Gen 31,43-32,1/Persönliche Fassung (Sebastian Walter)

Aus Die Offene Bibel

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Dies ist eine individuell verantwortete Textfassung. Sie ist Teil der Offenen Bibel, stammt aber in dieser Version nicht vom Gesamt-Team.

Persönliche Fassung

?. Vertrag zum Vertragen?


Weiß und Fers mit Cairn und Mazzebe. KI-Art, CC0

43 Doch dann sagte Laban:
„Was kann ich heute für meine Töchter tun
oder für ihre Kinder, die sie geboren haben?
44 Nun denn, komm!
Lass uns ein Bündnis schließen – ich und du,
Das diene als Zeuge zwischen mir und dir!“


45 Da nahm Fers einen Stein und richtete ihn als Mazzebe auf. 46 Und zu seinen Brüdern sagte er: „Sammelt Steine!“ Da nahmen sie Steine und machten einen Cairn. Bei diesem Cairn aßen sie auch. 47 Beide nannten ihn „Zeugen-Cairn“: Weiß nannte ihn auf Aramäisch „Jegar-Sahaduta“ und Fers nannte ihn auf Hebräisch „Gal-Ed“, 48 denn Weiß sagte: „Dieser Cairn sei von heute an Zeuge zwischen mir und dir!“a Daher heißt er „Gal-Ed“ 49 und „Aussichtsplattform“, weil er außerdem sagte: „GOTT halte Aussicht zwischen mir und dir – auch, wenn einer von seinem Verbündetenb verborgen ist! 50 Wenn du meine Töchter bedrückst oder wenn du Frauen zusätzlich zu meinen Töchtern nimmst – auch dann, wenn niemand bei uns ist, sei Gott Zeuge zwischen mir und dir!“
51 Weiter sprach Weiß zu Fers: „Dieser Cairn und diese Mazzebe, die ich aufgestellt habe zwischen mir und dir, 52 seien Zeuge und Zeugin! Wenn ich die Grenze bei diesem Cairn zu dir überschreite und wenn du die Grenze bei dieser Mazzebe und diesem Cairn zu mir überschreitest anders denn als Verbündeterb53 dann sollen die Götterc von Vater-Gnade und Nahor, die Götter von ihrer beider Vater, zwischen uns richten!“
Da schwur Fers beim Schrecken seines Vaters Lach.


54 Dann opferte Fers auf dem Berg ein Opfer und lud seine Brüder ein, Brot zu essen. Danach übernachteten sie auf dem Berg. 32,1 Am Morgen stand Weiß auf, küsste seine Töchter und Kinder und segnete sie. Dann ging er fort und kehrte zurück an seinen Wohnort.


Gen 31,22-43 <= | => Gen 32,2-3


Gen 31,43-32,1 kommt nach dem vorigen Abschnitt sehr plötzlich, Weiß hat hier auch auf einmal eine sehr andere Theologie, und die Strategie des Textes ist sehr anders als zuvor: Während dort die Erzählung immer wieder die zwei Gauner Weiß und Fers aufeinanderprallen ließ und dies die Handlung vorantrieb, spielt hier der Charakter der beiden gar keine Rolle mehr; stattdessen werden mit einem Ehevertrag und einem Grenzvertrag zwei Rechtsdokumente in Erzählform gegossen. Dieser Abschnitt ist daher sehr wahrscheinlich von einem anderen Autoren verfasst worden und so der Fers-Erzählung aus einer anderen Quelle zugewachsen.
Wie in Gen 28,11-18 wird hier ein Bündnis mit dem Errichten von Steinmonumenten besiegelt. Diesmal sogar gleich doppelt; eigentlich sogar doppelt im Quadrat: Erstens errichtet Fers wieder eine steinerne Stele als „Mazzebe“, außerdem wird aus Feldsteinen ein Steinhügel zu einem „Cairn“ aufgehäuft. Zweitens ist von diesem doppelten Aufrichten vor beiden Verträgen die Rede, und vor beiden Verträgen wird noch einmal eigens auf die Zeugenfunktion der Steinmonumente hingewiesen.
Mazzeben als Grenzsteine sind aus dem Alten Orient gut bekannt; als Beispiel ein Auszug aus der Inschrift der assyrischen Pazarcık-Stele:

[Von] Šalmaneser, dem starken König des Landes Assyrien ...und seinem Feldmarschall Šamši-Ilu:
Als ich nach Damaskus kam, nahm ich als Tribut von Hadiani aus Damaskus Silber, Gold, Kupfer ... und seine Tochter mit reicher Mitgift ... entgegen. Bei meiner Rückkehr setzte ich zugunsten von Ušpilulume, König der Stadt Kummuh, diese(n) Grenze/Grenzstein.
Wer auch immer von den Ländereien Ušpilulumes, seinen Söhnen oder seinen Enkeln raubt, für den sollen die Götter Aššur, Marduk, Adad, Sin und Šamaš im Gericht nicht einstehen, seine Gebete nicht erhören und sein Land vernichten. (frei nach Hasegawa 2010, S. 6).

