Amos 5

Aus Die Offene Bibel

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Anmerkungen

Studienfassung (Amos 5)

1 „Hört diesen Spruch,
Den icha anhebe über euch [als] Totenklage,b Haus Israel:c
2 ‚Es ist gefallen,d es kann sich nicht wieder aufrichten
Das Mädchen Israels,e
Es ist hingestreckt auf seinen Boden,
Es gibt keinen, der es aufrichtet (aufrichten könnte)!‘“

3 Denn (Fürwahr) [auch] dies sprach der Herr JHWH:f
„Die Stadt, die ausziehtg zu tausend (als Tausendschaft)
Wird hundert übrig behalten,h
Und die auszieht zu hundert (als Hundertschaft)
Wird zehn übrig behalten für das Haus Israel.“

4 Allerdings (denn, fürwahr) [auch] dies sprach JHWHf zum Haus Israel:
„Sucht mich,i (und lebt=) dann werdet ihr leben!
5 Aber (und) sucht nicht auf Bethelj
Und nach Gilgalk geht nicht
Und nach Beerschebal zieht nicht hinüber,
Denn Gilgalk wird (ins Exil gehend ins Exil gehen=) ganz bestimmt ins Exil gehenm
Und Bethel wird zur Nichtigkeit!“n

6 [So] sucht [also] JHWH, (und lebt=) dann werdet ihr leben,
Damit er nicht entzünde (spalte, durchdringe, verbrenne, dareinfahre)o wie {das}p Feuer das Haus Josefsq
das (frisst=) verbrennt, und niemand löscht für Bethel!r


7 Ihr Recht-in-Wermut-Verwandler,s
([Die] werfen=) Die ihr werftt die Gerechtigkeit auf die Erde!u
8 [Er ist] der Plejaden-und-Orion-Macher,v
Der zum-Morgen-die-Dunkelheit-Verwandler,
[Der, der]w den Tag [zur] Nacht verfinstert (verfinsterte),
Der Meereswasser-Rufer
[Der] sie [dann] ausgießt auf die Oberfläche der Erde!x
JHWH ist sein Name!
9 [Er ist] der über-dem-Starken (der Burg)y-Verwüstung (Zerstörung)-aufblitzen-Lasser (...-Verwüstung-Lächler),z
[Der, der]w Verwüstung (Zerstörung)aa über die Festung (befestigte Stadt) bringen wird (bringen will, bringt, und Verwüstung kommt)ab[, indem er spricht:]ac

10 „Sie hassen im Tor den Kläger (Richter)ad
Und verabscheuen den aufrichtig (untadelig) Sprechenden (das aufrichtig Gesprochene).ae
11 Darum:af Weil ihr trampelt auf dem (zertrampelt den, Getreide eintreibt vom)ag Armen
Und Korn-Darbringungen (erlesene Geschenke, Korn-Abgaben?)ah nehmt von ihm[, gilt]:
Häuser aus behauenen [Steinen]ai habt ihr gebaut,
Aber ihr werdet nicht wohnen in ihnen;
Köstliche Weingärten habt ihr gepflanzt,
Aber ihr werdet nicht trinken ihren Wein!aj

12 Denn ich weiß, wie vielfältig eure Verbrechen [sind]
Und [wie] zahlreich eure Sünden:
Gerechten-Bedränger, Bußgeld (Schweigegeld)ak-Nehmer –
Die Armen im Tor verdrängen sie!al
13 Darum wird (muss, soll) die Weise (der Weise, der Wohlhabende?, der Tor?)am in dieser Zeit schweigen,
Denn eine böse (schlechte) Zeit [ist] sie.“


14 Sucht [also] das Gute und nicht das Böse,
Damit ihr (lebt=) am Leben bleibt!
Dann könnte (wird) es so sein, dass JHWH Gott Zebaot (der Gott der Heerscharen)an mit euch [ist],
Wie ihr (sagt=) behauptet.
15 Hasst das Böse und liebt das Gute (Wie ihr ja sagt: „Wir hassen das Böse und wir lieben das Gute”)ao
Und richtet [wieder] auf (und aufgerichtet werden wird)ao im Tor das Recht!
Vielleicht wird [dann] gnädig sein JHWH, der Gott der Heerscharen,
Dem Überrest Josefsq (uns gnädig sein ... : dem Überrest Josefs)!ao
16 Darum spricht so JHWH,ap
Der Gott der Heerscharen, der Herr:
„Auf allen Plätzen [wird herrschen (herrsche)] Weinen,
In allen Gassen wird man sagen (sage man): ‚Weh! Weh!‘aq
Und man wird rufen (man rufe) den Ackerknecht zur Trauer
Und die Klage zu den Klagelied-Kundigen (und zur Klage die Klagelied-Kundigen)ar
17 Und in allen Weingärten [wird herrschen (herrsche)] Trauer (Wehklage),
Denn ich werde durch deine Mitte ziehen“,as
Spricht JHWH.


18 Weh! [Ach sie,] (Wehe denen,)at die den Tag JHWHsau herbeiwünschen!
Wozu nurav [soll] euch der Tag JHWHs [dienen]? (Warum dies? Der Tag JHWHs – er...)
Er [wird] Finsternis [sein] und nicht Licht!
19 [Ihr seid] ([Er ist]) wie wenn ein Mann entkommt (flieht vor) demaw Löwen
Und er trifft auf den Bären,ax
Oder [wie wenn] er in das Haus kommt (und [dann] in das Haus kommt)ay
Seine Hand an die Mauer (stützt=) legt
Und ihn [dann] die Schlange beißt!az
20 Wahrlich, (Ist nicht...?) der Tag JHWHs ist Finsternis und nicht Licht,
Dunkelheit ([ist] dunkel,)ba und nicht Helligkeit (Glanz, Tageslicht) [eignet] ihm.bb


21 „Ich hasse, verwerfe eure Opferfeste
Und eure Festversammlungen mag (kann) ich nicht riechen.bc
22 Oh, wenn ihr mir Schlachtopferbd opfert...! (...kann ich nicht riechen – außer dann, wenn ihr mir Schlachtopfer opfert.; Wenn ihr mir Schlachtopfer opfert, habe ich an euren Gaben keinen Gefallen; Wenn ihr mir Schlachtopfer und eure Mehlopfer opfert, habe ich keinen Gefallen [an ihnen])be
An euren Mehlopfernbd habe ich keinen Gefallen
Und das Opfermahlbd von eurem Mastvieh mag ich nicht ansehen.
23 Entferne von auf mirbf den Lärm deiner Lieder!
Und das Spiel deiner Leiernbg will ich nicht hören!
24 [Nun] wird ([Stattdessen] soll/sollte doch)bh Recht wogenbi wie Wasser
Und Gerechtigkeit wie ein nie versiegendes Wadi (einen starken Fluss)!
25 Schlachtungenbd und ein Mehlopfer,bj habt ihr [die] dargebracht mir
In der Wüste, 40 Jahre, Haus Israel?bk
26 So werdet ihr nun (und ihr werdet) herausziehen müssen (tragen müssen, ihr werdet tragen, und ihr trugt) den Gründungspfosten eures Königs (den Sakkud, euren König; die Hütte eures Königs; die Hütte von Milkom)
Und [schultern] das Podest eurer Bilder (und [schultern] den Kaiwan – eure Bilder...),
Eurer (eure) Stern-Götter (den Stern eurer Götter/eures Gottes)
Die ihr euch [selbst] gemacht habt:bl
27 Ich werde euch ins Exil schicken jenseits von Damaskus!“bm – spricht JHWH[.]
[JHWH]bn Gott Zebaot (Gott der Heerscharen)an ist sein Name!

Anmerkungen

In Vv. 1f. folgt Gottes Totenklage über Israel, die in Am 4,13 bereits angekündigt wurde. Solche Totenklagen wurden für gewöhnlich natürlich erst gesungen, wenn jemand bereits „vollständig gestorben“ war, und nicht, wenn man – wie hier das „Mädchen Israels“ – erst dem Tode nah ist, wenn einem aber theoretisch noch „aufgeholfen“ werden könnte. Auch dies verstärkt noch einmal das, was bereits in Kapitel 4 deutlich wurde: Israels Schicksal steht wirklich bereits fest; schon vor seinem Tod kann Gott daher seine Totenklage anstimmen. In V. 3 wird diese dann sogar auch noch einmal durch einen Urteilsspruch Gottes zusätzlich abgestützt und präzisiert. Genauer sieht das Geschick Israels nämlich so aus: Gott wird es dezimieren.

Dieser harte Urteilsspruch führt dazu, dass Amos sozusagen prophezeiend in Dialog mit sich selbst tritt und diesem Gottesspruch in Vv. 4f. einen weiteren Gottesspruch an die Seite stellt: Einerseits hat Gott sein Urteil bereits gefällt, aber andererseits: Hat er nicht auch Israel das Leben verheißen? Dann nämlich, wenn Israel ihn „sucht“, dabei aber nicht Bethel, Gilgal und Beerscheba „aufsucht“, weil auch diese vernichtet werden werden? Dann sollen die Israeliten dies doch bitte tun (V. 6f.) – JHWH suchen, damit Israel am Leben bleibt und auch Bethel (und Gilgal und Beerscheba) weiterbestehen kann!

Vv. 7-13 führen den „Recht-in-Wermut-Verwandlern“ (V. 7) vor Augen, wer es eigentlich ist, mit dem sie sich durch ihr Handeln anlegen: Es ist der Schöpfer des Himmels, der „zur-Dunkelheit-den-Morgen-Verwandler“, der Gott des Regens, der Erde und Himmel beherrscht – JHWH ist es (V. 8); JHWH, der im Handumdrehen ganze Festungen vernichten kann (V. 9). Dass Gott hier gerade als Regengott geschildert wird (s. zu V. 8), passt sehr gut nach V. 6, in dem jemand erhofft wird, der in Israel und für Bethel „löschen“ wird – wer könnte das sein, wenn nicht er?
Was dagegen Gott selbst damit zu tun gedenkt, dass er Regen geben oder zurückhalten und ganze Festungen vernichten kann, sagt er in Vv. 10f. selbst in einem weiteren Gottesspruch, der ähnlich ohne ein Verb des Sagens auf Vv. 8f. folgt, wie auch V. 1 ohne ein Verb des Sagens auf Am 5,13 folgte: Weil die Israeliten derart ungerecht handeln, wird dieser Regengott ihre Gärten vernichten und wird dieser ganze Festungen vernichtende Gott ihre Häuser zerstören (V. 11). In Vv. 12f. wird der selbe Urteilsspruch noch einmal variiert: Weil sie derart ungerecht handeln und es insgesamt eine derart „böse Zeit“ ist (V. 13a), wird nun allüberall der Freudengesang schweigen müssen (V. 13a).

Wie Amos bereits in V. 6 den Gottesspruch in Vv. 4f. kommentiert hat, so auch in Vv. 14-17 den Gottesspruch in Vv. 10-13. Zunächst greift er dazu noch einmal zurück auf Vv. 4-6, wo er mit Vv. 4f. schon einmal den Gottesspruch in Vv. 1-3 entschärft hat. Dazu wird der selbe Gottesspruch variiert auch hier wieder verwendet: Das „Sucht mich, dann werdet ihr leben“ wird nach dem vorangehenden Abschnitt über die im Tor so korrupt handelnden Reichen (Vv. 10-11b.12) und die „böse Zeit“ (V. 13a) variiert zu „Sucht das Gute und nicht das Böse, damit ihr am Leben bleibt“ (V. 14ab), und angeschlossen wird: „Richtet wieder auf im Tor das Recht!“ (V. 15ab). Dann gibt es doch noch Hoffnung für Israel, dann wird Gott – vielleicht! – wenigstens einen kleinen Überrest der Israeliten übrig lassen und diesen gnädig sein (V. 15cd). Doch dies eben nur, wenn die Israeliten sich auch wirklich dem Guten zuwenden. Denn recht eigentlich, so hofft Amos, ist dies der Zweck des harten Urteilsspruchs Gottes, dass die Weise schweigen muss (V. 13a) und stattdessen in der Stadt und auf dem Feld Klage herrschen wird (Vv. 16f.): Um Israel mit diesem Urteilsspruch wieder auf den rechten Weg zu führen.

Was hier also offenbar geschieht, ist nicht, dass ein Prophet „ungefiltert“ nacheinander diverse Mahn-, Droh- und Urteilssprüche Gottes an die Israeliten richtet. Sondern: Amos manipuliert geradezu die Gottessprüche in Vv. 1-3 und Vv. 10-13, indem er sie in Vv. 4f. mit einem anderen Gottesspruch konfrontiert, diesen in Vv. 14.15 auch noch eigenmächtig variiert und in Vv. 6f.14bc.15b-17 auch noch kommentierend weiterführt – alles in der leisen Hoffnung, dass Gottes Urteil vielleicht doch nicht so unabwendbar ist, wie es klingt.

Mindestens diese Verse setzen klar die zeitgeschichtliche Situation nach 720 v. Chr. voraus, in der lag, dass Israels Heiligtümer vernichtet und Israel selbst von den assyrischen Königen Salmanassar und Sargon besiegt, dezimiert, deportiert und auf wenige Gebiete rund um die Hauptstadt Samaria reduziert worden war (s. dazu die Einleitung zum Buch). Diese Situation ist es dann auch, die erklärt, warum in V. 2 einfachhin eine Klage über Samaria, das „Mädchen Israels“, als Klage über ganz Israel bezeichnet werden kann: Von Israel ist bereits jetzt nicht mehr viel mehr übrig als eben Samaria und die umliegenden Gebiete. Dieser kümmerliche Rest ist auch der „Überrest Josefs“, von dem V. 15 spricht, und dieser ist dann auch der eigentliche Adressat dieses Kapitels: Selbst für diesen kümmerlichen Rest, sagt der Verfasser des Kapitels, steht gar nicht fest, dass Gott ihm gnädig sein wird (V. 15cd). Selbst für diesen kümmerlichen Rest könnte dies nur eventuell dann gelten, wenn sie endlich anders handeln, als man in Israel so lange gehandelt hatte – wenn sie nämlich endlich aufhören, nicht nur den Armen ihre Rechte zu nehmen, sondern auch noch das Recht pervertieren, um sie durch dieses perverse Rechtswesen noch zusätzlich ausbeuten zu können. „Sucht das Gute!“, ruft der Verfasser, und das heißt: „Richtet endlich wieder das Recht auf!“ (15b).

Vv. 18-20 sind ein kurzer und für sich stehender Urteilsspruch. Eingespielt wird hier das Konzept des „Tages JHWHs“ – ein Tag oder Zeitraum, den man sich erhoffte, weil man sich vorstellte, dass an diesem Tag Gott richtend in den Lauf der Geschichte eingreifen werde. „Was glaubt ihr eigentlich“, ruft Amos, „Was glaubt ihr eigentlich, was dieser Tag für euch bedeuten wird? Für euch bedeutet er Finsternis, nicht Licht!“ Denn wer an diesem Gerichtstag vom richtenden Gott gerichtet werden wird – das sind nicht die Anderen. Das sind sie selbst; sie, die Unrecht auf Unrecht häufen. Wie also kommen sie dazu, sich in Sicherheit zu wähnen, weil dereinst ja dieser Gerichtstag Gottes ansteht?

In Vv. 21-27 schließt sich ein weiterer Urteilsspruch an, der nach den Abschnitten über die Ausbeutung der Armen und die Pervertierung des Rechtswesens (bes. Vv. 10-12) den Fokus wieder auf die dritte mehrfach von Amos kritisierte Praxis legt: Den Kult Israels. Was an ihm kritikwürdig ist, wird hier anders als Am 4,1-5 gar nicht gesagt; stattdessen wird er in Vv. 21-24 rundweg verdammt. Das ganze Kultwesen mit seinen Opferfesten und Festversammlungen „hasst, verwirft“ Gott. Er mag es nicht „riechen“, die Opfer und Opfermähler mag er nicht „sehen“, die Musik dort mag er nicht „hören“. Brauchen tut er diesen Kult ohnehin nicht, man denke nur an die Zeit der Wüstenwanderung – da haben die Israeliten ja 40 Jahre lang keine Opfer dargebracht (V. 25). Und taugen tun sie erst recht nicht: Keinesfalls lässt sich Gott durch sie gnädig stimmen, sein Urteil steht fest: Wenn die Israeliten „Recht in Wermut verwandeln“ (V. 7a) und „die Gerechtigkeit zu Boden werfen“ (V. 7b) – dann wird nun eben Gott „Recht wogen lassen wie Wasser und Gerechtigkeit wie ein nie versiegendes Wadi“ (V. 24): Israel wird seine Zelte abbrechen müssen (V. 26a), denn Gott wird sie ins Exil nach Assyrien schicken (V. 27) – und ihre Kultgegenstände, die dürfen sie dabei gleich mitnehmen (V. 26b-d).

