Psalm 6: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Die Offene Bibel

Wechseln zu: Navigation, Suche
K
K
Zeile 45: Zeile 45:
  
 
{{S|5}} Kehre um, JHWH!<ref>''Kehre um, JHWH'' - Begegnendes Unheil führte man im Alten Israel oft darauf zurück, dass der zornige Gott sich von Betroffenen „abgewandt“ habe; entsprechend ist „Wende dich [mir wieder zu]“ hier gleichbedeutend mit „Sei mir gnädig“ in V. 3. Sinnvoll daher Buttenwieser 1938: „Cease from thine anger!“; GN: „Lass ab von deinem Zorn!“</ref> Rette<ref name="retten">''Rette'' + ''Errette (hilf)'' - Wortspiel im Hebräischen: Der Psalmist verwendet in Vv. 3.5 drei unterschiedliche Verben, die sich alle in der Bedeutung „retten“ treffen. Den beiden Verben in V. 5 ist zusätzlich die Bedeutung „herausziehen /-reißen“ gemeinsam. Dahinter steht folgendes: Im Alten Israel stellte man sich die Unterwelt als den tiefsten Ort des Kosmos vor; daher sprach man von ihr z.B. als dem „Brunnen“, der „Grube“, dem „Schacht“ oder der „Zisterne“ (vgl. z.B. Oesterley 1911, S. 139f; Schorch 2000, S. 97f) und davon, dass man zu ihr „hinabstieg“ oder aus ihr wieder „emporgezogen“ wurde. Von diesem Totenreich spricht V. 6; liest man also Vv. 5 und 6 zusammen, entsteht - gelesen nach dieser zweiten Bedeutung - der Eindruck, der Psalmist habe sich sogar bereits in diesem Totenreich befunden und JHWH habe ihn nach seinem Tod wiederbelebt. Diese hyperbolische Aussage, man sei bereits gestorben und JHWH habe den den Psalmisten wiederbelebt, findet sich häufig in den Psalmen, s. z.B. [[Psalm 9#s14 |Ps 9,14]]; [[Psalm 18#s5 |18,5-7]]; [[Psalm 30#s4 |30,4]]; [[Psalm 116#s3 |116,3-6]]; doch ist das nicht wörtlich zu verstehen (Insgesamt finden sich in Vv. 3-5.7f keine Anhaltspunkte dafür, worin das Leid des Psalmisten eigentlich bestand, denn alle dortigen Aussagen sind in den Psalmen (nur) häufige Bilder für Leid im Allgemeinen).</ref> meine Seele (mich)<ref>''meine Seele (mich)'' - „Seele“ im Heb. fast stets Wechselbegriff für „Ich“; übersetze: „Rette ''mich''!“</ref>!{{par|Psalm|80|15}}{{par|Psalm|86|13}}{{par|Psalm|90|13}}{{par|Psalm|116|3|4}}{{par|Jesaja|38|17}}{{par|Maleachi|3|7}}<br />
 
