Amos 2

Aus Die Offene Bibel

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Lesefassung (Amos 2)

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Anmerkungen

Studienfassung (Amos 2)

1 Dies sprach JHWH:a
„Wegen drei Vergehen von Moab
Und wegen vierb werde ich es nicht widerrufen (rückgängig machen, zurückkehren lassen, sie nicht zurücknehmen, [die Sache] nicht ruhen lassen),c
Weild sie verbrannten (die Knochen des Königs=) den König von Edom zu Kalk (Knochen als Menschenopfer für einen Dämonen?):e
2 Ich werde schicken Feuer nach Moab
Und es wird fressen die Festungen (Paläste) von der [Stadt] Kerijot (den Städten?)f
Und sterben im Getümmel wird Moab,
Im Kriegslärm beim Klang des Schofar,g
3 Und ich werde vernichten den Richterh aus ihrer Mitte
Und alle ihre Obersten werde ich töten mit ihm“,
Spricht JHWH.


4 Dies sprach JHWH:a
„Wegen drei Vergehen von Juda
Und wegen vierb werde ich es nicht widerrufen (rückgängig machen, zurückkehren lassen, sie nicht zurücknehmen, [die Sache] nicht ruhen lassen),c
Weild sie die Weisung JHWHsi verworfen haben
Und seine Satzungen nicht hielten
Und (deshalb) ihre Lügen (=Götzen)j sie irreführten,
denen [schon] ihre (Väter =) Vorfahren hinterher gelaufen sind:
5 Ich werde schicken Feuer nach Juda
Und es wird fressen die Festungen (Paläste) von Jerusalem.“


6 Dies sprach JHWH:a
„Wegen drei Vergehen von Israel
Und wegen vierb werde ich es nicht widerrufen (rückgängig machen, zurückkehren lassen, sie nicht zurücknehmen, [die Sache] nicht ruhen lassen),c
Weild sie für (wegen?) (Silber=) Geld verkaufen (verkauft haben)k den Gerechtenl
Und den Armen wegen einem Paar (für ein Paar?) Sandalen –m
7 [Sie,] die gieren (schnüffeln, treten)n nach (auf) dem Staub der Erde auf dem Kopf der Geringen (Schwachen),
und [die] beugen den Weg der Armen!o
Ein Mann und sein Vater gehen zu dem[selben] Mädchenp
Und entweihen [so] meinen heiligen Namen (um [so] meinen heiligen Namen zu entweihen);q
8 Auf gepfändeten Mäntelnr sind sie ausgebreitet (strecken sie aus?, strecken sie sich aus?)s
Neben jedem Altar
Und trinken Wein von eingetriebenen Geldern (Strafgeldern)t
Im Haus ihres Gottes (ihrer Götter).u

9 Dabei habe ich doch den Amoriterv {von} vor ihnen vernichtet,
Dessen Höhe [war] wie die Höhe von Zedern
Und der stark [war] wie Eichen:
Ich habe seine Frucht zerstört {von} oben
Und seine Wurzel {von} unten.
10 Dabei habe ich euch doch aus dem Land Ägypten heraufgeführt
Und habe euch in der Wüste vierzig Jahre lang geleitet,
Um das Land des Amoriters in Besitz zu nehmen.
11 Und ich habe von euren Söhnen Propheten (aufgerichtet=) berufen
Und von euren jungen Männern Nasiräer.w
Ja, war es nicht so, ihr (Söhne Israels=) Israeliten? –
Ausspruch JHWHs.
12 [Doch] ihr habt die Nasiräer Wein trinken lassen
Und den Propheten habt ihr befohlen {folgendermaßen}: ‚Ihr sollt nicht prophezeien!‘

13 Siehe, ich spalte unter euch [den Boden] (ich drücke nieder, werde niedergedrückt, hemme, knarre, schwanke)x
Wie ein Wagen (der Wagen)y [den Boden] spaltet, der voll mit Garben ist.
14 Dann wird zugrunde gehen die Zuflucht (Flucht) für den Schnellen
Und der Gewaltige wird nicht aufbringen können (den Gewaltigen wird nicht stärken können)z seine Kraft
Und der Mächtige (Held) wird nicht retten können sein Leben (Seele).
15 Und der (den Bogen Haltende=) Bogenschütze wird nicht standhalten (nicht stehen, sich nicht aufstellen) können
Und der (Schnelle an den Füßen=) Fußsoldataa wird nicht retten können ([sich] nicht retten können)ab
Und der (auf dem Pferd Reitende=) Kavallerist wird nicht retten können sein Leben (seine Seele).
16 Und [selbst, wer] (stark an seinem Herzen=) wackeren Mutes [ist] unter den Mächtigen (Helden)ac
Nackt wird er fliehen an jenem Tag!
Ausspruch JHWHs.“

Anmerkungen

(Fortsetzung aus Amos 1)

