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{{S|1}} Für den Chorleiter (Dirigenten, Singenden, Musizierenden)<ref>Genaue Bedeutung unklar. Die gewählte Übersetzung ist mehr oder weniger Konvention, obwohl es nicht an alternativen Übersetzungsvorschlägen mangelt.</ref>.<br /> | {{S|1}} Für den Chorleiter (Dirigenten, Singenden, Musizierenden)<ref>Genaue Bedeutung unklar. Die gewählte Übersetzung ist mehr oder weniger Konvention, obwohl es nicht an alternativen Übersetzungsvorschlägen mangelt.</ref>.<br /> | ||
Zum Saitenspiel (auf Saiteninstrumenten) auf der Achten<ref>''auf der Achten'' - Bedeutung unklar; die folgenden Deutungen sind nicht mehr als Spekulationen:<br /> | Zum Saitenspiel (auf Saiteninstrumenten) auf der Achten<ref>''auf der Achten'' - Bedeutung unklar; die folgenden Deutungen sind nicht mehr als Spekulationen:<br /> | ||
− | # Am häufigsten werden zur Erklärung noch die Verse [[1 Chronik 15#s20 |1 Chr 15,20f]]; [[Psalm 12#s1 |Ps 12,1]] und [[Psalm 46#s1 |Ps 46,1]] herangezogen: In [[Psalm 12#s1 |Ps 12,1]] steht ebenso wie in unserem Vers ''haschäminit'' im Titel; in [[1 Chronik 15#s20 |1 Chr 15,20f]] steht dieses Wort zusammen mit ''alamot'', was wohl etwa „Jungfrauenweise“=„hohe Gesangsstimme“ bedeutet und sich auch [[Psalm 46#s1 |Ps 46,1]] im Titel findet | + | # Am häufigsten werden zur Erklärung noch die Verse [[1 Chronik 15#s20 |1 Chr 15,20f]]; [[Psalm 12#s1 |Ps 12,1]] und [[Psalm 46#s1 |Ps 46,1]] herangezogen: In [[Psalm 12#s1 |Ps 12,1]] steht ebenso wie in unserem Vers ''haschäminit'' im Titel; in [[1 Chronik 15#s20 |1 Chr 15,20f]] steht dieses Wort zusammen mit ''alamot'', was wohl etwa „Jungfrauenweise“=„hohe Gesangsstimme“ bedeutet und sich auch [[Psalm 46#s1 |Ps 46,1]] im Titel findet. Entsprechend wäre die ''schäminit'' der Bass der Männerstimmen (so z.B. Craigie 1983, S. 80; Delitzsch 1894, S. 96); zu übersetzen wäre dann etwa: „Für den Chorleiter. Für tiefe Stimmen mit Saitenbegleitung“.<br /> |
# Ibn Ezra und Saadia gingen davon aus, dass es in der israelitischen Musik acht Tonarten gegeben habe und dieser Psalm also in der achten Tonart zu spielen sei (so z.B. auch Terrien 2003, S. 112; vgl. dazu auch Werner 1959, S. 384-388). Zu übersetzen wäre dann etwa „zu Saitenspiel im achten Ton“.<br /> | # Ibn Ezra und Saadia gingen davon aus, dass es in der israelitischen Musik acht Tonarten gegeben habe und dieser Psalm also in der achten Tonart zu spielen sei (so z.B. auch Terrien 2003, S. 112; vgl. dazu auch Werner 1959, S. 384-388). Zu übersetzen wäre dann etwa „zu Saitenspiel im achten Ton“.<br /> | ||
# Raschi und Kimchi dachten außerdem an achtsaitige Harfen, so z.B. auch Kraus 1961, S. XXVIII; doch gab es zur Abfassungszeit des Psalms solche Harfen wohl noch nicht (Terrien 2003, S. 112) und in [[1 Chronik 15#s21 |1 Chr 15,21]] kann das Wort kein Instrument meinen.</ref>.<br /> | # Raschi und Kimchi dachten außerdem an achtsaitige Harfen, so z.B. auch Kraus 1961, S. XXVIII; doch gab es zur Abfassungszeit des Psalms solche Harfen wohl noch nicht (Terrien 2003, S. 112) und in [[1 Chronik 15#s21 |1 Chr 15,21]] kann das Wort kein Instrument meinen.</ref>.