Kommentar:Exodus 3

Aus Die Offene Bibel

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Was bedeutet das „Ich bin, der ich bin“ in Ex 3,14?[Bearbeiten]

Zu Ex 3,14 gibt es eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Deutungen.

Die folgende Exegese erhebt daher nicht den Anspruch auf eine vollständige Darstellung der Thesen und ihrer jeweiligen Begründungen, sondern ist eine Synthese aus den wahrscheinlichsten Bestandteilen diverser Deutungen.

Was man bei einer Auslegung auf jeden Fall berücksichtigen muss, ist die ursprüngliche Zielgruppe: Bibelhebräisch sprechende Israeliten. Die betreffende Textstelle lautet:

14 Da sagte Gott zu Mose: Ich bin, der ich bin (ehyeh asher ehyeh). Er sagte: So sollst du zu den Söhnen Israels sprechen: „Ich bin“ (ehyeh) hat mich zu euch gesandt. 15 Und Gott sagte weiter zu Mose: So sollst du zu den Söhnen Israels sprechen: JHWH (Jahweh), der Gott eurer Vorfahren, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt.a

D.McCarthy weist darauf hin, dass allein schon die Assonanz der Aufeinanderfolge ehyeh - ehyeh - ehyeh - yahweh für hebräische Ohren eine Verknüpfung zwischen JHWH und ehyeh als „sein“ herstellt: „My point, of course, is that the text exists in itself and can, indeed must, be read as it is. In such a reading, no matter what the possible origins of the texts or parts of it may be, the emphasis on hyh is there."b

=> Erstens: Sowohl JHWH als auch ehyeh werden von einem Leser / Hörer der damaligen Zielgruppe automatisch wahrgenommen als Formen des Wortes „sein". Dies ist daher die Bedeutung, die diese Stelle nahelegt.


Ungeachtet der Tatsache, dass historisch der Name JHWH zur Zeit der Patriarchen wahrscheinlich unbekannt war: Die Bibel sagt anders. So heißt es etwa in Gen 4,26: „Zu jener Zeit fing man an, den Namen JHWH zu rufen". Und auch in Ex 3,14 sagt sogar JHWH selbst, er sei "JHWH, der Gott der Vorfahren". Nach der Bibel scheint also der Name JHWH durchaus auch zur Zeit der Patriarchen bekannt gewesen zu sein. Wie aber ist es dann zu erklären, dass Moses hier erst nach dem Namen Gottes fragen muss? Abba bietet hier eine plausible Erklärung an: Das Interrogativpronomen in Ex 3,13 wird im Bibelhebräischen nie für das Erfragen von Personennamen verwendet, sondern nur für Fragen nach Qualitäten. Die treffendere Übersetzung wäre daher „Welcher Art ist dein Name?". Dahinter steckt ein Namensverständnis, das sich radikal von unserem heutigen unterscheidet. Der Name einer Person oder eines Gottes ist nicht arbiträre und zufällige Bezeichnung, sondern im Namen kommt das Wie des Trägers dieses Namens zum Vorschein. Wenn Moses fragt: „Was ist dein Name?", dann fragt er in Wahrheit „Welcher Art ist dein Name?", also „Was bist du für ein Gott?". Das erklärt auch, warum JHWH auf die Frage nach seinem Namen nicht mit „JHWH" oder „Ehyeh" antwortet, sondern mit einem Satz. Des Weiteren wird hierdurch eine Besonderheit von Ex 6,3 erklärbar. Die übersetzt diesen Vers mit

„Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als El-Schaddai (Gott, der Allmächtige) erschienen, aber unter meinem Namen Jahwe habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben."

Schlachter dagegen überträgt „unter meinem Namen" mit „nach meinem Namen": „nach meinem Namen „HERR" habe ich mich ihnen nicht geoffenbart." Diese zunächst etwas merkwürdig anmutende Übersetzung Schlachters ist in der Tat die treffendere; denn der Urtext hat nicht die Bedeutung „unter diesem Namen", sondern „in der Wesens-Weise, die diesem meinem Namen entspricht".