In Am 2,1-3 schließlich folgt der letzte und eigentlich der überraschendste Abschnitt der Fremdvölkersprüche. Bei den vorangegangenen Fremdvölkersprüchen war immerhin möglich und auch wahrscheinlich, dass hier von einer Untat gegen Israel oder Juda die Rede war, die qua „Untat-gegen-Israel“ verdammt wurde. Im Fokus stand dies aber schon dort nicht; die Formulierung macht jeweils klar, dass im Fokus nicht das konkrete Opfer stand, sondern die Kriegshandlung selbst, die an sich als verdammenswürdige Tat dargestellt wird. Im Abschnitt über die Philister und die Phönizier wird ja nicht einmal das Opfer identifiziert. Ebenso wenig wird im Edom-Abschnitt gesagt, wer eigentlich der „Verbündete“ und „Bundesgenosse“ ist, den Edom hintergangen hat. Auch in Am 1,3.13 wird Gilead als das Opfer erst ganz am Ende der Untat genannt, was in 1,3 sogar eine ziemlich holprige Syntax ergibt (für gewöhnlich folgen im Hebräischen längere Satzglieder auf die kürzeren): „weil sie gedroschen haben mit einem Dreschschlitten aus Eisen Gilead“ und „weil sie aufgeschlitzt haben die Schwangeren Gileads“ (gut Wazana 2013, S. 487). Der Fokus liegt also jeweils auf der Untat, die direkt nach der Einleitungsformel „wegen drei Vergehen von X und vier werde ich es nicht zurücknehmen, weil...“ stets auf gleiche Weise mit einer Infinitiv-Konstruktion genannt wird: „Weil sie gedroschen haben“ (eigentlich: „Wegen dem gedroschen-Haben von ihnen“), „weil sie exiliert haben“, „weil sie ausgeliefert haben“, „weil sie verfolgt haben“, „weil sie aufgeschlitzt haben“. Und nun also: „weil sie verbrannt haben die Gebeine des Königs von Edom zu Kalk“. Der konkrete historische Hintergrund der Untat ist wieder unbekannt, wenn nicht vom selben die Rede ist wie in 2 Kön 3,27 (s. FN zu V. 1). Auch solche Grausamkeiten gegen Herrscher gegnerischer Nationen aber waren durchaus üblich in der altorientalischen Kriegsführung; zu vergleichbaren Taten allein in der Bibel s. z.B. Ri 4,17-21; 1 Sam 31,4.9 (=1 Chr 10,8-10); 2 Kön 9,31-33 u.ö. Und auch hier wieder wird diese Untat dennoch von Gott als Untat verurteilt und mit einer Spiegelstrafe bestraft: Wie die Moabiter (wahrscheinlich) den König von Edom töteten, so wird nun JHWH den König der Moabiter umbringen (V. 3). Gemeint ist wahrscheinlich wieder die Unterwerfung der Moabiter durch die Assyrer um 733 v. Chr., obwohl von der Ermordung ihres Königs nichts überliefert ist. Überraschend ist der Abschnitt aber v.a. deshalb, weil sich JHWH hier in internationale Politik einmischt, die nicht „sein Volk“ Israel betrifft – „Moab ist zum Gerichte reif, weil es in Edom, dem Israel ebenso feind ist wie Moab, rechtswidrig waltete. Es ist die erste Spur von Völkerrecht in der Geschichte.“ (Kittel 1921, S. 112). Es ist dieser Abschnitt, der endgültig klar macht: Zu verurteilen sind die Untaten in Am 1,3-2,3 nicht, weil Israeliten ihre Opfer sind, nicht, weil Zivilisten ihre Opfer sind und nicht, weil übermäßig viele Menschen ihre Opfer sind – sondern jedes Kriegsopfer ist ein Opfer zu viel und wird von JHWH mit gleicher Münze vergolten werden.

In Am 2,4-16 schließen sich hieran die Völkersprüche über Juda und Israel an, ganz ungewöhnlich also Völkersprüche über das eigene Volk. Juda in Am 2,4f. wird sehr schnell abgehandelt: Anders als die anderen sechs Völker, die militärische Untaten begangen haben, hat Juda sich an Gott vergangen, indem die Judäer seine Weisung verworfen haben, seine Satzungen nicht hielten, und anderen Göttern dienten. Nach den vorangegangenen Völkersprüchen kann man hier gut daran denken, was in 2 Kön 16 darüber berichtet wird, was Ahas tat, direkt bevor er an Tiglat-Pileser geriet: Ahas tat nicht, „was Recht war in den Augen JHWHs“ (V. 2), sondern handelte wie seine Vorgänger, indem er u.a. „sogar seinen Sohn durchs Feuer gehen ließ“ – eine heidnische Sitte (V. 3: „ein Greuel der Heidenvölker“) – und indem er auf Kulthöhen und unter kultischen Bäumen Opfer darbrachte (V. 4).

Dann aber folgt in Am 2,6-16 mit der überlangen Israel-Strophe das klare Ziel des ganzen Abschnittes Am 1-2: Die größten Sünder aber, oh Israeliten, seid ihr selbst – ihr reichen, gierigen und korrupten Israeliten! Ihr vergeht euch an euren ärmeren Mitmenschen, die ihr in eurer Gier zur Ware macht (Vv. 6-7b), an schutzlosen Mädchen (Vv. 7c), und damit letztlich eigentlich an mir, eurem Gott (7d); ja, ihr tut all dies sogar direkt vor meinen Augen (V. 8)! Dabei habe ich in eurer Geschichte heilvoll an euch gehandelt (Vv. 9f.), habe euch aktuell mit Propheten und Nasiräern leuchtende Beispiele vor Augen gestellt (V. 10) – doch selbst an diesen habt ihr euch vergangen (V. 11)! Dafür wird nun meine Strafe auch über euch kommen, und sie wird entsetzlicher sein als all meine Strafen an den euch umgebenden Völkern (Vv. 13-16).
Die Fragen (2) und (3), die auf der Seite Amos aufgezählt wurden – warum wurde Israel so besonders übel mitgespielt, und warum hatte gerade die Oberschicht ein derart schlimmes Schicksal – wird hier das erste Mal auf die Weise beantwortet, wie es noch weitere Male im Amosbuch geschehen soll: Israel hat es sich selbst zuzuschreiben, und besonders hat die Oberschicht es zuzuschreiben: Als gierige und korrupte Oberschicht knechtete sie die breite Masse der Israeliten, darum ist nun auch Israel und besonders diese Oberschicht reif zum Gericht.

