Gen 2,25-3,24/Persönliche Fassung (Sebastian Walter)

Aus Die Offene Bibel

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Dies ist eine individuell verantwortete Textfassung. Sie ist Teil der Offenen Bibel, stammt aber in dieser Version nicht vom Gesamt-Team.

Persönliche Fassung

3. Die Vertreibung des Menschen, Teil II


Vertreibung Adams und Evas aus dem Gottesgarten. Mosaik, 12. Jhd. (c) Jim Forest, CC BY-NC-ND 2.0

25 Beide trugen kein Gewand:a
der Erdling nicht und seine Frau auch nicht.
Aber sie mussten sich nicht voreinander schämen.b


1 Die Schlange nun war gewandt,a
mehr als alle wilden Tiere,
die GOTT gemacht hatte.
Sie sprach zur Frau:c
„Obwohl Gott gesagt hat:
‚Esst nicht vom jedem Baum des Gartens‘...“
2 Da sagte die Frau zur Schlange:
„Wir dürfen von den Früchten der Bäume des Gartens essen.
3 Von der Frucht des Baums, der in der Mitte des Gartens steht,
von der hat Gott gesagt:
‚Esst nicht davon,
fasst sie nicht an,
weil ihr sonst ersterben würdet‘!“
4 Die Schlange antwortete:
„Ihr werdet nicht ‚durchaus ersterben‘.d
5 Gott weiß vielmehr:
Sobald ihr davon esst,
werden eure Augen geöffnet
und ihr werdet wie Gott sein:
Gut und Böse erkennend.“


6 Da sah die Frau,
dass der Baum gut zu essen war
und dass er eine Lust für die Augen war:
Wie begehrenswert einzusehen!e
So nahm sie von seiner Frucht und aß.
Dann gab sich auch ihrem Mann bei ihr, und er aß.
7 Da wurden die Augen der beiden geöffnet
und sie erkannten: Sie waren ungewandet!a
Da nähten sie Feigenblätter zusammen
und machten sich Gürtel.b


8 Dann hörten sie GOTT, als er in der Brise desselben Tages im Garten umherging.
Da versteckten sich der Erdling und seine Frau vor GOTT in der Mitte der Bäume des Gartens.f
9 GOTT rief nach dem Erdling:
„Wo bist du?“
10 Der sprach:
„Ich habe dich im Garten gehört.g
Da habe ich mich gefürchtet, weil ich ungewandet bin.
Da hab ich mich versteckt.“
11 Er antwortete:
„Wer hat dir erzählt,
dass du ungewandet bist?
Hast du etwa vom Baum, von dem ich dir geboten habe, nicht davon zu essen, gegessen?“
12 Der Erdling gab zurück:
„Die Frau, die du an meine Seite gegeben hast!
Sie hat mir vom Baum gegeben!
Da hab ich gegessen.“
13 Da sprach GOTT zur Frau:
„Was hast du nur getan!?“
Und die Frau antwortete:
„Die Schlange! Sie hat mich getäuscht!h
Da hab ich gegessen.“


14 Da sprach Gott zur Schlange:
„Weil du dies getan hast –
Verdammt bist du,
mehr als alles Vieh
und mehr als alle wilden Tiere!i
Auf deinem Bauch wirst du laufen
und Staub essen
alle Tage deines Lebens!
15 Feindschaft stifte ich zwischen dir und der Frau
und zwischen deinen Nachkommen und ihren Nachkommen!
Diese werden deinen Kopf zerreißen
und du wirst ihre Ferse beißen!“j

16 Zur Frau sagte er:
„Vermehren, ja, vermehren will ich deine Mühsal, deine Empfängnis:k
Mit Mühe wirst du Kinder gebären!
Nach deinem Mann wird dein Wille seinl
und er wird dich beherrschen!“

17 Und zu Erdlingm sagte er:
„Weil du auf deine Frau gehört hast
und vom Baum gegessen hast,
von dem ich dir geboten hatte:
‚Iss nicht davon!‘ –
Verdammt ist der Erdboden wegen dir!
In Mühsal wirst du ihn essen
alle Tage deines Lebens!n
18 Dornbusch und Distel wird er dir sprießen lassen,
wo du doch Nutzpflanzen essen musst!
19 Im Schweiße deines Angesichts wirst du essen
bis zu deiner Rückkehr zum Erdboden,
von dem du ja genommen worden bist.
Ja: Staub bist du,
zum Staub wirst du zurückkehren!“o


20 Da nannte der Erdling seine Frau „Leben“,
denn sie war die Mutter alles Lebendigen.p
21 Und GOTT machte dem Erdling und seiner Frau Kleidung für die Hautq und zog sie ihnen an.


