Kommentar:Jona: Unterschied zwischen den Versionen

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<big><b>An den Leser:</b></big>:<br>
Dies ist mein Kommentar. Das schreibe ich nicht aus Geltungssucht, sondern, weil es wichtig ist, dies im Hinterkopf zu behalten: Anders als hinter Studien- und Lesefassung der Offenen Bibel steht hinter diesem Kommentar und seiner Übersetzung nicht die Offene Bibel-Community, sondern nur ich.<br />
Dies ist nicht mein Kommentar. Er ist ''offen'' - d.h., anders als klassische Kommentare steht er nicht fest, sondern will offen sein für Kritik, Anmerkungen, Diskussionen und Verbesserungen. Die geplante Infrastruktur für eine solche Textsorte ist momentan noch nicht vorhanden, aber einstweilen können Anmerkungen auf der Diskussionsseite hinterlassen werden.<br />
--[[Benutzer:Sebastian Walter|Sebastian Walter]] 09:44, 10. Sep. 2012 (CEST)
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==Zu diesem Kommentar==
Schon seit der Antike ist das Jonabuch eine der bekanntesten und meistgelesenen Erzählungen der Bibel überhaupt. Leider auch eine der meist-ausgelegten: Selten präsentiert sich die exegetische Situation eines biblischen Textes so vielstimmig und disparat wie die der Jonaexegese. Und auch das ist schon seit ältesten Zeiten so - so schreibt zum Beispiel bereits Hieronymus:
: “Ich weiß, dass alte Kirchenschriftsteller, sowohl Griechen als auch Lateiner, über dieses Buch vieles gesagt haben. Sie haben mit all ihren Untersuchungen die Aussagen nicht so sehr geklärt als vielmehr verdunkelt, so dass ihre Erklärung selbst wieder einer Erklärung bedarf und der Leser nach der Lektüre noch viel unsicherer ist, als er es vorher war.“<ref>Hieronymus, 2003. S. 89 ff.</ref>
An diesem von Hieronymus beklagten Umstand hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert.<br />
Diese Uneinigkeit beginnt schon bei der Frage nach der Datierung; Vorschläge reichen vom 8. bis zum 2. Jahrhundert vor Christus; es wird für ein einheitliches Werk gehalten oder für ein zusammengesetztes; wenn zusammengesetzt, dann kann Jon 2 abgegrenzt werden oder Jona 4 oder beide oder keins oder sonst etwas. Manchmal werden auch noch differenziertere Quellenscheidungen vorgenommen.<br>
Es geht weiter mit der Frage nach seiner Gattung. Vorgeschlagen wurden etwa: „Prophetenerzählung“ (von Rad, Craig), „Parabel“ (Scott, Rofé, Childs, mit Einschränkung Landes), „Legende“ (Jepsen; Couffignal: Anti-Legende), „didaktisches Geschichtswerk“ (Alexander), „narrative Dogmatik“ (Schmidt), „philosophische Abhandlung“ (Levine), Tragödie (Woodard), Komödie (Mather, Thorardson), „ironische Kurzgeschichte“  (West), Novelle (Wolff, Andrew, Syrén), Parodie (Band, Orth) „surrealistische Farce“ (Eagleton), Midrasch (Budde, Winckler, Trible), Lehrdichtung / Tendenzerzählung in lehrhaftem Stil (Weiser), Märchen (Cavocoressi), Prosagedicht (Bewer) und mehr.<br>
Und schließlich die Frage nach der Bedeutung des Jonabuches. Hierzu gibt es so viele Vorschläge, dass man sich in der Forschung mittlerweile nicht mal mehr nur über die Bedeutung des Jonabuchs uneins ist, sondern sogar über die sinnvollste Ordnungssystematik, auf die diese verschiedenen Vorschläge gebracht werden könnten. Wir zitieren exemplarisch den Systematisierungsvorschlag Alexanders<ref>für andere Vorschläge vgl. z.B. Bolin 1997, S. 60ff.; Zenger 2008, S. 552ff.</ref>:
# „About repentance
## To encourage the Jews to repent
## To show the possibility of repenting
## To identify repentance as the correct response to prophecy
# About unfulfilled prophecy
## To discuss prophetic non-authentication
## To offer justification for unfulfilled prophecy
## To consider the problem of conditional vs. unconditional prophecy
# About Jewish attitudes toward Gentiles
## To encourage a missionary concern
## To condemn Jewish exclusivism
## To condemn the Jews reachtion against God´s forgiving the Gentiles
# About theodicy
## To affirm God´s freedom to act graciously
## To explore the relationship between mercy and justice.“<ref>zitiert nach: Walton 1992, S. 50</ref>.
Jedoch: So sehr man sich in der Exegese auch darüber in den Haaren liegen mag, was genau denn nun eigentlich das Jonabuch bedeute - auf einen Grundkonsens ist man in der neueren Jonaforschung dennoch gekommen. Nennen wir ihn den „Mythos vom lust´gen Jonabuch und dem bösen Jona“.<br>
Er besteht aus zwei Teilen. Erstens: Das Jonabuch ist ein „komisches“ Werk. Anhänger des Mythos vom lust´gen Jonabuch und dem bösen Jona sind sich nicht einig darüber, ob es zu bezeichnen ist als „ironisch“, „parodistisch“, „satirisch“, „humoristisch“ oder anderes, aber diese Sicht beherrscht dennoch fast ohne Ausnahme alle Kommentare und Aufsätze zum Jonabuch der neueren und neuesten Zeit.<br />
Zweitens: Ebenso nahezu ausnahmslos wird der Protagonist des Jonabuches, Jona ben Amittai, aufgefasst als „Antiheld“, der aus niederen Beweggründen so handelt, wie er eben handelt und sich dabei versündigt gegen die Schiffsbesatzung, die Niniviten und zuvorderst Gott. Nehmen wir als Beispiel den Jonakommentar von Wolff: Allein auf dem Raum einer Seite wird Jona charakterisiert mit „rechthaberisch“, „hartnäckig“, „trotzig“, „schamlos“, „Trotzkopf“ und er kommt vor in Sätzen wie „der über Ninive stierende Jona“, „Er will unbedingt etwas anderes „sehen“ als was Jahwe „sah““, „seine Haltung: wir werden sehen, ob mein Zorn in Ordnung ist! Sein Hohn gegenüber Jahwe [...]“ usw.<ref>Wolff 1977, S. 142f.</ref> Stuart bricht sogar die gesamte Botschaft des Jonabuches herunter auf „Don´t be like Jonah.“<ref>Stuart 1987, S. 575</ref> Weil es besonders eindrücklich ist, hängen wir hier noch die Übersetzung eines längeren Absatzes eines Aufsatzes von Ratner an. Es ist der Beginn dieses Aufsatzes; und dass Ratner mit den folgenden wahrhaft starken Aussagen „einfach so“ seinen Aufsatz einleiten kann, zeigt, wie etabliert und akzeptiert diese Sicht auf Jona ben Amittai mittlerweile ist:
: „Der Autor des Jonabuches hat mit dem Propheten Jona eine Figur geschaffen, die ein Verächter ist und von Gott geschlagen wird (wenn auch niemals tödlich), damit einige der Leser des Autoren Sicht auf das Prophetenamt und Gottes Verhältnis zu seinen Geschöpfen kennen lernen mögen. Jona wird vorgeführt als negatives Modell für prophetisches Verhalten und für eine Ideologie, der nachzuahmen das Publikum gewarnt wird. Der Autor ist ein Meisterpädagoge: Er webt seine Geschichte mit einer vollkommenen Kunstfertigkeit, die den Leser überzeugt, dass Jona´s arroganter Unwille und geistige Beschränktheit ein Hohn auf die große und verehrungswürdige prophetische Berufung sind. Ironie, Satire und extensive Verwendung von Wortspielen dienen als rhetorische Mittel, um Jona herunterzuspielen. Er hat einen Erzählverlauf geschaffen, innerhalb dessen Gott wiederholt versucht, Jona zu belehren - aber stets versagt Jona. [...]<br />
: Jona wird gezeichnet als die Karikatur eines Propheten. Seine heuchlerischen Äußerungen (cf. 1:9), leeren und abgedroschenen Preisungen ohne jegliche Reue (gerade so, als wäre Reue einfach kein Bestandteil von Jona´s Vokabular; vgl. den Psalm) und seine einzigartig egoistischen und egozentrischen Sorgen (er hat fortwährend Sinneswandel, wenn es um sein eigenes Wohlergehen geht, aber er weigert sich, dies anderen zuzugestehen; vgl. den Psalm und Kapitel 4) zeigen allesamt dem Leser auf, dass es noch einiges gibt, das Jona lernen muss. Am Ende des Buches sitzt Jona da - schweigend, aber vermutlich unberührt von der ihm vom großen Lehrer beigebrachten, extra auf ihn zugeschnittenen Belehrung.“<ref>Rater 1988, S. 10f.</ref>
Es ließen sich noch viele, viele weitere exemplarische Textstellen zitieren - wie gesagt: Diese beiden grundsätzlichen Sichtweisen auf Jona ben Amittai und das Jonabuch beherrschen nahezu sämtliche Aufsätze und Kommentare zum Jonabuch. Dabei kann man schon vor einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Jonabuch auf gleich mehrere Indizien stoßen, die zeigen, dass diese Deutung des Jonabuchs einfach nicht die richtige sein ''kann'':
(1): Biblische Zeugnisse: Sowohl in Tob 14,4.8 als auch in 3Makk 6,8 wird Jona nicht anders denn als vorbildlicher und wahrer Prophet zitiert, und auch in den Aussagen Jesu´ zu Jona findet sich nicht ein Hauch eines negativen Untertons (mehr noch - „Hier ist mehr als Jona“ funktionierte ja gar nicht, wenn Jona von Jesus oder seinen Zuhörern negativ wahrgenommen würde).
(2): Die Anmerkungen der Alten der Exegese zum Jonabuch, die gleichfalls Jona nicht anders denn als Heiligen und vorbildlichen Propheten wahrnehmen konnten. Wir fügen einmal eine kleine Auswahl ihrer Äußerungen ein:
* '''Ambrosius von Mailand''': „[...Christus,] der wahre Jonas [...]“<ref>[http://www.unifr.ch/bkv/kapitel569-3.htm-Jona Ambrosius von Mailand: Exameron 92.]</ref>
: '''Ders.''': „Ich nehme sogar keinen Anstand, zu versichern, daß so auch Jonas zwar nicht dem Leibe nach, aber doch in der Erhebung dem Geiste nach floh. Er stieg empor bis zur Ebenbildlichkeit mit Christus, so daß er in Wahrheit ein Vorbild Christi geworden ist.“<ref>[http://www.unifr.ch/bkv/kapitel3383-3.htm-Jona Ambrosius von Mailand: Die Flucht vor der Welt (De fuga saeculi). S. 443.]</ref>
* '''Augustinus''': „Der Prophet Jonas dagegen hat nicht so fast in Worten, als vielmehr durch die Art seines Leidens Christum geweissagt, und wahrlich deutlicher, als wenn er dessen Tod und Auferstehung mit lauter Stimme verkündet hätte.“<ref>[http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1936-29.htm-Jona Augustinus: Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat. XVIII.30.]</ref>
