Vorwort[Bearbeiten]
Mk 13 beinhaltet einige Leerstellen - allen voran die Referenz der Pronomina ταῦτα, πάντα und ταῦτα πάντα sowie die Rolle des „Gräuels der Verwüstung“ in V. 14 -, die sich nur füllen lassen durch eine kohärente Gesamtdeutung des Kapitels.
Aus diesem Grund sollen die folgenden Zeilen eine solche kohärente Gesamtdeutung bieten; es muss aber betont werden, dass sie nur eine von vielen möglichen Deutungen ist und in der Exegese auch schon viele andere Gesamtdeutungen vertreten wurden, die zu diskutieren hier aber den Raum sprengen würde.
Ich will daher im Folgenden grob die Sinnlinien des Kapitels nachzeichnen, und da der Text eine recht klar erkennbare Struktur hat, will ich mich dabei von der Struktur des Textes leiten lassen.
Für den Inhalt des Folgenden bin ich allein verantwortlich. --Sebastian Walter 13:41, 3. Mär. 2014 (CET)
Struktur[Bearbeiten]
Über die Grobstruktur gibt es in der Exegese weithin einen Konsens. Wegen deutlicher stilistischer Unterschiede (genauer vgl. bes. gut Martin 2009, bes. S. 467.472.478f) wird fast stets folgende Aufteilung vorgenommen:
- Vv. 1-4: Setting
- Vv. 5-37: Eschatologische Mahnrede
- Vv. 5c-23: Teil I
- Vv. 24-27: Teil II
- Vv. 28-37: Teil III
Teil I ist sehr einheitlich konstruiert und zerfällt so wiederum in vier Abschnitte, in deren Zentrum jeweils (A) eine Wenn...-Konditionale mit (B) dann geltenden Anweisungen〈a〉 und (C) eine darauf folgende Unheilsprophetie, die drei von vier Mal mit denn eingeleitet wird,〈b〉 bildet (vgl. ähnlich Grayston 1974, S. 376; Martin 2009, S. 467).
Teil II ist einheitlich; aber auch Teil III kann man thematisch in zwei Abschnitte einteilen: Der erste (Vv. 28-31) reflektiert noch einmal das zuvor Gesagte; Abschnitt 2 (Vv. 32-33) führt als ein weiteres Thema die Notwendigkeit der Wachsamkeit ob der Ungewissheit des genauen Zeitpunkts ein.
Damit ergibt sich folgende Struktur (der Übersichtlichkeit halber gebe ich jedem Abschnitt schon eine Überschrift, deren Sinnigkeit sich aber erst im Verlauf des Kommentars ergeben wird):
- Vv. 1-4: Setting - Die Zeit- und Zeichenfrage
- Vv. 5-37: Eschatologische Mahnrede
- Vv. 5-23: Teil I
- Vv. 5c-8: Abschnitt 1 - Von falschen Zeichen, Falschpropheten und falschen Prophezeiungen
- Vv. 9-13: Abschnitt 2 - Die Leiden der Jünger
- Vv. 14-20: Abschnitt 3 - Auftreten des Antichristen als Zeichen des Eschatons
- Vv. 21-23: Abschnitt 4 - Falschpropheten und Messiasprätendenten
- Vv. 24-27: Teil II - Kleine Apokalypse
- Vv. 28-37: Teil III
- Vv. 28-29: Abschnitt 1 - Das nahe Ende
- Vv. 30-37: Abschnitt 2 - Von Zeit und Wachsamkeit
- Vv. 5-23: Teil I
Deutung[Bearbeiten]
Vv. 1-4: Setting[Bearbeiten]
Vv. 1-4 dienen in erster Linie dazu, die eschatologische Mahnrede Jesu vorzubereiten: Vv. 1ab.3 lokalisieren drei Sprechhandlungen: (1) Die Tempelpreisung des Jüngers in V. 1cd, welche (2) das Tempelwort Jesu in V. 2cd vorbereitet, welches wiederum Anlass ist für (3) die Doppelfrage der Jünger in V. 4, auf die die eschatologische Rede Antwort sein soll.
Vv. 1-3 geben dabei das erste Thema vor: Den Tempel. Und der kommt dabei nicht gut weg: Den begeisterten Ausruf des Jüngers in V. 1 weist Jesus trocken zurück mit: „Was achtest du auf diese großen Gebäude? Nicht ein einziger Stein wird hier auf dem anderen bleiben; jeder noch so kleine Stein wird zerstört werden.“ Diese Prophezeiung ist sprachlich gleich doppelt hervorgehoben, nämlich durch die Konstruktion οὐ μὴ + Konjunktiv Aorist (s. Fußnote h) einerseits und seltsame Relativsatzkonstruktion „Nicht wird bleiben Stein auf Stein, der nicht zerstört werden wird“ (s. Fußnote j) andererseits - das Schicksal des Tempels steht zweifelsfrei fest.
Unter Umständen muss man außerdem die beiden Lokalisierungen in Vv. 1ab.3 symbolisch verstehen: Obwohl Jesus gemeinsam mit seinen Jüngern im Tempel war, wird nur von ihm allein berichtet, dass er den Tempel verlässt (V.1a), obgleich spätestens V. 1b zeigt, dass auch hier seine Jünger bei ihm sind. Und ähnlich sitzt in V. 3 Jesus gemeinsam mit den vier Jüngern auf dem Ölberg, aber nur von ihm allein wird gesagt, dass er gegenüber dem Tempel sitze. Und diese beiden Ortsangaben rahmen sein Tempelwort, in dem er nicht etwa in die Tempelpreisung des Jüngers einstimmt, sondern stattdessen seine Zerstörung voraussagt. Derartige Drohworte waren zur Verfassungszeit des Markusevangeliums verbreitet und werden von vielen Exegeten mit einer „prophetischen Tempelopposition“ in Verbindung gebracht (vgl. z.B. Theißen 1989, S. 145f; auch Paesler 1999, S. 86, FN 84.). Vielleicht kann man also nicht nur aus V. 2, sondern aus dem Gesamt der Vv. 1-3 eine Tempelopposition Jesu ablesen (vgl. Martin 2009, S. 464f.; Mateos 1987, S. 87).