=> Zweitens: Was in Ex 3,14 geschieht, ist nicht die Offenbarung eines vorher unbekannten Namens, sondern die Auslegung eines bereits bekannten Namens. Ehyeh asher Ehyeh beinhaltet damit das, was JHWH im tieferen Sinne bedeutet.c Dies ist der Unterschied zwischen Mose Gottesverhältnis und dem der Patriarchen: JHWH ist den Patriarchen nicht unter einem anderen Namen erschienen, sondern der Unterschied ist, dass die Patriarchen nicht um die Bedeutung des Gottesnamens und also das Wesen Gottes wussten, demgemäß JHWH sich ihnen gegenüber verhält.


Auch die Frage nach Hifil oder Qual und Präsens oder Futur lässt sich mit Abba beantworten: Selbst, wenn es sich hier um ein Hifil handeln würde - in der gesamten Bibel gibt es kein einziges Beispiel, in dem der Kausativ dieses Verbs mit dem Hifil ausgedrückt ist. Für den Kausativ wird stattdessen der Pi´el verwendet. Ehyeh muss daher als Qal gelesen werden. Ohnehin, so bemerkt auch Schmidt, wäre eine Deutung als Hifil gänzlich ohne Grundlage; allein schon, weil JHWH zur vom betreffenden Text verdichteten Zeit noch überhaupt nicht als Schöpfergott angesehen wurde.d Ebenso: Die Gegenwart des betreffenden Verbs wird in der gesamten Bibel nicht mit der hierigen Imperfektform ausgedrückt, sondern mit dem Perfekt. Die Imperfektform steht in der Bibel stets für die Zukunft.

=> Drittens: Nimmt man all dies zusammen, muss als die wahrscheinlichste Lesart von ehyeh asher ehyeh gelten: „Ich werde, der ich werde".


Dennis McCarthy wendet sich gegen eine futurische Lesart mit der Bemerkung, „sein" ohne Prädikat müsse absolut verstanden werden. Absolut verstanden würde „ich werde" aber bedeuten, dass der Sprecher noch gar nicht existierte. Aber schon eine Seite später bemerkt er selbst: „Sein" dürfe hier nicht im heutigen, von der griechischen Philosophie geprägten Sinn verstanden werden. Im Bibelhebräischen werde noch nicht getrennt zwischen „sein" und „agieren, wirken". Auch das sagt übrigens bereits Abba: „It is effective presence that is suggested."f

=>Viertens: Weil die Lesart „sein" (gelesen nach heutigem Verständnis) also offensichtlich problematisch ist, muss der Satz verstanden werden als „Ich werde wirkend sein, wie ich wirkend sein werde."


Das ist natürlich noch nicht selbsterklärend. Denn, selbst gesetzt, diese Lesart könne als gesichert gelten, lässt sie mehrere Deutungen zu, die auch allesamt schon vertreten worden sind. So könnte sie gelesen werden

  • als eine ausweichende Antwort, im Sinne von „Welcher Art ich bin, geht dich gar nichts an, sondern nur mich. Ich werde tun, was mir gefällt."
  • als eine schroffe Zurückweisung Mose im Sinne von „Lass mich gefälligst sein, was ich sein will!"g
  • als Versprechen im Sinne von „Ich werde für euch da sein."