Das ungefähre Gebiet des "Rests von Israel" und die besprochenen Kultätten. Die Lage von Bethel und Gilgal ist unsicher.
Vv. 21-25 gehört zu einer Gruppe von Versen, die man gemeinhin als die „kultpolemischen Texte“ des Alten Testaments bezeichnet. Zu ihnen gehören auch der Am 5,21-25 sehr nahe Abschnitt Jes 1,10-17; außerdem Jer 6,19-21; 14,11f.; Hos 6,6; Mi 6,6-28; Mal 1,10. Gemeinsam ist allen diesen Texten die Aussage, dass der Kult Israels nichts taugt, einigen außerdem die, dass er Gott geradezu verhasst ist. Vergleicht man die Texte, sieht man schnell einen weiteren gemeinsamen Zug: Grund für diese Ablehnung des Kultes ist oft, dass gerechtes Handeln höher bewertet wird als kultisches Handeln. So nimmt etwa Gott in Jes 1,10-14 Israels Opfer nicht an, weil die Hände der Opfernden „voll Blut“ sind (Jes 1,15); wichtiger ist Gott, dass die Israeliten sich von ihrem Unrecht reinigen und Gutes tun (Jes 1,16f.). Ähnlich verschmäht er in Jer 6,20 die Opfer der Israeliten, weil sie nach V. 19 „nicht auf seine Worte geachtet und seine Gebote verschmäht haben“ (Jer 6,19) und in Hos 6,6 hat er „keinen Gefallen an ihren Opfern“, weil „sie den Bund übertreten haben wie Adam und treulos gegen Gott gehandelt haben“ (Hos 6,7).
Was das für den Kult heißt, ist nicht sicher. Heißt es „nur“, dass der Kult Israels an und für sich nicht kritikwürdig sein muss, dass Gott gerechtes Handeln aber wichtiger ist als der Kult (s. z.B. Mt 23,23; auch Spr 21,3: „Dass man Gerechtigkeit und Recht übt, das zieht JHWH Opfern vor.) – und das in einem solchen Maße, dass man sogar sagen konnte, dass kultisches Treiben bei gleichzeitigem ungerechten Handeln Gott in Gänze „verhasst“ war? Oder heißt es alternativ gar, dass sich zur Zeit der frühen Propheten der Glaube durchgesetzt hatte, dass der israelitische Kult insgesamt überflüssig und sogar kritikwürdig war? So zum Beispiel Barton 2007, S. 121: „Es kann natürlich sein, dass die Sündigkeit der Kult-Treibenden den Opferkult noch schlimmer als nutzlos machte, aber im Großen und Ganzen war er so und so nutzlos.“ So auch schon Luther in einem faszinierenden Abschnitt seiner Vorlesungen: „Aber du mußt merken, daß an dieser Stelle der Prophet nicht allein auf das gegenwärtige Volk und den gegenwärtigen Gottesdienst sieht, sondern ganz und gar auf die Abschaffung des Gesetzes und des Gottesdienstes. Denn so pflegen die Propheten in ihren Predigten auf die Verheißung des Evangelii und die Abschaffung des gegenwärtigen Gottesdienstes und Königreiches überzugehen. [...] Das ist sicherleich eine große Kühnheit des Propheten, daß er sich unterstanden hat, die dem Scheine nach so überaus heiligen Werke zu verdammen. Aber die Propheten, welche solches verdammten, wurden getödtet als Gottlose und Übertreter des Gesetzes, die den Gottesdienst hinderten, wie auch wir heutzutage leiden müssen, daß sie schreien, wir verdammten gute Werke, da wir ihre Gottesdienste und Werke strafen und verdammen. Aber der Herr will im Glauben verehrt werden. Die Gottlosen gefallen dem Herrn nicht, wie große und glänzende Werke sie auch thun mögen.
Noch heute wendet man gegen die zweite Auffassung gerne ein, dass diese Annahme haltlos sei, denn: „In der Alten Welt, von Ost nach West, lässt sich eine Gesellschaft, die nicht auf Religion und Kult gründete, überhaupt nicht denken.“ (Soggin 1987, S. 99). Aber das ist so nicht wahr und historisch gesehen lässt sich die zweite Auffassung besser erklären als die erste. Ein besonderer Zug der Religion Israels in der Eisenzeit (anders als in der Bronzezeit und anders als in allen umliegenden Staaten) war der, dass Religion überwiegend nicht in großen Tempeln mit Kult-Priestern ausgeübt wurde, sondern in kleinen lokalen Höhen-Heiligtümern ohne spezialisiertes Personal (vgl. z.B. Zwickel 2012). Entsprechend haben die (vielen!) Ausgrabungen in Israel auch kaum eisenzeitliche Tempel zutage gefördert (vgl. z.B. Faust 2019). Bei den wenigen, die entdeckt wurden, ist aber klar, dass sie (spätestens?) ab der Eroberung Israels durch die Assyrer nicht mehr genutzt werden konnten: Der einzige bisher im ehemaligen Nordreich ausgegrabene eisenzeitliche Tempel ist der in Dan (den auch Amos als Kultstätte kannte: Am 8,14). Ähnlich ist der einzigen Tempel des Südreichs, den man bisher ausgegraben hat, der in Arad im Süden des Südreichs, zudem wurde in Beerscheba ein tempel-loser und ursprünglich wohl freistehender Altar gefunden. Bethel und Gilgal sind bisher wie gesagt noch nicht sicher lokalisiert worden, ebenso das Heiligtum in Samaria. Bei Bethel und Samaria ist aber sehr wahrscheinlich, dass sie ab den 720ern nicht mehr für den Kult frequentiert werden konnten, weil sie durch die Assyrer entweiht worden waren (S.: Nimrud-Prisma, Z. 29f.; B.: Hos 10,5f.); für Gilgal setzt das Selbe zumindest Am 5,5 ja deutlich voraus. Für Arad zeigen Ausgrabungen, dass zumindest der Opferaltar ab Ende des 8. Jhd.s nicht mehr verwendet wurde, für Beerscheba ist dies sogar noch klarer, weil die Steine des einstigen Altars für den Bau der Mauer eines im 8. Jhd. errichteten Gebäudes wiederverwendet wurden. Für Dan schließlich zeigen Ausgrabungen, dass die ganze Stadt gegen 734 v. Chr. von den Assyrern zerstört und dann neu errichtet wurde (zur Geschichte von Dan vgl. Arie 2008. Der Tempel in Motza direkt neben Jerusalem war wohl schon ab dem 9. Jhd. keine Kultstätte mehr, vgl. Moulis 2022). Moulis und Elitzur 2023 (die beide noch weitere entsprechende Entwicklungen auch an kleineren Kultstätten auflisten) führen den Tempel-Schwund auf die Kultreform von Hiskija (E.: und die von Joschija) zurück, ignorieren dabei aber die Textzeugnisse zu Bethel, Gilgal und Samaria: Es scheint eher so, dass die Assyrer an vielen Tempeln dem dort verorteten Kult ein Ende gemacht haben, indem sie sie zerstörten oder entweihten. Vielleicht gab es als Reaktion darauf wirklich auch noch zusätzlich eine Kultreform Hiskijas, bei der auch die restlichen Kulthöhen abgeschafft und Jerusalem zum einzigen Kultzentrum gemacht wurde (s. 2 Kön 18,4), was einen weiteren Schwund an Kultstätten zur Folge hatte; vielleicht ist dies aber auch nur eine nachträgliche theologische Verklärung der Tempelzerstörung durch die Assyrer. Jedenfalls scheint sich die religiöse Praxis danach noch stärker in die Sphäre des Haushalts verlagert zu haben, als dies schon vor dieser Zeit der Fall war: Ausgrabungen zeigen, dass ab dieser Zeit die Zahl an kultischen Gegenständen in Privathaushalten stark zunahm (vgl. z.B. Hess 2007, S. 312).
In einer solchen weitgehend kultstätten-losen Zeit ließe es sich historisch sehr gut erklären, dass frühe Theologen Israels wie die Verfasser des Amosbuches, des Hoseabuches, des Michabuches und der des ersten Teils des Jesajabuches zur Auffassung gelangen konnten, dass der israelitische Gottesdienst offensichtlich nutzlos und sogar mehr sündig als gottgefällig sein musste: Wie sonst hätte Gott die Vernichtung dieser Kultstätten zulassen können?
Das wäre theologisch gesehen nicht unbedeutsam. Es heißt nämlich: Zu den vielen verschiedenen Theologien, die sich in der Bibel finden, konnte auch diese gehören: „Gottesdienste sind nutzlos und können sogar sündig und nicht gottgefällig sein.“ Und auch nach der ersten Auffassung oben fände sich alternativ ja mindestens diese Theologie: „Gottesdienste sind dann nutzlos und können dann sogar sündig und nicht gottgefällig sein, wenn die Kult-Treibenden nicht gleichzeitig auch recht handeln.“


aIch ist hier vielleicht JHWH, nicht Amos. Oder aber ich ist zwar noch Amos, mindestens das „Wort“ ab V. 2 ist, anders als man es von der Formulierung her denken würde, das von JHWH und nicht von Amos. Am 5,1 beginnt wie die beiden vorangehenden Kapitel mit „Hört dieses Wort...“. Beide Male wird dadurch ein Ausspruch JHWHs eingeleitet (Am 3,1: „Hört dieses Wort, das JHWH über euch redet...“; Am 4,1f.: „Hört dieses Wort...: Es schwört der Herr JHWH bei seiner Heiligkeit: ...“). Weil in Am 5,1 anders als dort kein Sprecher des wiedergegebenen Ausspruchs in V. 2 identifiziert wird, halten die meisten Am 5,1f. für die Rede des Amos, so dass Am 5,1f. aus dem Muster von Am 3,1 und Am 4,1 fallen würde (z.B. Fleischer 1989, S. 95: „Wäre der Sprecher von V 1 JHWH, so würde man vor dem Höraufruf eine einleitende Botenspruchformel erwarten. Daß erst V 3 mit einer solchen eingeleitet wird, kann zumindest als schwaches Indiz dafür gewertet werden, daß der Verfasser dieses Verses die VV 1-2 nicht als Gottesrede verstanden hat. Damit entsteht aber eine Spannung zwischen dem dbr des Höraufrufs in Am 3,1 und 4,1 und demjenigen in Am 5,1, der auf eine Prophetenwort hinweist.“). Nun folgt aber Am 5,1 direkt auf Am 4,13 (man bedenke hier auch, dass die Aufteilung der hebräischen Bibel in Kapitel erst im 15. Jahrhundert geschah. Ursprünglich ist die Bibel nicht in Kapitel gegliedert, sondern in Abschnitte, die mal enger mit den vorangehenden und/oder folgenden Abschnitten zusammenhängen, mal loser), wo davon die Rede war, dass Gott „dem Menschen seine Klage kündet“ (s. dort); und dies zusammen mit der üblichen Verwendung von „Hört dieses Wort“ macht doch sehr wahrscheinlich, dass hier und im Folgenden JHWH spricht, der nun wirklich „seine Klage kündet“. (Zurück zu v.1)
bTotenklage: Kultischer Volksbrauch im Alten Israel: Starb ein:e Israelit:in, stimmte man eine Totenklage auf den/die Verstorbene:n an (s. z.B. 2 Sam 1,17ff.; 3,33f. zu zwei Totenklagen Davids). Gelegentlich war diese Totenklage auch Aufgabe besonderer Spezialist:innen (s. z.B. Jer 9,16f.19f.; Ez 32,16), von denen in diesem Kapitel auch in V. 16 die Rede sein wird. S. dazu näher Totenklage (AT) (WiBiLex). (Zurück zu v.1)
cHaus Israel - Biblisches Idiom. Weil Kernfamilien i.d.R. zusammen in einem Haus lebten, konnte man „Haus“ auch als Wechselbegriff für „Familie“ verwenden. Diese Verwendung von „Haus“ ließ sich auch ausweiten, so dass „Haus“ auch stehen konnte für die erweiterte Familie (die „Sippe“) und am Ende sogar für ein ganzes Volk, das sich als Nachkommenschaft eines Stammvaters wie hier Israels (=Jakobs, s. Gen 32,29) verstand.
Textkritik: Der Vokativ klappt ungewöhnlich nach; normalerweise würde man ihn am Beginn der Zeile erwarten. LXX und VUL verbinden u.a. deshalb diese Worte mit dem folgenden Vers (wieder: man bedenke hier auch, dass die schriftliche Einteilung hebräischer Texte in Verse frühestens im 8. Jahrhundert geschah). Das ist grammatisch nicht möglich, da „Haus Israel“ maskulin, die folgenden Verbformen dagegen feminin sind. Außerdem findet sich ein vergleichbar nachklappendes „Haus X“ nicht nur hier, sondern auch am Ende von V. 3 und V. 6 und ist daher sogar eher typisch für dieses Kapitel, so ungewöhnlich es im Heb. auch klingt. Der sich durch die Verschiebung ergebende V. 2' ist aber so klar gegliedert, dass auch deshalb leicht einsehbar ist, warum LXX und VUL den Text dennoch so aufgefasst haben:

(A) Das Haus Israel (B) ist gefallen, (C) Es kann sich nicht wieder aufrichten,

(A') Das Mädchen Israels (B') wurde auf seinen Boden geworfen,
(C') Es gibt keinen, der es aufrichtet. (Zurück zu v.1)
dgefallen - und liegt nun im Sterben, daher hier als Einleitung der (etwas voreiligen) Leichenklage. (Zurück zu v.2)
eMädchen Israels - Ein weiteres Idiom; ebenso in Jer 18,13; 31,4.21. Gemeint ist nicht ganz Israel, wie die übliche Üs. „Jungfrau Israel“ nahelegt, sondern hier Samaria, die Hauptstadt Israels. Im ganzen Alten Orient verbreitet war nämlich das Bild von Hauptstädten als Frauen, die in besonders engem Verhältnis zu einer männlichen Gottheit standen. So bes. ausführlich z.B. in Jes 47, wo Babylon nacheinander als „Tochter“, „Mutter“ und „Witwe“ (im Gegensatz zu „Braut“, s. z.B. Jes 62,3f.) dargestellt wird. Die andere geographische Größe, die (sehr häufig) als betulah bezeichnet wird, ist „Zion“, also Jerusalem als die Hauptstadt des Südreiches. Dazu passt dann, dass auch im nächsten Vers nur von einzelnen Städten die Rede ist, und dazu passt weiterhin der geschichtliche Hintergrund, den man für Am 5,1-17 voraussetzen muss (s. die Anmerkungen).
Heb. betulah ist nicht eigentlich die „Jungfrau“, s. Joel 1,8, wo eine Witwe als betulah bezeichnet wird, und m.Nid i 4 und dazu b.Nid 8b, wonach auch Ehefrauen und selbst Mütter betulot sein konnten, solange sie nur noch nicht (das erste Mal) menstruiert hatten. betulah (von btl „trennen, absondern“) ist ursprünglich stattdessen wahrscheinlich das junge und daher regelmäßig noch im Haus ihres Vaters von anderen Männern „abgesonderte“ Mädchen. I.d.R. ist es daher schon eine Jungfrau, in der Wortbedeutung liegt dies aber nicht. Werden daher hier und andernorts Samaria und Jerusalem als betulah bezeichnet, sollen diese Städte damit wahrscheinlich dargestellt werden als von Gott besonders behütete Städte (vgl. bes. Schmitt 1991, S. 386f.), und dies hier und in Jer 18,13 deshalb, weil gerade gesagt werden soll, dass dieses Behütet-Sein von Gott nun nicht mehr gilt. Samaria gehört als „Mädchen“ hier also zum „Hausstand“ des „Hauses Israel“, nämlich als das Nästhäkchen dieser Familie. Dass gerade dieses Nesthäkchen nun sterben wird, ist besonders tragisch. (Zurück zu v.2)
fDies sprach (der Herr) JHWH - Dieser Teil der Zeile ist die sog. „Botenformel“. W. „So sprach/spricht JHWH“, trad. mit Präsens übersetzt. Im Amosbuch wurde in dieser Formel „So“ durchgehend mit „Dies“ übersetzt, weil in Kapiteln 7-9 diese Botenformel auf eine Weise variiert wird, die sich nur dann gut erkennen lässt. Die Übersetzung mit Vergangenheit statt Präsens dagegen ist eigentlich immer sinnvoller; die Vorstellung hinter dieser Formel ist: JHWH hat zu seinem Propheten gesprochen, diesen als seinen Boten ausgesandt, und dieser muss nun, später, wörtlich widergeben, was JHWH ihm mitgeteilt hat. (Zurück zu v.3 / zu v.4)
gauszieht - Gemeint ist der militärische Auszug, s. Gen 4,16; Dtn 20,1; 1 Sam 8,20 u.ö. Dazu passen die Zahlen; Israels Armee war organisiert in „Tausendschaften“ und „Hundertschaften“, s. bes. 1 Sam 22,7; 2 Sam 18,1; auch 1 Sam 17,18; 18,13. Gut daher Wolff: „als Tausendschaft“ und „als Hundertschaft“; gut auch BB („Ziehen aus einer Stadt 1000 Männer in den Krieg...“); LUT („Die Stadt, aus der tausend zum Kampf ausziehen...“); ZÜR („Die Stadt, die ausrückt mit tausend...“) u.a. (Zurück zu v.3)
htFN: übrigbehalten - Prima vista eigentlich: „übrig lassen“; der Hifil von ša`ar ist häufig und hat stets diese Bed. (s. z.B. Dtn 2,34; 1 Sam 14,36; 1 Kön 16,11 u.ö.). Einzige Ausnahme ist vielleicht die stehende Wendung ´ad bilti hisch`ir-lo ßarir „bis ihm kein Überlebender übrig blieb“ (Num 21,35; Dtn 3,3; 28,55; Jos 10,33; 11,8). Wegen der üblichen Verwendung von ša`ar Hifil will Ehrlich 1912, S. 239f. hier stattdessen das Piel tischa`er lesen. Entweder dies, oder ša`ar Hifil hat hier ausnahmsweise die selbe Bed. wie in besagter Redewendung, oder es ist dies die sechste Stelle in Am (nach Am 2,8.13.15; 4,3.7), an der Hifil ungewöhnlicherweise nicht transitive, sondern intransitive Bed. hat (also nicht „übrig lassen“, sondern eben „übrig behalten“). (Zurück zu v.3)
iSucht mich - Zur Bed. s. die nächste FN. (Zurück zu v.4)
jBethel - Name einer Stadt Israels, in der sich ein wichtiges Heiligtum befand; s. zu Am 4,4. W. „Haus Gottes“; Vv. 4f. sind also geradezu paradox: JHWH soll Israel „suchen“, das „Haus Gottes“ aber soll es nicht „auf-suchen“ (im Heb. das selbe Wort). Suchen, Heb. daraš, kann im Zhg. mit dem Kult drei unterschiedliche Bed. haben: (a) „eine Kultstätte aufsuchen“ (s. z.B. Ps 24,6 mit Ps 24,3.7), (b) „Gott (evt.: durch ein Medium) befragen“ (s. z.B. 1 Sam 9,9), (c) „Gott verehren“ – entweder durch kultische Verehrung oder noch häufiger dadurch, dass seinen Geboten Folge geleistet wird (s. z.B. Ps 119,2 mit Ps 119,10.45.94). Klar wird durch das Beieinander von Vv. 4.5 zunächst: daraš heißt überraschenderweise auf jeden Fall schon mal keinesfalls (a) und (c1); das sollen die Angesprochenen gerade nicht tun. Und V. 14 wird dann noch weiter präzisieren: daraš JHWH heißt hier wirklich einzig (c2): Nicht kultische Verehrung, sondern nur gottgemäßes Handeln. In die gleiche Kerbe wird dann deutlichst noch mal Am 5,21-27 hauen.
Im babylonischen Talmud findet sich in b.Mak 23b-24a eine schöne und sehr passende Auslegung dieser Stelle: „Rabbi Simlai lehrte: ‚613 Gebote [die sog. mitzvot, an die strenggläubige Juden sich noch heute halten] wurden Mose gegeben. ... Dann kam David und dampfte die 613 Gebote auf elf ein [denn in Ps 15 stehen elf Vorschriften]. ... Dann kam Jesaja und dampfte sie auf sechs ein [denn in Jes 33,15 stehen sechs Tugenden]. ... Dann kam Micha und dampfte sie auf drei ein [s. Mi 6,8]. ... Dann kam noch mal Jesaja und dampfte sie auf zwei ein [s. Jes 56,1]. ... Und schließlich kam Amos und dampfte sie auf nur noch eines ein [nämlich eben in diesem Vers: Sucht mich (und mehr braucht es nicht, denn schon dann) werdet ihr leben!].‘ Rabbi Nachman ben Isaak wandte ein: ‚Vielleicht bedeutet dieser Vers aber ja: ‚Sucht mich mit allen [Vorschriften der] Torah!‘ Aber auch dann kam ja immerhin Habakuk und dampfte sie zu einem ein, da es dort ja heißt (Hab 2,4): ‚Der Gerechte wird leben durch seinen Glauben.‘‘ (Zurück zu v.5)
kGilgal - Name einer Stadt Israels, in der sich ein weiteres wichtiges Heiligtum befand (s. Ri 3,19; 1 Sam 15,21; Hos 12,12). W. „Steinhaufen-Steinhaufen“, vielleicht i.S.v. „Stein-Kreis“ (vgl. Jos 4,20-22). (zu v.5)
lBeerscheba - Name einer Stadt im Südreich, in dem sich ebenfalls eine wichtige Kultstätte befand (s. Gen 26,25; 46,1). Offenbar war es auch nach der Trennung von Israel und Juda noch üblich, dass Israeliten zu diesem Heiligtum „hinüberzogen“. W. „Brunnen der Sieben“ / „Brunnen des Schwurs“, vgl. Gen 21,22-34. (Zurück zu v.5)
mKlangspiel: gilgal galoh jigleh. Wellhausen daher schön, aber wenig sinngemäß: „Gilgal wird zum Galgen gehen“; näher de Wette („Gilgal entgilt es mit Gefangenschaft“), auch Rudolph (ungefähr: „Für Gilgal gilt: Exil!“) und TUR („Gilgal wird gleich geleert“); ganz fern Ewald („Gilgal wird Galle weinen“) und B-R („der Ringwall, rings gewalzt wird er, abgewalzt“). (Zurück zu v.5)
nBethel + Nichtigkeit - Wahrscheinlich ein Sinnspiel: „Nichtigkeit“, heb. awen, ist d.Ö. ein Schimpfwort für falsche Götzen (s. z.B. Jes 66,3). Dazu soll nun also gerade Bethel, das „Haus Gottes“, werden. Östlich von Bethel lag außerdem ein Ort namens „Beth Awen“ (W. „Haus der Nichtigkeit“; s. bes. Jos 7,2), was geradezu zu Wortspielen einlud – Hosea verwendet daher gleich „Beth Awen“, wenn er gegen Bethel polemisieren will (s. Hos 4,15; 5,8; 10,5), was LUT 1545 + 1912 + 1984 (nicht mehr 2017) offenbar auch hier als ursprünglichen Text ansah („Beth-El wird Beth-Aven werden“). Vielleicht kann man diese Verballhornung wirklich auch schon für die Zeit des Am voraussetzen, so dass hier auch auf diese immerhin angespielt würde. Wellhausen jedenfalls deshalb sehr schön: „Bethel wird des Teufels werden“, weniger sinngemäß Rudolph: „Bethel ist einen Bettel wert“, ähnlich TUR („Bet-El wird zum Bettel“), ähnlich auch Ewald + MEN + NeÜ + SLT („Bethel [Gotteshaus] wird zum Unheilshause werden“) und B-R („Betel, das Gotteshaus, wird zur Argstätte“). (Zurück zu v.5)
otFN: entzünde (spalte, durchdringe, verbrenne, dareinfahre) - Umstrittenes Wort. ṣalaḥ heißt sonst entweder „gelingen, gedeihen, gut zu gebrauchen sein“ oder ausschließlich dann, wenn der „Geist Gottes“ das Subjekt des Verbs ist, „eindringen, durchdringen“ (z.B. Ri 14,6). Im Aramäischen heißt es außerdem „spalten“, was die jüd. Exegeten ibn Janach, ibn Ezra und Kimchi auch hier verstehen („damit Gott das Haus Josefs nicht spalte wie Feuer“). Sonst ist diese Bed. im Heb. aber nicht belegt. Eine weitere Bed. des Wortes könnte dagegen nur in 2 Sam 19,18 belegt sein, wo Personen Subjekt des Verbs sind und viele mit „eilen zu“ übersetzen. Hier ist dagegen Feuer das Subjekt des Verbs, in Sir 8,10 eine dann brennende Kohle sein Objekt. Entsprechend übersetzen hier LXX, VUL, Tg und Syr alle mit einem Wort für „anzünden, entbrennen“.
(a) Nur wenige Kommentare, aber die meisten Üss. orientieren sich an der Primärbed. des Verbs, z.B. : „Sonst dringt er in das Haus Josef ein wie ein Feuer“; Jeremias 1995: „Sonst durchdringt er das Haus Josef wie Feuer“. Aber wie gesagt, dies scheint eine Sonderbed. zu sein, die das Wort nur in Verbindung mit dem „Geist Gottes“ annimmt. (b) Eine ganze Reihe von Exegeten denkt stattdessen, dass das Wort tatsächlich etwas wie „brennen“ bedeuten müsse. (b1) Tawil 2012 und Paul 1991 verweisen daher auf einige hebräische, ugaritische und akkadische Wörter, die primär Verben der Bewegung sind, sekundär aber gleichzeitig die Bed. „brennen“ haben, und nehmen auf dieser Basis an, dass dies auch für dieses Wort gelte. Mit den primären Bedd. „gelingen“ und „eindringen“ passt unser Wort aber nicht sehr gut in dieses Muster; beide müssen daher ganz am unsicheren V. 2 Sam 19,18 ansetzen und dem Wort dort die singuläre Bed. „eilen zu“ geben. (b2) Rudolph und Soggin setzen ein ṣalaḥ II an, das mit Akk. ṣelû „brennen“ verwandt sein soll, aber richtig Paul 1991, s. 165: Dieses akk. Wort heißt eigentlich „räuchern, rösten“ und hat außerdem bereits ein Kognat im heb. ṣalah „rösten“. (b3) Eine dritte Gruppe von Exegeten korrigiert יצלח כאש zu ישלח באש „er sandte=verbrandte mit Feuer (das Haus Josefs)(vgl. Ri 20,48; 2 Kön 8,12) oder zu ישלח אש ב „er sandte Feuer in (das Haus Josefs)(vgl. Ez 39,6; Hos 8,14); so z.B. Maag 1951, Mays 1969. (c) Eine weitere Gruppe von Exegeten schließlich setzt wie Tawil und Paul an der Sonderbed. (?) „eilen zu“ in 2 Sam 19,18 an und lässt sich in der Üs. hiervon leiten, z.B. Ehrlich 1912: „Er wird dareinfahren wie Feuer“; Andersen/Freedman 1989 und Garrett 2008: „Lest he rush upon the House of Joseph like a flame“; Eidevall 2017: „Otherwise he will attack the house of Joseph like fire“.
Alles in allem ist keine dieser Positionen ganz unproblematisch; Sir 8,10 macht aber wirklich sehr wahrscheinlich, dass das Wort auch die Bed. „entzünden“ haben kann. (Zurück zu v.6)
ptFN: wie {das} Feuer - W. „wie das Feuer“, eine heb. Stileigentümlichkeit: Anders als im Dt. wird dort in Vergleichen das Verglichene determiniert, während es im Dt. unbestimmt bliebe (s. ähnlich z.B. Ps 33,7; 104,6; Hld 6,5; 8,6; Klg 2,6.14; Ob 4 u.ö.). (Zurück zu v.6)
qHaus Josefs (V. 6) + Überrest Josefs (V. 15) - Zu „Haus“ s. zu V. 1. Josef war einer der Söhne Israels/Jakobs, das „Haus Josefs“ also ein Teil des „Hauses Israel“, genauer nämlich das Kerngebiet im Zentrum des Nordreiches „Israel“, zu dem unter anderem Samaria und im 8. Jh. auch Bethel gehörte und in dem auch der Rumpfstaat „Ephraim“ lag, auf den Tiglath-Pileser das Nordreich reduziert hatte (s. die Einleitung). Gemeint ist also in V. 6: „Damit Gott nicht auch noch den Rest Israels vernichtet“, in V. 15: „Vielleicht wird Gott dann ja wenigstens diesem Rest Israels gnädig sein“. (Zurück zu v.6 / zu v.15)
rTextkritik: LXX und VL ändern zum nach „das Haus Josef“ glatteren „für das Haus Israel“. Doch Aq, Sym, VUL, Tg und Syr stützen den MT, der daher sicher ursprünglich ist. Viele ältere Exegeten folgten dennoch LXX (z.B. Houbigant, BHK, Cripps, Gordis, BHS); andere strichen einfach die Spezifikation (z.B. Wellhausen, Nowack, Mays, Rudolph). Die Variante der LXX läge merkwürdigerweise auch von der poetischen Struktur von Vv. 4-6 her näher, da diese Verse deutlich eine Ringkomposition bilden (s. z.B. de Waard 1977, S. 172 u.v.a.):
So sprach JHWH zum Haus Israels (lebet jißrael):
Sucht mich, dann werdet ihr leben!
Aber sucht nicht auf Bethel
Und nach Gilgal geht nicht
Und nach Beerscheba zieht nicht hinüber,
Denn Gilgal wird ganz bestimmt ins Exil gehen
Und Bethel wird zur Nichtigkeit.
Sucht JHWH, dann werdet ihr leben!
Damit er nicht entzünde wie Feuer das Haus Josefs, das verbrennt, während niemand löscht [für das Haus Israels (lebet jißrael statt lebet-el)].
Dennoch, eine solche textkritische Operation wäre heute durchaus nicht mehr zulässig; wie dieses so naheliegende „Haus Israel“ derart einheitlich zu „Bethel“ verderbt worden sein sollte, ließe sich ja gar nicht erklären. (Zurück zu v.6)
sRecht in Wermut verwandeln - Gut Driver 1915, S. 182: Durch sie entartet also das Recht, das eigentlich ein Instrument für das gute Leben sein soll, zu etwas Bitterem. Wie das funktionieren kann, zeigen Vv. 10-12. (Zurück zu v.7)
ttFN: Asyndetischer Relativsatz. Folgt ein solcher auf einen Vokativ, wird an diesen regelmäßig nicht mit einem Verb in der 2., sondern in der 3. Pers. angeschlossen. Vgl. z.B. Jes 54,1: „Sing, du Unfruchtbare, ([die] sie hat nicht empfangen=) die du nicht empfangen hast“ ; Zef 2,1: „Komm und versammele dich, oh Volk, ([das] es schämt sich nicht =) das du dich nicht schämst“ u.ö.; zum Phänomen vgl. Joosten 1993. Ähnlich übersetzen ohne Kommentar z.B. Jeremias, Niehaus. Dank dieser Konstruktion hat V. 7 eine sehr ähnliche Verbformen-Abfolge wie die folgenden Verse.
Andere Deutungen: (1) Alternativ müsste man mit Ehrlich 1912, S. 240 den Artikel in 7a als Relativpartikel fassen, die sich auf „das Haus Josefs“ und „Bethel“ bezieht: „Damit er nicht entzünde wie Feuer das Haus Josefs, das verbrennt, während niemand löscht für Bethel, die Recht-in-Wermut-Verwandler [sind], [die] die Gerechtigkeit zu Boden werfen!“
(2) Die meisten korrigieren dagegen den Text ohne jeglichen Rückhalt in der Überlieferung:
(2a) Die meisten ergänzen ein „Wehe!“, nach dem V. 7 dann als klagender Ausruf „in der Luft hängen kann“: „Wehe über die, die das Recht in Wermut verwandeln!“
(2b) Ebenfalls nicht wenige schließlich verschieben den ganzen Vers, sodass V. 7 direkt an V. 10 anschließt („Die Recht-in-Wermut-Verwandler ... hassen im Tor den Käger.“).
(3) Andere Versuche, mit dem überlieferten Text zurechtzukommen, finden sich selten. Einigermaßen trifft es zumindest zu auf die Vorschläge von Mays und Anderson/Freedman einerseits und den von Eidevall andererseits, die dafür aber jeweils singuläre syntaktische Konstruktionen annehmen müssen:
(3a) Die einen glauben, auch ohne ein einleitendes „Wehe“, das man hier aber dennoch mithören müsse, könne der Vers als klagender Ausruf in der Luft hängen ([Oh,] die Recht-in-Wermut-Verwandler!“).
(3b) Der andere denkt, V. 7 sei Beginn des Satzes, der in V. 10 endet und in den Vv. 8f. als riesige Mehrsatz-Parenthese eingeschoben ist („Sie, die das Recht zu Wermut verwandeln, die ... – Er, der die Plejaden und den Orion machte, der ..., JHWH ist sein Name! Er, der Verwüstung aufblitzen lässt... – diese also, sie hassen...“). Beides ist sehr unwahrscheinlich. (Zurück zu v.7)
uProsopopoeia: Wie oben Samaria als Mensch dargestellt wurde, der „zu Boden fallen“ kann, so hier die „Gerechtigkeit“, die „auf die Erde geworfen wird“. Nachträglich erweist sich so der Sturz Samarias als Umkehrstrafe: Er wird so geschehen, wie er geschehen wird, weil die Israeliten so handeln, wie sie eben handeln.
Zum Zhg. von Vv. 7.8f. gut Hitzig und Keil: „Den Gedankenzusammenhang zwischen v. 8 u. 7 hat Hitzig richtig so angegeben: ‚Sie tun also, während Jehova der Allmächtige ist und plötzlich Verderben über sie bringen kann.‘“ (Keil 1866, S. 200). Vv. 7.8 werden zusätzlich zusammengeschlossen durch die selbe Verbformensequenz (s. zu 8c), die in beiden Vv. aber eine us. Funktion hat, und durch die Wiederholung der Worte „verwandeln“ und „Erde“. (Zurück zu v.7)
vPlejaden und Orion, im Heb. w. „der Haufen“ und „der Narr“, sind zwei benachbarte Sternbilder. Sie sind nicht zusammen mit der Rede vom Wechsel von Tag und Nacht in Zeile b-c ein eigenes Thema neben dem zweiten Thema des Regen-Machens in Zeilen d-e, sondern besonders die Plejaden, ein sehr heller Sternhaufen (daher eben heb. kimah, „Haufen“) aus sieben Sternen, waren im Alten Israel mit dem Regen und den Gezeiten assoziiert. Nach ältester Vorstellung führten sie wohl Regen und Flut ähnlich herbei, wie in Ägypten der Stern Sirius die Nilschwemme herbeiführte, und wurden daher noch lange als Götter verehrt (s. bes. 2 Kön 23,5). In Ri 5,21 ist daher das starke Strömen des Kischon wahrscheinlich nicht etwa unabhängig vom „Kampf der Sterne“ mit Sisera in Ri 5,20, sondern gerade die Waffe der Sterne. Später wandelte sich die Vorstellung dann dahin, dass Gott sich der Sterne als Instrumenten bediente, um Einfluss auf Regen und Gezeiten zu nehmen; daher beginnt eben hier der Vers mit der Rede von den Plejaden und dem Orion und endet mit der Rede von Ebbe und Regen; ebenso steht in Ijob 38,25-35 ein kurzer Abschnitt über die Sterne zwischen zwei Abschnitten über Witterung und Gezeiten. V. 8 beleuchtet daher mehrere Aspekte nur eines Themas: JHWH spendet den Regen – zum einen nämlich mittelbar insofern, als er die unmittelbar den Regen herbeiführenden Gestirne geschaffen hat und ihnen mit der Nacht einen eigenen Herrschaftsbereich einräumt, zum anderen selbst unmittelbar, insofern er zunächst die Meerwasser verdunsten lässt und dann wieder über die Erde ausgießt (eine mythische und eine quasi naturwissenschaftliche Erklärung des Regens werden hier also nebeneinander genannt. Dazu, dass auch im Alten Israel hier an Meerwasser gedacht werden konnte und nicht an Wasser des Himmelsmeeres gedacht worden sein musste, wie Koch 1974, S. 518 meint – was aber auch möglich wäre – vgl. die Deutung von Gen 2,6 durch Rabbi Eliezer (1. Jh. n. Chr.) in b.Taan 9b: „Es wird gelehrt, dass Rabbi Eliezer sagte: ‚Die ganze Welt trinkt von den Wassern des Ozeans, wie es ja heißt: ‚Nebel stieg von der Erde auf und bewässerte die ganze Erdoberfläche‘ (Gen 2,6).‘ Rabbi Jehoschua wandte ein: ‚Aber die Wasser des Ozeans sind salzig!‘ Er antwortete: ‚Sie werden in den Wolken noch gesüßt.‘). V. 8 ist damit Vorbereitung der ersten Hälfte von V. 11, wie V. 9 die zweite Hälfte vorbereitet; s. dort.

Die Identität des „Narren“ als Orion ist leicht umstritten; Dalman in AuS I, S. 486-489 und z.B. auch Koch 1974, S. 518f. halten ihn stattdessen für den Sirius. Ihre Gründe sind gut, die Identität des „Narren“ ist aufgrund der übereinstimmenden Üss. in mehreren alten Vrs. aber fast sicher (vgl. dazu z.B. den entsprechenden Abschnitt in Sterne / Sternbilder / Sterndeutung (WiBiLex)).

