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Kurze Einleitung[Bearbeiten]
Amos war der Name eines Propheten, der nach Am 1,1 zur Zeit des judäischen Königs Usija (773-736 v. Chr.) und des nordisraelitischen Königs Jerobeam II. (787-747 v. Chr.) wirkte. Das seinen Namen tragende Buch zerfällt grob in die drei Großabschnitte Am 1-2 mit einer Reihe von Völkersprüchen, Am 3-6 mit einer Reihe Gerichtsworten gegen Israel und Am 7-9 mit einer Reihe von Visionen.
Da es durchgehend auf Ereignisse aus der Geschichte Judas / Israels anspielt, ist die Frage der Datierung des Amosbuches wichtig für das rechte Verständnis des Inhaltes.
Will man nicht von vornherein davon ausgehen, dass das Amosbuch sich aus verschiedenen Schichten zusammensetzt〈a〉 (und dass diese so ungeschickt miteinander verknüpft worden sind, dass man sie klar voneinander scheiden kann), sind recht starke Indizien diese: (1) In Am 1,5 heißt es von den Aramäern, sie würden nach Kir deportiert werden. Nach 2 Kön 16,9 waren es die Assyrer, die dies im Zuge des syrisch-ephraimitischen Kriegs um 733-732 v. Chr. taten. (2) Am 5,5f. und wohl auch Am 4,4f. sprechen u.a. von der Vernichtung Bethels. Aus assyrischen Quellen ist uns immerhin eine Plünderung Bethels aus dem Jahr 725 v. Chr. überliefert; auf diese wird hier wohl angespielt sein. (3) Am 2,6.13-16 und auch viele andere Stellen in Am 3-9 sprechen immer wieder von einer umfassenden Niederlage Israels. Soll dies keine radikale Übertreibung sein, wird hiermit entweder die Eroberung weiter Teile des Nordreiches durch die Assyrer und die Degradierung des verbliebenen Rumpfstaates zum Vasallenstaat gemeint sein, die ebenfalls 733-732 v. Chr. stattfand, oder noch eher seine endgültige Eroberung durch dieselben um 722-720 v. Chr. (4) Am 6,2 impliziert die Eroberung der Städte Kalne, Hamath und Gat. Nach Jes 10,5.9 (vgl. auch 2 Kön 18,33f.) liegt klar am nächsten, auch hier an die Eroberung dieser Städte durch die Assyrer um 738 v. Chr., 720 v. Chr. und 711 v. Chr. zu denken.
In der jüngeren Amosforschung wird daher immer häufiger angenommen, dass zumindest große Teile des Amosbuches nicht um 760-750 v. Chr. von Amos selbst verfasst wurden, sondern nach 711 v. Chr. entstanden sind (so z.B. Strijdom 2011: zwischen 738 und 732 v. Chr.; Eidevall 2017, Möller 2003, Schütte 2016, Wood 2002: nach 722 v. Chr.; Radine 2010: nach 711 v. Chr.), weil sie häufig von den Ereignissen um 738-711 v. Chr. sprechen oder diese voraussetzen. Diese Ereignisse werden dargestellt als Strafen für Handlungen, die die angesprochenen Nationen und Stadtstaaten teilweise noch früher begingen und werden gerade dem Amos in den Mund gelegt als einem Propheten, der wenige Jahre vor 738 v. Chr. unter Jerobeam II gewirkt hatte, unter dem wiederum das Nordreich das letzte Mal aufblühte (s. 2 Kön 14,23-28), bevor es dann eben von den Assyrern unterworfen wurde.
Wichtigster historischer Kontext wäre dann also der „syrisch-ephraimitische Krieg“ (s. dazu näher im WiBiLex; sehr schön auch Donner 1964, S. 1-7.59-63; Schoors 2013, S. 102-104; speziell zum Amos-Buch: Strijdom 2011) und die etwas spätere Vernichtung Samarias und Deportation der israelitischen Oberschicht Ende des 8. Jhds: Nachdem Israel im 10. Jahrhundert in das Nordreich Israel und das Südreich Juda zerfallen war, hatte es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Israel und Juda und ihren Nachbarstaaten gegeben, in deren Zuge auch immer wieder einzelne Gebiete erobert und zurückerobert wurden (die unten abgebildeten Karten taugen also nur für einen sehr groben Überblick über die Macht- und Gebietsverhältnisse des neunten und achten Jahrhunderts). Im achten Jhd. v. Chr. dann aber erstarkte im Nordosten der assyrische König Tiglat-Pileser III. und eroberte ab 745 v. Chr. nach und nach Gebiete dieser Nationen: 738 v. Chr. unterwarf er u.a. Israel, Aram, den phönizischen Stadtstaat Tyrus und einen Teil des noch weiter nördlich gelegenen Staates Hamath (der dann 720 v. Chr. vollständig unterworfen wurde) und verpflichtete ihre Könige zu Tributzahlungen.