{{S|5}} Kehre um, JHWH!<ref>''Kehre um, JHWH'' - Begegnendes Unheil führte man im Alten Israel oft darauf zurück, dass der zornige Gott sich von Betroffenen „abgewandt“ habe; entsprechend ist „Wende dich [mir wieder zu]“ hier gleichbedeutend mit „Sei mir gnädig“ in V. 3. Sinnvoll daher Buttenwieser 1938: „Cease from thine anger!“; GN: „Lass ab von deinem Zorn!“</ref> Rette<ref name="retten">''Rette'' + ''Errette (hilf)'' - Wortspiel im Hebräischen: Der Psalmist verwendet in Vv. 3.5 drei unterschiedliche Verben, die sich alle in der Bedeutung „retten“ treffen. Den beiden Verben in V. 5 ist zusätzlich die Bedeutung „herausziehen /-reißen“ gemeinsam. Dahinter steht folgendes: Im Alten Israel stellte man sich die Unterwelt als den tiefsten Ort des Kosmos vor; daher sprach man von ihr z.B. als dem „Brunnen“, der „Grube“, dem „Schacht“ oder der „Zisterne“ (vgl. z.B. Oesterley 1911, S. 139f; Schorch 2000, S. 97f) und davon, dass man zu ihr „hinabstieg“ oder aus ihr wieder „emporgezogen“ wurde. Von diesem Totenreich spricht V. 6; liest man also Vv. 5 und 6 zusammen, entsteht - gelesen nach dieser zweiten Bedeutung - der Eindruck, der Psalmist habe sich sogar bereits in diesem Totenreich befunden und JHWH habe ihn nach seinem Tod wiederbelebt. Diese hyperbolische Aussage, man sei bereits gestorben und JHWH habe den den Psalmisten wiederbelebt, findet sich häufig in den Psalmen, s. z.B. [[Psalm 9#s14 |Ps 9,14]]; [[Psalm 18#s5 |18,5-7]]; [[Psalm 30#s4 |30,4]]; [[Psalm 116#s3 |116,3-6]]; doch ist das nicht wörtlich zu verstehen (Insgesamt finden sich in Vv. 3-5.7f keine Anhaltspunkte dafür, worin das Leid des Psalmisten eigentlich bestand, denn alle dortigen Aussagen sind in den Psalmen (nur) häufige Bilder für Leid im Allgemeinen).</ref> meine Seele (mich)<ref>''meine Seele (mich)'' - „Seele“ im Heb. fast stets Wechselbegriff für „Ich“; übersetze: „Rette ''mich''!“</ref>!{{par|Psalm|80|15}}{{par|Psalm|86|13}}{{par|Psalm|90|13}}{{par|Psalm|116|3|4}}{{par|Jesaja|38|17}}{{par|Maleachi|3|7}}<br />
: Errette (hilf)<ref name="retten" /> mich um deiner Barmherzigkeit (Huld, Liebe, Güte) willen<ref>''um deiner Huld willen'' - mehrdeutig: (1) Entweder ''läma`an'' („um...willen“) ''rationis impellentis'', mit dem der Beweggrund bezeichnet wird, aus dem jemand etwas tut (s. [[Psalm 25#s27 |Ps 25,7]]; [[Psalm 44#s27 |44,27]] (wie hier): „um deiner Huld/Barmherzigkeit willen“ = „aus Huld“; [[Psalm 143#s11 |Ps 143,11]]: „um deiner Gerechtigkeit willen“ = „aus Gerechtigkeit“; wohl auch [[Psalm 23#s3 |Ps 23,3]]; [[Psalm 25#s11 |25,11]]; [[Psalm 79#s9 |79,9]]; [[Psalm 106#s8 |106,8]]; [[Psalm 109#s21 |109,21]]; [[Psalm 143#s11 |143,11]]; [[Jeremia 14#s7 |Jer 14, 7.21]]: „um deines (herrlichen) Namens willen“=„weil du der (Herrliche) bist, der du bist“, vgl. TDOT XV, S. 174; Bratcher/Reyburn 1991, S. 233); vgl. ''ad loc.'' Bratcher/Reyburn 1991, S.61; TWAT I, S. 605f. Dieses ''läma`an rationis impellentis'' wird fast stets verwendet, um an diesen Charakterzug Gottes zu appellieren; funktional entspräche dem im Dt. daher eher „Errette mich, du Barmherziger“, wie z.B. häufig Fürbitten formuliert sind.<br />
+
: Errette (hilf)<ref name="retten" /> mich um deiner Barmherzigkeit (Huld, Liebe, Güte) willen<ref>''um deiner Huld willen'' - mehrdeutig:  
(2) ''chesed'' (hier: „Barmherzigkeit“) meint häufig die „Bündnistreue“ und wird derart nicht nur von Gott ausgesagt, der mit den Menschen seinen Bund geschlossen hat, sondern auch von den Menschen, mit denen Gott diesen Bund geschlossen hat (s. z.B. [[Hosea 12#s7 |Hos 12,7]]). ''läma`an chasdeka'' ließe sich daher auch übersetzen als „um [meiner] Bündnistreue zu dir willen“, und V. 6 würde dann näher spezifizieren, was damit gemeint ist: Der Psalmist könnte im Totenreich seiner Bündnispflicht des JHWH-Preises nicht nachkommen - es läge also ganz im Interesse Gottes, den Psalmisten zu retten. So aber nur Broyles 1989, S. 182f; Ehrlich 1905, S. 11.<br />Deutung (1) liegt näher, da - wie an den angeführten Stellen zu sehen ist - dieses ''läma`an [Charakterzug Gottes]'' ein häufiger Zug in Bitten ist; es könnte aber auch hier sein, dass bewusst mehrdeutig formuliert ist und auf diese kunstvolle Weise gleich zwei Gründe für JHWHs Rettungshandeln vorgebracht werden sollen.</ref>!{{par|Psalm|25|7}}{{par|Psalm|44|27}}{{par|Psalm|69|14}}{{par|Daniel|9|18}}
+
# Entweder ''läma`an'' („um...willen“) ''rationis impellentis'', mit dem der Beweggrund bezeichnet wird, aus dem jemand etwas tut (s. [[Psalm 25#s27 |Ps 25,7]]; [[Psalm 44#s27 |44,27]] (wie hier): „um deiner Huld/Barmherzigkeit willen“ = „aus Huld“; [[Psalm 143#s11 |Ps 143,11]]: „um deiner Gerechtigkeit willen“ = „aus Gerechtigkeit“; wohl auch [[Psalm 23#s3 |Ps 23,3]]; [[Psalm 25#s11 |25,11]]; [[Psalm 79#s9 |79,9]]; [[Psalm 106#s8 |106,8]]; [[Psalm 109#s21 |109,21]]; [[Psalm 143#s11 |143,11]]; [[Jeremia 14#s7 |Jer 14, 7.21]]: „um deines (herrlichen) Namens willen“=„weil du der (Herrliche) bist, der du bist“, vgl. TDOT XV, S. 174; Bratcher/Reyburn 1991, S. 233); vgl. ''ad loc.'' Bratcher/Reyburn 1991, S.61; TWAT I, S. 605f. Dieses ''läma`an rationis impellentis'' wird fast stets verwendet, um an diesen Charakterzug Gottes zu appellieren; funktional entspräche dem im Dt. daher eher „Errette mich, du Barmherziger“, wie z.B. häufig Fürbitten formuliert sind.
 +
# ''chesed'' (hier: „Barmherzigkeit“) meint häufig die „Bündnistreue“ und wird derart nicht nur von Gott ausgesagt, der mit den Menschen seinen Bund geschlossen hat, sondern auch von den Menschen, mit denen Gott diesen Bund geschlossen hat (s. z.B. [[Hosea 12#s7 |Hos 12,7]]). ''läma`an chasdeka'' ließe sich daher auch übersetzen als „um [meiner] Bündnistreue zu dir willen“, und V. 6 würde dann näher spezifizieren, was damit gemeint ist: Der Psalmist könnte im Totenreich seiner Bündnispflicht des JHWH-Preises nicht nachkommen - es läge also ganz im Interesse Gottes, den Psalmisten zu retten. So aber nur Broyles 1989, S. 182f; Ehrlich 1905, S. 11.
 +
Deutung (1) liegt näher, da - wie an den angeführten Stellen zu sehen ist - dieses ''läma`an [Charakterzug Gottes]'' ein häufiger Zug in Bitten ist; es könnte aber auch hier sein, dass bewusst mehrdeutig formuliert ist und auf diese kunstvolle Weise gleich zwei Gründe für JHWHs Rettungshandeln vorgebracht werden sollen.</ref>!{{par|Psalm|25|7}}{{par|Psalm|44|27}}{{par|Psalm|69|14}}{{par|Daniel|9|18}}
 
