist mit verwandeltem Aussehn / oder ein anderer Gott unter täuschendem Bild eines Menschen, / unerkannt: Gott bist du sicher; ich bitte dich, lenke den Erdkreis, / lenke auf ewig, ich bitt' dich, die Völker...!dc Ähnlich wie Augustus ließ auch Kaiser Domitian seinen Vater Vespasian, den Nachfolger Neros, nach seinem Tod vergöttlichen und erlangte so den Titel divi filius. Auch dies ist nicht biologisch zu verstehen: Domitian ließ Vespasian entweder um 79 oder 80 n. Chr. vergöttlichen; auf vor diesem Akt verfassten offiziellen Dokumenten und geprägten Münzen wird auf ihn Bezug genommen als „Augusti filius“, auf späteren Dokumenten und Münzen dagegen als „divi filius(vgl. Clarke 1966; Buttrey 1976) – anders als die vielen Halbgötter und Heroen der griechischen und römischen Sagenwelt machte der Titel „divi filius“ ihre Träger nicht göttlich oder halbgöttlich, sondern betonte nur ihre enge Relation zu tatsächlich göttlichen Wesen. Man muss also differenzieren zwischen der Verehrung eines Kaisers als Gott, die bisweilen schon zu Lebzeiten erfolgte, und seiner Bezeichnung als divi filius – auch, weil divus („Göttlicher, Vergöttlichter“) ohnehin etwas anderes ist als deus („Gott“).
Die jüdische Variante ist komplexer, da mehrere theologische Ideen in ihr zusammenflossen. Vor allem diese: Erstens übernahmen auch die Israeliten von den Ägyptern die Ansicht, ihre Könige seien „Göttersöhne“. Auch hier ist dies nicht biologisch zu verstehen; aus Ps 2,7 z.B. ist ersichtlich, dass die Erhebung zum „Gottessohn“ einherging mit der Thronbesteigung (s. ebenso 2 Sam 7,13f; 1 Chr 17,12f.; Ps 89,26-28; Ps 110,1.3 LXX: „JHWH sprach zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten! ... Mit dir ist die Macht am Tag deiner Kraft im Glanz der Heiligen: Vor dem Morgen habe ich dich aus dem Bauch gezeugt.). Zum Gottessohn wurde man also durch Adoption, wie dies auch in NT stellenweise klar erkennbar ist (s. Joh 1,12f.; Röm 8,15-17; 2 Kor 6,17f.; Gal 4,6f.). Zweitens entwickelte sich im Judentum etwa ab dem 3. Jh. v. Chr. die Idee eines künftigen „Messias([zum König] Gesalbter“), eines aus der Davidsstadt Bethlehem stammenden endzeitlichen Königs aus dem Geschlecht Davids, der Israel wiederherstellen und die Heiden entweder vernichten oder zum Judentum bekehren werde.dd Vorbereitet wurde diese Vorstellung in Heilszusagen an Könige oder Israel, z.B. in Jes 9,5f.; 11; Jer 23,5f.; Ez 34,23f.; Am 9,11f.; Mi 5; Sach 9,9f.; als tatsächliche Messias-Erwartung greifbar ist sie schon in der sog. „Tierapokalypse“ des Henochbuches, die aber zu lang ist, um sie hier zu zitieren. Vgl. schön aber im 3. Buch der Sibyllinischen Orakel, das vermutlich aus dem 2. Jh. v. Chr. stammt:
Und dann wird Gott vom Sonnenaufgang her einen König senden, der auf der ganzen Erde den bösen Krieg ein Ende machen wird, indem er die einen tötet, mit den anderen sichere Verträge schließt. Auch wird er dies alles nicht nach eigenem Rate tun, sondern den guten Beschlüssen des großen Gottes folgend. ... Aber die Söhne des großen Gottes werden um den Tempel herum alle ruhig wohnen, sich erfreuend an dem, was ihnen der Schöpfer und der gerecht richtende Alleinherrscher geben wird. ... Dann werden alle Inseln und Städte sagen: ‚Wie sehr der unsterbliche Gott jene Männer liebt, denn alles wirkt er für sie mit und steht ihnen bei...!‘ Süße Rede werden sie aus dem Mund erschallen lassen in Liedern: ‚Kommt, niederfallend zur Erde lasst und alle anflehen den unsterblichen König, den großen und ewigen Gott. Lasst uns zum Tempel schicken, denn er allein ist der Herrscher, und lasst uns alle das Gesetz des höchsten Gottes bedenken, welches von allen auf Erden das gerechteste ist!‘(Üs. nach Blass)
Deutlich entwickelt ist diese Erwartung auch im 17. und 18. Psalm Salomos (1. Jh. v. Chr.) und aus der nachristlichen Zeit z.B. in 2 Bar 72-74 und 4 Esra 13, wo der Messias gar als „mein (=Gottes) Sohn“ bezeichnet wird, was aber vielleicht später von christlichen Schreibern nachgetragen wurde. Die Messiaserwartung ist auch vielfach für Qumran belegt. In 4QFlor i 10-13 z.B. wird 2 Sam 7,11-14 ausgelegt:
‚Ich werde deinen Samen nach dir errichten und aufrichten den Thron deines Königtums für immer. Ich werde ihm ein Vater sein und er wird mir ein Sohn sein.‘ Gemeint ist der Spross Davids, der aufstehen wird zusammen mit dem Ausleger des Rechts, der an den letzten Tagen über Zion herrschen wird, wie geschrieben ist [in Am 9,11]: ‚Ich werde wiedererrichten die zerfallene Hütte Davids!‘ Diese ‚zerfallene Hütte Davids‘ ist er, der aufstehen wird, um Israel zu retten.“.
In 4QPsDan A ii 1 wird vielleicht dieser Messias als „Sohn Gottes und Sohn des Höchsten“ bezeichnet: „Er wird Sohn Gottes genannt werden, und sie werden ihn Sohn des Höchsten nennen. ... Seine Königsherrschaft ist ewige Königsherrschaft.“ Sicher ist der Messias gemeint in HazGab 16-21, einer kürzlich gefundenen Inschrift, die aber vielleicht eine Fälschung ist. Hier verheißt der Engel Gabriel: „So spricht JHWH der Heerscharen, der Gott Israels: ‚Mein Sohn, in meiner Hand ist ein neuer Bund für Israel. In drei Tagen – wisse –‘ (so sagte JHWH, der Gott der Heerscharen) ‚zerbricht das Übel vor der Gerechtigkeit.‘(Üs. nach Schattner-Rieser 2011, S. 522-4). Daneben lässt sich in Qumran zeitgleich eine doppelte Messiaserwartung feststellen: Erwartet wurde ein Gesalbter Israels und ein Gesalbter Aarons, also ein königlicher und ein priesterlicher Messias (vgl. 1QS ix 11: „bis zum Eintreffen eines Propheten und der Gesalbten Aarons und Israels“; 1QSa ii 14: „der Gesalbte Israels“; CD xii 23: „bis zum Auftreten des Gesalbten Aarons“; xiv 19f.; xx 1 „bis zum Auftreten des Gesalbte Aarons und Israels). Eine ähnliche doppelte Erwartung für die Endzeit dürfte Jub 31,12-21; 32,18-19 zugrunde liegen, wo Abraham seine Enkel Levi und Juda, also die Stammväter der aaronidischen Priester und der davididischen Könige, segnet und ihnen ewige Herrschaft über ein Friedensreich verheißt. Auch im „Testament der zwölf Patriarchen“, bes. in TestLev 18; TestJud 24 , werden zwei gesalbte Gestalten aus den Stämmen Levis und Judas erwartet. Die beiden Texte sind stellenweise äußerst nahe an Lk 1,26-38; da aber fast sicher ist, dass diese ursprünglich jüdische Schrift in der nachchristlichen Zeit von christlichen Autoren stark überarbeitet wurde, sind diese Zeugnisse nicht sehr verlässlich.
Danae empfängt Perseus im Goldregen. Abbildung auf Krater, um 450 v. Chr. Quelle: Wikimedia Commons.
Nach den beiden ersten Varianten ist also klar, dass die „Göttersöhne“ nicht im biologischen Sinne Söhne von Göttern sind, sondern dass in diesem Titel „nur“ ihre besonders nahe Beziehung zu (einem) Gott zum Ausdruck kommt. Diese Vorstellung ist, wie man sieht, äußerst breit bezeugt. Im Judentum existiert daneben noch die verwandte „Messias“-Vorstellung, die manchmal mit der jüdischen Gotteskind-Vorstellung zu einer einzigen Vorstellung verschmolzen ist. Noch häufiger bezeugt ist in der griechischen und römischen Mythologie natürlich außerdem die Vorstellung, eine Gottheit könne mit einem Menschen leiblich und tatsächlich ein Kind zeugen, so dass aus dieser Vereinigung dann Halbgötter oder gottgleiche Menschen hervorgingen (wie Herkules, der Sohn von Zeus und der Frau Alkmene, Perseus, der Sohn von Aphrodite und dem Mann Anchises oder auch die Philosophen Pythagoras und Platon, die nach späteren Legenden beide Söhne des Apollo waren).
All diese Vorstellungen unterscheiden sich aber in entscheidenden Punkten von der oben kurz zusammengefassten Deutung der Lk- und Mt-Stellen. Diesen stärker entsprechende Vorstellungen – eine wirkliche Vereinigung von göttlichem und menschlichem Elternteil habe nicht die Form von „gewöhnlichem“ Geschlechtsverkehr, so dass die geschwängerte Frau dabei Jungfrau bleiben würde – sind dagegen fast gar nicht bezeugt. Annähernd vergleichbare Vorstellungen begegnen nur im auch bei Ovid, Metamorphosen iv 610f. überlieferten Perseusmythos, nach dem dieser nicht durch Geschlechtsverkehr zwischen Zeus und Danae empfangen wird, sondern „im Goldregen“, dem Epaphosmythos, nach dem Zeus die göttlichen Kuh Io durch seine „Anhauchung“ geschwängert hat (Aischylos, Sup 17-19) und im ägyptischen Glauben daran, dass der „Apis“, eine Inkarnation des Osiris in Stierform, von seiner Mutter – ebenfalls einer Kuh – durch einen Mondstrahl (Plutarch, Isis et Osiris 368 C) oder einen Sonnenstrahl (Herodot iii 28) empfangen werde.de
Das ist auch deshalb problematisch, weil diese Vorstellung auch in Mt 1 und Lk 1 wenn, dann nicht sehr deutlich entwickelt wird (s. gleich) und auch die anderen neutestamentlichen Autoren nicht nur nicht von ihr geschrieben haben, sondern sie überhaupt nicht zu kennen schienen.
Vielsagend sind besonders die drei Stellen, in denen Paulus von Jesu Geburt spricht, ohne diese Vorstellung zu erwähnen: In Röm 1,3f. bestimmt er Jesus programmatisch näher als „dem Fleisch nach geboren aus dem Samen Davids (!), dem Heiligen Geist nach zum (!) Sohn Gottes eingesetzt (!) in Macht seit/nach der Auferstehung“; in Gal 4,4ff. schreibt er über die Gottessohnschaft der Christen und von Gottes Sendung Jesu, der schon vor seiner Geburt „Gottes Sohn“ war, schweigt sich aber über eine besondere Empfängnis aus; in Phil 2,7 hätte sich ein Hinweis auf sie besonders angeboten, da auch hier von Jesu Präexistenz und Menschwerdung gesprochen wird, doch wieder: Fehlanzeige. Selbst in 2 Clem (Ende 1. - Anfang 2. Jh.) ist davon nicht die Rede, obwohl dort in 9,5 von der „Fleischwerdung“ des ehemals Geist gewesenen Christus geschrieben wird und in Kapitel 14 Christus und die Kirche parallelisiert werden mit Gottes Schöpfung von Mann und Frau (V. 2) und mit dem Geist und dem ihn empfangenden Fleisch (V. 4).
Sicher ist, dass man schon sehr früh daran glaubte, Gottes Sohn habe schon vor der Geburt Jesu existiert und „wurde“ dann Mensch. Bei der Frage danach, wann dieser Sohn Gottes mit dem Menschen Jesus identisch wurde, kursierten aber offenbar noch recht lange unterschiedliche Varianten. Eine sog. „Erhöhungschristologie“, nach der Jesus mit der Auferweckung als Sohn Gottes angenommen wurde, setzen z.B. anscheinend die eben zitierten Verse Röm 1,3f. voraus; ebenso in der Apg Petrus z.B. in Apg 2,36; 5,31 und noch mehr Paulus in Apg 13,33; sie wird auch in der Erzählung von den Emmausjüngern vorausgesetzt (Lk 23,13-35), wo die Emmausjünger vom gekreuzigten „Propheten“ Jesus reden, Jesus aber dagegen hält, der Messias hätte leiden müssen, „um in seine Herrlichkeit zu gelangen“ (V. 26). Historiker wie Dunn halten dies für die früheste Entwicklungsstufe des Glaubens an Jesus Christus (Dunn 1989, S. 36).
Eine zweite Variante war die, nach der Jesus mit der Taufe zum Sohn Gottes wurde. Für die judenchristliche Gruppierung der Ebioniter etwa war Jesus der leibliche Sohn von Maria und Joseph und wurde bei seiner Taufe als Sohn Gottes angenommen. Auch der einflussreiche Kerinthus (Ende 1. Jh.), der die Beschneidung von Heidenchristen forderte und also wohl Judenchrist war, lehrte das Selbe. Eine solche Adoption bei der Taufe setzt recht sicher auch die Tauferzählung des apokryphen Nazarenerevangeliums voraus, die Hieronymus in seinem Jesajakommentar mitgeteilt hat. Auch Justin berichtet von Juden, die Jesus für den Messias halten, aber nicht an eine Jungfrauengeburt glauben; offenbar handelte es sich also um eine verbreitete Position unter Judenchristen. Noch im Hirten des Hermas (vor 150 n. Chr.) ist Christus zwar präexistent, kommt aber erst später auf den tugendhaften Jesus, der dann wohl ein gewöhnlich geborener Mensch sein soll, herab. Eine solche Adoption bei der Taufe könnte auch bei Mk 1 vorausgesetzt sein.
Belege für eine sog. „Inkarnationschristologie“ aber, nach der der Sohn Gottes durch den Heiligen Geist in die Jungfrau Maria „inkarniert“, also „ein-geboren“ wurde, begegnen erst Mitte des 2. Jhd.s bei Aristides und Ignatius von Antiochien (Hoben 1902 hat ab S. 481 schön die erhaltenen Belege ab dieser Zeit zusammengetragen). Aus dem Philippus-Evangelium lässt sich vielleicht heraushören, dass diese Vorstellung noch Ende des 2./Anfang des 3. Jhd.s nicht überall verbreitet war: „Einige (!) sagten: ‚Maria ist schwanger geworden vom Heiligen Geist.‘ Sie irren sich! Sie wissen nicht, was sie sagen! Wann wäre jemals ein Weib von einem Weibe schwanger geworden? [...] Und der Herr [hätte] nicht gesagt: ‚Mein V[ater, der da ist i]m Himmel‘, wenn [er] nicht (noch) einen [and]eren Vater gehabt hätte; sondern er hätte einfach gesagt[: ‚Mein Vater‘].(17a.c; Üs.: Schenke).
Dass sich die jüdische, „adoptianistische“ Tradition der Gotteskindschaft in Lk 1,32f. niedergeschlagen hat, ist sehr deutlich. Fraglich ist aber, ob gleichzeitig V. 34f., wo eine Jungfrau offenbar durch den „Heiligen Geist“ (pneuma) und die „Kraft des Höchsten“ (dynamis) ein Kind empfängt, wirklich so verstanden werden müssen und können, dass bei Lukas Jesus doch im Gegensatz zu den messianischen Königen des Judentums und den römischen Kaisern als Gottes leiblicher, „eingeborener“ Sohn dargestellt würde. Dies ist nicht nur deshalb schwierig, weil sich für diese Vorstellung an sich überhaupt keine nahen Parallelen finden lassen und auch vom Ereignis erst im 2. Jahrhundert (wieder?) die Rede ist, sondern vor allem auch deshalb, weil sich diese Deutung mehrfach mit anderen Stellen im Lukasevangelium selbst beißt.
(1) Allem voran harmoniert sie nicht gut mit V. 32 im selben Abschnitt, wo die Rede vom „Thron seines Vorfahren David“ sich nach V. 27 kaum anders verstehen lässt als so, dass Gabriel selbst die Vaterschaft Josefs voraussetzt (Ignatius macht daher in seinem Brief an die Epheser Maria zur Nachfahrin Davids: 18,2). Auch die Genealogie in Lk 3,23ff. macht kaum Sinn, wenn Josef nicht der Vater Jesu wäre. Dies ließe sich zur Not noch durch eine „Adoption“ Jesu durch Josef erklären, doch weiter:
(2) Sehr problematisch ist auch, dass Jesus bei Lukas selbst nach seiner Geburt sehr deutlich gezielt nicht als Geistträger dargestellt wird. Anders als Johannes, der beim Aufwachsen „im Geist erstarkte“ (V. 80), fehlt dieses „im Geist“ bei Jesus im klar bewusst parallel formulierten Vers Lk 2,40, so dass dieser beim Aufwachsen „[schlechthin] erstarkte“. Dies ist auch leicht erklärlich; anders als beim „Geistträger-schon-vor-der-Geburt“ Johannes wird Jesus im Lukasevangelium den Heiligen Geist erst in Lk 3,21f. durch die Taufe des Johannes empfangen. Hier auch erst wird Gott Jesus programmatisch als „seinen Sohn“ ansprechen und in V. 22 sogar noch eine Begründung dafür geben: „an dir habe ich Gefallen gefunden“. Das entspricht sehr klar der „Adoption“ israelitischer Könige durch Gott in der jüd. Tradition der Gottessohnschaft (s.o.). Glessner 2014, S. 117f. und Peppart 2011, S. 93f. haben versucht, dieses Problem mit der These zu lösen, offenbar wolle Lukas verschiedene Modelle der Gottessohnschaft gleichzeitig auf Jesus anwenden: Er ist Gottes Sohn wie die isralitischen Könige qua davidischem Messias (V. 32f.), Gottes Sohn als sein leiblicher Sohn (V. 34f.), Gottes Sohn durch seine Abstammung von Adam (Lk 3,23ff.) und Gottes Sohn aufgrund von Adoption und Übertragung des Geistes durch Gott (Lk 3,21f.). Im Grunde ist das sicher richtig, doch speziell hier ist es nicht hilfreich; auch dann ist Lk 1-3 ja nicht logisch. Lukas hätte dies ohne Verlust und leicht glätten können, wenn er in V. 35 nur von der dynamis und nicht vom pneuma geschrieben und sich diesen für 3,21f. aufgespart hätte (wie dies ähnlich der Verfasser des Protevangeliums des Jakobus tat). Offenbar aber sah er hier kein Problem.
(3) Drittens, und dies wiegt am schwersten, ist diese Deutung deshalb problematisch, weil der Heilige Geist und das „überkommen-Werden“ vom selben bei Lukas ein sehr klares Profil haben (s. zu V. 35), aber das, was hier anscheinend als Leistung dieses Geistes geschildert wird, radikal aus diesem Rahmen fallen würde. Nach dem lukanischen Sprachgebrauch sollte man, wenn man nur auf V. 35 blickt, durchaus meinen, dass hier gesagt wird: Hier wird Maria transformiert, nicht „Jesus gezeugt“. Und auch das legt sich von Lk 1-2 her noch einmal nahe: Von allen Menschen, die dort Hymnen sprechen, wird zunächst explizit gesagt, dass zuvor der Heilige Geist über sie kommt (s. Vv. 41ff.; 67ff.; 2,25ff.). Ganz auffällig aber nicht bei Maria (V. 46ff.) – was dann erklärlich wäre, wenn man davon ausginge, dass dies schon in V. 35 gesagt wurde.

