Diskussion:JHWH/Religionsgeschichte: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Die Offene Bibel

Wechseln zu: Navigation, Suche
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 45: Zeile 45:
# Die biblischen Texte - soweit es sich um Geschichtsberichte handelt (ausgenommen also etwa die Gattungen Weisheit und Prophetie) - wollen selbstverständlich historiographisch sein! Wer einer altvorderorientalischen Quelle ihren historiographischen Wert abspricht, weil sie theologisch interpretiert, der erfährt am Ende gar nichts mehr über den AVO. Es sind nämlich ganz einfach keine Quellen aus der Zeit erhalten, die nicht theologisch interpretieren. Keine der Quellen schildert objektiv oder trennt Geschehnis von Interpretation. Warum sollte also die Beschreibung der Patriarchen oder der Sinai-Offenbarung unhistorisch sein? Es fehlt uns schlichtweg die Autorität, das zu beurteilen. --[[Benutzer:Ben|Ben]] 08:14, 21. Jan. 2012 (CET)
# Die biblischen Texte - soweit es sich um Geschichtsberichte handelt (ausgenommen also etwa die Gattungen Weisheit und Prophetie) - wollen selbstverständlich historiographisch sein! Wer einer altvorderorientalischen Quelle ihren historiographischen Wert abspricht, weil sie theologisch interpretiert, der erfährt am Ende gar nichts mehr über den AVO. Es sind nämlich ganz einfach keine Quellen aus der Zeit erhalten, die nicht theologisch interpretieren. Keine der Quellen schildert objektiv oder trennt Geschehnis von Interpretation. Warum sollte also die Beschreibung der Patriarchen oder der Sinai-Offenbarung unhistorisch sein? Es fehlt uns schlichtweg die Autorität, das zu beurteilen. --[[Benutzer:Ben|Ben]] 08:14, 21. Jan. 2012 (CET)


@Sebastian: Danke für die Erläuterung. Wenn das so ist, dann wäre ich in der Tat für die Wahl einer besseren Herleitung. Die theologischen Lexika, die ich zu JHWH befragt habe (WibiLex, TRE, THWAT), sehen in dieser Frage des Poly-Jahwismus keinen Forschungskonsens. Seit Drucklegung ist die Diskussion natürlich weitergegangen, aber trotzdem wäre ich dafür, es sprachlich etwas vorsichtiger zu formulieren und die Existenz von Gegenpositionen zu benennen. Wissenschaftlichen Konsens gibt es dagegen offensichtlich dahingegen, dass sich der Monotheismus erst im Laufe der Zeit entwickelt hat. Dies lässt sich auch an der inhaltlichen Stoßrichtung der in der Bibel selbst geschilderten Auseinandersetzungen erkennen. --[[Benutzer:Olaf|Olaf]] 14:22, 21. Jan. 2012 (CET)
@Sebastian: Danke für die Erläuterung. Wenn die These des Poly-Jahwismus mit anderen Argumenten besser belegbar ist, dann wäre ich in der Tat für die Wahl einer besseren Herleitung. Die theologischen Lexika, die ich zu JHWH befragt habe (WibiLex, TRE, THWAT), sehen in der Frage des Poly-Jahwismus keinen Forschungskonsens. Seit Drucklegung ist die Diskussion natürlich weitergegangen, aber trotzdem wäre ich dafür, es sprachlich etwas vorsichtiger zu formulieren und die Existenz von Gegenpositionen zu benennen. Auch sollte dem nicht-theologischen Leser deutlich werden, dass die historische Existenz von poly-jahwistischen Tendenzen nicht bedeutet, dass das zu irgendeinem Zeitpunkt die Position der biblischen Texte gewesen wäre. Wissenschaftlichen Konsens gibt es offensichtlich darin, dass sich der Monotheismus erst im Laufe der Zeit entwickelt hat. Dies lässt sich auch an der inhaltlichen Stoßrichtung der in der Bibel selbst geschilderten Auseinandersetzungen erkennen. --[[Benutzer:Olaf|Olaf]] 14:22, 21. Jan. 2012 (CET)


