Persönliche Fassung
1 Der Erdling erkannte〈a〉 seine Frau Leben.
Sie empfing und gebar den Kauf〈b〉
und sie sagte: „Ich habe mir einen Mann erkauft an der Seite von GOTT.“〈c〉
2 Weiter gebar sie seinen Bruder Wertlos.〈b〉
Wertlos wurde Kleinvieh-Hirte,
Kauf aber wurde Erdboden-Diener.〈d〉
3 Nach einiger Zeit〈e〉
brachte Kauf GOTT von der Frucht des Erdbodens ein Opfer dar,
4 Wertlos aber, auch er, opferte von den Erstgeborenen seines Viehs – sogar von ihren Fettstücken!〈f〉
Da achtete GOTT auf Wertlos und sein Opfer,
5 auf Kauf aber und auf sein Opfer achtete er nicht.
Da loderte es in Kauf〈g〉
und sein Gesicht senkte sich.
6 GOTT fragte Kauf:
„Warum lodert es in dir
und warum hat sich dein Gesicht gesenkt?
7 Es ist doch so: Handelst du gut, heißt's Erhebung,
doch handelst du nicht gut, heißt's: vor der Tür wegen Sünde liegen!〈h〉
Und er soll dir ja willens sein
und du sollst ihn beherrschen!“〈i〉
8 Da sagte es Kauf seinem Bruder Wertlos.
Als sie dann auf freiem Feld waren,
richtete Kauf sich zu seinem Bruder Wertlos auf –
und tötete ihn.
9 Da fragte GOTT den Kauf:
„Wo ist dein Bruder Wertlos?“
Er antwortete: „Ich weiß nicht.
Bin ich etwa Hüter meines Bruders?“〈j〉
10 Da sprach jener: „Was hast du getan!?
Die Stimme des Blutes deines Bruders,
sie schreit zu mir vom Erdboden!〈k〉
11 Daher: Verdammt bist du vom Erdboden,〈l〉
der seinen Mund geöffnet hat,
um das Blut deines Bruders aus deiner Hand zu nehmen!
12 Wenn du künftig auf dem Erdboden dienst,
wird er dir nicht mehr seine Kraft schenken.
Wankend und wandernd wirst du sein auf der Erde!“
13 Kauf antwortete GOTT:
„Zu groß ist meine Strafe, um sie zu heben!
14 Da du mich ja heute vertrieben hast vom Erdboden
und weil ich vor dir verborgen sein werde,〈m〉
werde ich wankend und wandernd sein auf der Erde
und wird es so sein, dass jeder, der mich findet, mich tötet!“
15 Darauf sprach Gott über ihn:
„Darum gilt: Jeder, der Kauf tötet,
er wird siebenfach bestraft werden!“〈n〉
Und GOTT machte Kauf ein Zeichen,〈o〉
damit ihn nicht jeder erschlüge, der ihn fand.
16 Da ging Kauf fort von GOTT
und wohnte in Wanderland, östlich von Eden.
Nachdem in Gen 3 Erdling und Leben aus dem Gottesgarten verbannt wurden, fährt das Buch Genesis fort mit der Geschichte ihrer beiden Söhne. Diese und die vorangehende Erzählung und auch die in Gen 4,23f. folgende Anekdote gehören zusammen wie die drei Teile eines Triptychons. Bei Gen 3 und Gen 4,1-17 ist das offensichtlich: Bei beiden Erzählungen steht im Zentrum eine verbotene Tat; darauf fragt Gott in Gen 3,9: „Wo bist du?“, in Gen 4,9 dagegen: „Wo ist dein Bruder?“, der Gesprächspartner leugnet seine Tat, worauf Gott in Gen 3,13 und Gen 4,10 jeweils ausruft: „Was hast du getan!?“ Es folgen ab Gen 3,14 und Gen 4,11 Urteilssprüche Gottes, von denen der letzte in Gen 3 lautet, dass der Erdboden „Dornbusch und Distel sprießen lassen wird“, und der in Gen 4 ähnlich, dass „der Erdboden seine Kraft nicht mehr geben wird“. In Gen 3 wird der Mensch außerdem noch zum Tod verurteilt. Direkt darauf folgen die bedeutungsschweren Gnadenhandlungen Gottes, die Verfluchten mit Gewändern zu bekleiden und in Gen 4 die, den Verfluchten mit einem Schutzzeichen zu versehen, damit er nicht stirbt. Beide Erzählungen enden damit, dass die Verfluchten verbannt werden: in Gen 3 aus dem Garten, in Gen 4 zum „Wanken und Wandern auf der Erde“.
