Psalm 30

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Lesefassung (Psalm 30)

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Anmerkungen

Studienfassung (Psalm 30)

1 Ein Psalm (begleitetes Lied).
Ein Lied zur Tempelweihea (Einweihung des Hauses) von (für, über, nach Art von) David


2 Ich will dir dafür danken, JHWH, dass (dich preisen/erhöhen, denn)b du mich herausgeschöpft (emporgezogen)cd hast
und dass du meine Feinde (meinen Feind)ed sich nicht über mich (meine meinigen Feinde sich nicht)f freuen (triumphieren) lassen hast.
3 JHWH, mein Gott (JHWH, du bist mein Gott.), ich schrie zu dir um Hilfe (schrie zu dir, rief dich an)
Und du hast mich geheilt (damit du mich heilst, als ich zu dir schrie, hast du mich geheilt)d.

4 JHWH, du hast mich (meine Seele)g aus dem Scheol (aus der Unterwelt, aus der Totenwelt) heraufgeholthd,
du hast mich erweckt (mich leben lassen)d aus den zur Grubei Hinabgefahrenen (bewahrt vom Hinabfahren)j.


5 Singt (spielt)k JHWH, ihr seine Frommenl,
preist den Heiligen (seinen heiligen Namen, das Gedenken seiner Heiligkeit)m!

6 {Oh!,} (Denn)n [Nur] einen Augenblick lang währt sein Zorn,
ein Leben lang währt seine Huld.o

{Oh!,} (Denn)n Bleibt auch das Weinen (das Weinen bleibt) über Nacht (am Abend, verbringt man die Nacht auch weinend)p
[ist] doch am Morgen (und am Morgen ist) Jauchzen.


7 Als ichq in meiner Sorglosigkeit sprach:
„Niemals werde ich wankenr!“
8 weil du ([und] als du)q, JHWH ({JHWH})s, mich in deiner Gunst standhafter als die starken (sicheren) Berge gemacht hast,t

verbargst du dein Gesicht (wandtest du dein Gesicht ab)u
[und] ich wurde vernichtet (erschrak)
9 [Und sprach:]v „Ich will zu dir rufen, JHWH,
und zu meinem Herrn (zu dir, meinem Herrn)w flehen!

10 Welcher Gewinn [ist] in meinem Blutx
[und] in meinem Hinabfahren in den Schachty?
Kann Staub (können Tote)z dich preisen?
Kann er (können sie) deine Treue verkünden?
11 Höre (erhöre mich)aa, JHWH, und sei mir gnädig!
JHWH, sei mir Helfer!“

12 Da hast du (du hast)ab mir mein Klagen in Tanzen verwandelt,
hast mir die Trauerkleidung ausgezogen und mich mit Freude gegürtetac.
13 Darum (so dass, damit)ad will ich ([meine] Leber, [meine] Herrlichkeit, [meine] Seele)ae dich besingen und nie (nicht) verstummen (schweigen);
JHWH, mein Gott, auf ewig will ich dich preisen!