{{S|6}} Denn (Fürwahr!,) nicht [ist (findet statt)] im Totenreich<ref name="Scheol">''Totenreich'' + ''Scheol'': Nicht: „Hölle“ o.Ä., die alttestamentliche Vorstellung vom Leben nach dem Tod ist eine ganz andere als die christliche und eher mit der griechischen Vorstellung des Hades zu vergleichen: Ein Schattenreich, in das fast alle Gestorbenen als Schattengestalten hinabfahren, um dann nie wieder daraus zu entkommen. Einige übersetzen gelegentlich auch „Hades“; vielleicht ist das eine verständlichere Alternative?</ref> ein dich-Loben (Gedenken an dich)<br />
 
{{S|6}} Denn (Fürwahr!,) nicht [ist (findet statt)] im Totenreich<ref name="Scheol">''Totenreich'' + ''Scheol'': Nicht: „Hölle“ o.Ä., die alttestamentliche Vorstellung vom Leben nach dem Tod ist eine ganz andere als die christliche und eher mit der griechischen Vorstellung des Hades zu vergleichen: Ein Schattenreich, in das fast alle Gestorbenen als Schattengestalten hinabfahren, um dann nie wieder daraus zu entkommen. Einige übersetzen gelegentlich auch „Hades“; vielleicht ist das eine verständlichere Alternative?</ref> ein dich-Loben (Gedenken an dich)<br />
 
: und im Scheol<ref name="Scheol" /> - wer wird dich preisen?<ref>Der Sinn von V. 6 ist umstritten. Die naheliegendste Deutung ist, dass tatsächlich mit dem Argument an JHWH appelliert wird, er möge doch den Psalmisten retten, denn mit dessen Tod verlöre er ja einen Anbeter. Weil vielen Exegeten eine solch „egoistische“ Gottesvorstellung nicht angenehm ist, schlagen sie als Alternative vor, der Psalmist sehne sich zurück in die Gottesdienstgemeinde, in deren Reihen er sich sonst JHWHs erinnerte und ihn pries (so z.B. Achtemeier 1974, S. 84f; Podechard 1920, S. 46) oder dass er sich schlicht nach dem „grösste[n] Glück, das ein Frommer haben kann, das Glück, [s]eine Grossthaten zu preisen“ sehne (Duhm 1899, S. 21). Das ist unnötig, die naheliegendere Deutung findet sich noch häufiger in der Bibel (s. z.B. [[Psalm 30#s10 |Ps 30,10]]; [[Psalm 88#s11 |88,11-13]]; [[Jesaja 38#s17 |Jes 38,17f]]) und das Argument wird in [[Jesaja 48#s9 |Jes 48,9-11]] sogar ähnlich von JHWH selbst angewandt.</ref>{{par|Psalm|30|10}}{{par|Psalm|88|11|13}}{{par|Psalm|115|17}}{{par|Psalm|118|17}}{{par|Jesaja|38|17|18}}
 
: und im Scheol<ref name="Scheol" /> - wer wird dich preisen?<ref>Der Sinn von V. 6 ist umstritten. Die naheliegendste Deutung ist, dass tatsächlich mit dem Argument an JHWH appelliert wird, er möge doch den Psalmisten retten, denn mit dessen Tod verlöre er ja einen Anbeter. Weil vielen Exegeten eine solch „egoistische“ Gottesvorstellung nicht angenehm ist, schlagen sie als Alternative vor, der Psalmist sehne sich zurück in die Gottesdienstgemeinde, in deren Reihen er sich sonst JHWHs erinnerte und ihn pries (so z.B. Achtemeier 1974, S. 84f; Podechard 1920, S. 46) oder dass er sich schlicht nach dem „grösste[n] Glück, das ein Frommer haben kann, das Glück, [s]eine Grossthaten zu preisen“ sehne (Duhm 1899, S. 21). Das ist unnötig, die naheliegendere Deutung findet sich noch häufiger in der Bibel (s. z.B. [[Psalm 30#s10 |Ps 30,10]]; [[Psalm 88#s11 |88,11-13]]; [[Jesaja 38#s17 |Jes 38,17f]]) und das Argument wird in [[Jesaja 48#s9 |Jes 48,9-11]] sogar ähnlich von JHWH selbst angewandt.</ref>{{par|Psalm|30|10}}{{par|Psalm|88|11|13}}{{par|Psalm|115|17}}{{par|Psalm|118|17}}{{par|Jesaja|38|17|18}}

Version vom 13. Dezember 2014, 16:20 Uhr

Syntax ungeprüft

SF ungeprüft.png
Status: Studienfassung zu prüfen – Eine erste Übersetzung aus dem Urtext ist komplett, aber noch nicht mit den Übersetzungskriterien abgeglichen und nach den Standards der Qualitätssicherung abgesichert worden und sollte weiter verbessert und geprüft werden. Auf der Diskussionsseite ist Platz für Verbesserungsvorschläge, konstruktive Anmerkungen und zum Dokumentieren der Arbeit am Urtext.
Folgt-später.png
Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Lesefassung (Psalm 6)

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Anmerkungen

Studienfassung (Psalm 6)

1 Für den Chorleiter (Dirigenten, Singenden, Musizierenden)a.
Zum Saitenspiel (auf Saiteninstrumenten) auf der Achtenb.
Ein Psalm (begleitetes Lied) von (für, über, nach Art von) David.