* '''Cyrill von Jerusalem''': „Soll nun der, welcher die Todesstrafe verdient, anbetungswürdig sein? Hätter er nicht Jesum nachahmen und sagen sollen: „Wenn ihr mich suchet, dann lasset diese gehen!“ Hätte er nicht wie Jonas sprechen sollen: „Nehmt mich und werfet mich ins Meer, denn meinetwegen ist dieser Sturm entstanden“.“<ref>[http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2745-14.htm-Jona Cyrill von Jerusalem: Katechesen an die Täuflinge. S. 111f.]</ref>
* '''Gregor von Nyssa''': „Ich weiß nun, daß die heiligen Männer an vielen Stellen der Schrift das Wort „barmherzig“ für die göttliche Macht selbst gebrauchen, so David in seinen Psalmen, so Jonas in seiner Prophetie, so der große Moses oftmals in seiner Gesetzgebung.“<ref>[http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2409-1.htm-Jona Gregor von Nyssa: Acht Homilien über die acht Seligkeiten. V.1.]</ref>
* '''Origines''': „Wer aber war dem Bauche des von Jesus, unserem Heiland, überwältigten Meerestieres, das jeden Gottentfremdeten verschlingt, so entflohen, wie Jona, der als Heiliger fähig war, den Heiligen Geist zu erfassen?“<ref>[http://www.unifr.ch/bkv/kapitel116-2.htm-Jona Origines: De oratione. S. 60]</ref>
* '''Zeno von Verona''': „In dieser Furcht vor dem Herrn scheute sich Jonas nicht, sich freiwillig dem Schiffbruch preiszugeben; sein Sturtz war mitleiderregend, mitleiderregender noch, daß er im aufgesperrten Rachen des Meerungeheuers begraben ward; und doch erreichte er dadurch den Strand, den er ersehnte, schon bevor er ihn mit den Augen sah; er war glücklicher in seinem Grab als in seinem Schiff.“<ref>[http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2827-3.htm-Jona Zeno von Verona: Traktate (Predigten und Ansprachen). S. 129f.]</ref>
(3): Hartmut Gese führt ein weiteres Indiz dafür an, warum es ein „folgenschwerer Irrtum“ ist, anzunehmen, Jona könnte hier als negatives Modell eines Propheten vorgeführt werden:
:Hinzu kommt die späte Abfassungszeit des Buches. Selbst wenn wir es noch in die persische Zeit setzen (erste Hälfte des 4. Jh.), was mir das wahrscheinlichste zu sein scheint, ist hier das Deuteronomistische Geschichtswerk als gegeben, und wenn auch nicht als kanonisch, so doch als in seinen Urteilen anerkannt vorauszusetzen; und das heißt, daß Jona gemäß 2 Kön 14,25 wahrer JHWH-Prophet im Sinne der deuteronomischen Lehre der succesio Mosaica (Dtn 18,15 ff.) war [...]. Vom Deuteronomistischen Geschichswerk her kommt Jona eine dementsprechende Würde und Bedeutung zu, die nach allem, was wir über die allgemeine Anerkennung des Deuteronomistischen Geschichtswerkes wissen, auch vom Verfasser des Jonabuches geteilt worden sein muß. Es ist ein folgenschwerer Irrtum zu meinen, der späte Verfasser des Jonabuches hätte sich den Propheten Jona herausgreifen können, um ihn gegen das vorhandene und anerkannte Jonabild als einen fragwürdigen Propheten, etwa als Gegenfigur zu Amos und Hosea, erscheinen zu lassen.“<ref>Gese 1991, S. 123 f.</ref>
(4): Ein ebenso großer Irrtum ist es, zu glauben, der Stoff des Jonabuches ließe sich verwenden für einen komischen Text. Dafür ist Jonas Vergehen im ersten Kapitel zu schwer, denn die Selbstverweigerung eines Propheten wird unweigerlich geahndet mit dem Tod - vgl. 1Kön 13; 20,35f.; vgl. auch Simon 1990: „Das Urteil für einen Propheten, der sich weigert zu prophezeien, wird in der Mischna festgelegt: „''Wer sein Prophetentum niederhält..., wird durch den Himmel sterben, denn es ist gesagt: 'Und ich werde es von ihm fordern' (Dtn 18,19)''“ (Sanhedrin 11,5). Dies wird im Babylonischen Talmud auf Jona bezogen (Sanhedrin 89a).“<ref>TEXTSTELLE SUCHEN</ref>
Zudem ergibt sich bei einer genaueren Analyse von Text und Handlung des Jonabuchs, dass die Ursache dafür, dass so viele Exegeten dem Mythos vom lust´gen Jonabuch und dem bösen Jona verfallen konnten, häufig einfach ungenaues Übersetzen oder Halbwissen über die geschichtlichen Hintergründe der Handlung sind.<br />
Aus diesen Gründen will ich hier einmal anders an das Jonabuch herangehen und versuchen, es geleitet von der Hypothese eines deutlich positiveren Jonabildes zu lesen.
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Ein paar Worte noch zum Format des folgenden Textes: Nach diesen paar Worten folgen noch zwei Abschnitte zu [[#Gattung und Bedeutung|Gattung und Bedeutung]] und zur [[#Datierung und Quellenscheidung|Datierung und Quellenscheidung]] des Jonabuches; bei Desinteresse kann man sie problemlos überspringen und fortfahren mit dem eigentlichen Kommentar, der [http://www.offene-bibel.de/wiki/index.php5?title=Kommentar:Jona_1 hier] beginnt.<br />
Für den Kommentar selbst habe ich eine vermutlich eher ungewöhnliche Struktur gewählt, da ich hoffe, damit der ja noch nicht etablierten Textsorte „Internet-Kommentar“ gerechter zu werden als durch bloßen Fließtext. Jedes Kapitel gliedert sich in vier Abschnitte:
# Die Übersetzung
# Fußnoten zur Übersetzung. Hier sollen v.a. sprachliche Fragen, die keiner Diskussion bedürfen und daher rasch und auf engem Raum abgehandelt werden können, behandelt werden
# Die Deutung. Sie ist bewusst möglichst wenig technisch und allgemeinverständlich gehalten; ihr Zweck ist es nicht, komplizierte Fragen zu diskutieren, sondern hauptsächlich der, einzelne Aspekte des Jonabuchs zu synthetisieren und so zu einer kohärenten Gesamtinterpretation zu kommen
# Der Rest. Wenn die Diskussion einzelner Fragen zu viel Raum einnimmt oder zu technisch ist, als dass sie in einem der beiden vorigen Abschnitte abgehandelt werden könnte, habe ich dies in diesen Abschnitten vermerkt und auf einen entsprechenden Absatz im vierten Abschnitt verlinkt. Es ist dieser Abschnitt daher auch kein kohärenter Text, sondern bloße Sammelstelle zur Auslagerung einzelner Diskussionen. Er kann ohne Probleme ausgelassen werden; ich habe mich aber bemüht, auch diesen Abschnitt so allgemeinverständlich wie möglich zu halten (unter Anderem habe ich hebräische Texte auf möglichst einfache Weise transkribiert, so dass auch ein des Hebräischen nicht mächtiger Leser ihn im Ohr haben kann).