Anmerkungen

aDie „Tempelweihe“ ist das seit 165 v. Chr. begangene Fest der Wiederherstellung des Tempels (vgl. 1Makk 4,52ff; 2Makk 10,5ff; Joh 10,22). Nach Sopherim 18,2 wurde der Psalm in der Tat zu dieser Gelegenheit gesungen. (Zurück zu v.1)
bW.: „Ich will dich erheben, denn“; doch übersetze: „Ich danke dir dafür, dass...“; ähnlich Gerstenberger 1972; Zenger 1987. - „Erheben“ ist ein üblicher hebräischer Ausdruck für „preisen“ und wurde im hebr. Text gewählt wegen dem Wortspiel „erheben“ - „emporschöpfen“; im Deutschen lässt sich das leider nicht nachahmen (BigS hat es versucht: „Ich will dich hochleben lassen“). Weiter ist „Jemanden preisen, denn X“ im Hebräischen eine formelhafte Wendung für „jemandem danken für X“ (vgl. Lande 1949, S. 106f.; ad loc. ähnlich Zenger 1987, S. 89); übersetze daher wie vorgeschlagen. (Zurück zu v.2)
cherausgeschöpft (emporgezogen) - das Verb meint meist „schöpfen“; evt. kann es auch allgemein „emporziehen“ heißen. Dahinter steckt folgendes: Im Alten Israel stellte man sich die Unterwelt als den tiefsten Ort des Kosmos vor; daher musste man davon sprechen, dass man z.B. zu ihr „hinabstieg“ oder aus ihr wieder „emporgezogen“ wurde. An unserer Stelle spielt noch mehr hinein: Weil man sich weiterhin die Unterwelt oft als am oder noch unter dem Meeresgrund gelegen vorstellte, sprach man von ihr häufig auch als dem „Brunnen“, der „Grube“, dem „Schacht“ oder der „Zisterne“ (vgl. z.B. Oesterley 1911, S. 139f; Schorch 2000, S. 97f; hier s. Vv. 4.10); auf diese Metapher spielt das hierige Verb an: „Du hast mich [aus der Zisterne (=der Unterwelt)] herausgeschöpft“ meint sinngemäß „Du hast mich aus dem Totenreich gerettet“. Dass der Ort, von dem JHWH den Psalmisten emporschöpft, hier nicht genannt ist, gehört wohl zum in FN d beschriebenen Strukturprinzip.
Im Deutschen muss man das wohl freier formulieren; sinnvoll z.B. ALB, FENZ, NL: „du hast mich gerettet“; noch besser vielleicht: „Du hast mich der Unterwelt entrissen“ (nach Gerstenberger 1972). „Du hast mich aus der Tiefe/dem Abgrund gezogen“ (BB, , GN, HfA, LUT84, MEN, NeÜ, NGÜ, R-S, ZÜR) macht den Sachverhalt wohl nicht klar. (Zurück zu v.2)
dherausgeschöpft / meine Feinde / geheilt / heraufgeholt / erweckt sind wohl rein metaphorisch zu verstehen.

Vv. 2-4 sind bestimmt vom selben Strukturprinzip: Der Psalmist dankt Gott für die Rettung von verschiedenen Unheilsarten, ohne zu berichten, dass dieses Unheil überhaupt über ihn hereingebrochen ist: (1) V. 2a.4: [Er ist gestorben und] Gott hat ihn wieder auferweckt, (2) V. 2b: [Er wurde befeindet, doch] Gott hat seinen Feinden den Triumph über ihn nicht gegönnt, (3) V. 3: [Er war krank und] Gott hat ihn geheilt. Weil eben die „Vorgeschichte des Unheils“ hier nicht expliziert wird, versucht man in der Exegese meist, diese Vorgeschichte zu rekonstruieren. Es besteht schon fast ein Konsens, dass sie in etwa so aussah: Der Psalmist war krank - so krank war er, dass es ihm geradezu vorkam, als sei er bereits gestorben. Seine Feinde sind darüber sehr glücklich. Doch dann erbarmt sich Gott seiner, heilt ihn, holt ihn so „sozusagen“ - da er sich ja bereits als gestorben sah - wieder aus der Unterwelt empor und gönnt derart den Feinden des Psalmisten nicht die Freude über seinen Tod.
Diese Rekonstruktion ist nicht sonderlich rund (wg. dem Unterschied „krank sein“ <=> „tot sein“ einerseits, wegen dem plötzlichen unmotivierten Auftreten der „Feinde“ andererseits); sinnvoller ist daher darauf hinzuweisen, dass all diese Elemente in der biblischen Poesie oft nur bildliche Rede sind, die keine weitere Funktion haben, als als Chiffren für ein nicht näher bestimmtes Unheil des Psalmisten zu stehen (vgl. ad loc. ähnlich Zenger 1987, S. 90 f.; s. die Parallelstellen). Was der Psalmist dann wieder und wieder betonen würde, wäre nur: „[Unheil war über mich hereingebrochen - und] JHWH hat mich gerettet.“ M.E. liegt dieses Verständnis hier näher.