22 Dann sprach GOTT:
„Siehe, der Erdling wurde wie einer von uns:
Gut und Böse erkennend.
Dass er sich jetzt nur nicht anschicke
und auch vom Baum des Lebens nehme
und esse und ewig lebe!“
23 Also schickte ihn GOTT aus dem Garten Lust,
damit er auf dem Erdboden diene,
von wor er genommen worden war:s
24 Er vertrieb den Erdling.
Dann postierte er östlich des Gartens Eden die Keruben
und den Feuerengel mit seinem lodernden Schwert,t
damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten.


Was nun folgt, schließt nahtlos an das zuvor Geschilderte an: Der Mensch ist nun zu Mann und Frau geworden, es gibt Tiere, und alle wohnen in einem Garten, in dessen Mitte ein verbotener Baum steht. Hieraus entfaltet sich der zweite Teil der Anthropogonie: Ein Tier verführt den Menschen, vom verbotenen Baum zu essen, woraufhin jener aus dem Gottesgarten verbannt wird. Es ist – zunächst – eine schlichte Erzählung, die viele simple Antworten auf einige große und mittelgroße Fragen gibt: Warum müssen Schlangen kriechen? Warum sind Schlangen und Menschen verfeindet? Warum bekommen Frauen Kinder und haben Wehen? Woher kam die Unterordnung der Frau unter den Mann im Alten Orient? Warum ist Ackerbau so mühsam? Warum zerfällt der Mensch nach seinem Tod zu Staub? Warum stirbt er überhaupt? All das wird im Folgenden auch erklärt.
Im
Zentrum dieser scheinbar so schlichten Erzählung aber steht eine noch größere Frage, die gar nicht explizit gestellt, sondern nur geschildert wird: Gegen das Verbot Gottes greift der Mensch zur Frucht des „Baums der Erkenntnis von Gut und Böse“ und stellt sich damit an die Stelle seines Schöpfers: Er selbst will wissen, was „gut“ und „böse“ ist; diese Kompetenz soll künftig nicht mehr allein Gott vorbehalten sein wie noch in Gen 2,18. Die „Frucht der Frucht“ jedoch – das ist zunächst die lächerliche Erkenntnis, „nackt“ zu sein, „ungewandet“. „Was ist der Mensch?“, fragt derart die Erzählung. Und antwortet (ganz anders, als es kurz zuvor Gen 1,26f. tat): „Ein vermessener und armseliger Nackedei. Aber eben auch ein Nackedei, der sich mit seinem Griff zur verbotenen Frucht dazu ermächtigt und verdammt hat, selbst entscheiden zu können und zu müssen, was Gut und Böse sei“.
Das Kapitel endet damit, dass Gott den kompetenten Nacktfrosch in die Welt entlässt. Was er mit dieser Kompetenz dann anfängt, schildern direkt die folgenden Erzählungen, beginnend mit Genesis 4.


Gen 2,4-24 <= | => Gen 4,1-16


(Sebastian Walter unter Verwendung von Texten der Offenen Bibel)

