Amos 7

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Lesefassung (Amos 7)

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Anmerkungen

Studienfassung (Amos 7)

1a Dies zeigte mir (ließ mich sehen) der Herr JHWH:b
Siehe: Er schuf ([jemand] schuf) Heuschrecke[n] zum Anfang des Wachsens der Spätsaat (des Spätwuchses),
Und siehe: Die Spätsaat (der Spätwuchs) [kam] nach der Mahd des Königs!c
2 Und als sie gerade gänzlich fraßend ([damit] endeten, abzufressen) [sämtliche] Pflanzen {der Erde},e (Und [dies] würde geschehen, wenn man fertig sein würde, die Pflanzen {der Erde} zu essen.)f
Sprach ich (Da sprach ich): „Herr JHWH, bitte, vergib!
Wer könnte Jakob [sonst] wieder aufrichten ([Als] wer könnte Jakob bestehen, Wie könnte Jakob [sonst] bestehen / [wieder] aufstehen?)?g
Denn er ist [ja so] klein (gering)!“
3 JHWH tat dies Leid (JHWH bereute es).
„Es soll nicht geschehen!“, sprach JHWH.


4 Dies zeigte mir (ließ mich sehen) der Herr JHWH:b
Siehe: Es nahte sich zum Prozess (...)h mit (Feuer=) einer Dürrei der Herr JHWHj
Und (es=) sie fraß (die große Tiefe=) das Grundwasser (das Meer)k
Und würde fressen das Ackerland (das Land, das Land [Israel], die [ganze] Welt).
5 Da sprach ich: „Herr JHWH, bitte, tu's nicht (hör auf)!l
Wer könnte Jakob [sonst] wieder aufrichten ([Als] wer könnte Jakob bestehen, Wie könnte Jakob [sonst] bestehen / [wieder] aufstehen?)?g
Denn er ist [ja so] klein (gering)!“
6 JHWH tat dies Leid (JHWH bereute es).
„Auch dieses soll nicht geschehen!“, sprach der Herr JHWH.


7 Dies zeigte mir [er] (ließ [er] mich sehen):b
Siehe: der Herr stand auf (an) einer Zinn-Mauer (Blei-Mauer, auf einer mit einem Blei[lot gebauten] Mauer)m
Und in seiner Hand [war] Zinn (Blei, ein Blei[lot]).
8 Da sprach JHWH zu mir:
„Was siehst du, Amos?“
Und ich sprach: „Zinn (Blei, ein Blei[lot])“.
Und der Herr sprach: „Siehe, ich lege Zinn (Blei, ein Blei[lot])
In die Mitte meines Volkes Israel;
Ich kann nicht (werde nicht, möchte nicht) weiterhin fortfahren, an ihm vorüberzuziehen:n
9 Verwüstet werden die [Kult]höhen Isaakso
Und die Heiligtümer Israels werden zertrümmertp
Und ich werde mich aufrichten (erheben)q gegen das Haus Jerobeamsr mit dem Schwert.“


10s Dat sandte Amazja, der Priester von Bethel,u [eine Nachricht]
An Jerobeam, den König von Israel, wie folgt:v
„Amos betreibt Verschwörung gegen dich
In der Mitte des Hauses Israel;
Das Land (die Erde) kann nicht (fassen=) ertragenw
Alle seine Worte.
11 Denn dies sprach Amos:b
'Durch das Schwert wird sterben Jerobeam
Und Israel wird (exiliert werdend=) sicher exiliert werden aus seinem Land!'“

12 Und Amazja sprach zu Amos:
„Seher, gehe, fliehe {dich}x in das Land Juda
und iss dort Brot (verdiene dir dein Brot?)y und prophezeie dort;
13 Aber in Bethel fahre nicht weiterhin fort zu prophezeien,
Denn ein Heiligtum des Königs [ist] dies
Und ein Haus des Königreiches [ist] dies!“z

14 Da antwortete Amos
Und sprach zu Amazja:
„Kein Prophet [bin (war)]aa ich
Und (kein=) nicht mal (Prophetensohn=) Propheten-Azubiab [bin (war)] ich,
Sondern Rinderhirt (Rinderbaron?)ac [bin (war)] ich
(Und=) Ja, sogar Abernter-von-Maulbeerfeigenbäumen.ac (Obwohl ich kein Prophet [war] ..., sondern Rinderhirt ..., nahm mich JHWH...)
15 Aber es nahm mich JHWH weg von hinter der Herdeac
Und es sprach zu mir JHWH:
‚Gehe, prophezeie meinem (wider mein)ad Volk Israel!‘

16 (Und=) Darum höre nun das Wort JHWHs!
Du sprichst: ‚Du sollst nicht prophezeien wider (über)ae Israel
Und du sollst nicht (tropfen=) predigen (geifern?)af wider (über) das Haus Isaak!‘o
17 Darum sprach dies JHWH:b
‚Deine Frau wird in der Stadt zur Hure werdenag
Und deine Söhne und deine Töchter werden durch das Schwert fallen
Und dein Land wird mit der Messschnur verteilt werdenah
Und du wirst in unreinem Landai sterben
Und Israel wird (exiliert werdend=) sicher exiliert werden aus seinem Land!‘“

