Persönliche Fassung
1 Da sprach Gott zu Fers: „Mach dich auf! Zieh hinauf nach Beth-El und bleib dort! Mach dort einen Altar für El, der dir erschienen ist, als du vor deinem Bruder Esau geflohen bist!“ 2 Fers sagte also zu seinem Hausstand und zu allen, die mit ihm waren:
„Schafft die Götter des Auslands fort aus eurer Mitte!
Reinigt euch und wechselt eure Kleider!
3 Wir wollen uns aufmachen und hinaufziehen nach Beth-El.
Dort will ich einen Altar machen für El,
der mich erhört hat zur Zeit meiner Bedrängnis,
und der mit mir war auf dem Weg, den ich gegangen bin.“
4 Da gaben sie Fers alle Götter des Auslands, die sie besaßen, und ihre Ohrringe.〈a〉
Fers verbarg sie unter dem hohen Baum〈b〉 von Sichem.
5 Dann brachen sie auf. Ein Schrecken vor Gott überfiel die Städte in ihrem Umland, sodass sie die Mannen von Fers nicht verfolgten. 6 So kam Fers mit seinem ganzen Volk nach Luz im Lande Kanaan – also nach Beth-El. 7 Und weil sich Gott ihm dort offenbart hatte, als er vor seinem Bruder geflohen war, baute er dort einen Altar und nannte den Ort El Beth-El, „Gott im Haus Gottes“.
8 Dann starb Debora, die Amme Rebekkas, und wurde unterhalb von Beth-El unter dem großen Baum〈b〉 begraben. Daher nannte er ihn „Großer Baum der Klage“.*
16 Dann brachen sie von Beth-El aus auf. Als Efrata noch etwa eine Postmeile〈c〉 entfernt war, setzten bei Zibbe die Wehen ein. Sie tat sich schwer beim Gebären, 17 Und als sie sich beim Gebären schwer tat, sprach ihr die Hebamme Mut zu: „Fürchte dich nicht! Auch diesmal bekommst du einen Sohn!“
18 Als aber Zibbe nach und nach die Lebenskraft verließ und sie im Sterben lag, sagte sie: „Er soll Ben-Oni heißen, ‚Sohn meiner Kraft‘!“ Sein Vater aber sollte ihn später Ben-Jamin nennen, „Meine rechte Hand“.
19 Dann starb Zibbe. Sie wurde auf dem Weg nach Efrata – also nach Bethlehem – begraben, 20 und Fers errichtete über ihrem Grab eine Mazzebe. Diese kennt man bis heute als die Mazzebe des Grabs von Zibbe.〈d〉〈e〉
Nachdem Fers und seine Familie sich mit den Sichemitern überworfen haben (Gen 34,40), muss er ein letztes Mal fliehen. Wieder ist Beth-El, das „Haus Gottes“, seine Zuflucht. Das fügt sich gut; nun kann er nämlich endlich auch sein Gelübde aus Gen 28,22 erfüllen: Im Auftrag Gottes errichtet er in Beth-El einen Altar und damit den Grundstock eines Heiligtums und einen Ort, der dauerhaft Gott repräsentiert (zur Vorstellung vgl. Keel 1997, S. 145; Tigay 2004, S. 205-207), und kann danach Beth-El umbenennen in El Beth-El, „Gott im Haus Gottes“.
Umrahmt wird dieser Altarbau von drei Begräbnissen, die jeweils auch dazu beitragen, die Zentralität von El Beth-El noch weiter zu steigern, indem andere Kultstätten ausgeschaltet werden: In Vv. 3-4 schwört der Hausstand von Fers den Göttern des Auslands ab; diese werden sodann unter dem „hohen Baum von Sichem“ verborgen, wodurch offenbar diese kultischen Figuren und dieser Kultort sich gegenseitig neutralisieren (gut Sarna 2001): Der heilige Baum wird zur Götzen-Müllhalde. In V. 8 stirbt Debora und wird ebenfalls unter einem heiligen Baum begraben, der so vom heiligen Baum zum Grabmal mit dem Namen „großer Baum der Klage“ umfunktioniert wird. Gleichzeitig wird damit durch die Blume gegen einen weiteren wichtigen Baum in der unmittelbaren Umgebung polemisiert: „Zwischen Beth-El und Rama“ steht nach Ri 4,4-6 die „Palme der [Richterin] Debora“. Offenbar hat diese zur Zeit des Autors ebenfalls quasi-kultische Bedeutung erlangt, weshalb er gerade die Amme Debora, deren Namen bisher noch kein einziges Mal gefallen ist, in die Erzählung einführt, nur um sie sogleich wieder aus der Erzählung zu nehmen: Ihre Funktion ist nur, dass über den „Debora-Großbaum“ eine Spitze auch gegen die „Debora-Palme“ in der Erzählung untergebracht werden kann.