alit.: Wortspiel: Im Hebräischen gibt es die drei ähnlich klingenden Wörter ´arom („nackt“), ´arum („klug, schlau“) und ´erom („nackt“). In Gen 2,25 wird das erste verwendet – Adam und Eva sind „nackt“ – und in Gen 3,1 das zweite – die Schlange ist „schlau“ (um das Wortspiel noch deutlicher zu machen, ist das erste ´arom sogar mit der Aussprache ´arum an das gleich folgende ´arum angenähert worden. M.W. hat dieses wenig bekannte Klangspiel noch keinen Namen; ich nenne es im Folgenden „irreguläre Assonanz“. Bekannt war es aber schon ibn Ezra, der auch unsere Stelle so erklärt.) Ab V. 7 wird stattdessen das dritte Wort ´erom verwendet. Die erste Folge der Erkenntnis: Der Mensch ist nun „anders nackt“ als zuvor. (Zurück zu Lesefassung v.25 / zu Lesefassung v.1 / zu Lesefassung v.7)
bbed. + theol.:
Ägyptische Ernteszene; die Personen rechts tragen Lendenschurz, die Personen links nur Gürtel. (c) Davies 1900, Plate VII
In der antiken christlichen Auslegung hat man v.a. aus Gen 2,25 und Gen 3,7 abgeleitet, dass mit der Sünde auch die Sexualität in die Welt gekommen sei (oder sogar: dass als diese Sünde die Sexualität in die Welt gekommen sei). Dies könne man daran erkennen, dass Mann und Frau nackt sind, sich in Gen 2,25 dafür aber nicht schämen, nach ihrem „Begehren“ in Gen 3,6 dann in V. 7 aber schon. Augustinus beschreibt den Unterschied zwischen Gen 2,25 und 3,7 daher so: „(In Gen 2,25) schämten sie sich nicht, weil das Begehren ihre Glieder noch nicht wider die Vernunft beherrschte. Die Zeit war noch nicht gekommen, da die Rebellion des Fleisches (also sexuelle Erregung) von der Rebellion des Menschen gegen seinen Schöpfer zeugte.“ (Gottesstaat 14.17).
Das ist hier aber fast sicher nicht gemeint. Nacktheit hat im Alten Orient weniger mit Sexualität zu tun als mit Status. Selbst in der Szene, als David nackt vor der Lade getanzt hat, beschwert sich daher seine Geliebte Michal: „Du hast dich vor den Augen der Skavinnen deiner Knechte (sc. vor den Niedrigsten der Niedrigen) enblößt, wie sich nur einer der Wertlosen entblößt!“ (2 Sam 6,20), und ähnlich heißt es in Offb 16,15: „Glückselig der, der wachsam ist und seine Kleider hütet, damit er nicht nackt umherläuft und man seine Schande sieht!“. Nacktheit ist nicht Freizügigkeit, sondern Wertlosigkeit und Schande, und deshalb muss man sich in der altorientalischen Kultur für sie schämen, wenn man Anderen begegnet. Dass diese Vorstellung hier im Hintergrund steht und nicht über Sexualität gesprochen wird, ist eigentlich auch offensichtlich: In Vv. 8-10 verstecken sich die Menschen ob ihrer Nacktheit ja auch vor Gott, was sicher nichts mit sexueller Spannung zu tun hat. – Nachdem sie „wie Gott sein“ wollten und nun wirklich über gottgleiche Erkenntnis verfügen, begreifen Adam und Eva jedoch: Sie stehen unter ihrem Schöpfer, und dies zumal, nachdem sie mit ihrem Vergehen sogar noch tiefer gesunken sind.
Der Gegensatz zu Nacktheit ist nicht bekleidet-Sein im heutigen Sinn, sondern gegürtet-Sein – entweder, weil der Gürtel im Alten Orient das Minimum an Kleidung war oder weil der Gürtel ein Statussymbol war, der Tragende als Erwachsene auszeichnete. (Zurück zu Lesefassung v.25 / zu Lesefassung v.7)
c
Caravaggio: Madonna und Kind mit einer Schlange. CC0 via Wikimedia Commons
theol.: Dass Tiere in diesem Mythos sprechen können, darf nicht überraschen.
Die Schlange ist dennoch das einzige Tier, das in der Bibel von sich aus redet; antike Ausleger haben ihr daher oft besondere Bedeutung beigemessen: Meistens hielt man die Schlange entweder für den Satan in Tiergestalt (z.B. Ambrosius von Mailand, Augustinus) oder dachte, der Satan habe durch die Schlange gesprochen (z.B. Chrysostomus, Severian von Gabala) oder diesem „verschlagenen und verachtenswerten Tier“ (Ephräm der Syrer: Genesis-Kommentar ii 18) immerhin für kurze Zeit die Gabe der Rede verliehen.
