Sela

Aus Die Offene Bibel

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Sela (oder Selah, Heb. סֶלַה, selah) ist ein hebräisches Wort, das fast ausschließlich in den Psalmen vorkommt. Hier jedoch ist es eines der häufigsten Worte.a Es kommt im Psalter 71 mal vor, in 39 von 150 Psalmen. Ansonsten findet man es nur noch in Hab 3,3.9.13. Es fügt sich dabei nicht in bestehende Sätze ein, sondern steht i.d.R. am Zeilenende. Seine genaue Bedeutung ist bis heute ungeklärt. Viele Exegeten gehen sogar davon aus, dass die Frage nach seiner Bedeutung „wahrscheinlich nie mit voller Evidenz gelöst werden [können wird].“b

Theorien zur Bedeutung[Bearbeiten]

In der Geschichte der Bibelrezeption ist eine Vielzahl unterschiedlicher Deutungen vertreten worden. Etymologische Versuche, eine nähere „Wortbedeutung“ zu erschließen, beziehen sich auf

  • die hebräische Wurzel sll („erheben“)c
  • die hebräische Wurzel slh („Wiederholung“)
  • die aramäische Wurzel sl’ („beugen“ oder „beten“)
  • das persische salá („Lied, Saitenspiel“)

Andere Ausleger verweisen auf die frühe jüdische (und auch im Targum bezeugte) Interpretation des „Sela“ als „(für) immer“.d Ähnlich interpretierte etwa der Kirchenvater Hieronymus den griechischen Text (vgl. unten): „'Diapsalma': im hebräischen Text heißt das "SELA", was soviel bedeutet wie "immer" und "sogleich"; also: Gott schenkt uns Hilfe immerdar.“e Alle derartigen Versuche müssen aber als rein hypothetisch gelten: „[There is] no way of determining [its] meaning or etymology.“f.

Theorien zur Funktion[Bearbeiten]

Auch bei der Frage nach der Funktion des „Sela“ lassen sich die unterschiedlichsten, gleichermaßen hypothetischen Positionen finden.

Von den Übersetzern der Septuaginta (LXX) wird es als διάψαλμα übersetzt, was wiederum ins Deutsche zumeist mit „Zwischenspiel“ übertragen wird. Es heißt dann häufig, die LXX hätte das „Sela“ gedeutet als eine Art „musikalisches Intermezzo“. Tatsächlich aber ist die Bedeutung von „diápsalma“ genauso wenig gesichert wie die von „Sela“. So vermutet etwa Origines, dies „diápsalma“ bedeute (1) eine Veränderung oder einen Wechsel der Person, (2) des Rhythmus, (3) der Melodie, (4) des Lehrtons, (5) des Sinnes oder (6) der Stärke der Rede." - Was nichts weiter heißt, als dass „diápsalma“ eigentlich alles bedeuten könnte: (1) beträfe die Organisation des Vortrags, (2), (4) und (6) Rhythmus und Prosodie, (3) die musikalische Umsetzung und (5) die Semantik; „Diápsalma“ ließe sich also auf verschiedenste Weisen interpretieren und wäre so als eine irgendwie geartete, über den reinen Text hinausgehende Anweisung völlig nutzlos.g Auch Eusebius und Gregor von Nyssa setzen sich mit dem „Diápsalma“ der Septuaginta auseinander. Gregor unterlässt eine Übersetzung, schlägt aber als eine weitere Deutung vor, es zu verstehen als „eine Pause, die plötzlich eintritt, während ein Psalm gesungen wird, damit man hier einen zusätzlichen, von Gott geschenkten Gedanken empfangen kann.“h

Obwohl nun auch diese drei „Deutungen“ – die der Septuaginta, die des Origines und die von Gregor und Eusebius – nicht höher zu bewerten sind denn als bloße Vermutungen (weist doch ohnehin Gyllenberg darauf hin, dass zur Zeit der LXX-Übersetzung das Wissen um die Bedeutung des „Sela“ schon lange verloren gegangen wari und Stieb darauf, dass sowohl Origines als auch Eusebius und Gregor selbst von ihren Interpretationen zugeben, dass es sich hier um bloße Vermutungen handlej), werden bereits hier ein Großteil der Positionen ausgesprochen, die allesamt – mit Ausnahme der Deutung als „semantischer Marker“ – bis heute noch in „Sela“-Interpretationen vorzufinden sind:

  • a) Vortragsorganisation
  • b) Rhythmus und Prosodie
  • c) musikalische Umsetzung
  • d) Pause