{{anchor|Gattung und Bedeutung}}
==Gattung und Bedeutung des Jonabuches==
===Struktur===
====Mikrostruktur====
Die Handlung ist simpel; sie ist nicht das Problem, wenn es an die Gattungsbestimmung geht. Problematisch ist vielmehr die Struktur, in die die Handlung vom Autor gebracht wurde. Denn diese eigentlich so in sich geschlossene Struktur wird immer wieder aufgebrochen; virtuos setzt er Stilmittel wie Nachholungen, Einschübe und Gabelungen ein, um kleinere Einheiten des Jonabuches genau in die Anordnung zu bringen, die sie heute haben. Vgl. auch Nogalski:
: "The general outline of the narrative may be reduced to a few sentences, but the manner in which the author tells this story marks it as one of the most artfully constructed works in the entire Old Testament."<ref>Nogalski 1993, S. 248f.</ref>
So hat etwa der Leser zu Anfang von Kapitel 2 den Eindruck, der Fisch sei eine weitere Strafe Gottes, und erst mit dem Einsatz des Dankpsalms wird klar, dass der Fisch tatsächlich stattdessen die Rettung ist. Oder, noch eindrücklicher: Die Frage nach dem Grund für Jonas Flucht in Jon 1 wird dem Leser erst in Jon 4 offenbart. Diese Um-strukturierungen sind nicht beliebig, sondern planmäßig und durchdacht. Z.B.:  In Jona 3 „werden die Bußriten schon vom ganzen Volk durchgeführt, obwohl sie erst in V. 6ff. angeordnet werden. [...] Auf diese Weise kann höchst kunstvoll der Bericht, daß Gott sein Unheilswort zurücknimmt (V.10), mit dem Ende des königlichen Erlasses verknüpft werden, in dem diese Erwartung in offener Spannung laut wird (V. 9: „wer weiß ...?“). So ist die Szene meisterhaft gestaltet.“<ref>Wolff 1977, S. 120</ref> Oder: „Man beachte [...] die Nachholung in V. [1,]10b, daß Jona von seiner Flucht Mitteilung gemacht habe. Durch diesen kunstvollen Stil wird es möglich, allein das wesentliche, nämlich das JHWH-Bekenntnis, in der Jonarede wörtlich auszuführen, zumal dieses nun die Mitte des gesamten Textes 1,4 ff. ausmacht.“<ref>Gese 1991, S. 128</ref>.
Beim Blick auf die Struktur des Jonabuchs stößt man auf ein weiteres Indiz für die Gattungsbestimmung: Sehr häufig stößt man in Kommentaren auf die Behauptung, Teile des Jonabuches seien konzentrisch strukturiert. Kombiniert man die verschiedenen Vorschläge, sind Jon 1,1-2 und Jon 3,3 die einzigen Verse, für die noch  keine konzentrische Struktur vorgeschlagen wurden. Als Beispiel sei hier Jeremias´ Vorschlag zu Jon 3,1-2 angeführt - für Weiteres vgl. den Einzelstellenkommentar:
: A Da erging das Wort Jahwes an Jona ein zweites Mal:
:: B Auf, mach dich auf den Weg nach Ninive, der großen Stadt,
::: C und ruf ihr die Botschaft zu, die ich dir mitteile!
:: B“Da machte sich Jona auf den Weg nach Ninive,
: A“dem Wort Jahwes entsprechend.<ref>vgl., Jeremias 2007, S. 99</ref>
Eine solch außerordentliche Strukturierung spricht eher gegen eine epische Textsorte. Des Weiteren hat Christensen in zwei Aufsätzen den Versuch unternommen, die Metrik (1) des Jonapsalms<ref>Christensen 1985</ref> und (2) des gesamten Jonabuches inklusive der Prosateile (!)<ref>Christensen 1987</ref> zu ermitteln - was ihm gelang. Und schließlich eignen dem Jonabuch als weitere stilistische Besonderheit der Leitwortstil - bestimmte Wörter werden bis zu 14x wiederholt - und das von Magonet herausgestellte Stilmittel der „growing phrase“.<ref>Ein Beispiel: Jon 1,5.10.16:<br>
: Da fürchteten sich die Seeleute
: Da fürchteten sich die Seeleute mit großer Furcht
: Da fürchteten sich die Seeleute mit großer Furcht vor dem Herrn.<ref>vgl. Magonet 1976, S. 31 f.</ref><br>
Schon 1912 hat Bewer aufgrund dieser Eigenarten vorgeschlagen, das Jonabuch deshalb lieber als „prose poem“ anzusehen,<ref>vgl. Bewer 1951, S. 4</ref> und auch in der neueren Exegese ist diese Position vereinzelt anzutreffen<ref>vgl. u.a. die besagten Aufsätze von Christensen und bes. de Hoop 1988, der anhand von Jon 1,1-16 aufzeigen will, inwiefern das Jonabuch als „narrative poetry“ anzusehen sei.</ref>. Wir stimmen zu. Strukturell gesehen ist das Jonabuch relativ deutlich der Textsorte „Prosagedicht“ zuzuordnen.
