Ex 19/Persönliche Fassung (Sebastian Walter): Unterschied zwischen den Versionen

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{{L|5}} Wollt ihr daher auf mich hören
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und den Vertrag mit mir einhalten,
und den Vertrag mit mir einhalten,
sollt ihr mir Vasall<ref>'''tFN''': ''Vasall'' - Heb. ''sigulah''. Oft falsch übersetzt mit etwas wie „Schatz“ oder „Juwel“. Die Bedeutung ist aber klar: Das Wort wird im Hebräischen sonst nur verwendet i.S.v. „mühsam erarbeitetes/erspartes/erbeutetes Eigentum“, besonders im Mittelhebräischen. So wird auch das verwandte akkadische Wort ''sikiltu(m)'' verwendet; daneben ist dieses wie auch das ebenfalls verwandte ugaritische Wort ''sglt'' aber ebenfalls häufig in der selben Verwendung wie hier belegt. So ist in RS 18.038 für den hethitischen Großkönig der ugaritische Vasallenkönig Ammurapi sein ''sglt'' und im Mari-Brief ARM XIV 81 fragt Königin Šibtu sarkastisch über eine andere Königin: „''Bin ich etwa ihre Dienerin, ihre Magd oder ihre ''šagiltam''!?''“ (29f.). Besonders häufig ist jemand aber ''sikiltu(m)'' einer Gottheit – so in den Eigennamen ''Sikilti-Adad'', ''Sikilti-Uqur'' und der Kurzform ''Sikiltum''; auch auf Alalakh-Tafel II wird König Abban mit einer ähnlichen Reihung wie in ARM XIV bezeichnet als „''Diener von Haddu, Liebling von Haddu, ''sikiltum'' von...''“ (76). Vgl. zu den einzelnen Stellen näher ThWAT V s.v.; Greenberg 1951; Held 1961, S. 11f.; Speiser 1956b. Welches Personenverhältnis bei dieser Verwendung genau mit diesem Begriff ausgedrückt wird, ist nicht klar. Bes. nach ARM XIV 81 ist jemandes ''sikiltum'' diesem aber wahrscheinlich ''untergeben''; spielt auch hier die übliche Bed. von ''sikiltum'' mit hinein – wovon auszugehen ist –, wird er ihm außerdem untergeben sein wegen einer ''Leistung'' des Höhergestellten. Am besten übersetzt man daher mit „Vasall“. Das passt auch zum Zeugnis des Deuteronomiums, wo die beiden Phrasen ''´am naḥalah'' und ''´am sigulah'' austauschbar zur Bezeichnung Israels verwendet werden. ''´am naḥalah'' ist das „Eigentums-Volk“; dafür wäre „Vasallen-Volk“ wirklich ein passender Wechselbegriff.</ref> sein
sollt ihr mir Vasall<ref>'''tFN''': ''Vasall'' - Heb. ''sigulah''. Oft falsch übersetzt mit etwas wie „Schatz“ oder „Juwel“. Die Bedeutung ist aber klar: Das Wort wird im Hebräischen sonst nur verwendet i.S.v. „mühsam erarbeitetes/erspartes/erbeutetes Eigentum“, besonders im Mittelhebräischen. So wird auch das verwandte akkadische Wort ''sikiltu(m)'' verwendet; daneben ist dieses wie auch das ebenfalls verwandte ugaritische Wort ''sglt'' aber häufig in der selben Verwendung wie hier belegt. So ist in RS 18.038 für den hethitischen Großkönig der ugaritische Vasallenkönig Ammurapi sein ''sglt'' und im Mari-Brief ARM XIV 81 fragt Königin Šibtu sarkastisch über eine andere Königin: „''Bin ich etwa ihre Dienerin, ihre Magd oder ihre ''šagiltam''!?''“ (29f.). Besonders häufig ist jemand aber ''sikiltu(m)'' einer Gottheit – so in den Eigennamen ''Sikilti-Adad'', ''Sikilti-Uqur'' und der Kurzform ''Sikiltum''; auch auf Alalakh-Tafel II wird König Abban mit einer ähnlichen Reihung wie in ARM XIV bezeichnet als „''Diener von Haddu, Liebling von Haddu, ''sikiltum'' von...''“ (76). Vgl. zu den einzelnen Stellen näher ThWAT V s.v.; Greenberg 1951; Held 1961, S. 11f.; Speiser 1956b. Welches Personenverhältnis bei dieser Verwendung genau mit diesem Begriff ausgedrückt wird, ist nicht klar. Bes. nach ARM XIV 81 ist jemandes ''sikiltum'' diesem aber wahrscheinlich ''untergeben''; spielt auch hier die übliche Bed. von ''sikiltum'' mit hinein – wovon auszugehen ist –, wird er ihm außerdem untergeben sein wegen einer ''Leistung'' des Höhergestellten. Am besten übersetzt man daher mit „Vasall“. Das passt auch zum Zeugnis des Deuteronomiums, wo die beiden Phrasen ''´am naḥalah'' und ''´am sigulah'' austauschbar zur Bezeichnung Israels verwendet werden. ''´am naḥalah'' ist das „Eigentums-Volk“; dafür wäre „Vasallen-Volk“ wirklich ein passender Wechselbegriff.</ref> sein
unter den ganzen Völkern:
unter den ganzen Völkern:
Obwohl mir die ganze Erde gehört,
Obwohl mir die ganze Erde gehört,
{{L|6}} sollt ihr mir ein Königreich von Priestern sein<ref>Der Ausdruck ist '''auslegungsgeschichtlich''' sehr bedeutsam. Primär bedeutet „Priester“ hier wohl nicht mehr als „Gottes-Diener“ (Ramban; ähnlich Rabbenu Bahja: „Der Sinn ist: Ihr sollt mein Besitz sein“). Die Verse Ex 24,3-10 werden dann aber zeigen, dass man „Priester“ hier außerdem durchaus im Vollsinn des Wortes zu nehmen hat: Gleich dreimal hintereinander werden dort israelitische Laien Dinge tun, die sonst Priestern vorbehalten sind. So hat den Ausdruck schon Luther verstanden, als er mit seinem Zitat in in 1 Pet 2,9 und Offb 5,10 seinen Generalangriff gegen die katholische Kirche auf ihn stützte: „''Man hat's erfunden, daß Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk der geistliche Stand genannt werden, Fürsten, Herren, Handwerks- und Ackersleute der weltliche Stand, was eine gar feine Erdichtung und Heuchelei ist. Doch soll sich niemand dadurch einschüchtern lassen, und zwar aus diesem Grund: Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes ..., wie St. Peter 1.Petr.2,9 sagt: ‚Ihr seid ein königliches Priestertum und ein priesterliches Königreich‘, und die Offenbarung: ‚Du hast uns durch dein Blut zu Priestern und Königen gemacht.‘ (Off.5,10). ... Darum ist des Bischofs Weihe nicht anders, als wenn er an Stelle und als Vertreter der ganzen Versammlung einen aus der Menge nimmt, die alle gleiche Gewalt haben, und ihm befiehlt, diese Gewalt für die andern auszuüben...!''“ (An den christlichen Adel deutscher Nation. Modernisiert von U. Köpf). – Offenbar hat er ihn damit genau richtig verstanden.<br />Diese Auslegung hat übrigens eine sehr lange Tradition: Rabbi Simai (2. Jhd.) und Rabbi Chama (3. Jhd.) haben diese enorme Ermächtigung des Volks zu Priestern in unserem Kapitel und Ex 24 und die darauf folgende „Entmächtigung“ in Ex 35-40 so ausfabuliert, dass auf das „Ja“ der Israeliten in V. 8 tausende Engel ihnen sofort Kronen aufgesetzt und Ornate angetan hätten; nachdem sie das goldene Kalb gegossen hatten, hätten sie sie ihnen beides aber wieder genommen (b.Schab 88a). Ähnlich leitete Huna bar Natan (4./5. Jhd.) aus dem Ausdruck ab, jeder einzelne Israelit habe sich ordentlich zu kleiden wie ein Priester (b.Zeb 19a); auch er nahm den Ausdruck also im wörtlichen Sinn. Eine sehr gehaltvolle Auslegung ist schließlich noch überliefert mit einem Ausspruch von Rabbi Acha (frühes 4. Jhd.) im Seder Elijahu Rabba 79: Dieser erklärt dort, zum Ornat des Hohepriesters gehöre deshalb eine Brustplatte mit auf Edelsteinen eingravierten Namen der zwölf Stämme Israels, weil auch der Hohepriester nur stellvertretend für alle Israeliten am Altar stehe und alle anderen theoretisch genauso gut dort vorne stehen könnten: „''Warum sind die Namen der Stämme auf den Steinen eingraviert? Weil auf dem Sinai alle ‚Priester‘ genannt wurden ... Es ist (nun aber ja) unmöglich, dass (jeweils) alle (gleichzeitig) am Altar zugegen sind. Daher mussten alle Namen über dem Herzen des Hohepriesters eingraviert werden. Danach (gilt nämlich:) Wenn der Hohepriester eintritt, um vor Gott ein Opfer darzubringen, ist es, als stünde jeder von diesen als Hohepriester vor ihm, gekleidet in priesterliche Gewänder.''“ – die erste mir bekannte Theologie des stellvertretenden Handelns von Priestern am Altar.</ref>