Genauer: Weil der Zusammenhang der Plejaden mit dem Regen auch in der atl. Exegese nicht allgemein bekannt ist, seien hier einige Hintergründe und Belegstellen aus den rab. Schriften zusammengetragen.
Wann sich Sternbilder wo zeigen, hängt vom Ort der Himmelsbeobachtung und von der Jahreszeit ab; im Alten Orient dienten die Sterne daher allgemein und häufig als Zeitmesser und galten als Einflüsse auf die jahreszeitentypischen Witterungsverhältnisse. Neben dem Zeitraum, während dem ein Sternbild gar nicht zu sehen war, weil es zeitgleich mit der Sonne am Himmel stand, schenkte man v.a. in alten ägyptischen und sumerischen Texten besonders drei Zeitpunkten besondere Aufmerksamkeit: (1) Dem Zeitpunkt des „Aufgangs“ eines Sternbildes – dem Zeitpunkt also, an dem sich das Sternbild das erste Mal im Jahr wieder kurz am Morgen am Himmel zeigt, bevor die Sonne aufgeht (der sog. „heliakische Aufgang“), (2) dem Zeitpunkt, zu dem das erste Mal das Sternbild bereits mit Sonnenuntergang sichtbar ist („akronychischer Aufgang“), und schließlich (3) einem zwischen (1) und (2) liegenden Zeitpunkt, zu dem dieses Sternbild beim Sonnenuntergang „im Zenit“ steht („akronychische Kulmination“).
Mit dem Heliacal Rising Simulator der Uni Nebraska lassen sich diese Daten für das heutige Israel komfortabel berechnen, wegen der Präzession der Erde muss man für die Verfassungszeit des Amosbuches aber etwa einen Monat abziehen (vgl. zum Phänomen schön verständlich Puls 1998). Danach wären die Plejaden zur Abfassungszeit des Amosbuches nur im April fast gar nicht zu sehen gewesen, weil sie zeitgleich mit der Sonne am Himmel standen. Um den 18. April zeigten sie sich das erste Mal kurz am Morgenhimmel, bevor die Sonne aufging (1), und dieser Zeitpunkt des Aufgangs der Plejaden rückte dann jeden Tag um vier Minuten nach vorne, bis sie Ende September schon mit Einbruch der Abenddämmerung sichtbar waren, dann die ganze Nacht hindurch am Himmel standen und erst nach 8 Uhr und damit nach Sonnenaufgang für das menschliche Auge unsichtbar untergingen (2). Anfang Januar standen sie außerdem zum Zeitpunkt des Sonnenuntergangs im Zenit (3). Beim Orion liegen diese Zeitpunkte alle etwa 1,5 Monate später; sicher schon mal nicht korrekt ist daher, was in manchen Kommentaren und Aufsätzen zu lesen ist – dass die Plejaden den Winter und der Orion den Sommer signalisieren / herbeiführen.
Weil in Israel die für den Ackerbau wichtige Regenzeit gegen Ende September/Anfang Oktober und damit etwa zeitgleich mit dem akronychischen Aufgang der Plejaden einsetzte, wurden die Plejaden zum Signal für den Beginn der Regenzeit. In b.RH 11b-12a wird daher die Regenzeit vom Stand der Plejaden her bestimmt: „Rabbi Yehoschua sagte: ‚[Die Flut geschah] am siebzehnten Ijjar, einem Tag, an dem die Plejaden am Tag untergehen und die Quellen beginnen, weniger Wasser zu geben [, also in der Dürreperiode vor September].‘ Rabbi Eliezer [widersprach]: ‚Sie geschah am siebzehnten Marcheschvan, einem Tag, an dem die Plejaden am Tag aufgehen und die Quellen daher gerade aufgefüllt werden [also in der Regenperiode].‘“ Beide stimmen aber darin überein, dass Gott die Flut herbeigeführt habe, indem er Einfluss auf die Plejaden ausgeübt haben; ebenso b.Ber 59a: „Als der Heilige, gelobt sei er, die Flut über die Welt bringen wollte, nahm er zwei Sterne der Plejaden und brachte die Flut über die Welt.(vgl. zu diesen Stellen gut auch Robbins 1999. Wie sie auf ihre Daten auf S. 339 kommt, legt sie leider nicht offen). Vgl. schließlich JosAnt 13.8.2, wo Josephus von Regenfällen berichtet, die „[erst] mit dem Untergang der Plejaden einsetzten“, weshalb der belagerte Hyrcanus Durst leiden musste. Gemeint ist wahrscheinlich, dass dieses Jahr ein Dürrejahr war, und erst ein Frühlingsregen im April den Belagerten Erleichterung brachte – doch selbst dies wird an den Lauf der Plejaden gekoppelt.
Verwandt hiermit ist, dass die akronychische Kulmination der Plejaden Anfang Januar zum Signal des Endes der Pflanzzeit und des Beginns der Zeit des Wachsens der Pflanzen wurde (zu den Aussaatzeiten der wichtigsten Feldfrüchte vgl. die Tabelle in Ackerbau (WiBiLex)). Vgl. b.BM 106b: „Bis wann [geht die Pflanz-Zeit]? Rabbi Pappa sagte: Bis der Bauer vom Feld kommt und die Plejaden [dann] über seinem Kopf scheinen [also zum Zeitpunkt ihrer akronychischen Kulmination Anfang Januar].
Ähnlich verwandt ist wohl auch Midrasch BerR x 6: „Rabbi Simon sagte: ‚Es gibt kein einziges Kraut oder Gewürz ohne ein eigenes Sternbild, das es anreizt und ihm zu wachsen befiehlt.‘ [...] Rabbi Chanina bar Pappa und Rabbi Simon [deuteten Ijob 38,31]: ‚Die Plejaden reizen die Früchte auf[, regen also ihr Wachstum an].‘“ – was letztlich wohl naturwissenschaftlich gesehen nur heißt, dass sie ab dem Zeitpunkt der Plejaden-Kulmination im Januar und bis zu ihrem Untergang im April am schnellsten wachsen. (Zurück zu v.8)
wtFN: Zur zweimaligen Fortsetzung des Partizips durch Waw-X-Qatal oder Waw-X-Yiqtol s. den Kommentar zu Am 2,7. (Zurück zu v.8 / zu v.9)
xW. „[Er ist] der Rufende der Meereswasser und gießt sie dann aus...; JHWH ist sein Name!“ (Zurück zu v.8)
ytFN: der Starke (die Burg) - Heb. עָז, entweder Pausalform von עַז „der Starke“ oder von עֹז „das Starke, die Burg“. Einige Exegeten (z.B. Andersen/Freedman, Eidevall, Hammershaimb, Maag, Mays, Reimer 1992, S. 103) und ZÜR31 wählen die zweite Variante, in dt. Üss. viel verbreiteter ist die Variante „über Starke“. Das ist auch gut so; mit der Variante „Burg“ würden 9a und 9b ja nicht nur gut zusammenpassen, sondern 9b wäre in solchem Maße gleichbedeutend mit 9a, dass die Zeile ganz redundant wäre. (Zurück zu v.9)
ztFN: ...-Verwüstung-aufblitzen-Lasser (...-Verwüstung-Lächler) - unsicheres Wort. Das Wort balag ist wohl verwandt mit arab. balağa „glänzen, leuchten“. In der Bibel steht es sonst nur noch in Ijob 9,27; 10,20; Ps 39,13 und bedeutet nach dem Kontext dort stets „aufheitern, erholen“. So deuten hier frei auch Aq, Sym, VUL und Saadja (z.B. VUL: qui subridet vastitatem super robustum „der Verwüstung über den Starken spottet“, via „aufheitern“). Ähnlich glauben Garrett 2008 und Jeon 2015, das Wort könne hier in dieser Bed. wörtlich, aber ironisch verwendet werden: „Verwüstung auf den Starken herablächeln“. Die meisten glauben aber besser, dass das Wort hier näher an seinem arabischen Kognat liegt als bei den anderen drei Stellen und etwas bedeutet wie „aufleuchten, aufblitzen, plötzlich erscheinen“, was auch im Mittelhebräischen häufig und im Neuhebräischen ausschließlich die Bed. dieses Wortes ist (so z.B. Keil, Gordis, Rudolph, Soggin, Eidevall, Ges18, KBL3). Daneben sind viele verschiedene Textkorrekturen verbreitet; am häufigsten nach LXX, die mit „der zuteilt“ übersetzt, von המבליג zu המבדיל (z.B. Andersen/Freedman, Wolff) oder המפליג (so z.B. BHS, Paul; beides zur Not: „der zuteilt“), daher HER05: „Verderben bestellt er über den Starken“; verbreitet auch המפיל „der herabsendet“ (so z.B. Marti, Mays), weshalb wahrscheinlich H-R: „Er läßt Verderben über die Starken kommen“, R-S: „Vernichtung bringt er starken Plätzen“, ZÜR31: „ER lässt Verderben auf die Burgen fallen“.
Textkritik: Eine verblüffende Textkorrektur sei bei dieser Gelegenheit noch erwähnt: Ohne irgendeinen Anhalt in der Überlieferungsgeschichte des Textes liest Hoffmann 1883 statt šod „Vernichtung“ jeweils šor „Bulle“ und vokalisiert außerdem `az „Burg“ als `ez „Ziege“ und mibṣar „Festung“ als mebaṣer „Weinleser“ (was nicht einmal die Bed. des Wortes sein kann, vgl. Zalcman 1981, S. 55f.) und kommt so zu der völlig anderen Übersetzung „der den Bullen direkt nach der Ziege aufgehen / und den Bullen direkt nach dem Weinleser untergehen lässt“. V. 9 wäre dann also noch einmal ein nachgeschobener Astronomie-Abschnitt, denn „der Bulle“ soll das Sternbild Taurus, „die Ziege“ das Sternbild Capella und „der Weinleser“ das Sternbild Vindemiatrix sein. Ganz verblüffend hat er damit ziemlich viele Anhänger gefunden, z.B. BHK, BHS, Driver 1953, S. 209; Maag, Snaith, Cripps, NEB; so tatsächlich auch noch Ges18, S. 151. Ähnlich auch Duhm, Nowack und Greßmann, die noch einen Schritt weiter gehen und zusätzlich zunächst das zweite šod nach LXX als šeber lesen (s. nächste FN) und dann šeber zu šebo „Edelstein“ emendieren, das dann für das Sternbild Gemma stehen soll.
Dass sich dieser Vorschlag so immer noch in Ges18 findet, ist klar ein Anachronismus; derartige textkritische Operationen entsprechen mitnichten mehr den Normen der Textkritik. (Zurück zu v.9)
aaTextkritik: Das selbe Wort wie in Zeile a. Das ist ungewöhnlich, aber vgl. allein im Am noch Am 3,9; 9,5 – möglich ist es schon. Hinzu kommt aber, dass LXX die beiden Worte mit zwei unterschiedlichen griechischen Worten übersetzt: syntrimmon ... talaiporian „Verwüstung und Mühsal“. Das könnte darauf weisen, dass ursprünglich statt dem zweiten šod ein anderes Wort im Urtext stand; vermutlich dann šeber („Bruch, Zusammenbruch“. Vgl. Jes 60,18: šod wašeber = syntrimma kai talaiporia). Auch dieses Indiz ist aber nicht eindeutig; vgl. Jer 4,20: šeber ´al-šeber = talaiporia kai syntrimmon. LXX könnte also ebenso gut aufgrund anderer stilistischer Normen tatsächlich die beiden identischen Worte durch zwei unterschiedliche übersetzt haben, so dass letztlich keine der alten Vrs. wirklich eindeutig einen anderen Urtext bezeugt. Ältere Exegeten hielten dennoch häufig šeber statt dem zweiten šod für ursprünglich, woraus sich wahrscheinlich die vielen Varianten in dt. Üss. erklären, die hier mit us. Wörtern übersetzen. Bspp: HER05: „Verderben + Vernichtung“, MEN + NeÜ: „Vernichtung + Verwüstung“, PAT: „Verderben + Zerstörung“.
Auch die alten Rabbinen hat diese Wortwiederholung offenbar gestört, weshalb sie das erste „Zerstörung“ konkreter als „Zerstörer“ ausgedeutet haben: Als das Fabelwesen Schamir, einen Wurm, der sich durch Holz, Stein und Eisen fressen konnte und den man, um ihn davon abzuhalten, in eine mit Gerstenkleie gefüllte Bleiröhre sperren musste (j.Sot ix 13). (Zurück zu v.9)
abTextkritik: er wird bringen (will bringen, bringt, es kommt) - MT wie in der letzten Alternativüs.: jbw „kommt“. Alle anderen Textzeugen (LXX, Sym, VUL, Tg, Syr) übersetzen aber mit „bringt“, was eine Textvorlage jbj nahelegt. Bei einer so einheitlichen Bezeugung ist sicher jbj als die ursprünglichere Variante einzuschätzen; so z.B. auch BHS (BHQ entscheidet sich nicht), Mays, Gordis, Rudolph, Soggin, Paul, Jeremias. MT für ursprünglicher halten aber z.B. auch die wichtigen Kommentare von Wolff, Andersen/Freedman, Garrett, Eidevall u.a. (Zurück zu v.9)
ac[indem er spricht:] - Die folgenden Vv. 10-13 sind anders als die vorangehenden Verse gattungsmäßig klar ein Urteilsspruch, der aber thematisch eng mit diesen Versen zusammenhängt (s. die Anmerkungen). Wahrscheinlich sind daher Vv. 10-13 wörtliche Rede Gottes und als solche die wörtliche Ausführung des Urteils, mit dem JHWH Verwüstung über die Festung bringt. (Zurück zu v.9)
ad
Stadtplan des alten Beersheba. (c) https://www.biblewalks.com/telbeersheba
Tor + Kläger (Richter) - Übersetze etwa: „Sie hassen, wer vor Gericht sein Recht einklagen will“. Größere Städte im Alten Israel hatten als Tore häufig nicht nur größere Türen, sondern die Stadttore waren ein relativ großflächiger architektonischer Komplex (für ein Bsp. s. rechts). Versammlungen wurden daher nicht auf dem Stadtplatz, sondern „in den Toren“ abgehalten (s. z.B. Neh 8,1; 2 Chr 32,6). Auch die Rechtsprechung im Alten Israel fand daher meist „im Tor“ statt (s. z.B. Dtn 21,18-20; 25,7-9; Rut 4). An dieses Szenario hat man hier also zu denken.
Welche Funktion in diesem Rechtssystem der mokiaḥ hatte, ist unsicher. Das Verb jakaḥ kann zu Beginn eines Konflikts „tadeln, anklagen, zur Rede stellen“ bedeuten (s. z.B. Gen 21,25; Ijob 6,25f.; 13,3; 22,4; 40,2), am Ende eines Konflikts aber auch „richten; feststellen, was Recht ist“ und in der Folge sogar „bestrafen“ (s. bes. Spr 24,24f.; z.B. auch Gen 31,37; 1 Chr 12,17; Ijob 13,10; 23,7; Ps 6,2; vgl. Boecker 1970, S. 45-47). Entsprechend könnte ein mokiaḥ theoretisch entweder ein „Ankläger“ (z.B. PAT: „Anwalt“; TUR: „der, der im Tor rügt“) oder ein „Richter“ sein (z.B. NL: „Richter“; LUT 17 + SLT: „der, der im Tor Recht spricht“; ZÜR: „der, der den Entscheid fällt“). Führt man sich vor Augen, dass ein Rechtsstreit im Alten Israel üblicherweise von den streitenden Parteien selbst vor die Richtenden getragen wurden (s. nur die drei obigen Beispielstellen), wird es aber wahrscheinlich kein eigenes Ankläger- oder Anwalts-„Amt“ gegeben haben; genauer hat man also entweder zu denken an einen ungerecht Behandelten, der seine eigene gerechte Sache vor Gericht bringen will, oder eben an den Richter im Tor. V. 12 macht dann die erste Möglichkeit wahrscheinlicher. Außerdem deshalb: Im Alten Israel gab es natürlich keine hauptamtlichen Richter, sondern das Recht wurde üblicherweise von den „Ältesten“ gesprochen, also von respektablen Bürgern einer Stadt, die nebenbei als eine Art Schöffen fungierten. Und richtig dann Fleischer 1989, S. 155: „Da anzunehmen ist, daß die Adressaten der Anklagen des Amos, die allem Anschein nach der Oberschicht zugehören, selbst aufgrund ihrer Position die Richterfunktion am Tor an sich gerissen haben, wäre die Rede vom ‚Haß auf den Richter‘ verwunderlich.“ (Zurück zu v.10)
aeTextkritik: den aufrichtig Sprechenden (das aufrichtig Gesprochene) - Die heb. Konsonanten dbr tmjm lassen beide Möglichkeiten zu, da dbr sich sowohl als dober „Sprechender“ als auch als dabar „Gesprochenes“ vokalisieren ließe. MT vereindeutigt durch Vokalisierung und VUL, Tg und Syr durch Üs. zu „Sprechender“, LXX, Theod und Sym dagegen durch Üs. zu „Gesprochenes“. Nach 10a war mit den Konsonanten wahrscheinlicher die erste Variante angezielt als die zweite. (Zurück zu v.10)
afDarum: - d.h.: „Darum gilt für euch dieses Urteil Gottes:“ (Zurück zu v.11)
agtFN: trampeln (zertrampeln, Getreide eintreiben) - Unsicheres Wort. Die Versionen helfen auch nicht weiter: LXX und Syr übersetzen wie in Am 2,7 mit „niederprügeln“, VUL und Tg wohl via bzz als „ausplündern“. Heb. hat die Konsonanten bšskm, ein zugrundeliegendes Verb bšs ist aber sonst nicht mehr belegt. Zwei Deutungen sind verbreitet: Die einen halten nach Wellhausen 1893, S. 81 bšs für ein angezieltes b(w)s („trampeln“), das fälschlich als geschrieben und dann zu bs korrigiert wurde, wonach dann die Varianten š und s beide als Konflation in den Text geraten wären (wie dies sicher ebenso geschah bei npjšsjs in Neh 7,52 und bei ´mšsj in Neh 11,13). Ältere Exegeten hielten alternativ bšs nur für eine dialektale Nebenform oder Verschreibung von bss (Polel von b(w)s: „zertrampeln“; so z.B. schon Vater 1810, Keil 1866, ähnlich bereits Raschi, Kimchi). So z.B. B-R: „Weil ihr den Armen zertrampelt“ NL: „Ihr tretet die Armen in den Staub“; MEN + SLT: „Weil ihr den Geringen niedertretet“. Die anderen wollen mit Torczyner 1936, S. 6f. das Wort herleiten vom akkadischen šbš („Getreideabgaben erheben“), das so ins Hebräische gewandert wäre, dass sowohl Konsonantenwechsel (šbš > šbs) als auch Metathesis (šbs > bšs) stattgefunden hätte. Gemeint wären dann wieder Abgaben von landwirtschaftlichen Subunternehmern, die ihr Land von Großgrundbesitzern pachteten und dafür hohe Abgaben zu zahlen hatten, s. zu Am 2,8. So z.B. BB: „Ihr fordert Pachtzinsen von dem Hilflosen“; : „Weil ihr vom Hilflosen Pachtgeld annehmt“; NeÜ: „Weil ihr vom Hilflosen Pachtgeld verlangt“; ZÜR: „Weil ihr dem Hilflosen Pachtzins auferlegt“. Beides ist nicht unproblematisch und erschwerend kommt hinzu, dass weder das akkadische Wort šbš noch das hebräische Wort b(w)s sonst wie hier mit der Präp. ´al belegt sind. Die zweite Variante ist aber wohl nur deshalb so beliebt, weil sie so gut zu der üblichen Übersetzung „Korn-Abgaben“ in der nächsten Zeile passt, womit man diese Zeile aber missverstehen dürfte (s. gleich); vorzuziehen ist daher sehr wahrscheinlich die erste Variante. (Zurück zu v.11)
ahKorn-Darbringungen (erlesene Geschenke, Korn-Abgaben?) - Üblicherweise übersetzt entsprechend der zweiten Alternativüs. Zu „Korn“ vs. „erlesen“ s.u. Für die Üs. „Abgaben“ orientiert man sich am punischen Kognat, das „Abgabe“ heißt, und an 2 Chr 24,6.9, wo das Wort oft als „Steuern“ gedeutet wird („Warum hast du die Leviten nicht aufgefordert, aus Juda und Jerusalem zu bringen die maß`et des Mose und der Versammlung Israels für das Zelt des Zeugnisses? ... Da rief man aus, dass man JHWH die Mose-maß`et Israels in der Wüste darbringen sollte.“). Effektiv geht es dort zwar wirklich um eine Steuer, da mit dieser Eintreibung jährlich der Tempel renoviert werden soll; was Mose den Israeliten nach Ex 30,12-16 auferlegte, war aber keine Steuer, sondern ein jährlich zu entrichtendes monetäres Sündopfer für JHWH, wie ähnlich auch das fragliche Wort selbst in Ez 20,40 für ein Opfer für JHWH gebraucht wird. Man darf diese „Abgabe“ also nicht als „Steuer“ im eigentlichen Sinne verstehen, und entsprechend heißt das Wort häufiger (ungeschuldetes!) „Geschenk“ oder „Ehrengabe“ s. Gen 43,34; 2 Sam 11,8; Est 2,18; Jer 40,5. Gemeint sind damit also wahrscheinlich nicht reguläre Pachtzinsen, zu denen man sich hinzudenken muss, dass diese häufig exorbitant hoch waren, sondern im Gegenteil irreguläre Abgaben, die die Armen den Angeklagten geben mussten, ohne dass sie diesen zugestanden hätten. Orientiert man sich am MT mit bar=„Korn“ (aber s. gleich), ist hier also vom Selben die Rede wie in Am 2,8: Reiche Großgrundbesitzer bereichern sich an Armen noch zusätzlich zu den ohnehin schon exorbitant hohen Pachtzinsen für ihre Kornfelder, weshalb diese dann z.B. auch noch selbst ihre Mäntel pfänden mussten.
