Gen 33,1-17/Persönliche Fassung (Sebastian Walter)

Aus Die Offene Bibel

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Dies ist eine individuell verantwortete Textfassung. Sie ist Teil der Offenen Bibel, stammt aber in dieser Version nicht vom Gesamt-Team.

Persönliche Fassung

?. Esaus Segen


Peter Paul Rubens: Versöhnung von Esau und Fers. Ölgemälde, um 1625. CC0 via Wikimedia Commons

1 Dann schaute Fers auf und sah Esau mit 400 Mann. Da teilte er die Kinder auf Kuh und Zibbe und auf die beiden Dienerinnen auf 2 und stellte die Dienerinnen und ihre Kinder an den Anfang, Kuh und ihre Kinder dahinter und Zibbe und Mehr dahinter. 3 Er wiederum ging ihnen voran und warf sich siebenmal zur Erde nieder, bis er seinen Bruder erreicht hatte, 4 und Esau – rannte ihm entgegen, umarmte ihn, fiel ihm um den Hals,a küsste ihn, und sie weinten.


5 Dann schaute Esau auf und sah die Frauen und die Kinder. Er fragte: „Wer ist das? Von dir?“
Fers erwiderte: „Dies sind die Kinder, mit welchen Gott euren ergebenen Diener zu begnadigenb geruhte.“
6 Die Dienerinnen kamen mit ihren Kindern näher und warfen sich nieder. 7 Auch Kuh und ihre Kinder kamen näher und warfen sich nieder. Danach nahten sich Mehr und Zibbe und warfen sich nieder.c


8 Dann frage Esau: „Wer war dieses Lager von dir, dem ich begegnet bin?“
Er antwortete: „Ich wollte damit Gnade finden in den Augen meines verehrten Herrn.“
9 Doch Esau sagte: „Ich hab genug, Bruder! Was dir ist, sei dir!“d
10 Fers aber erwiderte: „Aber bitte, nicht doch! Bitte, wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, dann nimm meine Gabe an! Ich durfte ja dein Gesicht sehen, wie man Gottes Gesicht sehen darf, und war dir wohlgefällig!e 11 So nimm doch bitte meinen Segen an, den ich bringen ließ: Gott hat mich begnadigt und ich hab alles!“
So drängte er ihn. Da nahm er's.


12 Dann sagte er: „Lass uns aufbrechen. Ich will bei der Reise vor dir gehen!“f
13 Doch jener sagte: „Mein verehrter Herr weiß ja, dass die Kinder noch zart sind und dass noch säugendes Klein- und Rindvieh unter meiner Obhut steht. Wenn ich sie nur einen Tag zu hart antriebe, würde das gesamte Kleinvieh sterben! 14 Mein verehrter Herr gehe seinem untertänigen Knecht voran! Ich meinerseits will so schonend führen, wie das Tempo des Besitzes vor mir und das Tempo der Kinder es erfordern, bis ich dann zu meinem verehrten Herrn nach Seir komme!“
15 Esau erwiderte: „Dann lass mich bitte wenigstens ein paar Mann von dem Volk für dich abstellen, das bei mir ist.“
Doch Fers entgegnete: „Wozu? Ich will nur Gnade finden in den Augen meines verehrten Herrn!“


16 So kehrte Esau am selben Tag um auf seinen Weg nach Seir, 17 Fers aber brach nach Sukkot auf und baute sich ein Haus. Und weil er auch für seine Herden Hütten machte, nennt man den Ort heute Sukkot: „Hütten“.