2 JHWH, nicht in deinem Zornc strafe (züchtige) mich

Und nicht in deinem Grimmc züchtige mich.

3 Sei mir gnädig (erbarme dich meiner), JHWH, denn (fürwahr!,) ich [bin] schwach (ermattet)d.

Rette mich (heile mich), JHWH, denn (fürwahr!,) erschrocken sind (es zittern, es vergehen)e meine Knochen (mein Gebein, ich)e
4 Und meine Seele (mein Leben) ist sehr erschrocken (vergeht sehr)e.

{Und du,} JHWH, wie lange [noch] (bis wann)...?f


5 Kehre um, JHWH!g Retteh meine Seele (mich)i!

Errette (hilf)h mich um deiner Barmherzigkeit (Huld, Liebe, Güte) willenj!

6 Denn (Fürwahr!,) nicht [ist (findet statt)] im Totenreichk ein dich-Loben (Gedenken an dich)

und im Scheolk - wer wird dich preisen?l


7 Ich bin ermüdet durch mein Schluchzen (Seufzen)m,

ich überflute (lasse schwimmen)n jede Nachto [mit meinen Tränen]p mein Bett,
mit meinen Tränen weiche ich [jede Nacht]q mein Lager aufn.

8 Schwach geworden (dunkel geworden, geeitert, angeschwollen, hochmütig?)r vor Kummer (Gram) sind meine Augens,

sie sind gealtert wegen (ich bin gealtert wegen, sie sind geheftet auf?, sie [blicken] stolz/frech auf?)t all meiner Feinde (wegen all meinem Leid/meiner Notu).


9 Weicht von mir, alle Frevlerv!
{Ja!,} (denn)w gehört (erhört) hat JHWH den Klang meines Weinensx,

10 Gehört (erhört) hat JHWH mein Flehenx;
JHWH wird mein Gebet (Bittgebet)x annehmeny:

11 All meine Feinde werden sich schämen (zunichte werden)z und sehr erschrecken (vergehen)z,

Sie werden umkehren (von mir ablassen, wieder?, sterben?)z [und] sich plötzlich schämen (zunichte werden)z.

Anmerkungen

aGenaue Bedeutung unklar. Die gewählte Übersetzung ist mehr oder weniger Konvention, obwohl es nicht an alternativen Übersetzungsvorschlägen mangelt. (Zurück zu v.1)
bauf der Achten - Bedeutung unklar; die folgenden Deutungen sind nicht mehr als Spekulationen:
  1. Am häufigsten werden zur Erklärung noch die Verse 1 Chr 15,20f; Ps 12,1 und Ps 46,1 herangezogen: In Ps 12,1 steht ebenso wie in unserem Vers haschäminit im Titel; in 1 Chr 15,20f steht dieses Wort zusammen mit alamot, was wohl etwa „Jungfrauenweise“=„hohe Gesangsstimme“ bedeutet und sich auch Ps 46,1 im Titel findet; entsprechend wären die schäminit der Bass der Männerstimmen (so z.B. Craigie 1983, S. 80; Delitzsch 1894, S. 96). Zu übersetzen wäre dann etwa: „Für den Chorleiter. Für tiefe Stimmen mit Saitenbegleitung“.
  2. Ibn Ezra und Saadia gingen davon aus, dass es in der israelitischen Musik acht Tonarten gegeben habe und dieser Psalm also in der achten Tonart zu spielen sei (so z.B. auch Terrien 2003, S. 112; vgl. dazu auch Werner 1959, S. 384-388). Zu übersetzen wäre dann etwa „zu Saitenspiel im achten Ton“.
  3. Raschi und Kimchi dachten außerdem an achtsaitige Harfen, so z.B. auch Kraus 1961, S. XXVIII; doch gab es zur Abfassungszeit des Psalms solche Harfen wohl noch nicht (Terrien 2003, S. 112) und in 1 Chr 15,21 kann das Wort kein Instrument meinen. (Zurück zu v.1)
ctFN: nicht in deinem Zorn/Grimm - die beiden Negationspartikeln nicht sind durch die Präpositionalphrasen in deinem Zorn bzw. in deinem Grimm von den Verben getrennt. Das ist sehr untypisch im Hebräischen. Einige (z.B. Baethgen 1904; Broyles 1989, S. 180; Gunkel 1968; Olshausen 1853; Podechard 1920) gehen davon aus, dass so Nachdruck nicht auf die Verben, sd. auf die PPs gelegt werden soll („nicht im Zorn/Grimm strafe mich, [sondern nach dem Maßstab des Rechts (d.i. „fair“)]“; s. Jer 10,24; vgl. noch Jes 64,8: „Nicht ewig gedenke der Sünden!“; Spr 31,4: „Für Könige ziemt sich das nicht, Lemuel! / Für Könige ziemt es sich nicht, Wein zu trinken!“). Nach V. 3 ist aber der Gegensatz zu V. 2 („nicht im Zorn“) nicht „nach Gerechtigkeit“, sondern „[strafe mich nicht, sondern] erbarme dich meiner!“; sicher liegt der Fokus also dennoch auf den Verben (vgl. z.B. König 1927, S. 619; s. auch Jer 15,15, wo diese syntaktische Analyse ergäbe: *„Nicht langmütig vernichte mich [, sondern ungeduldig]!“). Vermutlich haben wir es also hier nur mit einer Wortstellungsvariante zu tun.