Doch selbst diese ausführlichsten Vorwürfe gegen Israel waren kaum mehr als ein Prolog; in den folgenden Kapiteln wird Amos den Israeliten ihre Vergehen immer ausführlicher und immer anklagender vorhalten.


aDies sprach JHWH - Die sog. „Botenformel“. W. „So sprach/spricht JHWH“, trad. mit Präsens übersetzt. Im Amosbuch wurde „So“ mit „Dies“ übersetzt, weil in Kapiteln 7-9 diese Botenformel auf eine Weise variiert wird, die sich nur erkennen lässt, wenn man hier mit „dies“ übersetzt. Die Übersetzung mit Vergangenheit statt Präsens dagegen ist eigentlich immer sinnvoller; die Vorstellung hinter dieser Formel ist: JHWH hat zu seinem Propheten gesprochen, diesen als seinen Boten ausgesandt, und dieser muss nun, später, wörtlich widergeben, was JHWH ihm mitgeteilt hat. (Zurück zu v.1 / zu v.4 / zu v.6)
bwegen drei Vergehen ... und wegen vier - Die Bed. dieser Einleitungsformel ist leider ganz unklar. Sie erinnert sehr an die „Zahlensprüche“, wie sie z.B. in weisheitlicher Literatur wie Spr 6,16; 30,15ff. und Sir 25,9; 26,5; 50,27f., aber auch andernorts in der Bibel begegnen. Formal am nächsten steht dieser Formel Ijob 33,14 (Verbalsatz + paralleler Satz mit verbaler Ellipse und Ballastvariante). Üblicherweise jedoch hat ein Zahlenspruch die Form: X / X+1 – Ausführung von X+1; z.B. eben in Ijob 33,14-28: „In einer Weise redet Gott / und in zweien, ohne dass man es merkt...“, worauf in Vv. 15-28 diese zwei Weisen des Redens Gottes ausgeführt werden. In Am 1-2 aber werden vier Vergehen allenfalls in der Edom-Strophe aufgezählt, in den anderen stehen entweder mehr oder weniger; i.d.R. nur eines.
Verschiedenste Vorschläge sind gemacht worden, um dies zu erklären; überzeugend ist keiner davon. Z.B.: Die jeweilige Strophe impliziere zwar vier Vergehen, ausgeführt werde aber jeweils nur das letzte und schlimmste dieser vier (z.B. Wolff 1969), oder: der Zahlenspruch sei hier nicht wirklich ein Zahlenspruch, sondern spreche von einer unbestimmten Anzahl ausreichend vieler Vergehen (ähnlich dem Dt. „so drei, vier Vergehen“; vgl. Am 4,8), um dann aber dennoch nur eines auszuführen (z.B. van Hoonacker 1908, daher z.B. Dahl 1795: „Weil vielfach sündigte X“), oder: 3 und 4 sei zueinanderzuaddieren, 7 stehe dann als symbolische Zahl dafür, dass das Maß nun voll ist (z.B. Garrett 2008), oder: 3+4 ergebe 7, gemeint seien damit sowohl die sieben Einzelsünden der Nationen vor der Israelstrophe und die sieben Sünden Israels in der Israel-Strophe (z.B. Weiss 1967b) usw. Der Sinn der Amos'schen Zahlensprüche muss aktuell als unerklärt gelten. (Zurück zu v.1 / zu v.4 / zu v.6)
cich werde es nicht widerrufen (rückgängig machen, zurückkehren lassen, sie nicht zurücknehmen, [die Sache] nicht ruhen lassen) - ebenfalls unerklärt ist der zweite Teil der Einleitungsformel der Amos'schen Völkersprüche. Unklar ist nämlich, worauf das pronominale Suffix „ihn/es“ sich bezieht und wie demzufolge das Verb zu deuten ist. Vorschläge: (1) Am häufigsten und noch am besten vertretbar: Das Suffix bezieht sich allgemein auf das im Folgenden ausgeführte Urteil Gottes, das „nicht zurückgenommen“ wird (vgl. zur Formulierung Num 23,20; Est 8,5.8; Jes 43,13, vgl. HER05: „ich widerrufe es nicht“), (2) ähnlich, ebenfalls häufig: es bezieht sich auf die Strafe Gottes, die „nicht abgewendet“ wird (van Ess: „ich halte die Strafe nicht zurück“), (3) auf „die (machtvolle) Stimme“ Gottes aus V. 2, die die Bestrafung der Nationen in Gang setzt und deren Sprechen „nicht rückgängig gemacht“ wird (z.B. Hayes 1988, Andersen/Freedman 1989), (4) auf den Zorn Gottes, der „nicht zurückgehalten“ wird (z.B. Harper 1905, Knieriem 1977), (5) auf die jeweilige Nation, die JHWH nicht „in seine Vasallenschaft zurückkehren“ lässt (z.B. Barré 1986, Stuart 1987), (6) auf das Vergehen, das Gott „nicht beilegen“ und also übergehen wird (Gordis 1979/1980, S. 202; vgl. NL: „ich werde nicht länger darüber hinwegsehen“, PAT: „ich verzeihe es nicht“) u.s.w. (Zurück zu v.1 / zu v.4 / zu v.6)
dIm Dt. nicht gut erkennbar: „Wegen“ und „Weil“ sind im Heb. jeweils die selbe Präposition, wodurch der jeweils zweite Vers eng an den jeweils ersten Vers anschließt: ´al ... we´al ... ´al, „Weil... und weil...: Weil...“. (Zurück zu v.1 / zu v.4 / zu v.6)
e
BM 124801a: Assyrer zwingen besiegte Elamiter, die Knochen ihrer Vorfahren zu mahlen.
sie verbrannten (die Knochen des Königs=) den König von Edom zu Kalk (Knochen als Menschenopfer für einen Dämonen?) - umstrittene Stelle. Der historische Hintergrund dieser Untat ist nicht überliefert. Auch deshalb ist nicht sehr klar, was genau hier angeprangert wird:
(1) ´atsmot („Knochen“) legt zunächst nahe, dass hier an eine „sekundäre Kremation“ zu denken ist: Die Moabiter hätten die sterblichen Überreste des Königs von Edom entweiht, indem sie sie aus ihrem Grab entnahmen und dann verbrannten. Angeprangert würde hier also Leichenschändung. Olyan 2015, S. 138 vergleicht dies sinnvoll mit der rechts abgebildeten assyrischen Praxis, unterlegene Gegner dazu zu zwingen, die Knochen ihrer Vorfahren zu mahlen. Diese Interpretation hat die meisten Anhänger, vgl. z.B. ausführlich Bar 2012. Sekundäre Kremation an sich allerdings war mitnichten eine Untat; in 1 Sam 31,11-13 z.B. wird das Selbe mit den Gebeinen Sauls und seines Sohns getan und ist dort die Vorbereitung für ein ordentliches Begräbnis. Ohnehin war Kremation im Alten Orient üblicher, als man nach dem Zeugnis der Bibel glauben würde; zu einem Überblick über archäologische Funde feuerbestatteter Leichname s. z.B. Bloch-Smith 1992, S. 52-55. Geht man davon aus, dass die Gebeine des edomitischen Königs aus seinem Grab genommen worden wären, um dann verbrannt zu werden, wäre die eigentliche Untat nicht die Kremation, sondern die Grabschändung und v.a. die Totenschändung durch diese Grabschändung, da Nicht-Bestattung klar etwas Schlimmes war (s. v.a. Jer 8,1f.; Bar 2,24f.). Gerade von dieser ist hier aber nicht die Rede, sondern nur vom Verbrennen.
(2) Näher liegt daher die Annahme, dass ´atsmot hier wie häufiger nicht für „Knochen“ steht, sondern pars pro toto für den (lebendigen) Leib des Königs und damit für den König selbst (s. bes. Klg 4,7; z.B. auch Ijob 7,15; Spr 3,8; 14,30; 15,30; 16,24; Ps 6,3; 35,9f. und vgl. z.B. Dalglish 1962, S. 142f.; Gordis 1978, s. 81), der hier also lebendig verbrannt worden wäre. Verbrennen bei lebendigem Leib ist in der Bibel noch häufiger eine Strafe für Übeltäter und damit klar ein schändlicher Tod; s. Gen 38,24; Lev 20,14; 21,9. Offenbar hat Moab dieses Kriegsverbrechen am König von Edom begangen, obwohl dies sonst nirgends überliefert ist.
(3) Eine dritte Möglichkeit: Lebendig verbrannt wurden außerdem Menschenopfer, und zwar sowohl in Israel (Gen 22,2; Ri 11,30-39; Ez 16,20; 23,27; Mi 6,7) als auch bei anderen Völkern (Dtn 12,30f.; Ps 106,35-37) wie z.B. den Moabitern (2 Kön 3,27). Die mittelalterlichen jüd. Exegeten David Kimchi und Abravanel beziehen den Vers auf diese letztzitierte Stelle, die sie so deuten, dass Mescha nicht seinen Sohn, sondern den des Königs von Edom verbrannt habe – was syntaktisch durchaus möglich wäre. Ist diese Deutung von 2 Kön 3,27 richtig (was aber nur wenige neuere Exegeten denken), wäre in der Tat am ehesten an diese Stelle zu denken.
(4) Schließlich eine vierte, ziemlich fernliegende Möglichkeit: Etwas schwierig ist außerdem die Rede vom „Kalk“. Knochen nämlich zerfallen allein durch Verbrennen noch nicht zu Knochenasche, was hier vielleicht metaphorisch als „Kalk“ bezeichnet werden könnte. Selbst in modernen Krematorien bleiben nach dem Verbrennen bei bis zu 1200 °C noch größere Knochenreste übrig, die danach erst noch in einer Knochenmühle zermahlen werden müssen. Auch Knochenasche aus Tierknochen wird auf diese Weise gewonnen. Noch mehr gilt dies natürlich beim Verbrennen eines Körpers auf dem offenen Feuer eines Altars oder eines Scheiterhaufens. Die Interpretation von Tg (ähnlich bei Raschi) – „er verbrannte die Knochen des Königs von Edom und benutzte (sie=) die Überreste als (Kalk=) Putz für sein Haus“ –, der sich auch einige neuere Exegeten angeschlossen haben (z.B. Wolff 1969; Garrett 2008), ist daher nicht ganz einfach. Aus diesem Grund und wegen der zuletzt zitierten Stelle 2 Kön 3,27 haben einige Exegeten angenommen, die Konsonanten lßyd seien hier nicht wie in MT und den alten Üss. als laßid „zu Kalk“ zu vokalisieren, sondern als lešed „für einen Dämon“ – gemeint wäre dann der moabitische Gott Kemosch. Üblicherweise wird dies kombiniert mit einer zweiten Um-vokalisierung, nämlich wird mlk `dm nicht vokalisiert als melek-`edom „König von Edom“, sondern als molk-`adam „Menschenopfer“, wobei vorausgesetzt wird, molk sei entsprechend einem Vorschlag von Eißfeldt (1935, S. 51-55) ein Ausdruck für „Opfer“ – insgesamt also: „weil sie verbrannten Knochen des Königs von Edom [als Menschenopfer] zu Kalk [für einen Dämon](so z.B. Tur-Sinai 1948, S. 64; Albright 1990, S. 240; Christensen 1974, S. 432; erwogen auch von Gradwohl 1963, S. 87). Dass molk tatsächlich auch im Hebräischen ein Ausdruck für „Opfer“ ist, liegt aber ziemlich fern; vgl. gut Seidl 2007, S. 442f. Möglich wäre daher allenfalls die Umpunktierung nur von laßid zu lešed, „weil sie verbrannten die Knochen des Königs von Edom für einen Dämonen“. Doch diese Umpunktierung lässt sich durch keine der alten Üss. stützen; laßid dagegen findet eine leichte Stütze in Jes 33,12 (obwohl das Wort für „Kalk“ offenbar LXX und Tg nicht (so) vorlag, 1QJesa, VUL und Syr aber schon): „Die Völker werden zu Kalk-Bränden werden“, also wieder: „zu Kalk verbrennen“. (Zurück zu v.1)