<br /> | ||
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− | {{S|2}} JHWH, nicht in deinem Zorn<ref name="V 2">'''tFN''': ''nicht in deinem Zorn/Grimm'' - die beiden Negationspartikeln ''nicht'' sind durch die Präpositionalphrasen ''in deinem Zorn'' bzw. ''in deinem Grimm'' von den Verben getrennt. Das ist sehr untypisch im Hebräischen. Einige (z.B. Baethgen 1904; Broyles 1989, S. 180; Gunkel 1968; Olshausen 1853; Podechard 1920) gehen davon aus, dass so Nachdruck nicht auf die Verben, sd. auf die PPs gelegt werden soll („nicht ''im Zorn/Grimm'' strafe mich, [sondern nach dem Maßstab des Rechts (d.i. „fair“)]“; s. [[Jeremias 10#s24 |Jer 10,24]]; vgl. noch [[Jesaja 64#s8 |Jes 64,8]]: „Nicht ''ewig'' gedenke der Sünden!“; [[Sprichwörter 31#s4 |Spr 31,4]]: „''Für Könige'' ziemt sich das nicht, Lemuel! / ''Für Könige'' ziemt es sich nicht, Wein zu trinken!“). Nach V. 3 ist aber der Gegensatz zu V. 2 („nicht im Zorn“) nicht „nach Gerechtigkeit“, sondern „[strafe mich nicht, sondern] erbarme dich meiner!“; sicher liegt der Fokus also dennoch auf den Verben (vgl. z.B. König 1927, S. 619; s. auch [[Jeremia 15#15 |Jer 15,15]], wo diese syntaktische Analyse ergäbe: <nowiki>*</nowiki>„Nicht ''langmütig'' vernichte mich [, sondern ungeduldig]!“). Vermutlich haben wir es also hier nur mit einer Wortstellungsvariante zu tun.<br /> | + | {{S|2}} JHWH, nicht in deinem Zorn<ref name="V 2">'''tFN''': ''nicht in deinem Zorn/Grimm'' - die beiden Negationspartikeln ''nicht'' sind durch die Präpositionalphrasen ''in deinem Zorn'' bzw. ''in deinem Grimm'' von den Verben getrennt. Das ist sehr untypisch im Hebräischen. Einige (z.B. <!--Baethgen 1904; -->Broyles 1989, S. 180<!--; Gunkel 1968; Olshausen 1853; Podechard 1920-->) gehen davon aus, dass so Nachdruck nicht auf die Verben, sd. auf die PPs gelegt werden soll („nicht ''im Zorn/Grimm'' strafe mich, [sondern nach dem Maßstab des Rechts (d.i. „fair“)]“; s. [[Jeremias 10#s24 |Jer 10,24]]<!--; vgl. noch [[Jesaja 64#s8 |Jes 64,8]]: „Nicht ''ewig'' gedenke der Sünden!“; [[Sprichwörter 31#s4 |Spr 31,4]]: „''Für Könige'' ziemt sich das nicht, Lemuel! / ''Für Könige'' ziemt es sich nicht, Wein zu trinken!“-->). Nach V. 3 ist aber der Gegensatz zu V. 2 („nicht im Zorn“) nicht „nach Gerechtigkeit“, sondern „[strafe mich nicht, sondern] erbarme dich meiner!“; sicher liegt der Fokus also dennoch auf den Verben (vgl. z.B. König 1927, S. 619<!--; s. auch [[Jeremia 15#15 |Jer 15,15]], wo diese syntaktische Analyse ergäbe: <nowiki>*</nowiki>„Nicht ''langmütig'' vernichte mich [, sondern ungeduldig]!“-->). Vermutlich haben wir es also hier nur mit einer Wortstellungsvariante zu tun.<br /> |
Die Funktion der PPs ist es dann, den Beweggrund JHWHs für die Bestrafung des Psalmisten anzugeben: „Strafe mich nicht ''aus Zorn''“, und dann besser: „Strafe mich nicht ''trotz deines Zorns''“, „''Auch wenn du zornig bist'', JHWH - strafe mich nicht!“ (Bratcher/Reyburn 1991, S. 59; ähnlich z.B. BFC, GN, PdV).<br /> | Die Funktion der PPs ist es dann, den Beweggrund JHWHs für die Bestrafung des Psalmisten anzugeben: „Strafe mich nicht ''aus Zorn''“, und dann besser: „Strafe mich nicht ''trotz deines Zorns''“, „''Auch wenn du zornig bist'', JHWH - strafe mich nicht!“ (Bratcher/Reyburn 1991, S. 59; ähnlich z.B. BFC, GN, PdV).<br /> | ||