theol.: In V. 15 wurde außerdem in lateinischen Übersetzungen die letze Zeile so gedeutet, dass der Schlange der Kopf „zermalmt“ würde (was möglich ist); manche lateinische Übersetzungen haben außerdem nicht die Nachkommenschaft der Frau, sondern die Frau selbst der Schlange den Kopf „zermalmen“ lassen (was falsch übersetzt ist). Beides – die Deutung der Schlange als Satan und die Übersetzung von V. 15 mit „zermalmen“ – hat dann dazu geführt, dass in der christlichen Auslegung Gen 3,15 für sehr wichtig gehalten wurde: Hier würde bereits im dritten Kapitel der Bibel verheißen, das dereinst eine Frau „den Satan zermalmen“ würde. Gemeint sei damit, dass die Frau Maria mit ihrem Nachkommen Jesus den Christus auf die Welt bringen sollte, der wirklich „den Satan zermalmen“ sollte, indem er die Welt erlöste. Ein Beipiel: „Christus erneuerte alles, indem er den Kampf gegen unseren Feind aufnahm und ihn zermalmte – ihn, der uns uranfangs in Adam gefangen nahm –, indem er auf seinen Kopf trat, wie du es im Buch Genesis findest... (Irenäus, Gegen die Häresien 5.21.1). Die ursprüngliche Bedeutung von Gen 3,1.15 in der Erzählung Gen 2-3 ist das natürlich nicht. (Zurück zu Lesefassung v.1)
dlit.: In Gen 2,17 hat Gott gesagt, nach dem Essen müsse man „durchaus sterben“, im Hebräischen formuliert wie ein Urteilsspruch. Hier in V. 3 spart die Frau das „durchaus“ aus, verwendet das Verb „sterben“ in leicht abgewandelter Form (hier: „ersterben“) und verwandelt außerdem Gottes Urteilsspruch in eine Begründung. Die Schlange kombiniert darauf Gottes „durchaus“ mit der Verbform der Frau zu ihrem „durchaus ersterben“: Sie lässt sich auf die Frau ein, signalisiert aber gleichzeitig hier, dass sie besser über Gottes Verbot Bescheid weiß als die Frau, und im nächsten Vers, dass sie sich auch grundsätzlich besser mit Gott und dem Baum auskennt als jene. (Zurück zu Lesefassung v.4)
elit.: Im Hebräischen statt „wie“ eigentlich: „der Baum [war]“. Aber V. 6 verdichtet ein Wortspiel: An sich sieht die Frau hier nur, was nach Gen 2,9 für alle anderen Bäume galt:
2,9: Gott ließ außerden sprießen aus dem Erdboden jeglichen Baum,
begehrenswert anzusehen
und gut zu essen.
3,6: Da sah die Frau,
dass der Baum gut zu essen war
und dass er eine Lust für die Augen war:
Der Baum war begehrenswert einzusehen.
Erstens ist natürlich die Reihenfolge der Sätze in 2,9 verdreht und zweitens das „begehrenswert anzusehen“ zur „Lust für die Augen“ entartet. Der entscheidende Unterschied ist aber drittens, dass in Gen 2,9 das Verb ra`ah verwendet wird, in 3,6 dagegen das Verb ßakal. ra`ah heißt nur „(an)sehen“; dieses Wort steht hier auch zu Beginn des Verses. ßakal dagegen meint neben „betrachten“ v.a. auch „Einsicht haben/lehren, verständig sein/machen“. Es scheint, als habe auch hier die Frau „nur“ erkannt, dass der Baum eigentlich wie alle anderen Bäume sei: „begehrenswert anzusehen“. Tatsächlich hat die Schlange sie aber bereits gewonnen: Nun begehrt sie nach Einsicht. (Zurück zu Lesefassung v.6)
flit.: Wortspiel mit V. 3: Gott verbot den Genuss der Frucht vom „Baum in der Mitte des Gartens“, nun verstecken sie sich „in der Mitte der Bäume des Gartens“. (Zurück zu Lesefassung v.8)
glit.: Doppelsinnig. Wörtlich: „Ich habe deinen Klang / auf deine Stimme gehört“. Nimmt man den Satz in der zweiten Bedeutung, kann nach hebräischer Redeweise auch bedeuten: „Im Garten habe ich deinen Geboten Folge geleistet.“ Das ist nun leider gerade nicht der Fall (Sarna 2001). (Zurück zu Lesefassung v.10)