{{L|6}} sollt ihr mir ein Königreich von Priestern sein<ref>Der Ausdruck ist '''auslegungsgeschichtlich''' sehr bedeutsam. Primär bedeutet „Priester“ hier wohl nicht mehr als „Gottes-Diener“ (Ramban; ähnlich Rabbenu Bahja: „Der Sinn ist: Ihr sollt mein Besitz sein“. S. nächste Fußnote). Die Verse Ex 24,3-10 werden dann aber zeigen, dass man „Priester“ hier außerdem durchaus im Vollsinn des Wortes zu nehmen hat: Gleich dreimal hintereinander werden dort israelitische Laien Dinge tun, die sonst Priestern vorbehalten sind. So hat den Ausdruck schon Luther verstanden, als er mit seinem Zitat in in 1 Pet 2,9 und Offb 5,10 seinen Generalangriff gegen die katholische Kirche auf ihn stützte: „''Man hat's erfunden, daß Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk der geistliche Stand genannt werden, Fürsten, Herren, Handwerks- und Ackersleute der weltliche Stand, was eine gar feine Erdichtung und Heuchelei ist. Doch soll sich niemand dadurch einschüchtern lassen, und zwar aus diesem Grund: Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes ..., wie St. Peter 1.Petr.2,9 sagt: ‚Ihr seid ein königliches Priestertum und ein priesterliches Königreich‘, und die Offenbarung: ‚Du hast uns durch dein Blut zu Priestern und Königen gemacht.‘ (Off.5,10). ... Darum ist des Bischofs Weihe nicht anders, als wenn er an Stelle und als Vertreter der ganzen Versammlung einen aus der Menge nimmt, die alle gleiche Gewalt haben, und ihm befiehlt, diese Gewalt für die andern auszuüben...!''“ (An den christlichen Adel deutscher Nation. Modernisiert von U. Köpf). – Offenbar hat er ihn damit genau richtig verstanden.<br />Diese Auslegung hat übrigens eine sehr lange Tradition: Rabbi Simai (2. Jhd.) und Rabbi Chama (3. Jhd.) haben diese enorme Ermächtigung des Volks zu Priestern in unserem Kapitel und Ex 24 und die darauf folgende „Entmächtigung“ in Ex 35-40 so ausfabuliert, dass auf das „Ja“ der Israeliten in V. 8 tausende Engel ihnen sofort Kronen aufgesetzt und Ornate angetan hätten; nachdem sie das goldene Kalb gegossen hatten, hätten sie sie ihnen beides aber wieder genommen (b.Schab 88a). Ähnlich leitete Huna bar Natan (4./5. Jhd.) aus dem Ausdruck ab, jeder einzelne Israelit habe sich ordentlich zu kleiden wie ein Priester (b.Zeb 19a); auch er nahm den Ausdruck also im wörtlichen Sinn. Eine sehr gehaltvolle Auslegung ist schließlich noch überliefert mit einem Ausspruch von Rabbi Acha (frühes 4. Jhd.) im Seder Elijahu Rabba 79: Dieser erklärt dort, zum Ornat des Hohepriesters gehöre deshalb eine Brustplatte mit auf Edelsteinen eingravierten Namen der zwölf Stämme Israels, weil auch der Hohepriester nur stellvertretend für alle Israeliten am Altar stehe und alle anderen theoretisch genauso gut dort vorne stehen könnten: „''Warum sind die Namen der Stämme auf den Steinen eingraviert? Weil auf dem Sinai alle ‚Priester‘ genannt wurden ... Es ist (nun aber ja) unmöglich, dass (jeweils) alle (gleichzeitig) am Altar zugegen sind. Daher mussten alle Namen über dem Herzen des Hohepriesters eingraviert werden. Danach (gilt nämlich:) Wenn der Hohepriester eintritt, um vor Gott ein Opfer darzubringen, ist es, als stünde jeder von diesen als Hohepriester vor ihm, gekleidet in priesterliche Gewänder.''“ – die erste mir bekannte Theologie des stellvertretenden Handelns von Priestern am Altar.</ref>
und eine Nation, die mir geheiligt ist!‘ –<ref>Man beachte die Struktur von Vv. 5c-6b:<br />(A) Ihr sollt mir <u>Vasall</u> sein<br />(B) Unter den ''ganzen <u>Völkern</u>'':<br />(B') Obwohl mir die ''ganze Erde'' gehört<br />(A') Sollt ihr mir ein <u>Königreich von Priestern</u> sein<br />(A<nowiki>''</nowiki>) und eine <u>Nation, die mir geheiligt ist!</u><br />Israel soll per Vertrag einen Sonderstatus unter allen Völkern erhalten: Vasallen-Volk, Priester-Königreich, Gott geheiligte Nation.<br />Dass die Zeile a durch Zeilen b-c von Zeilen d-e getrennt wird, deutet schon an, was dann auch die Wortinhalte zeigen: Zeilen d und e sind Entfaltung von a – „Volk“ wird politisch aufgeladen zu „Königreich“ und „Nation“, „Vasall“ wird religiös aufgeladen zu „Priester“ und „Gott geheiligt“. Hier wird also ein ''Vasallenvertrag'' geschlossen – aber nicht wie üblich mit einem gewöhnlichen Großkönig, für den man dann „Untertan“ und dem man dann „unterstellt“ wäre, sondern mit ''Gott'', für den man dann „Priester“ und dem man dann „geheiligt“ ist.</ref></poem>  
und eine Nation, die mir geheiligt ist!‘ –<ref>Man beachte die Struktur von Vv. 5c-6b:<br />(A) Ihr sollt mir <u>Vasall</u> sein<br />(B) Unter den ''ganzen <u>Völkern</u>'':<br />(B') Obwohl mir die ''ganze Erde'' gehört<br />(A') Sollt ihr mir ein <u>Königreich von Priestern</u> sein<br />(A<nowiki>''</nowiki>) und eine <u>Nation, die mir geheiligt ist!</u><br />Israel soll per Vertrag einen Sonderstatus unter allen Völkern erhalten: Vasallen-Volk, Priester-Königreich, Gott geheiligte Nation.<br />Dass die Zeile a durch Zeilen b-c von Zeilen d-e getrennt wird, deutet schon an, was dann auch die Wortinhalte zeigen: Zeilen d und e sind Entfaltung von a – „Volk“ wird politisch aufgeladen zu „Königreich“ und „Nation“, „Vasall“ wird religiös aufgeladen zu „Priester“ und „Gott geheiligt“. Hier wird also ein ''Vasallenvertrag'' geschlossen – aber nicht wie üblich mit einem gewöhnlichen Großkönig, für den man dann „Untertan“ und dem man dann „unterstellt“ wäre, sondern mit ''Gott'', für den man dann „Priester“ und dem man dann „geheiligt“ ist.</ref></poem>  
Diese Worte sprich zu den Nachkommen Israels!“
Diese Worte sprich zu den Nachkommen Israels!“
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Mose überbrachte GOTT die Worte des Volks.<ref name="Ergänzung">'''spätere Ergänzung''': An den biblischen Geschichten haben mehrere theologische Schulen gleichzeitig geschrieben. Das ist selten so deutlich wie in diesem Kapitel. V. 9 ist dank der Wiederholung des Schlusses von V. 8 klar als spätere Ergänzung erkennbar. Ihr Sinn ist es erstens wie auch bei anderen späteren Ergänzungen im Buch Exodus, den „Gesetzgeber Mose“ für Bibelleser späterer Generationen zusätzlich zu beglaubigen:<br />
Mose überbrachte GOTT die Worte des Volks.<ref name="Ergänzung">'''spätere Ergänzung''': An den biblischen Geschichten haben mehrere theologische Schulen gleichzeitig geschrieben. Das ist selten so deutlich wie in diesem Kapitel. V. 9 ist dank der Wiederholung des Schlusses von V. 8 klar als spätere Ergänzung erkennbar. Ihr Sinn ist es erstens wie auch bei anderen späteren Ergänzungen im Buch Exodus, den „Gesetzgeber Mose“ für Bibelleser späterer Generationen zusätzlich zu beglaubigen:<br />


