Kommentar:Psalm 13

Aus Die Offene Bibel

Wechseln zu: Navigation, Suche

Übersetzung[Bearbeiten]

1 Für den den Chorleiter.
Ein Psalm von David.


2 Bis wann, JHWH, wirst du mich [so] gänzlicha vergessen?

Bis wann wirst du dein Gesicht vor mir verbergen?

3 Bis wann muss ich Pläne (Auflehnung?, Schmerzen?, Kummer?, Sorgen?) b in meine Seele legen,

Wobei ([Bis wann (wie lange)] [wird sein/muss ich legen])c Kummer in meinem Herzen [ist] [sogar] am Tag (täglich?, den ganzen Tag?, Tag [und Nacht]? {am Tag}?)d?
Bis wann wird mein Feind mir überlegen sein?


4 Schau ([auf mich])!e, antworte mir, JHWH,f

Mein Gott, lass meine Augen leuchten,

Damit ich nicht zum Tod entschlafe (im Tod schlafe, tot schlafe, den [Schlaf des] Tod[es] schlafe)g,

5 Damit mein Feind nicht sagen kann: „Ich habe ihn übermocht (Ich habe ihn ausgetilgt?, Ich habe es geschafft?)h!“


Mögen auch meine Bedränger jubeln, weil ich wanke,

vertraue ich dagegen (Ich dagegen vertraue)i auf deine Gnade (Güte):

Mein Herz soll [dereinst] jubelni über deine Hilfe,

Ich will JHWH [dereinst] besingeni: „Er hat an mir [Gutes] getani!“

Anmerkungen zum Text[Bearbeiten]