Gen 32,23-32 <= | => Gen 33,18-20


Chrysostomus hat gut nachgezeichnet, wie überraschend das Kapitel oben auf Gen 32,23-32 folgt: Fers hat erstens nun endlich auch legitimerweise und von Gott höchstselbst seinen eigenen Segen bekommen; er hat zweitens die bestärkende Erfahrung gemacht, sich im Zweikampf selbst vor Gott behaupten zu können, und ist danach drittens von Gott als einer anerkannt worden, der „Gott und Mensch besiegt“. Für die Konfrontation mit seinem Bruder Esau erwartet man nun also eine Heldentat. Und tatsächlich versteckt sich Fers nicht mehr hinter Herden und Boten, sondern schreitet seiner Familie voran – und wirft sich dann siebenmal vor Esau zu Boden, wie dies nur Königen und Göttern gebührte. Noch überraschender verhält sich nur Esau, der wirklich entsprechend der Voraussage seines Vaters in Gen 27,40 ein „Mann des Schwertes“ geworden ist, wie man an seinem Heer aus 400 Mann erkennt. Doch von Aggression vonseiten des kriegerischen Todfeindes keine Spur; Esaus Freude und Rührung über die Begegnung mit seinem Bruder sind sogar so breit geschildert wie nirgends sonst in der Bibel.
Was dann folgt, ist wirklich ein Duell – aber ein Duell der Höflichkeit und Großzügigkeit: Esau hat schon von vornherein vergeben und vergessen, was Fers ihm einst angetan hat. Was begreiflich ist: Zwar hat es ihn wirklich entsprechend der Prophezeiung seines Vaters „weit weg vom Fett der Erde“ nach Edom verschlagen (Gen 27,39), aber dies war ihm gar nicht zum Nachteil; Esau geht es finanziell blendend (V. 9). Dieser Teil des „Anti-Segens“ von Lach ging offenbar nach hinten los, und Fers wird nun dafür sorgen, dass auch der Rest von Lachs Verheißung neutralisiert wird: Bis zum Ende bleibt er, dem doch verheißen wurde, dass
Esau sich vor ihm niederbeugen müsse (Gen 27,29.37), unterwürfig und auch seine Familie unterwirft sich Esau. Das größere Erbe des Erstgeborenen gleicht Fers damit aus, dass er Esau seine Geschenke geradezu aufdrängt, und als dieser erklärt, all dies gar nicht zu brauchen, deklariert er es auch noch um zu „seinem Segen“, der Esau hiermit zurückgegeben wird. Am Ende schließlich sorgt er mit der Trennung von seinem Bruder, die er bei aller Höflichkeit dennoch wie üblich durch Gaunerei herbeiführt, auch noch dafür, dass keiner der beiden je über den anderen herrschen und der andere dessen Joch von seinen Schultern werfen muss: Als Esau gen Süden nach Edom aufbricht, wendet sich Fers nach Nord(west)en und wird nördlich des Jabbok in Sukkot ansässig.
Die Erzählung ist also gewiss falsch verstanden, wenn man glaubt, hier werde vorgeführt, dass man „solche wie Esau nur mit Geschenken und Selbstdegradation besiegen könne“ (Sforno): Vorgeführt wird hier vielmehr, wie zwei Brüder dem Schicksal ein Schnippchen schlagen, das sie sich mit ihrem Handeln in der Vergangenheit selbst eingebrockt haben: Durch Höflichkeit, Demut und die Bereitschaft, vom Eigenen Opfer zu bringen.