''{{L|9}} GOTT sagte zu Mose: „Ich komme deshalb in dichtem Gewölk zu dir, damit das Volk hört, wie ich mit dir spreche, und damit es dann ewig an dich glaubt.“<br />Wie gesagt erzählte GOTT die Worte des Volks,...''
''{{L|9}} GOTT sagte zu Mose: „Ich komme deshalb in dichtem Gewölk zu dir, damit das Volk hört, wie ich mit dir spreche, und damit es dann ewig an dich glaubt.“<br />Wie gesagt erzählte er GOTT die Worte des Volks,...''


V. 19-20 erfüllen dann, was V. 9 verspricht; wieder mit Wiederaufnahme des vorangehenden Verses:<br />
V. 19-20 erfüllen dann, was V. 9 verspricht; wieder mit Wiederaufnahme des vorangehenden Verses:<br />


''{{L|19}} Das Schofarhorn-Getöse wurde immer stärker, sehr viel stärker. Währenddessen pflegte Mose zu reden und Gott zu antworten unter Getöse: {{L|20}} GOTT stieg wie gesagt hinab auf den Berg Sinai, nämlich zum Gipfel des Bergs. Und zu diesem Gipfel des Bergs rief GOTT Mose.''  
''{{L|19}} Das Schofarhorn-Getöse wurde immer stärker, sehr viel stärker. Währenddessen pflegte Mose zu reden und Gott zu antworten unter Getöse: {{L|20a}} GOTT stieg wie gesagt hinab auf den Berg Sinai, nämlich zum Gipfel des Bergs.''  


Vor allem aber neutralisiert V. 19 den V. 13b: Der Schofar-Klang, der dort den Aufstieg signalisieren sollte, hört nun angeblich während des Gesprächs zwischen Mose und Gott gar nicht erst auf. So kann das Volk nun doch nicht den Berg besteigen. Das wird in Vv. 21-25 noch klarer: Der Pöbel ist dazu gar nicht geeignet, weil er erstens mitnichten „priesterlich“ ist und mitnichten heilig genug für den geheiligten und eingegrenzten Berg (!). Wie beim Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels darf höchstens Aaron, der Vorfahre der Hohepriester, die Grenze durchbrechen:<br />
Vor allem aber neutralisiert V. 19 den V. 13b: Der Schofar-Klang, der dort den Aufstieg signalisieren sollte, hört nun angeblich während des Gesprächs zwischen Mose und Gott gar nicht erst auf. So kann das Volk nun doch nicht den Berg besteigen. Das wird in Vv. 21-25 noch klarer: Die Vv. sollen nicht den Text oben ergänzen oder weiterführen, sondern sind Polemik ''gegen'' diesen Text. Der Pöbel nämlich ist gar nicht geeignet, den Berg zu besteigen, weil er erstens mitnichten „priesterlich“ ist und mitnichten heilig genug für den geheiligten und eingegrenzten Berg (!). Wie beim Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels darf höchstens Aaron, der Vorfahre der Hohepriester, die Grenze durchbrechen:<br />


''{{L|20c}} Und Mose stieg hinauf. {{L|21}} Da sagte GOTT zu Mose: „Steig hinab! Warne das Volk, damit sie nicht die Grenze zu Gott durchbrechen, um mal zu gucken, und dann eine Menge von ihnen stirbt! {{L|22}} Selbst Priester, die sich GOTT für gewöhnlich nahen, müssten sich heiligen, damit GOTT nicht über sie hereinbricht['', und solche Priester sind deine Israeliten ja nicht'']!“<br />{{L|23}} Mose erwiderte GOTT: „Aber das Volk kann doch gar nicht auf den Berg Sinai hinaufsteigen? Du hast uns doch schließlich gewarnt: ‚Grenze den Berg Sinai ab und heilige ihn!‘“<br />{{L|24}} Aber GOTT sagte zu ihm: „Geh! Steig hinab! Und dann steig wieder hinauf, und Aaron mit dir! Priester und Volk allerdings dürften nicht durchbrechen, um zu GOTT hinaufzusteigen, damit er nicht über sie hereinbricht!“ {{L|25}} Also stieg Mose hinab zum Volk und gebot ihnen.''
''{{L|20bc}} Und GOTT rief Mose zum Gipfel des Bergs. Da stieg Mose hinauf {{L|21}} und GOTT sagte zu Mose: „Steig hinab! Warne das Volk, damit sie nicht den Zaun zu Gott durchbrechen, um mal zu gucken, und dann eine Menge von ihnen stirbt! {{L|22}} Selbst Priester, die sich GOTT für gewöhnlich nahen, müssten sich heiligen, damit GOTT nicht über sie hereinbricht['', und solche Priester sind deine Israeliten ja nicht'']!“<br />{{L|23}} Mose erwiderte GOTT: „Aber das Volk kann doch gar nicht auf den Berg Sinai hinaufsteigen? Du hast uns doch schließlich gewarnt: ‚Zäune den Berg Sinai ab und heilige ihn!‘“<br />{{L|24}} Aber GOTT sagte zu ihm: „Geh! Steig hinab! Und dann steig wieder hinauf, und Aaron mit dir! Priester und Volk allerdings dürften nicht durchbrechen, um zu GOTT hinaufzusteigen, damit er nicht über sie hereinbricht!“ {{L|25}} Also stieg Mose hinab zum Volk und gebot ihnen.''