Am schwersten zu verstehen sind Vv. 19f., da ein Begräbnis am Wegesrand im Alten Israel ein „schlechtes“ Begräbnis war. Dass also gerade Fers' geliebte Frau Zippe nach ihrem Tod im Kindbett nicht noch die 20-30km zum Familiengrab transportiert, sondern wie die Götzen und Debora ebenfalls am Wegesrand bestattet wird, ist sehr verblüffend. Wahrscheinlich muss man das nach Vv. 4.8 so erklären: Eines der Hauptanliegen des ganzen Fers-Zyklus ist es, Beth-El statt Jerusalem als zentrale Kultstätte zu etablieren (vgl. z.B. Oswald 2009, S. 156.166f.). Als die Reisegruppe von Fers in V. 16 „eine Postmeile“ von Efrata entfernt ist, ist sie damit aber mitten in Jerusalem. Dafür spricht auch V. 21, wo die Reisegruppe etwas weiter zieht und dann „jenseits des Herdenturms“ lagert: Dieser Herdenturm gehört nach Mi 4,8 mit m.Schek vii 4 zum äußersten Bezirk Jerusalems. Doch darüber verliert der Autor kein Wort; Jerusalem selbst ist keiner Rede wert und wird dargestellt wie ein Niemalsland auf dem Weg von El Beth-El nach Bethlehem, und nicht einmal „beim“ Herdenturm will Fers lagern, sondern „jenseits“ davon. Und doch wird in diesem Niemalsland Zippe bestattet, und ihr Grabmal befindet sich „bis heute“ dort (V. 20). Haben die verborgenen Götter und die begrabene Debora die beiden kultischen Bäume neutralisiert, ist es dann offenbar der Sinn der Vv. 16-20, verklausuliert zu behaupten, dass für den Tempel in Jerusalem eigentlich das Selbe gilt wie für die beiden ehemals heiligen Bäume. Von den drei Orten, die man in der Bibel und im Frühjudentum als „Nabel der Welt“ kennt – Sichem, Beth-El und Jerusalem – ist danach nur noch Beth-El übrig, und dort wurden auch noch der heilige Baum und die Debora-Palme als sekundäre Kultstätten ausgeschaltet. So gelesen entspricht der Abschnitt also ganz dem Hauptanliegen des Fers-Zyklus.
a | Ohrringe waren im Alten Orient sehr verbreitet (vgl. Plinius, NatHist XI 136; Midrasch ExR 15,3). Sie waren außerdem des Öfteren Göttern geweiht; im Aramäischen heißen sie daher standardmäßig qadaša` („geheiligtes Ding“). Damit haben sie eine ähnliche Funktion wie die Götzenfiguren; dass auch die Ohrringe aufgegeben werden müssen, ist danach nur konsequent. (Zurück zu Lesefassung v.4) |
b | Der hohe Baum in V. 4 und der große Baum in V. 8 heißen im Hebräischen `elah und `alon. Traditionell übersetzt man das erste mit „Terebinthe“ und das zweite mit „Eiche“. Wörtlich sind beides aber nur „hohe Bäume“. Wichtiger ist, dass in beiden Wörtern die Konsonanten `l stecken, also die Konsonanten von „Gott“. Das passt hier gut, denn beides sind heilige Bäume, die im Alten Israel verehrt wurden. (Zurück zu Lesefassung v.4 / zu Lesefassung v.8) |
c | Postmeile - Fast unbekanntes Wort; sonst nur noch belegt in Gen 48,7; 2 Kön 5,19. Die einzige Erklärung bisher ist die nach dem akkadischen bēr („Zweistunden-Strecke“), das häufig als Genitiv mit qaqqari („des Lands“) konstruiert wird, wie hier und bei den anderen beiden Stellen berah („Zweistunden-Strecke“?) mit `arṣ („des Lands“) konstruiert wäre (so z.B. Vogt 1975; Wenham 1994; Ritter 2003, S. 28; Steinmann 2019). Geht man mit der ISBE bei einer „Tagesreise“ von einem 8h-Tag und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 5km/h aus, also von 40km, sind ke-berat ha`arṣ („ungefähr eine Zweistunden-Strecke über Land“) genauer „ungefähr 10km“ oder eben „ungefähr eine Postmeile“. Ungefähr eine Postmeile von Bethlehem in Richtung El Beth-El liegt Jerusalem (die Klagemauer z.B. liegt in 8,4km Luftlinie Entfernung). (Zurück zu Lesefassung v.16) |