In V. 4 dann stellen die Jünger die Jesu eschatologische Rede einleitende Frage: „Wann wird dies sein? Und was wird das Zeichen dafür sein, wann dies alles bestimmt ist, zu geschehen?“ - Die Bedeutung von „dies“ und „dies alles“ ist in der Exegese umstritten. Die Mehrheit der Exegeten glaubt, dass „dies“ sich auf die Tempelzerstörung und „dies alles“ auf das Eschaton beziehe; die Argumentation verläuft dabei meist in etwa so: Das erste Indiz ist die Scharnierfunktion der Frage: Sie ergibt sich aus einem Gespräch über den Tempel und wird auch angesichts des Tempels gestellt; die Antwort darauf ist aber ein langer Diskurs über das Ende der Welt. Würde sich sowohl dies als auch dies alles auf die Zerstörung des Tempels beziehen - und nicht auf das Eschaton -, wäre Jesu eschatologischer Diskurs keine sinnvolle Antwort auf die Frage. Und würden sich beide auf das Eschaton beziehen - und nicht auf die Zerstörung des Tempels -, hätten die Jünger keinen Anlass, diese Frage zu stellen. Deshalb wird man besser davon ausgehen müssen, dass beide Themen von den Jüngern aufgegriffen werden und dass also das eine sich auf die Tempelzerstörung, das andere sich auf das Eschaton bezieht. Auf eine solche „Doppel-referenz“ weist zweitens auch die sprachliche Gestalt der Frage: „ταῦτα ... πάντα [dies alles] ist offensichtlich mehr als ταῦτα [dies]; und während ταῦτα eintritt (ἔσται), wird sich ταῦτα ... πάντα vollenden. Hinzu kommt als zusätzliche Anfrage, welche Zeichen es für „dies alles“ gibt.“ (Müller 1998, S. 212; meine Kursivierung). Als drittes Indiz kann uns gelten, dass dies alles noch häufiger als Wechselbegriff für das Eschaton verwendet wird (so gut Pesch 1977, S. 275; vgl. bes. Dan 12,7 LXX; auch Mt 5,18; 23,36; Lk 21,36). Die Frage der Jünger in V. 4 lässt sich deshalb sinngemäß übersetzen mit: „Wann wird die Zerstörung des Tempels stattfinden? Und was wird das Zeichen dafür sein, wann das Ende der Welt anbrechen wird?“
Möglich ist aber auch eine andere Deutung; wir werden daher später noch einmal auf diese Stelle zurückkommen müssen.
Vv. 5-23: Teil I[Bearbeiten]
Vv. 5-8: Abschnitt 1[Bearbeiten]
Die Jünger haben also nach zwei Dingen gefragt: Nach dem Zeitpunkt der Tempelzerstörung und nach Zeichen für den Zeitpunkt des Eschatons. Anstatt aber einfach die beiden Fragen zu beantworten, holt Jesus zu einer längeren Rede aus, deren erster Abschnitt zumindest auf den ersten Blick so wirkt, als würde er hier noch auf keine von beiden Fragen eingehen. Das lässt sich schon an der sprachlichen Form ablesen: Der erste Satz (5c) ist kein Aussagesatz, der eine Antwort enthalten könnte, sondern eine imperativische Aufforderung, die in V. 6 begründet wird. Ebenso ist enthält V. 7b eine imperativische Aufforderung, die in V. 7a an eine Kondition gebunden wird und in 7c-8 wiederum durch einen denn-Satz begründet wird. Der erste Aussagesatz, der potentiell eine Antwort auf eine der Fragen sein könnte, ist der Nominalsatz in V. 8d: Dies [ist] der Anfang der Wehen. Gaston 1970, S. 13 hat diese Struktur sehr schön sichtbar gemacht:
- 5 Und Jesus sagte zu ihnen:
- Seid auf der Hut, dass euch niemand irreführt!
- 6 Denn es werden viele unter meinem Namen kommen und sagen: Ich bin es!, und sie werden viele irreführen.
- 7 Wenn ihr von Kriegen und Kriegsgerichten hört, erschreckt nicht,
- denn es muss geschehen, doch es ist noch nicht das Ende.
- 8 Denn erheben wird sich Volk gegen Volk und Reich gegen Reich, Erdbeben werden sein stellenweise, geben wird es Hungersnöte.
- denn es muss geschehen, doch es ist noch nicht das Ende.
- Der Anfang der Wehen ist dies.
Vv. 5f. enthält eine Warnung: Die Jünger sollen sich nicht irreführen lassen, da ja viele potentielle Irreführer auftreten werden. Wenn wir davon ausgehen, dass Mk 13 ein kohärentes, sinnvolles Ganzes bilden, muss man davon ausgehen, dass deren Auftreten doch etwas mit den Fragen der Jünger zu tun hat; und in der Tat: V. 7 schließt sich die Nennung eines falschen Zeitpunkts des Eschatons an: Es werden und müssen Kriege geführt werden, aber diese sind nicht das Ende. Vv. 5-7 scheinen also zu sagen: „Ihr grübelt nach über den Zeitpunkt des Eschatons? Bei diesem Thema müsst ihr aufpassen, denn dereinst werden viele falsche Ansichten darüber im Umlauf sein: Messiasprätendenten werden auftreten und behaupten, dass die Kriege der Anfang vom Ende wäre. Aber das ist ist falsch; die Kriege müssen in der Tat stattfinden - das Ende aber sind sie noch nicht.“ Zu den historischen Hintergründen dieser Verse vgl. gut Kmiecik 1997, S. 83:
- „Zelotenführer wie Menahem und Simon bar Giora traten mit messianischem Anspruch auf. Die Verkündigung dieser jüdischen Messiasprätendenten, in der die Erwartung des Endes und die Hoffnung auf das endzeitliche Heil an irdisch-geschichtliche Erwartung des Endes und die Hoffnung auf das endzeitliche Heil an irdisch-geschichtliche Ereignisse des jüdischen Kriegs gebunden ist, sieht der Autor in Opposition zu der Verkündigung Jesu. Die entstandene apokalyptische Hochspannung gilt es für den Autor, in gemäßigtere Bahnen zu lenken.“
In rhetorischer Terminologie könnte man sagen: Jesus leitet seine Antwort mit der confutatio ein: Er bereitet seine Ausführungen zu einer strittigen Frage vor, indem er einleitend konträre Positionen widerlegt - nämlich eben die, die Kriege seien bereits das Anfang vom Ende.
Bei V. 8 nun könnte man auf den ersten Blick meinen, dass hier die erste positive Antwort erfolgt: Eine Liste von stereotypen eschatologischen Motiven wird genannt - Volk wird sich gegen Volk erheben, Reich gegen Reich, zudem wird es Erdbeben und Hungersnöte geben -, und diese scheinen dann in 8d als der tatsächliche Anfang vom Ende identifiziert zu werden: „Anfang der Wehen [ist] dies“. Aber sieht man nur etwas genauer hin, erweist sich das als falsch: Würde sich (1) V. 8 derart zu Vv. 5-7 verhalten, würde man erwarten, dass er mit ἀλλά Nein:... / stattdessen eingeleitet würde. Stattdessen schließt er an mit γὰρ denn (s.o.). (2) sind die Geschehnisse, die in V. 8 geschildert werden, keine anderen als die in V. 7 (was schließlich soll das „Sich-Erheben von Volk gegen Volk und Reich gegen Reich“ anderes sein als „Kriege“? Man wird daher dieses γὰρ als explikatives γὰρ interpretieren müssen, das signalisiert, dass die in V. 7 genannten „Kriege“ in V. 8a-c nur noch einmal expliziert werden (vgl. LSJ (Bed. I.c)) - also besser „es wird sich nämlich Volk gegen Volk erheben...“), und die wurden ja bereits in V. 7 als „nicht das Ende“ bestimmt. (3) würde in V. 8 das sich-Erheben von Volk gegen Volk etc. durch eine neue Information angereichert - nämlich dass dieses sich-Erheben der Anfang der Wehen ist - wäre „dies“ der Satzteil, über den bereits geredet wurde (das Thema) und damit normalerweise vorangestellt; „ist der Anfang der Wehen“ wäre die neue Information (das Rhema) und damit normalerweise nachgestellt (vgl.: Ich kenne einen Mann. Der Mann ist groß vs. *Ich kenne einen Mann. Groß ist der Mann.). In V. 8 ist die Reihenfolge anders; das, worüber zuvor bereits geredet wurde, scheint „Anfang der Wehen“ zu sein und die neue Information scheint zu sein, dass der Anfang der Wehen „dies“ ist. Worauf aber bezieht sich dann das dies in 8d? - Wir werden darauf später noch einmal zurückkommen müssen.