@Ben: Mit einem Gegeneinander-Ausspielen von Ökumene und Wissenschaft begeben wir uns argumentativ in eine gefährliche Sackgasse. Es ist unmöglich, eine Bibelübersetzung zu machen, die allen christlichen Strömungen gerecht wird. Deshalb ist es gut, dass wir bei der Offene Bibel explizit die wissenschaftliche Diskussion als Entscheidungskriterium in Streitfragen gewählt haben. Damit haben wir für die große Mehrheit der Christen eine saubere Basis, ohne damit freilich jeden zufriedenstellen zu können. (Beim Kirchentag hatten wir z.B. Leute am Stand, die uns dafür Vorwürfe machten, dass wir unsere Übersetzung nicht auf der in ihren Augen verbal-inspirierten Vulgata aufbauen. Wir haben sie auf die freie Lizenz hingewiesen, die es ihnen erlaubt, eine Bearbeitung der Offenen Bibel zu machen.) Nun ist das Wissenschaftskriterium natürlich nicht eindeutig. Es gibt verschiedene Methoden, und es gibt einen Streit darum, welche Methode angemessener ist. Deshalb müssen wir im Zweifelsfall sowohl die Mehrheitsmeinung darstellen als auch relevante Minderheitsmeinungen. Wenn wir aber anfangen, einer der wissenschaftlichen Methoden pauschal vorzuwerfen, dass sie der Bibel Lügen unterstellt, dann haben wir die Basis für einen wissenschaftlichen Methodenstreit verlassen. Ob die biblischen Texte als Geschichtsschreibung im heutigen Sinn verstanden werden wollen, wäre nämlich selbst erst einmal wissenschaftlich zu prüfen. --[[Benutzer:Olaf|Olaf]] 14:22, 21. Jan. 2012 (CET)
@Ben: Mit einem Gegeneinander-Ausspielen von Ökumene und Wissenschaft begeben wir uns argumentativ in eine gefährliche Sackgasse. Es ist unmöglich, eine Bibelübersetzung zu machen, die allen christlichen Strömungen gerecht wird. Deshalb ist es gut, dass wir bei der Offene Bibel explizit die wissenschaftliche Diskussion als Entscheidungskriterium in Streitfragen gewählt haben. Damit haben wir für die große Mehrheit der Christen eine saubere Basis, ohne damit freilich jeden zufriedenstellen zu können. (Beim Kirchentag hatten wir z.B. Leute am Stand, die uns dafür Vorwürfe machten, dass wir unsere Übersetzung nicht auf der in ihren Augen verbal-inspirierten Vulgata aufbauen. Wir haben sie auf die freie Lizenz hingewiesen, die es ihnen erlaubt, eine Bearbeitung der Offenen Bibel zu machen.) Nun ist das Wissenschaftskriterium natürlich nicht eindeutig. Es gibt verschiedene Methoden, und es gibt einen Streit darum, welche Methode angemessener ist. Deshalb müssen wir im Zweifelsfall sowohl die Mehrheitsmeinung darstellen als auch relevante Minderheitsmeinungen. Wenn wir aber anfangen, einer der wissenschaftlichen Methoden pauschal vorzuwerfen, dass sie der Bibel Lügen unterstellt, dann haben wir die Basis für einen wissenschaftlichen Methodenstreit verlassen. Ob die biblischen Texte als Geschichtsschreibung im heutigen Sinn verstanden werden wollen, wäre nämlich selbst erst einmal wissenschaftlich zu prüfen. --[[Benutzer:Olaf|Olaf]] 14:22, 21. Jan. 2012 (CET)

Version vom 21. Januar 2012, 14:41 Uhr

Diese Darstellung der wichtigsten Thesen zur frühen Religionsgeschichte des Gottes JHWH stammt von Benutzer:Sebastian Walter und wurde von ihm ursprünglich auf der Seite JHWH eingestellt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit haben wir entschieden, sie hierhin zu verschieben. --Olaf 12:39, 20. Jan. 2012 (CET)

Etwas mehr Vorsicht?[Bearbeiten]

Im WibiLex-Artikel zu JHWH steht: „Die Herkunft der Jahweverehrung liegt in der dunklen Vorgeschichte des Volkes Israel verborgen.“ Aus diesem Grund schlage ich vor, dass wir bei der Darstellung der Thesen sprachlich deutlich vorsichtiger formulieren. Vor allem die Verbundung von „wahrscheinlich“ mit „keinesfalls“ scheint mir missverständlich. --Olaf 13:03, 20. Jan. 2012 (CET)