Mindestens für die Fassung in Leichter Sprache wäre es dann vermutlich sinnvoller, zu jeweils anderen Metaphern zu greifen, die leichter als Metaphern für die Erlösung von einem unbestimmten Unheil erkennbar sind. (zu v.2 / zu v.3 / zu v.4)
emeine Feinde (meinen Feind) - Dahood 1965 deutet den Plural als pluralis excellentiae und deutet als „meinen Feind [- den Tod]“. Das ist durchaus bedenkenswert, da Vv. 2-4 ja immer wieder die Rettung vom Tod thematisieren und die „Feinde“ hier ohnehin sehr überraschend und unmotiviert stehen. Die traditionelle Deutung ist aber wohl ebenso gut möglich, siehe die vorige FN. (Zurück zu v.2)
fmeine Feinde sich nicht über mich (meine meinigen Feinde sich nicht) - Für „über mich“ sollte man im Hebräischen eigentlich eher עָלַי statt לִי erwarten. Halévy 1895a, S. 30 hat daher vorgeschlagen, לִי nicht als „über mich“, sondern als Verstärkung des „meine“ in „meine Feinde“ zu deuten: „meine meinigen Feinde“. Im Deutschen klingt das zwar merkwürdig (und sollte daher besser einfach mit „dass du meine Feinde sich nicht freuen (triumphieren) lassen hast“ übersetzt werden), im Hebräischen ist das aber durchaus möglich.
Halévy selbst ist unsicher (und übersetzt „Et de ne pas avoir fait réjuir mes enemies (à mon détriment)), aber Alter 2007 scheint tatsächlich so zu lesen („and You gave no joy to my enemies“); ebenso NeÜ („du gabst meinen Feinden keinen Triumph“) und Schökel 1980 („y no has dado el triunfo a mis enemigos“). Das ist etwas wahrscheinlicher; in der LF sollte man aber doch der traditionellen Übersetzungsalternative den Vorzug geben, da es sich hier um eine starke Minderheitenmeinung handelt und die traditionelle Übersetzung auch nicht (sehr) problematisch ist. (Zurück zu v.2)
gW. „meine Seele“, doch im Hebräischen dient dies fast stets als Wechselbegriff für „mich“ (vgl. ad loc. Briggs 1906, S. 262; Terrien 2003, S. 282); übersetze durchaus wie vorgeschlagen. (Zurück zu v.4)
hgut verständlich ALB, HfA: „du hast mich dem Tode entrissen“ (Zurück zu v.4)
izu „Grube“ als Metapher für die Unterwelt vgl. FN c (Zurück zu v.4)
jTextkritik: Ketiv und Qere bieten zwei unterschiedliche Textversionen: Ketiv hat das Partizip „aus den Hinabgestiegenen“; Qere verbessert zum Infinitiv „vom Hinabsteigen“. Doch ist die Version des Ketiv hier sicher vorzuziehen und wird auch von fast allen vorgezogen, da die Infinitivform des Qere zwar grammatisch korrekt, aber im Hebräischen ungebräuchlich ist (die gebräuchliche Form wird V. 10 verwendet), die Wendung יורדי בור des Ketiv sich dagegen recht häufig in der Bibel findet. Vermutlich handelt es sich beim Qere um eine spätere theologische Interpretation, vgl. Buttenwieser 1938, S. 601.
Das „Aus den Hinabgestiegenen“ des Ketiv meint, dass Gott den Psalmisten als einzigen der vielen, die bereits ins Totenreich hinabgefahren sind, wieder auferweckt hat (vgl. ähnlich Mk 9,9, dazu FN ae). (Zurück zu v.4)
kspielt i.S.v. „musiziert auf Instrumenten“ ist unwahrscheinlich; die Instrumentalmusik im Tempelkult wurde wohl von den Priester und Leviten übernommen (vgl. Num 10,1-10; 2Chr 29,26-28). Übrigens darf man sich hier keine Himmelsmelodien vorstellen; eher muss man an einen „seltsamen, lauten und lärmenden Krach“ (Casey 2004, S. 203) denken. (Zurück zu v.5)