Nimmt man all dies zusammen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Lukas wirklich von einer jungfräulichen Geburt berichtet. Wahrscheinlicher ist dies: Vv. 30-33 sind der Auftrag Gottes an Maria, in V. 34 bezweifelt Maria, diesem Auftrag gerecht werden zu können, in V. 35 beschwichtigt der Engel: „Doch, mit Gottes Hilfe!“, unterstreicht die Macht Gottes in Vv. 36f. noch einmal mit dem Verweis auf Elisabet, und beruhigt willigt Maria in V. 38 ein, ihrer Berufung folgen zu wollen.

aviele - schwer verständliche Übertreibung. Gern damit verteidigt, dass Lukas ja in der Tat aus mehreren Quellen schöpfte, insofern er sich bei der Abfassung seines Evangeliums am Markusevangelium, an der „Spruchquelle Q“ und an weiteren Quellen, die nur ihm vorlagen, bediente. Eine „verfasste Erzählung“ über „die Dinge, die bei uns vollendet wurden“, ist darunter aber einzig Mk. (Zurück zu v.1)
bWeil ja viele versucht (es unternommen) haben leitet den ersten Grund ein, aus dem sich Lukas zur Abfassung seines Doppelwerks entschlossen hat (der zweite Grund folgt V. 4). epicheireo bedeutet in der Regel „(vergeblich) versuchen“ und hat diese Bedeutung auch in Apg 9,29; 19,13, den einzigen anderen Stellen, an denen das Wort im NT verwendet wird. Weil in V. 3 sich Lukas aber mit kamoi „auch mir“ unter seine Vorgänger einreiht, glauben viele Kommentatoren, dass hier dagegen das Wort ganz neutral „etwas unternehmen“ bedeute. Das ist nicht auszuschließen; ganz überzeugend ist es nicht: Allein von dieser Selbsteinordnung her auszuschließen, dass Lukas seine Vorgänger kritisiere, überfordert das Wort; vor allem aber: Wie soll dann die Tatsache, dass schon andere getan haben, was Lukas nun angeht, ein Grund für sein Unterfangen sein? Die sprachlich näheste Parallele findet sich in Josephus, De bello judaico I 6 17, wo mit „weil schon viele Juden vor mir die Geschichten unserer Vorfahren genau zusammengestellt haben...“ gerade begründet wird, dass es Josephus überflüssig scheint, das selbe zu wiederholen. Das Schlechtreden von Vorgängern im Vorwort eines Werkes zur Rechtfertigung und Anpreisung desselben findet sich dagegen sehr häufig in griechischen Texten; vgl. z.B. Hippokrates, De prisca medicina I 1: „Wer immer versucht hat, über Medizin zu sprechen oder zu schreiben, [...] lag in vielem falsch, was er sagte“; Diodorus Siculus, Bibliotheca Historica I 3.1; Philo, De vita mosis I 1 3f. u.ö. Vgl. gut z.B. Fitzmyer 1981, S. 291. Impliziert ist also sehr wahrscheinlich: Was jetzt folgt, ist besser als das, was Lukas Vorgänger geleistet haben. (Zurück zu v.1)
cvollendet (erfüllt) - Gr. pleroforeo. Das verwandte Wort pleroo wird auch von Lukas öfter dazu verwendet, um auszudrücken, dass eine Verheißung älterer heiliger Schriften in der Geschichte Jesu „zur Erfüllung gekommen“ sei (s. z.B. Lk 4,20) und viele Kommentatoren und Üss. denken, das sei auch hier die Bed. des verwandten Wortes. Verwendet wird aber eben gerade ein anderes Wort, und Objekt des Verbs sind hier nicht zu erfüllende „Schriften“, „Worte“ etc., sondern „Ereignisse“; viel wahrscheinlicher ist daher, dass Lukas nur davon spricht, dass die Ereignisreihe, die er hier zu erzählen gedenkt, zu seiner Zeit „abgeschlossen“ ist (vgl. richtig Wolters 2008, S. 62). (Zurück zu v.1)
ddie von Anfang an Augenzeugen und [später] Diener des Wortes waren - oder: „die von Anfang an Augenzeugen [waren] und [dann] Diener des Wortes wurden“ (so NSS), was aber syntaktisch nicht sehr nahe liegt. Möglich außerdem, dass sich beide Bezeichnungen auf unterschiedliche Personengruppen beziehen: „die, die von Anfang an Augenzeugen waren und die, die Diener des Wortes waren“. Gemeint sind wahrscheinlich die Apostel; vgl. Apg 1,21 („Apostel“: Einer, der [als Augenzeuge] „dabei war“, nämlich „anfangend von der Taufe des Johannes“, und heute „Zeuge von Jesu Auferstehung“ ist); ähnlich 10,37-39, was erstens dafür spricht, dass Lukas sich hier nur auf eine Personengruppe bezieht, und zweitens wahrscheinlich macht, dass mit „Anfang“ hier wie üblich der „Anfang des Wirkens Jesu“ von der Taufe des Johannes an gemeint ist.
Das Wort für „Augenzeuge“, autoptes, ist hier vielsagend: Selbst „Augenzeuge“ gewesen zu sein oder wenigstens ursprüngliche Augenzeuge gründlich befragt zu haben, war ein Qualitätsmerkmal guter Historiker. Lukas Vorgänger haben versucht, diese Anforderung guter Geschichtsschreibung zu erfüllen, und impliziert ist natürlich: gerade er wird dies auch versuchen. (Zurück zu v.2)
enachdem ich von Beginn an allem (allen) sorgfältig gefolgt bin - umstrittener Ausdruck, gemeint ist wohl: Lukas hat alle Quellen genau gelesen oder ihnen aufmerksam gelauscht und sie dann treu wiedergegeben. Er hat sie außerdem von Beginn an genau rezipiert: Seine Quellen sind „Jesus-Fachmänner“, weil sie von Anfang an Augenzeugen war; er dagegen ist ein „Quellen-fachmann“, weil er sie von Beginn (der Zeugnistätigkeit dieser Quellen) an gründlich ausgewertet hat.

Genauer: „folgen“ ist umstritten, da false friend:
(1) Die meisten Kommentatoren, Üss. und Wörterbücher gehen davon aus, dass parakoloutheo ebenso wie das Dt. „nachgehen“ für „einer Sache nachgehen“ i.S.v. „sie erforschen“ stehen könne; Lukas würde dann für sich in Anspruch nehmen, „gut wissenschaftlich“ an seinem Gegenstand geforscht zu haben. Anders als im Dt. hat das gr. Wort diese Bedeutung jedoch nie und bedeutet gerade nicht das kritische Untersuchen im Nachhinein, sondern das affirmative Mitvollziehen einer Sache oder einer Rede im Moment ihres Geschehens (vgl. gut Wolters 2008, S. 64; bes. auch schon Cadbury 1922b; Ropes 1923, S. 70 u.a. Demosthenes XVIII 172 und XIX 257, worauf BDAG s.v. verweist, kann diese Bedeutung gar nicht haben, da Objekt des „Folgens“ zeitgenössische Ereignisse resp. Taten eines zeitgenössischen Mannes sind.).
(2) Dennoch aber kann man Reden und Schriften „nachgehen“, insofern man ihnen „folgt“, also aufmerksam liest oder zuhört. Vgl. z.B. Josephus, Contra Apionem I 217, wo er drei griechische Historiker für Ungenauigkeiten in Schutz nimmt, „da es ihnen ja nicht möglich war, unseren Schriften sorgfältig zu folgen“; schön z.B. auch in Theophrasts Abschnitt 4 des Vorworts zu seinen „Charakteren“: „Nun will ich mit meinem Text beginnen, du aber folge verständig und siehe zu, ob ich wahr spreche!“ u.ö. Bezieht man das allem (allen) auf die Lukas vorliegenden Erzählungen, die er gründlich gelesen, und die Berichte seiner Augenzeugen, denen er aufmerksam gelauscht hat, würde Lukas immerhin doch wenigstens „sorgfältige Arbeit mit seinen Quellen“ für sich in Anspruch nehmen.
(3) Alternativ kann man Ereignissen „nachgehen“, indem man selbst als Augenzeuge bei diese Geschehens anwesend war (so z.B. sehr klar in Josephus, Contra Apionem I 53: „[Ein Historiker muss die Tatsachen, über die er schreibt,] zunächst sorgfältig in Erfahrung gebracht haben – entweder, indem er den Geschehnissen gefolgt ist [wie in seinem Fall, da er den ganzen jüdischen Krieg miterlebt hat] oder indem er sie von Kundigen erfragt.). Cadbury und Ropes wählen diese Bedeutung und denken, Lukas spreche hier von den Ereignissen, von denen in den „Wir-Passagen“ der Apostelgeschichte die Rede ist (Apg 16,10-17; 20,5-15; 21,1-18; 27,1-37; 28,1-16) und „übertreibe nur leicht“, wenn er diese hier als „alles“ bezeichne. Selbst, wenn dies die richtige Erklärung des „Wir“ in diesen umstrittenen Abschnitten sein sollte, wäre „alles“ hier aber durchaus nicht nur eine „leichte Übertreibung“.