Textkritik: MT hat bar „Korn“. Das lässt sich allerdings durch keine der Vrss. stützen: LXX und Syr setzen statt br „Korn“ brrwt voraus (oder brr, wenn defektiv [wie dies LXX und Syr auch für mß`t voraussetzen und daher stattdessen entsprechend mß`wt deuten] und wenn t- des folgenden tiqḥu shared consonant ist: מַשְׂאֹת בְרֻרֹ תִּקְחוּ), VUL brr, LXX und Syr also den Pl. und VUL den Sg. von brr („ausgewählt sein, auserlesen sein“, s. 1 Chr 7,30; 9,22; 16,41; Neh 5,18). Daher LXX + Syr: „auserlesene Geschenke“, VUL: „auserwählte Beute“. Tg dürfte den selben Text vorliegen gehabt haben, dann aber wie VUL gedeutet und frei mit ähnlichen Worten wie im folgenden Vers übersetzt haben: „ergaunertes Geld“. Kommentare und Üss. und daher auch OfBi folgen sehr einheitlich dem MT, an sich spricht die Evidenz aber recht stark für ein ursprüngliches brr statt br. Gemeint wäre dann etwas wie „Weil ihr gleichzeitig zum Einen die Armen ausnehmt und zum Anderen auch noch erlesene Geschenke von ihnen annehmt, gilt für euch: ...“. (Zurück zu v.11)
aiHäuser aus behauenen [Steinen] - Also protzigen Gebäuden im Vergleich zu den Lehmziegel- oder Feldstein-Hütten, in denen viele Israeliten wohnten. (Zurück zu v.11)
aj
Assyrer fällen nach Belagerungssieg Dattelpalmen der unterlegenen Stadt. (c) Paterson 1912: Assyrian Sculptures. S. 13.
11c-f ist der sog. „Vergeblichkeitsfluch“, der in der Bibel häufig verwendet oder auf den zumindest angespielt wird. S. noch Am 9,14; auch Dtn 20,5f.; 28,30.39; Jes 65,21f.; Jer 29,5.28; 31,4; Ez 28,26; 36,36; Mi 6,15; Zef 1,13. Smoak 2008 hat einen längeren Artikel über diesen Fluch verfasst; er glaubt, dieser Fluch sei aufgekommen, als die Assyrer den Belagerungskrieg „erfanden“, bei dem nach dem Sieg nicht nur die Stadt geschleift, sondern außerdem auch die umliegenden Gärten und Felder verwüstet wurden (für eine Abbildung s. rechts). Diese Kriegstaktik gab es aber bereits viele Jahre zuvor z.B. bei den Ägyptern, s. z.B. den Bericht von Pharao Pepis Offizier Uni: „Die Armee kehrte sicher zurück, nachdem ich ihre Stadtmauern einstürzen lassen hatte. Die Armee kehrte sicher zurück, nachdem ich ihre Feigenbäume und Weinstöcke niedergemäht hatte. Die Armee kehrte sicher zurück, nachdem ich Feuer an all ihre Behausungen gelegt hatte.(nach ANET 228). Oder s. die Drohung auf der Kriegsstele des Ka-mose: „Du Ruchloser, du elender Aamu! Sieh! Ich trinke vom Wein deines Weingartens! ... Ich vernichte deinen Wohnsitz! Ich haue deine Bäume um!(TUAT I/6, S. 531).
Solche Kriegstaktiken könnten wirklich der Ursprung dieses Fluches sein; mitgehört werden müsste also jeweils: „Du wirst das Haus, das du gebaut hast, nicht bewohnen, [weil es vernichtet werden wird]. Du wirst den Wein der Weingärten, die du gepflanzt hast, nicht trinken, [weil sie zerstört werden werden].“ In unserem Kontext ist aber ja klar, warum die Angeklagten ihre Häuser nicht bewohnen und ihre Ernten nicht einholen können werden: Weil Gott der Herr des Regens ist und als solcher ihre Weingärten verdorren lassen wird, und weil Gott außerdem ihre „Festungen“ vernichten werden wird (s. Vv. 8f.; s. ähnlich Am 4,7-9.11). (Zurück zu v.11)
akBußgeld (Schweigegeld) - Beides ist möglich; nicht sehr wahrscheinlich ist dagegen die ebenfalls häufige Übersetzung „Bestechungsgeld“. kofer kommt von kafar „zudecken“; besonders häufig ist das abgeleitete Verb kipper „sühnen, ein Sühnopfer darbringen“ (weil mit solchen Sühnopfern sozusagen die Sünden „zugedeckt“ und so aus der Welt geschafft werden). Zunächst ist kofer also ein „Zudeckungsgeld“ (B-R). Sicher meint es als solches mindestens auch das Strafgeld, mit dem eine vor Gericht festgestellte Schuld abgegolten werden konnte (s. Ex 21,30; einige Verbrechen konnten durch solche Bußgelder nicht abgegolten werden, s. Num 35,31). 1 Sam 12,3 legt außerdem sehr nahe, dass es auch „Schweigegeld“ bedeuten kann: „Wem habe ich Gewalt angetan? Oder von wem habe ich kofer angenommen, sodass ich meine Augen verschlossen hätte?“ Für die Bed. „Bestechungsgeld“ dagegen, das in Ex 23,8 als šaḥar „Geschenk“ bezeichnet wird, gibt es keine Indizien.
Besser als „Schweigegeld“ passt hier aber „Bußgeld“, denn Gerechten-Bedränger, Bußgeld-Nehmer sind wahrscheinlich keine zwei unterschiedlichen Beschuldigungen, sondern ist ein Hendiadyoin und stehen daher hier so eng in einer Zeile beieinander: Gerechte werden bedrängt, indem ihnen Bußgelder auferlegt werden, die sie als Gerechte eigentlich gar nicht zahlen müssten. Dies wäre also eine der Weisen, wie man Arme zu ungeschuldeten Korn-Geschenken verpflichten konnte (s. V. 10). (Zurück zu v.12)
alim Tor verdrängen = „um ihr Recht bringen“, gut daher R-S: „Ihr raubt den Armen vor Gericht ihr Recht“, NeÜ: „Ihr verweigert den Armen das Recht“. Sehr ähnlich formuliert in Spr 18,5; noch knapper in Mal 3,5. Der zugrunde liegende vollständigere Ausdruck ist wahrscheinlich der in Jes 10,2 („vom Recht wegdrängen“). Häufig wird daher auch sinnvoll übersetzt: „Sie beugen das Recht der Armen im Tor“ (z.B. ELB, MEN, NL, van Ess); meist aber „wörtlicher“: „Sie unterdrücken die Armen im Tor“. (Zurück zu v.12)
amdie Weise (der Weise, der Wohlhabende?, der Tor?) - So deuten Sellin 1929, S. 143 und Eshel/Talmon 1986f.: Heb. maßkil steht am häufigsten in den Psalmüberschriften und bezeichnet dort eine Liedgattung, wahrscheinlich das „Kunstlied“ oder „kunstvoll gestaltete Lied“ (so z.B. Kraus 1961, S. XXIII). Hier stünde es dann für freudige Lieder, die aber in „dieser Zeit“ gerade nicht ertönen dürfen, weil es eine derart schlimme Zeit ist. Diese Deutung liegt strukturell am nähsten, da laken „darum“ im Amosbuch sonst stets einen Urteilsspruch JHWHs einleitet (s. Vv. 11.16; auch Am 3,11; 4,12; 6,7; 7,17).
Andere Deutungen: Alternativ wollen Jackson 1986 und Smith 1988c maßkil als „den Erfolgreichen“ lesen, was das Wort ebenfalls gelegentlich bedeutet, und dies dann auf den „Wohlhabenden“ deuten: Dieser müsste dann zu dieser Zeit schweigen. Aber richtig Goff 2008, S. 639: Diese Bed. von maßkil wäre nicht idiomatisch. Ähnlich auch die sehr fernliegende Deutung von Tawil 2012b, S. 62, der das Wort hier verbinden will mit akk. saklu „der Tor, der Übeltäter“, wonach dann maßkil sowohl den Weisen als auch den Toren bezeichnen könnte. Diese „Toren, Übeltäter“ wären die selben wie Jacksons und Smiths „Wohlhabende“ und müssten ebenso schweigen.
Fast alle anderen deuten maßkil hier stattdessen als „den Weisen“, was das Wort auch häufiger bedeutet. Was der so gedeutete Vers hier soll, ist dann aber nicht gut erklärlich. Am besten noch Dahl 1795, S. 166: „Weil die Gerechtigkeit so schlecht gehandhabt wird, so mache der vernünftige Redliche erlittende Beleidigungen nur gar nicht klagbar, er läuft ja doch Gefahr; einen schiefen Urtheilsspruch zu erhalten!“ (ebenso Baur, Wellhausen, Driver 1915, Snaith, Mays). Gut übersetzte dann Moldenhawer: „Dieserhalb schweiget auch der, welcher vorsichtig ist, weil die Zeiten so arg sind.“ Neuere Kommentatoren halten den Vers dagegen häufiger für eine sekundäre, nicht zum ursprünglichen Text gehörige und überhaupt nicht zu ihm passende Empfehlung an „den Weisen“, besser nichts zu sagen (z.B. Jeremias 1995, S. 70: „Ein späterer Leser nach dem Exil aus dem Kreis der Weisen hat die Lücke genutzt, um angesichts der ‚schlimmen Zeit‘, unter der er seine eigene Generation im Lichte der Amosworte verstand, vor dem schuldhaften Wort zu warnen, d.h. vermutlich: vor einem Dreinreden in Gottes strafendes Handeln (vgl. die Freunde im Hiobbuch).“ So deutet bereits Raschi). Weitere, seltener vertretene Deutungen: Nach Garrett müsste man sinngemäß übersetzen: „Dazu kommt auch noch, dass die Weisen schweigen, statt die Armen zu verteidigen“, was vom Sinn her tatsächlich ziemlich gut zu 10b passte (ähnlich Hitzig und Anderson/Freedman, die dies nicht auf die Situation der Armen vor Gericht beziehen: V. 13 schildert nur ein weiteres Charakteristikum dieser schlimmen Zeit, nämlich eben das, dass sogar auch noch die Weisen schlechthin schweigen); nach Goff 2008, S. 639 schließlich: „So schlimm ist diese Zeit, dass es dem Weisen geradezu die Sprache verschlägt.“. (Zurück zu v.13)
anZu JHWH Gott Zebaot s. zu Am 4,13. (Zurück zu v.14 / zu v.27)
aoTextkritik: hasst (wir hassen) + liebt (wir lieben) (V. 15a) + richtet auf (aufgerichtet sein/werden wird) (15b) + gnädig sein (uns gnädig sein) (V. 15c) - In V. 15a 4QXIIg und LXX wie in der Alternativübersetzung; VUL, Tg und Syr stützen MT. In 15b LXX-Mss wie in der Alternativübersetzung; VUL, Tg und Syr stützen MT; in 4QXIIg ist dieses Wort nicht erhalten. In V. 15c 4QXIIg und LXX-Mss wie in der Alternativübersetzung; viele LXX-Mss, VUL, Tg und Syr stützen MT. Die Unterschiede im Konsonantentext zu den Varianten im MT sind minimal (z.B: ßn`nw „wir hassten“ vs. ßn`w „hasst!“; jḥnnw „er wird gnädig sein mit uns“ vs. jḥnn „er wird gnädig sein“; whșjg „und aufgerichtet sein/werden wird“ [als intransitives Hifil oder als Hofal] vs. whșjgw „und richtet auf!“). Dass die Lesarten des MT die ursprünglichen sind, ist gar nicht ausgemacht. Zum einen ließe sich eine Änderung von Indikativ zu Imperativ, die dann die anderen Änderungen nach sich gezogen hätten, leichter als Angleichung von V. 15 an V. 14 erklären als umgekehrt, zum anderen ließe sich mit der Lesart von 4QXIIg auch der Unterschied von Jussiv in V. 14 und `ulaj „vielleicht“ + Yiqtol in V. 15 besser erklären: „Dann wird es wirklich so sein, dass JHWH mit euch ist, wie ihr sagt: ‚Vielleicht wird [daher] JHWH gnädig sein mit uns!‘“ Wir ziehen hier hauptsächlich deshalb die Lesart von MT als die ursprünglichere vor, weil auch sonst niemand 4QXIIg für ursprünglicher hält; an sich müsste diese Differenz aber noch einmal genauer in der Forschung reflektiert werden. (zu v.15)
apDarum spricht so JHWH - Warum? Die Gedankenverknüpfung ist wohl die: JHWH wird dem Überrest vielleicht gnädig sein, wenn sie sich wieder recht verhalten, und um dies herbeizuführen, bestürzt er sie mit seinem aus diesem Grund so harten Urteilsspruch. (Zurück zu v.16)
aqWeh! Weh! - Im Heb. ho ho, eine Variante des üblicheren Totenklagerufs hoj (s. z.B. 1 Kön 13,30). Warum hier diese singuläre Variante steht, ist unerklärlich; V. 18 und Am 6,1 steht die übliche Form. Zur Totenklage s. zu V. 1. (Zurück zu v.16)
arUnd die Klage zu den Klagelied-Kundigen (und zur Klage die Klagelied-Kundigen) - Ungewöhnliche Satzkonstruktion. Vielleicht soll mit den beiden unterschiedlichen Konstruktionen in 16e und 16f die Allgegenwart der Trauer und Klage zusätzlich unterstrichen werden – als würde man sagen: „Ruft die Trompeter zum Spiel / und die Musik zu den Trommlern (statt: und die Trommler zur Musik)!“ Dem selben Zweck soll sicher das Hyperbaton in Vv. 16f. dienen: Die Klageliedkundigen aus 16f sollen auf den Plätzen und in den Gassen in 16cd klagen, wo sie „hingehören“, die Ackerknechte aus 16e dagegen in den Weingärten in 17a.
Textkritik: VUL und Syr übersetzen so, wie man es erwarten würde: „Und zur Klage die Klagelied-Kundigen“. Sehr viele Exegeten halten dies für die ursprünglichere Variante, aber sicher ist dies nur eine Normalisierung der merkwürdigen Syntax.
CTAT III:664f. will ähnlich diesen Eingriff in den Text als überflüssig erklären, indem sie die Konstruktion als Hypallage interpretieren, also als Stilmittel, bei dem ein Ajektiv oder eine Partikel „un-grammatisch“ auf das falsche Wort bezogen wird (bekanntestes Beispiel ist Wodehouse' „I lighted a thoughtful cigarette“), aber zum Einen scheint es mit Partikeln keinen weiteren Beleg für dieses Stilmittel in der heb. Bibel zu geben (am nähsten ist der V. Ez 39,11, auf den auch ibn Ezra hinweist: `eten legog meqom-šam qeber „Ich werde dem Gog geben einen Ort dort als Grabstätte“ statt ... meqom-qeber šam „... einen Grabstätten-Ort dort“), zum Anderen müsste ja trotzdem auch nach der Einordnung dieser Formulierung als Stilmittel erklärt werden, welche Wirkung damit angezielt werden sollte. (Zurück zu v.16)
asdurch deine Mitte ziehen - Richtig NL: „Denn ich werde hindurchgehen und in deiner Mitte alles vernichten.“ JHWH nämlich ist so groß und furchtbar, dass überall, wo er „hindurchzieht“, eine Spur der Vernichtung hinterlässt (vgl. Dtn 9,3; 31,3; 1 Kön 19,11; in Ex 33,22 muss Gott den Mose extra abschirmen, um an ihm vorüberziehen zu können). (Zurück zu v.17)
atWeh! [Ach sie,] (Wehe denen,) - Beide Alternativen sind möglich. Variante 1 z.B. bei LUT, Variante 2 z.B. bei , so die meisten Üss.. Heb. hoj ist primär ein Klageruf, der vor allem zur Einleitung einer Totenklage ausgerufen wird („Weh!“); da aber solche Totenklagen im Alten Orient dazu neigen, ineins mit der Klage über die Gestorbenen auch die Verantwortlichen anzuklagen, kann hoj selten auch geradezu zum anklagenden Ausruf werden („Wehe!“, s. deutlich z.B. Jes 1,24; Ez 24,6; vgl. zur Stelle gut van Leeuwen 1974, S. 115f.). (Zurück zu v.18)
auTag JHWHs - Ein Konzept, das sich in der Bibel häufiger, aber nur in den Büchern der Propheten findet. Gemeint sind damit grundsätzlich diverse Gerichtstage oder Gerichts-Zeiten JHWHs (dies dürfte auch die einfachste und verständlichste Übersetzung sein: „Gerichtstag Gottes“): Entweder handelt JHWH an einem solchen „Tag JHWHs“ strafend mithilfe anderer Völker an seinem eigenen Volk (z.B. Jes 2,12-17; Jes 22,1-14; Klg 1,12; 2,1.21f; Zef 1,7-16 u.ö.) oder er handelt strafend an anderen Völkern (z.B.: Jes 13,6: An Babylon; Jer 46,10; Ez 30,3: An Ägypten; s. näher z.B. Tag Jahwes (AT) (Wibilex)).
Weil die Stelle in Am 5,18 wahrscheinlich die älteste ist, an der von diesem „Tag JHWHs“ die Rede ist, wird der Vers in der Forschung stark diskutiert – bis dahin, dass sich richtiggehende „Tag JHWHs-Schulen“ herausgebildet haben. Die meisten Theorien scheiden aber zumindest gerade für diesen Vers von vornherein aus – was häufig nicht genug bedacht wird, ist, dass in der Welt des Textes zwar auf diesen Tag vorausgeblickt wird, dass er für den Verfasser und die Hörer:innen/Leser:innen des Amosbuchs aber ja bereits in der Vergangenheit liegt: Gemeint ist konkreter (s. Vv. 2f.5f.15.27) die endgültige Niederlage Israels und Samarias um 720 v. Chr. Verfasser und Hörer:innen/Leser:innen wissen daher z.B. natürlich, dass diese „Zeit JHWHs“ nicht identisch war mit einem kultischen Festtag (z.B. Kapelrud, Eidevall), dass zu ihr keine Theophanie Gottes (so z.B. Koch, Paul, Jeremias) stattfand und dass die „Dunkelheit“ kein kosmisches Ereigniss war wie z.B. in Zef 1,14f.; Joel 4,15. Dunkelheit und Licht stehen hier also sicher nicht für „JHWH erscheint“ vs. „JHWH erscheint nicht“ oder für „Der Himmel verfinstert sich“ vs. „Es bleibt hell“ (?), sondern sind wie noch häufig allgemein Bilder für „Diese Zeit wird eine Zeit des Heils“ vs. „Diese Zeit wird eine Zeit des Unheils“.
Im Talmud ist eine schöne Parabel Rabbi Simlais überliefert, mit der er den Vers treffend auslegt: „Man kann dies vergleichen mit einem Hahn und einer Fledermaus, die das Tageslicht herbeisehnen. Da sprach der Hahn zur Fledermaus: ‚Ich sehne es herbei, weil dies meine [Zeit] ist. Aber du – was taugt denn dir das Tageslicht?‘(b.San 98b). Die von Amos Angesprochenen warten auf den Tag JHWHs, als sei er etwas Gutes für sie – doch das Gegenteil ist der Fall. (Zurück zu v.18)
avLies: „Was glaubt denn ihr, was euch der Tag JHWHs bringen wird!?“
tFN: Wozu (warum) - Gut Paul 1991, S. 185: lamah-zeh l- hat in der Bibel fast stets die Bedeutung „Wozu (nicht: Warum) nur taugt jmdm. etw.“, s. Gen 25,32; 27,46; Ijob 30,2. S. ähnlich auch Jes 1,11; Jer 6,20; anders deutlich nur die ähnliche Frage Rebekkas in Gen 25,22, die aber ohne l- und damit anders formuliert ist.
zeh („dies“) ist hier sehr wahrscheinlich kein Demonstrativpronomen („Warum [tut ihr] dies“, so z.B. Reimer 1992, S. 124), sondern verstärkt lamah („Wozu, Warum“; vgl. GKC §136c. Richtig BHt: „Abtönungspartikel“). (Zurück zu v.18)
awLöwe, Bär, Haus und Schlange haben hier wahrscheinlich Artikel, weil sie Typen und damit bekannt sind – ähnlich wie in der dt. Fabel „Meister Lampe“ und „Meister Petz“ nicht erst eingeführt werden brauchen (vgl. gut Andersen/Freedman 1989, S. 520. GKC §126m und 126r, auf die sonst gerne hingewiesen wird, passen beide nicht sehr gut zum Gebrauch des Artikels in diesem Vers.). (Zurück zu v.19)
axtFN: er trifft auf den Bären - w. „Ein Bär trifft auf ihn“. Vgl. ähnlich z.B. Ijob 31,27: „Wenn meine Hand meinen Mund geküsst hätte“ (statt „mein Mund meine Hand“): Gelegentlich kann im Heb. derart Subjekt und Objekt vertauscht werden, um so zum Ausdruck zu bringen, dass das Objekt die aktivere Rolle spielt (vgl. Driver/Gray 1921, S. 269). (Zurück zu v.19)