a[so] gänzlich (für immer, fortwährend) - נֶצַח hat meist die Bedeutung „für immer“ (vgl. z.B. Ges18, S. 839); hier - wie auch Ps 74,10; 79,5; 89,47 - würde diese Deutung aufgrund des Gegensatzes von „wie lange“ und „für immer“ jedoch zu Nonsens führen: „Wie lange willst du mich für immer vergessen?“. Als Lösungen dieser Schwierigkeit wurde vorgeschlagen (unsere Lösung: Lösung (5)),
  1. der Text sei zwar logisch gesehen Nonsens, psychologisch aber verständlich: Der logische Widerspruch solle den „komplizierten Seelenzustand [des Psalmisten ausdrücken] wo, wie Luther ihn kurz und treffend beschreibt, im Angstgefühl des göttlichen Zornes ‚die Hoffnung selbst verzweifelt und die Verzweiflung dennoch hoffet‘.“ (Delitzsch 1894, S. 140; so auch Alter 2007; Baethgen 1892; Perowne 1880; Weiss 1984, S. 303f).
  2. der Dichter habe hier die beiden Fragen „Wie lange willst du mich vergessen?“ und „Willst du mich für immer vergessen?“ zusammengezogen, um durch dieses sprachliche sich-Überstürzen die Erregung des Psalmisten stilistisch nachzubilden (König 1900 S. 188; so auch Herkenne 1936, S. 76; ähnlich Ridderbos 1972, S. 152).
  3. dass wir es hier nicht mit einer Doppelfrage, sondern mit zwei Einzelfragen zu tun hätten; entweder also
    1. „Wie lange, JHWH? Willst du mich für immer vergessen?“ (so BB, Buttenwieser 1938; Christensen 2005.13; Goldingay 2006; GRAIL; Kraus 1961, S. 98; Limburg 2000, S. 37; Schmidt 1934; Seybold 1996; STAD; Weber 2005) oder
    2. „Wie lange willst du mich vergessen, JHWH? Für immer?“ (so Barnes 1869; Deissler 1989; Girard 1996; NGÜ; NW; Olshausen 1853; Prinsloo 2013; Terrien 2003).
  4. dass נֶצַח hier die Bedeutung „fortwährend“ habe und also die schon im „Wie lange“ zum Ausdruck kommende Dauer des Leidens unterstreichen solle: „Wie lange willst du mich fortwährend vergessen?“ (AOAT; Bonkamp 1949; Briggs 1906; Craigie 1983; Dolson-Andrew 1994, S. 49; Duhm 1899; Janowski 2001, S. 26; Kittel 1914; Wöhrle 2011, S. 227).
  5. dass נֶצַח hier und z.B. auch in den obigen drei Stellen superlativische Funktion hat: „Wie lange willst du mich so völlig vergessen?“ (so bes. Ehrlich 1905, S. 25; Thomas 1956; auch ALB; ; H-R; HER05; Kissane 1953, S. 52; LUT; MEN; NeÜ; Nötscher 1959, S. 34; SLT; STAD; TUR; van Ess; Zenger 1987, S. 73; ZÜR.).
Dass man sich für eine Nonsens-Deutung wie (1) nur entscheiden sollte, wenn andere Deutungen nicht möglich sind, sollte offensichtlich sein. (2) ist eine Minderheitenmeinung; in der LF sollten wir uns ihr daher wohl besser nicht anschließen - sinnvoll ist sie aber allemal. Von (3.1) und (3.2) ist deutlich (3.2) vorzuziehen, weil der Vers derart analysiert auch mit der Struktur von Ps 74,10; 79,5; 89,47 übereinstimmen würde; in unserem Vers würden beide Analysen aber die Parallelität der Stichen 2a-3b aufbrechen. Deutungen (4) und (5) sind beide gleichermaßen möglich; wir haben Deutung (5) nur deshalb den Vorzug gegeben, weil sie in deutschen Bibelübersetzungen etablierter ist. (Zurück zu v.2)
bPläne (Auflehnung?, Schmerzen?, Kummer?, Sorgen?) - Die meisten Exegeten gehen davon aus, dass die „Pläne“ hier keinen Sinn machen. Wohl unnötigerweise; den meisten alten Exegeten war der Satz ganz unproblematisch: „Wie lange muss ich Pläne machen, wobei Kummer in meinem Herzen ist“ fragt danach, wie lange der Psalmist noch gezwungen sein wird, Auswege aus der leidvollen Situation zu suchen, die in 3c durch „Wie lange wird sich mein Feind gegen mich erheben“ umschrieben wird (vgl. Alexander 1850, S. 98; Baethgen 1892, S. 34; Barnes 1869, S. 110; Olshausen 1853, S. 75). Diese traditionelle Erklärung ist sicher vorzuziehen, denn die alternativen Vorschläge sind sämtlich problematisch:
  1. Driver 1946, S. 192f; Driver 1950, S. 410f.; Driver 1968b, S. 45 setzt eine Wurzel עֵצָה II Auflehnung an, die dann hier „harter Kampf, Agonie“ bedeuten soll (vgl. CDCH, S. 339; wohl daher NW: „Widerstreben“) und deshalb (?) und wg. der Übersetzung von Syr („Schmerzen“) mit „Schmerzen“ zu übersetzen sei. So auch Andersen 1972, S. 128; Craigie 1983, S. 140; Terrien 2003, S. 159f. - Wie dieses „deshalb“ hier aber gerechtfertigt sein sollte, vermag ich nicht zu sehen; ebenso wenig, warum die Rede davon sinnvoll sein sollte, dass jemand Schmerzen „in seine Seele setzt“. Dagegen auch Ges18, S. 1000; KBL3, S. 821.
  2. Alternativ wird häufig emendiert: עֵצוֹת sei zu lesen als עַצֶּבֶת Schmerz, Kummer, עַצָּבוׂת Schmerzen, Kummer o.Ä. (so BHS, Briggs 1906; Budde 1915; Cheyne 1904; Duhm 1899; Ehrlich 1905; Girard 1996; Halévy 1894c; Kissane 1953; Schmidt 1934; Seybold 1996; „Schmerzen“ haben auch Christensen 2005.13, , TEXT, Zuber 1986; „Kummer“ bei GRAIL). Anders als Drivers Vorschlag ließe sich dieser Vorschlag mit Syr stützen, aber er beruht auf einer Emendation, ist unnötig, und wieder ist nicht einsichtig, warum der Psalmist sinnvollerweise davon reden sollte, dass er „Schmerzen/Kummer in seine Seele setzt“.
  3. Kraus 1961, S. 98 denkt außerdem, עֵצוֹת habe hier die Bedeutung „Sorgen, sorgenvolle Gedanken“, was „durch Spr 27,9 und Sir 30,21 bestätigt“ werde (so auch Janowski 2001, S. 26; Weber 2005, S. 121; Wöhrle 2011, S. 227; „Sorgen“ auch Bonkamp 1949, Buttenwieser 1938, Delitzsch 1894, Fokkelman 2001, S. 92; Gerstenberger 1972, Gunkel 1968, Herkenne 1936, Kittel 1914, Nötscher 1959,Weiss 1984, S. 299 und viele Üss.). - Spr 27,9 jedoch bestätigt gar nichts: Die Bedeutung „Sorgen“ liegt für den hebräischen Text sogar sehr fern und die Übersetzung der LXX (συμπτωμάτων Missgeschicke) ist weder geeignet, diese Bedeutung zu belegen, noch hat die Wiedergabe des zweiten Versteils in der LXX überhaupt viel mit dem hebräischen Text zu tun (so auch Dolson-Andrew 1994, S. 50f). Für Sir 30,21 HBmarg dagegen würde „Sorgen“ in der Tat passen; doch nur wegen dieser einen Stelle sollte man keine weitere Nebenbedeutung für das Wort ansetzen, wenn gleichzeitig die sichere Bedeutung „Pläne“ dort sogar noch besser passt („Deine Pläne sollen dich nicht zu Fall bringen“); so deutet ja auch hier die LXX. (Zurück zu v.3)
cWobei Kummer in meinem Herzen ist (Wie lange wird sein/muss ich legen Kummer in meinem Herz) - Beide Auflösungen sind hier gleichermaßen möglich; die eingeklammerte erfordert allerdings die Ergänzung (->Brachylogie) von „Wird sein“ und „muss ich legen“ aus dem vorigen Sticho, was aber nicht problematisch ist. Dass dieser Sticho der einzige in Vv. 2f ist, in dem das einleitende „Bis wann“ fehlt, ist aber so auffällig, dass die primäre Übersetzung doch etwas wahrscheinlicher ist. (Zurück zu v.3)
d[sogar] am Tag (täglich?, den ganzen Tag?, Tag [und Nacht]?, {am Tag}?) - W.: „am Tag“. Weil das „unmöglich“ sei (Gunkel 1968, S. 46), wird sehr häufig emendiert: (1) Entweder ergänzt man mit LXX ולילה und in der Nacht („wobei Tag [und Nacht] Kummer in meinem Herzen ist“) oder (2) man emendiert יוֹמָם am Tag zu יום יום Tag auf Tag, täglich, fortwährend („wobei täglich/fortwährend Kummer in meinem Herzen ist“). (3) Delitzsch 1894, S. 140 und Edel 1966, S. 19 denken außerdem, in Sticho a sei ein implizites „in der Nacht“ mitzuverstehen („Wie lange muss ich [nachts] Pläne in meine Seele legen, während tagsüber Kummer in meinem Herzen ist?“). Von diesen drei Vorschlägen wäre deutlich (3) vorzuziehen, weil er von der Notwendigkeit einer Emendation entbinden wurde; noch eleganter ist aber der Vorschlag von Barthélemy 1982, S. 54, den auch Zenger 1987 und Janowski 2001 übernommen haben: (4) Anders als das Deutsche setzt das Hebräische häufig keine Fokuspartikel, wo dies im Deutschen geboten wäre. Weil die Zeit, zu der man den „Kummer im Herzen“ besonders intensiv empfindet, eigentlich die Nacht ist (so schon Olshausen 1853, S. 75), ist das „am Tag“ steigernd zu verstehen: Nicht nur in der Nacht, sondern selbst am Tag empfindet der Psalmist deutlich den Kummer in seinem Herzen. In der LF muss man daher ein für das Deutsche notwendige „selbst, sogar“ ergänzen. (Zurück zu v.3)