(4) Alexander 1993, S. 128f. erwägt außerdem die (belegten) Spezialbedeutungen „Quellen folgen“ i.S.v. „ihnen gerecht werden, insofern man sie getreu wiedergibt“; auch Wolters 2008, S. 57: „... ich, der ich mich an alles von Anfang an genau gehalten habe...“. Der Sinn wäre letztlich der selbe wie bei (2), Bed. (2) ist aber besser belegt und (nur) deshalb etwas wahrscheinlicher. (Zurück zu v.3)
fgeordnet (hiernach) - ein weiteres Qualitätsmerkmal guter historischer Schriften; nach dem Sammeln und Sichten der Quellen sind die nächsten Schritte das Anordnen des Materials und die rhetorisch gelungene Ausgestaltung. Für ein Bsp. s. die Anmerkungen. Zu hiernach i.S.v. „nach diesem Vorwort“ vgl. Cadbury 1922, S. 505; zu Recht hat dieser (mögliche) Vorschlag sich nicht durchsetzen können. (Zurück zu v.3)
gverehrter Theophilos - theophilos ist w. der „Freund Gottes“, bezeichnet aber sehr wahrscheinlich nicht symbolisch alle „Freunde Gottes“ (sc. die „Christen“), wie die Kirchenväter glaubten, sondern bez. als gut belegter Personenname eine historische Person. Über ihre Identität, ihre Stellung und den Grund, warum Lukas sein Werk gerade für ihn schreibt, ist nichts bekannt. Auch längere Schriften an einzelne Personen zu adressieren und diese (nur) im Vorwort auch direkt anzusprechen ist ein gut bezeugter Usus; Dioskorides „Arzneimittellehre“ etwa ist an einen „verehrten Areios“ gerichtet (Vorwort), Josephus „Contra Apionem“ an einen „verehrten Epaphroditus“; Theophrast hat seine Charaktere vorgeblich nur für einen Polycles verfasst usw. (Zurück zu v.3)
hWorte, über die (in denen) du unterrichtet worden bist - katecheo „unterrichten“ kann sowohl neutral „etwas mitbekommen“ als auch spezifisch christlich die katechetische Unterweisung vor der Taufe meinen. Letzteres z.B. nach Neumann 2010, S. 14, aber richtig Wolters 2008, S. 67: Für die „christliche Lehre“, in der ein Katechumene („Taufbewerber“) unterrichtet wurde, verwendet Lukas stets das Singular „Wort“, nicht wie hier den Plural „die Worte“. (Zurück zu v.4)
izur Zeit von Herodes, dem König von Judäa - also zwischen 37 und 4 v. Chr. Faktisch herrschte Herodes über ein weit größeres Gebiet als nur die Region Judäa (Zurück zu v.5)
jDie Gesellschaft Israels war nach Großfamilien strukturiert, die teilweise qua Großfamilie besondere Rechte und Pflichten hatten und sogar eine bestimmte Lebensweise pflegen mussten. So bildeten die Nachkommen Levis etwa den Stamm der „Leviten“, für die andere Besitzrechte galten als für den Rest der Israeliten, die gleichzeitig aber qua „Levit“ zum niederen Klerus gezählt wurden und bestimmte Aufgaben im Tempeldienst übernehmen durften. Ein solcher Levit war auch Aaron, der Bruder Mose, und der Familienzweig der Leviten, der von Aaron abstammte (wie Elisabet, eine Tochter (=Nachfahrin) Aarons), stellte qua „Aaroniden“ die Klasse der Priester Israels, also den höheren Klerus, die wichtigere Dienste im Tempel übernahmen (s. näher z.B. Aaron / Aaroniden (WiBiLex)). Zur Zeit Jesu lebten wohl etwa 7200 solcher Priester in Israel (vgl. Jeremias 1929 S. 65). Sie waren weiter eingeteilt in 24 Tagesdienstklassen (ephemeria, von gr. epi + hämera, „für einen Tag“), die in wöchentlichem Wechsel aus ihrer Heimat nach Jerusalem reisen mussten, um dort den Tempeldienst zu versehen (s. 1Chr 24,1-19). Zacharias Familie ist benannt nach Aarons Nachkommen Abija und bildet daher die achte „Tagesdienstklasse“.
ZINK übersetzt sinnvoll: „ein Priester mit Namen Zacharias, der zu der Gruppe Abia gehörte (zu einer der vierundzwanzig Priestergruppen, die in wöchentlichem Wechsel im Tempel Dienst taten).“; und HfA erklären das Selbe in einer Fußnote; am elegantesten sicher GN: „ein Priester namens Zacharias, der zur Priestergruppe Abija gehörte. Auch seine Frau stammte aus einer Priesterfamilie; sie hieß Elisabet.“ (zu v.5 / zu v.8)
kZacharias, Elisabet und Johannes sind die griechischen Formen der hebräischen Namen Sacharja ([Gnädig] erinnert hat sich JHWH [einer Not]), Elischeba („Gott ist (=sorgte für) Sättigung“; zu diese Namen vgl. ähnlich Golinets 2008) und Jochanan („JHWH hat sich erbarmt“). Dass Johanni Name von Gott vorgegeben wird, macht deutlich: Sein Name ist Programm, seine Geburt ist in der Tat eine Gnadentat Gottes an den Menschen (s. ähnlich Gen 16,11; Jes 7,14). (zu v.5 / zu v.13)
ltFN: Hebraismus: egeneto de wird wie heb. wajehi vor Zeitangabe nicht eigentlich als Vollverb verwendet, sondern um zu markieren, dass mit dieser Zeitangabe ein neuer Erzählabschnitt beginnt. (Zurück zu v.8 / zu v.23)
mvor Gott - Hebraismus: Weil Gott nach jüd. Vorstellung vorzüglich im Tempel anwesend war, wurde „vor Gott“ zu einem Wechselbegriff für „im Tempel“ (s. näher FN f zu Ps 100,2). (Zurück zu v.8)
nZu den Hauptaufgaben von Priestern während ihrem „Tagesdienst“ gehörte der liturgische Dienst beim „Tamid-Opfer“ (beschrieben in m.Tamid), das zwei Mal täglich – einmal morgens um 6 Uhr, einmal nachmittags um 15 Uhr – dargebracht wurde und das grob aus den beiden Abschnitten (1) Weihrauchopfer im Tempelgebäude und (2) Schlachtopfer eines Lamms vor dem Tempelgebäude bestand (s. näher Billerbeck 1964; Winter 1955, S. 230-6). Die vielen kleinen liturgischen Aufgaben wurden den diensttuenden Priestern zugelost (t.Jom i 1 überliefert das Losverfahren: Die Priester stellten sich im Kreis auf und ein Tempelbeamter zählte dann die einzelnen Dienste aus). Der Dienst der Darbringung des Weihrauchopfes war dabei die größte Ehre, die einem Priester zuteil werden konnte; durch eine Sonderregelung im Losverfahren (s. m.Tam vi 2; b.Jom 26a) wurde daher sichergestellt, dass kein Priester einer Tagesdienstabteilung zwei Mal dieses Opfer darbringen konnte, bevor nicht alle anderen Priester seiner Klasse an der Reihe gewesen waren (b.Jom 26a: „In einer Baraita wurde gelehrt: Nie hat ein Mensch [das Weihrauchopfer] wiederholt. Warum? – Rabbi Chanina sagte: ‚Weil es reich macht!‘“ – dass nie ein Mensch zwei Mal das Weihrauchopfer dargebracht hat, ist sicher eine für den Talmud typische Übertreibung; in der Tat aber konnte man diese Aufgabe wohl nur durchschnittlich alle 15 Jahre erlosen, so dass manch einer wirklich nur ein Mal in seinem Leben die Gelegenheit dazu gehabt haben wird). Diese große Bedeutsamkeit des Weihrauchopfers lässt sich auch an den Sanktionen ablesen, mit denen es belegt war: Wurde es von einem Unbefugten oder auf die falsche Weise dargebracht, war man des Todes (vgl. Lev 10,1f.; Num 16,1-11.19-21.35; König Uzziah wird in 2Chr 26,16-19 „nur“ mit Lepra bestraft, weil er sich anmaßt, anstelle eines Priesters zu inzensieren). Sie erklärt sich leicht auch daraus, dass einzig zur Weihrauch-Opferung ein Mensch sich allein im Tempelgebäude von Angesicht zu Angesicht mit Gott aufhielt (m.Tam vi 3: „Nachdem alle sich entfernt hatten, brachte er das Räucherwerk dar, warf sich nieder und ging hinaus.). Es ist dieser Zeitpunkt, zu dem das Folgende sich abspielt.
Zweck des Weihrauch-Opfers (wie auch des Schlachtopfers) war es wahrscheinlich, Gott gnädig zu stimmen und mit den Opfernden zu versöhnen (s. Num 17,11f.; Weish 18,21f. (die Rede ist von Aaron); TestLev 3,5f. (Im nächsten Himmel sind die Erzengel, die dienen und Sühnung erwirken beim Herrn für alle Sünden der Gerechten. Sie bringen vor den Herrn den Wohlgeruch des Räucherwerks, ein unblutiges, vernünftiges Opfer.); ApokMos 33,1-5 (über Engel, die für Adam Sühne erwirken wollen: „Die Engel kommen mit dem Weihrauch, den Räucherfässern und den Schalen zum Opferaltar, sie blasen drein, so dass des Räucherwerkes Dampf die Festen einhüllt. Die Engel fielen nieder und beteten Gott an und riefen laut: Heiliger Jael! Verzeih! Er ist dein Ebenbild und deiner heiligen Hände Schöpfung!); dann auch Lev 17,11-13). Aus diesem Grund war dieser Zeitpunkt der günstigste zum persönlichen Gebet, da die Gebete derart durch den Weihrauch „gestärkt wurden“ (Offb 8,3f.; ähnlich 5,8), und wird noch häufiger als bevorzugte Gebetszeit dargestellt; s. z.B. 1 Kön 18,36; Judit 9,1; Dan 9,20f.; Apg 3,1; Apg 10,30f. (vgl. näher bes. gut van Dam 1991; z.B. auch Penner 2012, S. 37-43). Es ist also sicher nicht zufällig, dass gerade in diesem Kontext dem Zacharias mitgeteilt wird, sein Gebet sei erhört worden, und dass diese Erhörung gerade zur Geburt von Johannes („JHWH ist gnädig“), dem „All-versöhner“ (V. 17), führt. (Zurück zu v.9)
oVon Epiphanien – also Erscheinungen Gottes oder seiner Engel – zum Zeitpunkt des Weihrauchopfers wird in der jüd. Literatur noch häufiger berichtet; B/S II 78 hat einige Stellen zusammengetragen. Zwei Beispiele:
b.Ber 7a: „Rabbi Jischmael ben Elischa hat erzählt: Einmal war ich hineingegangen, um das Räucherwerk im Allerheiligsten darzubringen, da sah ich Akatriel Jah JHWH Zebaoth sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron.
t.Sot 13,5: „Yochanan, der Hohepriester, hörte ein Wort aus dem Allerheiligsten (JosAnt xiii 10.3: als er gerade das Räucheropfer darbrachte): ‚Die jungen Männer, die auszogen, um Krieg gegen Antiochus zu führen, waren siegreich!‘ (Zurück zu v.11)
pNeben den „großen“ Hymnen Magnificat, Benedictus und Nunc dimittis in der lukanischen Kindheitsgeschichte finden sich noch eine ganze Reihe weiterer Reden, die Poesie sein könnten. Ob sie es tatsächlich sind, ist umstritten, da sich Poesie in hebräischen und griechischen Handschriften nicht schon an der grafischen Darstellung (wie etwa durch Schreibung in Verszeilen) erkennen lässt. Nach unserem Urteil kann es bei den meisten dieser Passagen kaum Zweifel geben, dass sie in der Tat Poesie sind; und schon allein deshalb, weil es hilfreich für den Überblick über die Struktur der Reden ist, haben wir daher viele Stellen, für die dies diskutiert wird, als Poesie formatiert.
(1) Zu 1,13-17 als Poesie s. NA28, Jeremias, Marshall, Klein, Sahlin, STIER und TOR. Nur Vv. 14-17 halten Aytoun 1917, Brown, Grundmann und MOF für Poesie.
Zu 1,19f. als Poesie s. Jeremias 1930; Sahlin 1945, S. 89; TOR.
(2) Zu 1,30-33 vgl. NA28, Aytoun 1917, Jeremias, STIER und TOR; nur Vv. 31-33 dagegen sehen als Poesie an Brown 1997, Sahlin 1945; nur Vv. 32-33 MOF.
(3) Zu 1,35 also Poesie s. NA28, Brown 1997, S. 286; STIER. Den ganzen Abschnitt 1,35-37 halten für Poesie Jeremias 1930, Sahlin 1945, S. 68, TOR; Aytoun 1917, S. 279-281 nur 35.37. Vv. 36f. lassen sich in der Tat leicht in poetische Zeilen aufteilen, haben aber überhaupt keine Merkmale von Poesie.
Jeremias 1930 formatiert auch Vv. 28.38 als Poesie, TOR nur 38. Bei beiden Versen wären die sich ergebenden Halbzeilen aber so kurz, dass dies unwahrscheinlich ist.
(4) Zu 1,42-45 als Poesie vgl. Aytoun 1917, S. 281; Brown; Jeremias; Plummer; Sahlin; TOR. NA28, Bovon, Fitzmyer, MOF und STIER halten nur V. 42 für Poesie. In der Tat sind Vv. 43-45 weniger kohäsiv als V. 42, die Poetik ist aber dennoch deutlich: „woher“ (43a) + „kommt“ (43b) und „ich“ (43a) + „mir“ (43b); „meine Ohren“ (44a) + „mein Leib“ (44b) und „kam“ (44a) + „hüpfte“ (44b). 45a-c werden zusammengehalten vom selben Thema („das, was sie geglaubt hat“; „das, was in Erfüllung gehen wird“; „das, was ihr gesagt worden ist“) und 45c könnte sogar Apokoinu zu 45a und 45b sein („Selig, die geglaubt hat, was ihr vom Herrn gesagt worden ist“ + „nun wird sich erfüllen, was ihr vom Herrn gesagt worden ist“). (Zurück zu v.13 / zu v.19 / zu v.30 / zu v.35 / zu v.42)
qgroß sein (aufwachsen?) - aufwachsen nach Sahlin 1945, S. 76; erwogen auch von Fitzmyer 1981, S. 325. TestLev 13,2, was Fitzmyer als Parallele zitiert, heißt aber nicht „aufwachsen“; auch Sahlin zitiert diese Stelle gar nicht als Beleg für seine Deutung, sondern gerade für die klassische. X sein vor Gott ist ein Hebraismus/Septuagintismus mit der klaren Bed. „X sein in den Augen Gottes, nach dem Urteil Gottes“ (vgl. bes. nah 2 Kön 5,1 „Naiman war ein großer Mann vor seinem Herrn“; 1 Sam 15,17 LXX „Bist du nicht klein vor ihm (und dennoch ein Führer Israels)!?“; auch 1 Sam 2,17; Sach 11,12; Apg 4,19; 8,21; 1 Tim 2,3; 5,4; 1 Pet 3,4; 1Clem 39,5 ([Gott,] der Himmel ist nicht rein vor dir“); ähnlich mit der Präp. enantion statt enopion in Dtn 15,18; Ijob 4,17; 25,4; 32,1; mit der Präp. para in TestJos 15,5 („Sie hörten, dass er groß war vor Gott und den Menschen.“)). In Lk 1,6 ist sowohl die Variante mit enopion als auch die mit enantion überliefert.). Johannes ist Grund zur Freude für „viele“ und „hochangesehen“ in Gottes Augen. (Zurück zu v.15)
rWein und Alkohol wird er nicht trinken - wohl eine Anspielung auf Num 6,3 oder Lev 10,9: Johannes wird abstinent leben, wie es auch dem Gott geweihten Leben von Nasiräern (Num) und dem Handeln am Heiligen von Priestern (Lev) entspricht. Die enge Verknüpfung von Geisterfüllung und/statt Alkohol findet sich auch in Eph 5,18; Apg 2,4.13-17; das Verb pimplemi („voll sein/werden“) kann auch für Trunkenheit verwendet werden (s. Weish 2,7). In Joh 4,10-14; 7,37-39 und 1 Kor 12,13 wird man mit dem heiligen Geist „getränkt“. Die Zeilen 15bc hängen also eng zusammen. (Zurück zu v.15)
serfüllt von heiligem Geist - häufig belegte biblische Vorstellung: Will Gott einen Menschen dazu ermächtigen, eine Aufgabe für ihn zu erfüllen, „füllt“ er ihn mit seinem Geist, was bei Lk und Apg meist eine gottgemäße Rede des „erfüllten“ Menschen ermöglicht (z.B. Apg 4,8.31), aber sogar bis dahin führen kann, dass dieser Mensch so fähig wird zu übermenschlicher Einsicht und Prophetie; vgl. näher z.B. Köstenberger 1997; Belegstellen bei V. 35) etc., weshalb er in den johanneischen Schriften gelegentlich auch als „Geist der Wahrheit“ bezeichnet werden kann. Anders als (ansatzweise) dort ist er bei Lukas aber durchaus noch nicht als eine dritte Person der Dreieinigkeit gedacht, sondern als „Wirkweise“ Gottes im und am Menschen (so richtig z.B. Brown 1997, S. 261). (Zurück zu v.15)
ttFN: vor seiner Geburt (von Geburt an) - W. aus dem Leib seiner Mutter. Aus könnte hier Hebraismus sein und „in“ bedeuten (s. z.B. Ijob 3,11, wo LXX und VUL das „aus dem Leib“ im heb. Text übersetzen, als stünde „im Leib“); entweder wäre also Johannes schon „vor seiner Geburt“ vom heiligen Geist erfüllt oder „von Geburt an“. Die einzige klare Parallele für eine prophetische Begabung schon vor der Geburt findet sich in Jer 1,5 und davon abhängig Sir 49,7. Sprachlich viel näher an unserer Stelle sind dagegen Ri 13,5; 16,17; Jes 48,8; Mt 19,12; Apg 3,2; 14,8, wo jeweils die Bed. „von Geburt an“ näher liegt (unklar ist Gal 1,15). B/N, 2016, LUT 2017 und NeÜ übersetzen wohl deshalb „schon von Mutterleib an“. Jes 44,2 zeigt aber deutlich, dass auch die Formulierung „aus dem Leib“ in der Tat „schon vor Geburt“ bedeuten kann und wegen V. 41 liegt recht nahe, dass dies auch hier gemeint ist. Mit „schon im Mutterleib“ übersetzen daher z.B. BB, GN, HfA, NGÜ, ZINK, ZÜR. (Zurück zu v.15)
utreten vor ihn = „sich Gottes Willen unterstellen“.

tFN: Zur Bed. „sich Gottes Willen unterstellen“ vgl. das schöne Wortspiel in Ez 44,15: „Die Leviten sollen mir nahen (qarab Qal), um mir zu dienen, und vor (meinem Gesicht=) mir stehen, um mir zu opfern (qarab Hifil)“. Vergleichbar ist auch die Rede von den niederen Gottheiten in Ijob 1,6; 2,1, die „zu JHWH kamen, um sich vor JHWH aufzustellen.“ Im Frühjudentum entwickelte sich (von hier aus?) die Vorstellung der Engelgattung der „Angesichtsengel“, also „vor dem Angesicht JHWHs“ stehende Engel; verknüpft wird dieser Ausdruck gerne mit der Rede von ihrem Dienen (s. 1QS iv 24-6: „Du bist wie ein Angesichtsengel an der heiligen Stätte ..., ringsum als Diener im Palast des Königtums“; Jub 31,14: „Es gebe der Herr dir und deinen Nachkommen Größe, ... daß sie in seinem Heiligtum dienen wie die Angesichtsengel und wie die Heiligen!). Der Anzeige eines Dienstverhältnisses dient dann wohl auch die Selbstbezeichnung Gabriels als „einer, der vor Gott steht“ in V. 19; vgl. ebenso TestAb (A) 7,11 (Ich bin Michael, der Oberbefehlshaber, der vor Gott steht) und TestSal 5,9 (Raphael, der vor Gott steht). Denken muss man (s. Zeile b!) außerdem an 1 Kön 17,1; 18,15; 2 Kön 3,14, wo jeweils Elija und Elischa sich als Diener Gottes bezeichnen mit den Worten „So wahr Gott lebt, ho parestän enopion autou vor dem ich stehe...“ Der Ausdruck „vor Gott gehen“ heißt häufig „gottgemäß handeln“, s. z.B. 1 Kön 8,23 („deine Diener, die vor dir gehen mit ganzem Herzen“); auch 1 Kön 2,4; 8,25; 9,4; 2 Chr 34,31; Jes 38,3; TestLev 19,2 (Vor dem Herrn wollen wir gehen entsprechend seinem Gebot); vgl. ähnlich Vv. 74f.: „Wir sollen ihm dienen in Frömmigkeit und Gerechtigkeit vor ihm.“