ayOb in V. 19 zwei Vergleiche stehen oder nur einer, ist umstritten. Mindestens lässt sich Folgendes sagen: V. 19 erzählt nicht, wie die meisten denken, einfach eine Geschichte, in der ein Mann zwei Mal einem Unheil entkommt, nur um dann doch von ihm getroffen zu werden, so dass die Aussage wäre, dass der „Tag JHWHs“ als drohender Tag unausweichlich ist. Dagegen spricht die masoretische Akzentuierung, dagegen spricht, dass „er kommt in das Haus“ ein denkbar schwacher Ausdruck für „auch dem Bären entkam er gerade noch so“ wäre, und dagegen spricht schließlich, dass die Abfolge Löwe – Bär – Schlange so antiklimaktisch wäre, dass die Schlange hier kaum für dass umso schlimmere Geschick der Angesprochenen stehen wird. Auch dann, wenn hier eine zusammenhängende Geschichte erzählt wird, muss man sie sich in zwei Abschnitten denken, in denen zwei Mal zum Ausdruck kommt: „sich in Sicherheit wähnen“ (19a.19c; s. Am 6,1!) – „doch nicht sicher sein“ (19b.19de). In der LF würde dies durch eine Üs. mit „oder“ statt „und“ sicher deutlicher. (Zurück zu v.19)
azund ihn dann die Schlange beißt - Klangspiel, in dem das Zischen der Schlange direkt hörbar wird: unešao hanaaš. (Zurück zu v.19)
baTextkritik: Dunkelheit (dunkel) - MT vokalisiert und Syr deutet die Konsonanten als Adjektiv, LXX, VUL und Tg dagegen als Substantiv. Neben den anderen drei Substantiven in V. 20 ist mit den Konsonanten wohl wirklich eher ein Subst. angezielt; so z.B. auch Ehrlich, Wolff, Jeremias. (Zurück zu v.20)
bbKlangspiel: Der kurze V. 20 wird ganz vom Laut o dominiert, was an das ho ho („Weh! Weh!“) aus V. 17 erinnert (so gut Rudolph 1971, S. 203): halo-ḥošek jom JHWH welo`-`or we`ofel welo`-nogah lo. (Zurück zu v.20)
bcDoppeltes Wortspiel: Heb. chag „Opferfest“ in Zeile 21a ist i.d.R. das Wallfahrtsfest, zu dem man von zu Hause zu einem Heiligtum pilgert (die Haddsch der Muslime kommt vom selben semitischen Wort), kann aber sehr selten auch speziell für die Opfer an diesen Festen stehen. S. Ps 118,27; dann auch Ex 23,18; Mal 2,3 (richtig Paul 1991, S. 189; so schon ibn Ezra). Damit wird zum Einen bereits V. 22 vorbereitet, zum Anderen bilden 21a und 21b derart ein Satzteilhyperbaton (wie z.B. Ps 18,15: „Er warf Pfeile ..., einen Blitz schoss er“, wo also ebenso wie hier die Verben besser zum je anderen Substantiv passen würden). Durch dieses scheinbare „Durcheinander“ in der Rede Gottes wird die Heftigkeit von V. 21 noch zusätzlich unterstrichen, die schon in den beiden starken Verben in 21a und in der Reihung dieser beiden Verben ohne Konjunktion zum Ausdruck kommt. (Zurück zu v.21)
bdVv. 22.25 nennen drei verschiedene Opfer-Gattungen. Die drei, die in V. 22 aufgezählt werden, sind auch die drei, die nacheinander zu Beginn des Buchs Leviticus behandelt werden: ´olah (dazu Lev 1 ab V. 3) in 22a ist das „Schlachtopfer“ (meist: „Brandopfer“), bei dem man ein Schlachttier in Gänze auf dem Altar eines Heiligtums verbrennt und so sein Rauch als „köstlicher Duft“ (Gen 8,20f.; Lev 1,13 u.ö.) zu JHWH aufsteigt (Heb. ´alah). Bei der minchah (w. „Gabe“, dazu Lev 2) in 22b und 25 dagegen werden Getreide oder Backwaren teilweise ebenso verbrannt, teilweise an die opfernden Priester abgegeben (TUR daher hier besser verständlich: „Mehlopfer“; im Engl. i.d.R. „grain offering“). šelem in 22c findet sich nur hier; sicher ist es aber identisch mit den šelamim oder den zebaḥim šelamim (dazu Lev 3). Bei dieser Opfergattung werden wieder Schlachttiere geopfert, verbrannt werden hier aber nur das Fett und die Eingeweide; das Blut wird an den Opferaltar gesprengt. Ein kleinere Teil des Fleischs geht wieder an die opfernden Priester (s. z.B. Lev 7,29-36), der größere Teil wird meist bei einem festlichen Gemeinschaftsmahl verspeist (s. z.B. Lev 7,15). Übersetzt wird šelamim sehr unterschiedlich, weil nicht ganz klar ist, was der primäre Zweck dieser häufig genannten Opfergattung ist. Am verbreitetsten sind „Heilopfer“ und „Friedensopfer“; Janowski etwa wählt gern das verständlichere „Mahlopfer“, am besten aber wohl wieder TUR: „Opfermahl“. Nachdem JHWH also mit dem Allgemeinsten – mit dem umfassenden „Opferfeste“ und „Festversammlungen“ – begonnen hat, arbeitet er sich nun durch die unterschiedlichen Opferarten, und zwar von der „größten“ – von der, von der er selbst „am meisten hat“ – zur „kleinsten“. Nichts davon kann er ausstehen. Und auffällig natürlich außerdem: Von den fünf hauptsächlichen Opfergattungen fehlen hier gerade das Sündopfer (dazu Lev 4,1-5,13) und das Schuldopfer (dazu Lev 5,14-19).
zebaḥ („Schlachtung“, von zabaḥ „schlachten“) in V. 25 schließlich ist der allgemeinste Begriff für Tieropfer und kann auch für säkulare Schlachtungen stehen. Oft ist es ein Wechselbegriff für šelamim, außer wenn es durch ein folgendes Wort näher spezifiziert wird wie z.B. in zebaḥ hatodah („Dankschlachtung“) – wohl deshalb, weil die šelamim als Gemeinschaftsmahl des Opfernden, Gottes und anderer Menschen dem ursprünglichsten Schlachtopferritus am ähnlichsten waren (den man sich wohl in etwa vorstellen kann wie in Gen 31,54 oder Ex 18,12). V. 25 greift aus V. 22 also nur den zweiten und dritten Opfertyp noch einmal auf. (zu v.22 / zu v.25)
beHeb. Idiom, das bes. häufig in Schwursätzen verwendet wird: Soll zum Ausdruck gebracht werden, dass etwas keinesfalls geschehen soll oder jmd. etwas keinesfalls tun soll/wird, wird mit einem „Wenn“-Satz begonnen und dann fortgefahren mit „...dann tue mir/dir JHWH dies und füge jenes hinzu“ (z.B. 1 Sam 3,17; 14,44; 2 Kön 6,31) – stellvertretend für eine so schlimme (Selbst-)Verfluchung, dass sie gar nicht wörtlich ausgeführt werden kann – oder wie hier der ganze Nachsatz ausgespart. Vgl. ähnlich Gen 21,23; Neh 13,25; Hld 2,7; 3,5; 5,8; mit Gott als Sprecher Am 8,7 (!); Ps 95,11; Jer 44,26; Ez 20,3 (vgl. zur Formel bes. gut Conklin 2011, S. 38-44). Die Erregung Gottes ist also weiterhin spürbar, erstens am einleitenden „oh!“, zweitens an der Verwendung dieser Formel, die hier geradezu als Aposiopese des Zorns verwendet wird.
Andere Deutungen: So merkwürdigerweise niemand. Vier andere Positionen sind verbreitet: (1) Der Satz sei eine nachträgliche Ergänzung des Textes durch einen späteren Schreiber mit einer besonderen Hochschätzung für Brandopfer, der daher richtigstellen wollte, dass Gottes Abscheu dieser speziellen Opferart niemals gelte (z.B. Wolff, Jeremias, Loretz 1989, S. 288, BB, LUT 17, ZÜR 07). (2) Nach 22a sei eine Zeile ausgefallen; entweder erschließt man sich diese aus dem Nichts (z.B. Rudolph: „...missfallen sie mir“, ähnlich Sellin) oder man macht in der Üs. durch „...“ erkennbar, dass hier etwas fehlt (z.B. Mays, Soggin, HER05, offenbar ). (3) Der Satz sei Vordersatz zu 22b, wo dann „Mehlopfer“ allgemeiner mit „Gaben“ zu übersetzen sei, zu denen dann auch die Schlachtopfer gehören können (bes. Kessler, z.B. auch Snaith, Garrett, PAT, ZÜR 31). Doch das geht nicht an; minchah kann zwar in der Tat allgemein für „Gaben“ stehen (s. bes. Gen 4,3f.), aber nie, wenn es wie hier mit anderen Termini technici für weitere Opferarten zusammensteht (richtig Wolff 1969, S. 303.307; Paul 1991, S. 190), und vollends spricht dagegen, dass minchah in V. 25 ja sicher für eine bestimmte Opfergattung steht. (4) Man löst syntaktisch anders auf wie in der letzten Alternativ-Üs. (so z.B. Paul; Hendel 2012, S. 59; Jeon 2015, S. 215; B-R, LUT 84, MEN). So deuteten offenbar schon die Masoreten, die ihre Tebir-Tifcha-Phrase nach „Schlachtopfer“ enden lassen. Dann aber müssten entweder 10ab insgesamt nur eine Zeile bilden, wofür sie sicher zu lang wären, oder lo` `erṣeh („ich nehme nicht an“) allein die zweite Zeile bilden, wofür die Klausel sicher zu kurz ist. Ähnlich: Alter 2018 löst ebenfalls so auf, zieht aber die Schlachtopfer dennoch in die nächste Zeile, was kolometrisch kaum angeht: „Should you offer up to Me burnt offerings / or grain offerings, I will not accept them“. Gegen beide Varianten spricht außerdem, dass „Mehlopfer“ Possessivpronomen hat, „Schlachtopfer“ aber nicht. (5) Möglich schließlich auch: 22ab bilden eine Apokoinu – ein Stilmittel, bei dem ein Satzteil „ungrammatisch“ zu zwei Sätzen gleichzeitig gehört – und auch hierin kommt Gottes Erregung zum Ausdruck. Vgl. ähnlich Ps 21,5; Jes 38,10. (Zurück zu v.22)
bfvon auf mir sehr passend statt von mir, weil sie JHWH eine schwer erträgliche Last sind (so gut Orelli, Hammershaimb, Paul). Vgl. Jes 1,14! (Zurück zu v.23)
bg
Relief: Assyrischer Krieger führt judäische Leierspieler ab. (c) BODO 34768.
Israelitische Münze mit Leier. (c) BODO 34770.
Leier - heb. nebel, ein israelitisches Zupfinstrument, verwandt mit der kinnor. Vgl. JosAnt viii 12,3: „Die kinnor hat zehn Saiten und wird mit dem Plektrum gezupft, die nebel hat zwölf Saiten und wird mit den Fingern gezupft.“ Gemeint ist daher sicher das Musikinstrument, das auch rechts (mit jeweils zu wenig Saiten) abgebildet ist. (Zurück zu v.23)
bh[Nun] wird ([Stattdessen] soll/sollte doch) - Der Zielpunkt dieser Strophe. Ärgerlicherweise ist gar nicht klar, was gemeint ist. (1) Entweder tut JHWH kund, dass er es nun endgültig satt hat und die Israeliten ihrem gerechten Urteil zuführen wird (so Hitzig; Schmoller; Bredenkamp 1881, S. 83f.; Keil; Sellin; Snaith; Berquist 1993; so bereits Kimchi, auch H-R), (2) oder er fordert ein weiteres Mal die Israeliten auf, nicht nur fromm, sondern auch werktagsheilig zu sein (so die meisten), (3) oder er nennt den Grund für sein hartes Urteil über ihren Kult in Vv. 21-23 und für seine Reaktion in Vv. 26f. („Geht mir weg mit euren Gottesdiensten! Viel lieber solltet ihr gerecht sein! [Doch da ihr es nicht seid:]...“, so neuerdings Eidevall).
Sehr stark für (2) spricht zunächst, dass in V. 7 mit den selben Worten von menschlichem Recht und menschlicher Gerechtigkeit die Rede ist und dass mit einem dieser Begriffe die Israeliten auch in V. 15 dazu aufgefordert werden, nun gerecht statt ungerecht zu sein. Die meisten entscheiden sich daher für diese Variante. Auch in Jes 5 ist aber zwei Mal von „Recht und Gerechtigkeit“ die Rede, und hier ist deutlich in V. 6 menschliche Gerechtigkeit, in V. 16 aber göttliche Gerechtigkeit gemeint. Auch ohne diese Parallele kann man in unserem Kapitel Vv. 7.24 ja auch gut lesen als „Wenn ihr denn also Recht in Wermut verwandelt und die Gerechtigkeit zu Boden werft, dann werde nun eben ich Recht und Gerechtigkeit walten lassen“; die Verwendung der selben Begriffe spricht also nicht schon für sich für Variante (2). Man muss also vom Bild selbst ausgehen, und richtig dann wohl Sellin 1922, S. 195f.: „[D]ie Ausdrücke sind viel zu stark, um als ein Bild für das, was Amos nach 5,14f. verlangt, verstanden werden zu können. Er ist zufrieden, wenn das Volk nach Recht strebt und Gerechtigkeit liebt; daß sie stromweise das Land erfüllen, wird nach Jes 11,9 als göttliche Gnadentat in der Endzeit erhofft (Hitzig). [...] Wir haben eine genaue Parallele zu dieser Stelle in Jes 28,17, wo von der großen Flut die Rede ist, die durch Recht und Gerechtigkeit alles niederreißt[; auch hier ist sie Gottes Werk].“ Es passt auch sehr gut zum Bild Gottes in V. 8, wo Gott gerade primär dadurch charakterisiert wird, dass er die Erde bewässern oder sogar überfluten kann. (Zurück zu v.24)
biWortspiel: Talchin. wejiggal („es werden wogen“) kommt von gll („rollen, wogen“), lautet aber fast gleich wie wejiggāl („sie sollen exiliert werden“) von glh („offenbaren, exilieren“), wovon in V. 27 die Rede sein wird (so gut Paul 1991, S. 192). Theod, VUL, Syr und Tg haben auch wirklich so gedeutet, glh aber als „offenbaren“ verstanden („sie sollen offenbar werden“). (Zurück zu v.24)
bjTextkritik: Warum „ein Mehlopfer“ nach dem Pl. „Schlachtungen“ Sg. ist, ist bisher unerklärt. LXX und Syr ändern daher zum Plural; in einigen MSS fehlt „und ein Mehlopfer“ ganz, was aber sicher beides Strategien sind, mit diesem merkwürdigen Text zurechtzukommen. Tg hat seltsamerweise umgekehrt „Schlachtung“ im Sg. und „Mehlopfer“ im Plural. Rudolph will wegen dieser Schwierigkeit mit LXX und Syr den Plural umenachot statt umincha lesen (vgl. das graphisch sehr ähnlichen ומנחה mit ומנחת), aber idiomatisch wäre nicht doppelter Plural, sondern doppelter Singular; vgl. Lev 23,37; 1 Sam 2,29; 3,14; Dan 9,27; Ps 40,7; Jes 19,21; Jer 17,26; 33,18. Vielleicht dient auch dies nur zustäzlich der poetischen Strategie von V. 25 (s. nächste FN): Ursprünglich hatten „Wüste“ und der Sg. von „Mehlopfer“ einerseits und „vierzig“ und „Schlachtungen“ andererseits jeweils das selbe Vokalmuster: midbar („Wüste“) + minchah („Mehlopfer“), `arba`im („vierzig“) + zabachim („Schlachtopfer“). Zu ähnlichen Fällen von sog. „irregulärer Assonanz“ s. z.B. gleich im nächsten Kapitel neben susim nicht boqer, sondern beqarim (Am 6,12); in Gen 2,25-3,1 vor ´arum („schlau“) nicht ´arom („nackt“), sondern ebenfalls ´arum; in Ri 10,4 nach ´ajarim („Esel“) nicht wie üblich ´arim („Städte“), sondern ebenfalls ´ajarim; in Ri 15,16 neben ḥamor nicht ḥomer, sd. ebenfalls ḥamor; in 1 Sam 1,1 neben ṣofim und `epraim den ON haramataim statt sonst gebräuchlichem harma; in Hld 3,11 das mit re`enah parallele ṣe`enah statt ṣe`nah, in Pred 11,9 neben bemar`e den Pl. bedarke statt dem idiomatischem Sg.; in Pred 12,7 neben wenaroṣ das unerwartete wejašob statt wejašub; in Ez 43,11 das mit moṣa` parallele moba` statt mabo`, in Hos 2,14 das mit gapnah und v.a. te`enatah parallele `etnah statt `etnan usw. (Zurück zu v.25)
bkV. 25 ist nicht ganz leicht verständlich. Die nächste Parallele ist Jer 7,22f., wo sicher vorausgesetzt wird, dass die Israeliten in der Wüste keine Opfer darbrachten. Entweder kannten die Verfasser beider Bücher nicht die Erzähltraditionen hinter Ex 24,4-8; 32,5f.; Num 7,1-3; 9,1-5, wonach die Israeliten zumindest gelegentlich sehr wohl auch in der Wüste Opfer dargebracht hatten. Oder aber es ist nur gemeint, dass die Israeliten sicher nicht die ganzen vierzig Jahre (!) hindurch in der Wüste (!) im selben Ausmaß Opferkult betrieben haben wie Amos´ Zeitgenossen. So und so: Gesagt ist jedenfalls mindestens, dass es in der Wüste auch lange „opfer-lose“ Zeiten gab: Offensichtlich sind Opfer gar nicht unbedingt notwendig.
Wenige Üss. übersetzen stattdessen wie z.B. GN: „Habt ihr eure Schlacht- und Speiseopfer während dieser 40 Jahre in der Wüste etwa mir dargebracht [und nicht vielmehr jemandem anderem]?“ V. 25 wird dann mit V. 26 verbunden, der vergangenheitlich übersetzt wird: „Nein, ihr habt anderen Göttern gehuldigt!“ Aber das geht nicht an; „mir“ ist im Heb. nicht besonders betont, und was auch immer V. 26 bedeutet – von Opferkult ist dort sicher nicht die Rede.
tFN: V. 25 ist nicht gleich als Poesie zu erkennen, weil die beiden Zeilen zunächst überhaupt keine Bezüge zueinander zu haben scheinen. Wolff, Soggin, Garrett und Barton 2012, S. 46 halten ihn daher auch für Prosa. Vermutlich ist die poetische Strategie diese: Zeile a beginnt mit zwei Opfer-Typen und endet mit „mir“, Zeile b beginnt mit zwei Umstandsangaben („in der Wüste, vierzig Jahre“) und endet mit der Anrede „Haus Israel“. Hierdurch soll dann der Gegensatz von „Schlachtung und Mehlopfer“ einerseits und „in der Wüste, vierzig Jahre“ andererseits unterstrichen werden: „In der Wüste, da wars doch so: Opfer, die habt ihr mir da doch auch nicht dargebracht!“. Um nicht nur die beiden Umstandsangaben, sondern auch die beiden Opferarten an die selbe Zeilenposition setzen zu können, wurde sogar die Phrase „Schlachtungen und ein Opfermahl“ dem Verb vorangestellt, was für einen unmarkierten Satz im Heb. sehr untypisch wäre – von der Formulierung her würde man eigentlich meinen, dass hier gefragt wird: „Waren es etwa Schlacht- und ein Mehlopfer, die ihr mir dargebracht habt, oder nicht vielleicht etwas ganz anderes?“ Was dieses „ganz andere“ sein soll, ist aber nicht zu erkennen (Harper rät auf „true worship of the heart and righteousness, public and private“, Mays ähnlich auf „obedience, justice and righteousness“, aber könnte man dies „darbringen“?). Man könnte also sagen: Amos missbraucht hier die poetischen Normen hebräischer Gedichte, nach denen in parallel gebauten und zusammengehörigen Zeilen die einzelnen parallelen Glieder Bezüge zueinander haben, um so überhaupt erst „Schlachtung und Mehlopfer“ in Bezug zu „in der Wüste, vierzig Jahre“ setzen zu können. Vielleicht wird dies dann auch noch zusätzlich lautlich unterstrichen, s. die vorige FN. (Zurück zu v.25)
bl
Babylonischer Gründungspfosten. (c) BM 121208
V. 26 ist der am stärksten diskutierte Vers des Amosbuches. Gemeint sind in 26a vielleicht Gründungspfosten wie der rechts abgebildete, von denen wahrscheinlich auch in Jes 22,23-25; Sach 10,4.6; Esra 9,8f. die Rede ist, in 26b ein Podest für Kultbilder in einem Heiligtum. Unter anderem mit solchen Gründungspfosten und auf solchen Kultbild-Podesten schrieben nämlich im Alten Orient Herrscher „ihre Namen ein“ in ein Heiligtum und blieben so selbst noch nach ihrem Tod mit ihm verknüpft: Durch diese Inschriften wurde das Heiligtum auch zum Monument der in ihm verewigten Herrscher, durch das sie idealiter bis in alle Ewigkeit an einem festen Ort präsent und an ihm „verankert“ waren. Doch diesen Gründungspfosten sollen die Israeliten nun herausziehen und diesen Kultbild-Podest auf ihre Schultern heben: Sie werden aus ihrem Land verbannt und müssen ins Exil.