Die Funktion der PPs ist es dann, den Beweggrund JHWHs für die Bestrafung des Psalmisten anzugeben: „Strafe mich nicht aus Zorn“, und dann besser: „Strafe mich nicht trotz deines Zorns“, „Auch wenn du zornig bist, JHWH - strafe mich nicht!“ (Bratcher/Reyburn 1991, S. 59; ähnlich z.B. BFC, GN, PdV).

Anm. d. Üs. (S.W.): Wenn wir in V. 3 עֲצָמָֽי `atsamaj („meine Knochen“) als עצְמִי `atsmi („mein Gebein“) vokalisierten, ließe sich die Wortstellungsvariante damit erklären, dass so in Vv. 2f ein Endreim herbeigeführt werden soll: tokicheni („strafe mich“), täjasreni („züchtige mich“), ani („ich“), `atsmi („mein Gebein“). „Mein Gebein“ wäre dann ein kollektiver Singular mit der Bedeutung „meine Gebeine“, das deshalb mit Pluralverb konstruiert wurde und wegen diesem Pluralverb von den Masoreten fälschlicherweise als Plural vokalisiert wurde. (zu v.2)
dschwach - Nicht: „welk“ - überwörtlich (wenn denn „welken“ überhaupt wirklich die Primärbedeutung des zugehörigen Verbs ist). So aber viele Üss. und Lexika. Sinngemäß wohl „Ich bin im Zustand der Todesnähe“. Recht häufig hat das Verb außerdem md. die Konnotation „trauern“ (s. Jes 19,8; 24,4.7; Jer 14,2; Klg 2,8; Hos 4,3; Joel 1,10); so sicher auch hier, s. Vv. 7f. (Zurück zu v.3)
eerschrocken sind (es zittern, es vergehen) meine Knochen (mein Gebein, ich) - Bed. wohl: „Ich habe Angst; / ja: große Angst!“ (s. Deutung 2):
  1. Textkritik: Die Rede von den „erschrockenen Knochen“ scheint vielen Exegeten so merkwürdig, dass sie nibhalu („sie sind erschrocken“) emendieren wollen (-> Textkritik); entweder zu balu („sie werden morsch“, „sind abgenutzt“; so Cheyne, Halévy 1894c, S. 217, Kraus, Mowinckel, Podechard 1920, S. 45, Schlögl, Schmidt; erwogen auch von Kissane; s. auch BHS) oder zu nablu („sie sind verdorrt“; so Gunkel, Herkenne, Nötscher; Perles 1922, S. 51f; s. auch BHS). Das ist unnötig; alternativ möglich:
  2. Die „Knochen“ stehen im Hebräischen öfter (ebenso wie fast stets das folgende „Seele“; beide ebenso parallel in Ps 35,9f) pars pro toto für den ganzen Menschen (vgl. z.B. Achtemeier 1974, S. 81f; Broyles 1989, S. 179; Dalglish 1962, S. 143; Kirkpatrick 1912, S. 81; Loretz 1990, S. 202). V. 3b und 4a haben dann beide die selbe Bedeutung: „Ich bin erschrocken, / ja, sehr erschrocken.“
  3. Das Verb kann nicht nur von psychischen Vorgängen gebraucht werden:
    1. kann es wohl auch „zittern“ bedeuten, s. z.B. Ez 7,27: „die Hände meines Volkes bahal=zittern“; dann Anataklasis: „Meine Knochen zittern (=Ich zittere) / und meine Seele ist (=ich bin) sehr erschrocken“; so z.B. Alexander 1850; Goldingay 2006; Houston/Moore/Waltke 2014; Terrien 2003.
    2. kann das Verb auch „vergehen“ bedeuten, vgl. Ges18 und s. Ps 83,18; 90,7; 104,29; Zef 1,18; ws. auch Jes 13,8. Dann
      1. entweder ebenfalls Anataklasis: „Meine Gebeine (=ich) vergehen / und meine Seele (=ich) ist sehr erschrocken“ (so Airoldi 1968; wohl auch Buttenwieser 1938)
      2. oder beides als „vergehen“: „Meine Gebeine (=ich) vergehen / und meine Seele (=ich) vergeht sehr“ (so Gowen 1929).
Ein hebräischer Leser hätte den Vers vermutlich zumindest zunächst nach Deutung (2) verstanden: Für (1) ist eine Emendation nötig; bei (3.1) und (3.2.1) müsste man eine Anataklasis annehmen, was sich zwar gar nicht selten findet, aber immer heißt: Der Text muss „gegen den Strich gelesen werden“; bei (3.2.2) stört das „sehr“. (zu v.3 / zu v.4)
fAposiopese: Beinahe bricht aus dem Psalmist hier ein verzweifelter Vorwurf hervor, den er gerade noch zurückhalten kann (standardmäßig eingeleitet mit „Wie lange (denn noch)...?“, s. z.B. Ps 13,2f; Ps 74,10; Ps 80,5; Ps 94,3; Hab 1,2; ebenso abgebrochen in Ps 90,13). Daher ist auch das einleitende „und du,“ nicht zu übersetzen: Im Hebräischen dient wä´atta („und du“) oft nur als sog. „Diskurspartikel“, die Emphase auf einen bittenden oder befehlenden Diskursabschnitt legen soll (vgl. ähnlich z.B. Lyavdansky 2012, S. 19f; s. z.B. Ps 22,20; 42,11; 55,24; 59,6; 109,21 u.ö.); hier legt sie also Emphase auf die begonnene Klage und verstärkt so zusätzlich die Wirkung des Satzabbruchs. Stilistisch daher am Besten: „Ach, JHWH, wie lange denn noch...!?“ (Zurück zu v.4)
gKehre um, JHWH - Begegnendes Unheil führte man im Alten Israel oft darauf zurück, dass der zornige Gott sich von Betroffenen „abgewandt“ habe; entsprechend ist „Wende dich [mir wieder zu]“ hier gleichbedeutend mit „Sei mir gnädig“ in V. 3. Sinnvoll daher Buttenwieser 1938: „Cease from thine anger!“; GN: „Lass ab von deinem Zorn!“ (Zurück zu v.5)