Der aramäische König Rezin und der israelitische König Pekah (735-733 v. Chr.) verfolgten daher eine konsequent anti-assyrische Politik und schlossen gemeinsam mit König Hiram II. von Tyrus und recht wahrscheinlich mit König Mitinti von Aschkelon – vielleicht aber auch noch mit weiteren philistäischen Stadtstaaten, bes. Gaza – eine anti-assyrische Koalition. Einige oder alle Mitglieder dieser Koalition versuchten, auch Juda mit militärischer Macht in ihre Reihen zu zwingen,〈b〉 das ohnehin gerade in Bedrängnis war, weil zeitgleich mit den Israeliten, Aramäern und vielleicht den Tyrern aus dem Norden und Nordosten und den Philistern aus dem Westen auch noch die Edomiter aus dem Osten in ihr Land einfielen und es so von drei Seiten gleichzeitig in die Zange genommen wurde (s. zu Israel und Aram 2 Kön 16,5; 2 Chr 28,5f.; Jes 9,10f., zur Philistäa Jes 9,11 mit 2 Chr 28,18, zu den Edomitern 2 Chr 28,17. Auf der Karte abgebildet ist auch Gilead, ein bis dahin von Israeliten, Judäern, Aramäern, Ammonitern und auch Moabitern stark umkämpftes Gebiet, von dem Teile immer wieder den Besitzer wechselten):
Darauf wandte sich der judäische König Ahas (741-725 v. Chr.) hilfesuchend an Tiglat-Pileser (s. 2 Kön 16,5-9), der sich gerade weiter nach Süden vorgearbeitet und 734 v. Chr. z.B. auch die philistäischen Städte Ekron, Aschdod, Aschekelon und Gaza an der Mittelmeerküste unterworfen hatte. Unter anderem aus diesem Grund wandte er sich daher dann wieder nach Osten und den rebellierenden Staaten Israel und Aram zu: 733-732 v. Chr. nahm er Israel erneut ein, und um die Stärke Israels nachhaltig zu schwächen, reduzierte er kurzerhand Israel auf sein Kerngebiet rund um die Hauptstadt Samarien und so zum Rumpfstaat „Ephraim“, wandelte den Rest Israels stattdessen zu assyrischen Provinzen um, deportierte zusätzlich – wie bei den Assyrern üblich – mehr als die Hälfte der Einwohner dieser Gebiete (vgl. zu den Zahlen Barmash 2005, S. 210-212) und setzte außerdem König Pekach ab und dessen ihm zunächst ergebenen Nachfolger Hoschea (732-722 v. Chr.) ein (s. 2 Kön 15,29f.; 1 Chr 5,26; s. auch in einer assyr. Inschrift (nach: COS 2.117C): „... Die Stadt von Gil[ead und die Stadt von] Abel-[Beth-Maaka] an der Grenze des Landes des Hauses Omri (=Israel) gewann ich zu Assyrien hinzu und das gan[ze] weite Land des Hauses Hazael (=Aram). [Ich setz]te [Eunuchen über sie] als Stadthalter ein.“).
733 unterwarf er außerdem Edom, Moab und Ammon und 732 ebenfalls zum zweiten Mal Aram mit Damaskus als dem ursprünglichen Machtzentrum des Aramäerreiches, um es ab dem selben Jahr zum neuen Machtzentrum des assyrischen Großreiches auszubauen (2 Kön 16,9; auch die Aramäer wurden nach diesem Vers nun deportiert). Auch Ahas wurde durch sein Handeln natürlich zum tributpflichtigen Vasallen der Assyrern, war aber offenbar dennoch derart pro-assyrisch eingestellt, dass er kurz darauf gar im Jerusalemer Tempel einen Altar nach assyrischem Vorbild errichtete (s. 2 Kön 16,10-18). Nicht so der israelitische König Hoschea: Nach dem Tod Tiglat-Pilesers wagte Israel unter ihm erneut einen Aufstand und suchte ein Bündnis mit den Ägyptern einzugehen (2 Kön 17,3), wurde aber erneut in zwei Etappen zunächst um 722 v. Chr. durch Tiglat-Pilesers Nachfolger Salmanassar V. und dann 720 v. Chr. von dessen Nachfolger Sargon II. besiegt. Wie schon zuvor in Aram und den bereits eroberten Gebieten Israels wurden auch hier wieder Teile der Bevölkerung deportiert (2 Kön 17,23), um sie andernorts anzusiedeln, und andererseits Deportierte aus anderen Nationen in dieser Region angesiedelt (2 Kön 17,24), um so auch den verbliebenen Rest Israels zu destabilisieren. Die Bibel spricht hier immer wieder von einer Deportation „des ganzen Israel“, wie auch bei der Deportation der Gileaditer von einer Deportation „ganz Gileads“ gesprochen wird; assyrische Quellen dagegen berichten nur von grob 27.000 Deportierten entweder von den ca. 100.000 Einwohnern der Region Samaria oder den ca. 350.000 Einwohnern des Nordreiches Israel (vgl. zu den Zahlen wieder Barmash 2005, S. 216). Deportiert wurde in diesem Fall also wahrscheinlich hauptsächlich die Oberschicht. Hinzu kommt aber die große Zahl von Israeliten, die daraufhin ins Südreich Juda flohen (allein Jerusalem wuchs in dieser Zeit von max. 8.000 auf min. 24.000 Einwohner an; vgl. ebd., S. 218f.), und die große Zahl an Bürgern verfeindeter Nationen, die nun inmitten der Israeliten siedelten. 720 war daher also wirklich das Ende des verbliebenen Nordreichs, das nun ohnehin auch politisch endgültig assyrische Provinz wurde.