Hinzu kommen als weitere prominente Positionen noch

  • e) Strophenmarker
  • f) Kultruf-"Platzhalterbegriff"
  • g) liturgische Anweisung

Im Folgenden soll abschließend für jeden der sieben Vorschläge noch eine kurze, rein exemplarische Explikation angeführt werden.

a) Vortragsorganisation[Bearbeiten]

Gyllenberg weist darauf hin, dass in den Psalmen, die strophisch organisiert sind oder einen Kehrvers besitzen, das "Sela" offenbar auf irgendeine Weise mit dem Kehrvers zusammenhängt. Er geht deshalb davon aus, dass dass "Sela" ursprünglich Marker dafür war, dass die betreffende Textstelle vom Volk zu singen war (und, da man ja nicht von ausgeteilten Liedzetteln oder Gesangbüchern ausgehen konnte, einem dem vorgeschalteten Vor-singen durch einen Vorsänger). Zudem vermutet er, dass die betreffenden Textstellen ursprünglich von zwei "Selas" eingerahmt waren, aber eine Vielzahl derselben im Verlauf der Psalteredition durch Editoren, die um die Bedeutung des "Selas" schon nicht mehr wussten, weg-redigiert wurden.k

b) Rhythmus und Prosodie und c) musikalische Umsetzung[Bearbeiten]

Es ist dies die am häufigsten zu lesende Position, die unter Anderem auch von Delitzsch in seinem einflussreichen Psalmenkommentar vertreten worden ist. So schreibt etwa Guthrie: "Verwandschaft könnte zu einem Verb bestehen, das man am besten mit "aufbauen" wiedergibt: es könnte also ein "Erheben" der Stimmen, ein Crescendo der Musik oder ein Transponieren in eine höhere Tonart gemeint sein."l Stieb allerdings merkt gegen diese "musikalische Lesart" an: "Übrigens wäre eventuell das סֶלַה im Text der Psalmen das einzige Zeichen rein musikalischer Art. Eine solche Einseitigkeit gehört nicht ins Gebiet der Wahrscheinlichkeit."m Es hat diese Kritik Einiges für sich: Ein Crescendo - die Erhöhung der Lautstärke - oder gar die Transposition der Tonart hat sekundären Charakter. Um eine Lautstärke zu erhöhen oder eine Tonart zu wechseln, muss es zunächst eine Melodie o.Ä. geben, deren Lautstärke erhöht und deren Tonart gewechselt werden kann. Sollte diese ursprünglich schriftlich fixiert gewesen sein, machte es keinen Sinn, Spezifizierungen einer solchen Melodie gesondert nicht zur Melodie, sondern zum Text zu schreiben. Sollte dagegen die Melodie ohne zwischengeschaltete Fixierung tradiert worden sein, wäre ein Crescendo oder ein Tonartwechsel nur ein kleiner Bestandteil dieser Tradition, so dass es unwahrscheinlich ist, dass gerade dieser kleine Bestandteil fixiert werden hätte müssen.

d) Pause[Bearbeiten]

"Pause" kann sowohl musikalisch gemeint sein als auch als Handlungsanweisung für den Leser / Hörer. Ein Beispiel für diese zweite Lesart ist Martin Luther, der in seiner seiner "Deutschen Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien" schreibt: " So ists bei vielen Psalmen mit der Überschrift und dem Titel, daß diese Gebete, wenn sie gleich wenige Worte enthalten, dem Herzen doch Anreiz und Bewegung sind, etwas Gutes zu denken oder zu begehren. Auch sind etliche Psalmen mit dem Wörtlein »Sela« (das heißt »Ruhe«) abgeteilt, das weder gelesen noch gesungen wird. (Das geschieht) zur Ermahnung, daß man da, wo sich ein besonderes Stück im Gebet zeiget, stille halte und ruhe, den Inhalt wohl zu betrachten und die Worte so lange fahrenzulassen."n

e) Strophenmarker[Bearbeiten]

Dieser Vorschlag, der auf Thritle´s "The Titles of the Psalms" zurückgeht, wird etwa auch von Marvin E. Tate und James Waltner gestützt. Waltner zum Beispiel liest die "Selas" nach Ps 9,16 und 9,20 als Anweisung dafür, die Verse 9,17-20 als eine vom Rest besonders abgehobene Einheit zu lesen.o

f) Kultruf-"Platzhalterbegriff"[Bearbeiten]