Ähnlich analysieren die Entstehungsgeschichte des Kapitels z.B.  Blum 1990, S. 48; Oswald 1998, S. 42f.; Aurelius 2003, S. 159; Albertz 2015;  Germany 2017, S. 116 und Stoppel 2018, S. 310. Für näheres s. dort.</ref> <br />{{L|10}} Da sagte GOTT zu Mose: „Dann geh zum Volk! Sie sollen heute und morgen heiligen. Lass sie ihre Kleider waschen {{L|11}} und für den dritten Tag vorbereiten, denn am dritten Tag wird GOTT selbst vor den Augen des Volks auf den Berg Sinai hinabsteigen! {{L|12}} Errichte außerdem eine Grenze rings um das Volk<ref name="Vieh">Die „Grenze um das Volk“ muss man sich vielleicht nicht vorstellen wie eine Viehhürde: In Ijob 1,10 ist Gottes „Errichten eines Zauns um Ijob und seine Habe“ auch nur ein Bild dafür, dass Gott ihn beschützt. Auch diesem Zweck soll hier die „Grenze“ dienen, die wahrscheinlich gar nicht aus Holz, sondern ''mit Worten'' zu errichten ist (gut Jacob 1997).<br />Aber die Formulierung macht aufmerksam auf eine weitere Auffälligkeit des Texts: Der Berg Sinai ist von nun an nicht nur tabu für die Menschen, sondern ''auch für das Vieh'', und auch das betonte „diese“ in V. 13 lässt sich kaum anders verstehen als so, dass Mensch und Tier ''gemeinsam'' den Berg besteigen sollen. Ähnlich hatte Gott in Gen 9,9f. seinen Vertrag nicht nur mit Ruh geschlossen, sondern auch „mit jedem Tier, das aus dem Schrein kam“. Das gilt dann entsprechend offenbar auch hier: Nicht nur die menschlichen Angehörigen Israels werden Vertragspartner Gottes, sondern auch die tierischen.<br />Ist das richtig, muss man sich weiter fragen, ob nicht auch die seltsame Formulierung „der Klang des Widders“ statt „der Klang des Schofar-Horns“ bewusst gewählt wurde: Rufen hier Tier und Mensch gemeinsam zum Aufstieg?</ref> mit den Worten: ‚Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder auch nur einen Stein anzurühren! Jeder, der den Berg anfasst, ist des Todes! {{L|13}} Ob Mensch oder Vieh:<ref name="Vieh" /> Weder Hufe noch Hand darf ihn berühren, sonst ist man zu steinigen und zu erschießen – man darf dann nicht am Leben bleiben! Wenn dann aber der Klang des Widders<ref name="Vieh" /> erschallt ist, dann sollen diese<ref name="Vieh" /> auf den Berg steigen.‘“
Ähnlich analysieren die Entstehungsgeschichte des Kapitels z.B.  Blum 1990, S. 48; Oswald 1998, S. 42f.; Aurelius 2003, S. 159; Albertz 2015;  Germany 2017, S. 116 und Stoppel 2018, S. 310. Für näheres s. dort.</ref> <br />{{L|10}} Da sagte GOTT zu Mose: „Dann geh zum Volk! Sie sollen sich heute und morgen heiligen. Lass sie ihre Kleider waschen {{L|11}} und für den dritten Tag vorbereiten, denn am dritten Tag wird GOTT selbst vor den Augen des Volks auf den Berg Sinai hinabsteigen! {{L|12}} Errichte außerdem einen Zaun rings um das Volk<ref name="Vieh">
[[Datei:Dreiteiliger Mahzor - 10 Gebote.png|mini|Übergabe der 10 Gebote. Vorne männliche Menschen, hinten weibliche Tiere, beide Gruppen aufrecht und in noblen Gewändern. Buchmalerei im Machsor Tripartitum, 14. Jhd. CC0 via [http://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=add_ms_22413_f003r BL, Add MS 22413, f. 3r]]]
Den „Zaun um das Volk“ muss man sich vielleicht nicht vorstellen wie eine Viehhürde: In Ijob 1,10 ist Gottes „Errichten eines Zauns um Ijob und seine Habe“ auch nur ein Bild dafür, dass Gott ihn beschützt. Auch diesem Zweck soll hier der „Zaun“ dienen, die wahrscheinlich gar nicht aus Holz, sondern ''mit Worten'' zu errichten ist (gut Jacob 1997).<br />Aber die Formulierung macht aufmerksam auf eine weitere Auffälligkeit des Texts: Der Berg Sinai ist von nun an nicht nur tabu für die Menschen, sondern ''auch für das Vieh'', und auch das betonte „diese“ in V. 13 lässt sich kaum anders verstehen als so, dass Mensch und Tier ''gemeinsam'' den Berg besteigen sollen. Ähnlich hatte Gott in Gen 9,9f. seinen Vertrag nicht nur mit Ruh geschlossen, sondern auch „mit jedem Tier, das aus dem Schrein kam“. Das gilt dann entsprechend offenbar auch hier: Nicht nur die menschlichen Angehörigen Israels werden Vertragspartner Gottes, sondern auch die tierischen. Folgerichtig wird dann im nächsten Erzählabschnitt dem israelitischen Vieh sogar eine eigene Sonntagsruhe zugesprochen. Im Machsor Tripartitum wird es zufällig denn auch so dargestellt (man beachte rechts die anbetenden Tiere in der hinteren Reihe); im [https://digital.bodleian.ox.ac.uk/objects/268d1688-4523-4aed-962a-75f24c8cbfd0/surfaces/e8992c77-2f6e-4a05-8bba-a8c1eba341fb/ Laud-Machzor] bekommen auf dem entsprechenden Gemälde sogar die Tiere die Bundesurkunde überreicht. Was die Tierköpfe der Gestalten in diesen Handschriften ursprünglich bedeuten sollten, ist allerdings heute nicht mehr bekannt.<br />Ist das richtig, muss man sich weiter fragen, ob nicht auch die seltsame Formulierung „der Klang des Widders“ statt „der Klang des Schofar-Horns“ bewusst gewählt wurde: Rufen hier Tier und Mensch gemeinsam zum Aufstieg?</ref> mit den Worten: ‚Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder auch nur einen Stein anzurühren! Jeder, der den Berg anfasst, ist des Todes! {{L|13}} Ob Mensch oder Vieh:<ref name="Vieh" /> Weder Hufe noch Hand darf ihn berühren, sonst ist man zu steinigen und zu erschießen – man darf dann nicht am Leben bleiben! Wenn dann aber der Klang des Widders<ref name="Vieh" /> erschallt ist, dann sollen diese<ref name="Vieh" /> auf den Berg steigen.‘“


{{L|14}} Also stieg Mose vom Berg hinab zum Volk und ließ es sich heiligen und seine Kleider waschen: {{L|15}} „Bereitet euch für den dritten Tag vor!“, sagte er. „Und naht euch keiner Frau!“
{{L|14}} Also stieg Mose vom Berg hinab zum Volk und ließ es sich heiligen und seine Kleider waschen: {{L|15}} „Bereitet euch für den dritten Tag vor!“, sagte er. „Und naht euch keiner Frau!“
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: „Wenn du alle diese Dinge tust[, die in diesem ausführlichen Vertrag soeben aufgezählt wurden,] werde ich [dich] als Untertan annehmen. Sei mein Verbündeter! In Zukunft sol[en für dich] diese Verpflichtungen gelten.“ (CTA 69.A i 58f., zitiert nach Christiansen/Devecchi 2013, S. 73).
: „Wenn du alle diese Dinge tust[, die in diesem ausführlichen Vertrag soeben aufgezählt wurden,] werde ich [dich] als Untertan annehmen. Sei mein Verbündeter! In Zukunft sol[en für dich] diese Verpflichtungen gelten.“ (CTA 69.A i 58f., zitiert nach Christiansen/Devecchi 2013, S. 73).