Genauer: Das größte Problem bei der Deutung des Verses sind die beiden Begriffe sikkut („Gründungspfeiler“?) und kijjun („Podest“?), die beide nur hier verwendet werden und daher unbekannt sind. Problematisch ist außerdem, das nicht sicher ist, mit welchem Tempus das Verb in 26a zu übersetzen ist, und problematisch ist schließlich auch die die Bedeutung der „Stern-Götter / des Sterns eures Gottes/eurer Götter“. Die Primär-Üs. oben ist ein neuer Vorschlag zur Deutung dieser Stelle. Zunächst sei hier aber die Deutung erklärt, die sich in neueren Üss. fast ausschließlich findet (1), danach die Deutung, die der obigen Üs. zugrunde liegt (2), danach eine weitere, die v.a. früher vertreten wurde (3). Deutung (1) und Deutung (2) sind beide etwas komplex, so dass hier eine längere Fußnote geboten ist.
(1) „Ihr trugt/werdet tragen den Sakkud, euren König, und den Kaiwan – eure Götzenbilder, eure Stern-Götter, die ihr euch selbst gemacht habt!“ (z.B. B-R, BB, , HER05, LUT, NeÜ, ZÜR u.a.). Wissen muss man für diese Deutung zunächst, dass babylonische (und z.B. auch ägyptische) Götter sozusagen miteinander „verschmelzen“ und dabei doch unterschieden bleiben konnten. Es konnte z.B. einen Gott A geben, einen anderen Gott B, einen vergöttlichten Himmelskörper C und eine Kult-Statue D, die Gott B repräsentierte. Nach der altorientalischen Theologie konnten nun Gott A, Gott B und Himmelskörper C je für sich und indiviuell betrachtet werden, oder beispielsweise Gott A und Himmelskörper C konnten verschmelzen / als verschmolzen angesehen werden mit Gott B und so zu „Aspekten“ dieses Gottes werden, in denen er auch präsent war und in denen/durch die er auch wirkte, wie er ähnlich ohnehin in seiner Kult-Statue D präsent war. Ein bekanntes Beispiel für diesen Zug altorientalischer Theologie ist der sog. „synkretistische Hymnus auf [den Gott] Ninurta“, wo dieser u.a. besungen wird mit: „Deine Augen, oh Herr, sind [die beiden Gottheiten] Enlil und Ninlil, ... dein Mund, oh Herr, ist der Abendstern...“ usw. (vgl. dazu gut z.B. Pongratz-Leisten 2014). Man muss zweitens wissen, dass alte hebräische Schriftgelehrte in sehr seltenen Fällen Namen von anderen Göttern in der Bibel entstellten. In 2 Sam 3,8 etwa steht statt dem Personennamen `išba´al aus 2 Sam 2,8 der fiktive Name `išbošet, der Gottesname ba`al wurde also durch bošet („Schande“) ersetzt. Und, noch wichtiger: In 1 Kön 11,7 wurde vermutlich der Gottesname melek nur mit den Vokalen des Wortes bošet („Schande“) entstellt zu molek, wie im masoretischen Text aus anderen Gründen ja ähnlich der Gottesname JHWH stets „falsch“ mit den Vokalen von `adonaj oder `elohim „verfälscht“ wird. Man muss drittens wissen, dass in der sumerischen und akkadischen Theologie jeder der damals bekannten fünf Planeten und außerdem Sonne und Mond mit einer der sieben Hauptgottheiten assoziiert waren, zum Beispiel kajawanu („Saturn“) mit dem Gott Ninurta. Aus der Götterliste CT 25, 11, 34 wissen wir außerdem, dass der Gott Sakkud – ein unbedeutender und auch in babylonischen Texten kaum bezeugter Stadtgott der Stadt Der, der offenbar zum Hofstaat des Gottes Ea gehörte – entweder ein Aspekt ebenfalls von Ninurta war, oder dass er irgendwie mit diesem assoziiert war (z.B. dass er nach einer anderen Überlieferung zu dessen Hofstaat gehörte). Dies zusammennehmend geht man daher heute mehrheitlich davon aus, dass die beiden unbekannten Begriffe sik(k)ut und kij(j)u(w)n beide von Ninurta sprechen – einmal nämlich von ihm in seinem Aspekt Saturn, einmal in seinem Aspekt der Gottheit Sakkud –, und dass die eigentlich kajwan und sakkut lautenden hebräischen Begriffe ähnlich wie molek statt melek entstellt worden waren mit den Vokalen der Begriffe piggul („Gräuel“) und šiqquṣ („Abscheulichkeit“), die beide häufig verwendet werden, um damit Götzen zu bezeichnen. Das passt dann relativ gut zur Verwendung des Begriffs „Stern“ in V. 26d. Die Rede wäre also von Kultbildern von Saturn-Ninurta und Sakkud-Ninurta, und entweder könnte der Verfasser also sagen: (1a) „Stattdessen tragt ihr aktuell Ninurta-Kultbilder in euren Prozessionen umher, darum werdet ihr nun exiliert werden!“, oder (1b) „Mein Urteil ist: Eure Ninurta-Kultbilder, die dürft ihr jetzt gleich mitnehmen, denn ihr geht ins Exil!“, oder (1c) „Doch ihr werdet nun exiliert werden, und dort, im Exil in Assyrien, werdet ihr die Kultbilder des assyrischen Gottes Ninurta vor euch hertragen müssen (statt weiterhin mich zu verehren, was ich ja nicht will, s. Vv. 21-23)“, oder sogar (1d) „Ihr habt mir in der Wüste keine Opfer dargebracht, stattdessen habt ihr sogar Ninurta-Kultbilder vor euch hergetragen!“.
Jede dieser Deutungen ist bereits mehrfach vertreten worden. (1d) scheidet klar als Fantasterei aus, weil Gott schwerlich den Israeliten vorwerfen können haben wird, dass ihre Vorfahren in der Wüste Ninurta verehrt hätten, und von (1a-c) ist sicher (1c) am wahrscheinlichsten, da die Israeliten im vorangehenden Abschnitt Am 5,21-25 ja gerade als „lästige“ JHWH-Verehrer dargestellt wurden, nicht als Götzendiener.
Aber auch (1c) ist sehr schwierig. Die bekannten Entstellungen von ba´al zu bošet und melek zu molek sind ja nur deshalb möglich, weil Melek (=Milkom) als der Hauptgott der Ammoniter und Ischbaal als Sohn des Königs Saul gut bekannt waren und man sich so leicht erschließen konnte, von wem die Rede ist. Das gilt nicht für Sakkud und Kaiwan, die auch den alten Übersetzern so unbekannt waren, dass keiner in diesem Wort die scheinbar angezielten Gottesnamen erkannte: Im Falle von sikkut lasen LXX, Aq, Sym, VUL und Syr sämtlich nicht sikkut oder sakkut, sondern sukkat („Hütte“), auch die Qumranschrift CD vii 14-16 deutet klar als „Hütte“ („Die Bücher des Gesetzes sind die skt des Königs, wie [Amos] gesagt hat: ‚Ich werde aufrichten die verfallene Hütte Davids‘.“) und Theod schließlich leitet das Wort ab von ßkh („schauen“) und übersetzt mit „Vision“. Im Falle von kijjun fassten zwar auch LXX, Aq, Sym und Tg den Begriff als Namen auf, aber Aq und Sym lesen nicht kaiwan oder kewan, sondern nach MT Kion – kannten den betreffenden Gott also offensichtlich nicht –, LXX hat in manchen MSS Raifan und in anderen Remfan. Anders die anderen: Theod übersetzt mit „Dunkelheit“, verbindet also vielleicht mit der Wurzel khh („dunkel/trüb sein“), VUL rät einfach („Bild“) und auch CD vii 17 fasst kjwn offenbar als Klassennomen auf („Der kjwn der Bilder, das sind die Bücher der Propheten“). Syr übersetzt tatsächlich mit „Saturn“, was aber wenig aussagekräftig ist, da das syr. Wort für „Saturn“ (k`wn) mit dem akkadischen verwandt ist, so dass Syr also wie häufig das unbekannte Wort schlicht syrisierend erraten haben könnte. Kurz, die alten Vrs. zeigen sehr deutlich, dass Kaiwan und insbesondere der selbst in Babylon/Assur obskure Gott Sakkud in Israel sogar noch nach dem babylonischen Exil nicht bekannt waren. Dann auch noch anzunehmen, diese wenig bekannten Namen seien zusätzlich durch eine andere Vokalisierung verfremdet worden, ist sehr gewagt. Hinzu kommt noch, dass die Annahme einer Umvokalisierung schon für sich sehr gewagt ist, weil derartige Entstellungen von Wörtern wie gesagt äußerst selten und offenbar ausschließlich mit dem Begriff / den Vokalen von bošet vorkommen. Zum Dritten ist das Wortbildungsmuster QiTTūL gar nicht typisch für Schimpfwörter für Götzen: piggul und šiqquṣ sind zwar die gebräuchlichsten Wörter nach diesem Muster, aber grundsätzlich lassen sich Wörter mit verschiedensten Bedeutungen mit ihm bilden – von nihhum („Trost“) über niqqud („Krümel“) bis zu limmud („gelehrt“). Ein klares Cluster findet sich nur bei Handwerk: ḥittuk („Schmelzerei“), millu` („Stein-Einsatz“), pittuḥ („Gravur“), ṣippuj („Metall-Überzug“), riqqu´ („Plättung (von Blechen)), vielleicht auch ḥiššuq („Speiche“) und ḥiššur („Nabe“), eventuell außerdem kijjor („Kessel, Becken“) von *kwr („zusammenbinden, rollen“; zu -or vs. -ur vgl. BL §61vθ, zur Wurzel vgl. bes. Kaltner 1998 und s. Ps 22,17, wo Sym, Aq und Hier vielleicht krw statt k`rw lasen, und Ez 16,4, wo vielleicht LXX krw statt krt las und die Worte daher jeweils mit „umbinden“ übersetzt wurden). gillul („Kultstele, Kultstandarte“, von gll „rollen“, ebenfalls häufig für Götzen) kann also nicht sicher mit piggul und šiqquṣ zusammengestellt werden, sondern könnte auch zu dieser Gruppe gehören (vgl. Dtn 29,16: „gillulim aus Holz, Stein, Silber und Gold“).
(2) Gehen wir also stattdessen davon aus, dass die Vokalisierung der Masoreten ernstzunehmen und sikkut und kijjun nicht Götternamen, sondern Klassennomen sind, bietet sich als Etymon/Kognat das akkadische sikkatu („Pfahl, Pfosten“, oft speziell vom „Gründungspfosten“, s. gleich) an, das sicher zumindest ins Talmud-Hebräische, ins Aramäische und ins Syrische (sk`, skt`: „Pfahl, Stange“) gewandert ist (vom syrischen oder talmud-hebräischen Kognat leiten auch schon Rosenmüller, Ewald und Hirschberg 1961, S. 375 das Wort ab. Lipiński 1973b, Hallo 1977 und de Moor 1995 wollen übrigens ähnlich vom ugaritischen sknt ableiten und dann als „Bild“ deuten, aber sknt ist bisher nur einmal belegt und heißt sehr wahrscheinlich nicht „Bild“). Nehmen wir es außerdem hier in der Spezialbedeutung „Gründungspfosten“, lässt es sich leicht mit der Rede von der Exilierung in V. 27 verbinden: In Assyrien und in anderen Regionen pflegten Herrscher bei Beginn des Baus eines öffentlichen Gebäudes wie besonders von Tempeln und bei ihrer Renovierung solche Gründungspfosten als „Fundament-sikkate“ in die Erde zu schlagen und außerdem weitere beschriftete Gründungspfosten als „Wand-sikkate“ in die Wände einbauen zu lassen. Ihr Zweck lässt sich anhand ihrer Beschriftungen erkennen, nämlich daran, dass eine häufige Abschlussformel in den zwei Varianten vorkommt: (1)Möge ein späterer Herrscher dieses Gebäude renovieren, wenn es verfallen ist, und mein sikkatu wieder an seinen Platz setzen“ und (2)Möge ein späterer Herrscher dieses Gebäude renovieren, wenn es verfallen ist, und meinen geschriebenen Namen wieder an seinen Platz setzen“: sikkate dienten dazu, den Namen des bauleitenden Herrschers für alle Ewigkeit in das Gebäude einzuschreiben; diese Gebäude wurden so zusätzlich zu ihrem primären Zweck zu Monumenten dieser Herrscher (vgl. gut Richter 2002, S. 194-199). Viele sikkate waren daher mit kaum mehr als dem Namen dieses Herrschers beschriftet, z.B. Schamschi-Adad V 9: „Palast von Schamschi-Adad, dem starken König, König des Universums, König von Assyrien, König von Sumer und Akkad, Sohn von Salmanassar, König der vier Enden [der Erde], Sohn von Assurbanipal, der ebenfalls König des Universums und König Assyriens war.“ Den Gegensatz von „seinen Namen an einen Platz gesetzt haben“ erkennt man schön an der Schlussformel eines sikkatu von Salmanassar I: „Ich setzte meine Monumentalinschriften und Lehminschriften. Was den angeht, der meine Inschriften und meinen Namen entfernt: Möge der Gott Assur, mein Herr, seine Herrschaft beenden und seinen Namen und seine Nachkommen aus dem Land ausrotten.“ – mit der Entfernung eines sikkatu wurde der Name des im Monument eingeschriebenen Herrschers von diesem Monument entfernt, sein Name „schwand daher“ ebenso aus dem Land, wie hier der Name und auch die Nachkommenschaft dessen schwinden soll, der diese Untat zu verantworten hat.