Mowinckel deutet das "Sela" als Marker für eine "Teilnahme der Laiengemeinde am Gesang durch seine Unterbrechung mit "gemeinsamem Brausen von Kultrufen und Musik""p, wobei "Sela" aber mit den verschiedensten Kultrufen gefüllt werden könnte. Stieb kritisiert, dass sowohl hier als auch bei der liturgischen Interpretation z.B. in Hab 3,3.9 das "Sela" gänzlich unverständlich bleiben müsse, da bei diesem Text "der kultische Gebrauch ausgeschlossen" sei.q

g) liturgische Anweisung[Bearbeiten]

Im Holman Concise Bible Dictionary wird es beispielsweise für möglich gehalten, dass das Sela auch Anweisung dafür sei, dass das Volk sich zur betreffenden Textstelle auf den Boden werfen müsse.r

Anmerkungen zur musikalischen Umsetzung[Bearbeiten]

Die Interpretation von Sela als ein musikalisches Zeichen ist unter den vorgestellten Alternativen wohl diejenige, die am ehesten noch für die heutige Zeit praktisch anwendbar wäre. Denkbar ist, bei Sela konsequent ein musikalisches Zwischenspiel in den Psalm einzufügen. In Psalm 3, 9, 24 und 46 - dort steht das Sela jeweils im Anschluss an den letzten Vers - würde der Psalm entsprechend mit einer Coda, in der Popmusik auch Outro genannt, musikalisch abgeschlossen werden. Damit wäre auch eine plausible Erklärung für das Sela am Schluss von immerhin vier Psalmen gegeben. Solche musikalischen Anweisungen sind für heutige Musiker aber logischerweise nur dann ein wesentliches Element, wenn sie einen Psalm tatsächlich, wie im 1. und 2. Tempel noch üblich, mit Musikinstrumenten begleiten wollten. Das war aber bei der bis ins 20. Jh. in der Katholischen Kirche zwingend vorgeschriebenen Praxis – einstimmig und ohne Musikinstrumente (choral) – nicht mehr gegeben. Dadurch könnte das Sela in nachapostolischer Zeit entbehrlich geworden sein und erscheint inzwischen wie ein unnötiges Relikt. Das gilt auch für die neuere Kirchenmusikgeschichte, da inzwischen Psalmen in vielen Kirchen zwar noch gemeinschaftlich rezitiert aber nicht mehr gesungen, geschweige denn mit Musikinstrumenten begleitet werden. Hier hätte das als musikalisches Zeichen interpretierte Sela als erkennbarer Fremdkörper die Funktion darauf hinzuweisen, dass Psalmen Lieder sind, die ursprünglich im Gottesdienst gesungen und mit Instrumenten begleitet wurden. Es könnte aber andererseits eine Anregung sein, gemeinschaftlich rezitierte Psalmen durch musikalische Zwischenspiele - etwa der Orgel - zu durchbrechen bzw. die Psalmen 3, 9, 24 und 46 mit Coda/Outro als Orgelnachspiel abschließen zu lassen. In einigen Freikirchen werden Psalmtexte im Gottesdienst mit Instrumentalbegleitung als sogenannte Chorusse gesungen. Dort beschränkt sich das jedoch auf vereinzelte, ausgewählte Verse, wodurch für die begleitenden Musiker die Anweisungen in Form von Sela, die den Psalm als Ganzes musikalisch strukturieren sollen, ebenso bedeutungslos werden wie bei der Psalmodie. Über diese traditionelle, unbegleitet einstimmige Singweise für Psalmen kann hier nachgelesen werden.

Quellen[Bearbeiten]