''Das hat in Vv. 5-6 eine sehr nahe Entsprechung; hiernach hat man die Verse also zu verstehen: Effekt (nicht: Inhalt) des Vertrags soll sein, dass die Israeliten nun als „Königreich“ und „Nation“ Gottes Vasallenstaat werden soll, demgemäß also zum „''priesterlichen'' Königreich“ des Königs GOTT und zur „''Gott geheiligten'' Nation“. Dies soll gelten unter der Voraussetzung, dass der Vasallenstaat Israel seinem König grundsätzlich Folge leistet und sich spezieller gemäß den noch auszuführenden Vertragsbedingungen verhält.''  
''Das hat in Vv. 5-6 eine sehr nahe Entsprechung; hiernach hat man die Verse also zu verstehen: Effekt (nicht: Inhalt) des Vertrags soll sein, dass die Israeliten nun als „Königreich“ und „Nation“ Gottes Vasallenstaat werden sollen, demgemäß also zum „''priesterlichen'' Königreich“ des Königs GOTT und zur „''Gott geheiligten'' Nation“. Dies soll gelten unter der Voraussetzung, dass der Vasallenstaat Israel seinem König grundsätzlich Folge leistet und sich spezieller gemäß den noch auszuführenden Vertragsbedingungen verhält.<br />Mit diesen Versen muss man außerdem aber noch Ex 24,1-11 vergleichen, wo erzählerisch erläutert wird, was das theologisch eigentlich genauerhin bedeutet, dass ganz Israel nun „''heilige'' Nation und ''priesterliches'' Königreich“ ist.''  


''An sich klingt das gar nicht sehr attraktiv: Israel soll nun ''hörig'' werden, ihnen wird offensichtlich eine Reihe an Bestimmungen auferlegt werden; nachdem sie gerade erst mit großer Mühe dem König von Ägypten entkommen sind, sollen sie sich nun einem göttlichen König unterordnen. Zur Zeit, als die betreffenden Verse sehr wahrscheinlich abgefasst wurden, waren „Priester“ außerdem ''Leviten'' und gehörten als solche gemeinsam mit Migranten, Witwen und Waisen zu den unterstützungsbedürftigen Volksgruppen Israels (s. Dtn 14,29; 16,11.14; 26,12f.); auch dies klingt also nicht schon per se attraktiv. Welche positiven Gegenleistungen sie dafür zu erwarten haben, sagt an ähnlichen Stellen das Buch Deuteronomium sehr deutlich (s. z.B. Dtn 7,9f.; 26,19). Hier dagegen wird dies auffällig komplett ausgeschwiegen; ausformuliert wird nur: Israel soll Gottes Knecht werden. Es überrascht daher sehr, dass die nörgelnden und ungehorsamen Israeliten (s. Ex 14,11f.; 15,24; 16,2f..25-29; 17,2-7) in Vv. 7-8 so spontan und mit einer Stimme diesen unattraktiven Vertrag eingehen wollen, ohne auch nur seinen Inhalt zu kennen. Wenig überraschend kommt es dagegen, dass im Kapitel Ex 32, das sich ursprünglich direkt an Ex 24 angeschlossen hat, just in dem Moment, da Mose den Vertrag verschriftlicht, die Israeliten ihn bereits das erste Mal brechen.<br />Aber sie ''erklären'' sich bereit, und so bestimmt Gott in den Vv. 10-15, wie sich das Volk angemessen auf seine Herabkunft vorzubereiten hat, um dann in Vv. 16-18 wirklich unter heftigstem Aufruhr der Natur auf den Gipfel des Bergs Sinai hinabzusteigen. Von dort wird er sogleich den am Bergesfuß versammelten und ängstlich bebenden Israeliten in Ex 20 den ersten Teil seines Vasallenvertrags verlesen.''
''An dieser Stelle allerdings klingt das noch gar nicht sehr attraktiv: Israel soll nun ''hörig'' werden, ihnen wird offensichtlich eine Reihe an Bestimmungen auferlegt werden; nachdem sie gerade erst mit großer Mühe dem König von Ägypten entkommen sind, sollen sie sich nun einem göttlichen König unterordnen. Zur Zeit, als die betreffenden Verse sehr wahrscheinlich abgefasst wurden, waren außerdem die „Priester“ vor Ort (statt: in Jerusalem) ''Leviten'' und gehörten als solche gemeinsam mit Migranten, Witwen und Waisen zu den unterstützungsbedürftigen Volksgruppen Israels (s. Dtn 14,29; 16,11.14; 26,12f.); auch dies klingt also nicht schon per se attraktiv. Welche positiven Gegenleistungen sie dafür zu erwarten haben, sagt an ähnlichen Stellen das Buch Deuteronomium sehr deutlich (s. z.B. Dtn 7,9f.; 26,19). Hier dagegen wird dies auffällig komplett ausgeschwiegen; ausformuliert wird nur: Israel soll Gottes Knecht werden. Es überrascht daher sehr, dass die nörgelnden und ungehorsamen Israeliten (s. Ex 14,11f.; 15,24; 16,2f..25-29; 17,2-7) in Vv. 7-8 so spontan und mit einer Stimme diesen unattraktiven Vertrag eingehen wollen, ohne auch nur seinen Inhalt zu kennen. Wenig überraschend kommt es dagegen, dass im Kapitel Ex 32, das sich ursprünglich direkt an Ex 24 angeschlossen hat, just in dem Moment, da Mose den Vertrag verschriftlicht, die Israeliten ihn bereits das erste Mal brechen.<br />Aber sie ''erklären'' sich bereit, und so bestimmt Gott in den Vv. 10-15, wie sich das Volk angemessen auf seine Herabkunft vorzubereiten hat, um dann in Vv. 16-18 wirklich unter heftigstem Aufruhr der Natur auf den Gipfel des Bergs Sinai hinabzusteigen. Von dort wird er sogleich den am Bergesfuß versammelten und ängstlich bebenden Israeliten in Ex 20 den ersten Teil seines Vasallenvertrags verlesen.''




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[[Kategorie:Exodus 19]]
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Aktuelle Version vom 6. März 2024, 19:30 Uhr

Dies ist eine individuell verantwortete Textfassung. Sie ist Teil der Offenen Bibel, stammt aber in dieser Version nicht vom Gesamt-Team.

Persönliche Fassung

?. Vorbereitung des Sinai-Vertrags


Yehoshua Wiseman (2018): Gott offenbart sich am Berg Sinai. Ölgemälde. (c) chabad.org
Im Feuer die Konsonanten `nkj: „Ich“

1 Zum Beginn des dritten Monats, nachdem die Israeliten aus dem Land Ägypten ausgezogen waren, an diesem Tag,a da kamen sie in die Wüste Sinai: 2 Sie waren von Refidim fortgezogen, in die Wüste Sinai gekommen und lagerten nun in der Wüste.
Israel lagerte gegenüber dem Berg, 3 während Mose zu Gott hinaufstieg. Und GOTT rief ihm vom Berg her zu:

„Sag zur Familie Jakobs,
Sprich zu den Nachkommen Israels:
4 ‚Ihr habt's gesehen,
was an Ägypten ich getan,
und wie ich euch auf Adlers Flügeln trugb
und wie ich euch zu mir gebracht!
5 Wollt ihr daher auf mich hören
und den Vertrag mit mir einhalten,
sollt ihr mir Vasallc sein
unter den ganzen Völkern:
Obwohl mir die ganze Erde gehört,
6 sollt ihr mir ein Königreich von Priestern seind
und eine Nation, die mir geheiligt ist!‘ –e

Diese Worte sprich zu den Nachkommen Israels!“

7 Also ging Mose hin, rief die Familienoberhäupter des Volksf zusammen und legte ihnen diese Worte vor; genau, wie ihm GOTT aufgetragen hatte. 8 Da antwortete das ganze Volk mit einer Stimme: „Alles, was GOTT spricht, wollen wir tun!“