hRette + Errette (hilf) - Wortspiel im Hebräischen: Der Psalmist verwendet in Vv. 3.5 drei unterschiedliche Verben, die sich alle in der Bedeutung „retten“ treffen. Den beiden Verben in V. 5 ist zusätzlich die Bedeutung „herausziehen /-reißen“ gemeinsam. Dahinter steht folgendes: Im Alten Israel stellte man sich die Unterwelt als den tiefsten Ort des Kosmos vor; daher sprach man von ihr z.B. als dem „Brunnen“, der „Grube“, dem „Schacht“ oder der „Zisterne“ (vgl. z.B. Oesterley 1911, S. 139f; Schorch 2000, S. 97f) und davon, dass man zu ihr „hinabstieg“ oder aus ihr wieder „emporgezogen“ wurde. Von diesem Totenreich spricht V. 6; liest man also Vv. 5 und 6 zusammen, entsteht - gelesen nach dieser zweiten Bedeutung - der Eindruck, der Psalmist habe sich sogar bereits in diesem Totenreich befunden und JHWH habe ihn nach seinem Tod wiederbelebt. Diese hyperbolische Aussage, man sei bereits gestorben und JHWH habe den den Psalmisten wiederbelebt, findet sich häufig in den Psalmen, s. z.B. Ps 9,14; 18,5-7; 30,4; 116,3-6; doch ist das nicht wörtlich zu verstehen (Insgesamt finden sich in Vv. 3-5.7f keine Anhaltspunkte dafür, worin das Leid des Psalmisten eigentlich bestand, denn alle dortigen Aussagen sind in den Psalmen (nur) häufige Bilder für Leid im Allgemeinen). (zu v.5)
imeine Seele (mich) - „Seele“ im Heb. fast stets Wechselbegriff für „Ich“; übersetze: „Rette mich!“ (Zurück zu v.5)
jum deiner Huld willen - mehrdeutig:
  1. Entweder läma`an („um...willen“) rationis impellentis, mit dem der Beweggrund bezeichnet wird, aus dem jemand etwas tut (s. Ps 25,7; 44,27 (wie hier): „um deiner Huld/Barmherzigkeit willen“ = „aus Huld“; Ps 143,11: „um deiner Gerechtigkeit willen“ = „aus Gerechtigkeit“; wohl auch Ps 23,3; 25,11; 79,9; 106,8; 109,21; 143,11; Jer 14, 7.21: „um deines (herrlichen) Namens willen“=„weil du der (Herrliche) bist, der du bist“, vgl. TDOT XV, S. 174; Bratcher/Reyburn 1991, S. 233); vgl. ad loc. Bratcher/Reyburn 1991, S.61; TWAT I, S. 605f. Dieses läma`an rationis impellentis wird fast stets verwendet, um an diesen Charakterzug Gottes zu appellieren; funktional entspräche dem im Dt. daher eher „Errette mich, du Barmherziger“, wie z.B. häufig Fürbitten formuliert sind.
  2. chesed (hier: „Barmherzigkeit“) meint häufig die „Bündnistreue“ und wird derart nicht nur von Gott ausgesagt, der mit den Menschen seinen Bund geschlossen hat, sondern auch von den Menschen, mit denen Gott diesen Bund geschlossen hat (s. z.B. Hos 12,7). läma`an chasdeka ließe sich daher auch übersetzen als „um [meiner] Bündnistreue zu dir willen“, und V. 6 würde dann näher spezifizieren, was damit gemeint ist: Der Psalmist könnte im Totenreich seiner Bündnispflicht des JHWH-Preises nicht nachkommen - es läge also ganz im Interesse Gottes, den Psalmisten zu retten. So aber nur Broyles 1989, S. 182f; Ehrlich 1905, S. 11.
Deutung (1) liegt näher, da - wie an den angeführten Stellen zu sehen ist - dieses läma`an [Charakterzug Gottes] ein häufiger Zug in Bitten ist; es könnte aber auch hier sein, dass bewusst mehrdeutig formuliert ist und auf diese kunstvolle Weise gleich zwei Gründe für JHWHs Rettungshandeln vorgebracht werden sollen. (Zurück zu v.5)
kTotenreich + Scheol: Nicht: „Hölle“ o.Ä., die alttestamentliche Vorstellung vom Leben nach dem Tod ist eine ganz andere als die christliche und eher mit der griechischen Vorstellung des Hades zu vergleichen: Ein Schattenreich, in das fast alle Gestorbenen als Schattengestalten hinabfahren, um dann nie wieder daraus zu entkommen. Einige übersetzen gelegentlich auch „Hades“; vielleicht ist das eine verständlichere Alternative? (zu v.6)
lDer Sinn von V. 6 ist umstritten. Die naheliegendste Deutung ist, dass tatsächlich mit dem Argument an JHWH appelliert wird, er möge doch den Psalmisten retten, denn mit dessen Tod verlöre er ja einen Anbeter. Weil vielen Exegeten eine solch „egoistische“ Gottesvorstellung nicht angenehm ist, schlagen sie als Alternative vor, der Psalmist sehne sich zurück in die Gottesdienstgemeinde, in deren Reihen er sich sonst JHWHs erinnerte und ihn pries (so z.B. Achtemeier 1974, S. 84f; Podechard 1920, S. 46) oder dass er sich schlicht nach dem „grösste[n] Glück, das ein Frommer haben kann, das Glück, [s]eine Grossthaten zu preisen“ sehne (Duhm 1899, S. 21). Das ist unnötig, die naheliegendere Deutung findet sich noch häufiger in der Bibel (s. z.B. Ps 30,10; 88,11-13; Jes 38,17f) und das Argument wird in Jes 48,9-11 sogar ähnlich von JHWH selbst angewandt. (Zurück zu v.6)
mtFN: Schluchzen statt „Seufzen“ gut nach Dahood 1965; Houston/Moore/Waltke 2014; BBE, EVD, NCV, NLT. Sowohl beim Verb als auch beim Nomen passt diese Bedeutung an sämtlichen Stellen wesentlich besser. (Zurück zu v.7)