hlit.: Klangspiel: „(Es antwortete) die Frau: Die Schlange! Sie hat mich getäuscht!“ nutzt aus, dass die hebräischen Worte für „Frau“ und „Schlange“ beide viele Hauch- und Zischlaute haben: ha`išša hanaaš hišši`ani! Natürlich: Nicht „Frau“ – „Schlange“! Und Absicht war es auch nicht: sie wurde reingelegt! (Zurück zu Lesefassung v.13)
ilit.: Wortspiel mit V. 1: Die Schlange, die ´arum („gewandt“) ist, mehr als alle wilden Tiere, ist nun `arur („verdammt“), mehr als alles Vieh und alle wilden Tiere. (Zurück zu Lesefassung v.14)
jlit.: zerreißen + beißen - vielleicht ein Wortspiel. Hier scheint zwei Mal ein hebräisches Wort šūp verwendet worden zu sein. Dieses ist relativ sicher nur noch in Ijob 9,17 belegt und scheint dort „zerschmettern“ zu bedeuten. Das passt zur ersten Zeile („sie werden deinen Kopf zerschmettern“), aber wenig zur zweiten (*„du wirst ihre Ferse zerschmettern“). Verben wie šūp sind häufig Nebenformen von Verben wie ša`ap, und dieses Verb ist häufig mit der Bedeutung „schnappen, lechzen“ belegt. Das passt zur zweiten Zeile („du wirst ihm nach der Ferse schnappen/lechzen“) und einigermaßen zur ersten („sie werden nach deinem Kopf lechzen“); besser passte dort aber wie gesagt šūp = „zerschmettern“. Insgesamt wird hier also entweder zwei Mal das Verb ša`ap in seiner Nebenform šūp verwendet oder nur einmal und das erste Wort ist stattdessen ein anderes šūp mit der Bed. „zerschmettern“, so dass man insgesamt auflösen könnte: (1) „sie werden deinen Kopf zerschmettern und du wirst ihnen nach der Ferse schnappen“; (2) „sie werden deinen Kopf zerschmettern und du wirst ihnen nach der Ferse lechzen“ oder (3) „sie werden nach deinem Kopf lechzen und du wirst ihnen nach der Ferse lechzen“. Wichtig ist aber, dass in jedem Fall das Wort aussieht wie šūp, s. zu V. 16. (Zurück zu Lesefassung v.15)
klit. + theol.: deine Mühen, deine Empfängnis - Hendiadyoin: „deine Mühsal der Empfängnis“, zum Sinn s. gleich. Feministische Auslegerinnen nehmen stattdessen d.Ö. das erste Wort für sich, so dass der Beginn von einer der „Mühsal“ des Mannes parallelen „Mühsal“ sprechen würde, also z.B. von Hausarbeit, Care-Arbeit und weiblicher Feldarbeit. Das ist unwahrscheinlich: Hiervon wird ja sonst nichts mehr gesprochen, und der Grund für das Hendyadioin ist offensichtlich: Man beachte, wie hier bei der Rede vom „Vermehren“ gerade dieses Wort und dasjenige, was vermehrt werden wird, durch Verdoppelung und Hendyadioin vermehrt wurde. Das wird durch ein Klangspiel sogar noch verstärkt: Im Hebräischen lautet dies „vermehren, ja vermehren“ genauer harbah `arbeh, das erste Wort beginnt damit ebenso wie haronek („deine Empfängnis“). Das Hendiadyoin „deine Mühsal, deine Empfängnis“ wird dann sogar noch mal vermehrt, indem es in der nächsten Zeile fortgeführt wird durch das sehr ähnliche „Mit Mühe wirst du Kinder gebären“. „Empfängnis“ + „gebären“ sind dabei gewiss als Merismus metonymisch für die ganze Schwangerschaft von Anfang bis Ende zu nehmen.
lit.: Im hebräischen Wort für „Mühe“, ´iṣṣabon, stecken die Konsonanten des Wortes für „Baum“, ´eṣ; die Strafe „passt“ also zu Evas Vergehen. (Zurück zu Lesefassung v.16)
llit.: W. „nach deinem Mann wird dein Verlangen [sein]“, wie sie ähnlich zuvor den verbotenen Baum „begehrenswert“ fand. Auch dieser Part des Fluchs passt also zu ihrem Vergehen.
theol.: Die letzten Zeilen von V. 16 sind natürlich nicht als Auftrag zu lesen, sondern als Beschreibung der verfluchten Geschlechter- und Familiendynamik, die im Alten Orient ja wirklich der Regelfall war.