'''Anm. d. Üs.''' (S.W.): Wenn wir in V. 3 {{hebr}}עֲצָמָֽי{{hebr ende}} ''`atsamaj'' („meine Knochen“) als {{hebr}}עצְמִי{{hebr ende}} ''`atsmi'' („mein Gebein“) vokalisierten, ließe sich die Wortstellungsvariante damit erklären, dass so in Vv. 2f ein Endreim herbeigeführt werden soll: ''tokiche'''ni''''' („strafe mich“), ''täjasre'''ni''''' („züchtige mich“), ''a'''ni''''' („ich“), ''`ats'''mi''''' („mein Gebein“). „Mein Gebein“ wäre dann ein kollektiver Singular mit der Bedeutung „meine Gebeine“, das deshalb mit Pluralverb konstruiert wurde und wegen diesem Pluralverb von den Masoreten fälschlicherweise als Plural vokalisiert wurde.</ref> strafe (züchtige) mich<br /> | '''Anm. d. Üs.''' (S.W.): Wenn wir in V. 3 {{hebr}}עֲצָמָֽי{{hebr ende}} ''`atsamaj'' („meine Knochen“) als {{hebr}}עצְמִי{{hebr ende}} ''`atsmi'' („mein Gebein“) vokalisierten, ließe sich die Wortstellungsvariante damit erklären, dass so in Vv. 2f ein Endreim herbeigeführt werden soll: ''tokiche'''ni''''' („strafe mich“), ''täjasre'''ni''''' („züchtige mich“), ''a'''ni''''' („ich“), ''`ats'''mi''''' („mein Gebein“). „Mein Gebein“ wäre dann ein kollektiver Singular mit der Bedeutung „meine Gebeine“, das deshalb mit Pluralverb konstruiert wurde und wegen diesem Pluralverb von den Masoreten fälschlicherweise als Plural vokalisiert wurde.</ref> strafe (züchtige) mich<br /> | ||
: Und nicht in deinem Grimm<ref name="V 2" /> züchtige mich.{{par|Psalm|38|2}}{{par|Jeremia|10|24}}<br /> | : Und nicht in deinem Grimm<ref name="V 2" /> züchtige mich.{{par|Psalm|38|2}}{{par|Jeremia|10|24}}<br /> | ||
− | {{S|3}} Sei mir gnädig (erbarme dich meiner), JHWH, denn (fürwahr!,) ich [bin] schwach (ermattet)<ref>''schwach'' - Nicht: „welk“ - überwörtlich (wenn denn „welken“ überhaupt wirklich die Primärbedeutung des zugehörigen Verbs ist). So aber viele Üss. und Lexika. Sinngemäß wohl | + | {{S|3}} Sei mir gnädig (erbarme dich meiner), JHWH, denn (fürwahr!,) ich [bin] schwach (ermattet)<ref>''schwach'' - Nicht: „welk“ - überwörtlich (wenn denn „welken“ überhaupt wirklich die Primärbedeutung des zugehörigen Verbs ist). So aber viele Üss. und Lexika. Sinngemäß wohl ein wörtlich verstandenes „todtraurig“, „so traurig, dass ich dem Tode nahe bin“; s. z.B. [[Jesaja 24#s4|Jes 24,4.7]]: „''Es trauert und verdorrt die Erde; es ''amal'' und verdorrt die Welt; es ''amal'' die Höhen der Erde. ... Es trauert die Rebe, es ''amal'' der Wein; es seufzen alle, die fröhlichen Herzens [waren].''“; [[Hosea 4#s3 |Hos 4,3]]: „''Deshalb wird trauern das Land und es ''amal'' alle, die darin wohnen. Die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres werden dahingerafft.''“ u.ö.</ref>.{{par|Psalm|25|16}}{{par|Psalm|31|10}}<br /> |
: Rette mich (heile mich), JHWH, denn (fürwahr!,) erschrocken sind (es zittern, es vergehen)<ref name="vergehen">''erschrocken sind (es zittern, es vergehen) meine Knochen (mein Gebein, ich)'' - Bed. wohl: „Ich habe Angst; / ja: große Angst!“ (s. Deutung 2):<br /> | : Rette mich (heile mich), JHWH, denn (fürwahr!,) erschrocken sind (es zittern, es vergehen)<ref name="vergehen">''erschrocken sind (es zittern, es vergehen) meine Knochen (mein Gebein, ich)'' - Bed. wohl: „Ich habe Angst; / ja: große Angst!“ (s. Deutung 2):<br /> | ||