====Makrostruktur====
Auch die Makrostruktur des Jonabuchs ist nicht schwer zu bestimmen.<br>
Zunächst: Aufgrund der Parallelität des Textes von von Jon 1,1-3 und Jon 3,1-3 lässt sich das Jonabuch sehr deutlich in zwei Teile aufgliedern; hierauf weist auch die Raumkonfiguration: Jon 1-2 spielt auf dem Meer, Jon 3-4 in und um Ninive<ref>vgl. auch Sasson 1990,S. 16.</ref>. Analysiert man weiterhin die Figurenkonfiguration, ergibt sich folgende Struktur:
: Teil 1
:: 1a) Jon 1,1-3: Jona und Gott
:: 1b) Jon 1,4-16: Jona, Gott und Heiden
:: 1c) Jon 2: Jona, Gott und „Gottesdiener“
: Teil 2
:: 2a) Jon 3,1-3a: Jona und Gott
:: 2b) Jon 3,3b-10: Jona, Gott und Heiden
:: 2c) Jon 4: Jona, Gott und „Gottesdiener“<ref>vgl. auch Jeremias 2007, S. 77; es existieren allerdings noch eine Vielzahl weiterer Gliederungsvorschläge</ref>
(1a) und (2a) dienen als Exposition, die restlichen Teile haben allesamt eine ähnliche Thematik: Eine bedrohliche Situation und zwei darauf folgende „Kehren“:
: 1b) Bedrohliche Situation (Sturm) => Bekehrung der Heiden => Kehre Gottes
: 1c) Bedrohliche Situation (Ertrinken) => Umkehr Jona´s => Kehre Gottes
: 2b) Bedrohliche Situation (Vernichtung) => Umkehr der Heiden => Kehre Gottes
: 2c) Bedrohliche Situation (Hitzeschlag).<ref>vgl. auch Simon 1994, S. 48: „Es [das gemeinsame Grundschema] besteht im Grunde aus drei Bausteinen: Am Anfang steht eine große Notlage (wirklich oder eingebildet), die durch Gott verursacht wird. Danach folgt in der Mitte eine Hinwendung zu Gott in Wort oder Tat (oder auch in einer demonstrativen Passivität), und am Ende ein Antworten Gottes (das selbstverständlich fehlt, wenn keine Hinwendung zu Gott vorausgegangen ist).“ - nach Simon gilt diese Struktur allerdings nur für Jon 1,1-3 und Jon 2,2-3.</ref>
Jon 4, das wird schon an dieser schematischen Struktur-überschau sichtbar, hat also offenbar eine Sonderrolle im Jonabuch. Blickt man weiter auf das Verhältnis von Jon 1-3 und Jon 4, wird schnell klar, dass das Schwergewicht des Jonabuches eindeutig auf Jon 4 liegt:
# Eröffnen sich von Kapitel 1 an immer wieder sogenannte Leerstellen, „gaps“, die sich bis zu Jon 4 durchziehen und dort erst aufgelöst werden<ref>vgl. z.B. Craig 1990</ref>
# wird in Jon 1-3 eine „dialogue pattern“ zwischen Gott und Jona aufgebaut, mit der erst in Jon 4 gebrochen wird (Jon 1: Nur Gott spricht zu Jona, Jon 2: Nur Jona spricht zu Gott, Jon 3: Nur Gott spricht zu Jona, Jon 4: Dialog Jona-Gott)<ref>vgl. ebd., S. 111</ref>;
# haben Jon 1-3 jeweils ein geschlossenes Ende (Jon 1: Der Sturm flaut ab, die Heiden sind bekehrt; Jon 2: Jona kehrt um und wird gerettet; Jon 3: Die Heiden kehren um, Gott lässt ab von seinem Plan); Jon 4 dagegen endet mit einer offenen Frage<ref>vgl. Collins 1995, S. 37</ref>;
# bündelt Jon 4 Leitwörter aus sämtlichen vorangegangenen Kapiteln;
# wird in Jon 4 noch einmal zurückgegriffen auf Jon 3<ref>vgl. Kommentar zu Jon 4,1</ref>, während Jon 1-3 je für sich abgeschlossene Handlungen darstellen
Man kann deshalb sagen: Jon 1-3 münden in Jon 4.<br>
===Thema===
Die Thematik ist also direkt ersichtlich: Die einzigen „stetigen“ Aktanten sind Jona und Gott; in jedem Kapitel geht es um auf eine menschliche Kehre folgende göttliche Kehre, jeweils folgt auf ein Heidenkapitel ein Jonakapitel. Und alles mündet in Jon 4, in dem die Kehre Jonas ausbleibt. Dies ist der kritische Punkt und darauf zielt das ganze Buch ab. Das Jonabuch handelt davon, dass Jona über das Verhältnis von menschlicher und göttlicher Kehre belehrt wird (werden soll); das Jonabuch ist eine „Kehrlehre“ und damit ein didaktisches Buch.
Welches aber ist die Kehre Jona´s, die in Jon 4 ausbleibt und zu der Gott Jona belehren will? Die Antwort auf diese Frage hängt stark an der Interpretation von Jon 4,2; irgendwo hier liegt „der Hund begraben“. Zur Antwort auf diese Frage jedoch müssen wir den Leser auf den Kommentar zu eben dieser Stelle vertrösten - allzuviel müssten wir andernfalls bereits jetzt dem Kommentar selbst vorwegnehmen. Der Leser, der sich so lange nicht gedulden will, sei einstweilen behelfsmäßig vertröstet mit den beiden folgenden Zitaten von Walton und Wolff:
:“What angers Jonah is now clear. It reflects the same concern that has led interpreters to read conversion into this passage for centuries: „Is that all they did?“ Why should God even acknowledge, let alone respond to this shallow, naive repentance „Assyrian-style“? They understood neither Yahweh nor Torah, nor faith, nor monotheism. They were still just as pagan and, Jonah suspects, just as wicked - yet God had responded with grace. Jonah´s anger was theological. Niniveh´s condition was still wretched. But that is exactly God´s point. His grace is bestowed not upon the final achievement of an unblemished, perfect faith (for in that case what hope would any of us have?). Rather, His gracious acts reward attempts, no matter how small they may be. A step in the right direction is a significant step. What is communicated then about repentance is that though it is insufficient to provide deliverance by its own virtue, it has the ability like nothing else to stimulate God´s graciously bestowed compassion.“<ref>Walton 1992, S. 54 f.</ref>
: “Es ist, als wolle er [Jahwe] seiner [Jonas] Intoleranz schon die paulinische Frage einschärfen: „Ist Gott etwa nur Gott der Juden oder nicht auch der Heiden?“ (Röm 3,29).“<ref>Wolff 1977, S. 65</ref>
Dies zu akzeptieren ist die Kehrlehre, deren Akzeptanz von Seiten Jonas jedoch in Jon 4 ausbleibt und die so dem Leser überantwortet wird. Thema des Jonabuches ist der Zusammenhang „Glaube und Vergebung“.