fdie [Stadt] Kerijot (die Städte?) - Anders als die zuvor genannten Städte ist Kerijot keine Hauptstadt Moabs; dies nämlich ist sonst Ar oder Kir Moab. Kerjot findet sich sonst nur noch auf der Mescha-Stele und in Jer 48,24; nach der Mescha-Stele befand sich hier ein wichtiges Heiligtum des moabitischen Gottes Kemosch – ein schwaches Indiz dafür, dass in V. 1 vielleicht wirklich von einem Menschenopfer die Rede ist und deshalb hier gerade Kerjot statt Ar oder Kir Moab genannt wird. Bernhard 1960 identifiziert Kerjot mit chirbet qurejat ´alejan; ebenso Rudolph 1971. Etwas merkwürdig ist allerdings der Artikel, der im Heb. eigentlich nicht vor Ortsnamen steht, hier und in Jer 48,24 aber schon. LXX und Tg halten das Wort denn auch für eine Ableitung von qirja („Festung, Stadt“); LXX wohl via קריותה („ihre Städte“) statt קריות, ein leicht verständlicher Lesefehler. Dass hier trotz dieses Artikels der auch auf der Mescha-Stele erwähnte Ort Kerijot gemeint ist, ist in Üss. und Kommentaren aber unumstritten. (Zurück zu v.2)
gSchofar - ein zum Blasinstrument umfunktioniertes Widderhorn; häufig eingesetzt als Kriegsinstrument. (Zurück zu v.2)
hRichter - hier offenbar i.S.v. „Herrscher“. Vielleicht auch i.S.v. „König“, aber gut möglich ist, dass Kerjot als nicht-Hauptstadt gerade keinen König hatte und daher hier vom „Richter“ statt vom „König“ die Rede ist, weil „ihr (=Kerijots) Richter“ dann nur etwas wie der Stadthalter des moabitischen Königs war. Die meisten Üss. übersetzen schlicht mit „Richter“, manche besser mit „Herrscher“; am besten wohl TEXT: „Regenten“. (Zurück zu v.3)
iDass Gott wie hier von sich in der 3. Pers. spricht, findet sich ziemlich häufig und ist unproblematisch; s. z.B. noch Ex 33,19; 2 Sam 7,11; Jes 7,11; Hos 1,7; 4,10.12; 5,4; Am 4,11; Mal 3,1 und vgl. z.B. Malone 2009. (Zurück zu v.4)
jLügen (Götzen), denen [schon] ihre Väter hinterher gelaufen sind - „Lüge“ = heb. kazab. Verwandte Worte werden häufig als abwertende Bezeichnungen fremder Götter verwendet (bes. hebel, „Eitles“, z.B. in Jer 2,5; 8,19 u.ö.), kazab aber nirgends. Auch „hinterherlaufen“ findet sich häufig in Kombination mit Götzen, s. Jer 2,8.23; 7,9 u.ö. Üblicherweise wird daher angenommen, dass hier von Fremdgötterkulten gesprochen wird, die Juda schon seit mehreren Generationen gepflegt worden seien (was an sich sicher richtig ist). So z.B. schon Abravanel; z.B. kürzlich auch Eidevall 2017.
Möglich ist aber auch – was schon Ibn Ezra glaubte und bes. von Bons 1996 stark gemacht wurde, der darin einige Anhänger gefunden hat –, dass die „Lügen“ hier Lügen falscher Propheten sind, von denen die Judäer sich verführen lassen hätten; vgl. z.B. Jes 3,12; 9,15; Jer 23,32; Mi 3,5; Zef 3,4. Das Verb passt besser zu dieser zweiten Deutung: ta´ah heißt im Hifil „verirren lassen, fehlleiten“ und ist fast stets etwas, das verurteilenswerte Menschen wie insbesondere falsche Propheten tun. Die wichtigsten Ausnahmen sind Spr 12,26 („der Weg der Gesetzlosen führt die Gerechten irre“); Jes 63,17 („JHWH lässt uns von seinem Weg abirren“) und Hos 4,12 („Mein Volk befragt seine Wahrsagemittel [und] der Geist der Hurerei führt sie irre: Sie huren und verlassen damit ihren Gott.“). Diese Parallelen sind nicht ganz so schön wie die für „irreleitende falsche Propheten“, zeigen aber immerhin, dass es durchaus möglich ist, dass auch falsche Götter „irreleiten“ können, nämlich auf den falschen, nicht gottgemäßen Weg. Wäre dagegen hier von falschen Propheten die Rede, müsste sich das „ihre“ in „ihre Lügen“ auf diese hier eben nicht genannten Propheten beziehen, was denn doch eine etwas undurchsichtige Formulierung wäre; außerdem sind ihnen schon „ihre Vorfahren hinterhergelaufen“, gemeint ist also vielleicht eher etwas „Stabileres“ mit einer längeren Halbwertzeit als falsche Prophetien von Täuschern. Etwas sinnvoller ist daher die klassische Deutung: Die Judäer haben schon seit mehreren Generationen die göttlichen Weisungen wie insbesondere das der Alleinverehrung JHWHs missachtet und so (auch) andere Götter verehrt. Dafür werden sie nun bestraft werden. (Zurück zu v.4)
kverkaufen (verkauft haben) - die selbe gram. Konstruktion wie in den Abschnitten zuvor: `al + Infinitiv, wörtlich also „wegen ihrem Verkaufen“, woraus sich der Zeitpunkt dieser Handlung dann nicht ablesen lässt. In den Abschnitten 1-6 (Am 1,3-2,3) sind damit stets vergangene Handlungen bezeichnet; hier aber wird die Anklage bis in V. 8 fortgeführt und in Vv. 7-8 zeigen die Verbformen, dass in der Israel-Strophe nicht von vergangenen, sondern von wiederholten Missetaten die Rede ist. (Zurück zu v.6)