Wie auf dieser Inschrift wird auch mit Fers' Mazzebe eine Landesgrenze markiert; wie dort wird auch hier die Strafe von mehreren Göttern bei einer „Gerichtsverhandlung“ für Grenzverletzungen ausgerufen (V. 51-53). Während aber dort und bei allen bekannten Grenz-Mazzeben klar ist, dass der eine Herrscher über eine Region oder der eine Sieger bei Grenzstreitigkeiten die jeweilige Grenzmazzebe errichten ließ, wird in diesem Abschnitt wieder und wieder betont, dass es hier anders ist: Der Cairn wird auf Fers' Befehl, aber von den Männern von Weiß aufgehäuft (V. 46); sowohl Fers als auch Weiß errichten die Mazzebe (Vv. 45.51), Fers und Weiß benennen beide die Mazzebe, sogar mit dem selben Namen in zwei unterschiedlichen Sprachen (V. 47), und am Ende von V. 48 ist im Hebräischen nicht einmal klar, ob hier wirklich schon wieder der Erzähler spricht, oder ob Weiß dem Cairn danach dann auch noch mal den selben hebräischen Namen wie zuvor Fers gibt. In dieses Muster passt auch das fortwährend wiederholte „zwischen mir und dir“ (Vv. 44.48.49.50.51) und die Paarungen „ich und du“ (V. 44.52), „Weiß und Fers“ (V. 47), unsere Ahnen „Vater-Gnade und Nahor“ (V. 53) und die zweimalige Rede vom „Verbündeten“: Anders als üblich ist dies wirklich ein Vertrag zweier Partner auf Augenhöhe.
Diesem Grenzvertrag vorgeschaltet wird eine Art Ehevertrag. Auch solche Eheverträge sind aus dem Alten Orient gut bekannt. Bestimmt wurden in ihnen Heiratsbedingungen, deren häufigste das Verbot der Heirat von weiteren Frauen war, und oft auch gleich Scheidungsbedingungen (wie z.B.:
[Wenn die Braut] ihn fortwährend angreift, soll sie ihre Mitgift und alles, was ihr von ihres Vaters Besitz zubestimmt worden ist, nehmen und frei davongehen.“, Alalakh-Tafel 92, nach Wiseman 1953, S. 54). Ähnliche Bestimmungen werden hier gemacht: Fers darf seine Frauen nicht „bedrücken“ und zusätzlich zu seinen beiden Frauen keine weiteren Frauen nehmen.
Mit den Frauen beginnt der Abschnitt auch: Das ganze Bündnis wird überhaupt erst um ihretwillen geschlossen, was erklärt, dass die Eheabsprachen untypischerweise in den Grenzvertrag integriert wurden. Und mit ihnen endet er, bevor Fers in Gen 32,2-3 gleich eine weitere übernatürliche Erscheinung haben wird. Ob sich Weiß und Laban am Ende wirklich vertragen haben oder nur einen Vertrag geschlossen haben, ist daher noch im letzten Vers gar nicht klar, wo Weiß so anders als in Gen 29,13 Fers bei seinem Abschied ganz ignoriert und sich nur von seinen Töchtern und Enkeln verabschiedet (gut gesehen z.B. von Fokkelman 1975, S. 192).


aDie Mazzebe wird so gleichzeitig namensgebend für die Region, in der der Bund geschlossen wird: „Gil´ad“ wäre nach dieser Erzählung angeblich abzuleiten von Gal-Ed. Tatsächlich bedeutet Gil´ad wahrscheinlich „rauhes Bergland“. (Zurück zu Lesefassung v.48)
bVerbündeter ist in V. 49 wörtlich der „Freund“. Das Wort wird verwendet in der häufigen Formel „ein Mann von seinem Freund“, was als hebräischer Ausdruck meist nicht mehr bedeutet als „einer vom anderen“. In diesem Abschnitt wird das Wort aber kurz darauf wiederholt und ist daher in V. 49 gewiss bewusst gewählt: In V. 52 liest man mit Jub 29,7 besser nicht la-ra´ah („die Grenze überschreiten zum Bösen“), sondern la-re´eh („als Verbündeter“). „Die Götter sollen zwischen uns richten, wenn nicht einer die Grenze zum anderen zum Bösen überschreitet“ wäre widersinnig. (Zurück zu Lesefassung v.49 / zu Lesefassung v.52)
cOder jeweils: der Gott. Nach späterer jüdischer und muslimischer Tradition war Vater-Gnade der erste Mensch, der nur an den einen biblischen Gott glaubte. Im Midrasch BerR 38,13-19 und im Koran, Sure 21,51-70, wird sogar eine ähnliche Geschichte über ihn erzählt wie im vorangegangenen Abschnitt über Zibbe: Er habe die Götzenfiguren seines Vaters Steinbock genommen und zerstört. Ähnliches verlautet auch Jos 24,2. Damit scheint sich dieser Vers zu beißen: Syntaktisch glatt lässt er sich nur entweder so deuten, dass Steinbock, der Vater von Vater-Gnade und Nahor, unter anderem ebenfalls schon diesen Gott verehrte und dann nur diesen an Vater-Gnade und (einen) andere(n) an Nahor weitervererbte, oder so, dass alle drei nur diesen einen biblischen Gott verehrten. Dass Weiß in V. 49 von „GOTT“ spricht und auch Fers in V. 51 nur bei dem „Schrecken seines Vaters“ schwört, macht die zweite Variante sogar wahrscheinlicher; dann beißt der Vers sich aber endgültig mit Jos 24,2. Besser versteht man ihn daher so, dass mindestens von zwei Göttern die Rede ist, und Jos 24,2 so, dass dort nur gesagt wird, dass Steinbock und seine Generation auch andere Götter neben dem biblischen Gott hatten. Fers erweist sich dann ganz als seines Großvaters Enkel, indem er nur bei dem Schwur beim einen Gott seiner beiden Vorfahren mitmacht. (Zurück zu Lesefassung v.53)