− | # '''Textkritik''': Die Rede von den „erschrockenen Knochen“ scheint vielen Exegeten so merkwürdig, dass sie ''nibhalu'' („sie sind erschrocken“) emendieren wollen | + | # '''Textkritik''': Die Rede von den „erschrockenen Knochen“ scheint vielen Exegeten so merkwürdig, dass sie ''nibhalu'' („sie sind erschrocken“) emendieren wollen - entweder zu ''balu'' („sie werden morsch“, „sind abgenutzt“<!--; so Cheyne, Halévy 1894c, S. 217, Kraus, Mowinckel, Podechard 1920, S. 45, Schlögl, Schmidt; erwogen auch von Kissane-->) oder zu ''nablu'' („sie sind verdorrt“<!--; so Gunkel, Herkenne, Nötscher; Perles 1922, S. 51f-->; zu beidem s. auch BHS). Das ist unnötig; alternativ möglich: |
− | # Die „Knochen“ stehen im Hebräischen öfter (ebenso wie fast stets das folgende „Seele“; beide ebenso parallel in [[Psalm 35#s9 |Ps 35,9f]]) pars pro toto für den ganzen Menschen (vgl. z.B. Achtemeier 1974, S. 81f; Broyles 1989, S. 179; Dalglish 1962, S. 143; Kirkpatrick 1912, S. 81; Loretz 1990, S. 202). V. 3b und 4a haben dann beide die selbe Bedeutung: „Ich bin erschrocken, / ja, sehr erschrocken.“ | + | # Die „Knochen“ stehen im Hebräischen öfter (ebenso wie fast stets das folgende „Seele“; beide ebenso parallel in [[Psalm 35#s9 |Ps 35,9f]]: „''Und meine Seele soll sich freuen wegen JHWH... All meine Knochen sollen sagen: JHWH, wer ist wie du?''“) pars pro toto für den ganzen Menschen (vgl. z.B. <!--Achtemeier 1974, S. 81f; Broyles 1989, S. 179; -->Dalglish 1962, S. 143<!--; Kirkpatrick 1912, S. 81; Loretz 1990, S. 202-->). V. 3b und 4a haben dann beide die selbe Bedeutung: „Ich bin erschrocken, / ja, sehr erschrocken.“ |
# Das Verb kann nicht nur von psychischen Vorgängen gebraucht werden: | # Das Verb kann nicht nur von psychischen Vorgängen gebraucht werden: | ||
## kann es wohl auch „zittern“ bedeuten, s. z.B. [[Ezechiel 7#s27 |Ez 7,27]]: „die ''Hände'' meines Volkes ''bahal''=zittern“; dann Anataklasis: „Meine Knochen zittern (=Ich zittere) / und meine Seele ist (=ich bin) sehr erschrocken“; so z.B. Alexander 1850; Goldingay 2006; Houston/Moore/Waltke 2014; Terrien 2003. | ## kann es wohl auch „zittern“ bedeuten, s. z.B. [[Ezechiel 7#s27 |Ez 7,27]]: „die ''Hände'' meines Volkes ''bahal''=zittern“; dann Anataklasis: „Meine Knochen zittern (=Ich zittere) / und meine Seele ist (=ich bin) sehr erschrocken“; so z.B. Alexander 1850; Goldingay 2006; Houston/Moore/Waltke 2014; Terrien 2003. | ||
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Ein hebräischer Leser hätte den Vers vermutlich zumindest zunächst nach Deutung (2) verstanden: Für (1) ist eine Emendation nötig; bei (3.1) und (3.2.1) müsste man eine Anataklasis annehmen, was sich zwar gar nicht selten findet, aber immer heißt: Der Text muss „gegen den Strich gelesen werden“; bei (3.2.2) stört das „sehr“.</ref> meine Knochen (mein Gebein, ich)<ref name="vergehen" />{{par|Ijob|4|14}}{{par|Ijob|5|18}}{{par|Psalm|22|15}}{{par|Psalm|30|3}}{{par|Psalm|31|11}}{{par|Psalm|32|3}}{{par|Psalm|41|5}}{{par|Psalm|147|3}}{{par|Jeremia|17|14}}{{par|Hosea|6|1}}<br /> | Ein hebräischer Leser hätte den Vers vermutlich zumindest zunächst nach Deutung (2) verstanden: Für (1) ist eine Emendation nötig; bei (3.1) und (3.2.1) müsste man eine Anataklasis annehmen, was sich zwar gar nicht selten findet, aber immer heißt: Der Text muss „gegen den Strich gelesen werden“; bei (3.2.2) stört das „sehr“.</ref> meine Knochen (mein Gebein, ich)<ref name="vergehen" />{{par|Ijob|4|14}}{{par|Ijob|5|18}}{{par|Psalm|22|15}}{{par|Psalm|30|3}}{{par|Psalm|31|11}}{{par|Psalm|32|3}}{{par|Psalm|41|5}}{{par|Psalm|147|3}}{{par|Jeremia|17|14}}{{par|Hosea|6|1}}<br /> | ||