Noch deutlicher als Gen 3 ist Gen 4,1-17 nicht nur ein Mythos über ein Vergehen – hier nicht das erste Vergehen gegen Gott, sondern das erste Vergehen gegen einen Mitmenschen, das als Brudermord gleich in seiner schlimmstmöglichen Form vorgestellt wird –, sondern eine Mythos über den Status. Schon gleich zu Beginn: Nachdem der vermessene Nackedei direkt zuvor seine Frau größenwahnsinnig zur „Mutter alles Lebendigen“ erklärt hat, preist diese sich nach ihrem ersten Gebären auch selbst auf eine Weise, mit der sie sich wieder auf eine Stufe mit Gott stellt: „Ich habe mir an der Seite von Gott einen Mann erkauft!“ Das ist umso auffälliger, wenn man damit ihren parallelen Ausspruch in Gen 4,25 über ihren dritten Sohn Set („Sitz“) vergleicht: „Gott hat mir einen weiteren Nachkommen (ein)gesetzt“ (gut beobachtet von Eslinger 1979, S. 68). Dessen Nachfahre heißt dann sogar Enoš, „Menschlein“, abgeleitet vom hebräischen `anaš „schwach sein“. Die Nachkommen aus dieser zweiten Stammfolge, die sog. „Setiten“, aus denen dann das Volk Israel hervorgehen soll, sind so schon von Beginn an die „Heruntergesetzten“, sind nur noch „Menschlein“.
Das gilt ebenso für die Geschichte, die den Kern des hier folgenden Abschnitts ausmacht: Die beiden Protagonisten tragen die symbolischen Namen „Kauf“ und „Wertlos“ (im nächsten Abschnitt werden ähnlich „Frau Schmuck“ und „Frau Schatten“ einander gegenübergestellt werden). Als der jüngere von beiden bei einer gemeinsamen Opferung Gott das wertvollere Opfer darbringt, wählt Gott dieses und nicht das des älteren Bruders, worauf jenem zornig „das Gesicht sinkt“. Darauf legt Gott ihm die beiden Optionen auseinander, die sich dem Menschen nun, nach seinem Biss von der verbotenen Frucht, darbieten: Gutes Tun und nicht-gutes Tun. Ersteres führt zu „Erhebung“, letzteres zu Statusverlust. Dabei gilt doch für ältere und jüngere Brüder das, was seither ebenso für Mann und Frau gilt: Der eine soll über den anderen herrschen, der andere ihm „willens sein“. Bei Kauf jedoch kommt diese Lektion nicht an, und so steigert er seine soeben begangene Minderleistung direkt zur Todsünde: Als beide Brüder kurz darauf auf freiem Feld sind, versucht er, auf andere Weise seinen verlorenen Status zurückzuerobern, „richtet sich zu seinem Bruder auf“ – und tötet ihn. Ist er damit sogar noch tiefer gesunken als seine Eltern, wird passend seine Strafe auch nicht von oben, sondern von unten verhängt: Die ganze Schöpfung begehrt auf und aus dem „geöffneten Mund der Erde“ schallt Kauf sein Urteil entgegen: Die Erde wird Blutrache für den Mord an ihrem Enkel Wertlos nehmen, indem sie Kauf nicht nur wie seinen Eltern Dornbusch und Distel, sondern gleich gar nichts mehr sprießen lässt. Nachdem Erdling und Leben schon den Garten und Gott hinter sich lassen mussten, hat Kauf sich nun auch noch vom Acker entfremdet und muss daher fortan sein Leben als Vagabund auf fruchtlosem Boden fristen.
Wie Gen 3 endet aber auch Gen 4,1-17 auf einem lichteren Akkord: Der Mensch mag sich in die Gott- und Erdenferne begeben haben, aber das heißt nicht, dass auch Gott sich nun in Menschenferne befände. Die fürsorgliche Tat der Bekleidung mit Freudengewändern am Ende von Gen 3 wird hier noch einmal überboten dadurch, dass Gott Kauf mit einem Schutzzeichen versieht. Genauer bedeutet das wahrscheinlich, dass er Kauf seinen heiligen Namen auf die Stirne schreibt (siehe zum Vers): Auch in die Gottferne geht Gott mit. Der historische Hintergrund dieser Handlung ist wahrscheinlich der, dass Kauf der Stammvater des Volksstamms der Keniter war (s. Num 24,22; Ri 4,11). Nach einer der beiden Überlieferungen in der Bibel war es dieser Volksstamm, bei dem Mose lebte, als Gott ihm seinen Namen verriet, und auch einige weitere Stellen in der Bibel legen nahe, dass die Israeliten ihren Gott im Raum dieses Volksstammes kennengelernt hat (Dtn 33,2; Ri 5,4; hab 3,3.7; Jes 63,1; vgl. z.B. Day 2013). Ein Neben-Zweck von Gen 4,1-17 könnte es dann sein, die historische Tatsache zu erklären, warum selbst die mit Israel am nächsten verwandten Völker andere Götter anbeteten, aber der Volksstamm der Keniter nicht: Der Name des Gottes Israel war ihnen von Urbeginn an eingeprägt. Tatsächlicher historischer Hintergrund wäre dann natürlich, dass nicht die Israeliten als die „Nachkommen von Sitz“ die ersten Verehrer des biblischen Gottes waren, sondern Keniter ihnen von Gott erzählt hatten. Dagegen würde hier Propaganda getrieben: Die Keniter waren nicht die ersten Verehrer Gottes, sondern sind Nachfahren des schlechtesten Verehrers Gottes, der auch gar nicht um Gottes Namen wusste, sondern ihn auf der Stirn trug wie ein Brett vorm Kopf (s. noch zum nächsten Kap.).