Mose überbrachte GOTT die Worte des Volks.g
10 Da sagte GOTT zu Mose: „Dann geh zum Volk! Sie sollen sich heute und morgen heiligen. Lass sie ihre Kleider waschen 11 und für den dritten Tag vorbereiten, denn am dritten Tag wird GOTT selbst vor den Augen des Volks auf den Berg Sinai hinabsteigen! 12 Errichte außerdem einen Zaun rings um das Volkh mit den Worten: ‚Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder auch nur einen Stein anzurühren! Jeder, der den Berg anfasst, ist des Todes! 13 Ob Mensch oder Vieh:h Weder Hufe noch Hand darf ihn berühren, sonst ist man zu steinigen und zu erschießen – man darf dann nicht am Leben bleiben! Wenn dann aber der Klang des Widdersh erschallt ist, dann sollen dieseh auf den Berg steigen.‘“

14 Also stieg Mose vom Berg hinab zum Volk und ließ es sich heiligen und seine Kleider waschen: 15 „Bereitet euch für den dritten Tag vor!“, sagte er. „Und naht euch keiner Frau!“

16 Am dritten Tag begann zum Morgengrauen ein Tosen; Blitze und schweres Gewölk waren über dem Berg und lautes, lautes Schofarhorn-Getöse. Das ganze Volk im Lager bebte. 17 Aber Mose brachte es aus dem Lager hinaus, Gott entgegen. Sie stellten sich unterhalb des Bergs auf. 18 Der Berg Sinai rauchte allüberall aufgrund von GOTTes Herabstieg im Feuer auf ihn: Sein Rauch stieg empor wie Schmauchi aus dem Schmelzofenj und der ganze Berg bebte sehr.k g



[[ | <=]] | [=> Ex 20,1-17]


Nachdem in Ex 18 dank Jithro das Volk Israel „in der Wüste, am Berg Gottes“ (Ex 18,5) schon anfanghaft organisiert worden war, wird dies dank Gott in Ex 19-24 „in der Wüste Sinai, am Berg Sinai“ noch einmal gewaltig überboten: Wie schon mit Noah und Abraham will er nun mit dem ganzen Volk einen Vertrag schließen, der aus der „Familie Israels“ und „Nachkommenschaft Jakobs“ nun erstens ein „Königreich“ und eine „Nation“ machen wird und der dieser neuen Nation zweitens in Ex 20-23 Israel auch gleich eine Verfassung geben wird.
Der Vertragsschluss folgt dem üblichen Procedere für den Abschluss eines Vasallenvertrags. Ohne schon nähere Details zu klären, werden zunächst die Grundpfeiler des zu schließenden Vertrags eingehauen (vgl. gut Polak 2004). Dazu werden hier nur die Abschnitte ausformuliert, die für gewöhnlich am Anfang und Schluss eines Vasallenvertrags stünden: Begonnen wurde ein solcher regelmäßig mit einem Bericht über die jüngst vergangenen Heilstaten des Höhergestellten wie hier in V. 4 (dazu vgl. näher z.B. Altman 2004; zur Grundstruktur solcher Verträge ebd., S. 48). Abgeschlossen wurde er zumindest gelegentlich mit einem Abschnitt wie dem Folgenden:

„Wenn du alle diese Dinge tust[, die in diesem ausführlichen Vertrag soeben aufgezählt wurden,] werde ich [dich] als Untertan annehmen. Sei mein Verbündeter! In Zukunft sol[en für dich] diese Verpflichtungen gelten.“ (CTA 69.A i 58f., zitiert nach Christiansen/Devecchi 2013, S. 73).

Das hat in Vv. 5-6 eine sehr nahe Entsprechung; hiernach hat man die Verse also zu verstehen: Effekt (nicht: Inhalt) des Vertrags soll sein, dass die Israeliten nun als „Königreich“ und „Nation“ Gottes Vasallenstaat werden sollen, demgemäß also zum „priesterlichen Königreich“ des Königs GOTT und zur „Gott geheiligten Nation“. Dies soll gelten unter der Voraussetzung, dass der Vasallenstaat Israel seinem König grundsätzlich Folge leistet und sich spezieller gemäß den noch auszuführenden Vertragsbedingungen verhält.
Mit diesen Versen muss man außerdem aber noch Ex 24,1-11 vergleichen, wo erzählerisch erläutert wird, was das theologisch eigentlich genauerhin bedeutet, dass ganz Israel nun „
heilige Nation und priesterliches Königreich“ ist.

An dieser Stelle allerdings klingt das noch gar nicht sehr attraktiv: Israel soll nun hörig werden, ihnen wird offensichtlich eine Reihe an Bestimmungen auferlegt werden; nachdem sie gerade erst mit großer Mühe dem König von Ägypten entkommen sind, sollen sie sich nun einem göttlichen König unterordnen. Zur Zeit, als die betreffenden Verse sehr wahrscheinlich abgefasst wurden, waren außerdem die „Priester“ vor Ort (statt: in Jerusalem) Leviten und gehörten als solche gemeinsam mit Migranten, Witwen und Waisen zu den unterstützungsbedürftigen Volksgruppen Israels (s. Dtn 14,29; 16,11.14; 26,12f.); auch dies klingt also nicht schon per se attraktiv. Welche positiven Gegenleistungen sie dafür zu erwarten haben, sagt an ähnlichen Stellen das Buch Deuteronomium sehr deutlich (s. z.B. Dtn 7,9f.; 26,19). Hier dagegen wird dies auffällig komplett ausgeschwiegen; ausformuliert wird nur: Israel soll Gottes Knecht werden. Es überrascht daher sehr, dass die nörgelnden und ungehorsamen Israeliten (s. Ex 14,11f.; 15,24; 16,2f..25-29; 17,2-7) in Vv. 7-8 so spontan und mit einer Stimme diesen unattraktiven Vertrag eingehen wollen, ohne auch nur seinen Inhalt zu kennen. Wenig überraschend kommt es dagegen, dass im Kapitel Ex 32, das sich ursprünglich direkt an Ex 24 angeschlossen hat, just in dem Moment, da Mose den Vertrag verschriftlicht, die Israeliten ihn bereits das erste Mal brechen.
Aber sie
erklären sich bereit, und so bestimmt Gott in den Vv. 10-15, wie sich das Volk angemessen auf seine Herabkunft vorzubereiten hat, um dann in Vv. 16-18 wirklich unter heftigstem Aufruhr der Natur auf den Gipfel des Bergs Sinai hinabzusteigen. Von dort wird er sogleich den am Bergesfuß versammelten und ängstlich bebenden Israeliten in Ex 20 den ersten Teil seines Vasallenvertrags verlesen.