Textkritik: vor ihn treten (ihm vorangehen) - Der Text ist überliefert in den beiden Varianten proseleusetai enopion und proeleusetai enopion. Weder das erste Verb (von proserchomai, „herantreten, sich nähern“) noch das zweite (von proerchomai, „vorausgehen, weitergehen“) sind noch einmal mit der Präp. enopion („vor, angesichts von“) überliefert; beide aber mehrfach mit der Präp. enantion, die fast das selbe bedeutet (in Lk 1,6 ist der Text daher mit beiden Präpp. überliefert; s. auch Ijob 1,6 LXX mit enopion vs. Ijob 2,1 mit enantion). proserchomai enantion X bedeutet „vor X treten“ (s. Ex 16,9; Num 9,6; beide Male qarab Qal wie oben in Ez 44,15); proerchomai enantion X „X vorangehen“ (s. Jos 6,13; Ps 85,13; 97,3). proserchomai wurde noch häufiger mit dem sehr ähnlichen proerchomai verschrieben und umgekehrt; s. Apg 12,13; Apg 20,5.13. Nach Variante 1 würde Johannes also als Diener Gottes dargestellt, nach Variante 2als Vorläufer Gottes. Variante 2 wird noch einmal fast ebenso in V. 76 wiederholt: proporeusä enopion kuriou, „er wird dem Herrn vorausgehen“. Fast alle halten daher diese Variante für ursprünglich; gerade wegen der Nähe der beiden Stellen ist es aber recht wahrscheinlich, dass stattdessen Variante 2 ursprünglich ist und unter Einfluss von V. 76 zu Variante 1 verschrieben wurde. (Zurück zu v.17)
vzuzuwenden die Herzen von Vätern den Kindern - direktes Zitat von Mal 3,24; Sir 48,10, wo von Elija die Rede ist (s. Mal 3,23); Johannes Dienst für Gott, für den er mit dem heiligen Geist ausgestattet wird, entspricht also der Aufgabe, die von Elija erwartet wurde; aus diesem Grund ist sein Dienst ist einer „in Geist und Kraft Elijas“. Vgl. 2 Kön 2,9, wo Elijas Nachfolger Elischa von diesem erbittet, es möge ihm etwas „von Elijas Geist“ zuteil werden, und V. 13, wo die Aufnahme von Elijas Mantel durch Elischa klar ein Symbol dafür ist, dass er seine Nachfolge antritt. (Zurück zu v.17)
wzuzuwenden die Herzen von Vätern den Kindern und die Ungehorsamen zur Weisheit der Gerechten - Johannes wird also die Israeliten Gott zuwenden (V. 16), dafür sorgen, dass die Menschen sich einander zuwenden (V. 17a) und dass sie sich außerdem zur Weisheit hinwenden (V. 17b); er sorgt für die Versöhnung aller Menschen miteinander und mit Gott und arbeitet dafür an ihrem Herz und Hirn.
Genauer: Etwas schwieriges Bild. In Mal 3,24 ist es viel leichter; hier sollen wechselseitig „die Herzen von Vätern zu [ihren] Söhnen und die Herzen von Söhnen zu ihren Vätern“ gewendet werden, alle also mit allen versöhnt werden. Hier wird das Bild verändert. In den weisheitlichen Schriften des AT und der frühjüdischen Literatur ist „Torheit“ fast gleichbedeutend mit „Frevlertum“ und „Ungehorsam gegenüber Gott“, „Weisheit“ aber impliziert gottgefälliges Leben (s. die Anmerkungen zu Ps 14). Sinnvoll daher Wolter 2008, S. 80: „Lukas will sicher nicht das Gegenüber von ‚ungehorsam‘ und ‚gerecht‘ auf das Gegenüber von ‚Väter‘ und ‚Kinder‘ bezogen wissen [...]. Die generalisierende Begrifflichkeit legt vielmehr nahe, dass Lukas hier über Mal 3,24 hinausgeht und nicht mehr nur die zwischenmenschlichen Beziehungen im Blick hat, sondern das Gottesverhältnis: ‚Ungehorsam‘ kennzeichnet die Weigerung Israels, auf Gott zu hören [...], während für die ‚Gerechten‘ das Gegenteil gilt. Als prophetische Aufgabe wird Johannes dementsprechend analog zu V. 16 die Herbeiführung von Umkehr zu Gott zugeschrieben [...], s. auch TestDan 5,11: [...] ‚hinwenden wird er die ungehorsamen Herzen zum Herrn‘ als Bestandteil von Gottes eschatischem Heilshandeln an Israel.“ Vgl. auch PsSal 18,4: „Du disziplinierst uns, [...], um fortzuwenden den Geist des Hörenden von Dummheit in Unwissenheit. (Zurück zu v.17)
xWoran werde ich dies erkennen? - Zitat von Abrahams Bitte um ein Zeichen in Gen 15,8, als diesem etwas ähnlich Großes wie hier dem Zacharias verheißen wird. Sinnvoll daher B/N: „An welchem Zeichen kann ich denn erkennen, daß du die Wahrheit sagst?“ (Zurück zu v.18)
yGabriel - in den frühjüdischen Schriften einer der Erzengel, also der höchsten Engelordnung in der jüdischen Angelologie; auch die Erzengel Michael und Raphael stellen sich vor als „vor Gott Stehende“ (TestAb (A) 7,11; TestSal 5,9; Üs. oben zu 17a). In der Bibel findet er sich noch in Dan 8,16; 9,21; Offb 4,5. Zu dieser Engelgattung werden wechsend entweder vier, sechs oder sieben Engel gezählt; Gabriel gehört stets dazu – neben ihm außerdem Michael, Raphael, Uriel, Sariel, Penuel und Baraqiel. Sein Name bedeutet „Streiter Gottes“; in der jüd. Angelologie ist er der Fürst des Feuers. In b. San 44b werden seine Hauptaufgaben, von denen jeder Erzengel eigene hatte, zusammengefasst, indem sie aus seinen Beinamen Pisqon, Itmon und Siggaron abgeleitet werden: „Rabbi Jose ben Chanina hat gesagt: Drei Namen hat er: pisqon, itmon und siggaron. Pisqon, weil er sich ein hartes Urteil gegen oben erlaubte; Itmon, weil er die Sünden Israels verstopft; Siggaron, weil, wenn er (die Gnadenpforte) zuschließt, niemand wieder aufschließen kann.“ Gabriel reguliert also sozusagen Gottes Barmherzigkeit: Entweder sorgt er dafür, dass die Sünden eines Menschen Gott gar nicht erst verärgern können, indem er sie „verstopft“ (also dafür sorgt, dass sie gar nicht erst vor Gott gelangen), oder er vollzieht Gottes Strafe auf endgültigste Weise. Wohl deshalb kann er auch hier eigenmächtig Zacharias bestrafen, s. den nächsten Vers. Für weitere faszinierende Stellen zu Gabriel in der frühjüd. Literatur s. B/S II 90. (Zurück zu v.19)
zLies: „Dass ich, einer der Erzengel, eigens zu dir gesandt wurde, um zu dir zu sprechen, um dir dies zu verkündigen, reicht dir als Zeichen noch nicht!?“ Zacharias Strafe entspricht dann seiner Missetat: Weil er dem Sprechen des Engels nicht glaubte, wird er seinerseits nicht mehr sprechen (und hören) können.
Frohbotschaften ist die Üs. von euangelizo, dem Verb, das auch dem Subst. euangelion („Evangelium“, „Frohbotschaft“) zugrunde liegt. (Zurück zu v.19)
aazu ihrer Zeit - Hebraismus: „Zu ihrer Zeit“ i.S.v. „zur rechten Zeit“ wie in Dtn 11,14; Ps 1,3; 104,27 u.ö. Zur Vorstellung von Worten, die sich „erfüllen“, s.o. zu V. 1: Wie z.B. in Lk 4,20 „erfüllen“ wie noch häufiger verwendet wird, um auszudrücken, dass sich in Jesu Leben und Handeln alttestamentliche Verheißungen „erfüllen“, so qualifiziert hier Gabriel seine Verkündigung als eine ebensolche Verheißung, die sich dann eben mit der Geburt Johanni „erfüllen“ wird. (Zurück zu v.20)
abkonnte er nicht zu ihnen sprechen - Nach der Darbringung des Weihrauchs hatten die daran beteiligten Priester eigentlic den Aaronitischen Segen (Num 6,24-26) über das Volk zu sprechen (s. m.Tam vii 2). Dazu war Zacharias nicht mehr in der Lage. (Zurück zu v.22)
acWarum Elisabet sich verbarg, ist zunächst unverständlich – uns ist kein orientalischer Brauch überliefert, nach dem eine Frau sich zurückzog, nachdem sie schwanger wurde (obwohl Frauen zu Jesu Zeit prinzipiell zurückgezogen lebten). Was dies auf der Ebene der Erzählung ausdrücken soll, wird durch V. 25 dennoch klar: Ebenso wie ihre Nachbarn und Verwandten in V. 58 hält Elisabet ihre ersehnte, aber unerwartete Schwangerschaft für ein Geschenk Gottes für sie und tritt daher nicht in Kontakt mit anderen Menschen. Die Bedeutung des Johannes, die Gabriel dem Zacharias in Vv. 13-17 verkündet hat, ist ihr und allen also nicht bewusst. Erst, als Zacharias auf wunderbare Weise wieder die Fähigkeit zu Sprechen wiedererlangt, wird er diese Bedeutung Johanni für die „Erlösung von Gottes Volk“ (V. 68) mit den stärksten Bildern beschreiben (Vv. 68-79). (Zurück zu v.24)
adDorf (Stadt) Nazaret - Ein Ort namens „Nazaret“ ist außerhalb der Evangelien lange nicht bezeugt; der erste inschriftliche Beleg des Ortsnamens stammt aus dem 3.-4. Jh. n. Chr. (vgl. Avi-Yonah 1964). Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass sich Jesu Beiname „der Nazarener“ / „der Nazoräer“ etymologisch nicht aus einem Ortsnamen „Nazaret“ herleiten lässt. In der älteren Literatur stößt man daher häufig auf die Ansicht, ein Ort namens Nazaret habe zu Jesu Zeit gar nicht existiert, sondern aus dem besagten Beinamen Jesu habe sich nachträglich die Legende seiner Herkunft aus diesem fiktiven Ort entwickelt (so z.B. noch Wagner 2001). Neuere Ausgrabungen machen aber wahrscheinlich, dass Nazaret in der Tat vom 1. Jh. v. Chr. an als Wohnort diente; N. war ein kleines Dörfchen ohne direkte Anbindung ans örtliche Straßennetz, in dem die Bevölkerung wohl überwiegend nicht in Häusern, sondern in Wohnhöhlen wohnte. Nach einer alten Tradition erfolgte denn auch die folgende Verkündigung in einer solchen Höhle, die heute als die „Verkündigungsgrotte“ bekannt ist. Gr. polis (trad. „Stadt“, so z.B. , LUT, SLT, ZÜR) kann auch kleinere Dörfer bezeichnen und wird ohne Zweifel auch hier so verwendet. (zu v.26)
aeMädchen (Jungfrau) - trad. „Jungfrau“ (so z.B. BB, , GN, LUT, NeÜ, NL, SLT, ZÜR). Das ist sicher unrichtig; besser daher z.B. ZINK: „Mädchen“; HfA: „junge Frau“, noch richtiger NGÜ: „unverheiratete junge Frau“. Gr. parthenos bezeichnet nicht den biologischen Zustand der Jungfräulichkeit, sondern den sozialen Status, noch unverheiratet zu sein (in Gen 34,3 LXX etwa wird Dinah noch nach ihrer Vergewaltigung in Gen 34,1f. als parthenos bezeichnet; für weitere Belegstellen s. Bostock 1987, S. 331). In der Regel war man als unverheiratetes Mädchen natürlich auch unberührt, doch gesagt wird dies hier noch nicht. (Zurück zu v.27)
afverlobt - im Alten Judentum ging der Eheschließung eine Zeit der Verlobung voraus, die bis zu zwölf Monate währen konnte (vgl. m.Ket v 2; b.Ket 57b). Den Brautpreis hatte der Bräutigam zum Eingehen der Verlobung bereits an die Eltern der Braut bezahlt, so dass sie rechtlich in seinen Besitz übergegangen war, bis zur Eheschließung lebte das Mädchen aber noch bei seinen Eltern; auch Geschlechtsverkehr war zu dieser Zeit noch nicht gestattet. (Zurück zu v.27)
agJosef, Maria - Wie zu hellenistischer Zeit gebräuchlich tragen Maria und Josef wie auch schon Zacharias und Elisabet die Namen zweier alttestamentlicher Figuren, nämlich den des Jakobssohns Josef (Gen 30,24) und den von Mirjam, der Schwester von Mose und Aaron (Num 26,59; in LXX stets mariam). „Joseph“ ist kurz für josiph-jah, „JHWH hat [ein weiteres Kind zu meinen Nachkommen] hinzugefügt“; der Name „Mirjam“ / „Maria“ ist sehr umstritten, bedeutet aber am wahrscheinlichsten „[Der Meeresgott] Yamm ist der Herr“. (zu v.27)
ahaus dem Haus Davids - d.h., er war ein Nachkomme von König David. Gut daher z.B. GN, HfA, NeÜ, NL: „einem Nachfahren von König David“. (Zurück zu v.27)
aiWas hier geschieht, ist sittlich gesehen eigentlich unerhört. Im Israel zu Jesu Zeit hatten Frauen – bes. unverheiratete Mädchen – zurückgezogen in ihren Häusern zu leben, sollten idealiter nicht von Männern gesehen und erst recht nicht angesprochen werden (vgl. z.B. Sir 42,9-14; 2 Makk 3,9; 3 Makk 1,18; 4 Makk 18,7; Ps.-Phokylides 215; Philo, SpecLeg III 171; bes. deutlich Philo, Flac 89: „[Als die Häuser der Juden durchsucht wurden, trauerten diese, weil] die weggeschlossenen Frauen, die nicht in die Öffentlichkeit gingen, und die Jungfrauen, die zu Hause blieben, weil sie sich aus züchtiger Scham vor Männeraugen selbst vor ihren Verwandten verbargen, nun nicht nur Fremden, sondern sogar Soldaten zum Anblick dargeboten wurden.). In b.Qid 70a wird untersagt, dass ein Mann eine Frau auch nur begrüßen dürfe, da „die Stimme der Frau etwas Unzüchtiges“ sei. Das Verb für „eintreten“ kann darüber hinaus auch noch euphemistisch für Geschlechtsverkehr verwendet werden (vgl. z.B. Schorch 2000, S. 221). Weil die Erzählung in Gen 6,1-6, „Götter“ hätten mit Menschenfrauen Kinder gezeugt, im frühen Judentum häufig in der Variante überliefert wurde, Engel hätten dies getan (s. äthHen 6,2; Jub 4,22; 5; 2 Bar 56,12-14; ähnlich 1QGenApoc ii 1; TestSal 5,3), hat Pope 2018 daher kürzlich doch tatsächlich erwogen, Lukas wolle andeuten, Maria würde hier von Gott vergewaltigt; ähnlich glauben Jarrell 2013, S. 151 und Michalak 2018, S. 216f., Lukas habe dem Engel deshalb nächträglich den Namen „Gabriel“ gegeben, weil dieser nach äthHen 9 die besagten gefallenen Engel bestraft hatte und deshalb als einziger Engel über einen solchen Verdacht erhaben war, der sich vom Text her schon nahe lege. Das liegt wohl fern; von dieser Offenheit des Texts her erklärt sich aber vielleicht, warum in den Sibyllinischen Orakeln und vielleicht im Koran Gabriel Maria schwängert (SibOr viii 460.462: „Der Erzengel sprach zu Maria: ‚Empfange Gott, Jungfrau, in deinen unbefleckten Körper!‘, und dies sprechend hauchte er ihr die Gnade Gottes ein.“; Sure 19,17-19: „Dann sandten wir unseren Geist zu ihr, und er erschien ihr in Gestalt eines vollkommenen Menschen ... [und sagte]: ‚Ich bin nur ein Bote deines Herrn, auf dass ich dir einen reinen Sohn beschere!‘“; Üs. nach Paret. Ali dagegen glaubt, „ich beschere dir einen Sohn“ sei die Botschaft Gottes, die der Bote hier ausspricht). (Zurück zu v.28)
ajFreue dich + der Herr [ist] mit dir! - Gr. chaire ist der im Alten Griechenland übliche Morgengruß und bed. wörtl. „Freue dich!“ Die Diskussion um diesen Gruß in der Antike zeigt, dass er nicht ähnlich sinnentleert war wie z.B. das dt. „Grüß Gott“, aus dem man die urspr. Bed. „Gott segne dich“ kaum noch heraushört, sondern dass der Gruß in der Tat als Zuspruch, der Angesprochene möge oder könne sich freuen, verstanden werden sollte (vgl. gut Strobel 1962, S. 94-99). Ganz ähnlich ist „JHWH [ist] mit dir“ eine hebräische Grußformel (vgl. z.B. Lande 1949, S. 11f.), wird aber höchstens in Rut 2,4 als „bloßer“ Gruß verwendet, sondern ist meistens ebenfalls eine Heilszusage, wie sich aus der Reaktion Gideons in Ri 6,12f klar erkennen lässt (vgl. bes. van Unnik 1959). Auch die Bezeichnung als Begnadete drückt aus, dass Gott mit Maria ist; Gabriel teilt ihr in seinem Gruß aus sechs Worten also gleich drei Mal mit, dass ihr besondere Gnade zuteil wird: „(1) Du hast Grund zur Freude, (2) du, die du von Gott gesegnet bist: (3) Gott ist mit dir!“ Unterstrichen wird dies durch das Lautspiel chaire kecharitomene (Freu dich, Begnadete“). „Freu dich“ mit „Sei gegrüßt“ zu übersetzen, wie dies in aktuellen dt. Üss. üblich ist, ist daher nicht ratsam; besser sollte man, wie ähnlich de Waard/Nida 1992, S. 27 für Rut 2,4 empfehlen, „freu dich“ belassen und stattdessen „sprach er“ mit „begrüßte er sie“ übersetzen. Das alte „Begnadete“ übersetzt am besten ZINK mit „Gesegnete“, auch recht gut NeÜ und NL mit „du mit großer Gnade Beschenkte!“; ähnlich BB: „Gott hat dir seine Gnade geschenkt“, B/N: „Gott ist dir gnädig“. (Zurück zu v.28)
akTextkritik: Du bist gesegnet unter den Frauen: Stark bezeugt, dennoch sicher sekundär aus V. 42 hier eingedrungen. (Zurück zu v.28)
alGnade (Gefallen) gefunden bei Gott - Semitismus entweder für „Gott hat sich deiner erbarmt“ oder für „Gott hat an dir Gefallen gefunden“ (s. bes. die Häufung gleichbedeutender Ausdrücke in Est 8,5: „Wenn es vor dem König gut ist und wenn ich Gnade/Gefallen gefunden habe vor ihm und wenn die Sache dem König gefällig ist und wenn ich in seinen Augen gut bin, ...). Weil hier das Wort „Begnadete“ in V. 28 wiederaufgegriffen wird und weil natürlich hier 13b variiert wird, liegt die Primärüs. etwas näher. (Zurück zu v.30)
amwirst (sollst) - im Gr. Futur Indikativ. Dass es hier beinahe wie ein Imperativ verwendet wird (vgl. Zerwick § 280), wird ganz klar aus 31c, wo Maria die Namensgabe sicher nicht nur verheißen, sondern sie damit beauftragt wird. Viele Üss. übersetzen daher richtig die ersten beiden Verben mit „wirst“ und das dritte mit „sollst“. V. 31 ist nicht nur Verheißung, sondern auch Auftrag. (Zurück zu v.31)
anempfangen im Leib - d.h. schlicht „schwanger werden“, wofür auch die Hippokratiker und Galen bisweilen die Formulierung „im Leib empfangen“ verwenden (Hobart 1882, S. 92). (Zurück zu v.31)
aoJesus - häufiger Name im AT, urspr. jehoschua` („JHWH ist Heil“), später zusammengezogen zu jeschua` (vgl. Rechenmacher 2012, § 235). Ähnlich heißt z.B. der Nachfolger Mose in Dtn 3,21 „Jehoschua“ (in dt. Üss. meist „Josua“), in Neh 8,17 dagegen Jeschua. In dieser kontrahierten Form klingt der Name jeschua` ähnlich wie das Substantiv jeschu`ah („Rettung“), worauf z.B. Mt 1,21 anspielt (vgl. gut Fitzmyer 1981, S. 347). (Zurück zu v.31)
apkeinen Mann erkenne (kenne) - „einen Mann erkennen“ ist ein häufiger Euphemismus für „Geschlechtsverkehr haben“, s. Gen 19,8; Ri 11,39; 21,12 u.ö. Maria glaubt ähnlich wie Mose in Ex 3,11, Gideon in Ri 6,15 und Jeremia in Jer 1,6, wegen ihrer Lebenssituation als noch Unverheiratete dem Auftrag Gottes nicht gewachsen zu sein; in V. 35 wird Gabriel sie aber beschwichtigen.
Genauer: Es ist nicht leicht erklärlich, warum Maria dies hier fragt. Sie ist verlobt; dass sie in Bälde ein Kind empfangen wird, ist also abzusehen. Drei Erklärungsansätze gibt es dafür heute:
(1) Die Mehrheitsmeinung: Die Frage ist nicht psychologisch zu verstehen, sondern literarisch: Lukas legt Maria diese Frage nur in den Mund, um Gabriel eine Vorlage für seine weiteren Ausführungen in Vv. 35f. zu geben (so bes. Gewieß 1967; z.B. auch Brown 1997, S. 307-9; Fitzmyer 1973, S. 568). Ganz richtig aber Landry 1995, S. 70: Mit dieser Erklärung müsste man akzeptieren, dass Marias Frage auf der Ebene der Erzählung unsinnig ist und bleibt.
(2) Aus der Verheißung Gabriels leitet Maria ab, die Empfängnis müsse umgehend geschehen, bis zu ihrer Eheschließung wird aber noch einige Zeit vergehen (so z.B. Jellouschek 1959, S. 102; Landry 1995, S. 73-5). Wäre die Frage aber so zu verstehen, wären Vv. 35f. schwerlich eine Antwort darauf, s. zu V. 35.
(3) Lk 1,26-38 gehört nicht rein zur Gattung „Geburtsankündigung“, sondern ist eine „Geburtsankündigung mit Zügen einer Berufungsgeschichte“. Gattungsgemäß antwortet die zur Mutter des Herrn berufene Maria zunächst mit einem Einwand, der auf einen Umstand hinweist, der dieser ihrer Berufung widerspricht (s. ähnlich Ex 3,11; Ri 6,15; Jer 1,6), ebenso gattungsgemäß beschwichtigt sie daraufhin der Engel: Gott wird ihr beistehen (s. zum nächsten Vers), sie wird ihrer Berufung gerecht werden können (s. ähnlich Ex 3,12; Ri 6,16; Jer 1,8; so z.B. Cremer 2017, S. 260-284; Oliveira 2000, S. 43f.; Stock 1980, S. 478-483). Insgesamt ist diese Erklärung sicher die rundeste; etwas schwierig ist aber, dass ein expliziter Auftrag wie in Ex 3,10; Ri 6,14 und ähnlich Jer 1,5, der aus Lk 1,26-38 offensichtlich eine Berufungsgeschichte machte, hier zumindest auf den ersten Blick fehlt (aber s. zu „wirst (sollst)“ in V. 31).
Ein vierter Erklärungsansatz hat eine lange Tradition, ist aber abzulehnen: Im AT steht das Idiom „einen Mann erkennen“ stets in der Vergangenheit: „keinen Mann erkannt haben“ = „Jungfrau sein“. Hier aber verwendet Maria das Präsens. In der katholischen Exegese hat man daraus häufig abgeleitet, dies sei „dauernd“ zu verstehen („da ich [auf ewig] keinen Mann erkenne“) und Maria habe also ein Zölibatsgelübde abgelegt. Diese Auslegung ist extrem unwahrscheinlich; zu Jesu Zeit galten Frauen als der Besitz ihres Mannes und hatten daher gar nicht die Freiheit, selbstbestimmt über ihre Jungfräulichkeit verfügen zu können. Auch galt nach dem üblichen Eheritual die Ehe der verlobten (!) Maria ohnehin erst als geschlossen, wenn sie im Ehebett vollzogen worden war (zum Eheritual gehörte daher wie in vielen altorientalischen Kulturen, dass das Bettzeug mit dem Deflorationsblut als Beweis der Jungfräulichkeit der Braut aufbewahrt wurde; nach Dtn 22,13-15 z.B. von den Brauteltern); eine zölibatäre Ehe gab es nicht. Dennoch findet sich diese Auslegung schon bei Gregor von Nyssa und Augustinus und begegnet stellenweise noch in der Literatur bis ins späte 20. Jh.; Johannes Paul II. hat sie gar noch 1987 in seiner Enzyklika „Redemptoris Mater“ (Abschnitt 39), 1988 in seinem Apostolischen Schreiben „Mulieris Dignitatem“ (Abschnitt 20) und 1989 in seinem Apostolischen Schreiben „Redemptoris Custos“ (Abschnitt 18) wiederholt. Miller 1998 gibt einen kurzen Überblick über die Entfaltung dieser Lehre in der Kirchengeschichte und empfiehlt S. 207f., sie doch immerhin in Predigt und Katechese wiederaufleben zu lassen. Letztlich ist das Präsens hier gar nicht rätselhaft; bei den oben zitierten Parallelstellen ist die Vergangenheit im Blick („die Mädchen haben noch nie einen Mann erkannt“, daher sind sie jetzt Jungfrauen), bei Maria dagegen die Jetztzeit („ich erkenne aktuell keinen Mann“, wie soll ich also künftig einen Sohn empfangen?). (Zurück zu v.34)
aqSchwierige Doppelzeile. Vielleicht will Gabriel auf Marias Zweifel daran, ihrer Aufgabe gerecht werden zu können (V. 34), nur antworten: „Fürchte dich nicht, Gott wird bei dir sein“, nämlich in Form des ihr beistehenden Heiligen Geistes wie in Apg 9,31 und mit seiner schützenden Kraft wie z.B. in Ps 140,8 (s.u.). In der Regel geht man aber davon aus, dass hier von Mariä Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist die Rede ist.