bed.: Die vorletzte Zeile ist außerdem mehrdeutig. tašuqah ist das „Verlangen“. Was das hier konkreter bedeuten soll, zeigt am besten Hld 7,11: Dort ist „Ich gehöre meinem Geliebten und nach mir ist seine tašuqah“ Variante des Refrains „Ich gehöre meinem Geliebten und er gehört mir“ in Hld 2,16; 6,3. Orientiert man sich hieran, ist „nach deinem Mann wird deine tašuqah sein“ Komplementär-Ausdruck zu „und er wird dich beherrschen“. So hat den Ausdruck schon Hieronymus in seiner Vulgata verstanden: „du wirst unter der Macht deines Mannes stehen und er wird dich beherrschen“. Gleichzeitig ist tašuqah wahrscheinlich abgeleitet vom Verb šaqaq („etwas bestürmen“); der Satz könnte also auch bedeuten, dass zwar „der Mann die Frau beherrschen“, gleichzeitig aber „die Frau ihren Mann bestürmen“, also gegen seinen Willen und seine Herrschaft ankämpfen wird. Offenbar ist die Geschlechterdynamik nach Gen 3,16 also in mehr als nur einer Hinsicht verflucht. (Zurück zu Lesefassung v.16)
mbed.: Im Hebräischen ohne Artikel, hier also nicht Klassennomen „der Erdling“, sondern ab hier wird immer wieder wechselnd das selbe Wort mal als Eigenname und mal als Klassennomen verwendet. (Zurück zu Lesefassung v.17)
nlit.: Klare Anspielung auf V. 14: Die Schlange wird „Staub essen alle Tage ihres Lebens“, der Mensch dagegen „Erdboden essen alle Tage seines Lebens“. Beim Mann ist dies natürlich Ausdruck dafür, dass er die Erträge des Erdbodens essen wird (s. V. 18). Entsprechend erübrigt es sich auch, darüber nachzudenken, ob man im Alten Israel wohl geglaubt habe, dass Schlangen Staub fressen. (Zurück zu Lesefassung v.17)
olit. + bed.: Nicht: „Denn Staub bist du...“, wie man es aus deutschen Übersetzungen gewohnt ist (richtig Ego 2015, S. 8). Der zweizeilige Fluch gehört klar mit den beiden vorangehenden zusammen: In allen wird eine Zweier-Paarung erkennbar, in allen wird ein ähnlich klingendes Wort für den zentrale Ausdruck verwendet: (1) V. 15: Kinder der Frau vs. Schlange, die Kinder werden nach der Schlange und die Schlange nach den Kindern tašup („lechzen“). (2) V. 16: Frau vs. Mann; der Mann wird die Frau beherrschen, während nach ihm ihre tašuqah gehen (= sie ihm willens sein) wird. (3) V. 19: Mann vs. Staub. Er ist Staub und wird zu ihm tašub („zurückkehren“).
Der Doppelzeiler ist also keine weitere Begründung für den ganzen Fluch, sondern der ganze Teil II hat die Logik: Der Erdboden wird verflucht, weil du Erdboden bist, du hast also sozusagen deine Mutter Adamah angesteckt, werter Herr Adam. (Zurück zu Lesefassung v.19)
plit.: Komplexes Wortspiel: Das gewohnte „Eva“ ist im Hebräischen Ḥawwah. Die Erklärung in 20b deutet dies als Nebenform von ḥajjah („Leben“); „Eva“ bedeutete also „Leben, Lebewesen“. Daneben gibt es ein Nomen hawwah („Abgrund, Verderben“), ein Verb ḥiwwah („berichten, wissen lassen“, z.B. Ijob 32,17), und im Aramäischen scheint ḥiwwah eine Aussprache des üblichen Wortes ḥiwja` für „Schlange“ gewesen zu sein (Sefire 1.A.31; gut Sarna 2001. Zu diesen und weiteren Namensdeutungen vgl. näher z.B. Napora 2022). Dass hebräische Hörer:innen den Bezug zu ḥajjah hören sollten, ist klar; was sie daneben noch mitgehört hätten, lässt sich unmöglich sagen. Clemens von Alexandrien z.B. berichtet in seinem Protreptikos vom Zusammenhang mit „Schlange“ (2,12.); Ähnliches findet sich wenig später im Midrasch BerR 20,11 – es gab also Hebräisch-Sprechende, die selbst diesen vierten Bezug mithörten.