Vv. 9-13: Abschnitt 2[Bearbeiten]
Der zweite Abschnitt beginnt wie der erste: βλέπετε Seid achtsam!. In V. 9 ist es aber erweitert: βλέπετε δὲ ὑμεῖς ἑαυτούς achtet auf euch selbst! - Schon damit wird angezeigt: Der Text macht einen Schwenk; Jesus nimmt nun das zukünftige Schicksal der Jünger in den Blick. Denen nämlich steht eine schwere Zeit bevor: An die Gerichtbarkeit von jüdischen Lokalgerichten und Synagogen werden sie ausgeliefert werden, geprügelt werden sie werden - ja, selbst vor Statthaltern und Königen werden sie sich verantworten müssen. Denn (V. 10): „Zuerst muss das Evangelium bei allen Völkern verkündigt werden.“ δεῖ muss ist im NT die Vokabel, mit der meist Notwendigkeiten und göttliche Setzungen markiert werden (vgl. EWNT I, S. 669); es ist bereits im ersten Abschnitt in V. 7 gefallen: „[Kriege] müssen geschehen, sie sind aber noch nicht das Ende“. Mit Vv. 9f wird also neben den Kriegen in V. 7 ein weiteres Element eingeführt, das zuerst, noch vor dem Ende, stattfinden muss: Die Verkündigung des Evangeliums. Und also wird der Zeitpunkt des Eschatons noch weiter nach hinten verschoben (vgl. Dschulnigg 2007, S. 339).
Auch in diesem Abschnitt folgt dann in Vv. 11-13a wieder der oben genannte strukturelle Kern: Konditionale - Aufforderung - Unheilsprophetie. Die Konditionale greift auf die „Auslieferung“ aus V. 9 zurück: „Wenn diese in V. 9 geschilderte Auslieferung geschieht...“; die Unheilsprophetie ordnet sie in einen größeren Zusammenhang ein: Nicht nur die Jünger werden ausgeliefert werden, sondern: „Ein Bruder wird seinen Bruder ausliefern und ein Vater sein Kind“, und weiter noch: „und die Kinder werden sich gegen ihre Eltern erheben und sie töten“, um dann abschließend noch mal auf die Jünger zu blicken: „Und ihr werdet um meinetwillen gehasst werden“. Aber ebenso wie die in Abschnitt 1 geschilderten Geschehnisse gehört offenbar auch dies nicht zum „Ende“: Es ist der Rahmen dessen, was „erst“ noch stattfinden „muss“, bevor das Ende kommen kann. Auch die Aufforderung ist ganz ähnlich wie die in Abschnitt 1: Wo dort die Jünger trotz Kriegen nicht „erschrecken“ sollen - oder genauer: sich nicht „verängstigen“ lassen sollen -, sollen sie sich in Abschnitt 2 trotz Anfeindungen „keine Sorgen machen“; genauer: „sich nicht im Voraus angstvoll Sorgen machen“ (vgl. LSJ). Denn, V. 13bc, „wer dies bis zum Ende erträgt, wird gerettet werden“.
Und damit ist auch die zweite Vorstufe vor dem Eintreten des Endes abgehandelt.
Vv. 14-20: Abschnitt 3[Bearbeiten]
Auch Abschnitt 3 teilt mit den ersten vier Abschnitten die Grobstruktur; dennoch ist er etwas anders aufgebaut. Hier fehlt die einleitende und mit βλέπετε Seid achtsam! eingeleitete Aufforderung; stattdessen setzt er direkt ein mit der Konditionale. Auch gilt die im Falle der Konditionale geltende Aufforderung nicht den Jüngern - wie in den ersten beiden Abschnitten -, sondern für „die in Judäa“ (was besonders auffällig ist wegen der Asymmetrie von „Wenn ihr seht“ und „dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen!“). Ebenfalls anders ist die Aufforderung selbst: Wo in den Abschnitten 1 und 2 die Jünger zum „sich-nicht-ängstigen-Lassen“, zum „sich-nicht-angstvoll-Sorgen-Machen“ und zum „standhaft-Bleiben“ aufgerufen werden, gilt hier für „die in Judäa“: Sie sollen schleunigst in die Berge fliehen - und dann wird die Dringlichkeit dieser Flucht über vier Verse hinweg ausgefaltet (Vv. 15-18).
Es ist also ganz deutlich: Die in der Konditionale von V. 14 geschilderten Geschehnisse haben einen anderen Status als die in den ersten beiden Abschnitten. Aus diesem Grund macht es nicht viel Sinn, beim „Gräuel der Verwüstung“ an zeitgeschichtliche Geschehnisse zu denken (vgl. Fußnote an). Wenn sich Volk gegen Volk erhebt und Reich gegen Reich, wenn Erdbeben geschehen und Hungersnöte - dann soll man nicht erschrecken. Und wenn die Jünger an Gerichte ausgeliefert werden, verprügelt und vor Könige gezerrt werden - dann sollen sie sich keine Sorgen machen. Aber wenn die Zeloten den Tempel besetzen oder die Römer Standarten im Tempel aufstellen - dann soll ganz Judäa schnellstmöglich in die Berge fliehen, da diese Tage eine Bedrängnis seien, wie sie die Welt noch nie gesehen hat? - Das beißt sich.
Man wird daher der Standarddeutung folgen müssen (s. ebd.): „Wenn ihr dann aber den Gräuel der Verwüstung stehen seht, wo er nicht stehen soll“ spricht vom Auftreten des Antichristen im Tempel. Und erst ab da gilt (V. 19): „Jene Tage werden eine Bedrängnis sein, wie die Welt sie noch nie gesehen hat“. Die Ankunft des Antichristen läutet das Ende der Welt ein. Häufig wird außerdem dieses Auftreten des „Gräuels, das Verwüstung hervorbringt“ (s. ebd.) gleichgesetzt mit der Zerstörung des Tempels; vgl. dazu bes. Dan 9,26f. Das macht Sinn; offenbar stellt Jesus sich vor, dass zunächst der Antichrist im Tempel auftauchen und dann diesen Tempel zerstören wird. Zudem lässt sich diese Vorstellung historisch erklären: Anscheinend war zu Jesu Zeiten die Ansicht, die Zerstörung des Tempels würde das Ende der Zeit einleiten, sogar recht verbreitet; vgl. z.B. Schenke 2005, S. 289: „ταῦτα ... πάντα meint mehr als nur die Tempelzerstörung, aber diese eben auch. Die Jünger haben Jesu Ankündigung der vollständigen Tempelzerstörung als Ansage eines Teilaspektes des Eschatons verstanden, und sehr wahrscheinlich bestand auch für die ersten Leser ein solcher Zusammenhang [...].“ Conzelmann 1959, S. 214f. erwägt sogar, ob nicht eine der Intentionen des Verfassers gewesen sein könnte, gegen diese verbreitete Annahme eines Zusammenhangs von Tempelzerstörung und Eschaton anzuschreiben.