===Charakter des Jonabuches===
Mit Struktur, Funktion und Thema wären wir im Normalfall nun so weit, die Gattung des Jonabuchs zu bestimmen; der „Charakter“ eines Buches spielt bei der Textsortenanalyse in der Regel keien Rolle. Aber wir würden auf diese Weise einen Aspekt des Jonabuches aus den Augen verlieren, der von früheren Kommentatoren weit mehr beachtet worden ist als in der neueren und neuesten Exegese.<br>
In seinem Kommentar von 1949 schreibt Arthur Weiser:
: "Der Stoff [...], den der Erzähler in seiner Tendenzschrift verwertet, reicht wahrscheinlich in ältere Zeit hinauf; wie weit er auf Traditionen zurückgreift, die mit der historischen Gestalt des Jona aus dem 8. Jahrhundert verknüpft waren, läßt sich nicht mehr ermitteln. Jedenfalls verwendet die jetztige Erzählung daneben noch Motive, die ursprünglich in der Welt des Mythus und des Märchens zuhause sind; so z.B. das Erlebnis mit dem Fisch, ein bei den verschiedenen Völkern wiederkehrendes Mythenmotiv, am bekanntesten in der griechischen Herakles- und Perseussage; auch die Episode mit der wunderbaren Rizinusstaude stellt ein bekanntes Märchenmotiv in den Dienst der Erzählung. Offenbar liegen den einzelnen Abschnitten der Jonaerzählung ursprünglich selbstständige Traditionen zugrunde, ohne daß sich im einzelnen immer klar scheiden ließe zwischen altem übernommenem Gut und späterer Bearbeitung und Komposition. Trotz dieser Kombination aus verschiedenen literarischen Stoffen und Gattungen muß die Schrift als Ganzes gewertet werden.“<ref>Weiser 1956, S. 215</ref>
Daneben listet Weiser als weitere Indizien für die folkloristischen Quellen des Jonabuches die übersteigerte Größenangabe Ninives und die „Tatsache, daß der König weder mit seinem Namen genannt wird, noch sonst irgendwelche konkreten persönlichen Züge in der Darstellung trägt“<ref>ebd., S. 223</ref>. Sucht man danach, lässt sich diese Liste gewaltig in die Länge ziehen. Phyllis Trible allein z.B. listet 15 verschiedene folkloristische Motive im Jonabuch;<ref>Trible 1994, S. 146ff.</ref> und selbst eine kurze Suche im Motiv-index von Aarne-Thompson ergibt vier verschiedene eindeutig folkloristische Motive:
: “D1123 Magic ship. [...] „Jonah“.“
: “D1318.10.1 Ship refuses to move with guilty man aboard [...] „Jonah“.“
: “F911.4. Jonah. Fish (or water monster) swallows a man. [...]
: “N134.1.5. Passenger brings bad luck to ship. Cast overboard. Jonah.“<ref>vgl. Thompson 1955-58</ref>
Die Liste ließe sich beliebig erweitern, z.B. gibt es „Wunderpflanzen-motive“, „Gottesmann“-motive und weiteres mehr.
Besonders auf die Geschichte vom großen Fisch wird in diesem Zusammenhang immer wieder verwiesen. Schon 1919 stellt Frazer in „Folklore in the Old Testament“ eine ähnliche Geschichte aus Neu Guinea mit dem Jonabuch zusammen<ref>Frazer 1919, S. 82f.</ref>; Coulter sammelt weitere Erzählungen aus aller Welt, in denen ähnliche Motivkomplexe verabeitet sind (bis hin zur Übereinstimmung (1) Verschlungen von großem Fisch - (2) 3-tägiger Aufenthalt im Fisch - (3) Wieder an Land gespuckt werden) und schreibt:
:The „swallow“ type of tale (with a giant, a cow, a wolf, a huge fish or dragon as the swallower) is found all over the world and was probably old even in the days when the Book of Jonah was written.“<ref>Coulter 1926, S. 31; Frobenius bezeichnet Geschichten vom „swallow“-Typ sogar ganz offiziell als „Jonah-stories“.</ref>
Hinzu kommt, dass König und Kapitän nur mit ihrem Titel bezeichnet werden, die Charaktere insgesamt nur grob skizziert werden; die Reaktionen der Schiffsbesatzung und der Niniviten werden übertrieben geschildert und Wal und Vieh werden als quasi-vernünftige Aktanten dargestellt. Ninive schließlich hat nichts gemein mit der historischen assyrischen Stadt, sondern ist „a large, far-away, legendary city of evil“<ref>Levine 1984, S. 238</ref>.
Es spielt keine Rolle, ob das Jonabuch tatsächlich historische Tatsachen wiedergeben soll oder ob im Jonabuch theologische Fragen narrativ verarbeitet werden: ungeachtet dieser Fragen verleihen obige Züge dem Jonabuch auf jeden Fall etwas Märchenhaftes. Man muss die Textsorte des Jonabuchs deshalb bestimmen als „didaktisches Märchengedicht zum Thema „Glauben““.
{{anchor|Datierung und Quellenscheidung}}
==Datierung und Quellenscheidung==
===Datierung===
Datierungsvorschläge reichen, wie gesagt, vom 8. bis zum 2. Jahrhundert vor Christus; in der Mehrzahl jedoch wird Jona etwa Ende 5. / Anfang 4. Jahrhunder vor Christus datiert. Die Gründe für diese Datierung sind folgende:
(1) Der terminus ante quem lässt sich relativ einfach setzen: Sowohl in Tob 14,4.8 als auch in 3Makk 6,8 wird auf das Jonabuch angespielt; Sir 49,10 spricht darüber hinaus bereits von den „Zwölf Propheten“. Wegen der Verfassungszeit dieser drei Bücher ist es höchstwahrscheinlich, dass der Kanon des Dodekaprophetons sich bis spätestens dem 2. Jh. v. Chr. in seiner heutigen Form ausgebildet hat und das Jonabuch zu dieser Zeit schon dazugehörte.<br />
(2) Schwieriger liegt die Sache mit einem terminus post quem, aber auch hierfür lassen sich Anhaltspunkte finden. Diese lassen sich in drei Gruppen teilen:
: 1) intratextuell: Das Jonabuch hat in einigen Belangen Ähnlichkeit mit späteren Texten der Bibel; etwa teilt es Motivkonfigurationen mit einigen späteren Psalmen<ref>vgl. zu intertextuellen Bezügen zum Psalter die Einleitung zu Jon 2</ref>; auch teilt er bestimmte Gedanken mit Jeremia, Deuterojesaja und Anderen.<ref>vgl. z.B. Wolff 1977, S. 55; Weiser 1956, S. 215 u.ö.</ref><br>
: 2) sprachlich: Im Jonabuch lassen sich mehrere Aramäismen finden. „[...] Its language betrays the strong influence of Aramaic, to which the Hebrew language was accomodated in post-exilic times (i.e., 5th pre-Christian century and afterwards).“<ref>Levine 1984, S. 236</ref>. Hierzu gehören unter Anderem:
:: * ''se'' mit den zusammengesetzten Formen ''besellemî'' und ''besellî'' (1,7.12; 4,10) sowie ''manah'' (2,1; 4,6.7.8) finden sich überwiegend in postexilischen Texten.