Anmerkungen

Mit Am 7 beginnt der letzte Großabschnitt des Amosbuches: Am 7-9 schildern nacheinander fünf Visionen. Wann, wo und warum sie empfangen wurden, wird im Text nicht gesagt – sie stehen für sich, und wichtig ist v.a., was geschaut wird und noch mehr, wie Amos darauf reagiert.
Die ersten drei Visionen folgen dierekt aufeinander, ab der dritten Vision wird an jede dieser Visionen noch ein Abschnitt anderer Gattung angeschlossen.
Bei den ersten vier Visionen gehören jeweils zwei als Visionspaare zusammen:

Schema A
Schema B
Am 7,1-3.4-6:
1. „Dies zeigte mir der Herr JHWH“

2. „Siehe: ...“

3. „Da sprach ich: Herr JHWH, bitte, vergib / tu's nicht!
Wer könnte Jakob sonst wieder aufrichten? Denn es ist ja so klein!“

4. „JHWH tat dies Leid.
Es/Auch dieses soll nicht geschehen!, sprach (der Herr) JHWH.“
Am 7,7-9; 8,1-3:
1. „Dies zeigte mir er/der Herr JHWH:“

2. „Siehe: ...“

3. „Da sprach JHWH zu mir: Was siehst du, Amos? Und ich sprach: ...“

4. „Und der Herr sprach: ...“

Inhaltlich sind die ersten beiden Visionen in Am 7,1-6 selbsterklärend, zu der in Am 7,7-9 wurde das Nötigste bereits oben gesagt. Erklärungsbedürftig ist aber der Übergang von Vision 1+2 zu Vision 3+4: Warum ist es in Vision 1+2 möglich, dass Amos Gottes Urteil über Israel durch seine Fürbitte noch abwenden kann, in Vision 3+4 aber nicht mehr? In der deutschen Bibelauslegung hat man gelegentlich versucht, dies biographisch zu erklären (so z.B. noch Jeremias und Leuenberger 2017): Vision 1+2 hatte Amos noch vor Beginn seiner Prophetenlaufbahn oder zu einem frühen Zeitpunkt derselben geschaut, zu dem er sich noch als Heilsprophet verstand, der für Israel Partei ergreifen müsse. Entweder durch Vision 3 oder wegen dem in Am 7,10-17 Geschilderten oder schlicht durch hier nicht erwähnte Erfahrungen, die Amos mit Gott und mit Israel gemacht hatte, wandelte sich dann aber Amos (Selbst-)Verständnis und ihm wurde bewusst, dass Gottes Urteil über Israel verdient und unabwendbar war, was dann aus Vision 3+4 spreche. Das aber gehört gänzlich ins Reich der Spekulation. In Am 7 steht zumindest auf den ersten Blick nichts, das dieses Gegeneinander von Vision 1+2 einerseits und Vision 3+4 andererseits erklären würde (aber s. gleich). Vor allem Landy 1987 und Tiemeyer 2006 haben wegen dieser Leerstelle zwischen Vers 6 und Vers 7 daher etwas verfasst, was weniger als historische Exegese dieser Verse zu verstehen ist denn als Midrasch. Er ist nicht etwa „wahrscheinlicher richtig“ als die biographische Idee der deutschen Exegese, lässt aber zu, die Verse mit größerem geistlichem Gewinn zu lesen, und sei daher hier mitgeteilt:

Ein Midrasch zu Am 7,1-9:
Es ist zunächst einmal grundsätzlich erstaunlich, dass Gott Propheten so beruft, wie er sie beruft – nämlich nicht in einen „Berufsstand“, in dem nur läge, dass Propheten Gottes Worte an sein Volk weiterzugeben haben, sondern auch in einen Stand, zu dem fundamental auch die Aufgabe gehört, bei Gott Fürbitte für sein Volk einzulegen (s. Gen 20,7; 1 Sam 7,5.8; 12,19.23; Jes 37,2-4; vgl. dazu bes. Beckers Aufsatz „Der Prophet als Fürbitter“). So fundamental, dass Gott dem Jeremia sogar explizit untersagen muss, Fürbitte für Israel einzulegen (s. Jer 7,16; 11,14; 14,11). Bei einer Auseinandersetzung „Gott vs. Gottes Volk“ ist es also Gott, der jeweils dafür sorgt, dass sein Volk dabei immerhin von einem ordentlichen Anwalt vertreten wird. Erstaunlich ist zweitens, dass er dann auch jeweils tatsächlich auf diese Anwälte Israels hört (wie er es seit Beginn seiner Geschichte mit seinem Volk Israel getan hat, s. Ex 32,7-14; Num 14,11-20). Erstaunlich ist drittens, wie Gott auf diese Anwälte Israels hört: Es ist nicht etwa nur so, dass er sich von diesen nur „überzeugen“ lassen würde (wie das in Num 14,11-20 geschieht) – sondern Propheten können für Gottes Volk auch eintreten, indem sie an Gottes Mitgefühl appellieren. So auch hier: Amos wendet gegen das geschaute Unheil in Vv. 1.4 nicht etwa ein, dass zum Beispiel im Grunde Israel doch gut sei oder dass es sich ja doch noch bessern könne; stattdessen bittet er Gott schlicht darum, „seinem kleinen Jakob“ zu verzeihen – wer sonst könnte das tun? Woraufhin Gott sich nicht einfachhin „anders entscheidet“, sondern „es ihm Leid tut“ (Vv. 3.6). „Gott kalkuliert nicht etwa kalt, sondern ‚fühlt‘ sich hinein in die Auswirkungen seines Handelns und zeigt ein Mitgefühl mit seinen Geschöpfen“ (Mays 1969, S. 130). Mit Landy und Tiemeyer kann man sich den Unterschied zwischen Vision 1+2 einerseits und Vision 3+4 andererseits daher vielleicht als einen „Taktik-Wechsel“ Gottes verstehen: Gott weiß, dass Israel reif zum Gericht ist. Und gleichzeitig ist ihm nach den ersten beiden Visionen ebenso bewusst: Sobald Amos Fürbitte einlegen wird für Israel, wird er nicht hart bleiben können. Aus diesem Grund zeigt er Amos ab V. 7 nicht mehr etwas Gefährliches wie eine Heuschreckenplage oder eine landesweite Dürre, sondern etwas Unverfängliches – eine Zinn-Mauer in V. 7, einen Obstkorb in Am 8,1 –, und „stiehlt Amos so die Initiative“ in ihrem Dialog (Landy), da dieser bei der Schau eines Obstkorbes ja kaum um Erbarmen bitten wird. Nur so ist es ihm möglich, Israel sein verdientes Urteil mitteilen zu können – und auch dies nur gerade so: Auch in Am 7,7-9 und Am 8,1-3 bleibt Israel ja „sein Volk Israel“ (7,8; 8,2). Es geht sogar so weit, dass in Am 7,8; 8,2 nicht etwa er das vernichtende Urteil spricht. Das muss Amos tun (vgl. Novick 2008). Passend klingt dann auch noch im selben Vers in der letzten Zeile mit der deutlichen o-Assonanz wieder Gottes Klageruf durch: „[Oh! oh!] Ich kann nun nicht weiterhin fortfahren, an ihm vorüberzuziehen!“