: {{S|4}} Und meine Seele (mein Leben) ist sehr erschrocken (vergeht sehr)<ref name="vergehen" />. | : {{S|4}} Und meine Seele (mein Leben) ist sehr erschrocken (vergeht sehr)<ref name="vergehen" />. | ||
− | {Und du,} JHWH, wie lange [noch] (bis wann)...?<ref>Aposiopese: Beinahe bricht aus dem Psalmist hier ein verzweifelter Vorwurf hervor, den er gerade noch zurückhalten kann (standardmäßig eingeleitet mit „Wie lange (denn noch)...?“, s. z.B. [[Psalm 13#s2 |Ps 13,2f]]; [[Psalm 74#s10 |Ps 74,10]]; [[Psalm 80#s5 |Ps 80,5]]; [[Psalm 94#s3 |Ps 94,3]]; [[Habakkuk 1#s2 |Hab 1,2]]; ebenso abgebrochen in [[Psalm 90#s13 |Ps 90,13]]). Daher ist auch das einleitende „und du,“ nicht zu übersetzen: Im Hebräischen dient ''wä´atta'' („und du“) oft nur als sog. „Diskurspartikel“, die Emphase auf einen bittenden oder befehlenden Diskursabschnitt legen soll (vgl. ähnlich z.B. Lyavdansky 2012, S. 19f; s. z.B. [[Psalm 22#s20 |Ps 22,20]]; [[Psalm 42#s11 |42,11]]; [[Psalm 55#s24 |55,24]]; [[Psalm 59#s6 |59,6]]; [[Psalm 109#s21 |109,21]] u.ö.); hier legt | + | {Und du,} JHWH, wie lange [noch] (bis wann)...?<ref>Stilistisch am treffendsten: „Ach, JHWH, wie lange denn noch...!?“ - Aposiopese: Beinahe bricht aus dem Psalmist hier ein verzweifelter Vorwurf hervor, den er gerade noch zurückhalten kann (standardmäßig eingeleitet mit „Wie lange (denn noch)...?“, s. z.B. [[Psalm 13#s2 |Ps 13,2f]]; [[Psalm 74#s10 |Ps 74,10]]; [[Psalm 80#s5 |Ps 80,5]]; [[Psalm 94#s3 |Ps 94,3]]; [[Habakkuk 1#s2 |Hab 1,2]]; ebenso abgebrochen in [[Psalm 90#s13 |Ps 90,13]]). Daher ist auch das einleitende „und du,“ nicht zu übersetzen: Im Hebräischen dient ''wä´atta'' („und du“) oft nur als sog. „Diskurspartikel“, die Emphase auf einen bittenden oder befehlenden Diskursabschnitt legen soll (vgl. ähnlich z.B. Lyavdansky 2012, S. 19f; s. z.B. [[Psalm 22#s20 |Ps 22,20]]; [[Psalm 42#s11 |42,11]]; [[Psalm 55#s24 |55,24]]; [[Psalm 59#s6 |59,6]]; [[Psalm 109#s21 |109,21]] u.ö.); hier legt es also Emphase auf die begonnene Klage und verstärkt so zusätzlich die Wirkung des Satzabbruchs.</ref>{{par|Psalm|13|2|3}}{{par|Psalm|90|13}}{{par|Jesaja|57|16}}<br /> |
Version vom 14. Dezember 2014, 17:59 Uhr
Syntax ungeprüft
Anmerkungen
Studienfassung (Psalm 6)
1 Für den Chorleiter (Dirigenten, Singenden, Musizierenden)〈a〉.
Zum Saitenspiel (auf Saiteninstrumenten) auf der Achten〈b〉.
Ein Psalm (begleitetes Lied) von (für, über, nach Art von) David.℘
2 JHWH, nicht in deinem Zorn〈c〉 strafe (züchtige) mich
3 Sei mir gnädig (erbarme dich meiner), JHWH, denn (fürwahr!,) ich [bin] schwach (ermattet)〈d〉.℘℘
- Rette mich (heile mich), JHWH, denn (fürwahr!,) erschrocken sind (es zittern, es vergehen)〈e〉 meine Knochen (mein Gebein, ich)〈e〉℘℘℘℘℘℘℘℘℘℘
- 4 Und meine Seele (mein Leben) ist sehr erschrocken (vergeht sehr)〈e〉.