aMit diesem überflüssigen an diesem Tag soll eine Reihe von Daten in der Exoduserzählung hervorgehoben werden: Pesach beim Auszug aus Ägypten in Ex 12,14.17.41; die erste Priesterweihe in Lev 8,34; die erste Feier des Versöhnungstags Jom Kippur in Lev 16,34 – und hier die Ankunft am Berg Sinai, die nach jüdischer Überzeugung sieben Tage vor dem Feiertag Schavuot lag (vgl. gut z.B. Ramban; Leder 2010, S. 296). Ähnlich hervorgehoben wird außerdem in Gen 7,11 der Beginn der Sintflut, die nach der Vorzeit die Frühzeit einleitete. So macht schon der erste Vers deutlich: Was nun erzählt wird, ist eines der Großereignisse Israels. (Zurück zu Lesefassung v.1)
bAuf Adlers Flügeln tragen - Ein häufiges mythisches Bild: Adler sind die Könige des Himmels; auf Adlers Flügeln wird man daher ins Himmelreich getragen (gut Graupner 2021, S. 373): In Mesopotamien der Held Etana im gleichnamigen Epos, eine unbekannte Frau auf der Goldschale von Hasanlu, ähnlich der mythische König Gilgamesch, als er bei seiner Geburt getötet werden sollte (Aelian, NA xii 21). In Griechenland entführt Zeus in Adlergestalt den jungen Ganymed ins Götterreich, und im alten Rom ritten Kaiser und Kaiserinnen nach ihrem Tod auf Adlern in den Himmel. Schon dieses Bild bereitet vor, dass der Sinai mit der Herabkunft Gottes gleich zum Himmel auf Erden werden wird. (Zurück zu Lesefassung v.4)
ctFN: Vasall - Heb. sigulah. Oft falsch übersetzt mit etwas wie „Schatz“ oder „Juwel“. Die Bedeutung ist aber klar: Das Wort wird im Hebräischen sonst nur verwendet i.S.v. „mühsam erarbeitetes/erspartes/erbeutetes Eigentum“, besonders im Mittelhebräischen. So wird auch das verwandte akkadische Wort sikiltu(m) verwendet; daneben ist dieses wie auch das ebenfalls verwandte ugaritische Wort sglt aber häufig in der selben Verwendung wie hier belegt. So ist in RS 18.038 für den hethitischen Großkönig der ugaritische Vasallenkönig Ammurapi sein sglt und im Mari-Brief ARM XIV 81 fragt Königin Šibtu sarkastisch über eine andere Königin: „Bin ich etwa ihre Dienerin, ihre Magd oder ihre šagiltam!?“ (29f.). Besonders häufig ist jemand aber sikiltu(m) einer Gottheit – so in den Eigennamen Sikilti-Adad, Sikilti-Uqur und der Kurzform Sikiltum; auch auf Alalakh-Tafel II wird König Abban mit einer ähnlichen Reihung wie in ARM XIV bezeichnet als „Diener von Haddu, Liebling von Haddu, sikiltum von...“ (76). Vgl. zu den einzelnen Stellen näher ThWAT V s.v.; Greenberg 1951; Held 1961, S. 11f.; Speiser 1956b. Welches Personenverhältnis bei dieser Verwendung genau mit diesem Begriff ausgedrückt wird, ist nicht klar. Bes. nach ARM XIV 81 ist jemandes sikiltum diesem aber wahrscheinlich untergeben; spielt auch hier die übliche Bed. von sikiltum mit hinein – wovon auszugehen ist –, wird er ihm außerdem untergeben sein wegen einer Leistung des Höhergestellten. Am besten übersetzt man daher mit „Vasall“. Das passt auch zum Zeugnis des Deuteronomiums, wo die beiden Phrasen ´am naḥalah und ´am sigulah austauschbar zur Bezeichnung Israels verwendet werden. ´am naḥalah ist das „Eigentums-Volk“; dafür wäre „Vasallen-Volk“ wirklich ein passender Wechselbegriff. (Zurück zu Lesefassung v.5)
dDer Ausdruck ist auslegungsgeschichtlich sehr bedeutsam. Primär bedeutet „Priester“ hier wohl nicht mehr als „Gottes-Diener“ (Ramban; ähnlich Rabbenu Bahja: „Der Sinn ist: Ihr sollt mein Besitz sein“. S. nächste Fußnote). Die Verse Ex 24,3-10 werden dann aber zeigen, dass man „Priester“ hier außerdem durchaus im Vollsinn des Wortes zu nehmen hat: Gleich dreimal hintereinander werden dort israelitische Laien Dinge tun, die sonst Priestern vorbehalten sind. So hat den Ausdruck schon Luther verstanden, als er mit seinem Zitat in in 1 Pet 2,9 und Offb 5,10 seinen Generalangriff gegen die katholische Kirche auf ihn stützte: „Man hat's erfunden, daß Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk der geistliche Stand genannt werden, Fürsten, Herren, Handwerks- und Ackersleute der weltliche Stand, was eine gar feine Erdichtung und Heuchelei ist. Doch soll sich niemand dadurch einschüchtern lassen, und zwar aus diesem Grund: Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes ..., wie St. Peter 1.Petr.2,9 sagt: ‚Ihr seid ein königliches Priestertum und ein priesterliches Königreich‘, und die Offenbarung: ‚Du hast uns durch dein Blut zu Priestern und Königen gemacht.‘ (Off.5,10). ... Darum ist des Bischofs Weihe nicht anders, als wenn er an Stelle und als Vertreter der ganzen Versammlung einen aus der Menge nimmt, die alle gleiche Gewalt haben, und ihm befiehlt, diese Gewalt für die andern auszuüben...!“ (An den christlichen Adel deutscher Nation. Modernisiert von U. Köpf). – Offenbar hat er ihn damit genau richtig verstanden.
Diese Auslegung hat übrigens eine sehr lange Tradition: Rabbi Simai (2. Jhd.) und Rabbi Chama (3. Jhd.) haben diese enorme Ermächtigung des Volks zu Priestern in unserem Kapitel und Ex 24 und die darauf folgende „Entmächtigung“ in Ex 35-40 so ausfabuliert, dass auf das „Ja“ der Israeliten in V. 8 tausende Engel ihnen sofort Kronen aufgesetzt und Ornate angetan hätten; nachdem sie das goldene Kalb gegossen hatten, hätten sie sie ihnen beides aber wieder genommen (b.Schab 88a). Ähnlich leitete Huna bar Natan (4./5. Jhd.) aus dem Ausdruck ab, jeder einzelne Israelit habe sich ordentlich zu kleiden wie ein Priester (b.Zeb 19a); auch er nahm den Ausdruck also im wörtlichen Sinn. Eine sehr gehaltvolle Auslegung ist schließlich noch überliefert mit einem Ausspruch von Rabbi Acha (frühes 4. Jhd.) im Seder Elijahu Rabba 79: Dieser erklärt dort, zum Ornat des Hohepriesters gehöre deshalb eine Brustplatte mit auf Edelsteinen eingravierten Namen der zwölf Stämme Israels, weil auch der Hohepriester nur stellvertretend für alle Israeliten am Altar stehe und alle anderen theoretisch genauso gut dort vorne stehen könnten: „Warum sind die Namen der Stämme auf den Steinen eingraviert? Weil auf dem Sinai alle ‚Priester‘ genannt wurden ... Es ist (nun aber ja) unmöglich, dass (jeweils) alle (gleichzeitig) am Altar zugegen sind. Daher mussten alle Namen über dem Herzen des Hohepriesters eingraviert werden. Danach (gilt nämlich:) Wenn der Hohepriester eintritt, um vor Gott ein Opfer darzubringen, ist es, als stünde jeder von diesen als Hohepriester vor ihm, gekleidet in priesterliche Gewänder.“ – die erste mir bekannte Theologie des stellvertretenden Handelns von Priestern am Altar. (Zurück zu Lesefassung v.6)
eMan beachte die Struktur von Vv. 5c-6b:
(A) Ihr sollt mir Vasall sein
(B) Unter den ganzen Völkern:
(B') Obwohl mir die ganze Erde gehört
(A') Sollt ihr mir ein Königreich von Priestern sein
(A'') und eine Nation, die mir geheiligt ist!
Israel soll per Vertrag einen Sonderstatus unter allen Völkern erhalten: Vasallen-Volk, Priester-Königreich, Gott geheiligte Nation.
Dass die Zeile a durch Zeilen b-c von Zeilen d-e getrennt wird, deutet schon an, was dann auch die Wortinhalte zeigen: Zeilen d und e sind Entfaltung von a – „Volk“ wird politisch aufgeladen zu „Königreich“ und „Nation“, „Vasall“ wird religiös aufgeladen zu „Priester“ und „Gott geheiligt“. Hier wird also ein Vasallenvertrag geschlossen – aber nicht wie üblich mit einem gewöhnlichen Großkönig, für den man dann „Untertan“ und dem man dann „unterstellt“ wäre, sondern mit Gott, für den man dann „Priester“ und dem man dann „geheiligt“ ist. (Zurück zu Lesefassung v.6)
fFamilienoberhäupter - W. „die Ältesten“; gemeint sind damit aber wahrscheinlich die Oberhäupter der einzelnen Sippen Israels. Israel ist nicht nur eine Großfamilie, sondern ist sogar in Familien- statt in Staatsstrukturen organisiert und von Familienmitgliedern regiert. Diese Familienoberhäupter werden von nun an noch häufiger stellvertretend für das ganze Volk handeln. (Zurück zu Lesefassung v.7)
gspätere Ergänzung: An den biblischen Geschichten haben mehrere theologische Schulen gleichzeitig geschrieben. Das ist selten so deutlich wie in diesem Kapitel. V. 9 ist dank der Wiederholung des Schlusses von V. 8 klar als spätere Ergänzung erkennbar. Ihr Sinn ist es erstens wie auch bei anderen späteren Ergänzungen im Buch Exodus, den „Gesetzgeber Mose“ für Bibelleser späterer Generationen zusätzlich zu beglaubigen:

9 GOTT sagte zu Mose: „Ich komme deshalb in dichtem Gewölk zu dir, damit das Volk hört, wie ich mit dir spreche, und damit es dann ewig an dich glaubt.“
Wie gesagt erzählte er GOTT die Worte des Volks,...

V. 19-20 erfüllen dann, was V. 9 verspricht; wieder mit Wiederaufnahme des vorangehenden Verses:

19 Das Schofarhorn-Getöse wurde immer stärker, sehr viel stärker. Währenddessen pflegte Mose zu reden und Gott zu antworten unter Getöse: 20a GOTT stieg wie gesagt hinab auf den Berg Sinai, nämlich zum Gipfel des Bergs.

Vor allem aber neutralisiert V. 19 den V. 13b: Der Schofar-Klang, der dort den Aufstieg signalisieren sollte, hört nun angeblich während des Gesprächs zwischen Mose und Gott gar nicht erst auf. So kann das Volk nun doch nicht den Berg besteigen. Das wird in Vv. 21-25 noch klarer: Die Vv. sollen nicht den Text oben ergänzen oder weiterführen, sondern sind Polemik gegen diesen Text. Der Pöbel nämlich ist gar nicht geeignet, den Berg zu besteigen, weil er erstens mitnichten „priesterlich“ ist und mitnichten heilig genug für den geheiligten und eingegrenzten Berg (!). Wie beim Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels darf höchstens Aaron, der Vorfahre der Hohepriester, die Grenze durchbrechen:

20bc Und GOTT rief Mose zum Gipfel des Bergs. Da stieg Mose hinauf 21 und GOTT sagte zu Mose: „Steig hinab! Warne das Volk, damit sie nicht den Zaun zu Gott durchbrechen, um mal zu gucken, und dann eine Menge von ihnen stirbt! 22 Selbst Priester, die sich GOTT für gewöhnlich nahen, müssten sich heiligen, damit GOTT nicht über sie hereinbricht[, und solche Priester sind deine Israeliten ja nicht]!“
23 Mose erwiderte GOTT: „Aber das Volk kann doch gar nicht auf den Berg Sinai hinaufsteigen? Du hast uns doch schließlich gewarnt: ‚Zäune den Berg Sinai ab und heilige ihn!‘“
24 Aber GOTT sagte zu ihm: „Geh! Steig hinab! Und dann steig wieder hinauf, und Aaron mit dir! Priester und Volk allerdings dürften nicht durchbrechen, um zu GOTT hinaufzusteigen, damit er nicht über sie hereinbricht!“ 25 Also stieg Mose hinab zum Volk und gebot ihnen.

Ähnlich analysieren die Entstehungsgeschichte des Kapitels z.B. Blum 1990, S. 48; Oswald 1998, S. 42f.; Aurelius 2003, S. 159; Albertz 2015; Germany 2017, S. 116 und Stoppel 2018, S. 310. Für näheres s. dort. (Zurück zu Lesefassung v.25 / zu Lesefassung v.18)
h
Übergabe der 10 Gebote. Vorne männliche Menschen, hinten weibliche Tiere, beide Gruppen aufrecht und in noblen Gewändern. Buchmalerei im Machsor Tripartitum, 14. Jhd. CC0 via BL, Add MS 22413, f. 3r
Den „Zaun um das Volk“ muss man sich vielleicht nicht vorstellen wie eine Viehhürde: In Ijob 1,10 ist Gottes „Errichten eines Zauns um Ijob und seine Habe“ auch nur ein Bild dafür, dass Gott ihn beschützt. Auch diesem Zweck soll hier der „Zaun“ dienen, die wahrscheinlich gar nicht aus Holz, sondern mit Worten zu errichten ist (gut Jacob 1997).
Aber die Formulierung macht aufmerksam auf eine weitere Auffälligkeit des Texts: Der Berg Sinai ist von nun an nicht nur tabu für die Menschen, sondern auch für das Vieh, und auch das betonte „diese“ in V. 13 lässt sich kaum anders verstehen als so, dass Mensch und Tier gemeinsam den Berg besteigen sollen. Ähnlich hatte Gott in Gen 9,9f. seinen Vertrag nicht nur mit Ruh geschlossen, sondern auch „mit jedem Tier, das aus dem Schrein kam“. Das gilt dann entsprechend offenbar auch hier: Nicht nur die menschlichen Angehörigen Israels werden Vertragspartner Gottes, sondern auch die tierischen. Folgerichtig wird dann im nächsten Erzählabschnitt dem israelitischen Vieh sogar eine eigene Sonntagsruhe zugesprochen. Im Machsor Tripartitum wird es zufällig denn auch so dargestellt (man beachte rechts die anbetenden Tiere in der hinteren Reihe); im Laud-Machzor bekommen auf dem entsprechenden Gemälde sogar die Tiere die Bundesurkunde überreicht. Was die Tierköpfe der Gestalten in diesen Handschriften ursprünglich bedeuten sollten, ist allerdings heute nicht mehr bekannt.
Ist das richtig, muss man sich weiter fragen, ob nicht auch die seltsame Formulierung „der Klang des Widders“ statt „der Klang des Schofar-Horns“ bewusst gewählt wurde: Rufen hier Tier und Mensch gemeinsam zum Aufstieg? (Zurück zu Lesefassung v.12 / zu Lesefassung v.13)
iRauch heißt im Hebräischen für gewöhnlich `aśan. So auch die ersten beiden Male im Vers; nur hier heißt er stattdessen `eśen – offenbar ein Fantasiewort, um den gewöhnlichen „Schmauch“ vom übernatürlichen „Rauch“ abzuheben. (Zurück zu Lesefassung v.18)
jGottes Herabkunft macht den Berg zum Himmel auf Erden: Die Blitze werden zu Feuer, die Wolken zu Rauch, statt dem Himmel grollt nun der Berg. Vgl. 4 Esra 3,17: „(Am Berg Sinai) neigest du den Himmel, schütteltest die Welt, erschüttertest den Erdkreis, dass selbst die Unterwelt bebte.“ Wieder, wie bes. deutlich schon in Gen 11 und Gen 28, liegt hier die Vorstellung vom kosmischen Ort zugrunde, an dem sich Himmel und Erde überlagern. (Zurück zu Lesefassung v.18)
kWie zuvor die Israeliten bebten: Der Berg wird hier mehr oder weniger lebendig. Auch die auffällig umständliche Formulierung „aufgrund von Gottes Herabkunft im Feuer auf ihn“ (vgl. dazu gut Hardy 2015) diente gewiss hauptsächlich dazu, alle Hauptverben vom Berg als Subjekt abhängen zu lassen und ihn auch dadurch zu verlebendigen: Der Sinai ist gerade kein gewöhnlicher Fels mehr. (Zurück zu Lesefassung v.18)