Indes lässt sich aber vielleicht doch noch eine weitere Erklärung dafür finden, warum hier Amos keinen Einspruch erhebt. Ein solcher Einspruch könnte erst nach V. 9 kommen, da die Ankündigung in V. 8, dass Gott „Zinn (`anak) in die Mitte seines Volkes“ legen wolle, immer noch nicht gut verständlich ist. Erst in V. 9 wird wirklich klar, dass auch in dieser Vision sich wieder ein schlimmes Geschick für das Volk Israel ankündigt. Doch in Vv. 10-17, „just zu dem Zeitpunkt, da wir erwarten würden, dass nun Amos Einspruch erhebt gegen den göttlichen Plan und um Milde fleht, taucht [auf einmal] Amazja auf“ (Eslinger 1987, S. 42f.) und verbietet Amos, weiterhin zu prophezeien – sogar mit dem selben Ausdruck, mit dem in Am 2,12 ganz Israel seinen Propheten das Prophezeien untersagt hat.
Der Abschnitt Am 7,10-17 wirkt dabei zwischen Vision 3 und Vision 4 wie ein Fremdkörper und wird daher von vielen Auslegern auch für eine nachträgliche Einfügung gehalten. Er ist es aber nicht und gehört untrennbar mit Vv. 7-9 zusammen, was eine ganze Reihe von Bezügen zwischen diesen Abschnitten sehr deutlich machen: (1) Das „die Mitte des Volkes Israel“ in V. 8 wird durch „die Mitte des Hauses Israel“ in V. 10 aufgegriffen, (2) „mein Volk Israel“ in V. 8 durch die selbe Formulierung in V. 15, (3) „nicht weiterhin fortfahren“ in V. 8 durch die selbe Formulierung in V. 13, (4) der Parallelismus „Isaak + Israel“ in V. 9 im selben Parallelismus in V. 16, (5) der Parallelismus „Israel + Jerobeam“ in V. 9 durch den selben Parallelismus in V. 11, (6) das Beieinander von „Schwert + Jerobeam“ in V. 9 durch das selbe Beieinander in V. 11. Aus diesem Grund liegt auch die Annahme so nahe, dass wirklich (7) ähnlich das viermalige „Zinn“ (`anak / `anok, s.o.) in Vv. 7f. dreimal durch `anoki in V. 14 aufgegriffen wird (s. zu V. 7). Wenn das aber richtig ist, ist auch die Rede in Vv. 7f. vom `anak unvollständig und unverständlich ohne Vv. 10-17. Dieser Abschnitt soll also offenbar hier stehen, und soll offenbar hier derart „stören“.
Dass der Abschnitt derart fremd in seinem Kontext wirkt, passt daher vielleicht sogar gerade sehr gut; dieses „Störende“ unterstriche noch zusätzlich, wie störend Amazjas Handeln hier ist: Mit dem Auftauchen von Amazja, diesem „idealen Gegenspieler“ des Amos (s.o. zu „Amazja“) – dieser sozial hochgestellten politischen, juristischen und religiösen Führungsgestalt des Nordreichs – „verdammen ironischerweise die politischen und religiösen Führer sich selbst zu ihrem unwiderruflichen Verderben“ (Eidevall 2017, S. 203). Amos darf gar nicht mehr Fürbitte einlegen für das Volk. Das Selbe zeigt dann auch noch einmal V. 17 mit dem plötzlichen Übergang vom Schicksal Amazjas zu dem Israels: Dieser ist nicht nur der prototypische Gegenspieler des Amos, sondern steht damit für das ganze Nordreich: „Das Charakteristische an diesem Urteil [in V. 17 insgesamt] ist, daß es sozusagen eine Einzelanwendung aus dem bevorstehenden allgemeinen Schicksal des Nordreiches auf das persönliche Schicksal des Amazja bringt.“ (Reventlow 1962, S. 23). Man könnte sagen: Erst durch Amazjas Intervention wird Amos´ „Ich“ (V. 14), sein `anoki, das da „in die Mitte des Hauses Israel“ gestellt wurde, zum „`anak in der Mitte von Gottes Volk Israel“: Zum Katalysator dafür, dass Israel sich selbst zum Untergang verdammt. Sehr passend stimmt dann auch die letzte Zeile von V. 17 mit der letzten Zeile von V. 11 überein: Israel hat sich selbst das Urteil gesprochen, indem es Amos das Sprechen verbietet.
Auch dann, wenn diese Auslegung des Abschnitts als „text-gewordener Störfaktor“ zu weit gehen sollte, wäre die Funktion von Vv. 10-17 die selbe: Am Paradigma von Amazja zeigen diese Verse auf, inwiefern Gottes Urteil über das Nordreich in der Tat verdient ist, weil diese nicht auf den `anoki hören, der da in ihre Mitte gestellt ist. Und folgerichtig folgt im nächsten Kapitel der Widerpart zu Am 7,7-9: Die Vision in Am 8,1-3, in der es endgültig keinen Ausweg und keine Zukunft mehr für Israel gibt.