lden Gerechten - gelegentlich wird nur auf Basis dieses Worts angenommen, der Vers handle von korrupten Gerichten, an denen „die, die im Recht sind“ dennoch aufgrund von Bestechung u.Ä. von ihren Richtern verschachert werden (z.B. Mays 1969, S. 45f.; daher Dahl 1795: „der Schuldlose“). Das dürfte Überinterpretation sein; wahrscheinlich richtiger so: Besonders im Amos-Buch sind kritikwürdig unter den Israeliten die Reichen – die unbarmherzigen, gewinnsüchtigen und korrupten Reichen –, und vor diesem Hintergrund kann der ṣaddiq, der „Gerechte“, leicht zum Wechselbegriff für den „Armen“ und „Bedürftigen“ (wie hier in 6d) werden: Die „Reichen“ sind korrupt, die „Armen“ gerecht. S. ebenso in Am 5,(10-)12; vgl. auch Am 4,1; Am 8,4 vs. Am 8,5f.
Anders Rudolph 1971, S. 141: „[Das Wort meint hier den], der ‚recht, richtig‘, in Ordnung ist [...]. Er ist der anständige Bürger, der ‚honest man‘, der Ehrenmann [...].“, daher Rudolph: „der Ehrenmann“, Wolff: „der Bewährte“, GN: „ehrliche Leute“; HfA: „ehrbare Menschen“; The Message: „upstanding people“. Für diesen Sprachgebrauch aber gibt es keine guten Parallelen. (Zurück zu v.6)
mfür Geld + wegen einem Paar Sandalen - „Sandalen“ sind ein sprichwörtlich geringer Betrag; s. Sir 46,19; auch 1 Sam 12,3 LXX (wo LXX den Text verändert: „Von wem habe ich Bestechungsgeld angenommen, und sei es nur eine Sandale?“).
In 6cd werden zwei us. Präpositionen verwendet. Einige übersetzen beide mit „für (den Gegenwert von)(z.B. Saviour 2012, S. 21), einige beide mit „wegen, um ... willen“ (z.B. Reimer 1992, S. 32: „wegen Geldes ... wegen ein Paar Sandalen“). Vor einem Wort wie ksp „Geld, Silber“ hat b aber immer die Bed. „für (den Gegenwert von)“, ba´abur aber hat nie diese Bed., sondern stets „wegen, um ... willen“ (gut Fleischer 1989, S. 47). Gemeint ist in der zweiten Zeile also nicht „They'd sell a poor man for a pair of shoes“ (The Message), sondern die beiden Zeilen meinen Unterschiedliches: Die (reichen) Israeliten verkaufen Arme erstens für Gewinn und zweitens wegen einem Paar Sandalen. Letzteres meint dann sicher nicht indirekt doch wieder „selbst, wenn sie dafür nur so viel Geld bekommen, dass sie sich davon ein Paar Sandalen leisten können“ – am Ende also doch wieder „für den Gegenwert von einem Paar Sandalen“ – und ebensowenig wird hier wie in Rut 4,7 auf den Schuh als Symbol für einen Rechtsakt angespielt (wie z.B. Speiser 1940, Lang 1981 und Reimer 1992, S. 34f. glauben), sondern: Verkauft werden Israeliten zum einen als Kriegsgefangene (s. Am 1,6.9), zum Zweiten kann man schlicht illegal verkauft werden, wie etwa Josephs Brüder diesen an eine Händler-Karawane verkauften (Gen 37,21-28), und zum Dritten kann man bei Verschuldung sich selbst oder Familienangehörige „verkaufen“ und den geschuldeten Betrag dann als Lohnknecht abarbeiten (lassen) (s. z.B. Dtn 15,12; Ex 21,7; Neh 5,2.5; ähnlich 2 Kön 4,1). Wird jemand „wegen eines Paars Sandalen“ verkauft, heißt das angesichts dieser Optionen also wahrscheinlich: Weil jemand ein Paar Sandalen – etwas sprichwörtlich Geringfügiges also – nicht zahlen kann, zwingen reiche Israeliten ihre Schuldner zunächst in die Lohnknechtschaft und handeln dann mit diesen Lohnknechten wie mit bloßen Waren, indem sie sie weiterverkaufen (dieser Vers; vgl. Ex 21,7f., wo eine Schuldsklavin weiterverkauft werden soll) oder aus Gewinnstreben aufkaufen (Am 8,6). Gut GN: „Ihr verkauft ehrliche Leute als Sklaven, nur weil sie ihre Schulden nicht bezahlen können, / ja ihr verkauft einen Armen schon, wenn er euch eine Kleinigkeit wie ein paar Sandalen schuldet“; HfA: „Ehrbare Menschen, die ihnen Geld schulden, verkaufen sie in die Sklaverei, / ja, sie verkaufen einen Armen schon, wenn er ein Paar Schuhe nicht bezahlen kann!“ (Zurück zu v.6)
ngieren (schnüffeln, treten) - Schwierige Stelle. In Vv. 7f. und V. 13 finden sich mehrere Stellen, die so komplex sind, dass die Diskussion in den Kommentar ausgelagert wurde. Hier am sinnvollsten wie SLT: „[sie, die] selbst nach dem Erdenstaub auf den Köpfen der Geringen gierig sind.“, die also selbst nach dem bisschen Staub gieren, den man sich im alten Israel als Zeichen der Trauer auf den Kopf streute. Ähnlich GN, HfA, R-S. S. näher im Kommentar. (Zurück zu v.7)
oden Weg beugen - Eine weitere schwierige Stelle. Vermutlich ein Ausdruck für „sie verstoßen gegen das Recht der Armen“. S. näher im Kommentar. (Zurück zu v.7)
pgehen zu dem[selben] Mädchen - zur Vergewaltigung; „gehen zu“ ist ein Euphemismus für Geschlechtsverkehr (s. z.B. Schorch 2000, S. 116; daher GN: „Vater und Sohn missbrauchen dasselbe Mädchen“; HfA: „Vater und Sohn gehen mit ein und demselben Mädchen ins Bett“). Dass Sohn und Vater mit dem selben Mädchen Geschlechtsverkehr haben, ist verboten: Ist sie mit einem der beiden verheiratet (wonach es dann aber wahrscheinlich nicht als „das Mädchen“ bezeichnet würde), nach Lev 18,8.15 und 20,1f.; ist sie noch unverheiratet, galt, dass ein Vergewaltiger verpflichtet war, sie zu heiraten (s. Ex 22,15f.; Dtn 22,28f.; m.Qid i 1.), wonach dann eine Vergewaltigung durch einen zweiten natürlich ebenfalls ausgeschlossen war. Selbst der Spezialfall, dass ein Mädchen Schuldsklavin und gleichzeitig entweder mit Vater oder Sohn verlobt ist, ist in Ex 21,7f. geregelt. Welche Situation auch immer wir uns hier also vorzustellen haben; klar ist, dass hier ein Mädchen in seiner Schutzlosigkeit sexuell ausgebeutet wird, und diese Schutzlosigkeit wird unterstrichen durch die Verwendung des Wortes „Mädchen“. Welchen sozialen Status darüber hinaus dieses Mädchen exakt hat, lässt sich nur aus dem Begriff selbst nicht erschließen. In diesem Kontext liegt es allerdings nahe, an eine Schuldsklavin denken, da diese derlei offenbar häufiger erlitten, s. Neh 5,5 und vgl. zu kabasch als „vergewaltigen“ Est 7,8.