Ein Blick auf den Kontext kann helfen, dies besser zu verstehen. Der größere Kontext von Ex 3,14 ist Exodus. JHWH wird in Exodus auf eine besondere Weise charakterisiert; unter Anderem dadurch, dass er selbst Gründe für sein Handeln angibt. Während man beim flüchtigen Lesen von Exodus denken mag, JHWH handle allein aus dem Grund, dass er sein Volk aus der ägyptischen Knechtschaft befreien wolle, gibt er selbst spannenderweise ganz andere Gründe an; etwa in Ex 6,7; 7,5; 9,14; 10,2; 11,7; 14,4; 14,8. So heißt es etwa in Ex 7,5 (nach Schlachter):

„Und die Ägypter sollen erfahren, daß ich [JHWH] bin, wenn ich meine Hand über Ägypten ausstrecken und die Kinder Israel von ihnen ausführen werden."

oder in Ex 10,2

„daß du vor den Ohren deiner Kinder und Kindeskinder verkündigest, was ich in Ägypten ausgerichtet und wie ich meine Zeichen unter ihnen bewiesen habe, auf daß ihr erkennet, daß ich [JHWH] bin."

Neben der Befreiung Israels hat JHWH in Exodus also ein weiteres Ziel: Er handelt, um aus seinen Taten als JHWH erkannt zu werden; als JHWH will er sich erweisen.h

Eine ähnliche Bedeutung liest auch Erich Zenger in Ex 3,14, indem er es kontextualisiert mit einer weiteren, syntaktisch Ex 3,14 sogar ähnlichen Selbstoffenbarung JHWH´s in Exodus: Ex 33,19-23. Mose bittet JHWH, ihn seine „Herrlichkeit" sehen zu lassen. Und so antwortet JHWH (nach Schlachter):

„Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht alle meine Güte vorüberziehen lassen und will den Namen [JHWHs] vor dir ausrufen, und wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich; aber mein Angesicht (sprach er) kannst du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht! Doch sprach [JHWH]: Siehe, es ist ein Ort bei mir, da sollst du auf dem Felsen stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht ,so stelle ich dich in die Felsenkluft und will dich meiner Hand so lange decken, bis ich vorübergegangen bin. Wenn ich dann meine Hand zurückziehe, so magst du mir hinten nachsehen; aber mein Angesicht soll man nicht sehen!"

Zenger kommentiert: „JHWH kann nicht wie eine Götterstatue geschaut werden, sondern er offenbart das Geheimnis seines Namens, indem er seinem Namen gemäß handelt. [...] So lässt er seine Herrlichkeit vorüberziehen. Nur so kann er geschaut werden: im Nachher, d.h. im Wahrnehmen seiner Spuren, die er hinterlässt, im gehen hinter ihm her, im Hören auf das, was sein Name sagt, und im nachahmenden Tun dessen."i

So gelesen wird Ex 3,14 auf einmal verständlich. JHWH weicht Mose´ Namensfrage nicht etwa mit einem Verweis auf sein zukünftiges Handeln aus. Die Stelle hat eine andere Bedeutung: Ineins mit der Frage nach dem Namen Gottes fragt Mose nach seinem Wesen. Und Gott antwortet: „Du musst dich gedulden. Mein Wesen kann man nur im Nachhinein verstehen. Auf mein Wesen musst du aus meinem Wirken schließen, weil ich nämlich stets gemäß meines Namens / Wesens wirke (und, nebenbei, Moses: Abraham wusste das noch nicht). Aber, keine Angst, das ist keine Ausflucht: Ich werde wirken!"
Gott sichert Moses zu, für ihn wirken zu werden und gibt an, dass er aus diesem seinen Wirken erkennbar sei. Dann wirkt er und gibt dazu jeweils an, dass dieses sein Wirken dem Zweck diene, als JHWH erkannt zu werden - und in der Tat wird ja darauf folgend „JHWH, der dich aus Ägypten geführt hat" zu einer feststehenden Formel (vgl. z.B. Ex 32,4; 32,8; Dtn 5,6, 6,12; 8,14; 13,11; 20,1; 1 Kön 12,28; Neh 9,18; Ps 91,11). Als er diese seine Handlungszusage eingehalten hat, erscheint er ein weiteres Mal und tut noch einmal kund, dass er nur „von hinten", im Nachhinein erkennbar ist. JHWH als der, für den gilt „ehyeh asher ehyeh“ ist der „wirkend sich Erweisende".