sikkate sind bei Ausgrabungen in Palästina noch nicht gefunden worden, die Bibel zeigt aber deutlich, dass zumindest der Brauch bekannt war und dass sikkate daher als Bild verwendet werden konnten. So in Jes 22,23-25, wo das selbe Bild wie in Am 5,26 noch etwas stärker ausgefaltet wird: „Ich werde ihn als Pflock (jeter) einschlagen an einen festen Ort, so dass er zum Thron der Ehre wird für sein Vaterhaus. Und man wird an ihn hängen die gesamte Herrlichkeit seines Vaterhauses [...]. An jenem Tag aber – Spruch JHWHs der Heerscharen – wird der Pflock weichen, der an einem festen Ort eingeschlagen war; er wird abgehauen werden und fallen, und die Last, die er trug, wird zugrunde gehen.“ Die Rede ist also von einem sikkatu, das gleichzeitig als Fundament-sikkatu und Wand-sikkatu vorgestellt wird: Auf ihm gründet symbolisch das Haus, gleichzeitig steckt er in der Wand und an ihm hängt „die gesamte Herrlichkeit seines Vaterhauses“. „An jenem Tage“ aber wird er herausgezogen werden und damit das Haus zugrunde gehen – weil ihm sein Fundament genommen wird. S. auch Sach 10,4.6: „Von JHWH kommt der Eckstein, von ihm der Pflock (jeter). [... Er wird] das Haus Juda stärken und das Haus Joseph retten, und [er wird] sie wohnen lassen, denn [er hat sich] ihrer erbarmt, und sie werden sein, als ob [er] sie nicht verstoßen hätte.“ S. schließlich noch Esra 9,8f.: „Er hat uns einen Pflock (jeter) gegeben an seiner heiligen Stätte: [...] Er hat uns die Güte der Könige von Persien zugewandt, [in der liegt,] dass wir das Haus unseres Gottes wiederaufbauen, seine Trümmer aufrichten und uns eine Mauer in Juda und Jerusalem geben können.(1 Esdras 8,75 übersetzt hier verblüffenderweise „Pflock“ mit „Name“ – ebenso, wie auf Gründungspfählen sikkatu „Pfahl“ austauschbar ist mit „eingeschriebener Name“. Kannte auch der Üs. von 1 Esdras noch dieses Bild?).
Dem selben Zweck wie sikkate dienten auch andere Träger von Monumentalinschriften; die eben zitierte Inschrift von Salmanassar z.B. ist nicht nur auf sikkate überliefert, sondern auch auf Lehm- und Steintafeln. Von anderen Trägern königlicher Monumentalinschriften sprechen sehr wahrscheinlich auch diese beiden Vv.: 2 Sam 18,18: „[König] Absalom aber hatte sich zu seinen Lebzeiten genommen und errichtet die Mazzebe, die im Königstal steht. Denn er sagte sich: ‚Ich habe keinen Sohn, so dass mein Name erinnert würde.‘ Und er nannte die Mazzebe mit seinem Namen, und man nennt sie ‚Denkmal (jad) Absaloms‘ bis zum heutigen Tag.“; Jes 56,4f.: [JHWH sprach:] Ich will ihnen in meinem Haus [=dem Tempel!] und in meinem Mauern Denkmal (jad) und Namen geben, [was für sie noch] besser ist als Söhne und Töchter: Einen ewigen Namen werde ich ihnen geben, der nicht ausgerottet werden wird.“ Von solchen Memorial-Monumenten in Kultstätten ist vielleicht außerdem die Rede in Lev 26,30 und Ez 43,7.9, falls peger wirklich auch „Monument“ bedeutet (s. jeweils dort).
Auch Podeste konnten als Träger solcher Monumentalinschriften dienen. Auf einer Inschrift von Tiglath-Pileser III. z.B. heißt es: „Tiglath-Pileser, großer König, mächtiger König, König der Welt, König Assyriens. Gehört zum Podest der Bullen am Eingang des Tempels des Gottes Adad.(RINA I Nr. 60). An ein Podest wie den Tiglath-Pilesers mit einer Monumental-Funktion wie der in den beiden vorigen Vv. können wir gut auch auch in unserem Vers denken, denn als „Gestell/Podest“ haben kijjun (abzuleiten von kwn, „setzen, aufrichten“) schon viele erklärt (z.B. schon Tarnow 1611, S. 149f.; auch Ewald, de Wette, Meier 1843, S. 1033; Keil; Roberson Smith 1895, S. 294; Maag; van der Woude 1981, S. 40; de Moor 1995, S. 10f.; ähnlich Rosenmüller, Hitzig; HKL II §74.2; ähnlich auch Sellin, Amsler).
Kultstandarten von Marduk und Nabu auf Podest. (c) Ornan 1993, S. 65.
Marduks planetarischer „Aspekt“ war Jupiter, Nabus war Merkur. Wie eng die Kultstandarten mit den Gestirnen zusammenhingen, sieht man daran, dass auf jedem Siegel auch der Mond und/oder ein Stern abgebildet ist.
An der Inschrift Tiglath-Pilesers sieht man auch, dass mehrere Kultfiguren auf nur einem Podest stehen konnten (was einige an der Deutung „der Podest eurer Bilder“ problematisiert haben). Das zeigen auch deutlich die rechts abgebildeten Stempelsiegel, die Ornan zusammengestellt hat: Auf jedem sieht man die Kultstandarten sowohl von Marduk als auch von Nabu beieinander auf nur einem Podest. Die rechts abgebildeten Siegel, auf denen der enge Zhg. dieser Kultstandarten mit den Himmelskörpern schön erkennbar ist, sind alle babylonisch, zum Einen haben aber Keel/Uehlinger 2010, S. 322-369 schön gezeigt, dass auch in Palästina ab dem letzten Drittel des 8. und dann v.a. im frühen 7. Jahrhundert vergleichbare Darstellungen immer häufiger auch in Palästina auftauchen – vermutlich wurde diese Theologie von den ab 734 v. Chr. in Palästina angesiedelten Aramäern und Assyrern hierher importiert –, zum anderen zeigt ja unser Vers selbst schon klar, dass man für die Abfassungszeit dieses Verses einen solchen „astralen Kult“ voraussetzen kann: „Eure Götter“ sind „Stern-Götter“ oder „euer Gott“ hat „einen Stern“. Bei dem „Podest eurer Kultilder, eurer Sterngötter“ hat man also wahrscheinlich an ein ähnliches Ensemble wie das rechts abgebildete und an ähnliche theologische Vorstellungen wie die oben beschriebenen der Babylonier zu denken. Entscheidend wären aber nicht diese Sterngötter, die hier ebenso wie in Am 4,1 das Kalb von Samarien nur nebenbei eingespielt werden, sondern der Gründungspfahl und der Podest, auf dem diese Kultbilder stehen. Beide lassen sich verstehen als Monumente, durch die israelitische Könige mit dem Heiligtum, das hier im Blick ist, speziell, und mit dem Land im Allgemeinen verbunden sind – weil ihre Namen auf ihnen eingeschrieben waren. Doch diesen Gründungspfahl sollen die Angesprochenen nun herausziehen und diesen Podest auf ihre Schultern laden: Sie werden nun aus dem Land verbannt (V. 27) und dazu in V. 26 „entwurzelt“.
Assyrer führen Kultbilder als Kriegsbeute nach Hause. (c) Ornan 2005, S. 259.
(3) „Ihr habt getragen/werdet tragen die Hütte(n) von Moloch/eures Königs und den Kaiwan – eure Götzenbilder“ (z.B. CTAT III, S. 665; BHQ; Isbell 1978, S. 97; Nägele 1995, S. 209; auch R-S, SLT, van Ess). Diese Deutung geht stets bei sikkut und manchmal bei melek von einem anderen Text aus als dem im MT: Statt sikkut wird mit den meisten alten Vrs. sukkat oder sukkot gelesen („Hütte(n)), statt den Konsonanten mlkkm für „euer König“ manchmal außerdem mit LXX, Aq, Syr und zwei MSS mlkm („Milkom“, latinisiert „Moloch“). Ob man „König“ oder „Milkom“ liest, in beiden Fällen geht man davon aus, dass die „Hütte eures Königs/Milkoms“ eine Art portables Tabernakel ist, in dem die eigentliche Götterstatue Milkoms oder des Gottes, der hier als „König“ bezeichnet wird, transportiert wird. Rechts ein Beispiel für einen solchen Transport eines Götterbildes in einem Tabernakel auf einem assyrischen Relief. Deuten ließe sich dieser Text jeweils ebenso wie die vier Optionen bei Deutung (1), nur wird hier die Schwierigkeit des obskuren Gottes Sakkud umgangen und bei sikkut und malkekem das ziemlich starke Zeugnis der alten Üss. stärker berücksichtigt. Wollte man sich nur zwischen Deutung (1) und (3) entscheiden, wäre (3c) (1c) vorzuziehen: „Doch ihr werdet nun exiliert werden, und dort, im Exil, werdet ihr die Kultbilder des ‚Zeltes eures Königs‘ und des Kaiwan vor euch hertragen müssen (statt weiterhin mich zu verehren, was ich ja nicht will, s. Vv. 21-23)“. (Zurück zu v.26)
bmjenseits von Damaskus - d.h. nach Assyrien. Assyrien wird im Amosbuch nie explizit erwähnt, da in der Welt des Textes die Assyrer für die Israeliten ja noch gar nicht wichtig waren. (Zurück zu v.27)
bnTextkritik: Vielleicht ist ein „JHWH“ entfallen (=> Haplographie). Dafür gibt es in der Textüberlieferung zwar überhaupt keine Indizien und merkwürdigerweise scheint diese Zeile auch kaum einem Exegeten problematisch zu sein, aber sie ist es sehr: I.d.R. wird sie übersetzt als „spricht JHWH; Gott Zebaot ist sein Name.“ Aber JHWHs Name ist ja gar nicht „Gott Zebaot“, sondern eben JHWH – darum heißt es z.B. in V. 8 natürlich: „JHWH ist sein Name“, und darum ist (JHWH) (Gott) Zebaots Name natürlich nie „Zebaot“ oder „Gott Zebaot“, sondern stets „JHWH Zebaot“ oder „JHWH Gott Zebaot“; s. Am 4,13; Jes 47,4; 48,2; 51,15; 54,5; 8x in Jeremia; ähnlich noch Hos 12,6 (übrigens ist auch nach den masoretischen Akzenten „JHWH“ nicht von „Gott Zebaot“ zu trennen. Wickes 1887, S. 68 hat daher länger gesucht und am Ende doch zwei Manuskripte gefunden, die entsprechend der üblichen Üs. mit Zaqef statt Merka nach „JHWH“ akzentuieren. Die ursprüngliche Phrasierung ist das aber sicher nicht; die Gründe, die zu dieser alternativen Akzentuierung geführt haben, sind ja offensichtlich). „JHwH“ muss also sicher zu „ist sein Name“ gehören, und damit auch die ganze Phrase „JHWH Gott Zebaot“. Möglich wäre dann allenfalls noch „Sagt er. JHWH Gott Zebaot ist sein Name“ (so Anderson/Freedman). Aber ein derart allein stehendes „sagt er“ wäre durchaus nicht idiomatisch; es ist dies eine feste Formel zum Abschluss prophetischer Reden, die stets `amar JHWH lautet (Baumgärtel 1961, S. 278 nennt 56 Belegstellen). Man könnte schließlich auch diese Zeile wieder als Apokoinu deuten: (1) „Spricht JHWH Gott Zebaot“ und gleichzeitig (2) „JHWH Gott Zebaot ist sein Name“ – aber welchem Zweck sollte dieses Stilmittel hier dienen? Der Text ist hier also sehr wahrscheinlich nicht in Ordnung. Einige Kommentatoren umschiffen diese Schwierigkeit, indem sie „Gott Zebaot ist sein Name“ (oder früher häufiger: „sagt“) für eine sekundäre Eintragung erklären – aber damit wird ja nur das Problem verschoben; man müsste dann annehmen, dass ein Schreiber derart inkompetent war, dass er selbst dazu nicht in der Lage war, statt „sagt“ oder statt „Gott Zebaot ist sein Name“ einfach „sagt JHWH“ oder „JHWH Gott Zebaot ist sein Name“ hinzuzufügen und damit einen ordentlichen Text zu produzieren. Alles in allem spricht daher am meisten für die Annahme eines sehr frühen Ausfalls eines weiteren JHWH, um den überlieferten Text zu erklären. (Zurück zu v.27)