aOb Am 7,1-8; Am 8,1-2 Prosa oder Lyrik sind, ist umstritten. Gewöhnliche Prosa sind die Vv. sicher nicht; allenfalls könnte man ihren Stil als einen deuten, den man gelegentlich als „epischen“ Stil bezeichnet hat (wie z.B. auch den von Gen 1,1-2,4). Dieser Stil allerdings ist noch so gut wie gar nicht erforscht; einstweilen analysieren und formatieren wir daher, als wären die Verse Lyrik. (Zurück zu v.1)
bDies zeigte mir der Herr JHWH /er (Vv. 1.4.7) + Dies sprach Amos (V. 11) + Dies sprach JHWH (V. 17) - In Vv. 1.4.7 steht eine Abwandlung der Botenformel aus Am 1-3; s. dort. Man könnte sagen, in Am 7 ändert sich Gottes „Kommunikationsmodus“ vom Mitteilen von Worten zum Wahrnehmen-Lassen von Visionen. In V. 11 verwendet dagegen ironischerweise der Priester Amazja die typische Botenformel – von Amos; für Amazja sind die Worte des Amos also nicht schon automatisch Gottes Worte. Amos (und Gott) wird in V. 17 darauf reagieren, indem er ein weiteres Mal zur üblichen Botenformel greift. (Zurück zu v.1 / zu v.4 / zu v.7 / zu v.11 / zu v.17)
cSpätsaat (Spätwuchs) + Ernte des Königs - Im Alten Israel teilte man das Jahr nicht nur in Monate und Jahreszeiten ein, sondern bisweilen auch in agrikulturelle Abschnitte. Der bekannteste derartige Kalender ist der „Gezer-Kalender“, eine der ältesten Inschriften aus Israel überhaupt. Das Jahr wird dort u.a. eingeteilt in: „Doppelmonat der Aussaat. Doppelmonat der Spätsaat/des Spätwuchses (leqeš, ‚das Späte‘). ... Monat der Sommerfrucht (qeṣ).“ In der Aufzählung in 1QS x 7 folgt auf den „Doppelmonat der Spätsaat“ der Abschnitt des deše`, des „Grases“ (vgl. Talmon 1963, S. 183). Was Gott Amos hier sehen lässt, geschieht in diesem „Monat des Grases“: Das Getreide wurde ausgesät, ebenso „das Späte“, also entweder das Spätgetreide oder Gemüse wie z.B. Zwiebeln (Paul 1991, S. 227), und auch dies hat schon zu Wachsen begonnen (1b).
1c präzisiert außerdem, dass der Spätwuchs oder die Spätsaat nach der „Mahd (gz) des Königs“ kam. Die meisten Kommentatoren nehmen an, diese Zeile sei später hinzugefügt worden und eine Glosse, die das seltene Wort leqeš als etwas erklären soll, das regulär nach der Spätsaat komme (daher z.B. HER05: „... als das Spätgras zu sprossen begann [die Spatsaat folgt auf den Schnitt für den König].“, ebenso B-R, 80, PAT, ZÜR 31; ähnlich BB: „... gerade als die Spätsaat aufzugehen begann. – Die Spätsaat wächst ja im Frühsommer, nachdem das Gras für den König gemäht worden ist. – ...“). Aber das ist absurd, ganz richtig Wellhausen 1893, S. 89 und Reventlow 1962, S. 30: „den Zeitgenossen des Amos [die ja alle selbst Ackerbau betrieben!] braucht nicht weitläufig gesagt zu werden, wann der leqeš stattfinde.“ Hintergrund von 1c ist stattdessen sehr wahrscheinlich der: Wenn im Alten Israel die Saat spross, wurden diese Sprosse während der Regenzeit noch mindestens einmal geschnitten, da in der Klimazone Israels dies dann und derart gestutzte Getreide trotzdem noch ohne Ertragsminderung nachwuchs. Vgl. Sifra 4,43 zu Dtn 11,15: „Du schneidest (gzz) und fütterst die ganze Regenzeit hindurch dein Vieh, und 30 Tage vor der Ernte wirst du damit aufhören. Und [dennoch] wird [das Feld] fortfahren, wachsen zu lassen und nicht weniger Getreide produzieren!(vgl. dazu Dalman, AuS I, S. 409-411); auch m.Men x 8: „Junges Getreide kann man [noch] abschneiden und damit das Vieh füttern.“; auch t.Men x 32; m.Peah ii 1; t.Peah i 8. Diesen Getreideschnitt / den letzten dieser Getreideschnitte bezeichnete man auch als „Schnitt des Königs“; wohl, weil der Ertrag / ein Teil des Ertrags als Getreidesteuer an die königlichen Stallungen ging. Offenbar müssen wir uns vorstellen, dass dieser „Schnitt des Königs“ je nach Witterung vor oder nach dem leqeš liegen konnte, und dies präzisiert hier 1c: In diesem Jahr war die „Königsmahd“ nach dem leqeš. So versteht die Zeile wohl auch Tg: „... zu Beginn des Sprießens der Spätsaat, und siehe, es war zu[r Zeit des] Nachwachsens nach der Königsmahd des Junggetreides.“ Die Heuschrecken fressen also erstens das im „Doppelmonat der Aussaat“ gesäte Getreide ab, zweitens auch noch die Triebe der „Spätsaat“, und drittens tun sie das zu einem Zeitpunkt, an dem die „Königsmahd“ bereits stattgefunden hat, der Zeitpunkt also schon abgelaufen ist, bis zu dem man von Heuschrecken angefressene Pflanzen noch einmal schneiden und dennoch verlustfreien Ertrag produzieren konnte. Zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätte die Heuschreckenplage gar nicht kommen können. (Zurück zu v.1)