:: * ''ribbô'' (4.11) findet sich ausschließlich in postexilischen Texten; ''yit´asset'' (1,6) nur  in Jona und Dan 6,4; ''ta´am'' (3,6) kommt einzig hier in einem hebräischen Text vor; dafür aber häufig in Ezra und Daniel<ref>vgl. zu diesen Beispielen: Limburg 1993, S. 29. zu weiteren linguistischen Indizien vgl. Simon 1994, S. 64-66; Wolff 1977, S. 54. Natürlich sind sowohl weitere Aramäismen vorgeschlagen worden als auch die genannten Aramäismen angegriffen worden (so etwa Landes 1982, der viele der Aramäismen für Bestandteile eines nordisraelitischen Dialektes hält); aber mit den oben genannten steht man doch auf einer relativ sicheren Seite</ref>
: 3) motivisch: Einige Züge der Stadt Ninive scheinen von einem persischen Vorbild geprägt, so etwa, dass Tiere in die Buße der Menschen mit einbezogen werden<ref>obwohl dies nicht nur bei den Persern und nicht nur die persische Zeit Brauch war; vgl. Bolin 1997, Fußnote S. 128</ref>, dass der König gemeinsam mit „seinen Großen“ die allgemeine Buße erlässt, dass die Niniviten als Monotheisten dargestellt werden und dass die v.a. für die postexilische Zeit typische Formel „Gott des Himmels“ verwendet wird, was ebenfalls unter Umständen durch persische Prägung erklärbar ist.<ref>vgl. Gerhards 2008, auch Wolff 1977, S. 126f.</ref>.<br />
: All diese Indizien für sich sind natürlich angreifbar, aber in ihrer Häufung deuten sie doch mit einer recht großen Wahrscheinlichkeit auf das 4./5. Jh. v. Chr. als terminus post quem.
===Quellenscheidung===
Schwieriger ist die Frage nach der Quellenscheidung. Früher bestand allgemein Konsens, dass Jon 2,3-10 eine nachträgliche Einfügung sei, und auch heute noch wird dies von vielen Exegeten vertreten (eine alternative Position vertritt z.B. Mulzer 2005, S. 106, der den Jonapsalm nicht als nachträgliche Einfügung, sondern als nachträglichen Ersatz eines ursprünglicheren Jonapsalms begreift); seltener wird zudem Jon 4 abgegrenzt. Vereinzelt stößt man auch auf die These, ursprünglich sei nicht der Prosateil, sondern der Jonapsalm, und der Prosateil sei um den Psalm herumkonstruiert worden.<ref>vgl. z.B. zuletzt Pyper 2007</ref> Sehr selten werden auch noch differenziertere Quellenscheidungen vorgenommen.<ref>z.B. Krüger 1991, Schmidt 1976 und Weimar 1982; Nogalski 1993, S. 257ff. bietet zudem eine kurze Zusammenfassung der Vorschläge von Kraeling, Schmidt und Weimar.</ref> Allerdings werden diese Positionen mehr und mehr von der verdrängt, die davon ausgeht, dass es sich beim Jonabuch um ein Buch „aus einem Guß“ handelt<ref>vgl. Christensen 1987, S. 217; Jeremias 2008, S. 203; Landes 1999, Fußnote S. 282.</ref>.<br />
Qjellenscheidung setzen meist an an wie auch immer gearteten Inkohärenzen (Schmidt z.B. orientiert sich bei seiner Quellenscheidung stark an den Gottesnamen, deren Verwendung im Jonabuch aber planvoll geschieht).<br />
Aus diesem Grund macht eine solche Quellenscheidung erst dann wirklich Sinn, wenn die betreffenden Textstellen sich tatsächlich als Fremdkörper im Text erwiesen haben und die Inkohärenz des Textes und dieser Stellen nicht mehr anders erklärbar ist. Aufzuzeigen, wie einzelne Textstellen sich in den Gesamtplan des Jonabuches fügen muss natürlich Aufgabe des Einzelstellenkommentars sein, so dass wir auf die Quellenscheidungsvorschläge hier gar nicht weiter eingehen wollen. Mit einer Ausnahme: Die Ab-scheidung von Jon 2 ist immer noch in sehr vielen Kommentaren zu lesen; auf diese Frage will ich hier daher noch einmal kurz eingehen. Vertreter der Position, die den Psalm als nachträgliche Einfügung ansieht, argumentieren in der Regel immer nach dem selben Muster. Vanoni ist hier ein typischer Vertreter:
# "Der Psalm ist durch keine Wiederholungen von Wörterverbindungen mit dem Kontext verknüpft.[...]
# Die Literarikritik hat mehrere Spannungen festgestellt, die eine Ausscheidung des Psalms nahelegen. Durch den Psalm wird auch das System der Gottesnamen im Prosateil gestört.
# Einige Spannungen machten deutlich, daß der Psalm nicht für die Fischsituation geschrieben sein kann.
# Während die übrigen Gebete in Jon Jahwe direkt ansprechen, beginnt der Psalm erzählend und redet in der 3. Person von Jahwe.
# Das Wort ''gdwl'' steht 14mal in Jon, davon kein einziges Mal in 2,3-10.
# [... Dieser Punkt ist untypisch und haltlos; es würde allerdings zu viel Raum erfordern, ihn hier gesondert zurückzuweisen]