Daneben sind auch viele andere Vorschläge zum Status des Mädchens gemacht worden, die aber jeweils keine Anhänger gefunden haben; Ausnahme: „Mädchen“ bezeichne hier eine Prostituierte (z.B. Gordis 1979-80, S. 217; Soggin; Garrett, viele andere). Doch diese Bed. hat na`arah sonst nirgends. (Zurück zu v.7)
qStark Rudolph 1971, S. 143: „Diese Aussage ist wichtig. Sie bewahrt uns davor, in Amos, der Unmenschlichkeiten aller Art anprangert, lediglich einen Humanisten zu sehen, dem das Mitleid den Mund öffnet, oder einen Sozialreformer, der bestehende Unsitten aufs Korn nimmt. Er sagt hier: alle Mißachtung und Mißhandlung der Schwachen und Wehrlosen ist letztlich eine Mißachtung Jahwes selbst (vgl. Jer 34,16), weil die Missetäter genau wissen, daß sie damit dem Willen und den Geboten ihres Gottes zuwiderhandeln und so ihn selbst in den Schmutz ziehen.“
Smith 1998, S. 123 und Garrett 2008, S. 62 denken, der Satz müsse hier besser final statt konsekutiv aufgelöst werden (um zu entweihen“), da ein solcher Satz ja typisch für die Ironie des Amos sei. Aber dafür, dass dieser Satz, der sich ja auch ganz unproblematisch unironisch auflösen lässt, hier ironisch gemeint sein muss, fehlt jedes Indiz. (Zurück zu v.7)
rWortspiel: die begadim („Mäntel“) sind gleichzeitig die „Trügereien“. Angespielt wird in V. 8 wahrscheinlich auf kultische Festgelage, die im alten Israel in der Tat in Kultstätten stattfanden (s.z.B. Ex 18,12; 1 Sam 9,19.22-24; vgl. v.a. auch Dtn 27,7; dann auch Dtn 12,27; Jer 7,21) und die tatsächlich auf dem Boden sitzend oder liegend auf dem Mantel oder auf einer Ledermatte genossen wurden (wie allgemein v.a. in dieser Position gegessen wurde; daher Schegg 1862, S. 228: „Sie liegen zu Tisch auf abgepfändeten Kleidern“). Die Rede von den „Mänteln“ hat viele dazu verleitet, an Ex 22,25f.; Dtn 24,12f. zu denken, wonach ein gepfändeter Mantel binnen eines Tages zurückgegeben werden muss und nicht über Nacht einbehalten werden darf. Dass dies hier aber verbotenerweise getan wird, wird nirgends gesagt, und spätestens das Trinken von „Wein von eingetriebenen Geldern/Strafgeldern“, also Wein, den die reichen (und korrupten?) Israeliten sich von dem Geld ärmerer Mitbürger gekauft haben, ist sicher nicht verboten (was sonst soll man solchen Geldern machen, als sie auszugeben? Und entsprechend dann eben: Was sonst soll man mit gepfändeten Mänteln machen?). Angeklagt werden die Angeklagten hier also wahrscheinlich wieder nicht wegen einem Vergehen stricto sensu, sondern für mangelnde Integrität: Vorausgesetzt wäre dann wieder, dass die Angeklagten Mantel und Geld durch Gier (und Korruption?) erlangt haben, und verurteilenswert ist dann v.a., dass die Früchte mangelnden Integrität ganz ungeniert und direkt „vor den Augen Gottes“ genossen werden – und seien sie strenggenommen auch „rechtens“ erlangt worden. (Zurück zu v.8)
ssie sind ausgebreitet (sie strecken aus?, sie strecken sich aus?) - die letzte schwierige Stelle in Vv. 7f. Gemeint ist vermutlich: „Neben Altären reihen sich die reichen Israeliten dicht an dicht auf gepfändeten Mänteln aneinander.“ S. näher im Kommentar. (Zurück zu v.8)
teingetriebene Gelder (Strafgelder) - (1) Für gewöhnlich heißt das Wort klar „Bestrafungen“; man hätte dann an unfaire Prozesse zu denken, durch die reiche Israeliten ihren armen Mitbürgern unverdiente Strafen auferlegen lassen haben (so schon LXX, die frei übersetzt: „aus falscher Anklage“.). So übersetzen daher fast alle auch hier. In 2 Kön 23,33; 2 Chr 36,3 heißt das selbe Wort aber auch „Tribut, Abgabe“. Das passt hier wesentlich besser (so daher z.B. auch Rudolph 1971, S. 139; Bohlen 1986, S. 284; Reimer 1992, S. 46f.). Zwei Hintergründe wären vorstellbar: (2) Gläubiger würden auf geschuldetes Geld Zinsen erheben und diese Zinsen eintreiben (so z.B. Fendler 1973, S. 36; Reimer 1992, S. 47f.; dass diese Praxis gepflegt wurde, lässt sich ex negativo aus dem Zinsverbot z.B. in Ex 22,24 erschließen). Oder (3): Landwirtschaft wurde im Alten Israel nicht nur von Besitzern eigener Felder betrieben, sondern auch von einer Art „landwirtschaftlichen Subunternehmern“ (aram: `aris), die gegen einen gewissen Betrag das Feld eines Großgrundbesitzers verwalten und bestellen durften. Nach b.Git 74b betrugen diese Abgaben bis zu drei Vierteln des Ertrages (von dieser Größenordnung spricht auch Bartenura zu m.Bikk i 2); in Hld 8,11f. ist wahrscheinlich sogar davon die Rede, dass die Subunternehmer („Wächter“, Tg. übersetzt `aris), die Salomos Weingarten in Baal-Hamon („Großgrundbesitzer“) bestellten, fünf Sechstel des Ertrags abgeben mussten. In diesem System war Ausbeutung von Kleinbauern also bereits systemisch angelegt. So oder so: Der „Wein aus Eintreibungen“ wäre recht eigentlich wie der gepfändete Mantel „Wein aus Ausbeutung“, und diesen genießen die reichen Israeliten nun ganz ungeniert im Tempel. (Zurück zu v.8)