dgänzlich fraßen - Klangspiel: killah le`ekol; dass sie es „gänzlich“ (killah) fressen (le`ekol) wird durch die Ähnlichkeit der beiden Wörter zusätzlich unterstrichen. (Zurück zu v.2)
e[sämtliche] Pflanzen {der Erde} - „der Erde“ ist hier ganz überflüssig; natürlich geht es um irdische Pflanzen. Wahrscheinlich ist der Ausdruck ähnlich emphatisch wie Mk 9,3: „die Pflanzen auf der ganzen Erde“, also „die Pflanzen samt und sonders.“ Der Ausdruck spielt dann zusammen mit dem Klangspiel am Anfang der Zeile, s. vorige FN. (Zurück zu v.2)
ftFN: Die obige Üs. von 2a ist eine Verlegenheitsübersetzung. Die Parallelität von V. 2 mit V. 4 macht fast sicher, dass hier gesagt werden soll, dass die Heuschrecken die Pflanzen abfressen. Das scheint grammatisch aber nicht möglich zu sein: Grammatisch müsste man meinen, dass die Alternativübersetzung die korrekte ist. 2a wäre dann eine weitere Zeitangabe nach den beiden in 1c und 1d, die Heuschrecken kämen also erstens zu einem Zeitpunkt, zu dem es aussichtslos ist, dass nach ihrem Weiterziehen noch einmal etwas wachsen könnte (s.o.) und zweitens zu einem Zeitpunkt, zu dem auch sonst keine pflanzliche Nahrung mehr übrig ist, weil man sie direkt vor der Erntezeit bereits restlos verspeist hat. Zum wehajah `im-Satz ohne Apodosis ließe sich nur Sach 6,15 vergleichen, zu wehajah `im mit temporalem statt konditionalem `im nur Ri 6,3 (!) und vielleicht Ri 4,20; 1 Sam 3,9; 2 Sam 11,20.
Genauer: Die Stelle beginnt mit wehajah `im („Und es wird/soll geschehen: Falls/wenn...“). In dieser Konstruktion ist wehajah für gewöhnlich kein Vollverb, sondern ein Textdeiktikon, das anzeigt, dass der Satz nach dem direkt folgenden und mit `im eingeleiteten Satz ein futurischer oder modaler Satz (s. Num 15,24; Dtn 8,19; 11,13; 20,11; 21,14; 24,1; 25,2; 28,1.15; Ri 4,20; 1 Sam 3,9; 23,23; 2 Sam 11,20; 11,38; Jer 12,16; 17,24; Am 6,9) oder selten auch ein iterativer Satz (s. Gen 38,9; Num 21,9; Ri 6,3) sein wird. Der `im-Satz ist dabei fast stets ein konditionaler Satz. Bsp: Am 6,9: „Und es wird geschehen (wehajah): Wenn (`im = falls) zehn Männer in einem Haus übrig bleiben, [Apodosis:] werden sie sterben.“ Ähnlich kann wehajah mit folgendem b- + [Zeitangabe] oder mit b- + Inf. cstr. verwendet werden (s. z.B. Dtn 27,2.4: „Und es soll geschehen (wehajah): Am Tag, an dem ihr über den Jordan setzt..., [Apodosis:] sollst du dir große Steine aufrichten. ... [V. 4:] Und es soll geschehen (wehajah): nach-eurem-Übersetzen über den Jordan ... [Apodosis:] sollt ihr diese Steine ... auf dem Berg Ebal aufrichten.“) oder mit k- / ki / ka`ašer (z.B. Dtn 26,1f.: „Und es soll geschehen (wehajah): Wenn (ki) du in das Land kommst ..., [Apodosis: sollst du deine Erstlingsfrüchte opfern].“). Das Verb in der Apodosis ist dabei stets ein Yiqtol- oder Weqatal-Verb.
In 2a macht diese Konstruktion aber keinen Sinn, daher scheint man rein syntaktisch wie in Sach 6,15 wehajah hier doch als Vollverb auffassen und übersetzen zu müssen wie in der Alternativübersetzung.
Die Primärübersetzung orientiert sich stattdessen hieran: Neben Am 7,2 werden weitere neun Stellen gelegentlich als Fälle mit „außergewöhnlicher wehajah-Verwendung“ aufgezählt. Aus diesen auszuscheiden sind sicher Ri 6,3 (s.o.: iterativ; mit Weqatal in der Apodosis gehört die Stelle ohnehin nicht in diese Reihe); 2 Sam 6,16 (wo 4QSama und der parallele Vers 2 Chr 15,29 wajehi haben) und Jes 37,11 (wo erstens alle wichtigen MSS nach dem Vers Setumah haben, so dass man sicher nicht als Protasis analysieren kann, und wo zweitens ebenfalls viele MSS wajehi lesen). Damit bleiben als Parallelen immerhin noch die fünf Verse 1 Sam 1,12; 10,9; 13,22; 17,48; 2 Kön 3,15, bei denen ebenso wie scheinbar hier mit Wayyiqtol oder mit Qatal fortgefahren wird. Vergleichbar ist außerdem der merkwürdige V. 1 Sam 25,20, wo mit Partizip fortgefahren wird. Auch bei den 1 Sam-Stellen gibt es jeweils auch wenige MSS, die wajehi oder nur hajah lesen; sehr wahrscheinlich sind dies aber sämtlich nachträgliche Korrekturen und deshalb so schwach und i.d.R. nur in jungen MSS bezeugt; bei 2 Kön 3,15 scheint es gar keine alternative Lesart zu geben (auch hier will aber BHS wajehi lesen). Isaksson 1998, S. 22f. und Blum 2008, S. 131 nehmen nun an, dass bei diesen Stellen wehajah anzeigen soll, dass das in Protasis und Apodosis Geschilderte gleichzeitig geschehe (z.B. 1 Sam 10,9: „Und es geschah (wehajah): Gleichzeitig mit seinem-sich-Umdrehen, um von Samuel wegzugehen, [Apodosis:] verwandelte Gott sein Herz“; entsprechend hier: „Und es geschah (wehajah): Gleichzeitig damit, dass sie die Pflanzen vollständig abfraßen, [Protasis:] sprach ich: ...