Genauer: Man kann sich nur schwer davon lösen, Lk 1,35 zusammen mit Mt 1,20 und Mt 1,20 zusammen mit Lk 1,35 zu lesen; „heiliger Geist wird über dich kommen, darum wird das Gezeugte heilig sein“ und „das Empfangene stammt aus heiligem Geist“ spräche dann vom Selben: Maria wird Jesus nicht von einem sterblichen Menschen empfangen, sondern von Gott durch den Heiligen Geist. Dagegen spricht aber vieles; v.a., dass die Idee einer Zeugung durch den/einen Geist in der Antike und selbst die Vorstellung einer leiblichen Gotteskindschaft in Israel unbekannt war, dass sie sich auch in den sonstigen neutestamentlichen Schriften nicht und in frühchristlichen Schriften erst ab Mitte des 2. Jhd.s belegen lässt und dass diese Vorstellung, würde sie hier ausgedrückt, sich mit mehreren anderen Stellen im Lukasevangelium bisse (s. den Exkurs in den Anmerkungen). Dagegen spricht außerdem die Formulierung des Satzes: (1) eperchomai („überkommen, herunterkommen“) und episkiazo („überschatten“) werden nie auch nur metaphorisch für Zeugung o.Ä. verwendet. (2) Im Gegenteil haben der Heilige Geist und das Überkommen-Werden vom selben bei Lukas ein sehr klares Profil: Der Heilige Geist ist eine Wirkweise Gottes an einem Menschen, durch die dieser befähigt wird zu Einsicht (Lk 10,21; Apg 2,23; 7,55; 10,19; 11,28; 21,11), gottgemäßer Rede (Lk 1,41ff.67ff.; 2,25-27; 4,18ff.; 12,12; Apg 1,16; 2,4.17f.; 4,8.31; 6,10; 18,25; 19,6; 28,25) und gottgemäßem Handeln (Lk 4,1.14; Apg 1,2.8; 8,29; 11,12; 13,2.4; 15,28; 16,6f.; 20,22.28). Dies ist es, was geschieht, wenn jemand „voll von heiligem Geist ist“ oder wenn, wie hier, der heilige Geist „auf jemanden herabkommt“ (ebenso formuliert in Apg 1,8, sehr ähnlich Apg 19,6). Was hier dagegen anscheinend vom Geist gesagt wird, fällt komplett aus diesem Rahmen heraus und hat auch sonst in frühjüdischen Schriften keine Entsprechung (vgl. Menzies 1991, S. 111; Turner 2000, S. 156). Vom lukanischen Sprachgebrauch her sollte man hier also eigentlich durchaus davon ausgehen, dass mit „der Heilige Geist wird über dich kommen“ gesagt wird: Gott handelt an Maria, nicht durch eine Creatio ex nihilo an einem durch Geist und Kraft erst zu zeugenden Jesus. (3) Ähnliches gilt für Gottes „Macht“ oder „Kraft“ (dynamis). Was hier gemeint ist, ist darüber hinaus auch deshalb nicht gleich gut verständlich, weil das Verb nicht recht zum Substantiv passt, Kraft „überschattet“ nicht. Das Verb „überschatten“ wird in LXX und NT auf zwei unterschiedliche Weisen verwendet: Entweder steht es wörtlich für das „beschattet-Werden“ durch Wolken, Bäume oder den Schatten von Menschen (s. Num 24,6; Dan 4,9; Ijob 36,28; Weish 19,7; Jes 4,5; Lk 9,34; Apg 5,15) oder metaphorisch für das „behütet-Werden“ durch Gott (s. Dtn 33,12; Ps 91,4; 140,8; in manchen Handschriften auch in 2 Kön 20,6). Sprachlich am nähesten an V. 35 ist diese zweite Verwendung, bes. Ps 140,8: „Herr, Herr, dynamis (‚Macht‘) meiner Rettung, episkiasas (‚du wirst beschatten‘) mein Haupt am Tag der Schlacht.“; ähnlich sind die Bilder in Jes 28,5f. und 1QH xv 9-10 (DJD XL 198: „Ich danke dir, Herr, denn du hast mich gestützt mit deiner Macht und den Geist deiner Heiligkeit über mich gehoben, damit ich nicht wanke. ... Du stelltest mich hin wie einen starken Turm, wie eine hochragende Mauer...“). Hiervon ausgehend sollte man also meinen, dass V. 35ab sagen: „Gott wird unterstützend und schützend bei dir sein, Maria (und also wirst du deiner Berufung gerecht werden:) Darum wird auch das Gezeugte [in der Tat] heilig sein, [gar] ‚Sohn Gottes‘ genannt werden“. So zu „Macht wird überschatten“ aber nur Theophylakt, Merx 1905, S. 179 und Sahlin 1945, S. 126; zu beiden Halbzeilen nur Kügler 1997, S. 282: „Insgesamt ist also festzuhalten, daß in Lk 1,35 keine Umschreibung der Zeugung Jesu vorliegt. [...] V. 35 ist im Grunde eine sehr bildreiche, biblisch aufgeladene Variation der Aussagen von V. 28d. Hier wie dort geht es darum, daß Gott mit Maria ist.“

