Psalm 1/Persönliche Fassung (Sebastian Walter)

Aus Die Offene Bibel

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Dies ist eine individuell verantwortete Textfassung. Sie ist Teil der Offenen Bibel, stammt aber in dieser Version nicht vom Gesamt-Team.

Persönliche Fassung

1 Wie glücklich ist, der nicht gefolgt der Frevler Rat,
Der auch nicht stand auf Sünder-Pfad,
Nicht saß im Kreis der Spötter,
2 Der sich vielmehr der Weisung Gottes freut
Und sie bedenket Tag und Nacht.
3 Er wird sein wie ein Baum, der, wasser-nah gepflanzt,
Die Früchte bringen wird zur rechten Zeit
Und dessen Blätter nicht verwelken.
Und was er tut, wird gut gelingen.


4 Nicht so die Frevler,
Die jeder Wind wie Spreu verweht!
5 Darum der Frevler im Gerichte nicht besteht,
Der Sünder nicht im Rate der Gerechten:
6 Weil Gott gerechten Weg umhegt,
Der Frevler Weg jedoch vergeht.

Anmerkungen

Diese persönliche Fassung folgt an zwei Stellen einer anderen Deutung als die offizielle Fassung. Daraus ergibt sich ein etwas anderes Gesamtverständnis des Psalms:
In V. 1 und V. 2 stehen im hebräischen Text zwei unterschiedliche Tempora: Qatal in V. 1, Yiqtol ab V. 2. In der offiziellen Fassung wird das wie in vielen Übersetzungen als nicht bedeutsam angesehen; ich denke aber, dass es zusammen mit der Struktur von V. 1 durchaus bedeutsam ist. Dort nämlich findet sich eine Entwicklung von dynamisch nach statisch: folgen => stehen => sitzen. Das stimmt zusammen mit V. 4, wo auffälligerweise in beiden Zeilen von keiner Aktivität der „Frevler“ berichtet wird; beide Male fehlt ein Verb wie etwa „So sind die Frevler nicht / sie sind wie Spreu, die jeder Wind verweht“. Noch auffälliger V. 6: Nicht der Frevler wird dort „vergehen“ - sondern ihr Pfad. Und endgültig bedeutsam ist V. 5, wo von der Unfähigkeit des Frevlers gesprochen wird, im Gericht „bestehen“ zu können: Das hebräische Wort könnte auch mit „aufstehen“ übersetzt werden. Das heißt: Es wird mit dem Verbtempus Qatal, mit dem im Heb. vergangene Handlungen ausgedrückt werden, von einem schrittweisen sich-Niederlassen in der Vergangenheit berichtet, als Folge dessen die Frevler von da ab zur Untätigkeit verdammt sind: Hat man sich erst mal im Kreis der Spötter niedergelassen, kommt man gar nicht mehr hoch - der Karren ist dann in den Dreck gefahren; man hängt fest. Anderes gilt für den, der sich früher nicht in solche Kreise begeben hat und daher jetzt und immer wieder „seine Freude hat an der Weisung des Herrn / und sie bedenket Tag und Nacht.“ Denn für diesen wird gelten (V. 3 verwendet das Verbtempus Yiqtol zum Audruck künftiger Geschehnisse), dass „alles, was er tut (!), gut gelingen wird.“ Dieses „tun“ ist übrigens sogar noch auffälliger, als es auf den ersten Blick wirkt, denn der heb. Text verwendet hier ein eher seltenes Stilmittel, eine sog. Prosopopoeia: Handelnder ist laut dem heb. Text nicht ein Mensch, sondern ein fest verwurzelter Baum (von dem man doch normalerweise keine großen Aktivitäten erwarten sollte).

Der zweite Unterschied liegt darin, dass ich in Vv. 5f. der Deutung von Perry 2005 folge, der `al ken ... ki... als komplexe Koordination mit der Bedeutung „darum: ... weil“ deutet. Nach der Deutung der offiziellen Fassung sind sowohl V. 4 als auch V. 6 Begründung von V. 5: Frevler werden nicht im Gericht bestehen, (1) weil sie jeder Wind wie Spreu verweht und (2) weil ihr Weg vergeht. (1) scheint mir nun aber eine sehr merkwürdige Begründung von V. 5 zu sein. Ich denke daher, dass V. 4 nur den Blick vom Gerechten auf den Frevler lenken will, indem er das Bild vom fest verwurzelten Baum in sein Gegenteil verkehrt und daher den Frevler als vom „von jedem Wind verwehte Spreu“ einführt. Begründungsfunktion aber hat nur V. 6: Weil Gott sich um den Gerechten kümmert, um den Frevler aber nicht, wird dieser im Gericht nicht bestehen.

Psalm 1 gibt damit sozusagen eine road map zum gelingenden Leben, die in der ersten Strophe aus irdischer, in der zweiten aus himmlischer Perspektive beleuchtet wird: Strophe 1: Gelingendes Leben fordert ein Leben getreu den Geboten Gottes, und das heißt auf Erden so viel wie: Halte dich fern von Frevlern, Sündern und Spöttern, sondern widme deine Aufmerksamkeit der „Weisung Gottes“ - der Bibel. Denn, Strophe 2: Den, der so lebt, behütet der himmlische Vater; Frevler, Sünder und Spötter aber nicht.
Aus diesem Grund wird dann ein solcher dann auch „im Gericht bestehen“; ein sicher bewusst mehrdeutig formulierter Ausdruck: Man wird dann erstens nämlich Anerkennung von Seiten anderer Gerechter finden und zweitens beim Gericht am Ende der Zeiten nicht durchfallen: Die Lektüre biblischer Texte bringt gelingendes Leben vor und nach dem Tod mit sich. Es ist sicher kein Zufall, dass gerade ein solcher Psalm den Psalter eröffnet. Er bietet die Brille, durch die die folgenden Texte zu lesen sind: Als heilbringende Texte, in denen man am besten Tag und Nacht lesen sollte.

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(Sebastian Walter unter Verwendung von Texten der Offenen Bibel)

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