ntFN: überflute (lasse schwimmen) + weiche auf - zur Deutung der Bedeutung des ersten Verbs als „überfluten“ statt „schwimmen lassen“ vgl. Bosworth 2013, S. 39; von Soden 1991, S. 165f; zur Deutung des zweiten Verbs als „aufweichen“ von Soden 1991, S. 166. (zu v.7)
otFN: jede Nacht statt „die ganze Nacht“; diese iterative Deutung fordert die Verbform (Yiqtol). (Zurück zu v.7)
ptFN: [mit meinen Tränen] - Brachylogie aus Zeile 3; vgl. auch Goldingay 2006, S. 138. (Zurück zu v.7)
qtFN: [jede Nacht] - Brachylogie aus Zeile 2; vgl. auch Goldingay 2006, S. 138. (Zurück zu v.7)
rSchwach geworden (dunkel geworden, geeitert, angeschwollen, hochmütig?) - Bed. unsicher (-> Ter legomenon); sonst nur noch in Ps 31,10f (gesagt vom Auge, der Seele, dem Leib und den Knochen; ebenso wie hier mit „Trauer“ zusammenhängend). Für eine Übersicht über ältere Deutungen vgl. Zolli 1951.
  1. Früher wurde es meist abgeleitet von `asch („Motte“), dann: „Mein Auge ist vor Kummer mottenzerfressen = zerstört“, aber richtig Ehrlich 1905, S. 12: „Es ist wahrlich Zeit, dass man jede Erklärung ohne weiteres als albern verwerfe, die in ausgewählten klassischen Gedichten [...] die Möglichkeit von Bildern, wie ein mottenstichiges und durch Feinde gealtertes Auge, voraussetzt.“ So aber dennoch noch heute einige Exegeten.
  2. Sinnvoller daher abzuleiten (-> Etymologie) von arab. ghaththa („dünn/schwach werden; eitern“; vgl. z.B. Klein 1987, S. 489); dann: „Mein Auge ist schwach geworden (ZLH 635) / geeitert (Lambert 1899, S. 1899, S. 393)“. Zum Sinn vgl. FN j zu Ps 13,5.
  3. Zu den Alternativen „dunkel werden“ vgl. Jacob 1902, S. 107 (so auch Tg); zu „anschwellen“ Delekat 1964; auch KBL3, S. 850; zu „hochmütig“ Zolli 1951, der außerdem zw. V. 7 und 8 einen neuen Abschnitt beginnen lassen, vermutlich das „durch Kummer“ als „nach dem Kummer“ und das folgende „alt werden“ als „frech/stolz [blicken](?) deuten will. (Zurück zu v.8)
stFN: meine Augen - W. „mein Auge“; kollektiver Singular, vgl. z.B. Houston/Moore/Waltke 2014, S. 51. (Zurück zu v.8)
tsie sind gealtert wegen (ich bin gealtert wegen, sie sind geheftet auf?, sie [blicken] stolz/frech auf?) - „altern“ ist recht schwierig - erstens als Deutung der Wortbedeutung, zweitens in diesem Kontext. Sehr viele übersetzen daher freier als „sind schwach/matt geworden“, was aber wohl nicht in der Wortbedeutung liegen kann (als kommunikative Übersetzung aber sinnvoll ist; vgl. auch hier zum Sinn FN j zu Ps 13,5). Deissler, Kissane, Nötscher, Schmidt und Zorell wollen mit LXX, Aq, Sym, Hier, Syr emendieren zu „ich bin gealtert“, aber dass Feinde „mich“ altern lassen haben sollten ist ja genau so schwierig wie dass sie „meine Augen“ altern lassen haben sollten. Zu „geheftet auf“ vgl. Ehrlich 1905; ebenso schon Saadia; zu „[blicken] stolz/frech“ Zolli 1951 - doch keiner von beiden Vorschlägen hat Anklang in der Exegese gefunden. Man wird wohl bei den „gealterten Augen“ bleiben müssen. (Zurück zu v.8)
umeinem Leid/meiner Not - Bertholet, Gunkel, Schlögl, Schmidt und Kraus wollen - da ihnen das auf „Kummer“ folgende „Feinde“ merkwürdig scheint (so auch Bratcher/Reyburn 1991, S.63) - emendieren von tsoräraj („meine Feinde“) nach tsarati („mein Leid“). Das wäre wohl nicht einmal notwendig, da auch schon tsoräraj „mein Leid“ bedeuten könnte (so richtig Kissane 1953, S. 22f; vgl. schon Saadia: „viele meiner Leiden“); doch so und so ist „meine Feinde“ vorzuziehen - erstens, da in verwandten Psalmen (Ps 22; 38; 41; 102) die „Feinde“ die selbe Rolle spielen (so schon Podechard 1920, S. 47) und da der Parallelismus von Wirkung (d.h. hier: „Kummer“) und Ursache (d.h. hier: „all meine Feinde“) recht häufig ist.
Vielleicht aber auch Amphibolie und so eine Art Janus-Parallelismus: Das Wort wäre dann sowohl in der Bedeutung „mein Leid“ und in der Bedeutung „meine Feinde“ zu lesen; nach der ersten Bedeutung wäre der Sticho parallel zur vorangehenden Zeile, nach der zweiten Bedeutung würde er den Übergang zur dritten Strophe bereiten. (Zurück zu v.8)
vFrevler - stehende Wendung im Hebräischen; W.: „alle Tuenden von Frevel“.
Erst in diesem Vers wird offenbar, was eigentlich genau das Leid ist, das der Beter die vorigen acht Verse hindurch beklagt hat: Er wird von frevlerischen Feinden bedrängt. (Zurück zu v.9)
wtFN: {Ja!,} (denn) - emphatisches ki, im Dt. nicht zu übersetzen. (Zurück zu v.9)
xKlang meines Weinens + Flehen + Gebet (Bittgebet) - Die Aufeinanderfolge dieser drei Begriffe verdichtet ein Voranschreiten von unartikuliert nach artikuliert: qol („Klang“) bezeichnet primär das rein Akustische, das „Geräusch“ - der „Klang des Weinens“ sind also die unartikulierten Klagelaute. tähinna („Flehen“) meint den Akt der bittenden Hinwendung im Gebet, und täfilla ist eine Psalm-gattung - das „Bitt-/Klagegebet“. (Zurück zu v.9 / zu v.10)
yOder:

Gehört hat JHWH den Klang meines Weinens,

Gehört hat JHWH mein Flehen,
JHWH hat mein Gebet erhört.
Der Tempuswechsel in V. 10b wäre dann ein bedeutungsloser T-Shift (so z.B. de Hoop 2009, S. 458f.) und man müsste davon ausgehen, dass zwischen Vv. 2-8 und Vv. 9-11 eine gewisse Zeitspanne vergangen ist, in der JHWH die Bitte des Psalmisten gewähren konnte (so z.B. Schmidt 1934, S. 11). Aber wesentlich glatter ist es doch, die beiden „Gehört hat“ als Vergangenheit zu fassen und das „Annehmen wird“ als Futur: Der Psalmist hat sein Gebet gesprochen und kann sich nun voll Zuversicht gegen seine Feinde wenden, da er sich sicher sein kann, bald von Gott erhört zu werden (so z.B. Alter 2007; Olshausen 1853; Perowne 1880; zum Motiv dieser Erhörungsgewissheit in Klagepsalmen vgl. am besten Markschies 1991 und Janowski 2001). Aus diesem Grund ist in Vv. 9b.10a schama´ auch als „gehört“ statt „erhört“ zu fassen (so gut z.B. schon Duhm 1899, S. 22). (Zurück zu v.10)
zsich schämen (zunichte werden) + erschrecken (vergehen) + zurückweichen (wieder?, sterben?) - Wortspiel im Hebräischen: Die Wörter für „schämen“, „erschrecken“ und evt. auch „zurückweichen“ (dazu vgl. Dahood 1965, S. 39; s. noch Ijob 1,21; 30,23; 34,15; Ps 9,18; Pred 3,20; 12,7 - doch nie (wie hier) ohne Ortsangabe) treffen sich in der sekundären Bedeutung „sterben“; es scheint also, als habe die Erhörung des Psalmisten durch Gott die Vernichtung der Feinde zur Folge (vgl. z.B. die Üs. von Achenbach 2004, S. 584: „Zuschanden und zerstieben gar sehr werden all meine Feinde“). Primär ist aber wohl eher eine Umkehrung der Verhältnisse gedacht: Die Feinde, die den Psalmisten jetzt noch bedrängen, werden sich nach JHWHs Erhörung „schämen“, und so, wie in Vv. 3f der Psalmist „sehr erschrocken“ ist, werden dann die Feinde „sehr erschrocken“ sein und gleich einem geschlagenen Heer „zurückweichen“. So auch fast sämtlich Kommentare und Üss.
Zurückweichen ließe sich außerdem theoretisch mit „wieder“ übersetzen: „Sie werden sich plötzlich wieder schämen“ (so z.B. Duhm 1899), doch das ist unwahrscheinlich. Nicht: „beschämt umkehren“; im verbalen Hendiadyoin spezifiziert das erste das zweite Verb, nicht aber umgekehrt. (zu v.11)