Dennoch gibt es Hoffnung (V. 20): Um seiner Erwählten willen hat Gott jene „Tage der Bedrängnis“ verkürzt. Hätte er dies nicht getan, bestünde keine Chance auf Rettung. Doch so: Es gibt noch Hoffnung.
Vv. 21-23: Abschnitt 4[Bearbeiten]
Abschnitt 4 schließt den ersten Teil des Kapitels ab: Mit Vv. 21f. wird noch einmal auf die Messiasprätendenten in V. 6 verwiesen und V. 23 bildet durch die Wiederholung des βλέπετε Seid achtsam! eine Inclusio mit V. 5.
Mit dem Auftreten der Falschpropheten und der Messiasprätendenten wird eine weitere Gefahr für Gottes Erwählte eingeführt: durch Mirakel und Wundertaten wollen sie die Erwählten irreführen; d.h. vom Weg zur Erlösung abbringen. Auch hier muss man sich dazudenken: „Bleibt standhaft!“.
Vv. 24-27: Teil II[Bearbeiten]
Mit V. 24 beginnt ein neuer Teil des Kapitels. Dennoch schließt er sich mehrfach an den ersten Teil an: Über die Zeit ab dem Auftreten des Antichristen im Tempel wurde geurteilt (V. 19): „Es werden sein jene Tage eine derartige Bedrängnis...“. V. 24 greift das gleich doppelt auf: „In jenen Tagen, nach jener Bedrängnis..“, und was folgt, ist eine Schilderung des Weltendes: „Die Sonne wird verdunkelt werden, der Mond wird seinen Schein nicht geben, die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte am Himmel werden erschüttert werden.“ Das Auftreten des Antichristen (V. 14), die kosmische Katastrophe (Vv. 24f) und das Auftreten des Menschensohnes (Vv. 26) werden so in den selben Zeitraum - in „jene Tage“, ein häufigerer Wechselbegriff für die Endzeit -, aber in eine zeitliche Abfolge gestellt: Die Endzeit setzt ein mit dem Antichristen; sein Kommen leitet die „Zeit der Bedrängnis“ ein. Nächster Schritt - „nach jener Bedrängnis“ - der endzeitlichen Geschehnisse ist die kosmische Katastrophe, und dann, endlich - nach schwerer Bedrängnis, langem Warten und dem Auftreten vieler Pseudo-christusse - wird der Menschensohn kommen. Und erst dann werden die Leiden der Jünger überstanden sein, denn dann - V. 27 - werden die „Auserwählten“ von den Engeln gesammelt werden.
Mit dieser Darstellung „ent-weltlicht“ Jesus die endzeitlichen Vorstellungen: Wie viele nachbiblische Texte schildert auch Jesus die Zeit direkt vor der Wiederkunft des Menschensohns als Zeit der Schrecknisse: Kriege, Erdbeben, Hungersnöte (s. Parallelstellen; noch 4Esra 6,22-24) und Feindschaft selbst innerhalb der Familien (Sach 13,3; Jub 23,19; Hen 100,1f; 4Esra 5,9; 6,24; ApkBarsyr 70,3 u.ö. (Stellen nach Pesch 1977, S. 286)). Vgl. außerdem v.a. die - freilich späteren - engen Parallelen in Sanhedrin 97a. All dies sind aber irdische Schrecknisse. Die Geschehnisse nach dieser Zeit der irdischen Not dagegen sind nach Jesu Darstellung kosmischer Natur; betroffen sind Sonne, Mond, Sterne und die „Kräfte in den Himmeln“, und natürlich muss der Menschensohn „in den Wolken kommen“.
Vv. 28-37: Teil III[Bearbeiten]
Vv. 28-31: Abschnitt 1[Bearbeiten]
Abschnitt 1 reflektiert, wie schon gesagt (s. Struktur), noch einmal auf das oben Gesagte; es fungiert als eine Art „abschließender Meta-diskurs“, von dem ausgehend Jesus in Abschnitt 2 ein weiteres Thema einführen kann.
Das Gleichnis in Vv. 28f greift noch einmal zurück auf das Thema „Zeichen für den Zeitpunkt des Endes“; Paradigma für dieses Zeichen ist der Feigenbaum. Die Bildhälfte in V. 28 ist sehr leicht zu verstehen: Das Austreiben des Feigenbaums - der Feigenbaum treibt als letzter der Fruchtbäume erst im späten Frühling neu aus (Musselman 2012, S. 56f) und ist deshalb in der Bibel ein „Zeichen kommenden Segens“ (Jeremias 1998, S. 120) - ist ein deutliches Zeichen für den kommenden Sommer.
Was V. 29 vom Sinn her bedeuten soll, ist eigentlich klar: Ebenso, wie man am Feigenbaum den nahen Sommer erkennen kann (V. 28), sollen die Jünger am Zeichen für das Anbrechen der Endzeit die zeitliche Nähe der segensreichen Wiederkunft des Menschensohnes erkennen. Sprachlich ist er aber gleich doppelt merkwürdig: (1) Das „so auch ihr“ wäre eigentlich dann sinnvoll, wenn V. 28 ein anderes Subjekt hätte als „ihr“; z.B. „Wenn der Feigenbaum austreibt, erkennt man, dass... - So auch ihr:...“. Aber „ihr“ ist ja bereits Subjekt von V. 28, daher ist dies Markierung eines Subjektwechsels hier merkwürdig fehl am Platz. Und (2) steht in V. 29 eben nicht „Wenn ihr X (=das Zeichen für das Kommen des Menschensohns) seht, erkennt, dass die Wiederkunft des Menschensohns nahe bevorsteht“, sondern „Wenn ihr dies seht, erkennt, dass [er] nahe vor den Toren ist“. Dieses „dies“ und „[er]“ werden beim Lesen automatisch auf den letztmöglichen Referenten bezogen, aber im Text sind diese letztmöglichen Referenten nicht „X (=das Zeichen für das Kommen des Menschensohns)“ und „die Wiederkunft des Menschensohns“, sondern das Austreiben des Feigenbaums und der Sommer. Vv. 28f sind also so formuliert, als würden sie bedeuten: „Wenn die Zweige des Feigenbaumes frisch austreiben und Blätter bekommen, erkennt ihr, dass der Sommer nahe ist. So auch ihr: Wenn ihr dies (=dass der Feigenbaum austreibt) geschehen seht, erkennt, dass [er] (=der Sommer) nahe vor den Türen ist.“
Das macht natürlich keinen Sinn. Man wird sich daher mit z.B. Dschulnigg 2007, S. 348 und Ernst 1963, S. 389 davon leiten lassen müssen, dass „Wenn ihr dies geschehen seht“ in V. 29 die Formulierung von V. 14 aufgreift („Wenn ihr den Gräuel der Verwüstung stehen seht“) und daher das „dies“ in V. 29 auf das „Stehen des Gräuels der Verwüstung“ in V. 14 beziehen und das „[er] ist nahe vor den Toren“ auf das Kommen des Menschensohns in V. 26 (Letzteres ist eindeutiger, weil es bereits vorausweist auf das Gleichnis vom Torhüter in Vv. 34-36, wo jener, der irgendwann „nahe vor den Toren“ sein wird, der Herr des Hauses ist).