lDie „Frommen“ sind die versammelte Kultgemeinde, die beim Vortrag des Psalms anwesend ist. Vv. 5-6 sind ein für Dankpsalmen übliches „Wort an die Kultgemeinde“, das parenthetisch in das eigentlich Vorgetragene eingeschoben ist und hier (wie oft) die Kultgemeinde zum Einstimmen in den Lobpreis auffordert. (Zurück zu v.5)
mZu זכר (meist: „Gedenken“) = „Name“ vgl. Kön 90; SS 173; ZLH 209; ad loc. z.B. Buttenwieser 1938; Craigie 1983; Kittel 1914; Schökel 1980; Ross 2011; Schmidt 1934. Der „Name Gottes“ dient im AT aber fast ausschließlich als Wechselbegriff für Gott selbst; man bezeichnet damit „Gott im Menschenmund“. Übersetze daher wie vorgeschlagen. (Zurück zu v.5)
nemphatisches כי, so auch Deissler 1989; Kraus 1961. Im Deutschen nicht zu übersetzen. (zu v.6)
oschwieriger Vers. W. wird er meist gedeutet als „Ein Augenblick (רֶגַע) in (ב) seinem Zorn, ein Leben in (ב) seiner Huld“. Verschiedene Vorschläge sind gemacht worden, um ihn zu erklären:
  1. Die בs werden als als Beth existentiae gedeutet („ist“/„dauert“; vgl. Ges18 119f; KBL3 101); „Augenblick“ und „Leben“ sind adverbiale Akkusative der Zeit („einen Augenblick lang“ / „ein Leben lang“; vgl. GKC §118k): unsere Deutung: „Ein Augenblick lang dauert sein Zorn, / ein Leben lang dauert seine Huld“- so übersetzen zumindest auch Bonkamp 1949; Brueggemann/Bellinger 2014; Christensen 2005.30; Kittel 1914; Terrien 2003 und fast alle Üss.
  2. Die בs werden als als Beth essentiae gedeutet; wörtlich etwa „ein Augenblick lang [ist er] zornig, ein Leben lang huldreich“: Delitzsch 1894; wohl auch Ehrlich 1905. Ähnlich Buttenwieser 1938; er deutet aber merkwürdigerweise „Augenblick“ und „Leben“ als Subjekte des Satzes; wörtlich also etwa „Ein Augenblick [ist] voll seines Zorns / ein Leben voll seiner Huld“
  3. רֶגַע wird emendiert:
    1. nach LXX, Syr zu רׂגֶז Unruhe, Zorn, Toben: „Toben [ist] in seinem Zorn, / Leben [ist] in seiner Huld“: BHS; vgl. auch Kissane 1953
    2. zu נֶגַע Leiden, Krankheit: „Krankheit [ist] in seinem Zorn, / Leben [ist] in seiner Huld“: Gunkel 1968; Halévy 1895a; Schmidt 1934
  4. רֶגַע wird eine andere Bedeutung gegeben:
    1. Schökel 1980 glaubt wg. Ijob 26,12; Jes 51,15 und Jer 31,35, dass רֶגַע auch „Beben“ bedeuten könne: „Zittern/Beben ist in seinem Zorn...“. Diese Bed. findet sich zwar auch in einigen Wörterbüchern, ist aber wohl falsch: רֶגַע bedeutet dort nicht „erbeben machen“ (nach רגע I), sondern „beruhigen“ (nach רגע II); s. jeweils den Kontext.
    2. Craigie 1983 und Dahood 1965 denken, es könne auch „Tod“ bedeuten: „Tod [ist] in seinem Zorn, ...“. Auch das ist wohl nicht so.
  5. Es wird einfach ein Verb ergänzt, z.B.: „Nur kurz [handelt er] in seinem Zorn...“: Briggs 1906; Deissler 1989; Kraus 1961; Weber 2007 (Zurück zu v.6)
pverbringt man die Nacht auch weinend - so sinnvoll Buttenwieser 1938. Wegen des Parallelismus ist aber doch die Standard-Deutung vorzuziehen. (Zurück zu v.6)
qVv. 7-8 werden fast stets einander beigeordnet: „7a: Ich sagte in meiner Sorglosigkeit: „[...]“. / 8a: JHWH, du hast mich in deiner Gunst auf starke Berge gestellt. / 8b: Du verbargst dein Gesicht, / 8c: Ich war bestürzt“.