{Und du,} JHWH, wie lange [noch] (bis wann)...?〈f〉℘℘℘
5 Kehre um, JHWH!〈g〉 Rette〈h〉 meine Seele (mich)〈i〉!℘℘℘℘℘℘
6 Denn (Fürwahr!,) nicht [ist (findet statt)] im Totenreich〈k〉 ein dich-Loben (Gedenken an dich)
7 Ich bin ermüdet durch mein Schluchzen (Seufzen)〈m〉,℘
- ich überflute (lasse schwimmen)〈n〉 jede Nacht〈o〉 [mit meinen Tränen]〈p〉 mein Bett,
- mit meinen Tränen weiche ich [jede Nacht]〈q〉 mein Lager auf〈n〉.℘℘
8 Schwach geworden (dunkel geworden, geeitert, angeschwollen, hochmütig?)〈r〉 vor Kummer (Gram) sind meine Augen〈s〉,℘℘℘℘
- sie sind gealtert wegen (ich bin gealtert wegen, sie sind geheftet auf?, sie [blicken] stolz/frech auf?)〈t〉 all meiner Feinde (wegen all meinem Leid/meiner Not〈u〉).℘℘℘℘℘
9 Weicht von mir, alle Frevler〈v〉!℘℘℘℘℘
{Ja!,} (denn)〈w〉 gehört (erhört) hat JHWH den Klang meines Weinens〈x〉,℘℘
- 10 Gehört (erhört) hat JHWH mein Flehen〈x〉;
- JHWH wird mein Gebet (Bittgebet)〈x〉 annehmen〈y〉:℘℘℘℘℘℘℘℘
11 All meine Feinde werden sich schämen (zunichte werden)〈z〉 und sehr erschrecken (vergehen)〈z〉,℘℘℘℘
Anmerkungen
a | Genaue Bedeutung unklar. Die gewählte Übersetzung ist mehr oder weniger Konvention, obwohl es nicht an alternativen Übersetzungsvorschlägen mangelt. (Zurück zu v.1) |
b | auf der Achten - Bedeutung unklar; die folgenden Deutungen sind nicht mehr als Spekulationen:
|
c | tFN: nicht in deinem Zorn/Grimm - die beiden Negationspartikeln nicht sind durch die Präpositionalphrasen in deinem Zorn bzw. in deinem Grimm von den Verben getrennt. Das ist sehr untypisch im Hebräischen. Einige (z.B. Broyles 1989, S. 180) gehen davon aus, dass so Nachdruck nicht auf die Verben, sd. auf die PPs gelegt werden soll („nicht im Zorn/Grimm strafe mich, [sondern nach dem Maßstab des Rechts (d.i. „fair“)]“; s. Jer 10,24). Nach V. 3 ist aber der Gegensatz zu V. 2 („nicht im Zorn“) nicht „nach Gerechtigkeit“, sondern „[strafe mich nicht, sondern] erbarme dich meiner!“; sicher liegt der Fokus also dennoch auf den Verben (vgl. z.B. König 1927, S. 619). Vermutlich haben wir es also hier nur mit einer Wortstellungsvariante zu tun. Die Funktion der PPs ist es dann, den Beweggrund JHWHs für die Bestrafung des Psalmisten anzugeben: „Strafe mich nicht aus Zorn“, und dann besser: „Strafe mich nicht trotz deines Zorns“, „Auch wenn du zornig bist, JHWH - strafe mich nicht!“ (Bratcher/Reyburn 1991, S. 59; ähnlich z.B. BFC, GN, PdV). |
d | schwach - Nicht: „welk“ - überwörtlich (wenn denn „welken“ überhaupt wirklich die Primärbedeutung des zugehörigen Verbs ist). So aber viele Üss. und Lexika. Sinngemäß wohl ein wörtlich verstandenes „todtraurig“, „so traurig, dass ich dem Tode nahe bin“; s. z.B. Jes 24,4.7: „Es trauert und verdorrt die Erde; es amal und verdorrt die Welt; es amal die Höhen der Erde. ... Es trauert die Rebe, es amal der Wein; es seufzen alle, die fröhlichen Herzens [waren].“; Hos 4,3: „Deshalb wird trauern das Land und es amal alle, die darin wohnen. Die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres werden dahingerafft.“ u.ö. (Zurück zu v.3) |
e | erschrocken sind (es zittern, es vergehen) meine Knochen (mein Gebein, ich) - Bed. wohl: „Ich habe Angst; / ja: große Angst!“ (s. Deutung 2):
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f | Stilistisch am treffendsten: „Ach, JHWH, wie lange denn noch...!?“ - Aposiopese: Beinahe bricht aus dem Psalmist hier ein verzweifelter Vorwurf hervor, den er gerade noch zurückhalten kann (standardmäßig eingeleitet mit „Wie lange (denn noch)...?“, s. z.B. Ps 13,2f; Ps 74,10; Ps 80,5; Ps 94,3; Hab 1,2; ebenso abgebrochen in Ps 90,13). Daher ist auch das einleitende „und du,“ nicht zu übersetzen: Im Hebräischen dient wä´atta („und du“) oft nur als sog. „Diskurspartikel“, die Emphase auf einen bittenden oder befehlenden Diskursabschnitt legen soll (vgl. ähnlich z.B. Lyavdansky 2012, S. 19f; s. z.B. Ps 22,20; 42,11; 55,24; 59,6; 109,21 u.ö.); hier legt es also Emphase auf die begonnene Klage und verstärkt so zusätzlich die Wirkung des Satzabbruchs. (Zurück zu v.4) |