“; so zur Stelle bereits Gese 1981, S. 76 und bes. Seidl 1987; auch Kessler; Reimer 1992, S. 162; Rüterswörden 1993, S. 44). Eigentlich ist dies vor dem Hintergrund der sehr einheitlichen sonstigen Verwendung von wehajah-Vordersätzen eine zu gewagte Annahme (dagegen auch Stipp 1991, S. 538); sicher weniger gewagt ist die Annahme, dass hier jeweils wjhj als whjh verschrieben wurde, was aber an unserer Stelle wegen `im nicht funktioniert.
Andere Vorschläge gehen aber noch weniger an: (1) Garrett will die Stelle iterativ verstehen („Wann immer sie damit fertig wurden, die Pflanzen zu fressen, sprach ich...“), was sich aber nicht mit dem Wayyiqtol vereinbaren lässt; allenfalls müsste man zu Weyiqtol umvokalisieren. Auch textkritisch wird man dieses Problem nicht lösen können; der Text wird mindestens gestützt durch 4QXIIc, LXX, Tg und Syr. (2) Ginsburg; GKC §112 uu; JM §119z; Bartczek 1980, S. 32; Hammershaimb und Reventlow 1962, S. 31 wollen dennoch wajehi lesen, aber die Sequenz wajehi `im existiert nicht im Heb (und machte syntaktisch auch gar keinen Sinn). (3) Huesman 1956, S. 433 und Rudolph wollen wehajoh vokalisieren und als sequentiellen Inf. abs. analysieren, aber Inf. abs. von hjh findet sich sonst nur 6x als tautologischer Inf. (Gen 18,18; Num 30,6; 1 Kön 13,32; Jer 15,18; Ez 1,3; 20,32) und ohnehin führt sequentieller Inf. abs. den Modus des vorangehenden Verbs fort; der vorangehende Satz hier ist aber ein verbloser Satz. (4) Endo 1996, S. 186 verstehe ich nicht. Offenbar nimmt er erstens an, wehajah sei jeweils nicht Weqatal, sondern Waw-Qatal (und entsprechend sei wajehi in futurischen / modalen Kontexten nicht Wayyiqtol, sondern Weyiqtol), und zweitens, Waw-Qatal / Weyiqtol diene dann zur Markierung von temporalen Umstandssätzen. Aber selbst, wenn man jedes Mal umpunktierte – für solche Umstandssätze wird doch gar nicht Waw-Qatal und Weyiqtol mit Verb in Satzspitzenstellung verwendet? (5) Verbreitet ist außerdem die Textkorrektur von whjh `jm-klh zu wjhj h` mklh („Und es geschah: [Als] diese fertig seiend [waren] (die Pflanzen zu fressen)“, so z.B. BHS, Wellhausen, Harper, Driver, Sellin, Robinson, Mays), aber richtig Gordis 1979-80: das wäre kaum idiomatisch; weder die Sequenz wjhj h` noch klh i.S.v. „fertig sein“ als Partizip (wobei man Letzteres immerhin noch dadurch retten könnte, dass man klh nicht als „fertig sein“, sondern als „etw. gänzlich tun“ deutet). Grammatisch scheint man also nur analysieren zu können wie vor dem „Genauer“-Abschnitt erläutert; weil es aber strukturell so sehr zu erwarten ist, dass hier vom Fressen der Heuschrecken die Rede ist, hat man fast keine Wahl, als bei der Interpretation von Issakson und Blum mitzugehen. (Zurück zu v.2)
gTextkritik: wer könnte aufrichten ([Als] wer könnte bestehen, wie könnte bestehen?) - Der heb. Text hatte ursprünglich sicher die Konsonanten mj jqm j´qb. MT vereindeutigt jqm durch Vokalisierung und Sym durch Übersetzung zu jqwm („bestehen, Bestand haben“), LXX, VUL und Syr dagegen zu jqjm („aufrichten“), was sich auch in wenigen MSS findet („Wer könnte Jakob aufrichten?“). Dass Tg jqwm stütze, wie BHQ behauptet, ist mindestens unsicher: „Wer steht auf (jqwm) und legt Fürbitte ein für Jakob?“ ist eher eine Doppeldeutung von jqm einmal als jqwm und einmal als jqjm.