(Sebastian Walter unter Verwendung von Texten der Offenen Bibel)
a | bed.: erkennen ist hier wie häufig Euphemismus für „Geschlechtsverkehr haben“. Es ist das selbe Verb, das auch in Gen 2-3 den Baum als „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ beschrieb. (Zurück zu Lesefassung v.1) |
b | bed. + lit.: Kauf: Hebräisch Qajn, was wahrscheinlich eigentlich „Schmied“ bedeutet. In der dritten Zeile wird der Name aber mit einer sogenannten „Volksetymologie“ von qanah („kaufen“) abgeleitet; im Rahmen von Gen 4 „bedeutet“ der Name daher „Kauf“. Sein Bruder dagegen heißt Habl, „Lüftchen“. Für gewöhnlich denkt man, damit würde bereits im Namen die Flüchtigkeit der Existenz von Wertlos angedeutet (vgl. bes. Ijob 7,16; Ps 39,6f.; 144,4). „Lüftchen“ ist in der Bibel aber häufig eine Metapher für Nutz-, Wert- und Fruchtloses. Fremde Götter zum Beispiel sind oft „bloß Lüftchen“, vergebliche Liebesmüh ist ebenso ein Lüftchen (Ijob 9,29; Jes 30,7; 49,4) wie eitles Geschwätz (Ijob 27,12; 35,16), und eben Wertloses ist „ein Lüftchen“ (z.B. Ps 62,10: „Nur Lüftchen sind die Erdlingskinder, Trugbilder sind die Menschen! Auf der Waagschale steigen sie aufwärts, (weniger) als ein Lüftchen sind sie allesamt!“). Gewiss muss man neben Herrn „Kauf“ v.a. diese Bedeutung hören. Gut Habel 2011, S. 70: „a nobody“. (Zurück zu Lesefassung v.1 / zu Lesefassung v.2) |
c | lit.: Ich habe einen Mann erkauft an der Seite von GOTT - Raffiniert formuliert. Gemeint ist ungefähr: „Both I and JHWH have made a man!“ (Eskenazi 2008, S. 19). Erwartet hätte man dafür aber etwas wie „Ich habe mit JHWH an meiner Seite einen Sohn geboren!“ Doch Eva ist so fixiert auf ihre Leistung, das erste Kind der Welt zur Welt gebracht zu haben, dass sie erstens „ich an der Seite von JHWH“ statt „ich mit JHWH an meiner Seite“ sagt, und zweitens keines der üblichen Worte für „hervorbringen“ verwendet, sondern mit „erkaufen“ eines, das ebenfalls ihre Leistung bei der Geburt dieses Sohnes betont. bed.: Der „Kaufpreis“ ist wahrscheinlich die ganze Zeit der Schwangerschaft, die ja insgesamt in Gen 3 als „Mühsal“ beschrieben wurde. lit.: „Mann“ statt „Kind“ schließlich soll wohl betonen, dass von nun an nicht mehr der Erdboden „Erdlinge“ hervorbringt, sondern Frauen (`iššah) Männer (`iš; gut van Wolde 1991, S. 27). (Zurück zu Lesefassung v.1) |
d | lit.: Erdboden-Diener - Kauf tritt also in die Fußstapfen seines Vaters, indem er als Landwirt „dem Erdboden dient“. Dennoch wird sich sein Bruder als der Bessere von beiden entpuppen. (Zurück zu Lesefassung v.2) |
e | bed.: Nach einiger Zeit - W. „nach dem Ende der Tage“, womit noch häufiger das Vergehen einer unbestimmten Zeitspanne formuliert wird (1 Kön 17,7; Neh 13,6; Jer 13,6). Deuten könnte man diesen Ausdruck aber auch à la „als die Zeit gekommen war“ (wie ähnlich 2 Sam 14,26), als also regulär ein Opfer anstand. Einige jüdische Ausleger fabulierten deshalb, es sei genauer das Pesachfest gemeint, andere denken an Schawuot, wieder andere an Chanukka – was natürlich alles krasse Anachronismen wären. Allenfalls könnte man in diesem Kontext nach Gen 2,3 an ein Sabbat-Opfer denken, wie es z.B. in Num 28,9-10 vorgeschrieben wird. (Zurück zu Lesefassung v.3) |