g | Kehre um, JHWH - Begegnendes Unheil führte man im Alten Israel oft darauf zurück, dass der zornige Gott sich von Betroffenen „abgewandt“ habe; entsprechend ist „Wende dich [mir wieder zu]“ hier gleichbedeutend mit „Sei mir gnädig“ in V. 3. Sinnvoll daher Buttenwieser 1938: „Cease from thine anger!“; GN: „Lass ab von deinem Zorn!“ (Zurück zu v.5) |
h | Rette + Errette (hilf) - Wortspiel im Hebräischen: Der Psalmist verwendet in Vv. 3.5 drei unterschiedliche Verben, die sich alle in der Bedeutung „retten“ treffen. Den beiden Verben in V. 5 ist zusätzlich die Bedeutung „herausziehen /-reißen“ gemeinsam. Dahinter steht folgendes: Im Alten Israel stellte man sich die Unterwelt als den tiefsten Ort des Kosmos vor; daher sprach man von ihr z.B. als dem „Brunnen“, der „Grube“, dem „Schacht“ oder der „Zisterne“ (vgl. z.B. Oesterley 1911, S. 139f; Schorch 2000, S. 97f) und davon, dass man zu ihr „hinabstieg“ oder aus ihr wieder „emporgezogen“ wurde. Von diesem Totenreich spricht V. 6; liest man also Vv. 5 und 6 zusammen, entsteht - gelesen nach dieser zweiten Bedeutung - der Eindruck, der Psalmist habe sich sogar bereits in diesem Totenreich befunden und JHWH habe ihn nach seinem Tod wiederbelebt. Diese hyperbolische Aussage, man sei bereits gestorben und JHWH habe den den Psalmisten wiederbelebt, findet sich häufig in den Psalmen, s. z.B. Ps 9,14; 18,5-7; 30,4; 116,3-6; doch ist das nicht wörtlich zu verstehen (Insgesamt finden sich in Vv. 3-5.7f keine Anhaltspunkte dafür, worin das Leid des Psalmisten eigentlich bestand, denn alle dortigen Aussagen sind in den Psalmen (nur) häufige Bilder für Leid im Allgemeinen). (zu v.5) |
i | meine Seele (mich) - „Seele“ im Heb. fast stets Wechselbegriff für „Ich“; übersetze: „Rette mich!“ (Zurück zu v.5) |
j | um deiner Huld willen - mehrdeutig:
|
k | Totenreich + Scheol: Nicht: „Hölle“ o.Ä., die alttestamentliche Vorstellung vom Leben nach dem Tod ist eine ganz andere als die christliche und eher mit der griechischen Vorstellung des Hades zu vergleichen: Ein Schattenreich, in das fast alle Gestorbenen als Schattengestalten hinabfahren, um dann nie wieder daraus zu entkommen. Einige übersetzen gelegentlich auch „Hades“; vielleicht ist das eine verständlichere Alternative? (zu v.6) |
l | Der Sinn von V. 6 ist umstritten.
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m | tFN: Schluchzen statt „Seufzen“ gut nach Dahood 1965; Houston/Moore/Waltke 2014; BBE, EVD, NCV, NLT. Sowohl beim Verb als auch beim Nomen passt diese Bedeutung an sämtlichen Stellen wesentlich besser. (Zurück zu v.7) |
n | tFN: überflute (lasse schwimmen) + weiche auf - zur Deutung der Bedeutung des ersten Verbs als „überfluten“ statt „schwimmen lassen“ vgl. Bosworth 2013, S. 39; von Soden 1991, S. 165f; zur Deutung des zweiten Verbs als „aufweichen“ von Soden 1991, S. 166. (zu v.7) |
o | tFN: jede Nacht statt „die ganze Nacht“; diese iterative Deutung fordert die Verbform (Yiqtol). (Zurück zu v.7) |
p | tFN: [mit meinen Tränen] - Brachylogie aus Zeile 3; vgl. auch Goldingay 2006, S. 138. (Zurück zu v.7) |
q | tFN: [jede Nacht] - Brachylogie aus Zeile 2; vgl. auch Goldingay 2006, S. 138. (Zurück zu v.7) |
r | Schwach geworden (dunkel geworden, geeitert, angeschwollen, hochmütig?) - Bed. unsicher (-> Ter legomenon); sonst nur noch in Ps 31,10f. Für eine Übersicht über ältere Deutungen vgl. Zolli 1951.