Umwälzungen von solchem Ausmaß machten Erklärungen nötig: Wie konnte Gott das zulassen? Wie konnte er erstens zulassen, dass Judas und Israels Nachbarvölker, denen man sich trotz aller Konflikte näher fühlte als den Assyrern, sämtlich von den Assyrern besiegt wurden? Wie konnte er es zweitens zulassen, dass sogar seiner auserwählten Nation Israel ein solches Schicksal widerfuhr? Und was hatte es drittens für Gründe, dass gerade der israelitischen Oberschicht besonders übel mitgespielt wurde? – Eine Antwort darauf versucht das Amosbuch zu geben.
Literatur[Bearbeiten]
S. die Die Diskussionsseite zu Am 1 und den folgenden Kapiteln.
a | Eine Hypothese und Forschungsrichtung, über die bes. in Deutschland intensiv geforscht wird, vgl. den Überblick über diverse Positionen in Brettler (2006): „Redaction, History, and Redaction-History of Amos in Recent Scholarship“ und das Update in Carroll (2019): „Twenty Years of Amos Research“; ergänze Höffkens WiBiLex-Artikel „Amos / Amosbuch“ (2006). (Zurück zu ) |
b | Sicher belegt ist dies nur für Israel und Aram. Dass die philistäische Stadt Askalon an der Koalition teilhatte, ist wahrscheinlich aufgrund der folgenden assyrischen Inschrift: „Mitinti von Askalon ... gegen den Vertrag und empörte sich gegen mich [i.e. Tiglat-Pileser]. Als er die Niederlage des Rezin erfuhr, ... in Verzweiflung...“ (TUAT I/4, S. 373). Möglicherweise war auch Gaza beteiligt; jedenfalls wird dies nahegelegt durch die Auskunft einer weiteren assyrischen Inschrift, in der von Tiglat-Pilesers Sieg über den aramäisch-israelitischen Aufstand berichtet wird: Nach und nach wird dort das „Omri-Land“ (=Israel), Tyrus und Aram und dann eben Gaza mit seinem König Chanunu abgehandelt, der aufgrund des Sieges Tiglat-Pilesers nach Ägypten floh (s. ebd.). Dass die Philister auch speziell am aramäisch-israelitischen Feldzug beteiligt waren, legt die Formulierung von Jes 9,10-11 nahe, die an eine konzertierte Aktion denken lässt. Vgl. dann auch 2 Chr 28,18. Ebenso gut möglich ist aber natürlich, dass die Philister nur die Gunst der Stunde und den aramäisch-israelitischen Aufstand nutzten, um ebenfalls einen Aufstand zu wagen und sich außerdem judäische Gebiete anzueignen; als sie dann sahen, dass selbst die Koalition aus Rezin und Pekah den Assyrern unterlegen war, geriet Mitinti in Verzweiflung und Chanunu floh nach Ägypten. Dass dagegen Tyrus Teil der Koalition war, ist klar; in der eben erwähnten Inschrift nämlich ist die Rede von „Hiram von Tyrus, der mit Rezin konspirierte“ (ebd.). Eine Beteiligung von Tyrus am Feldzug gegen Israel ist wiederum nirgends belegt, wird aber recht wahrscheinlich aufgrund des Folgenden: Nach einer assyrischen Inschrift aus dem Iran war der Name von Hirams II. Vorgänger tu-ba-ìlu (-738 v. Chr.). Nach Jes 7,6 war der Plan Rezins der, den judäischen König durch einen ben Tabeal zu ersetzen. Weil kein anderer Tabeal bekannt ist, denken einige Historiker, dass dies dann wohl ein Sohn des tyrischen Königs tu-ba-ìlu sein muss (z.B. Vanel 1974, Asurmendi 1982, S. 53f.; Irvine 1990, S. 154f., Cazelles 1991, S. 42f.; vgl. auch Dearman 1996, zum Namen Kuan 2016, S. 153), wie ja Juda bereits im 9. Jhd. mit Atalja eine halb-phönizische Königin hatte (s. 2 Kön 11 und 2 Chr 22-23). War Tyrus Bundesgenosse von Aram und Israel – was sicher ist – und war es darüber hinaus tatsächlich der Plan Rezins, einen tyrischen Prinzen als judäischen König zu installieren – was nicht ganz so sicher ist –, wäre es sehr wahrscheinlich, dass auch Tyrus am syrisch-israelitisch-philistäischen Feldzug gegen Juda beteiligt war. (Zurück zu ) |