Das fände ich auch wohltuend. Ich wollte dieselbe Anmerkung machen. Historisch ist ja nichts gesichert, und es hängt bei der Interpretation sehr viel von der vertretenen Hermeneutik und archäologischen Schule ab. Wie eine als gesichert vertretene, doch kontroverse These in die Hose gehen kann, sehen wir am Beispiel der archäologischen Kopenhagener Schule (Minimalisten), die noch vor einigen Jahrzehnten so siegessicher aufgetreten sind, dass manche von ihnen meinten, gar keine echten Argumente mehr zu benötigen. Oder zumindest scheint sich der Diskurs häufig auf dem Niveau bewegt zu haben (im Ernst!). Jetzt ist der Minimalismus im Aussterben.

Wie wäre es (im Hauptartikel) mit einer Unterscheidung nach „Der Gott JHWH in der hebräischen Bibel“ (o.ä., vllt. ganz vorne, könnte den Abschnitt Ex 3,14 kurz integrieren, wenn der Hauptteil der Exegese in den Kommentar kommt (?)) sowie einem mit religionsgeschichtlichen Hypothesen/außerbiblischer Evidenz, der dem ersten Absatz jetzt entspricht. Wie soll „vorbiblisch“ (Überschrift) zu verstehen sein? Wenn schon vom Königtum die Rede ist, sind wir ja schon in biblischer Zeit.

Vielen Dank, Sebastian, für die (sicher aufwändige) Recherche! --Ben 16:19, 20. Jan. 2012 (CET)

Patriarchenzeit[Bearbeiten]

Die Aussagen zur Patriarchenzeit würde ich anders formulieren, denn zur Datierung der Patriarchen gibt es ja auch wieder etliche Theorien – bis hin zu der These, dass es die Patriarchen nie gab. --Olaf 13:24, 20. Jan. 2012 (CET)

These von Cross[Bearbeiten]

Bei der These von Cross, dass zeitweise verschiedene Lokalgottheiten verehrt wurden, fällt mir auf, dass seine Argumentation nicht so recht zu dem passt, was W.Rösel in seiner Monographie „Adonaj – warum Gott ‚Herr‘ genannt wird“ schreibt, und was ich auch an anderer Stelle gelesen habe. Demnach ist das Wort Baal als nicht als Gottesname zu verstehen, sondern (entsprechend seiner allgemeinen Wortbedeutung „Herr“) als Ehrentitel parallel zu Adonai. W.Rösel erwähnt, dass im Fall des Gottes Marduk der Name völlig durch den Titel Baal verdrängt wurde. Wenn aber Baal ein Ehrentitel ist, dann kann der natürlich auch für verschiedene Gottheiten verwendet werden, von denen man jeweils gerade aussagen will, dass man sie für den Hauptgott hält. Bei lokalen Unterschieden in der Verehrung JHWHs kann es sich aber um ein völlig anderes Phänomen handeln. Jedenfalls ist damit noch nicht belegt, dass die Menschen damals an die Existenz mehrerer JHWH-Gottheiten geglaubt haben. (Wenn etliche Kirchen „Unsere liebe Frau von XY“ heißen, dann spricht man deshalb ja auch nicht gleich von Polytheismus.) --Olaf 13:24, 20. Jan. 2012 (CET)

Zudem kommen wir damit auch schon wieder in den Schützengräben von Datierung und Literarkritik an. Bevor man eine Stelle „alt“ nennen kann, um verschiedene Lokale JHWH-Kulte nachzuweisen, muss man ja erstmal seine Datierungsmethodik offen legen. Sonst könnte man sich in Tautologien verheddern. (Ich meine jetzt den zitierten Autor, nicht Sebastian.) Ich will nicht sagen, dass das hier der Fall ist (dazu fehlt mir die Grundlage), aber ich sehe an diesem Beispiel, dass wir in Lexikon und Kommentar sehr sorgfältig darauf achten müssen, entweder streng nach Methoden und hermeneutischen Zugängen zu unterscheiden, oder sie in unsere Überlegungen gleichmäßig und ausgewogen zu integrieren. Ich glaube, dem Geiste unseres Projekt entspräche es, wenn wir allgemein einen methodisch sauberen, sehr ausgewogenen Überblick lieferten, aber uns mit Schlüssen – zumindest in so spekulativen Feldern – vornehm zurückhielten.