Ähnliches gilt - wenn auch nicht im selben Maße - für V. 30: Wenn dort steht „Diese Generation wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen sein wird“ kann man das ταῦτα πάντα dies alles zwar beziehen auf „alles, was ich in Vv. 5c-27 erzählt habe“ - aber syntaktisch näher läge eigentlich auch hier „Das Austreiben des Feigenbaums und das Kommen des Sommers“.
Dies ist bereits das fünfte und sechste Mal, wo ταῦτα dies, πάντα alles und ταῦτα πάντα dies alles derart merkwürdig verwendet wird. Das ταῦτα und ταῦτα πάντα in V. 4 ist, wie gesagt, schon immer exegetisch umstritten. ταῦτα in V. 8 und in V. 29 sowie mit Einschränkung das ταῦτα πάντα in V. 30 muss man grammatisch sogar gegen den Strich lesen, um es nicht auf die falschen Referenten - nämlich das „sich-Erheben von Volk gegen Volk etc.“ resp. das Ausschlagen des Feigenbaums resp. das Ausschlagen des Feigenbaums plus das Kommen des Sommers - zu beziehen. Und bedenkt man, dass das πάντα in V. 23 von den meisten Exegeten auf das „Gesamt der Geschehnisse am Ende der Welt“ bezogen wird, ist es doch recht merkwürdig, dass es am Schluss von Teil I gesetzt wird - also noch vor der Schilderung der kosmischen Katastrophe und der Wiederkunft des Menschensohnes -, als Hinweis darauf, dass mit dem zuvor Gesagten „alles“ gesagt sei.
Diese sprachliche Merkwürdigkeit ist also in Mk 13 so einheitlich, dass man Gründe wie „ungeschickte Formulierung des Autors“ etc. getrost ausschließen kann und es zurückführen muss auf den bewussten Gestaltungswillen des Autors. Die merkwürdige Verwendung von ταῦτα, πάντα und ταῦτα πάντα ist gewollt. Wir haben daher zwei Möglichkeiten. Erstens: Wir nehmen das hin und beziehen ταῦτα, πάντα und ταῦτα πάντα jeweils auf das, was uns an der jeweiligen Stelle am wahrscheinlichsten scheint:
- ταῦτα in V. 4 („Wann wird dies sein?“) verweist auf die Tempelzerstörung (s.o.)
- ταῦτα πάντα in V. 4 („Was wird das Zeichen dafür sein, wann dies alles bestimmt ist, zu geschehen?“) verweist auf das Eschaton (s.o.)
- ταῦτα in V. 8 („Der Anfang der Wehen ist dies“) verweist vermutlich auf das Auftreten des Antichristen im Tempel, da ja sein Auftreten in Abschnitt 3 als der Anfang der „Zeit der Bedrängnis“ bestimmt wurde. Dahin weist auch, dass das Wort für „Bedrängnis“ (θλῖψις - von θλιβω drücken, pressen; vgl. Boisacq 1916, S. 347) dem mit „Wehen“ übersetzten Wort (ὠδίν) sprachlich recht nah ist und sogar ebenso wie jenes speziell für die weiblichen Unterleibsschmerzen stehen kann (vgl. LSJ) und daher auch die Formulierungen „Anfang der Wehen“ und „Zeit der Bedrängnis“ einander sprachlich recht nahe sind.
- πάντα in V. 23 („Ich habe euch alles vorausgesagt“) verweist entweder ebenfalls zurück auf das Auftreten des Antichristen im Tempel oder aber auf das Gesamt dessen, was in Vv. 5c-22 geschildert wurde oder aber auf das Gesamt der eschatologischen Geschehnisse, die in Vv. 5c-27 geschildert werden.
- ταῦτα in V. 29 („Wenn ihr dies geschehen seht, erkennt, dass er nahe vor den Toren ist.“) verweist auf das Zeichen für den Anbruch der Endzeit, also vermutlich ebenfalls das Auftreten des Antichristen im Tempel (s.o.).
- Die Referenz von ταῦτα πάντα in V. 30 („Diese Generation wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen sein wird.“) ist ebenso offen wie die von πάντα in V. 23.
Die zweite Möglichkeit ist die, davon auszugehen, dass alle sechs Verwendungen Vermeidungsstrategien sind, mit denen vermieden werden soll, ein bestimmtes Geschehnis explizit auszusprechen - und also alle sechs Verwendungen auf den selben Referenten zu beziehen sind. Wenn wir uns davon leiten lassen, dass sich vermutlich ταῦτα in V. 8 und V. 29 und potentiell auch πάντα in V. 23 und ταῦτα πάντα in V. 30 auf das Auftreten des Antichristen als dem Anfang der Endzeit beziehen, das ja selbst so verschlüsselt angedeutet wird, dass es fast nicht mehr verständlich ist, und daher versuchsweise davon ausgehen, dass alle sechs Verwendungen sich auf dieses sein Auftreten beziehen, ist Mk 13 ebenso kohärent:
- Wohl deshalb, weil die Jünger Jesu Rede von der Tempelszerstörung automatisch auf das Ende der Welt bezogen haben (s.o.), fragen sie in V.4 (a) nach dem Zeitpunkt des Anfangs des Eschatons und (b) nach Zeichen für den Zeitpunkt des Anfangs des Eschatons: (a) „Wann wird dies sein?“ = „Wann wird das Auftreten des Antichristen/der Anbruch des Eschatons sein?“; (b) „Was ist das Zeichen, wann dies alles bestimmt ist, zu geschehen?“ = „Was ist das Zeichen, wann das Auftreten des Antichristen/der Anbruch des Eschatons geschehen soll?“.
- In V.8 hat Jesus die Behauptung der Falschpropheten, die Kriege seien bereits das Ende, als falsch entlarvt und schließt diese Entlarvung mit „Der Anfang der Wehen ist dies“ = „[Stattdessen] ist der Anfang der Wehen das Auftreten des Antichristen/der Anbruch des Eschatons.“
- Daraufhin schildert er dieses Auftreten des Antichristen und schließt den ersten Teil in V. 23 mit: „Seid achtsam! Ich habe euch alles vorausgesagt“ = „Seit achtsam! Ich habe euch vom Auftreten des Antichristen/dem Anbruch der Eschatons berichtet“.
