Persönliche Fassung
3 GOTT sprach zu Fers: „Kehr zurück ins Land deiner Vorfahren und zu deiner Verwandschaft! Ich werde mit dir sein.“〈a〉
4 Da ließ Fers Zibbe und Kuh aufs Feld zu seiner Herde kommen 5 und sagte zu ihnen: „Ich sehe am Gesicht eures Vaters, dass er nicht mehr zu mir steht wie früher. Aber der Gott meines Vaters, der war mit mir: 6 Ihr wisst, dass ich eurem Vater mit all meiner Kraft gedient habe. 7 Doch er hat mich betrogen und zehnmal〈b〉 meinen Lohn geändert. Aber Gott hat nicht zugelassen, dass er Böses mit mir tat: 8 Wenn er sagte: ‚Gesprenkelte sollen dein Lohn sein!‘ – dann bekamen alle Tiere gesprenkelte Junge. Und wenn er sagte: ‚Verfärbte〈c〉 sollen dein Lohn sein!‘ – dann bekamen alle Tier verfärbte Junge.
9 Gott hat das Vieh eures Vaters diesem genommen und mir gegeben: 10 Immer zur Paarungszeit hatte ich einen Traum. Darin schaute ich auf und sah: Die Böcke, die auf das Vieh hinaufstiegen,〈d〉 waren verfärbt, gesprenkelt und gescheckt. 11 Ein Bote Gottes war auch in diesem Traum. Er sagte: ‚Fers!‘, und ich sagte: ‚Ja, ich höre?‘, 12 und dann sagte er: ‚Schau auf, und sieh doch: Alle Böcke, die auf das Vieh hinaufsteigen, sind verfärbt, gesprenkelt und gescheckt. Denn ich habe alles gesehen, was Weiß dir angetan hat. 13 Ich bin der Gott von Bet-El, wo du mir die Stele geweiht und dein Gelübde gelobt hast. Jetzt brich auf! Zieh fort aus diesem Land und kehr zurück in das Land deiner Verwandtschaft!‘“
14 Zibbe und Kuh erwiderten: „Uns bindet ja auch nichts mehr an unser Vaterhaus. 15 Wie der uns ausgebeutet hat – ebensogut könnten wir Sklavinnen sein, die er verkauft hat! 16 All der Reichtum, den Gott unserem Vater genommen hat, war also ohnehin das Geld von uns und unseren Söhnen!“
17a So machte sich Fers an den Aufbruch. 19 Laban war gerade forgegangen, um sein Vieh zu scheren. Da stahl Zibbe die Götzen-Figürchen,〈e〉 die Weiß gehörten, 20 und Fers stahl die Herzenssachen〈f〉 des Aramäers Weiß, weil er ihm nicht erzählte, dass er fliehen würde.
17b Er hob seine Söhne und seine Frauen auf die Kamele 18 und trieb all sein Vieh und all seinen Erwerb, den er im aramäischen Mesopotamien gewonnen hatte, an, um zu seinem Vater Lach ins Land Kanaan zu kommen. 21 So floh er – er und alles, was ihm gehörte. Er brach auf, überquerte den Euphrat und wandte sich in Richtung des Gebirges von Gilead.
In den vorangegangenen Erzählabschnitten wurde Fers reich und kinderreich – vorerst. Doch die Eigentumsfrage ist nicht so klar, wie man sie gerne hätte: Im Arbeitsvertrag, der im vorigen Abschnitt vereinbart wurde, gibt es eine gefährliche Lücke, auf die Weiß auch im nächsten Erzählabschnitt noch mal bestehen wird. Zudem gab es im Alten Israel ein Gesetz, das sich in Ex 21,2-6 nachlesen lässt: Hat ein Dienstherr seinem Diener binnen der sieben Jahre, die dieser bei ihm diente, eine Frau gegeben, und hat diese dem Diener in diesem Zeitraum Kinder geboren, sind rein rechtlich die Frauen und Kinder Eigentum des Dienstherrn. Zibbe und Kuh, die Fers zwischen den zweimal sieben Jahren geheiratet hat, liegen damit hart an der Grenze, und das Gleiche gilt damit für seine Söhne.
Als Fers daher wie sein Großvater Vater-Gnade in Gen 12,1 von Gott den Befehl zum Aufbruch erhält, entschließt er sich gewiss auch aus diesem Grund, lieber im Geheimen zu fliehen. Dazu bestellt er seine Frauen Zibbe und Kuh zu seiner Herde – wieder ein Wortspiel mit den Namen seiner Frauen –, um sie zu dieser Flucht zu überreden, indem er ihnen in aller Klarheit die Ungerechtigkeit ihres Vaters und die Gerechtigkeit seiner gerechten Sache vor Augen stellt. Anscheinend macht er dabei seine Sache allerdings noch etwas gerechter, als sie ist – seine Träume und erst recht die Gottesboten darin, von denen er ihnen erzählt, wirken im Erzählverlauf jedenfalls arg so, als hätte Fers sie mal eben aus dem Hut gezaubert, und noch grundsätzlicher war in der Erzählung auch davon, dass Weiß überhaupt jemals an den Lohnvereinbarungen geschraubt hätte, gar nichts zu vernehmen.