f | bed. + lit.: Gleich darauf wird gesagt werden, dass Gott auf Wertlos und sein Opfer „blickt“, auf Kauf und sein Opfer aber nicht. Man hat in der Auslegung viel darüber gerätselt, was der Grund dafür sein könnte. In der frühen jüdischen Auslegung hat man fabuliert, Kauf habe entweder beim Darbringen seines Opfers gebummelt oder nur minderwertige Leinsamen und Essensreste dargebracht (ähnlich häufiger in der dt. und engl. Dichtung des Mittelalters: Dornsträucher und Disteln); im Hebräerbrief wird ähnlich angenommen, dass Wertlos sein Opfer gläubig und Kauf ungläubig dargebracht habe und in 1 Joh 3,12 noch stärker, dass Kauf mit seinem Opfer grundsätzlich ein „böses Werk“ vollbracht habe – warum auch immer. Davon steht natürlich nichts im Text. Betrachtet man ihn näher, erkennt man den Grund für Gottes Parteilichkeit schnell und deutlich: „Es brachte dar Kauf von der Frucht des Erdbodens ein Opfer“ vs. „Wertlos aber brachte dar, auch er!, von den Erstgeborenen seines Viehs, und zwar von deren Fettstücken“. Vergleicht man diese kurzen Passagen, kann man ganze zwölf Textstrategien feststellen, mit denen herausgestellt wird, dass das Opfer von Wertlos von anderer Qualität ist als das von Kauf: (1) Bei Kauf wird das Geopferte durch die Angabe „ein Opfer“ limitiert, bei Wertlos nicht. (2) Bei Kauf steht „die Frucht“ im Singular, bei Wertlos stehen „die Erstgeborenen“ im Plural. (3) Wertlos bringt gerade die „Erstgeborenen“ seines Viehs dar. Vorausgesetzt ist die Vorstellung, dass Gott an diesen besonderen Gefallen hat, weshalb er sie sich später zum regulären Opfer erküren wird (Ex 13,2.12f.; 22,30; Num 18,17; Dtn 15,19). (4) Die „Erstgeborenen seines Viehs“ sind doppelt gesteigert durch die Präzisierung „von ihren Fettstücken“ (eine häufigere Metapher für „das Beste vom Besten“, s. Gen 45,18; Num 18,12.29f.32. In Dtn 32,14; Ps 81,16; 147,14 ist daher sogar vom „Fett des Weizens“ = von „köstlichem Weizen“ die Rede) (5) und durch die Formulierung „und zwar / und sogar von den Fettstücken“ statt dem erwartbaren „von den Fettstücken der Erstlinge seines Viehs“. Eine zweite Gruppe von Wortspielen hebt die Person von Wertlos bei diesem Opfern stärker hervor als die von Kauf: (6) Der Satz über Kauf hat die im Hebräischen unauffällige Wortstellung Verb – Subjekt. Beim Satz über Wertlos dagegen steht „Wertlos“ an der Satzspitze. (7) Bei Kauf ist die Frucht „Frucht des Erdbodens“, Wertlos Opfer dagegen wurden von „den Erstlingen seines Viehs“ genommen. (8) Das wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass „Fett“ mit „Wertlos“ klang-spielt: „Fett“ heißt im Hebräischen ḥelb, „Wertlos“ dagegen Habl. (9) Gerade diese beiden Wörter umrahmen im Hebräischen auch den ganzen Satz. (10) Der Satz über Wertlos wird dann auch noch stimmig zusätzlich durch das überflüssige „auch er“ gelängt und so die Person Wertlos' noch stärker hervorgehoben, (11) was gleichzeitig zur Folge hat, dass der Satz auch alliterierend beginnt: waHabl hebi` gam-hu`, „und Wertlos brachte dar, auch er“ (schön Speiser: „Abel brought the finest of the firstlings of his flock.“), (12) wonach dann erstens sein Name „Wertlos“ nicht nur mit den „Fettstücken“, sondern auch noch mit dem „Darbringen“ zusammenklingt, und Name plus Pronomen („Wertlos“ + „er“) das „Darbringen“ umrahmen. Nimmt man das zusammen, legt der Text sehr stark nahe, dass Wertlos sich offensichtlich ein sehr viel wertvolleres Opfer vom Mund abgespart hat. Es wird darüber hinaus dann auch auch nicht einmal gesagt, dass Gott das Opfer von Kauf „nicht annehmen“ würde. Diese Bedeutung hat „auf etw. blicken“ nicht (richtig Heyden 2003, S. 92). Dass Kauf verworfen würde o.Ä., steht nicht im Text, sondern: sein Opfer und er fallen Gott gar nicht erst auf. Kein Wunder, wenn man beide Opfer gegeneinander hält. (Zurück zu Lesefassung v.4) |