  • TWOT, 1506 סֶלַה
  • DBL Hebrew, 6138 סֶלַה
  • Lemma "SELAH", in: Holman Concise Bible Dictionary. 3 2011.
  • Alter, Robert: The Book of Psalms: A Translation with Commentary. New York u.a., 2007.
  • Brimiley, Geoffrey W.: The International Standart Bible Encyclopedia I. Michigan, 2007.
  • Brueggeman, D. A.: Lemma "Psalms 4: Titles", in: Enns, Peter & Longman III, Tremper (Hgs.): Dictionary of the Old Testament: wisdom, poetry & writings. A Compendium of Contemporary Biblical Scholarship (=The IVP Bible Dictionary Series). Nottingham, 2008
  • Dawes, Stephen B.: The Psalms (=SCM Studyguide). London, 2010
  • Guthrie, Donald: Kommentar zur Bibel. Wuppertal, 6 2006.
  • Gyllenberg, R.: Die Bedeutung des Wortes Sela, in: Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 58 (1-2/1941). S. 153-156.
  • Saint Jerome: Homilies: 1-59 on the Psalms. Washington, 2002.
  • Luther, Martin: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien, in: Luther deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, 10 Bde. - Bd. 5. Göttingen, 1991.
  • Miller, Patrick D.: The Superscriptions of the Psalms, in: Dell, Katharine J. u.a. (Hgs.): Genesis, Isaiah and Psalms. A Festschrift to honour Professor John Emerton for his eightieth birthday. Leiden & Boston, 2010.
  • Graf Reventlow, Henning: Lemma "Formeln, Liturgische", in: TRE 11. 1983.
  • Rodd, C. S.: 18. Psalms, in: Barton, John & Muddiman, John (Hgs.): The Oxford Bible Commentary. Oxford, 2007.
  • Stieb, Robert: Die Versdubletten des Psalters, in: Zeitschrift für die Alttestametnliche Wissenschaft 57 (1-2/1939). S. 102-110.
  • Tate, Marvin E.: Psalms 51-100 (=Word Biblical Commentary 20). Dallas, 1990.
  • Thritle, J. W.: The Titles of the Psalms: Their Nature and Meaning. London, 1904.
  • Waltner, James H.: Believers Chruch Bible Commentary: Psalms. Scottdale u.a., 2006.
  • Weiser, Arthur: The Psalms: A Commentary (=Old Testament Library Series). Westminster, 2000.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

aGuthrie, Donald: Kommentar zur Bibel. Wuppertal, 6 2006. S. 539. (Zurück zum Text: a)
bGyllenberg, R.: Die Bedeutung des Wortes Sela, in: ZAW 58/1-2 1941, 153. (Zurück zum Text: b)
cVgl. auch Bubers Psalmenübersetzung: „/empor!/“ (Zurück zum Text: c)
dLemma „SELAH“, in: Holman Concise Bible Dictionary. 32011. (Zurück zum Text: d)
eSaint Jerome: Homily 7 on Psalm 67 (68), in: Ders.: Homilies: 1-59 on the Psalms. Washington, 2002). S. 55.
[Übersetzung: Ich, S.W. - Im Original: "'Diapsalma': in the Hebrew text the word is SELA which means always and instantly; hence, God is always bringing us aid."] (Zurück zum Text: e)
fAlter, Robert: The Book of Psalms: A Translation with Commentary. New York 2007. (Zurück zum Text: f)
gStieb, Robert: Die Versdubletten des Psalters, in: ZAW 57/1-2 1939, 103. (Zurück zum Text: g)
hHeine, R. E.: Gregory of Nyssa´s Treatise on the Inscriptions of the Psalms: Introduction, Translation, and Notes. Oxford 1995. S. 222. Zitiert nach: Miller, Patrick D.: The Superscriptions of the Psalms, in: Dell, Katharine J. u.a. (Hgs.): Genesis, Isaiah and Psalms. A Festschrift to honour Professor John Emerton for his eightieth birthday. Leiden 2010. S. 216.
[Übersetzung: Ich, S.W. - Im Original: "a pause which occurs suddenly in the midst of the singing of a psalm in order to receive an additional thought which is being introduced from God."] (Zurück zum Text: h)
iGyllenberg, R.: Die Bedeutung des Wortes Sela, in: ZAW 58/1-2 1941, 154. (Zurück zum Text: i)
jStieb, Robert: Die Versdubletten des Psalters, in: ZAW 57/1-2 1939, 103. (Zurück zum Text: j)
kvgl. Gyllenberg, R.: Die Bedeutung des Wortes Sela, in: Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 58 (1-2 / 1941). S. 153-156. (Zurück zum Text: k)
l Guthrie, Donald: Kommentar zur Bibel. Wuppertal, 6 2006. S. 539. (Zurück zum Text: l)
mStieb 1939, S. 103 (Zurück zum Text: m)
nMartin Luther: Deutsche Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien, in: Luther deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, 10 Bde. - Bd. 5. Göttingen, 1991. S. 205-206) (Zurück zum Text: n)
oWaltner, James H.: Believers Church Bible Commentary: Psalms. Scottdale u.a., 2006. S. 768.
vgl. auch: Thritle, J. W.: The Titles of the Psalms: Their Nature and Meaning. London, 1904. (Zurück zum Text: o)
pzitiert nach: Stieb 1939, S. 102 (Zurück zum Text: p)
qvgl. ebd. (Zurück zum Text: q)
rLemma "SELAH", in: Holman Concise Bible Dictionary. 3 2011. (Zurück zum Text: r)