Doch die Überredungskünste von Fers wären ohnehin gar nicht nötig gewesen; mit einer Stimme tun Zibbe und Kuh kund, dass sie bei Eigentumsfragen ganz ihres Vaters Töchter sind: Gerechte Sache hin oder her, der Besitz von Weiß sollte so und so besser ihnen gehören. Es ist kein sehr schmeichelhaftes Bild, dass dieser Abschnitt von „Aramäern“ im „aramäischen Mesopotamien“ entwirft.
Und so bricht die Familie zur günstigsten Zeit auf, als nämlich Weiß gerade beim Scheren seiner Schafe ist, woran sich im Alten Orient auch noch ein großes Fest anschloss. Allerdings nicht, ohne dass Zibbe sich en passant noch eben etwas mehr vom Besitz von Weiß unter den Nagel reißt und so die Götterfigürchen ihres Vaters mitgehen lässt. Diese werden im nächsten Erzählabschnitt noch eine größere Rolle spielen.
a | Mach beachte, wie die Formulierung sich entwickelt: Der vorige Abschnitt endete mit der Beobachtung, dass Weiß nicht mehr „mit Fers“ ist wie früher. Nun verkündet dafür Gott, er werde „mit ihm sein“. Darauf berichtet Fers seinen Frauen, ihr Vater sei anders „zu ihm“, aber Gott sei „mit ihm“ gewesen, und daher habe er auch nicht zugelassen, dass Weiß Böses „mit ihm“ tut (gut Fokkelman 1975, S. 152). (Zurück zu Lesefassung v.3) |
b | Wortspiel: ´aßar heißt „zehn“, ´ašar (wie in V. 16) „reich werden“. Laban hat den Lohn also nicht nur „zehn Male geändert“, sondern hat ihn auch geändert, „um sich zu bereichern“. (Zurück zu Lesefassung v.7) |
c | Klangspiel: Fers greift deshalb aus Gen 30 die „Gesprenkelten und Verfärbten“ heraus, weil beide Wörter im Hebräischen sich nur im ersten Buchstaben unterscheiden: naqudim und ´aqudim. Laban ist also nicht nur Winkeladvokat, sondern dabei auch noch Korinthenkacker. (Zurück zu Lesefassung v.8) |
d | „Hinaufsteigen“ ist nicht das übliche Wort für sich paarende Tiere. Wortspiel: Fers sieht in diesem Traum „hinaufsteigende“ Böcke, wie er in seinem ersten Traum in Gen 28,12 „hinaufsteigende“ Gottesboten gesehen hat (gut Tröndle 2023, S. 199). Wahrscheinlich deshalb sind die Böcke in diesem Traum auch „gescheckt“, was in Gen 30 gar nicht erwähnt wurde: In barudim („gescheckt“) klingt joridim („hinabsteigend“, wie von den „hinabsteigenden Gottesboten“ in Gen 28,12) an. (Zurück zu Lesefassung v.10) |
e | Wie die Götzen-Figürchen wirklich heißen, ist unbekannt: In der Bibel wird für sie stets der Ausdruck tarapim verwendet, den man eigentlich mit „Kotzbrocken“ übersetzen müsste (so gut z.B. Loretz 1992, S. 141). Das ist nicht ungewöhnlich: Andere Götzen werden oft ähnlich als gillulim („Kotbatzen“) bezeichnet. So macht der Begriff und erst recht das, was im nächsten Abschnitt mit ihnen geschieht, die aramäischen Götter im höchsten Maße lächerlich. Wahrscheinlich ist das auch der Hauptgrund, warum der Erzähler Zibbe sie überhaupt stehlen lässt; welchem Zweck sie in der Geschichte sonst dienen sollen, lässt sich jedenfalls nicht gut erkennen. (Zurück zu Lesefassung v.19) |
f | Wörtlich: „Er stahl sein Herz“, was wahrscheinlich stellvertretend für das steht, „woran das Herz von Weiß hängt“ (s. Mt 6,21; Lk 12,34; so gut Aloisius Lipomanus). Was das eigentlich ist, wird sich erst im nächsten Abschnitt offenbaren. (Zurück zu Lesefassung v.20) |