eSchau ([auf mich]) ist entweder eine sog. „phatische Äußerung“ - d.h. eine Äußerung, die die Aufmerksamkeit des Hörers auf den Sprecher lenken soll (vergleichbar etwa einem gehobenerem Deutschen „Hey!,...“, „Hör mal:...“; vgl. dazu z.B. Jenni 2005, S. 242), oder man muss ein „auf mich“ aus dem folgenden „antworte mir“ ergänzen (-> Brachylogie; so auch AOAT; Barnes 1869; Buttenwieser 1938; Christensen 2005.13; Dahood 1965; Dolson-Andrew 1994; FENZ; Fokkelman 2001, S. 92; Limburg 2000; NW; Terrien 2003; Zenger 1987). Beide Analysen sind hier gleichermaßen möglich; weil aber rückwirkende Brachylogien (d.h. unvollständige Konstruktionen, die man nicht aus einer vorangegangenen Konstruktion „vervollständigen“ muss, sondern aus einer erst noch folgenden Konstruktion - wie hier dem folgenden „antworte mir“) auch im Hebräischen eher selten sind, sollte man sich vielleicht doch eher für Analyse (1) entscheiden. (Zurück zu v.4)
fDie Strukturierung der Vv. 4f ist in der Exegese umstritten. Nach der masoretischen Akzentuierung (so daher auch die meisten Üss. und Exegeten) müsste man strukturieren:
Schau!, antworte mir, JHWH, mein Gott!
Lass meine Augen leuchten, damit ich nicht den Schlaf des Todes schlafe!
Damit nicht mein Feind sagt: ‚Ich habe ihn übermocht‘;
[damit nicht] meine Widersacher jubeln, dass ich wanke.
Doch ich vertraue auf deine Huld...
Fokkelman 2000, S. 87; Fokkelman 2001, S. 92; Weber 2005, S. 121 und Zenger 1987 haben dagegen gut vorgeschlagen, „Mein Gott“ in den nächsten Sticho zu ziehen und „damit ich nicht den Schaf des Todes schlafe“ einen weiteren eigenen Sticho sein zu lassen. Auf diese Weise wäre 4a.b chiastisch gebaut ([Bitte]+[Gottesbezeichnung] / [Gottesbezeichnung]+[Bitte]) und die beiden „damit nicht“-Stichen wären parallel. Kissane 1953, S. 53; Steck 1980, S. 62; Zenger 1987, S. 73f und Zorell 1928, S. 17 ziehen außerdem 5b zu V. 6, was erklären würde, warum V. 6 mit einem adversativen Waw eingeleitet wird und von der Notwendigkeit entbinden würde, in „meine Widersacher jubeln, dass ich wanke“ ein „damit nicht“ zu ergänzen, um den Sticho mit den beiden vorangehenden zu parallelisieren. Dass 5b eng mit V. 6 zusammenhängt, zeigt ohnehin schon die Wiederholung des Wortes „jubeln“. Beide Vorschläge sind sehr sinnvoll; (2) + (3) ergeben kombiniert die obige Strukturierung. (Zurück zu v.4)
gzum Tod entschlafe (im Tod schlafe, tot schlafe, den [Schlaf des] Tod[es] schlafe) - Analyse umstritten.
  1. Die Mehrheitsmeinung (so z.B. auch Baethgen 1892; Bonkamp 1949; Deissler 1989; Delitzsch 1894; Duhm 1899; Ehrlich 1905; Girard 1996; Gunkel 1968; Janowski 2001; Kraus 1961; Schmidt 1934; Weber 2005; Wellhausen 1898; Wöhrle 2011; Zenger 1987), die hier auch als die einfachste Analyse vorzuziehen ist, deutet „Tod“ als adverbialen Akkusativ des Effekts: „damit ich nicht entschlafe - was zum Tod führt“. Daneben wurde vorgeschlagen, „Tod“ zu analysieren als
  2. adverbialen Akkusativ des Orts (so z.B. Goldingay 2006, S. 203): „Damit ich nicht im Tod schlafe“ - doch läge der Fokus dann ja nicht auf dem Tod, sondern auf dem Schlafen des Psalmisten.
  3. adverbialen Akkusativ des Zustands (so z.B. Briggs 1906, S. 102): „Damit ich nicht tot schlafe“ - doch läge auch hier der Fokus nicht auf dem Tod, sondern auf dem Schlafen des Psalmisten („Damit ich nicht schlafe und dabei tot bin“).
  4. Recht verbreitet ist außerdem die Position, die אִישַׁן הַמָּֽוֶת ich schlafe den Tod als Abkürzung für אִישַׁן שְנַת הַמָּֽוֶת ich schlafe den Schlaf des Todes deutet (so z.B. Dolson-Andrew 1994, S. 63) - doch warum sollte man von einer solche Abkürzung ausgehen, wenn der Text Sinn ergibt, wie er steht? (Zurück zu v.4)
hIch habe ihn übermocht (Ich habe ihn ausgetilgt?, Ich habe es geschafft?) - Bedeutung umstritten.