aUnlogische Reihenfolge. LXX ist sogar noch unlogischer: „indem er ihn umarmte, küsste er ihn und fiel ihm um den Hals“. Gewiss soll diese unlogische Reihung neben der schieren Zahl an Verben die Emotionalität der Szene noch zusätzlich unterstreichen. (Zurück zu Lesefassung v.4)
bbegnadigen ist nicht das übliche Wort in diesem Kontext; erwartet hätte man „segnen“. Entweder will Fers Esau schon hier darauf einschwingen, gnädig zu sein, oder er will das belastete Wort „segnen“ vermeiden (gut z.B. Wenham 1994; Hamilton 1995; Waltke/Fredricks 2001), oder die Wortwahl soll einem Klangspiel dienen: Nachdem Fers in V. 5 davon spricht, „begnadigt“ (ḥnn) worden zu sein, fragt Esau in V. 8 nach dem ganzen „Lager“ (mḥnh). Darauf antwortet Fers zwei Mal, er wolle „Gnade“ (ḥn) in Esaus Augen finden (Vv. 8.10), das Lager solle daher „Gabe“ (mnḥh) für Esau sein (V. 10), weil ja Gott ihn „begnadigt“ (ḥnn) habe (V. 11; gut Taschner 2000, S. 164; Vrolijk 2011, S. 247). Zwei Male wird hier also Esaus „Gnade“ mit Gottes bereits erwiesener „Begnadigung“ verbunden, und die Brücke zwischen Gottes „Begnadigung“ und Esaus „Gnade“ sind Fers „Lager“ und „Gabe“: Fers will sich von Esau durch Geschenke erkaufen, dass dieser sich ihm gottgleich erzeigt.
Doch das ist gar nicht notwendig: Esau grollt ihm gar nicht mehr (V. 4) und hat selbst genug (V. 9). Daraufhin deklariert Fers die minḥah („Gabe“) um zur berakah: Wenn er Esaus Gunst gar nicht kaufen muss, will er ihm doch immerhin den „Segen“ zurückgeben, den er sich einst ergaunert hat. Darauf endlich steigt Esau ein. (Zurück zu Lesefassung v.5)
cStrukturspiel: Von Satz zu Satz rücken die Kinder weiter an die Satzspitze. Wörtlich: „Es kamen näher die Dienerinnen – sie und ihre Kinder“ – „Auch kamen näher Kuh und ihre Kinder“ – „Danach nahten sich Mehr und Zibbe“. Hervorgehoben wird dadurch nicht Zibbe, sondern Mehr, der ja auch als einziges der Kinder namentlich genannt wird. Das wird im Hebräischen außerdem noch zusätzlich dadurch unterstrichen, dass im letzten Satz eine andere Verbform als in den ersten beiden verwendet wird, und durch das Gegeneinander von „auch“ vs. „danach“: Kuh und ihre Kinder „gehören“ auch zu der Gruppe von Dienerinnen und deren Kindern; nur Mehr und Zibbe, die danach kommen, bilden eine Klasse für sich. (Zurück zu Lesefassung v.7)
dMan beachte, wie oft Esau „(von) dir“ sagt. Dass der Reichtum des einstigen Räubers Fers rechtmäßig sein Reichtum ist, ist ihm fraglos. Fers dagegen vermeidet die Worte „mein“ und „mir“, wenn es nicht gerade um seine Geschenke geht. (Zurück zu Lesefassung v.9)
eGottes Gesicht sehen, Gabe und wohlgefällig sein sind alles Begriffe aus dem israelitischen Kult: Nicht jeder darf an einem Kultort erscheinen und so „Gottes Gesicht sehen“, sondern nur der, der Gott „wohlgefällig ist“. Aus dessen Hand ist Gott dann auch eine „Gabe“ als Opfer „wohlgefällig“. Die Logik ist also: Ich war dir ja wohlgefällig, wie jemand Gott wohlgefällig sein kann, und erhielt Zutritt zu dir, wie man zum Opfern Zutritt zu Gott erhalten kann – ergo musst du nun konsequenterweise auch mein „Opfer“ annehmen, wie Gott das in solchen Fällen tun würde.
Schon das siebenmalige Niederwerfen hatte Esau mit Gott gleichgesetzt, das zu V. 5 beschriebene Wortspiel parallelisiert Esau mit Gott – und hier nun ist endgültig überdeutlich, dass sich Fers Esau gegenüber verhält, wie man sich Gott gegenüber verhalten würde; und dies gerade, nachdem er sich im vorigen Kapitel sogar vor dem echten Gott behaupten konnte. (Zurück zu Lesefassung v.10)
fEr will ihm also hilfreich den Weg weisen und freiräumen. Es ist unwichtig, wie Esau überhaupt auf die Idee kommt, dass sein Bruder zu ihm nach Edom ziehen wolle. Wichtig ist, dass er seinen einstigen Feind ohne weiteres sogar dabei unterstützen will. (Zurück zu Lesefassung v.12)