g | lit.: Gut Heyden 2003, S. 96: „Dabei drückt die unpersönliche Form [wajjiḥar laQajn, ‚es entbrannte in Kauf‘] aus, daß [Kauf] nicht vorsätzlich handelt, sondern von seinem Gefühl gewissermaßen überrascht wird. ‚Es entbrennt in ihm‘. Da das Verbum hier absolut steht, sollte es nicht mit ‚zornig werden‘ übersetzt werden. Wenn dies gemeint ist, so steht [`ap, ‚Zorn‘] als Subjekt ausdrücklich da.“ Entsprechend „senkt sich“ in der nächsten Zeile auch sein Kopf: An der einzigen Stelle, wo der Ausdruck sonst noch steht (Jer 3,12), „senkt man (zornig) sein Gesicht“; hier dagegen wird sozusagen das Gesicht selbst tätig. (Zurück zu Lesefassung v.5) |
h | 'bed.: Also ein Bettlerdasein fristen, der größtmögliche Statusverlust eines Israeliten. Aber die Zeile ist äußerst schwierig zu übersetzen. Siehe auf der Kapitelseite für zwei verbreitetere Deutungen; dies oben ist versuchsweise ein neuer Vorschlag. tech.: Wörtlich lauten die problematischen Zeilen: „Ist's nicht so: Handelst du gut, Erhebung/Erhöhung. Doch handelst du nicht gut, zu/vor/an der Tür Sünde Liegen(der)/Lagern(der)“. Auszugehen ist davon, dass beide Sätze offensichtlich parallel gebaut sind: „Wenn du gut handelst, gilt A, wenn du nicht gut handelst, gilt B“. In A ist dann weiter die Rede von „Erhebung/Erhöhung“, in B von „Liegen/Hinlagern“ (gut Cassuto 1961, S. 209f.). Bezieht sich die „Erhebung“ auf Kauf, sollte man erwarten, dass sich auch das „Liegen“ auf Kauf bezieht, der dann also „vor einer Tür läge“. Dass „die Sünde vor der Tür lauert“, wie der Satz meist verstanden wird, ist jedenfalls ganz unwahrscheinlich; rabaṣ heißt nicht „lauern“, sondern selbst in Gen 49,9 „(harmlos) liegen“ (richtig Rav Hirsch. In Spr 24,15 ist „Lagern“ sogar der Gegensatz zum „Lauern“); das maskuline „Liegen“ passt grammatisch schlecht zur femininen „Sünde“ und die Idee der Sünde als einer quasi-lebendigen verführerischen Macht ist erst eine Erfindung von Paulus (z.B. Röm 7,8f.). Dergleichen „vor der Tür lagern“ ist in der Bibel üblicherweise von Bettlern belegt. S. am deutlichsten Lk 16,20 (der Bettler Lazarus liegt vor dem Tor des Reichen); Apg 3,2 (ein Bettler liegt am Tempeltor); ähnlich Lk 18,35 (ein Bettler „saß auf der Straße“). Auch Ijob setzt sich in Ijob 2,8, nachdem er Familie, Hab und Gut verloren hat, laut LXX in den Dunghaufen, also vor das Stadttor; ähnlich 1 Sam 2,8; Ps 113,7; Klg 4,5. Geht man von diesen Stellen aus, wäre „Lagern vor dem Tor / der Tür“ Ausdruck für den absoluten Statusverlust eines Israeliten. Das passt gut zur vorangehenden Zeile: Steht ß´et („Erhebung/Erhöhung“) allein, bedeutet es oft hohen Status oder „Hoheit“ (Gen 49,3; Ijob 13,11; 31,23; Ps 62,5; Hab 1,7; so deutet schon Ramban, auch Rav Hirsch). Es passt auch zur Strafe: Neben dem „vor Türen lagern“ ist es gerade das „Umherwanken“, was im hebräischen Sprachgebrauch für Bettler charakteristisch ist, s. Ps 59,15f.; 109,10. Die Mischna handelt in m.Peah viii 7 und m.Ket xiii 3 von Bettlern, die „von Ort zu Ort“ oder „von Tür zu Tür“ wandern. Am ausführlichsten wird im Talmud in j.San 2,6 die Geschichte von König Salomo erzählt, den der Dämon Aschmodai von seinem Thron vertreibt, so dass er „(bettelnd) in Synagogen und Studierhäusern umhergehen“ muss, dafür aber verprügelt wird und nur zerbrochene Bohnen erhält. Dann muss man nur noch die „Sünde“ als adverbialen Akkusativ des Grundes auflösen (wie Jes 7,25: „du gehst nicht dorthin Furcht vor Dornen“ = „du gehst nicht dorthin wegen der Furcht vor Dornen“) und kann die Sätze sinnvoll auflösen: „Handelst du gut, heißt das: hoher Status; handelst du aber nicht gut, heißt das: Statusverlust wegen Sünde“. Gott würde dann also Kauf nicht beraten, sondern ihm einen Einlauf verpassen: „Wie kannst du denn jetzt zornig sein? Das Opfer von Wertlos war nun mal besser, und so ist das dann eben: Gutes Tun – Statusgewinn; schlechtes Tun – Statusverlust.“ Und eigentlich müsstest du als Erstgeborener ja der „Höhere“ sein: „Und er soll dir ja willens sein und du sollst ihn beherrschen!“ lit.: Die Wortstellung der zweiten Zeile ist bei dieser und auch bei den verbreiteten Deutungen merkwürdig, lässt sich aber auch literarisch erklären. Erwartet hätte man statt „vor der Tür [wegen] Sünde liegen“ mindestens „liegen vor der Tür [wegen] Sünde“ (oder bei den verbreiteten Deutungen: „Die Sünde [ist] ein Lagernder vor der Tür“). Dass „Liegen“ ans Ende des Satzes geschoben wurde, hat einesteils den Effekt, dass nun 7a und 7b beide auf die gegensätzlichen Begriffe „Erhebung“ und „Liegen“ enden, andernteils den, dass nun gerade das „vor der Tür“ auffällig vor dem Verb steht. (Zurück zu Lesefassung v.7) |
i | lit. + bed.': Ein deutliches Zitat von Gen 3,16: Die Hierarchisierung der israelitischen Gesellschaft wird von Mann-über-Frau auf Älterer-über-Jüngerer ausgeweitet, wie dies im Alten Orient ebenfalls der Fall war. (Zurück zu Lesefassung v.7) |
j | theol.: Stark Rav Hirsch: „Kain findet die vollständigste Entschuldigung darin, dass es ja nicht seine Aufgabe sei, seinen Bruder zu schützen, er habe genug mit sich selbst zu tun! Wenn sich in dieser Antwort die kaltblütigste Selbstsucht ausspricht, so liegt darin zugleich die ernsteste Warnung, dass jenes lieblose: ‚Jeder fege vor seiner Tür‘ nicht fern von dem feindseligsten Hass ist, der auch den Nächsten kaltblütig dahinschlachtet, wenn er dem eigenen Vorteil im Wege steht.“ (Zurück zu Lesefassung v.9) |
k | bed.: das Blut schreit - ein beliebtes Bild in der Bibel: Bedeutende Taten hinterlassen Spuren, und zwar in dem Maße, dass sogar die dadurch gezeichneten unbelebten Dinge von diesen Taten zeugen können. Siehe ähnlich Dtn 31,28; Ijob 31,38; Ps 50,4; Jes 1,2; Jes 26,21; Mi 6,2; Hab 2,11. Kaufs Tat wird so (was ja ohnehin klar ist) noch zusätzlich als überaus verwerflich gekennzeichnet. (Zurück zu Lesefassung v.10) |
l | bed.: Verdammt bist du vom Erdboden - mehrdeutig. Der Satz ist exakt so gebaut wie der in Gen 3,14; Raschi etwa deutet daher auch hier: „Du bist verdammt, mehr als der Erdboden (den ich ja in Gen 3,17 verdammt habe).“ Bedeuten kann der Satz außerdem aber: „Hiermit verbanne ich dich vom Ackerboden (so dass zu zum Vagabunden werden musst)“ (so z.B. ibn Ezra), und: „Der Erdboden (der seinen Mund ja bereits geöffnet hat) verdammt dich“ (stark Rav Hirsch: „Gott braucht dich gar nicht weiter zu richten, du bist schon gerichtet, indem sich die ganze Erdwelt gegen dich erhebt. In diesem Schrei liegt dein Urteil“). Letzteres muss man hier auch deshalb mindestens mithören, weil das folgende „um sein Blut von deiner Hand zu nehmen“ gewiss auf eine hebräische Redensart anspielt: „Blut aus der Hand eines Lebewesens suchen“ ist ein Ausdruck für Blutrache an diesem Lebewesen, an dessen Hand das Blut eines Ermordeten klebt (siehe Gen 9,5; 2 Sam 4,11; Ez 3,18.20; 