Die Wortfolge ist aber 7a: X-Qatal, 8a: X-Qatal, 8b: Qatal-X, 8c: Qatal-X, daher sollte man Vv. 7a.8a besser als Umstandssätze deuten: „7a: Als ich... 8a: weil du/[und] als du... 8b: da... 8c: und da...“.

Das וַאֲנִי in 7a dient nur der Bildung der Wortfolge X-Qatal und sollte keinesfalls derart betont übersetzt werden, wie es gern getan wird („Und ich, ich sagte...“). (Zurück zu v.7 / zu v.8)
rDas „Wanken“ ist in der biblischen Poesie eine häufige Metapher für eine Gefährdung, aus der direkt Vernichtung und Tod folgt. Wer dagegen „nicht wankt“ ist sicher und geschützt und wird daher ewig bestehen; s. bes. gut Spr 10,30; 12,3; auch Ps 16,8; 46,6f; 62,3.7; 112,6; 125,1. Wie an den Stellen zu sehen ist, handelt es sich bei diesem nicht-Wanken meist um eine Gnadengabe Gottes; so ja auch hier, s. V. 8.
Der Gnadenentzug JHWHs in V. 9 kommt dann sehr unmotiviert; man hat deshalb versucht, dem Psalmisten zu unterstellen, dass er sich ähnlich wie der Frevler in Ps 10,6 der Hybris schuldig mache (und übersetzt dann auch das obige „Sorglosigkeit“ mit „Selbstsicherheit“, „Gedankenlosigkeit“ (Tromp 1986), „Selbstgeruhsamkeit“ (Weber 2007) oder „im Vertrauen auf mich“ (HER)). Vom Text her liegt das hier recht fern; man wird sich damit bescheiden müssen, dass der plötzliche Gnadenentzug JHWHs unerklärlich ist - dass er allein der Willkür Gottes geschuldet ist. (Zurück zu v.7)
sTextkritik: JHWH ist vielleicht metri causa zu streichen; s. BHS, Briggs 1906; Gunkel 1968; Kittel 1914; Kraus 1961; Schmidt 1934. Solche Streichungen metri causa sind zwar heute eher unbeliebt geworden; aber man sieht ja bereits an der Übersetzung, dass der Stichos untypisch lang ist. Dennoch sollte man heute davon wohl eher Abstand nehmen; vielleicht sollte man aber in der LF den Stichos als zwei Stichen setzen: „Weil du, JHWH, mich standfester gemacht hast / als die Berge standfest sind.“ (Zurück zu v.8)
tV. 8a könnte auch noch zum Selbstzitat in 7b gehören: „Ich werde niemals wanken, weil du, oh JHWH, mich standfester als die starken Berge gemacht hast.“

Der Text selbst ist schwierig; wörtlich scheint er auf den ersten Blick zu bedeuten: „Du hast meinem Berg Stärke hingestellt“. Früher wurde er deshalb oft so erklärt, dass der Sprechende - wie in der Überschrift angegeben - David wäre, der davon spreche, dass Gott „seinen“ Berg - den Zion - so stark gemacht habe. Diese Interpretation ist heute nicht mehr vertretbar (Gunkel 1968; Wachter 1966), weshalb man zu einer der folgenden Lösungen greifen muss:

  1. Craigie 1983; Dahood 1965 und Tromp 1986 konstruieren הֶעֱמַדְתָּה mit einem double-duty-Suffix (-> Brachylogie) aus 8b und in der Bedeutung „standfest sein“ (also nicht „du hast gestellt“, sondern „du hast mich standfest gemacht); לְ deuten sie als lamed comparativum („wie, als“; so offenbar auch GRAIL: „your favor had set me like a mountain stronghold“): Du machtest mich standfester als die starken Berge; s. Ps 125,1.
    Wir schließen uns dieser Deutung an, da sie als einzige keiner Emendation bedarf. לְהַרְרִי sollte man aber wahrscheinlich doch besser mit Craigie und gegen Dahood und Tromp zu לְהַרְרֵי umpunktieren.
  2. Alternativ sind viele Emendationsvorschläge gemacht worden. Statt הֶעֱמַדְתָּה לְהַרְרִי עֹז du stelltest meinem Berg Stärke hin wäre zu lesen:
    1. הֶעֱמַדְתָּנִי לְהַרְרֵי עֹז Du hast mich auf starke Berge gestellt: Bonkamp 1949 (?); Kittel 1914; Kraus 1961; Schmidt 1934; Schökel 1980; s. Ps 40,3
    2. הָעֲמַדְתִּי לְהַרְרֵי עֹז Ich war gestellt auf starke Berge: Gunkel 1968; Kraus 1961
    3. הֶעֱמַדְתָּה לִי הַרְרֵי עֹז Du hast mir schützende Berge hingestellt: Wachter 1966; offenbar auch Dillmann
    4. הֶעֱמַדְתָּה לִי הָדָר וְעֹז Du hast mir Würde und Stärke verliehen: Bertholet 1923; Kissane 1953; FENZ; GUAR
    5. הֶעֱמַדְתָּה לְהֲדָרֵי עֹז Du hast meiner Würde Stärke verliehen: LXX, Spieckermann 1989 (Zurück zu v.8)
uDie Bedeutung dieser Redewendung ist recht eindeutig: Die Rede vom „Verbergen des Gesichtes“ findet sich häufiger in der Bibel und bedeutet wörtlich „nicht hinsehen“ (s. z.B. Ex 3,6; Ps 10,11; 51,11); in Bezug auf JHWHs Gesicht ist der Ausdruck dann sprichwörtlich geworden für einen Gnadenentzug JHWHs (s. Dtn 31,17f.20; Ps 13,2; 22,25; 27,9; 44,25; 69,18; 88,15; 102,3; 104,29; 143,7; Jes 8,17; 54,8; 59,2; 64,6; Jer 33,5; Ez 39,23f.29; Mic 3,4): JHWH verbirgt sein Gesicht vor jemandem = JHWH schaut jemanden nicht mehr gnädig an (und lässt so zu, dass Unheil über ihn hereinbricht).
Dahood 1965 leitet (wie schon Ps 10,11) הִסְתַּרְתָּ du hast verborgen von סור umkehren mit t-Infix ab (dazu vgl. Waldman 1989, S. 34-36; ebenso wird das selbe Wort in Ijob 3,10 und Ijob 13,24 von Blommerde 1969, S. 14 analysiert): „Du hast abgewandt“. Doch ist das sprachlich unwahrscheinlich und wohl unnötig; vgl. Friedman 1977. (Zurück zu v.8)
vDarüber, dass Vv. 10f. den vergangenen Flehruf des Psalmisten zitiert, besteht heute Konsens (Kissane 1953 und Zorell 1928 nach LXX dagegen nur V. 10; Buttenwieser 1938 sogar Vv. 10-13; dafür müssen sie aber unnötigerweise mehrfach emendieren). V. 9 wird dabei meist als Redeeinleitung aufgefasst: „[Damals] rief ich zu dir, JHWH / meinen Herrn flehte ich an: ‚...‘“. Das ist sicher nicht so; die beiden Verben in V. 9 stehen im Yiqtol, und eine Wiedergabe durch Vergangenheit „widerspricht jeder Regel“ (Buttenwieser 1938, S. 575). Allenfalls möglich wäre eine iterative Deutung: „immer wieder rief ich zu dir, JHWH...“, so aber nur Weber 2007; vgl. noch Tromp 1986, S. 257. Daher sollte man V. 9 wohl besser auch zum vergangenen Flehruf rechnen, der derart hier ohne Redeeinleitung zitiert wird (Zitate stehen in der biblischen Poesie oft ohne Redeeinleitung), und selbst eine Redeeinleitung ergänzen. (Zurück zu v.9)