lit. + theol.: Die Bezeichnung „Mutter alles Lebendigen“ passte eher zu einer Göttin wie Gaia als zu Eva, die „nur“ Urmutter aller Menschen ist. Entsprechend ist dies in Sir 40,1 auch wirklich eine Bezeichnung für die Erde: „vom Tag an, da (ein Mensch) aus seiner Mutter kommt bis zum Tag, da er zur Mutter allen Lebens zurückkehrt“. Mindestens heißt das, dass durch diesen Ausdruck Eva mit Adamah parallelisiert wird: Was Adamah als „Mutter“ Adams für diesen war, wird Eva nun für alle anderen Menschen sein; Adam wurde von der Erde genommen, Eva wurde von Adam genommen, doch von nun an werden alle Menschen von Eva genommen werden. Andere biblische Bücher haben diese Parallelisierung aber noch weiter getrieben. Laut Ps 139,13.15 entsteht ein Mensch gleichzeitig im Leib einer Mutter und „in der Tiefe der Erde“. Ähnlich sagt Ijob in Ijob 1,21: „Nackt kam ich aus dem Leib meiner Mutter und nackt werde ich dorthin zurückkehren“, und meint mit diesem „dorthin“ gleichzeitig Mutterleib und Erde. Auch Spr 30,16 spricht vom „Mutterleib der Erde“, wie dies ähnlich ja auch der eben zitierte Vers Sir 40,1 tut. Nach biblischer Vorstellung ist der Mutterleib offenbar gleichzeitig eine Art Portal, an dem Mensch und Erde sich überlagern, so dass Menschen gleichzeitig Kinder ihrer Mütter und „Erdenkinder“ sind.
lit.: Der Mensch entstand in Gen 2,7 so, dass Gott dem Staub vom Erdboden Hauch des Lebens einhauchte. Nun, am Ende der Erzählung, stehen nebeneinander Erdling und Leben, die beiden Urmenschen – gerade so, als hätte sich der Mensch, nachdem Gott der Erde Leben einhauchte, nun wieder ausdifferenziert.
theol.: Man beachte, dass der Mann seine Frau gerade dann „Leben“ tauft, nachdem er (!) zum Tod verdammt wurde. In Sir 25,24 wird unsere Erzählung später so ausgedeutet werden: „Die Sünde nahm ihren Anfang bei einer Frau, und ihretwegen müssen wir alle sterben.“. Sirach eröffnet damit einen langen Reigen frauenfeindlicher Auslegungen unseres Kapitels. Es ist an sich nicht falsch, was Sirach hier schreibt; unsere Erzählung lässt sich schon so lesen, wenn man die Lektüre mit Vers 19 abbricht. Aber unser Vers 20 sagt gerade das Gegenteil von dem, was Sirach aus der Erzählung macht: Der Mann wird zum Tod verurteilt, die Frau dagegen bedeutet „Leben“. Entgegen der Darstellung im Sirachbuch ist denn auch im Talmud überliefert, dass Adam spricht: „Weh mir, wegen meiner Sünde (!) wird die Welt in Finsternis gehüllt!“ (b.AZ 8a; ähnlich schon 4 Esra 3,19: „Denn um seines bösen Herzens willen geriet der erste Adam in Sünde und Schuld, und ebenso alle, die von ihm geboren sind.“; Üs.: Gunkel). (Zurück zu Lesefassung v.20)
qbed.: Wörtlich: „Haut-Kleider“. Traditionell wird das übersetzt mit „Kleidung aus Fell“; man pflegte dann schon mit diesem Vers Gewalt gegen Tiere zu rechtfertigen, da ja dann offensichtlich Gott höchstselbst den Menschen Kleidung aus Tier-Fell angefertigt hätte. Da „Haut/Fell“ in der hebräischen Wortfügung „Haut-Kleider“ aber nicht nur das Material, sondern auch das Begünstigte bezeichnen kann (wie 1 Sam 2,17: „JHWH-Opfergaben“ = „Opfergaben für JHWH“) und weil hier von einer Tier-Tötung nichts erzählt wird, liegt diese Annahme recht fern. Besser übersetzen daher z.B. Crüsemann 2009, S. 3 und Ebach 2009, S. 10 wie oben und auf eine Weise, wie schon der Midrasch BerR 20,12 und der Talmud b.Sot 14a gedeutet haben. Die erste gottgefällige Tier-Tötung wird zwar gleich in Gen 4,3 geschehen und dort Gott gewidmet sein – der Mensch aber ist nach der Logik der Urgeschichte immer noch Vegetarier (s. Gen 1,29), der selbst keine Tiere konsumiert.