Die momentane Recherche finde ich spannend, und ebenso, zu beobachten, wie hier ein hochwertiger Lexikonartikel entsteht! Vielleicht kann ich mich demnächst ja noch selbst etwas beteiligen. Meinen Respekt euch beiden für eure Arbeit. :-) --Ben 16:19, 20. Jan. 2012 (CET)

Ich kann gerade nicht viel schreiben - ich habe eine Sehnenscheidenentzündung (heißt das so?) an der linken Hand. Aber zur Erklärung: Cross habe ich nur zitiert, um weitere Beispiele für diesen Konstruktionstypus anführen zu können. Wirklich entwickelt hat diese These McCarter. Das Problem bei ihm ist, dass er zwar sagt, der Konstruktionstyp sei gut belegt, aber nicht genug Belege bringt, als dass man dieses Phänomen anhand seiner Belege schon demonstrieren könnte.
McCarter nun entwickelt diese These anhand von Inschriften von Kuntillet ´Ajrud; und dass diese aus der Zeit der Monarchie stammen, ist sicher. Alt genug sind die Textquellen also. Eine weiterer großer Vertreter wäre dann noch - den gibt es bei uns aber nicht in der Bib - Albertz in seiner Religionsgeschichte, der ebenfalls Belege für diese These anführt. Und auch Zevit hat einscheinend etwas in diese Richtung geschrieben (bei ihr konnte ich aber noch nicht mal rausfinden, in welchem Buch). Und van der Toorn hat diese These dann als Faktum in das Lexikon schlechthin zu diesem Thema aufgenommen. Das ist nicht so hypothetisch, wie ihr anscheinend glaubt.
Jetzt, wo ich von Olaf den Hinweis auf die Wortart "Baal" lese, klingelt es auch bei mir. Das hab ich auch schon mal gelesen. Vielleicht sind die Beispiele also nicht ideal und müssten rausgenommen werden - an der Stichhaltigkeit der Argumentation McCarters ändert das aber nichts. Au, meine Hand :-P - --Sebastian Walter 17:03, 20. Jan. 2012 (CET)

Tut mir Leid zu hören, dass du eine Sehnenscheidenentzündung hast! Gute Besserung!

Ich gebe dir mal ein Beispiel zur Hermeneutik (ich spreche da für mich selbst. Ich weiß nicht, ob Olaf mir folgen würde): Für die historisch-kritische Hermeneutik (zumindest der zitierten Ausleger, soweit sie zu deinem Schluss kommen) sind in diesem Fall (ich spreche jetzt auch allgemein von der historischen Erforschung des Gottesnamens) mindestens zwei Axiome relevant, die einfach vorausgesetzt werden:

  1. Der jüdisch-christliche Monotheismus lässt sich wie jede andere Religion religionsgeschichtlich erforschen. Das bedeutet, dass historische Unwägbarkeiten wie etwa ein übernatürliches Handeln Gottes von Vornherein ausgeschlossen werden (oder in der Forschung zumindest so behandelt werden).
  2. Die biblischen Berichte sind (auch deshalb) mindestens unzuverlässig und in historischer Hinsicht Quellen von großer Fragwürdigkeit.

Das sind Annahmen, die man voraussetzen und auch teilen kann (was du ja tust). Aber sie sind als philosophische Grundsatzentscheidungen Teil der Hermeneutik. Sie sind nicht per se Teil der wissenschaftlichen Exegese. Beides muss man trennen, wenn man in einen wissenschaftlichen ökumenischen Dialog eintreten will. Dennoch wird besonders von historisch-kritischen Auslegern gerne so vorgegangen, als handele es sich bei diesen Axiomen um unumstößliche Tatsachen, die gar nicht mehr zur Diskussion stehen. (Das soll kein Vorwurf sein.)

So einfach ist es aber nicht. Es hilft, wenn man sich dieser Denkvoraussetzungen (die ich ja auch habe, wenn auch teils deutlich andere) bewusst wird und sie auch hinterfragen kann (das haben die Gründerväter der historisch-kritischen Methode verstanden). Wenn wir 1. ökumenisch und 2. methodisch sauber vorgehen wollen, müssen wir in unserer Exegese klar unterscheiden, welche hermeneutischen Voraussetzungen wir anwenden, und am besten jeden vertretbaren Standpunkt berücksichtigen. Nur so lässt sich Neutralität erreichen. Und dann hilft es auch zu unterscheiden, welcher zitierte Autor welche Hermeneutik vertritt. Denn die Hermeneutik beeinflusst die Ergebnisse signifikant. --Ben 19:28, 20. Jan. 2012 (CET)

Erst mal: Danke. Dann: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich verstehe, worauf du hinaus willst.