wTextkritik: Viele Exegeten emendieren, um den Personenwechsel zu vermeiden, nach Syr und Tg וְאֶל־אֲדֹנָי und zu meinem Herrn zu וְאֵלֶיךָ אֲדֹנָי: und zu dir, meinem Herrn. Dahood 1965 will sogar emendieren: וְאֵל אֲדֹנָי: Oh El, mein Herr. Unnötig: P-Shift (ad loc. ähnlich Spieckermann 1989, S. 255). Das „zu dir, mein Herr“ von Tg und Syr kann auch einfach darauf zurückgeführt werden, dass sie das richtig gesehen haben; auch in der LF sollte besser so übertragen werden, da es solche Shifts im Deutschen nicht gibt. (Zurück zu v.9)
xzum Sinn vgl. gut Halévy 1895a, S. 32, der den Stichos als eine Kurzform von Gen 37,26 erklärt: „Welchen Gewinn hättest du, wenn du mich tötetest und mein Blut vergössest?“. Die Umpunktierung von בְּדָמִי in meinem Blut nach בְּדּמִּי wenn ich verstummte („Was nützte es, wenn ich verstummte“; Ehrlich 1905; Tromp 1986; Zorell 1928) ist unnötig. (Zurück zu v.10)
yzu „Schacht“ als Metapher für die Unterwelt vgl. FN c. (Zurück zu v.10)
zMeist: „Kann Staub dich preisen“, d.h. der Stoff, aus dem der Mensch nach Gen 2,7 besteht und der nach seinem Tod übrig bleibt.
Vielleicht sinnvoller: עפר kann evt. auch für tote Menschen stehen (vgl. TLOT 1185: „Leiche“; ad loc. auch Fürst 1078: „Tote“; s. noch HfA: „Kann ein Toter dir noch danken?“; auch die Info der BB: „Gemeint sind die Verstorbenen, die unten im Totenreich in staubtrockener Erde ruhen.“); dann „Können Tote dich preisen?“. Der Vers verdichtete dann das Motiv, dass gestorbene und in die Unterwelt hinabgefahrene Menschen vom Kontakt mit Gott abgeschnitten sind und ihn darum eben nicht mehr preisen können (s. Parallelstellen). Die Bedeutung „Tote“ für עפר ist aber zweifelhaft, daher sollte man wohl doch bei der Standard-Übersetzung bleiben. (Zurück zu v.10)
aaW. hören, ein häufiger term. tech. für die Gebetserhörung; so wohl auch hier. (Zurück zu v.11)
abDa hast du gut nach ; Gerstenberger 1972; GUAR; Schmidt 1934; Zenger 1987; ZÜR: V. 12 schildert die Reaktion Gottes auf den Flehruf des Psalmisten. (Zurück zu v.12)
acgegürtet - zum Bild s. zu Gen 3,7, Deutung (4): Wahrscheinlich war die altisraelitische Trauerkleidung (das „Sacktuch“) gürtelförmig; entweder trug man nur dieses Sacktuch statt einem Gürtel oder man trug es statt einem von Erwachsenen üblicherweise getragenem Gürtel (s. ebd., Deutung 2) über dem Gewand. Dieses Sacktuch soll also nun durch den ordentlichen Gürtel als „Freudenkleidung“ (im Ggs. zur „Trauerkleidung“) getragen werden. (Zurück zu v.12)
adzu kausalem לְמַעַן vgl. Fürst 847; Ges18 713; Kön 237. (Zurück zu v.13)
aeTextkritik: Leber (Herrlichkeit, Seele) - „Leber“ und „Herrlichkeit“ waren ursprünglich gleich geschrieben worden. Sehr nah verwandt ist diese Stelle mit Ps 16,9; 57,9; 108,2: An allen vier Stellen wird Gott entweder von der „Leber“ oder von der „Herrlichkeit“ des Beters besungen und die Masoreten haben sich jedes Mal für „Herrlichkeit“ entschieden. Einige Hebraisten glauben deshalb, dass „Herrlichkeit“ auch „Seele“ bedeuten und als solche Gott besingen kann. Dass es auch im Akkadischen stets entweder das Herz oder eben die „Leber“ ist, die sich freut und jubelt (vgl. Dhorme 1922, S. 509f.), spricht aber stark dafür, dass auch im Heb. md. an diesen vier Stellen „Leber“ zu lesen ist.
W.: „Darum will Leber dich besingen“; wohl mit double duty-Suffix (->Brachylogie) aus V. 12: „[meine] Leber“ (alternativ ergänzen fast alle Exegeten ein Suffix). (Zurück zu v.13)