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s | tFN: meine Augen - W. „mein Auge“; kollektiver Singular, vgl. z.B. Houston/Moore/Waltke 2014, S. 51. (Zurück zu v.8) |
t | sie sind gealtert wegen (ich bin gealtert wegen, sie sind geheftet auf?, sie [blicken] stolz/frech auf?) - „altern“ ist recht schwierig - erstens als Deutung der Wortbedeutung, zweitens in diesem Kontext.
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u | meinem Leid/meiner Not - Bertholet, Gunkel, Schlögl, Schmidt und Kraus wollen - da ihnen das auf „Kummer“ folgende „Feinde“ merkwürdig scheint (so auch Bratcher/Reyburn 1991, S.63) - emendieren von tsoräraj („meine Feinde“) nach tsarati („mein Leid“). Das wäre wohl nicht einmal notwendig, da auch schon tsoräraj „mein Leid“ bedeuten könnte (so richtig Kissane 1953, S. 22f; vgl. schon Saadia: „viele meiner Leiden“); doch so und so ist „meine Feinde“ vorzuziehen - erstens, da in verwandten Psalmen (Ps 22; 38; 41; 102) die „Feinde“ die selbe Rolle spielen (so schon Podechard 1920, S. 47) und da der Parallelismus von Wirkung (d.h. hier: „Kummer“) und Ursache (d.h. hier: „all meine Feinde“) recht häufig ist. Vielleicht aber auch Amphibolie und so eine Art Janus-Parallelismus: Das Wort wäre dann sowohl in der Bedeutung „mein Leid“ und in der Bedeutung „meine Feinde“ zu lesen; nach der ersten Bedeutung wäre der Sticho parallel zur vorangehenden Zeile, nach der zweiten Bedeutung würde er den Übergang zur dritten Strophe bereiten. (Zurück zu v.8) |
v | Frevler - stehende Wendung im Hebräischen; W.: „alle Tuenden von Frevel“. Erst in diesem Vers wird offenbar, was eigentlich genau das Leid ist, das der Beter die vorigen acht Verse hindurch beklagt hat: Er wird von frevlerischen Feinden bedrängt. (Zurück zu v.9) |
w | tFN: { |
x | Klang meines Weinens + Flehen + Gebet (Bittgebet) - Die Aufeinanderfolge dieser drei Begriffe verdichtet ein Voranschreiten von unartikuliert nach artikuliert: qol („Klang“) bezeichnet primär das rein Akustische, das „Geräusch“ - der „Klang des Weinens“ sind also die unartikulierten Klagelaute. tähinna („Flehen“) meint den Akt der bittenden Hinwendung im Gebet, und täfilla ist eine Psalm-gattung - das „Bitt-/Klagegebet“. (Zurück zu v.9 / zu v.10) |
y | Oder: Gehört hat JHWH den Klang meines Weinens,
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z | sich schämen (zunichte werden) + erschrecken (vergehen) + zurückweichen (wieder?, sterben?) - Wortspiel im Hebräischen: Die Wörter für „schämen“, „erschrecken“ und evt. auch „zurückweichen“ (dazu vgl. Dahood 1965, S. 39; s. noch Ijob 1,21; 30,23; 34,15; Ps 9,18; Pred 3,20; 12,7 - doch nie (wie hier) ohne Ortsangabe) treffen sich in der sekundären Bedeutung „sterben“; es scheint also, als habe die Erhörung des Psalmisten durch Gott die Vernichtung der Feinde zur Folge (vgl. z.B. die Üs. von Achenbach 2004, S. 584: „Zuschanden und zerstieben gar sehr werden all meine Feinde“). Primär ist aber wohl eher eine Umkehrung der Verhältnisse gedacht: Die Feinde, die den Psalmisten jetzt noch bedrängen, werden sich nach JHWHs Erhörung „schämen“, und so, wie in Vv. 3f der Psalmist „sehr erschrocken“ ist, werden dann die Feinde „sehr erschrocken“ sein und gleich einem geschlagenen Heer „zurückweichen“. So auch fast sämtlich Kommentare und Üss. Zurückweichen ließe sich außerdem theoretisch mit „wieder“ übersetzen: „Sie werden sich plötzlich wieder schämen“ (so z.B. Duhm 1899), doch das ist unwahrscheinlich. Nicht: „beschämt umkehren“; im verbalen Hendiadyoin spezifiziert das erste das zweite Verb, nicht aber umgekehrt. (zu v.11) |