Andere Deutungen: (1a) Die meisten Exegeten gehen dennoch davon aus, dass 35ab doch „irgendwie“ von der Weise der Empfängnis Mariä spricht. Paradigmatisch z.B. von Baer 1926, S. 48: „Diese zarte, geheimnisvolle Ausdrucksweise für das Geschehen, das, der Meinung des Verfassers nach, den Schlüssel zum Verständnis der Heiligkeit und Gottessohnschaft in sich birgt, läßt keinerlei physische Deutung zu. Nur so viel wird betont, daß es bei der Entstehung des Gottessohnes sich um eine Einwirkung des Heiligen Geistes in irgend einer Weise handelt.“
(1b) Ähnlich lassen sich einige Exegeten beim Verständnis der Rede vom „überkommenden Geist“ stattdessen von Stellen wie Ijob 27,33; Ijob 33,4; Ps 33,6; 104,30; Ez 37,14; Jdt 16,14; Röm 8,11; 2 Bar 21,4 leiten, aus denen abgeleitet wird, dass der Heilige Geist auch lebensspenderisch-schöpferisch wirken könne (z.B. Brown 1997, S. 313f.; Kilgallen 1997, S. 228); andere bei der von der „überschattenden Kraft“ von den Stellen Ex 40,35; Num 9,18.22; Weish 19,7; Lk 9,34, wo die überschattende Wolke, von der dort die Rede ist, Gott in Wolkengestalt ist, der in diesem „Überschatten“ über seinem Heiligtum und bei seinem Volk wohnt (z.B. Bovon 1989, S. 176; Laurentin 1967, S. 85-91). Die einen denken daher, der heilige Geist werde hier anders als sonst bei Lukas als „schöpferischer“ Geist vorgestellt, der als ein solcher in Maria Leben entstehen lässt, die anderen denken, Gottes „Macht“ würde hier dargestellt wie die Wolke, in der er in seinem Bundeszelt „wohnt“: Maria wäre derart die „neue Bundeslade“, in der Gott in Jesus wohnt, nachdem er vom Heiligen Geist gezeugt wurde. Das sind zwei schöne Bilder, ist aber keine sehr gute Exegese. Das einzige was Lk 1,35 mit den „Überschattungs-stellen“ verbindet, ist das Verb – sicher zu wenig, um einen gewöhnlichen Leser an diese komplexe Vorstellung denken zu lassen. Und die meisten der Parallelstellen vom „lebensspendenden Geist“ fallen von vornherein heraus, weil sich hier mitnichten eine solche Vorstellung des Geistes findet, sondern auf das schöpferische Sprechen Gottes in Gen 1-2 angespielt wird. Übrig bleiben Ps 104,30; Ez 37,14 und Röm 8,11, wo in der Tat von einem lebensspendenden Geist die Rede ist; jeweils aber dergestalt, dass etwas bereits Gestorbenes wiederbelebt wird. Dies sind also keine guten Parallelen für das, was in Lk 1,35 vom Heiligen Geist ausgesagt werden soll und was eben wie gesagt auch gar nicht zum lukanischen Profil des Heiligen Geistes passt – dass dieser „auf Maria kommt“ und in der Folge anderes Leben aus dem Nichts in ihr entsteht.
(2) Wenige andere Exegeten lassen sich davon leiten, dass die beiden Substantive pneuma („Geist“) und dynamis („Macht“) auch in der antiken Zeugungslehre des Aristoteles verwendet werden, welche auch zur Abfassungszeit des Lk noch stark rezipiert wurde. Nach dieser geschah die Zeugung neuen Lebens durch den Kontakt von Menstruationsblut der Frau und Samenflüssigkeit des Mannes, die A. sich ebenfalls als „eingekochtes Blut“ vorstellte, das anders als Menstruationsblut aber voll von pneuma war und daher dynamis transportierte, die so dem Embryo verliehen wurde. Die Frau steuerte zum Embryo „nur“ die „Materie“ bei. Deutlich erkennbar ist diese Vorstellung in der Bibel auch in Weish 7,1f.; auch in 4 Makk 13,19f. Was sonst der Mann zur Zeugung beisteuert - pneuma und dynamis – würde hier also stattdessen Gott beisteuern. So z.B. Litwa 2019, S. 91f.; Theobald 2018, S. 84-89.
(3) Eine letzte Verständnismöglichkeit, die in der neueren Exegese so aber nicht vertreten wird: Auch, wenn man den „Geist“ entsprechend dem lukanischen Sprachgebrauch versteht und sich beim Verständnis der „Macht“ von den obigen Parallelstellen leiten lässt, könnte hier indirekt doch etwas über Mariä Empfängnis gesagt sein: „Geist wird über Maria kommen und Kraft wird sie überschatten“ würde dann nichts über die Empfängnis selbst sagen, aber davon sprechen, dass Maria zu einem „geeigneten Gefäß“ bereitet wird, die als solche den Sohn Gottes (aus)tragen kann. So heißt es z.B. im alten „Hymnos Akathistos“: „Da überschattete die Kraft des Allerhöchsten die Unvermählte, und ihren mütterlichen Schoß ließ sie (=die Kraft) einen würdigen Nährboden werden allen, die Erlösung ernten wollen...“. (Zurück zu v.35)
artFN: Alle drei Auflösungen der Syntax sind möglich, keine ist sonderlich schön. Für die Primärüs. spricht v.a. die sich dann ergebende Parallelität mit 32ab. Gegen jede Auflösung spricht, dass man das Verb kläthesetai („er wird genannt werden“) wie in V. 32 am Satzende (oder wie z.B. in Jes 61,3 vor Prädikat und Apposition) erwarten würde, nicht vor dem Prädikat wie nach Auflösung (1) und (2) und erst recht nicht zwischen Prädikat und Apposition wie nach Auflösung (3). Vor dem Prädikat steht es es im selben Kapitel aber auch in V. 60. Gegen (1) (so z.B. auch GAGNT, Fitzmyer, Johnson) spricht außerdem, dass man hier eigentlich schon die Kopula [wird sein] erwarten würde, die in solchen futurischen Sätzen auch im Heb. nur selten ausgespart wird (s. z.B. Ob 17), gegen (2) (so z.B. auch Culy et al. 2010, S. 33; Kilgallen 1997, S. 231), dass „das heilige Gezeugte“ kaum idiomatisch wäre, gegen (3) (so die meisten), dass es in der bib. Poesie nur selten begegnet, dass eine Apposition in einer eigenen Halbzeile steht wie nach dieser Auflösung in Z. d (aber s. z.B. Klg 4,2). (Zurück zu v.35)
as
Monstranz-Motiv „Muttergottes vom Zeichen“: Maria und Bundeslade verschmelzen; Maria trägt das „Himmelsbrot“ in ihrem Leib.
Foto: https://ststanschurch.org/iconic-monstrance
Ikonenmotiv „Muttergottes vom Zeichen“, Ikone im Kizhi-Kloster, Karelien: Maria trägt das „Himmels-Brot“ in ihrem Leib; wie die Bundeslade wird sie von zwei Cheruben flankiert.
Foto: Wikimedia
Auslegungsgeschichte: In der katholischen und orthodoxen Marienverehrung wird Maria nicht selten verehrt als die „neue Bundeslade“, die Gott „beinhaltet“ habe. Wenige Exegeten glauben, dies sei bereits in dieser Perikope grundgelegt. So am stärksten Laurentin 1967, S. 91-93, der glaubt, Lukas habe hier bewusst Motive aus der Erzählung 2 Sam 6 verarbeitet: (1) Die Lade und ebenso Maria reisen durch Judäa, (2) das Volk freut sich über die Lade und David tanzt vor ihr her und ebenso hüpft Johannes vor Freude über Jesus, (3) die Lade kommt für drei Monate ins „Haus des Obed-Edom“ und ebenso kommt Maria für „etwa drei Monate“ ins „Haus des Zacharias“, (4) David ruft „Wie [soll das angemessen sein, dass] zu mir kommt die Lade JHWHs!?“ und ebenso ruft Elisabet „Woher kommt es mir, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt!?“ –
Die Maria-Bundesladen-Tradition rührt jedenfalls sicher nicht speziell von dieser Stelle her. Wirklich deutlich ist sie erst ab dem 4. Jhd. belegt und wird nie an die Reise Mariens gekoppelt, sondern genauer an eine jüdische Legende (s. t.Sot xiii 1D), nach der die Bundeslade ein Gefäß mit Manna (also der Speise, die Gott den Israeliten nach Ex 16,8ff. geschenkt hatte und das in Ps 78,24 „Brot des Himmels“ genannt wird, wie Jesus sich in Joh 6,35 selbst ähnlich als „Brot des Lebens“ bezeichnet) beinhaltet habe. Drei Beispiele:

Athanasius: Predigt über Maria und Elisabet (4. Jhd.): Oh edle Jungfrau, du bist wahrlich größer als jedwedes anderes Großes. Denn wäre käme dir gleich an Größe, oh Wohnort Gottes, des Wortes? Mit wem sollte ich dich vergleichen, oh Jungfrau? ... Du bist die Lade, in der sich das Goldgefäß befindet, das das wahre Manna enthält, das heißt, das Fleisch, dem Gottheit innewohnt! (Üs. nach Schafer 2020 II, S. 286)
Ephräm: Viertes Gebet zur Gottesgebärerin (4. Jhd.): [Oh, du] heilige Arche, durch die wir von der Sündflut gerettet wurden, ... heiliger Tabernakel, den der geisterfüllte Besaleel erbaute, königlicher Wagen, Gefäß voll von Manna, verschlossener Garten, versiegelter Brunnen, dessen Wasser die ganze Welt bewässern...! (Üs. nach Schafer 2020 II, S. 297)
Griechischer Transitus (6. Jhd.): [Dieses Wunder] war schließlich ganz angemessen für die geistliche Lade, die das Gefäß mit Manna und den blühenden Stab des Aaron beinhaltete, denn sie erblühte und trug Frucht, die nie verzehrt werden können wird. Die einstige Lade besiegte feindliche Völker, die ihr Gewalt antun wollten; um wieviel mehr muss da die geistliche Lade jene besiegen, die seit Urbeginn gegen Gott gekämpft haben? (Üs. nach Schafer 2020 II, S. 356)

Schön übrigens auch Proklus: Preis auf die heilige Jungfrau und Gottesgebärerin Maria (5. Jhd.): Lasst uns auch Maria verehren, denn sie wurde Mutter, ... Wolke, Brautbett und Lade des Herrn. Mutter: Denn sie war wahrhaft schwanger mit dem Einen, der wählte, in die Welt geboren zu werden. ... Wolke: Sie hat wahrhaft empfangen durch den Heiligen Geist ihn, den sie ohne Makel gebahr. Brautbett: In ihr wohnte wahrlich das Wort Gottes wie in einem Brautzelt. Lade: Nicht, weil sie das Gesetz beinhaltete, sondern weil sie den Gesetzgeber in ihrem Leib trug. (Üs. nach Schafer 2020 II, S. 324)
Könnte dennoch schon Lukas Maria bewusst mit der Bundeslade parallelisiert haben? Möglich wäre es, und der Abschnitt Lk 1,39-45 ist ja wirklich v.a. ein Marien-Abschnitt und nur indirekt ein Jesus-Abschnitt. Sehr wahrscheinlich ist es aber nicht; die Parallelen sind wohl nicht nah genug, als dass man wirklich beide Texte gut miteinander vergleichen könnte: Die Ortsangabe im folgenden Abschnitt ist gerade nicht Jerusalem wie in 2 Sam 6, sondern selbst erklärungsbedürftig (s.u.), und Johannes Hüpfen mit Davids Tanz zu vergleichen, geht erst recht nicht an. Der Ausruf von David und Elisabet sind prima vista wirklich recht ähnlich; tatsächlich lehnt David in 2 Sam 6,9 mit diesem Ausruf aber gerade ab, dass die Lade zu ihm kommt. Näher ist daher an Elisabets Ausruf die Stelle 2 Sam 24,21. Bleibt als Parallele also nur, dass sowohl Maria als auch die Lade eine Reise tun und dann drei Monate in einem Haus bleiben – das ist recht sicher zu dünn, als dass man auf dieser Basis guten Gewissens annehmen könnte, dass wirklich schon Lukas bewusst an diese Erzählung erinnern wollte. (Zurück zu v.38)
attFN: Aufgestanden - Semitismus; im Heb. übliche Doppelverbformel, bei der das wattaqam („und sie stand auf“, z.B. Gen 24,61; 38,19; Rut 1,6; 1 Kön 14,17) nur ausdrückt, dass Maria nun eine neue Handlung beginnt (so z.B. Bovon, Brown, Fitzmyer, Johnson). Auch das aber signalisiert im Bibelgriechischen nur, dass nun ein neuer Abschnitt beginnt; beides muss im Dt. ausgespart werden. (Zurück zu v.39)
auins Gebirgige in (eine Stadt Juda[s]) eine judäische Stadt - Unerklärter Ausdruck. Das Gebirgige, gr. orīne, könnte (1a) ganz Judäa im Gegensatz zur Niederung der Schefela und zur Negev-Wüste meinen wie bei Josephus (JosBel §451; vgl. V. 65! So z.B. Ernst, Marshall, Fitzmyer) oder (1b) wie bei Plinius (Nat.Hist. v 15) nur den judäischen Verwaltungsdistrikt Orine um Jerusalem, der nach der Zerstörung dieser Stadt nicht mehr „Jerusalem“ wie bei Josephus, sondern eben „Orine“ genannt wurde (so z.B. Green). Noch schwieriger ist Stadt Juda. Juda ist keine Stadt, sondern ein großes Gebiet. Vorgeschlagen wurde, (2a) dass dies eine Fehlübersetzung einer hebräischen / aramäischen Genitivverbindung ´ir jehudah „eine Stadt Judas“ wie ähnlich in 2 Sam 2,1 und Jer 9,10 ist (z.B. Marshall, Fitzmyer), (2b) dass „Stadt“ eine Fehlübersetzung des aramäischen medinah „Bezirk“ ist (Torrey 1924; Sahlin; Black 1967, S. 12; Jeremias 1980, S. 56; Lachs 1987, S. 24; TOR: „into the hill country, to the province of Judea“) oder früher recht oft (z.B. Osterzee, Reland, Zahn), dass (2c) „Juda“ ein Hörfehler für die in Jos 15,55 belegte Stadt Jutta ist. Alle drei Vorschläge sind gleichermaßen schwierig. In dt. Üss. übersetzt man üblicherweise „in eine Stadt im Bergland von Judäa“ (also 1a + 2a; „Judäa“ ist die lat. / gr. Variante von „Juda“). Dieser Verlegenheitsübersetzung wird man sich anschließen müssen. Die Angabe ist dann sehr unpräzise; gemeint ist irgendeine Stadt im Süden Israels. Vielleicht soll „ins Gebirgige, in die Stadt“ unterstreichen, wie lang die Reise dauert? Auch Doppelverbformeln wie die obige werden bei der Beschreibung von Reisen im Heb. vor allem verwendet, wenn es sich um längere Reisen handelt, und das Selbe legt ja die Angabe „eilig“ nahe). Warum iouda („Juda“) statt täs Ioudaias („in Judäa“) verwendet, erklärte sich daraus aber immer noch nicht. Dass die Reise eine lange ist, muss Lukas jedenfalls unbedingt einer Erwähung wert sein, s. die Anmerkungen. (Zurück zu v.39)
avZacharias ... Elisabet - Dass der Gruß an Zacharias ausgespart wird, obwohl zuvor eigens das Haus als „das Haus des Zacharias“ bezeichnet wurde, ist sehr auffällig. Diese Bezeichnung hebt dann nur umso mehr hervor: Erzählt wird nun eine „Frauengeschichte“; s. die Anmerkung. (Zurück zu v.40)
awBaby - Spannend und m.W. noch überhaupt nicht kommentiert: Zur Zeit des Lukas war nicht unumstritten, ab wann ein Fötus „beseelt“ wurde. Die übliche Auffassung war aber: Mit der Geburt. Nach m.Oh vii 6 (vgl. dazu auch Raschi) und t.Jeb ix 9 etwa galt ein Baby erst mit der Geburt als „lebendige Seele“. Ähnlich glaubte Plato, erst mit der Geburt würde ein Fötus „beseelt“; so auch die alten Römer (vgl. Obladen 2017, S. 357). Lk 1,41 setzt offensichtlich eine andere Vorstellung voraus, da Johannes bereits im Leib der Elisabet prophetisch wirken kann. Entweder gehört dieser Vers daher zu den „Naturwundern“ oder Johannes ist eine Ausnahme, insofern er ja bereits vom heiligen Geist beseelt war, oder Lukas war Anhänger einer alternativen Embryologie wie z.B. der des Aristoteles, nach der Jungen bereits durchschnittlich ab Tag 40 (und Mädchen kurioserweise durchschnittlich ab Tag 90) beseelt wurden. (Zurück zu v.41)
axvom heiligen Geist erfüllt, erhält also zeitweise ebenfalls die Gabe der Prophetie, wodurch sie die Handlung des Johannes-Embryos richtig zu deuten imstande ist. S. zu V. 35. (Zurück zu v.41)
ayTextkritik: sie schrie (rief) mit lautem Schrei (lauter Stimme) - drei Varianten sind in den wichtigsten Handschriften etwa gleich häufig bezeugt: (1) „sie schrie mit lautem Schreien“, (2) „sie rief mit lautem Schreien“, (3) „sie schrie mit lauter Stimme“. Richtig Sahlin: Ursprünglich ist fast sicher (1), woraus sich sowohl die Entstehung von (2) als auch (3) erklären lässt. Offenbar schien einigen Schreibern diese figura etymologica „sie schrie mit Schreien“ unpassend. (Zurück zu v.42)
azSchöner Ausdruck: Woher fragt nach einem Ort, nicht nach einem Grund. Die Formulierung ist nicht ungewöhnlich, aber äußerst passend für eine Frage danach, warum Maria von einem anderen Ort zu ihr kommt. Derjenige, der dort bereits Maria Gnade erwies, war auch Elisabet gnädig, weil nach und dank seiner Tat auch Elisabet in den Genuss dieser Gnade kommen konnte.
tFN: moi („mir“) kurz für moi estin („mir widerfährt“); vgl. BDR §189.3: ειναι τινι = „jmdm. widerfahren“. (Zurück zu v.43)
baDie Häufung von Pronomen ist auffällig: moi („ich [habe es verdient]), mou („mein [Herr]), me ([zu] mir“). Im nächsten Vers folgt dann noch zwei Mal mou: „meine [Ohren]“ + „mein [Leib]“. Die selbe auffällige Selbstbezogenheit war bereits in V. 25 feststellbar: moi („mir [hat der Herr getan]), mou („meine [Schmach]). Warum Lukas sie so betont, ist mir (S.W.) nicht klar. (Zurück zu v.43)
bbDer Bezug von 1,45a zu Lk 11,27 ist sehr auffällig. Dieser Textbezug wird wohl auch erklären, warum unser Vers in der 3. Person formuliert wurde: Lukas fand in der Tradition ein Jesuswort vor, aus dem abgeleitet werden könnte, dass er in Abrede stellt, Maria sei „selig, preiswürdig“ (Lk 11,28). Unser Vers dient ihm daher auch dazu, diese Deutung dort auszuschließen: Die Frau in 11,27 hat schon recht, Maria ist wirklich selig – nur: noch seliger sind die, die „Gottes Wort hören und bewahren“. Und dass Maria „geglaubt hat“, was der Herr ihr gesagt hat, zeigt noch dazu: Auch Maria ist in dem, was Jesus in 11,28 sagt, natürlich inbegriffen. (Zurück zu v.45)
bcweil (dass) - beides ist möglich. Als dass deuten z.B. Schürmann, Marshall, Culy; als weil dagegen z.B. Sahlin, Grundmann, Johnson. Das ist besser; richtig nämlich Sahlin 1945, S. 148: „Diese letztgenannte Auffassung ist m.E. die allein richtige. Es ist nämlich ganz stilgemäss, dass nach einem makarios [=selig] ein motivierender hoti-Satz folgt. Vgl. z.B. Mt 5,7-12; 13,16; 16,17; Lk 6,20f.; 14,14 [...].“ (Zurück zu v.45)
bdTextkritik: Drei altlateinische Handschriften (ms. a (4. Jh.), b (5. Jh.) und 1* (7./8. Jh. - hier allerdings nachträglich wieder korrigiert zu „Maria“)) haben statt „Maria“ „Elisabet“; zudem sprechen auch zwei Mss. von Irenäus´ „Adv. Haer.“ 4,7,1 von Elisabet als der Sängerin des Magnifikats (aber auch hier haben die restlichen Mss. „Maria“; und selbst in diesen bessagten zwei Mss. heißt es an anderer Stelle, dass Maria die Sängerin wäre). Auch eine Origines-Übersetzung des Hieronymus ist überliefert, die erkennen lässt, dass wohl auch Origines diese Elisabet-Variante kannte, und auch in einer Predigt von Nicetas von Remesiana findet sich diese Tradition.