33,6). Mit dem „Nehmen“ des Bluts von Wertlos aus der Hand von Kauf kann schlicht gemeint sein, dass das Blut von Wertlos die Erde getränkt hat (s. Ez 24,7); gleichzeitig ist es aber Ausdruck dafür, dass der Boden nach Blutrache schreit – die dann eben geübt würde durch den über Kauf verhängten Fluch. Blutrache war Recht und Pflicht der nächsten Verwandten eines Menschen; einmal mehr zeigt sich hier also das enge Verwandtschaftsverhältnis, in dem die Erdlinge zum Erdboden stehen. (Zurück zu Lesefassung v.11) |
m | lit. + bed.: ich werde vor dir verborgen sein - W. „weil du mich vertrieben hast vom Gesicht des Erdbodens / und ich von deinem Gesicht verborgen sein werde...“. Gemeint ist natürlich nicht: „Ich werde mich an einen Ort flüchten müssen, wo du mich nicht siehst“ (wie Dtn 7,20; 2 Kön 11,2); dass Gott Kauf an jedem Ort sehen würde, wird im ganzen Buch Genesis klar vorausgesetzt (richtig Cassuto 1961). Der Midrasch verwandelt den Satz daher auch zur Frage: „Kann ich mich etwa vor dir verbergen? Natürlich nicht! Denn alles ist dir bekannt!“ Sondern: Es gibt in der Bibel einen häufigen Ausdruck dafür, dass Gott jemandem nicht mehr gnädig ist, nämlich „er hat sein Gesicht vor ihm verborgen“ (z.B. Dtn 31,17-20; Ijob 13,20.24; Ps 44,25; Jes 54,8; Jer 33,5; Ez 39,23f.; Mi 3,4). Dieser Ausdruck wird hier verkehrt: Nicht „Gott verbirgt sein Gesicht vor Kauf“, sondern umgekehrt hat Kauf sich selbst vor Gottes Gesicht verborgen. Bekhor Schor paraphrasiert richtig: „Du wirst mich verabscheuen und nicht mehr länger über mich wachen!“. (Zurück zu Lesefassung v.14) |
n | bed.: Jeder muss sich gar nicht notwendig auf Menschen beziehen; Raschi und ähnlich Radak etwa denken, Kauf fürchte sich vor wilden Tieren und schon Josephus gestaltet die Erzählung so aus: „Da aber Kais die Befürchtung aussprach, er möchte beim Umherirren auf der Erde eine Beute wilder Tiere werden, ... drückte Gott ihm ein Zeichen auf, an dem er erkannt werden könne, und hieß ihn dann sich aus seinen Blicken wenden.“ (JosAnt I.2 §59, Üs. Clementz). Auch die Frau, die Kauf gleich heiraten wird, muss nicht unlogisch sein, sie könnte schlicht eine der weiteren Nachfahrinnen von Erdling und Leben aus Gen 5,4 sein. Und selbst die Stadt, die Kauf gleich gründen wird, muss sich nicht mit unserem Abschnitt beißen; nach neuen Ausgrabungen wissen wir z.B., dass es sich im alten Edom fast exakt so verhielt, wie es diese beiden Abschnitte für Kauf und seine Nachfahren nahelegen: In der frühen Eisenzeit waren die Edomiter überwiegend umherwandernde und in Zelten wohnende Nomaden; gleichzeitig aber kontrollierten sie die größten Kupfermienen der Region und errichteten in deren Umfeld bereits zu dieser Zeit befestigte Siedlungen (vgl. z.B. Ben-Yosef 2019, bes. S. 366 FN 21; speziell z.B. Levy / Najjar / Ben-Yosef 2014, S. 989ff.; Najjar / Levy 2006 zu Khirbat en-Nahas als befestigtes Zentrum einer nomadischen Kupferindustrie-Stadt). theol.: Gemeint ist natürlich: „Jedem, der Kauf tötet, wird das mit doppelter Münze heimgezahlt werden“. Theoretisch ließe sich aber auch übersetzen: „Liebe alle, die ihr Kauf töten wollt: er muss siebenfach bestraft werden!“ Nachdem man dies mit den folgenden Zeilen zusammenlas, entstand im alten Judentum bald die Legende, Kauf könne überhaupt nicht sterben (wohl: weil er wie Katzen „sieben Leben“ als Bild für „unendlich viele Leben“ habe) und irre noch heute wankend und wandernd über die Erde (z.B. Philo, Flucht und Erfindung 64). Im Mittelalter wurde das noch weiter ausgesponnen zur Idee, Kauf sei der Mann im Mond und daher beständig „verborgen vom Gesicht der Sonne“ (s. Emerson 1906, S. 840ff.). (Zurück zu Lesefassung v.15) |