- In V. 28-30 bringt Jesus sein Gleichnis vom Feigenbaum und vergleicht darin das Ausschlagen des Feigenbaums als Zeichen für den nahenden Sommer mit dem Wahrnehmen von „dies“ als Zeichen für die Nähe der Parusie, also „Wenn ihr dies geschehen seht“ = „Wenn das Auftreten des Antichristen/den Anbruch des Eschatons seht, wisst ihr, dass die Wiederkunft des Menschensohns nahe vor der Tür ist“. Und schließlich in V. 30 bestimmt er den groben Zeitrahmen von „dies“: „Diese Generation wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen sein wird“ = „Diese Generation wird nicht vergehen, bis das Auftreten des Antichristen/der Anfang des Eschatons geschehen sein wird“.
Ich persönlich denke, die zweite Deutung ist vorzuziehen: Erstens hat dann ein einheitliches Phänomen eine einheitliche Erklärung, zweitens stimmt es damit zusammen, dass auch der Begriff des Eschatons selbst in Mk 13 überhaupt nicht fällt, sondern nur mit Verweis auf den Zeitpunkt (Vv. 17.19.20.24 „in jenen Tagen“; Vv. 7.13 „Ende“; V. 10: „zuerst“) oder die Qualität dieser Zeit (V. 8: Zeit „der Wehen“; V. 19 „eine derartige Bedrängnis“; V. 24 „nach jener Bedrängnis“) angedeutet wird. Das spricht natürlich nicht gegen Deutung (1); Deutung (2) ist nur etwas eleganter und kohärenter.
In V. 30 gibt Jesus eine erste Antwort auf die Frage nach dem Zeitpunkt des Eschatons: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen sein wird“. Auch die Referenz von „dieses Geschlecht“ ist in der Exegese etwas umstritten. Eine deutliche Mehrheit denkt dabei an die Zeitgenossen Jesu, und dafür spricht, dass „dieses Geschlecht“ im Mk ein stehender Ausdruck für die Zeitgenossen Jesu ist (vgl. Mk 8,12.38; 9,19). Da dann aber der Satz bedeuten würde, dass der Anfang der Endzeit noch zu Lebzeiten der Zeitgenossen Jesu eintreten würde, das Weltende aber ja ganz offensichtlich noch heute nicht eingetreten ist (diese Verzögerung der prophezeiten Wiederkunft des Menschensohnes bezeichnet man in der Theologie i.d.R. als „Parusieverzögerung“; sie ist ein vielbesprochenes theologisches Problem), gab es in der Exegese einige Versuche, das dieses Geschlecht umzudeuten und so das Problem der Parusieverzögerung abzumildern. Deutlich erkennbar sind diese Bemühungen z.B. bei Cranfield 1959, S. 408f.:
- „Auf den ersten Blick scheint Jesus hier zu sagen, dass all die in Vv. 5-27 beschriebenen Dinge (inklusive der Parusie) eintreten würden, bevor seine Zeitgenossen gestorben sind. Aber das ist nur eine der möglichen Bedeutungen. [... ] ἡ γενεὰ αὕτη könnte sich auch beziehen (i) auf das gesamte Menschengeschlecht, (ii) die Juden (beide Vorschläge gehen zurück auf Hieronymus; (ii) wird auch von einigen modernen Exegeten akzeptiert, z.B. Schniewind), (iii) die Jünger/Christen (so Chrysostomus, Viktor von Antiochien und Theophylactus) oder (iv) in einem weiteren Sinne: 'solche' (was von Michaelis favorisiert wird, der die Aussage so versteht, dass bis zum Ende Ungläubige existieren würden).“
In der Bibel haben diese Interpretationen keinen wirklichen Halt, daher wird man sich der Mehrheit anschließen und in der Tat „dieses Geschlecht“ auf die Zeitgenossen Jesu beziehen müssen. V. 30 ist sprachlich doppelt markiert: „Amen, ich sage euch“ fungiert meist ähnlich wie ein Fokuspartikel und hebt dich Wichtigkeit und Wahrhaftigkeit der folgenden Worte hervor; „wird nicht vergehen“ ist unsere Übersetzung von οὐ μὴ παρέλθῃ, wo wieder die Konstruktion οὐ μὴ + Aorist Konjunktiv verwendet wird - also die stärkstmögliche griechische Konstruktion zur Verneinung von Zukünftigen Geschehnissen. Diese doppelte Emphase wird in V. 31 noch einmal verstärkt durch den Hinweis auf die absolute Verlässlichkeit der Worte Jesu. Die Emphase ist damit insgesamt so stark, dass man fast ins Deutsche übersetzen könnte: „Ich schwöre euch: Auf absolut überhaupt gar keinen Fall wird dieses Geschlecht vergehen...“.
Vv. 32-37: Abschnitt 2[Bearbeiten]
Abschnitt 2 lässt sich über die Stichwortverknüpfung klar von Abschnitt 1 abgrenzen: (1) Wachsam sein (Vv. 33.34.35.37) und (2) Vokabeln aus dem Wortfeld „Zeit“: „Tag“, „Stunde“ (V. 32), „Zeitpunkt“ (V. 33), „wann“, „Abend“, „Mitternacht“, „Hahnenschrei“, „Morgengrauen“ (V. 35) , „wenn“ (V. 36). Schon lexikalisch wird also klar, dass Abschnitt 2 ein anderes Thema thematisiert als Abschnitt 1 - das nämlich, dass man ob der Ungewissheit des genauen Zeitpunktes des Eschatons stets „wachsam“ sein müsse.
Dieses Thema wird in Vv. 32f gleich einleitend explizit gemacht: „Den genauen Zeitpunkt allerdings kennt niemand, [daher] seid achtsam! Seid wachsam! - denn [auch] ihr wisst nicht, wann der Zeitpunkt da ist.“ In V. 33 wird dabei das bisherige Leitwort „achtsam“ zum neuen Leitwort „wachsam“ transformiert, das besser zum folgenden Gleichnis des Türhüters passt, im Prinzip aber im Rahmen von Mk 13 gleichbedeutend mit „achtsam“ ist.