Diese textkritische Evidenz ist sehr gering; dennoch wird seit Loisy 1907 und Harnack 1900 immer wieder darüber diskutiert. Drei Positionen haben sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert (vgl. die Übersicht in Metzger 109):

  1. Der ursprüngliche Text hat „Maria“ und in einigen Handschriften wurde dies nachträglich in „Elisabet“ geändert (In der neueren Forschung die fast ausschließlich vertretene)
  2. Der ursprüngliche Text hat „Elisabet“ und wurde nachträglich zu „Maria“ geändert (diese Position wird fast gar nicht vertreten)
  3. Explizit wird im ursprünglichen Text überhaupt keine Sprecherin des Magnifikats identifiziert; ursprünglich habe dort einfach καῖ εἰπεν („und sie sprach“) gestanden. Sowohl „Maria“ als auch „Elisabet“ sind nachträgliche Hinzufügungen (so z.B. ausführlichst Benko 1967) - die Position hat aber die entscheidende Schwäche, dass keine einzige Handschrift überliefert ist, in der diese Textversion überliefert wäre.
Für die Annahme, ursprünglich seien (2) oder (3) gewesen, reicht die Evidenz nicht ansatzweise aus; natürlich ist Variante (1) beizubehalten. (Zurück zu v.46)
beSehr gebräuchlicher Semitismus; „Seele“ und „Geist“ dient nur als Wechselbegriff für „ich“ (vgl. Wolff 1973, S. 25f; ad. loc. auch Bovon 1989, S. 87; Culy et al. 2010, S. 42; Noland 1989) - eine hebräische Stileigentümlichkeit, die es im Deutschen nicht gibt und die daher in der LF als „ich preise“ übertragen werden muss. Sehr ähnliche Stellen finden sich in der Bibel z.B. in Ps 34,3; 35,9; 103,1f.22; 104,1.35; 146,2; Tob 13,15. (Zurück zu v.46 / zu v.47)
bfSo eine häufig gewählte und auch durchaus zulässige Übersetzung von μεγαλύνειν (vgl. BA 1007; BAG 497; Gemoll 518; LSJ; Muraoka 445; Pape 108; Thayer). Sie macht aber in unserem Zusammenhang nicht viel Sinn, denn sicher will der Autor nicht sagen, dass Gottes „Groß-Sein“ der Seele Mariens geschuldet wäre. (Zurück zu v.46)
bgVv. 46f. verdichten einen weiteren Semitismus: „X preist Y, denn Z“ ist im Hebräischen eine formelhafte Wendung für „X dankt Y für Z“ (vgl. Lande 1949, S. 106f). Hier lässt sich sich besonders leicht ins Deutsche übertragen: Da ἠγαλλίασεν im synonymen Parallelismus zu μεγαλύνει steht, kann eines der beiden Glieder ohne semantische Einbußen problemlos durch „danken“ ersetzt werden. Übersetze: „Ich preise den Herrn / und danke ihm dafür, dass...“. (Zurück zu v.46 / zu v.47 / zu v.48 / zu v.49)
bhἠγαλλίασεν steht im Gegensatz zu μεγαλύνει (Präsens) im Aorist, weshalb z.B. NET hier ingressiv übersetzen will mit „has begun to rejoice“; ebenso Bovon 1989; Nolland 1989. Vermutlich ist aber auch dies als stilistischer Semitismus zu verstehen, nämlich als (bedeutungsloser) T-Shift (so die Mehrheit, z.B. Grosvenor/Zerwick 1993, S. 173; Gunkel 1921, S. 46; NSS; Schürmann 1969, S. 73; Weiss 1901, S. 285). (Zurück zu v.47)
biMeist: „Niedrigkeit“. Die zweite Alternative, „Demut“, ist recht unwahrscheinlich, denn hierfür stehen in LXX und NT eigene Begriffe bereit. Ταπείνωσις ist hier relativ sicher sozial bzw. wirtschaftlich als „Armut“ zu verstehen (Bovon 1989, S. 88; Clines 2011, S. 5; Krüger 2005, S. 2; Plummer 1903, S. 32), da es gut zusammenstimmt mit dem folgenden δούλη und auch dadurch nahegelegt wird, dass in V. 52 ταπεινούς kontrastiert wird mit δυνάστας; zudem ist der Gegensatz von Reichen und Armen ein häufigeres lukanisches Theologumenon (vgl. z.B. Lk 4,18f). Schnackenburg 1965, S. 346f. glaubt außerdem, zusätzlich Parallelen von hier zum Motiv der Armenfrömmigkeit in Qumran ziehen zu können. „Niedrigkeit“ ist eine unnötige Verallgemeinerung.

Einige denken aufgrund der Parallelen des Verses zu 1Sam 1,11; Ps 113 und 4Esra 9,45 daran, dass es sich hier um einen stehenden Ausdruck für Unfruchtbarkeit handeln würde (z.B. Zorell 1928, S. 288f.; ähnlich Klein 2006, S. 108f). Aus dem Mund Mariens macht das aber keinen Sinn und es spricht auch nichts gegen und einiges für die Lesart „Armut“, weshalb diese auf jeden Fall vorzuziehen ist (vgl. auch Bossuet / Weiß 1917, S. 404; Schürmann 1969, S. 73f.).

Vgl. außerdem die nächste Fußnote. (Zurück zu v.48)
bjMeist: „Magd“; δούλη bedeutet aber „Sklavin“ und nur in Einzelfällen wird es allgemein für soziale Rangunterschiede verwendet (aber auch hierfür wäre „Magd“ eine eher unpassende Übersetzung).
Sowohl die Rede von der „Armut“ als auch vom „Sklave-seins“ Mariens ist hier aber merkwürdig funktionslos, abgesehen davon, dass es in Kombination mit der Rede von Gott als Mariens „Herrn“ eine klare Hierarchie verdichtet. Das ist wohl auch der Schlüssel zum richtigen Verständnis der beiden Ausdrücke: Wie auch in 1Sam 1,11 ist die Rede von der „Sklavin Gottes“ wohl nicht wörtlich, sondern als Höflichkeitsstrategie zu verstehen (vgl. z.B. Warren-Rothlin 2007, S. 61f; Dahood 1970, S. 374 zu Ps 19,14; 27,9; 31,17; 69,18; 86,2; 119,135). Man bezeichnet das als „soziale Deixis“: Aus Höflichkeitsgründen wird ein Rangunterschied vom niedriger Gestellten besonders betont (ähnlich, wie man z.B. auch im Deutschen früher einen Brief an einen König unterschrieb mit „Ewr. Maj. untertänigster und gehorsamster Diener“). Das selbe gilt vermutlich auch für V. 54a. Eine wörtliche Übersetzung würde dies aber verschleiern, so dass man in der Lesefassung vielleicht besser auf andere Übersetzungsweisen zurückgreifen sollte, z.B. schlicht auf die Streichung von „seiner Sklavin in ihrer Armut“ in V. 48a (denn das hierarchische Gefüge wird ja schon durch den Ausdruck „Herr“ in V. 47 deutlich genug). (Zurück zu v.48)
bkBiblizismus: Die Rede von Gottes auf-etwas-Blicken steht im AT metaphorisch für gnädige Akte Gottes wie etwa Gebetserhörungen (vgl. z.B. TLOT 1263f.). Das Verb ἐπέβλεψεν einfach wörtlich zu übersetzen, würde diese eigentliche Bedeutung des Verses verdunkeln. Besser wäre eine Paraphrase wie „Er hat sich seiner Sklavin in ihrer Armut angenommen“; zu „seiner Sklavin in ihrer Armut“ s. aber noch die vorige FN. (Zurück zu v.48)
blἰδοὺ i.d.R. (wie auch hier) nicht mehr als bloße Fokuspartikel. (Zurück zu v.48)
bmAllzu viele Übersetzungen und Kommentare denken, dass diese Aussage bedeute, Maria sähe hier bereits ihre Verehrung durch künftige Generationen voraus und übersetzen etwa „preisen mich selig“ (vgl. z.B. Bovon 1989, S. 88; Klein 2006, S. 113; Schürmann 1969, S. 74; R-S u.ö.). Aber μακαρίζειν bedeutet wahrscheinlich auch hier (wie auch sonst öfters) einfach, dass sie für glücklich gehalten wird oder aufgrund dieses für-glücklich-gehalten-Werdens als glücklich bezeichnet wird - vielleicht ein Semitismus: Die hebräische Entsprechung von μακαρίζειν ist אָשַר II, was von SDBH folgendermaßen näher bestimmt wird: „[to] communicate to someone else that you consider him/her or someone else fortunate and blessed by God“ (SDBH). Diesem wohl falschen Verständnis der Stelle soll mit obiger Übersetzung vorgebeugt werden.
Wegen ἀπὸ τοῦ νῦν (v. 48) ist die in der Klammer angegebene futurische Wiedergabe die hier einzig Sinnvolle. (Zurück zu v.48)
bnV 48a steht mit V 54a, V 49b mit V 50a und V 49a mit V 51a im Parallelismus. Solche Parallelismen markieren in der biblischen Poesie häufig Strophenübergänge (vgl. z.B. van der Lugt 2006, S. 53) und sind damit ein starkes Indiz dafür, dass man an diesen Stellen das Magnifikat in Strophen aufzuteilen hat: Die Parallelismen würden dann den letzten Vers der ersten Strophe(V 48), den ersten und letzten Vers der der zweiten Strophe (V 49.50), den ersten Vers der dritten Strophe (V 51) und den ersten Vers der vierten Strophe (V 54) markieren. Das ὅτι denn in V. 49 ist dann mit Gunkel 1921, S. 47 dentsprechend dem hebräischen כִי als „allergeläufigste Uebergang, mit dem im Hymnus das Hauptstück dem Anfange hinzutritt.“, aufzufassen und im Deutschen auszusparen; etwa: „... von nun an wird jeder mich für glücklich halten: / Denn Der Mächtige hat Großes an mir getan!...“. (Zurück zu v.48 / zu v.49)
boEinige Exegeten halten dies für ein relatives καὶ (vgl. BDR §442) und übersetzen mit „der Mächtige ..., dessen Name heilig ist.“ (so z.B. NSS; Schürmann 1969, S. 74; vgl. auch GN; KAM; LUT84; ähnlich NeÜ); andere fassen es koordinierend auf und schließen es mit einem „und“ an den vorherigen Satz an. Letzteres ist wahrscheinlicher (vgl. z.B. Culy et al. 2010, S. 44); da aber καὶ im Griechischen, anders als im Deutschen, auch einen mit dem vorigen Satz (relativ) unkoordinierten Satz einleiten kann, ist es stiltreuer, das „und“ in der deutschen Übersetzung ganz zu streichen. (Zurück zu v.49)
bpBiblizismus: Der „Name Gottes“ steht in der Bibel fast stets für Gott selbst; man bezeichnet damit „Gott im Menschenmund“. Übersetze: „Heilig ist er“.
Alternativ könnte es sich hier um ein jüdisches Idiom handeln: „Gottes Namen heiligen“ steht in jüdischen Texten häufig dafür, dass „Gott als Herr anerkannt wird und daher seinen Geboten gefolgt wird“ (vgl. FN e zu Mt 6,9); dann vielleicht „Geheiligt werde sein Name“ i.S.v. „Man erkenne ihn als Herrn an und folge seinen Geboten“. Das καὶ in 50a wäre dann wohl kausales καὶ (dazu z.B. Reiser 1983, S. 126-128): „Man erkenne ihn als Herrn an, denn seine Huld wird auf ewig für jene währen, die ihn fürchten (i.e. als Herrn anerkennen).“ Doch ist das m.W. noch nie vorgeschlagen worden. (Zurück zu v.49)
bqS. zu {und} in V. 49. (Zurück zu v.50)
brMeist: „Erbarmen“ oder „Barmherzigkeit“. ἔλεος ist in der LXX aber häufig die Übertragung von חֵסֵד, und daraus, dass es hier als etwas dargestellt wird, demgemäß sich Gott (1) schon Abraham gegenüber verhalten hat (V. 54f), das (2) jenen gilt, die ihn „fürchten“ (V. 50) und das (3) ebenso wie חֵסֵד etwas ist, das meist von Höhergestellten niedriger Gestellten entgegengebracht wird, wird klar, dass wir auch hier an dies חֵסֵד denken müssen (vgl. Clines 2011, S. 2f). חֵסֵד bezeichnet aber nicht etwa (wie es oft falsch heißt) die „weiche Seite“ Gottes, sondern steht für Gottes Bündnistreue und wird bes. in Situationen verwendet, in denen davon die Rede ist, dass ein niedriger Gestellter der Hilfe Gottes bedarf und Gott ihm diese Hilfe - getreu seinem Bund - auch gnädig gewährt (vgl. z.B. Waltke 2010, S. 443). Die treffendste Übertragung ist daher ohne Zweifel „Huld, Gnade“. (Zurück zu v.50)
bsVerbloser Satz, der als PP fungiert und gelesen werden könnte als PP temporis, PP commodi oder PP relationis (vgl. Culy et al. 2010, S. 44). Weil der Ausdruck γενεὰς καὶ γενεὰς aber wohl idiomatisch ist für „alle Generationen“ (ebd.; vgl. auch das Testament des Levi 18,8), liegt eine andere Lesart als die temporale recht fern. Eine freie, „deutschere“ und funktional äquivalentere Übertragung wäre wohl „Seine Huld währt auf ewig.“
Wegen εἰς γενεὰς καὶ γενεὰς ist die futurische Wiedergabe die hier einzig Sinnvolle. (zu v.50)
btW.: „den ihn Fürchtenden“; Ptz. mit der Funktion des dativus commodi (daher: „für“) (vgl. Culy et al. 2010, S. 44; NSS). (Zurück zu v.50)
buVV. 51-54 stehen sechs Aoriste, über deren Semantik man sich in der Forschung den Kopf zerbricht. Theoretisch könnten sie sich beziehen
  1. auf Vergangenes - etwa vergangene Heilstaten Gottes („historischer Aorist“),
  2. auf Gottes übliche und überzeitliche Weise des Handelns („gnomischer Aorist“),
  3. auf Gottes zukünftiges Handeln („futurischer Aorist“) oder
  4. auf Sachverhalte, die zum Zeitpunkt des Betens bereits angebrochen sind, deren Vollendung aber noch aussteht („ingressiver Aorist“) (vgl. auch Grosvenor / Zerwick 1993, S. 173; NSS).