  1. Für gewöhnlich wird das wird das Wort abgeleitet von יכל können, überlegen sein, siegen. Steht dieses Wort aber mit einem Objekt, dem man „überlegen ist“ oder das „besiegt wird“, steht dieses Objekt in der Regel mit ל; hier dagegen ist es ohne Präposition und mit direktem Objekt konstruiert.
    1. Entweder ist also davon auszugehen, dass יכל zu den wenigen Wörtern gehört, die gelegentlich auch irregulär gleichbedeutend mit direktem Objekt statt mit Präpositionalphrase konstruiert werden können (dazu vgl. BrSynt §90a) und nur hier und in Jer 38,5 so konstruiert wird; zu übersetzen wäre dann: „Ich bin ihm überlegen“ oder „Ich habe ihn besiegt“,
    2. oder man emendiert entsprechend Gen 32,26 und Ps 129,2 nach ׂיָכׂלְתִּי לו und es wäre ebenso zu übersetzen.
  2. Goldingay 2006, S. 203 hat sinnvoll vorgeschlagen, das Wort nicht von יכל können, überlegen sein, siegen abzuleiten, sondern von כלה austilgen (entsprechend z.B. Ex 32,10; 33,3). In dem Fall wäre die Konstruktion grammatisch unproblematisch und zu übersetzen wäre: „Ich habe ihn ausgetilgt“. Das ist ein guter Vorschlag, allerdings eine Sondermeinung; für die LF sollte man sich daher besser (1.1) anschließen.
  3. Ehrlich 1918, S. 1; Herkenne 1936, S. 76 und Schmidt 1934, S. 22 wollen außerdem emendieren nach יָכׂלְתִּי וְצָרַי Ich habe es geschafft/gesiegt! / Und meine Widersacher.... Das ist wohl ebenso gut möglich wie (1.2); da die Stelle sich aber auch ohne Eingriffe in den Konsonantentext lösen lässt, sollte man sich sicher für Vorschlag (1.1) oder (2) entscheiden. (Zurück zu v.5)
iDie Verbformen in V. 6 sind sehr spannend: „Ich vertraue“ (Qatal) - „Mein Herz soll jubeln“ (Jussiv) - „Ich will besingen“ (Kohortativ) - „er tut [Gutes]“ (Qatal). Ihre Deutung ist recht umstritten, was aber weniger auf ihre Problematik in unserem Psalm, sondern auf die Spekulation über die Textsorte „Klagelied des Einzelnen“ (zu der auch Ps 13 gehört) im Allgemeinen zurückzuführen ist. Bezeichnend für viele dieser Klagelieder eines Einzelnen ist nämlich, dass sie überwiegend im klagenden Tonfall gehalten sind, häufig aber - besonders am Ende des Psalms - einen Abschnitt / mehrere Abschnitte enthalten, die aus einer ganz anderen Stimmung gesprochen zu sein scheinen. Die traditionelle Deutung der Verbformen unseres V. 6 z.B. geht so: „Ich habe vertraut auf deine Gnade, / Mein Herz soll jubeln über deine Hilfe, / Ich will besingen JHWH, denn er hat getan Gutes an mir.“ - und die Vergangenheitsformen scheinen nahezulegen, dass zwischen V. 5 und V. 6 etwas passiert ist, das den Psalmisten dazu veranlasst, nun nicht mehr zu klagen, sondern für ein irgendwann zwischen der Äußerung von V. 5 und V. 6 erfolgtes Heilshandeln JHWHs zu danken. Man bezeichnet dieses Phänomen als den sogenannten „Stimmungsumschwung“ in den Klageliedern des Einzelnen.
  1. Die traditionelle Deutung dieses „Stimmungsumschwungs“ baut auf auf einem Aufsatz Begrichs aus dem Jahre 1934, in dem er die Theorie aufgestellt hat, Anlass für diese Stimmungsumschwünge sei ein „priesterliches Heilsorakel“: Die Klagelieder des Einzelnen wurden nach Begrich stets im Tempel gesungen und nach dem Klage-abschnitt habe dann ein Priester ein Heilsorakel geäußert, für das der Psalmist so dankbar war, dass er noch einen lobend-dankenden Psalmenabschnitt angehängt habe (vgl. Begrich 1934). Nach dieser Deutung wäre die oben wiedergegebene traditionelle Deutung der Verbformen zu wählen. - Doch gibt es für diese Theorie nicht den geringsten Anhalt in den Psalmen und sie wird auch jenen Klagepsalmen nicht gerecht, die nicht nur am Ende, sondern den ganzen Klagepsalm hindurch immer wieder einzelne lobende Textabschnitte einflechten. Dennoch hat sich die Theorie dieses „Stimmungsumschwungs aufgrund eines Heilsorakels“ nunmehr seit über 80 Jahren in der Psalmenexegese gehalten (und wird z.B. selbst noch bei Krispenz 2006 referiert); erst in den letzten Jahren sind einige alternative Vorschläge gemacht worden:
  2. Markschies 1991 und Janowski 2001 gehen davon aus, dass für die Klagelieder des Einzelnen gerade bezeichnend sei, dass sie schon von vornherein aus einer Haltung des Vertrauens in Gottes künftiges Heilshandeln gesprochen seien. Die lobend-dankenden Abschnitte in den Klagepsalmen wäre dann jeweils Ausdruck des Vertrauens in Gott, das stellenweise mitten im Klagen immer wieder aus dem Psalmisten hervorbricht und ihn zur Einflechtung eines vorwegnehmenden Lob-danks veranlassen. Nach dieser Deutung wären das zweite Qatal besser als sog. „prophetisches Perfekt“ zu deuten; als Vergangenheitsformen also, die aus stilistischen Gründen für die Zukunft gebraucht wird, um damit zu unterstreichen, dass das mit dieser Verbform bezeichnete absolut sicher eintreten wird: „Und dennoch/Doch gleichzeitig vertraue ich auf deine Gnade, / Mein Herz soll jubeln über deine Hilfe, / Ich will besingen JHWH, denn er wird tun/wird getan haben Gutes an mir.“
  3. Wöhrle 2011 setzt an der Theorie an, dass die meisten Psalmen keine an eine bestimmte Situation gebundenen Gebete gewesen seien, sondern sog. „Gebetsformulare“, die möglichst viele Beter in möglichst unterschiedlichen Lebenssituationen nachbeten können sollten. Der „Stimmungsumschwung“ in diesen Gebeten solle dann ermöglichen, dass der Nachbeter dieser Gebetsformulare gleichzeitig seiner Klage als auch seinem Vertrauen in Gott Ausdruck verleihen könne.
  4. Beide Vorschläge sind der Spekulation Begrichs sicher vorzuziehen; an der Inkohärenz des „Stimmungsumschwungs“ ändern sie aber nicht viel. Sinnvoller ist daher folgender Vorschlag: Nach Broyles 1989, S. 185f und Irsigler 1995, S. 80 dient z.B. unser V. 6 nicht dazu, für ein bereits erfolgtes Heilshandeln Gottes zu danken, sondern dazu, Gott zu einem künftigen heilsamen Eingreifen zu bewegen. Vgl. ähnlich auch Gerstenberger 1991, S. 84: „Preisende Elemente fungieren in den Klagepsalmen eines Einzelnen auf eine vorläufige Art und Weise - zur Unterstützung der Bitte [...]“ (meine Üs.). Nach dieser Deutung würden sich besagte dankend-preisende Textabschnitte wesentlich besser in den Kontext des Psalms fügen und sie ist daher Deutungen (1)-(3) deutlich vorzuziehen; die Verbformen wären dann am sinnvollsten folgendermaßen zu analysieren: Jussiv und Kohortativ fungieren als Kommissive, das hebräische ki („wenn, dass, weil“) ist als „sobald“ (dazu vgl. Airoldi 1973, S. 345-50; Craigie 1983, S. 141) zu deuten und das zweite Qatal als Futur II: „Ich vertraue auf deine Gnade. / Ich verspreche, dass mein Herz über deine Hilfe jubeln wird / Und ich JHWH besingen werde, sobald er Gutes an mir getan haben wird.“
  5. Die vier obigen Deutungen nehmen, wie gesagt, weniger speziell von Verbformen in Ps 13,6 ihren Ausgang, sondern von Erwägungen über die Textsorte „Klagelied des Einzelnen“ im Speziellen. Speziell in Ps 13,6 sind sie eigentlich ganz unproblematisch und lassen sich leicht auf eine mit dem Rest des Psalms kohärente Weise analysieren: Das erste Qatal ist ein gnomisches Qatal und kontrastiert den Psalmisten mit seinen Bedrängern: Während sie ihn schon als gefallen erachten, vertraut er dennoch auf Gottes Gnade und verspricht ihm daher schon jetzt und als zusätzliche Motivation ein künftiges Danklied im Falle der Erhörung: Wenn er nicht weiterhin wanken muss, wird er nach Gottes Rettung „über seine Hilfe jubeln“ und „ihn besingen“, und zwar will er ihn dankend besingen mit den Worten (כי zur Einleitung direkter Rede): „Er hat an mir Gutes getan.“ Übersetze daher doch einfach: „Mögen auch meine Bedränger wanken, vertraue ich dagegen auf deine Gnade: Mein Herz soll (dereinst) jubeln über deine Hilfe; ich möchte (dereinst) JHWH besingen (mit den Worten): ‚Er hat Gutes an mir getan!‘.“ (zu v.5)

Kommentar[Bearbeiten]