o | bed.: W.: „Er setzte ihm ein Zeichen“. Gemeint ist wahrscheinlich ein Kreuz auf der Stirn von Kauf (so deuten schon der Targum Jonathan, PRE 21, Raschi). Es gibt eine ganze Reihe von Versen, die von solchen schützenden Zeichen an Menschen sprechen: In Ez 9,4.6 ist dies der (althebräische) Buchstabe Tau – also ein Kreuz – auf der Stirn, wie man ähnlich laut dem Talmud Priester mit einem Kreuz gesalbt hatte (Talmud, b.Schab 120b). Offb 7,2f.; 9,4 spricht allgemeiner vom schützenden „Siegel des lebendigen Gottes“ auf den Stirnen der Gläubigen, PsSal 15,9f. vom „rettenden Zeichen Gottes“ auf der Stirn von Gerechten und ApkEl 1,9 vom vor dem Tod rettenden „Gottesnamen auf die Stirn der Gerechten“. Vergleichbar ist auch Jes 44,5, wo es ein Zeichen der Zugehörigkeit zu Gott ist, dessen Namen „auf den eigenen Arm zu schreiben“, und 1 Kön 20,38.41, wo ein unbekannter Prophet sein Prophetentum mit einem Turban verbirgt, sich dann aber als Prophet zu erkennen gibt, indem er seinen Turban abnimmt – auch dieser Prophet trug also etwas auf der Stirn, was ihn als Diener Gottes kenntlich machte. Verwandt damit sind dann ohne Zweifel die Aufschrift „JHWH geheiligt“ an der Stirn des Hohepriesters (Ex 28,36-38) und die Stirn-Tefillin mit der Aufschrift „JHWH ist unser Gott, JHWH allein“ in Dtn 6,4-8. Im frühen Christentum entwickelte sich hieraus das Kreuzzeichen. Besonders deutlich heißt es z.B. in Kyrill von Jerusalems vierter Katechese: „Lasst uns des Kreuzes Christi nicht schämen! Wenn auch ein anderer es verbirgt, siegle du es offen auf deine Stirn, damit die Teufel das königliche Zeichen sehen und zittern fliehen!“ Prokopios von Gaza berichtet in seinem Jesaja-Kommentar zu Jes 44,5 offenbar davon, dass zu seiner Zeit sogar dies wieder in Form von Kreuz- oder Jesus-Tattoos auf dem Arm getan wurde. Die Beduinen haben einen ähnlichen Brauch: Beduinenstämme können Angehörige anderer Stämme und Völker adoptieren, indem sie ihnen mit Ziegenblut das wasm ("Brandzeichen") des Stammes auf die Stirn zeichnen. Von da an sind sie als fiktive Familienangehörige des Stammes vor dem Zugriff anderer Stämme und Völker geschützt (vgl. Lavie 1990, S. 14f.).
theol.: Im späteren Christentum jedoch wurde dieser Vers Fundament mehrerer Gräueltaten. Weil in unserem Vers nichts weiter über die Form des Zeichens gesagt wird, wurden zum Beispiel im späten Mittelalter Muttermale von Frauen als solche „Kainsmale“ genommen und dienten dann als Grund, sie als Hexen zu verbrennen. Zur selben Zeit kam die Überzeugung auf, dunkle Hautfarbe sei ein „Kainsmal“ und rechtfertige es daher, People of Color zu versklaven (vgl. bes. Goldenberg 2017, S. 238-249). Das „Kainsmal“ gehört auch heute noch zu den gebräuchlicheren Redensarten des Deutschen; angesichts seiner Begriffsgeschichte sollte man sie aber wohl besser nicht mehr verwenden. theol.: Ist der Vers damit richtig verstanden, wird umso deutlicher, als wie groß die Gnade und Gerechtigkeit Gottes durch diese Handlung geschildert werden sollen: Ganz ähnlich, wie er Erdling und Leben direkt nach seinen Urteilssprüchen „mit einem Freudengewand bekleidet“ hat, siegelt er hier dem Kauf direkt nach seinem Urteil seinen Gottesnamen auf die Stirn. (Zurück zu Lesefassung v.15) |