  1. Zunächst mal scheinst du bei der Formulierung von Axiom (1) selbst axiomatisch vorauszusetzen, dass die Faktizität des übernatürlichen Handelns Gottes die Religion des alten Israels der religionsgeschichtlichen Forschung verschließen würde. Warum sollte es? religionsgeschichtliche Forschung fragt nach Religionsgeschichte. Und im Verhältnis von Gott und Mensch steht "Religion" auf der Seite des Menschen. Gott "glaubt" nicht an den Menschen und Gott "betet" nicht zum Menschen. Warum sollte er? - Gott weiß um den Menschen. Es ist der Mensch, der glaubt, betet und der Religion hat. Religionsgeschichte fragt nach den Menschen und ihrem Verhältnis zu Gott. Und dieses Beforschte entzieht sich der religionsgeschichtlichen Forschung nicht.
  2. Die Bibel will ja gar keine Historiographie sein. Wenn der historisch-kritische Exeget die Bibel historisch-kritisch liest, liest er sie gegen den Strich, insofern er lesend nicht mitvollzieht, was das Sagen der Bibel ihm weist. Der historisch-kritische Exeget fragt nicht nach theologischem Gehalt, sondern nach dem historischen Grund einer Aussage, und er schreitet nicht in die Richtung, in die die Bibel zeigt, sondern schleicht sich um sie herum, um hinter sie zu gelangen. Und er schleicht mit Scheuklappen: Geschichtsschreibung und Exegese sind beide - hm, nun... zunächst mal weltanschaulich neutrale Disziplinen. Möglich, dass ihnen so das Wichtigste an der ganzen Sache entgeht - nämlich Gott und Sinn -, aber das hindert ja nicht, dass sie das, was ihnen dann noch nicht durch die Scheuklappen ihrer weltanschaulichen Neutralität entgangen ist, auch adäquat erfassen könnten - nämlich menschliche Geschichte und menschliches Bedeuten.

Wo sind das denn ungeklärte hermeneutische Prämissen?--Sebastian Walter 20:45, 20. Jan. 2012 (CET)

  1. Die dabei gezogenen Schlussfolgerungen schließen übernatürliches Handeln aus. Wenn wir etwa davon sprechen, dass es keinen oder nur einen sehr kleinen Exodus gab, dann wenden wir uns gegen biblische Berichte, die von einer Offenbarung Gottes in Ägypten und am Sinai ausgehen - und zwar aus dem alleinigen Grund, dass wir die Berichte für unhistorisch halten, weil sie übernatürliches Handeln bezeugen. Wenn wir die israelische Religionsgeschichte rekonstruieren, sprechen wir nicht von einer wunderbaren Bundesgeschichte mit einem aktiven, geschichtswirkenden Gott, sondern von einer evolutionären Entwicklung, die Wunder ausspart. Betrachtet man die Geschichte von JHWH und Israel aus dem Blickwinkel, dass eine wunderbare Offenbarung Gottes an sein Volk möglich, aber historisch unmöglich beweisbar ist, dann macht uns das demütig in Bezug auf die mögliche Rekonstruktion (der Schöpfungsbericht ist da ein weiteres Beispiel, aber ein anderes Fass). Die Anfänge des Christentums sind vielleicht das beste Beispiel dafür. Wer religionsgeschichtlich vorgeht, wird von gemeinschaftlichen Halluzinationen der Jünger über den Auferstandenen reden müssen, um die Entstehung des Christentums zu erklären. Aber wer Wunder und Gottes übernatürliches Handeln für möglich hält, kann die biblischen Berichte für stringenter und schlüssiger (wenn nicht wahrscheinlicher) halten. Und du selbst hast ja gerade geschildert, wie du die theologischen Inhalte umgehen würdest, um zu historischen Kern vorzustoßen (hab ich das richtig verstanden?). Warum sind die theologischen Inhalte nicht selbst historisch? Wer das ausschließt, entstellt die Aussageabsicht seiner Quellen durch diese Interpretation und kann sich unmöglich auf sie verlassen, weil er dann entweder von theologischer Verfälschung ausgehen muss oder davon, dass die Quellen wahr sind, aber er keine Möglichkeit hat, das herauszufinden. Die Quellen trennen nicht zwischen Geschichte und Interpretation. Es mag neutral sein, wenn man sagt, dass man über das übernatürliche Handeln (das ja den theologischen Teil der Berichte darstellt) keine historiographischen Aussagen machen kann. Aber dann muss man auch ehrlich sagen, dass die so gekürzten Rekonstruktionen womöglich völlig falsch sind und sich auf vermeintlich Erforschbares beschränken. Und das erlebe ich nicht.
  2. Die biblischen Texte - soweit es sich um Geschichtsberichte handelt (ausgenommen also etwa die Gattungen Weisheit und Prophetie) - wollen selbstverständlich historiographisch sein! Wer einer altvorderorientalischen Quelle ihren historiographischen Wert abspricht, weil sie theologisch interpretiert, der erfährt am Ende gar nichts mehr über den AVO. Es sind nämlich ganz einfach keine Quellen aus der Zeit erhalten, die nicht theologisch interpretieren. Keine der Quellen schildert objektiv oder trennt Geschehnis von Interpretation. Warum sollte also die Beschreibung der Patriarchen oder der Sinai-Offenbarung unhistorisch sein? Es fehlt uns schlichtweg die Autorität, das zu beurteilen. --Ben 08:14, 21. Jan. 2012 (CET)