Vv. 34-36 wiederholt diese Aufforderung noch einmal in Gleichnisform: Ebenso, wie ein Torhüter, dem ein Hausherr Wachsamkeit aufgetragen hat, allzeit wachsam sein muss, da er ja den genauen Zeitpunkt der Rückkehr des Hausherrn nicht kennt, sollen auch die Jünger allzeit wachsam sein. V. 37 verallgemeinert diese Aufforderung noch einmal: Was für die Jünger gilt, gilt für alle: Jeder soll stets darauf gefasst sein, dass plötzlich die Endzeit anbricht.
a | Vv. 7f: (A) Wenn ihr von Kriegen und Kriegsgerichten hört, (B) erschreckt nicht...; 11f: (A) Und wenn man euch abführt... (B) [dann] sorgt euch nicht im Voraus...; 14-19: (A) Wenn ihr dann aber den Gräuel der Verwüstung stehen seht... (B) dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen...; 21f: (A) Sagt dann einer zu euch... (B) glaubt es nicht! (Zurück zu ) |
b | Vv. 8ab: Denn erheben wird sich Volk gegen Volk...; 12: Ausliefern wird ein Bruder seien Bruder in den Tod...; 19: Denn es werden sein jene Tage eine derartige Bedrängnis...; 22: Denn aufstehen werden falsche Christusse... (Zurück zu ) |
Textkritik[Bearbeiten]
Vers 2[Bearbeiten]
2 Da (Und) sagte Jesus zu ihm: „Du achtest auf diese großen Gebäude? (Diese Gebäude da?, Siehst/bewunderst du diese großen Gebäude?, Du siehst/bewunderst diese großen Gebäude.)〈c〉 Nicht (Keinesfalls)〈d〉 wird [hier]〈e〉 gelassen werden Stein auf Stein, der nicht {sicher} (sicher)〈d〉 zerstört (herausgebrochen) werden wird.〈f〉“℘℘℘℘
c | βλέπω sehen ist in Mk 13 ein Leitwort und wird verwendet in Vv. 2.5.9.23.33. V. 2 wird in der Exegese merkwürdigerweise oft separat von den anderen vier Verwendungen abgehandelt (für eine Übersicht und zu den obigen Alternativübersetzungen vgl. gut Cranfield 1959, S. 391f), aber besser ist dies: Gleich, wie genau Jesu du siehst diese großen Gebäude exakt zu verstehen ist; zusammen mit dem folgenden Kein Stein [des Tempels] wird hier auf dem anderen bleiben steht es auf jeden Fall dem begeisterten Ausruf des Jüngers entgegen. In Vv. 5.9 lenkt Jesus dann die Aufmerksamkeit der Jünger auf andere Dinge als den Tempel: „Seht darauf, dass euch niemand irreführt“ resp. „Seht auf euch selbst [, denn man wird euch anfeinden]“; in V. 33 wird es außerdem in direktem Zusammenhang mit ἀγρυπνέω wachsam sein verwendet. Folgt man der Logik des Textes, sollte man daher besser deuten: V. 2: Achte nicht auf den Tempel, denn kein Stein wird hier auf dem anderen bleiben (oder, näher am Text: Was achtest du auf diese großen Gebäude?); V. 5: Habt Acht, dass euch niemand irreführt!, V. 9: Nehmt euch in Acht!; V. 23: Seid achtsam!; V. 33: Seid achtsam! Seid wachsam!. (Zurück zu v.2) |
d | οὐ μὴ (sicher) nicht ist eine besonders starke Verneinung, sie dient hier aber nur der Intensivierung, um Jesu Äußerung sprachlich zu markieren als (sichere) Prophezeiung. Das Deutsche verwendet hierfür andere Konstruktionen. (zu v.2) |
e | Textkritik: In ein paar Handschriften fehlt das ὧδε hier; wir folgen der textkritischen Mehrheitsmeinung und damit der Lesart mit ὧδε; vgl. auch Mt 24,4. (Zurück zu v.2) |
f | der nicht zerstört (herausgebrochen) werden wird - Dieser Relativsatz wirkt sprachlich etwas merkwürdig (Pesch 1977, S. 271: „überschießend“, „holprig“); seine Deutung hängt ab von der Übersetzung von καταλύω lösen, herauslösen, zerstören: (i) Von einer großen Mehrheit wird καταλύω gedeutet und übersetzt als „zerstören“. In diesem Fall wäre die Konstruktion in etwa vergleichbar mit einer deutschen Konstruktion à la „Er setzt Stein auf Stein, der groß ist“ - normalerweise würde man nicht erwarten, dass „Stein“ auch noch durch einen Relativsatz erweitert wird. Der Sinn wäre trotzdem klar: Die Aussage, dass kein Stein auf dem anderen gelassen werden würde, wird zusätzlich noch durch die Aussage gesteigert, dass jeder Stein zerstört werden würde. In der LF sollte man dann wohl besser mit zwei Sätzen arbeiten, etwa: „Kein Stein wird hier auf dem anderen bleiben: jeder noch so kleine Stein wird zerstört werden.“ (ii) EWNT II, S. 651 schlägt aber ad loc. vor: „herausbrechen“. In diesem Fall machte der Satz grammatisch mehr Sinn (- ist aber auch dann grammatisch immer noch etwas ungewöhnlich -), denn dann würden sich Hauptsatz und Relativsatz auf den selben Sachverhalt beziehen: „Hier wird keinesfalls gelassen werden Stein auf Stein, der nicht herausgebrochen werden wird“. Es läge dann ein Fall von redundantem Relativsatz vor - eine Konstruktion, die man sonst eher aus dem klassischen Griechisch als der Koine kennt (Kleist 1937, S. 143) und die typisch ist für den markinischen Stil (s. allein in diesem Kapitel noch Vv. 19.20) - der ebenso wie wie οὐ μὴ (s.o.) nur der Intensivierung der Aussage dient, also einfach „Kein einziger Stein wird hier auf dem anderen bleiben!“. Ich persönlich (S.W.) würde Möglichkeit (ii) den Vorzug geben, aber da sie meines Wissens noch nicht vorgeschlagen wurde, wird man sich in der LF doch besser für Möglichkeit (i) entscheiden müssen. (Zurück zu v.2) |
Vers 3[Bearbeiten]
3 Als er dann saß (sich setzte) auf dem (den)〈g〉 Ölberg gegenüber dem Tempel, fragte[n]〈h〉 ihn Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas alleine〈i〉:
g | als er auf dem Ölberg saß vs. Als er sich auf den Ölberg setzte - εἰς wird hier verwendet wie ἔν; daher ist es nicht direktional, sondern lokativisch zu übersetzen. Auch dies ist typisch für den markinischen Stil (vgl. ad loc. Turner 1924b, S. 19), aber kein „markinischer Semitismus“, da es sich auch sonst häufiger in der Koine findet (Kleist 1937, S. 225). (Zurück zu v.3) |
h | Textkritik: Der Singular ἐπηρώτα er fragte stößt sich mit der Vierzahl der Fragenden (Pesch 1977, S. 274). Viele Hss haben daher stattdessen den Plural ἐπηρώταν. Dieser Variante ist durchaus der Vorzug zu geben, da das Prinzip praestat difficilior lectio in Fällen, in denen die schwierigere Lesart zu grammatisch falschen Konstruktionen führen würde, keine Gültigkeit hat (West 1973, S. 51). (Zurück zu v.3) |
i | allein übersetzt κατ’ ἰδίαν. Dieser Ausdruck versprachlicht hier das Motiv der Privatoffenbarung / Sonderoffenbarung Jesu an seine Jünger (Witherington 2001, S. 439); in der LF sollte man zu etwas greifen wie „als sie allein/für sich waren“. (Zurück zu v.3) |
Vers 6 + 7[Bearbeiten]
6 [Denn]〈j〉 es werden viele unter meinem Namen〈k〉 kommen und sagen: ‚Ich bin [es]!‘〈k〉, und sie werden viele irreführen.