uHaus ihres Gottes (ihrer Götter) - heb. bet `elohehem; seltener Ausdruck für Gotteshäuser. Wahrscheinlich hier gewählt, um auf Bethel (heb. bet `el, „Haus der Gottheit“) anzuspielen, um das es im Folgenden noch häufiger gehen wird (s. Am 3,14; 4,4; 5,5f.; 7,10.13). (Zurück zu v.8)
vAmoriter stehen hier wie in Gen 48,22 stellvertretend für alle ursprünglichen Bewohner Kanaans, von denen es verschiedentlich heißt, sie seien sehr groß stark gewesen (s. Num 13,29; Dtn 2,10.20f.; Jos 14,12). (Zurück zu v.9)
wNasiräer - Ein eigener Stand im alten Israel, der sich auf besondere Weise Gott geweiht hatte und daher asketisch lebte (und daher bes. kein Alkohol trinken durfte), sich nicht verunreinigen durfte und sein Haar nie schnitt. S. bes. Num 6,1-8; vgl. näher Nasiräer (WiBiLex). Von diesen ist in der Bibel äußerst selten die Rede; dass sie hier eigens genannt werden, ist daher bezeichnend: Es sind gerade nicht die Priester, die Gott als Zeichen für die Israeliten berufen hat, sondern die Propheten und Nasiräer, die nur eine lose Verbindung zum Kult Israels hatte (gut Rudolph 1971, S. 147). (Zurück zu v.11)
xich spalte unter euch [den Boden] (ich drücke nieder, werde niedergedrückt, hemme, knarre, schwanke) - unsicheres Wort, in dt. Üss. finden sich daher viele verschiedene Übersetzungsvarianten. Die häufigste – „ich lasse es unter euch schwanken, wie ein Wagen schwankt“ (z.B. B-R, , HfA, LUT 17, ZÜR) – ist nur sehr unwahrscheinlich richtig. In neueren Kommentaren findet sich recht häufig nach einem Vorschlag von Gese 1962: „Ich spalte (den Boden) unter euch auf, wie ein schwer beladener Wagen (den Boden) aufspaltet“, nämlich durch das Erdbeben, von dem auch Am 1,1 spricht (vgl. ähnlich Num 16,31). In Ermangelung einer besseren Alternative folgt OfBi dieser Übersetzungsvariante. S. näher den Kommentar. (Zurück zu v.13)
yein Wagen (der Wagen) - W. „der Wagen“, eine heb. Stileigentümlichkeit: Anders als im Dt. wird dort in Vergleichen das Verglichene determiniert, während es im Dt. unbestimmt bliebe (s. ähnlich z.B. Ps 33,7; 104,6; Hld 6,5; 8,6; Klg 2,6.14; Ob 4 u.ö.). (Zurück zu v.13)
zder Gewaltige wird seine Kraft nicht aufbringen können (den Gewaltigen wird seine Kraft nicht stärken können) - beide Auflösungen sind möglich. Ganz ähnlich in Spr 24,5; Nah 2,2. Auch Spr 24,5 ließe sich auf beide Weisen auflösen, in Nah 2,2 ist aber klar, dass die „Kraft“ Objekt des Verbs ist. (Zurück zu v.14)
aa(Schnelle an den Füßen=) Fußsoldat - Gut Rudolph 1971, S. 149; Garrett 2008, S. 76: Weil der „Schnellfüßige“ zwischen Bogenschützen und Kavallerist genannt wird, wird es sich hier vermutlich auch um eine militärische Bezeichnung handeln; wahrscheinlich um einen leichten Infanteristen. Der wird im Dt. glücklicherweise auch „Fußsoldat“ genannt, so dass es sich fast wörtlich und doch eindeutig ins Dt. übertragen lässt. (Zurück zu v.15)
aber wird nicht retten können ([sich] nicht retten können) - anders als in 14c.15c hat das Verb jemallet in 14b ganz auffällig kein Objekt. Fast alle Üss. ergänzen „sich selbst“ als dieses Objekt; Ausnahme: B-R: „der Leichtfüßige rettet nicht, auch der Reiter zu Pferd rettet nicht seine Seele“. Während Bogenschütze und Kavallerist sich nicht retten kann, kann der Fußsoldat andere nicht retten. Sprachlich ist das wahrscheinlicher.
Es ist aber doch sehr auffällig, dass dies nun schon die dritte Stelle in diesem kurzen Kapitel ist, bei der es naheliegt, dass ein sonst und auch im direkten Kontext transitives Wort intransitiv verwendet wird: In V. 8 deuten fast alle das üblicherweise transitive „sie strecken aus“ als „sie sind ausgestreckt“, in V. 13 wäre die sprachlich sauberste und einfachste Deutung die, dass das sonst transitive ´uq / ṣuq (dann: „belasten, bedrängen“) einmal transitiv und direkt danach einmal intransitiv („belastet sein) verwendet wird (s. den Kommentar), und nun deuten hier fast alle die selbe Verbform in 15b intransitiv (was im Dt. reflexiv übersetzt werden muss: „er rettet sich nicht“) und in 14c.15c transitiv („er rettet X nicht“). Vielleicht handelt es sich hier um eine Stileigentümlichkeit des Amos? (Zurück zu v.15)
acd.h.: der Kühnste der Kühnen. Gut Jeremias 1995, S. 19: „selbst der Kühnste unter den Helden“. (Zurück zu v.16)