@Sebastian: Danke für die Erläuterung. Wenn die These des Poly-Jahwismus mit anderen Argumenten besser belegbar ist, dann wäre ich in der Tat für die Wahl einer besseren Herleitung. Die theologischen Lexika, die ich zu JHWH befragt habe (WibiLex, TRE, THWAT), sehen in der Frage des Poly-Jahwismus keinen Forschungskonsens. Seit Drucklegung ist die Diskussion natürlich weitergegangen, aber trotzdem wäre ich dafür, es sprachlich etwas vorsichtiger zu formulieren und die Existenz von Gegenpositionen zu benennen. Auch sollte dem nicht-theologischen Leser deutlich werden, dass die historische Existenz von poly-jahwistischen Tendenzen nicht bedeutet, dass das zu irgendeinem Zeitpunkt die Position der biblischen Texte gewesen wäre. Wissenschaftlichen Konsens gibt es offensichtlich darin, dass sich der Monotheismus erst im Laufe der Zeit entwickelt hat. Dies lässt sich auch an der inhaltlichen Stoßrichtung der in der Bibel selbst geschilderten Auseinandersetzungen erkennen. --Olaf 14:22, 21. Jan. 2012 (CET)

@Ben: Mit einem Gegeneinander-Ausspielen von Ökumene und Wissenschaft begeben wir uns argumentativ in eine gefährliche Sackgasse. Es ist unmöglich, eine Bibelübersetzung zu machen, die allen christlichen Strömungen gerecht wird. Deshalb ist es gut, dass wir bei der Offene Bibel explizit die wissenschaftliche Diskussion als Entscheidungskriterium in Streitfragen gewählt haben. Damit haben wir für die große Mehrheit der Christen eine saubere Basis, ohne damit freilich jeden zufriedenstellen zu können. (Beim Kirchentag hatten wir z.B. Leute am Stand, die uns dafür Vorwürfe machten, dass wir unsere Übersetzung nicht auf der in ihren Augen verbal-inspirierten Vulgata aufbauen. Wir haben sie auf die freie Lizenz hingewiesen, die es ihnen erlaubt, eine Bearbeitung der Offenen Bibel zu machen.) Nun ist das Wissenschaftskriterium natürlich nicht eindeutig. Es gibt verschiedene Methoden, und es gibt einen Streit darum, welche Methode angemessener ist. Deshalb müssen wir im Zweifelsfall sowohl die Mehrheitsmeinung darstellen als auch relevante Minderheitsmeinungen. Wenn wir aber anfangen, einer der wissenschaftlichen Methoden pauschal vorzuwerfen, dass sie der Bibel Lügen unterstellt, dann haben wir die Basis für einen wissenschaftlichen Methodenstreit verlassen. Ob die biblischen Texte als Geschichtsschreibung im heutigen Sinn verstanden werden wollen, wäre nämlich selbst erst einmal wissenschaftlich zu prüfen. --Olaf 14:22, 21. Jan. 2012 (CET)