7 Wenn ihr {aber} (Ihr dagegen: Wenn ihr)〈l〉 von Kriegen und Kriegsgerüchten hört, erschreckt nicht, [denn]〈j〉 es muss geschehen, doch [es ist] noch nicht das Ende.
j | Textkritik: Einige MSS ergänzen in Vv. 6.7 γάρ denn; so dann z.B. auch Tregelles. Es ist in beiden Fällen für unsere Zwecke aber gar nicht nötig, zu einer textkritischen Entscheidung zu kommen, denn dass V. 6 zur Explikation von V. 5 und V. 7c zur Explikation von V. 7b dient, wäre auch ohne diese γάρs klar; „denn“ oder ein Äquivalent sollte daher allein schon aus stilistischen Gründen ergänzt werden. Reiser 1983, S. 143 erläutert denn auch die zweite Stelle als „asyndetische Parataxe bei kausalem Verhältnis“. (Zurück zu v.6 / zu v.7) |
k | Auch diese beiden strittigen Sätzchen werden von Cranfield 1959, S. 395 gut in ihre möglichen Bedeutungen aufgedröselt: „ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου [unter meinem Namen] ist am natürlichsten zu deuten als (i) 'sie berufen sich auf mich als Autorität', aber es kann auch bedeuten (ii) 'Sie schreiben sich selbst den Messias-titel zu, der rechtmäßig mir gebührt.' [...] Die Worte λέγοντες ὅτι Ἐγώ εἰμι [die sagen: Ich bin [es]] sind ähnlich mehrdeutig. Sie könnten bedeuten (a) 'die sagen „Ich bin“' - d.h. sie behaupten, der Messias zu sein (vgl. Joh 4,26 und Matthäus' hierige Ergänzung von ὁ χριστός [=der Christus], Mt 24,5) [...], (b) 'die sagen „Ich bin es“', also ganz ähnlich wie (a), aber mit Fokus auf der Idee der Gegenwart des Messias; (c) 'die sagen, dass ich es sei' - d.h., die sagen, dass ich (Jesus) gekommen wäre [...], (d) 'die sagen, dass ich (Jesus) (der Christus) bin' - das aber kann man ausschließen, denn das wäre ja keine Irreführung; (e) 'die sagen, dass sie ich seien' - in dem Sinne, dass Betrüger behaupten, Jesus zu sein.“ |
l | Eigentümlich für den markinischen Stil - dennoch aber gut Griechisch (die Konstruktion findet sich z.B. auch bei Plutarch und Thukydides) - ist, dass gelegentlich Konjunktionen nicht in ihrer Konjunktions-bedeutung verwendet werden, sondern bloß als Trennungszeichen von Sätzen und Textabschnitten fungieren (vgl. z.B. Reiser 1983, S. 99f.160f). Diese Konjunktionen und Partikeln sind im Deutschen oft besser auszusparen. Dazu gehören in Kap. 13:
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Vers 8[Bearbeiten]
8〈m〉 Erheben wird sich〈n〉 nämlich (denn)〈o〉 Volk gegen Volk und Reich gegen Reich, Erdbeben werden sein〈n〉 stellenweise (mancherorts), geben wird es〈n〉 Hungersnöte. [Der] Anfang der Wehen〈p〉 [ist] dies. ℘℘℘℘℘℘
m | Textkritik: V. 8 ist von der Textgestalt in den Hss. sehr instabil; vgl. genauer Wilckens 2014, S. 514-6. Wir folgen NA28. (Zurück zu v.8) |
n | Verb in Satzspitzenstellung als eine für Prophezeiungen typische emphatische Ausdrucksstellung; vgl. Reiser 1983, S. 94. Dieses Stilmittel parallelisiert Vv. 8.12.19.22, die ohnehin strukturell parallel fungieren (vgl. Kommentar, FN b). Im Deutschen sollte dies nicht nachgeahmt, sondern zu einem stilistischen Äquivalent gegriffen werden. (zu v.8) |
o | Meist: denn erheben wird sich...; besser aber: es wird sich nämlich erheben... - das γὰρ denn ist besser als explikatives γὰρ nämlich zu interpretieren; vgl. Kommentar. (Zurück zu v.8) |
p | Anfang der Wehen - apokalyptische Formel, die v.a. in der rabbinischen Literatur gebräuchlich ist. Die (Geburts-)wehen stehen für die Zeit der Not, die vor dem Einbruch der schönen Endzeit ertragen werden müssen (so fast alle Kommentare) (Zurück zu v.8) |
Vers 31[Bearbeiten]
31 Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen〈q〉.〈r〉℘℘℘℘℘℘
q | Textkritik: Die Textgestalt von οὐ μὴ παρελεύσονται ist in den Hss etwas instabil (vgl. genauer Wilckens 2014, S. 532). Auch hier müssen wir uns nicht entscheiden, da alle Varianten grammatisch korrekt sind und alle Varianten das selbe bedeuten - alle nämlich sind Varianten der Konstruktion οὐ μὴ + Aorist Konjunktiv (der stärkstmöglichen griechischen Konstruktion zur Verneinung zukünftiger Ereignisse, die in Mk 13 stets verwendet wird, um Jesu Aussagen auch sprachlich als sichere Prophezeiungen zu markieren). Vgl. auch Wallace, S. 468. (Zurück zu v.31) |
r | Kleist 1937, S. 226 kommentiert wunderbar diesen Vers, indem er seiner Unsicherheit sehr ehrlich Ausdruck verleiht: „Werden oder würden vergehen? Werden Himmel und Erde tatsächlich vergehen? Oder vielleicht in diesem Sinn: „Selbst wenn Himmel und Erde (von denen man ja eigentlich meinen würde, dass sie unzerstörbar sind) vergehen würde, würden meine Worte nicht vergehen; d.h. sich nicht als falsch erweisen“?“ Das ist eine schöne Deutung, aber nicht nötig: Die Vorstellung, dass am Ende der Zeit Himmel und Erde vergehen würden, ist ein häufigerer Topos in der Bibel; vg. TRE 30, S. 290: „Die alttestamentlich-apokalyptische Tradition des Untergangs von Sonne, Mond, Sternen, Himmel und Erde fand in den Gerichtsszenen im Neuen Testament (vgl. Mk 13,24-26; Apg 6,12-17; Heb 12,26f. [...]) Wiederhall. [...] Am Tag des Herrn vergehen Himmel, Erde und Grundelemente in einem kosmischen Weltenbrand (vgl. 2Pet 3,10-13). Obwohl die Schöpfung, Himmel und Erde (vgl. Lk 16,17 [Q]; Mk 13,31), diese Welt (vgl. 1Kor 7,31b; 1Joh 2,17) vergehen werden, wäre das aber nicht das Ende.“ (Zurück zu v.31) |