d | Das Grab von Zibbe (das man allerdings keine Postmeile von Bethlehem entfernt glaubt, sondern direkt an der Ortsgrenze) ist im Judentum und Islam von großer Bedeutung. Lange Zeit war es eine interreligiöse Grab- und Pilgerstätte für Juden, Christen und Muslime. Dass Zibbe überraschend überhaupt am Wegesrand begraben wird, anstatt sie noch die verbliebenen maximal 30km zum Familiengrab von Fers zu transportieren, erklären viele jüdische Schriften (z.B. der Midrasch BerR; Pesikta Rabbati 3,4; Lekach Tob; Raschi) damit, dass Fers vorausgesehen habe, dass dereinst hier die exilierten Israeliten vorbeilaufen sollten und dass das Grab ihnen Trost spenden solle. Basis dieser Deutung ist Jer 31,15, wonach „Zibbe [im Tod] ihre [exilierten] Kinder beklagt.“ In den letzten zwei Jahrhunderten ist das Grabmal daher für Juden zum Symbol für die „Rückkehr“ des „Volkes Israel“ aus seinem „Exil“ geworden und hat sich zu einer der drei heiligsten Orte überhaupt in Israel entwickelt. Weil in diesem Zuge das Grabmal immer mehr von der Öffentlichkeit abgeschottet wurde, bis es 1996 schließlich zunächst zur Festung ausgebaut und dann hinter der illegalen Stadtmauer bei Bethlehem ganz dem muslimischen Zugriff entzogen wurde, wurde es zeitgleich auch von muslimischer Seite immer mehr mit Bedeutung aufgeladen: Heute glauben viele, dass hier neben Zibbe auch die Sufi-Heilige Rabia von Basra begraben sei und dass das Grabmal früher außerdem eine dem Mohammed-Gefährten Bilal ibn Rabah gewidmete Moschee gewesen sei, wonach von muslimischer Seite hier gleich drei wichtige Personen zu verehren wären. Damit ist die einstige interreligiöse Pilgerstätte leider heute zum konzentrierten Symbol des Nahost-Konflikts verkommen. (Zurück zu Lesefassung v.20) |
e | spätere Ergänzung: Ein späterer Autor hat eine alternative Fassung von Gen 28; Gen 32 und Gen 35,5-7 verfasst, die diese Abschnitte aber zum Glück nicht verdrängt hat, sondern unpassend an den letzten Abschnitt dieser drei angehängt wurde. Hauptanliegen des Autors war es offensichtlich, die Fers-Erzählung zu entmythisieren: Fers hat nicht mit Gott gekämpft; Segen, Landesverheißung und Umbenennung zu „Israel“ aus Gen 32 folgen stattdessen direkt auf seine Rückkunft aus dem aramäischen Mesopotamien. Dies geschieht unverdient; recht eigentlich wird sogar nur der Segen und die Verheißung für Vater-Gnade aus Gen 17,3-6 noch einmal aktualisiert und so an dessen Enkel Fers und seine Nachkommen weitergegeben. Fers hat auch keinen Traum von einer Himmelstreppe wie in Gen 28; Mazzebe und Altar werden stattdessen in einem Schwung als „Altar-Mazzebe“ und sozusagen als Dankeschön für die wohlbehaltene Rückkehr und den Segensspruch errichtet. Und schließlich ist Beth-El keinesfalls ein besonderer „Wohnort“ Gottes: Es ist nur ein Ort, an dem zufällig Fers mit Gott „gesprochen hatte“ (3x in Vv. 13-15. Vgl. z.B. Blum 1984, S. 268f.; Krüger 2016b, S. 11; Schmid 2017, S. 61; Klein 2019, S. 162f.):
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