Jede dieser vier Deutungen ist in der Forschung schon mehrfach vertreten worden. Da Vv. 51-54 aber immer noch zum selben Dankgebet gehört, zu denen auch die vorherigen Verse gehören, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Tat, mit der Gott sich seines „Knechtes Israel“ angenommen hat (V. 54) die selbe ist, mit denen er sich auch seiner „Sklavin“ Maria angenommen hat (V. 48) - ein recht eindeutiger Parallelismus -, nämlich die Tatsache, dass er Maria trotz ihrer „Armut“ (V. 48) zur Mutter des Messias gemacht hat (vgl. ähnlich z.B. Nolland 1989). Jede Deutung neben der ingressiven würde diesen Zusammenhang zerstören und das Magnificat in zwei nur lose zusammenhängende Hälften reißen.

Der obige Übersetzungsvorschlag versucht, durch die Hinzufügung des „so“ den Bezug des Folgenden auf das zuvor Geschilderte ausdrücklich zu machen und durch die des „er hatte begonnen“ den ingressiven Charakter des Folgenden zum Ausdruck zu bringen. Eine andere (allerdings weniger genaue, da nicht wirklich ingressive) Möglichkeit, die wahrscheinlich leichter zu einer gefälligen Lesefassung führt, wäre die Einleitung mit „Nun“ und der futurischen Wiedergabe des Folgenden. (Zurück zu v.51)
bvweder (1) Ἐποίησεν κράτος („Machttaten hat er getan“) noch (2) ἐν βραχίονι αὐτοῦ („mit seinem Arm“) ist natürliches Griechisch. Beide Male handelt es sich wieder um Semitismen; vermutlich um Zitate aus dem Psalter (vgl. zu (1) Ps 60,14; 108,14; 118,15f; zu (2) Ps 89,11; beide Male auch Culy et al. 2010, S. 45; Plummer 1903, S. 33).
Der „Arm“ wird aber im Hebräischen häufiger verwendet als Symbol für Macht und Stärke (vgl. z.B. Clines 2011, S. 1f.; Wolff 1973, S. 108; ad loc. auch Culy et al. 2010, S. 45; NSS), so dass der Sinn in etwa ist: „Er hat Mächtiges mit seiner Macht gewirkt.“ Übersetze vielleicht: „Gewaltiges hat er mit seiner Macht vollbracht“. (zu v.51)
bwDoppelpunkt sehr gut mit , Schneider 1977, S. 54 und dem unrevidierten NTL (leider nicht mehr im revidierten): Was folgt, sind einzelne Ausfaltungen des Sammelbegriffs „Machttaten“ in V. 51a. (Zurück zu v.51)
bx„zerstreuen“ ist im AT ein Ausdruck, der vor Allem verwendet wird, wenn davon die Rede ist, dass eine Armee vernichtend geschlagen wird (vgl. die Parallelstellen). (Zurück zu v.51)
byzur „Hochmut“ im alten Judentum vgl. das in B/S 1924, S. 101ff. zusammengetragene Material (Zurück zu v.51)
bzW. „Hochmütige an der Gesinnung ihrer Herzen“; idiomatischer Plural, daher als Sg. zu übersetzen. Das Herz ist in der hebräischen Vorstellung Sitz v.a. der Stimmungen und Gestimmtheiten (vgl. Wolff 1973, S. 74f.) und entspricht damit am ehesten unserem Wort „Gemüt“ - eine wörtliche Übertragung wäre hier irreführend. Ohnehin muss hier freier übersetzt werden: „Hochmütig an der Stimmung des Gemüts“ meint einfach „hochmütig gestimmt“, „von hochmütigem Charakter“; übersetze besser schlicht: „Hochmütige“ (Zurück zu v.51)
caDa Gott die δυνάστας von ihren Thronen stürzt, ist „Machthaber“ hier die kontextuell wesentlich passendere Übertragung. (Zurück zu v.52)
cbV. 52b kontrastiert eine Aufwärtsbewegung mit der hieriegen Abwärtsbewegung des „Stürzens“; im Deutschen besser ausdrücklich zu machen, etwa als „herabstürzen“. (Zurück zu v.52)
ccdie Wortstellung VV 52-53 sollte beibehalten werden, da sie eine chiastische Doppelstruktur hat: V 52: V - S / V - S; V 53: S - V / S - V (Zurück zu v.53)
cdW.: „füllt“; häufig freier übertragen mit „sättigen“, was aber hier ein Wortspiel vernichtet: ἐνέπλησεν („füllen“) (53a) bildet einen Gegensatz mit κενούς („leer, mit leeren Händen“ (BA 870)) (53b) und ist etymologisch verwandt mit πλουτοῦντας („reich seiende, Reiche“), außerdem ist eines der Wortbildungsmorpheme (ἐν- („ein-, hinein-“)) das Gegensätzliche zu ἐξ- in ἐξαπέστειλεν („fortsenden“) (53b). Eine rein an diesen Wortspielen orientierte Übertragung würde ungefähr lauten: „in Hungernde füllt er Gutes hinein / und Befüllte schickt er ungefüllt hinaus“, was natürlich keine gute Übersetzung ist und auch dem Wortsinn gar nicht gerecht wird. Ich bin bisher zu noch keiner Lösung gekommen, wie dieser Vers gleichzeitig kommunikativ und inhaltlich und stilistisch äquivalent übertragen werden könnte. (Zurück zu v.53)
ce„Mit leeren Händen“ nach BA 870 (Zurück zu v.53)
cfSchwierige Stelle. V 54b besteht aus einem Infinitiv und einem Akkusativ und lautete wörtlich übersetzt etwa „sich erinnern/denken an Huld“ (zu „Huld“ s.o.). Die Hauptschwierigkeit ist, wie dieser Teilvers mit dem vorigen zusammenhängt. Syntaktisch sinnvolle Vorschläge in der Exegese sind v.a. die Deutung als kausaler Infinitiv („Er hat sich Israels angenommen, weil er an seine Huld gedacht hat“) oder als weiterführender Infinitiv („Er hat sich Israels angenommen, wobei er an seine Huld gedacht hat“).

Sinnvoller jedoch: μνησθῆναι gedenken steht in der LXX häufig als Übersetzung von זָכַר. Dies זָכַר hat, wenn Gott das Subjekt ist, oft die Sonderbedeutung „sich gnädig zuwenden“ (vgl. z.B. TWAT I, S. 513f) und bezeichnet z.B. Gottes gnädige Gewährung eines Kindersegens an Kinderlose (Gen 30,22; 1Sam 1,11.19; vgl. ebd.). Dahin, dass das Verb auch hier so zu verstehen ist, weist erstens das Substantiv ἔλεος Huld, in dem ähnliches zum Ausdruck kommt wie im hebräischen זָכַר; zweitens folgt direkt auf den Teilvers die Rede davon, dass er sich auch Israels „erbarmt“ habe; drittens ist V. 54a parallel zu V. 48a, in dem - wie bereits gesagt - vermutlich auf die selbe Heilstat wie in V. 54a Bezug genommen wird, nämlich auf die, dass Gott Maria mit dem Messias „geschwängert“ hat, und gerade in diesem Kontext ist im AT häufiger die Rede von der זָכַר(/μνησθῆναι)-Tätigkeit Gottes.

Wenn erst erkannt ist, dass V 54b wohl vom selben spricht wie V 54a, ist der Rest relativ einfach: Der Infinitiv ist dann als epexegetischer Infinitiv zu deuten (daher Anschluss mit Doppelpunkt, vgl. ähnlich Culy et al. 2010, S. 46) und der Akkusativ entweder als accusativus respectus (daher die Alternative „was seine Huld angeht“) oder, wesentlich besser, als adverbialer Akkusativ (daher die Alternativen „huldvoll, mit Huld“). (zu v.54)
cgEin weiterer grammatischer Zweifelsfall: Es ist fraglich, wie V 54b, 55a und 55b sich zueinander verhalten. Vorgeschlagen wurde,
  1. dass V 55a Parenthese ist und V 55b nicht mehr, sondern dativus commodi zu 54b („Gott hat sich erbarmt - wie er ja auch schon unseren Vätern verheißen hat - zugunsten von Abraham und seinen Nachkommen.“) - dies ist heute die Mehrheitsmeinung,
  2. dass V 55a eine Art „Nachsatz“ ist, V 55b zu diesem Nachsatz gehört und „verheißen hat“ näher bestimmt („Gott hat sich erbarmt - wie er ja auch schon unseren Väter zugunsten von Abraham und seinen Nachfahren auf ewig verheißen hat“), oder
  3. dass V 55b inkongruente Apposition zu V 55a ist („Gott hat sich erbarmt - wie er unseren Vätern (d.h. Abraham und seinen Nachkommen auf ewig) verheißen hat“).

Möglichkeit (3) ist eher unwahrscheinlich, da inkongruente Appositionen auch im Griechischen recht selten sind; Möglichkeit (2) würde den Übersetzer zwingen, ein Objekt von Gottes Erbarmen zu ergänzen (z.B. „Gott hat sich [ihm (=Israel, seinem Knecht] erbarmt...“). Vorzuziehen ist daher Möglichkeit (1).

Der Sinn ist dann, dass mit Mariens Empfängnis des Messias die Verheißung Gottes an Abraham in Erfüllung geht, dass er sich ihm und seinen Nachfahren gegenüber gemäß seiner Bundestreue verhalten würde. (Zurück zu v.54)
chwörtl.: „gesagt hat“. Semitismus; im Hebräischen steht auch für „verheißen“ das gewöhnliche „sagen“ (vgl. Grosvenor/Zerwick 1993, S. 174). (Zurück zu v.55)
ciἐπλήσθη: Von einer Zeitspanne, die ihr Ende findet. Ein hinzutretender Genitiv bezeichnet das Ereignis, das dem Ablauf der Zeit folgt, Bauer WB Sp. 1325. Der Genitiv ist hier ein substantivierter Infinitv (τοῦ τεκεῖν, wörtl.: des Gebärens), DBR § 400.1. (Zurück zu v.57)
cjPartizipium coniunctum, beiordnend aufgelöst. (Zurück zu v.60)
ckὅτι citativum. (Zurück zu v.61)
clMit τὸ substantivierter indirekter Fragesatz, BDR § 267,2, dort auch Beispiele. Ich verstehe es so, dass es um das Zeichen geht, das diese Frage zum Ausdruck bringt. G. Schneider, ÖTK 3/1 übersetzt: „Sie fragten seinen Vater durch ein Zeichen …“ (Zurück zu v.62)
cmConstructio ad sensum: Forführung eines personalen Diminutiv (τὸ παιδίον) durch αὐτό, BDR § 282,4. (Zurück zu v.62)
cnOptativus potentialis in indirekten rhetorischen Fragen, BDR § 385,1. (Zurück zu v.62)
coParicipium coniunctum, beiordnend aufgelöst. (Zurück zu v.63)
cpParticipium coniunctum, final aufgelöst. (Zurück zu v.64)
cqParticipium coninctum, beiordnend aufgelöst. (Zurück zu v.66)
crἄρα ist hier kein Fragepartikel, sondern steht wie klass. nach dem Fragepartikel, um die Verwunderung des Fragenden zum Ausdruck zu bringen, BDR § 440,2. (Zurück zu v.66)
csGemeint ist die heilbringende göttliche Gnadenheimsuchung, BW Sp. 604. (Zurück zu v.68)
ctκέρας ist das Horn, auch die hornartigen Ecken des Altars, übertragen ein bildlicher Ausdruck für Macht, Stärke, BW Sp. 872f. (Zurück zu v.69)
cuHebraisierende Beschreibung für εκ χειρος BDR § 217,2b. (Zurück zu v.71)
cv„Etwas an jemandem tun“ ist ποιειν τι εν τινι, hier μετα für hebr. אם, BDR § 206,3. (Zurück zu v.72)
cwPartizip. (Zurück zu v.74)
cx„Sehr oft liegt d. Nachdruck weniger auf dem Namen als auf der Aussage, die über den so Genannten gemacht wird. Das Pass. *genannt werden* kommt dann sehr nahe an die Bde. *sein* heran, und es muss dem Empfinden des Auslegers überlassen bleiben, ob er im Einzelfall diese Übers. wagen will.“ BW Sp. 810. (Zurück zu v.76)
cyBildlich vom Kommen des Messias, BW Sp. 123. (Zurück zu v.78)
czParticipium coniunctum, relativisch aufgelöst. (Zurück zu v.79)
daDer Geist (πνεύμα), der zusammen mit dem Leib den Menschen bildet und als Sitz von Einsicht, Gefühl und Willen angesehen wird (BW Sp. 1356). Oder ist gemeint, dass er durch den (Hl.) Geist stark wurde? (Zurück zu v.80)
dbAls Vorläufer des Messias, BW Sp. 104. (Zurück zu v.80)
dcWeitere Stellen z.B. bei Klauck 1996; Schreiber 2015; viele im „Neuen Wettstein“, z.B. Bd. I/2 sub Joh 4,42 (Zurück zum Text: dc)
ddZu dieser Vorstellung s. näher z.B. Messias (AT) (WiBiLex); Messias/Christus (WiBiLex). (Zurück zum Text: dd)
deDie beiden Plutarch-Stellen, die hier häufig zitiert werden (Num 4.3f.; Quaest Conv 718 B), gehören nicht in diese Reihe, da P. dort eine tatsächliche Elternschaft von Gottheiten gerade in Abrede stellt und zwei Alternativen zum „Verkehr“ von Göttern und Menschen oder zur „Zeugungstätigkeit“ von Gottheiten entwickelt: Götter „verkehren“ mit Menschen platonisch und Gott „zeugt“ Menschen, insofern sie über ihren „Verstand“ Anteil an ihm haben und dieser Verstand gut nachplatonisch die Materie zum lebendigen Wesen wachsen lässt. (Zurück zum Text: de)