# Durch die Ausscheidung des Psalms wirkt das Verhältnis der beiden Hauptteile besser ausbalanciert. [...]
: Zusammenfassung: Alle Argumente zusammengenommen haben genug Gewicht, um den Jonapsalm und die Prosateile als nicht zusammengehörig voneinander zu scheiden. Über die Einheitlichkeit des Psalms ist damit noch nichts gesagt.“<ref>Vanoni 1978, S. 28f.</ref>
Die Argumente, die Vanoni hier anführt, lassen sich allesamt zurückweisen: Bei (1) scheint er nicht genau aufgepasst zu haben (allerdings ist dies häufiger zu lesen): „rufen“ in 2,3 etwa ist ein Leitwort, s. Jon 1,2.6.14; 3,2.4.5.8; in Jon 1,16 wird ebenso „gelobt“ und Opfer versprochen wie in Jon 2,10;  „Hinabsteigen“ in 2,7 ist gleichfalls ein Leitwort aus Jon 1, in Jon 4,2-3 tauchen drei Schlüsselwörter aus dem Jonapsalm wieder auf, nämlich ''hayyîm'' in 2,7 und 4,3.8, ''nepes'' in 2,6.8 und 4,3 und ''hesed'' in 2,9 und 4,2.<ref>vgl. Allen 1976, S. 199, Craig 1990, S. 110f., Limburg 1993, Fußnote S. 31</ref>. Auch motivisch hängt der Jonapsalm eng mit dem Rest des Buches zusammen; so kommt z.B. Pyper überhaupt erst aufgrund dieser Zusammenhänge auf die Idee, der Prosateil sei aus dem Jonapsalm heraus entwickelt worden: Seiner Meinung nach wird z.B. der ominöse Pflanzenname in Jon 4 erklärbar, weil es sich beim Pflanzennamen um ein Wortspiel mit dem Erbrechen des Wals in 2,10 handelt, der Fischbauch wird zum „Magen der Unterwelt“, die plötzliche Opferbereitschaft und die Gelöbnisse der Seeleute in 1,16 seien Ableitungen aus Jon 2,10 und der antiheidnische Seitenhieb wird zur Bekehrung der Seemänner und dem Ärger über die Verschonung der ninivitischen Heiden.<ref>vgl. Pyper 2007</ref><br> Manchmal wird dieser Punkt zusätzlich ergänzt durch die Bemerkung, dass im Psalm ein anderer Sprachstil als im Prosa-jona vorliege. Dazu (und zu Punkt 3) schreibt Gese:
: “Das Argument einer anderen Sprache als im Buch sonst, auch in den Prosagebeten, wiegt wenig: der Psalm ist voller Zitate des Psalters [...]. Daß er an dieser Stelle unpassend sei, weil er als Dankpsalm schon die Errettung, die Situation des Toda-Opfers im Tempel voraussetze (V. 10), oder weil er bei der Notbeschreibung von einem Hinabsteigen in die Untwelt spreche (V. 7), was nicht zur Situation im Fisch passe, hieße die mythische Sprache des Psalms und seine tiefergehende Wirklichkeitsauffassung verkennen. Im übrigen ist es ungereimt, Schwierigkeiten, die man bei der Herleitung vom Verfasser sieht, bei der Herleitung von einem Ergänzer gar nicht mehr zu emfpinden.“<ref>Gese 1991, S. 136</ref>
Die vermeintlichen Spannungen wollen wir, wie gesagt, im Einzelverskommentar erklären. Punkt 3 wird von Brichto recht polemisch zurückgewiesen:
: “The reasons for this consensus are that the imagery of the psalm is more apposite to a drowning man than to one snug in the belly of a whale [...].
:The incongruities are clear. The reasoning that they have stimulated is absurd. The imagery is indeed that of a drowning person, an oft-employed metaphor in the Book of Psalms (and hyperbolic at that) for a person at death´s door. But its literal appositeness would be most incongruous in the mouth of a person whose plight is actually described. A drowning man does not recite psalms, describe ocean´s canyons, or complain that he has been wreathed in a turban of seaweed. And to be sure, he is too busy praying for help to bribe the Deity with a hymn of praise recounting past beneficence or with vows pledging future sacrifices. The psalm of Jonah does not appear elsewhere in the Bible. To suppose that so inapposite a hymn was borrowed or composed for insertion is simply to solve the conundrum of a narrator´s idiocy by attributing that idiocy to a supposed editor.“<ref>Brichto 1992, S. 73</ref>
Dass Jona im Psalm gelegentlich in der 3. Person von Gott spricht, ist einfach dadurch erklärbar, dass es sich hier um einen Dankpsalm handelt und Worte an die Versammlung der Gläubigen zu den Textsortenregeln der Textsorte „Dankpsalm“ gehören.<ref>vgl. Barker 1995, S. 229ff.</ref>; dass in  Jon 2 kein ''gadôl'' vorkommt, hat seinen Sinn (vgl. hierzu Jon 2,1) und dass die beiden Hauptteile gerade durch den Psalm in Jon 2 erst ausbalanciert sind, haben wir ja schon oben gezeigt.
Häufig wird außerdem noch argumentiert, dass der Jona des Jonapsalms nicht zum Jona des Prosateil passe - zu „fromm“ sei er<ref>vgl. z.B. Wolff, S. 105</ref>. Aber ich sagte bereits, dass ich hier gegen das negative Jonabild anschreiben werde - und vor dem Hintergrund der Deutung, die in diesem Kommentar vertreten wird, gibt gerade die Frömmigkeit des Jonapsalms hervorragend Sinn - vgl. die Einleitung zu Kap. 2. Und damit bleiben keine wirklichen Argumente für die Abgrenzung des Jonapsalms mehr übrig.
Aber man kann das Psalmenproblem auch anders angehen: Houk 1997 hat das Jonabuch stilometrisch analysiert. Und auch die Stilometrie legt nahe, dass, stilistisch gesehen, Jon 2,1-2.10 dem Jonapsalm ähnlicher ist als Jon 1 oder Jon 3. Das bedeutet schon mal, dass der Jonapsalm schon mal recht wahrscheinlich vom selben Autor stammt wie der Rahmen des Psalms. Zudem ergaben seine Analysen interessanterweise, dass Jon 2 Jon 3 stilistisch sogar mehr ähnelt als Jon 3 Jon 1 und Jon 4.<ref>Dies allerdings unter Vorbehalt. In der Regel sprechen Computerlinguisten stilometrischen Analysen erst ab einer Korpusgröße von etwa 2000 Worten Zuverlässigkeit zu. Jon 2 jedoch hat nur einen Bruchteil dieser Länge und noch weniger, wenn man - wie Houk das richtigerweise getan hat - offensichtliche Zitate aus dem Psalter in der stilometrischen Analyse unberücksichtigt lässt.</ref> Und das heißt: Wenn ein Kapitel abgegrenzt werden darf - dann ist das Jon 3, nicht Jon 2 (und auf diesen Vorschlag sind wir bisher noch überhaupt nicht gestoßen).
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Aktuelle Version vom 12. April 2014, 10:51 Uhr