lit.: Im Alten Israel gab es eine ßaq genannte Trauerkleidung, die wahrscheinlich wie der Gürtel in V. 7 nur die Lenden bedeckte: Vom Anziehen eines ßaqs sprach man so, dass man ihn „sich umgürtete“ oder ihn „sich um die Hüften legte“. Es gab außerdem eine Redewendung dafür, dass Gott sich eines Menschen erbarmte und ihm eine Wohltat erwies: „du hast mir den saq ausgezogen und mich stattdessen mit einem Freudengewand bekleidet“ o.Ä. (s. Ps 30,12; Jes 61,3.10; Sach 3,4f.; vgl. auch Jes 52,1; Lk 15,21f.). Exakt ein solcher Bekleidungsakt geschähe hier das erste Mal – kurioserweise gerade zu einer der dunkelsten Stunden der biblischen Menschheitsgeschichte. Es passt aber zum Folgenden: Was V. 23 schildert, ist keine weitere Strafe, siehe dort. Offenbar hat Gott den beiden schon hier wieder vergeben. (Zurück zu Lesefassung v.21)
rbed.: Nicht: „von dem“. Der Mensch wird zurückgesandt zu seinem „Geburtsort“. (Zurück zu Lesefassung v.23)
slit.: Ein klarer Rückbezug auf Gen 2,5: Erst jetzt wird dem Menschen die Aufgabe übertragen, für die er von Anfang an bestimmt war. Mit „schicken“ und „nehmen“ werden außerdem die selben Wörter verwendet wie in V. 22 („anschicken“ und „nehmen“); Gottes Handeln in V. 23 ist konkret also v.a. Reaktion auf seine dort geäußerte Befürchtung. (Zurück zu Lesefassung v.23)
t
Kerub. Relief aus Samaria, 9./8. Jhd. v. Chr. (c) WiBiLex
„Kerub“ mit Flammenschwert. Buchmalerei, 13. Jhd. (c) Uni Manchester
Flammen-„Schwert“. Buchmalerei der Wiener Genesis (6. Jhd.). (c) ÖNB
bed.: Die Übersetzung Feuerengel mit seinem lodernden Schwert ist ein educated guess. Wörtlich übersetzt ist die Rede von der „Flamme des Schwerts, das sich hin und her wendet“ oder „das sich immer wieder verwandelt“. „Flamme des Schwerts“ könnte ein „Flammenschwert“ meinen oder auch nur eine „blitzende Schwertschneide (aus Metall)“ (gut Lichtenstein 2015, S. 54f.), also eine Waffe, die Gott den Keruben gegeben hätte. So wird oft gedeutet; so sieht man es auch regelmäßig auf christlichen Gemälden. Aber Keruben sind keine „Engel“ und haben keine Arme. Siehe rechts für die Darstellung eines Keruben; Goldingay 2020 übersetzt daher klug mit „Sphinxe“. Was wollten außerdem mehrere Keruben mit nur einem Schwert? Mindestens müsste man wie der Buchmaler der Wiener Genesis davon ausgehen, dass „Schwert“ hier nur annäherungsweise die gemeinte Waffe beschreibt (er selbst ließ sich offensichtlich von den lebenden Rädern aus Ez 1,16.20 inspirieren: Das Schwert wäre dann ähnlich ein lebendes Schwert).
Besser orientiert man sich daher an frühjüdischen Schriften, nach denen Engel aus Feuer bestehen. Kaduri 2015 hat davon besonders viele Stellen zusammengetragen. Ein Beispiel, das von der Schöpfung der Engel am zweiten Schöpfungstag spricht: „Aus dem Felsen schnitt ich[, Gott,] ein großes Feuer, und aus dem Feuer schuf ich die Heere der körperlosen Armeen – zehn Myriaden Engel –, und ihre Waffen sind feurig und ihre Kleidung sind brennende Flammen.“ (2 Hen 29,3). Dann könnte man die „Flamme des Schwerts“ für einen solchen bewehrten Feuerengel halten, der dann neben den Keruben das Paradies bewacht. Das legt ja auch die Syntax nahe: „die Keruben und die Flamme“. Ähnlich deuten z.B. auch Hendel 1985 und Clifford 2016, S. 280; Hendel weist außerdem noch klug auf die orientalischen Götter Rešep und Išum hin, deren Namen übersetzt „Flamme“ und „Feuer“ lauten – vielleicht hat die israelitische Vorstellung von feurigen Engeln aus solchen feurigen Göttern entwickelt. (Zurück zu Lesefassung v.24)

Dieser Text ist wie die Offene Bibel insgesamt frei kopierbar (CC-BY-SA 3.0). Bearbeitungen müssen unter derselben Lizenz stehen und folgende Quellenangabe enthalten: „‹Neuer Autorenname› unter Verwendung von Texten von Sebastian Walter und der Offenen Bibel“ Dieser Text darf in den offiziellen Fassungen der Offenen Bibel (z.B. Studienfassung, Lesefassung, Fassung in Leichter Sprache) verwendet werden. Dann genügt für diese Fassungen sowie für abgeleitete Texte die Quellenangabe „Offene Bibel“.