(1) MT könnte man zur Not schon zufriedenstellend auflösen als „Als wer könnte Jakob bestehen“, d.h. „Wer wäre Jakob, dass er bestehen könnte?“, was gut mit der nächsten Zeile zusammenstimmte (s. zur Konstruktion IBHS §18.2d; so z.B. Hitzig, Harper, Ehrlich. Vgl. Jes 51,19: „[Als] wer könnte ich dich trösten?“). (2) Alternativ wird gelegentlich auf Rut 3,16 verwiesen und mi danach als „Wie“ gedeutet (z.B. Garrett, Eidevall, Carroll) doch dieser V. ist nicht vergleichbar, s. dort. So aber fast alle Üss: „Wie sollte Jakob bestehen!?“ Beide Auflösungen stimmten auch gut zusammen mit Am 8,14; die beiden Wörter umrahmten dann das Visions-Quartett in Am 7-8. Das Wort dort wird auch entscheidend dazu beigetragen haben, dass MT und Sym als jqwm deuteten. (3) Aber nach Am 5,2 war doch wahrscheinlicher mi jaqim angezielt. So auch Dahl; Öttli 1901, S. 75; Riedel 1902, S. 28; auch Moldenhawer, Schegg, Struensee, LUT 84 („Wer soll Jakob wieder aufhelfen?“; nicht mehr LUT 17), R-S („Wer hilft nur Jakob auf?“). (Zurück zu v.2 / zu v.5)
hnahte sich zum Prozess (...) - Schwierige Formulierung; es sind zu viele Auflösungen verbreitet, um sie hier alle aufzuzählen, s.u. Nach unserer Auflösung (s.u. sub (4)) setzen Vv. 4bc voraus, dass Israel den in 4b angedeutete „Prozess“ gegen Gott natürlich verloren hat, weshalb Gott die Strafe in 4c verhängt.
tFN: rib („Prozess“) ist nicht schon die Strafe, sondern entweder „der Zank“ oder „die Gerichtsverhandlung“. Dass JHWH „zankt“, haben wenig überraschend bisher nur TAF und TUR erwogen (TAF: „der Herr Jehovah rief das Feuer zum Hadern“; TUR: „Gott, der Herr, rief zur Fehde mit dem Feuer“); das Wort scheint also im forensischen Sinn genommen werden zu müssen. Daraus ergeben sich aber zwei Schwierigkeiten. Erstens heißt qara` („rufen“) im forensischen Zhg. „anklagen, vorladen“ (s. Dtn 25,8; Ijob 9,16; 13,22; 14,15; Jes 59,4; vgl. ThWAT VII 128), zweitens steht vor „Feuer“ die Präposition b- und rib b- heißt forensisch „streiten gegen“.
(1) Man scheint diesen Vers also deuten zu müssen als „JHWH lud das Feuer vor Gericht, um gegen es zu prozessieren“. So natürlich niemand.
(2) Die meisten (explizit Marti, Hammershaimb und wahlweise Rüterswörden 1993, S. 48, wohl auch Carroll, Eidevall, Garrett, Kessler, Paul, Vater) beziehen qara` daher über lerib hinweg auf „das Feuer“ und deuten es nicht-forensisch als „rufen“ so dass man auflösen müsste: „JHWH rief nach dem Feuer, um [mit seiner Hilfe] zu Prozessieren“. So auch , NeÜ, SLT, ZÜR („Gott der Herr rief, um mit Feuer in den Streit zu ziehen“). Das ist erstens syntaktisch nicht naheliegend, zweitens müsste man qara` in diesem Kontext gegen den Strich des Textes deuten, drittens wäre der Sinn des Verses auch dann immer noch der, dass das „Fressen“ des Feuers nicht als Strafe, sondern eine gerichtliche Untersuchung zu verstehen wäre (was in dt. Üss. gerne verschleiert wird, indem man „prozessieren“ wie ZÜR als „in den Streit ziehen“ oder wie als „angreifen“ übersetzt).
(3) Keil, Justi und Schmoller gehen daher noch weiter und deuten wie bes. Limburg 1973, S. 349 rib als „strafen“: „Gott der HERR rief das Feuer, um damit zu strafen“ (LUT 84). So auch H-R, JB, Michaelis; auch NL: „Gott, der Herr, machte sich bereit, sein Volk mit einer großen Dürre zu bestrafen.“ Aber das geht endgültig nicht an, rib heißt sicher nicht „strafen“.
(4) Wellhausen und wahlweise Rüterswörden 1993, S. 48 nehmen aus diesem Grund qara` nicht als „rufen“, sondern als Nebenform von qarah „sich nahen“: „JHWH nahte sich dem Prozess und hatte Feuer dabei“. Das ist die einzige Auflösung, die einigermaßen zufriedenstellenden Sinn ergibt, ohne den Text zu verändern. Die meisten tun stattdessen dies
(5) und verändern ohne Rückhalt in der Textgeschichte qr` lrb b`š zu qr` lrbb `š („er rief einen Feuerregen“, so Krenkel 1866, S. 271, z.B. auch Andersen/Freedman, Jeremias, Mays, Wolff; Leuenberger 2017, S. 56; auch HER05, LUT 17)
(6) oder zu qr` lhb `š (s. z.B. Joel 2,5; so z.B. Sellin, Cripps, Rudolph) oder syntaktisch besser, aber graphisch noch ferner qr` lhbt `š (s. Ps 29,7; beides: „er rief eine Feuerflamme“. So z.B. Robinson, Snaith, Reimer 1992, S. 165; auch PAT: „der Gebieter und Herr rief eine Feuerflamme“),
(7) oder neuerdings zu qr` lrkb `š („Er rief einen Feuerwagen“, so Simone 2016). Diversen älteren Vorschlägen zur Textkorrektur hat sich niemand angeschlossen. (Zurück zu v.4)
iDas Feuer meint hier wahrscheinlich eine Dürre. Wären Buschbrände gemeint (so z.B. Hammershaimb), wäre unerklärlich, wie diese „die Tiefe“ „fressen“ sollten. Gemeint sein könnte natürlich auch ein Feuer von solch mythischem Ausmaß, dass es sogar „die Tiefe verzehrt“, aber sehr nahe liegt das nicht: V. 5 setzt ja voraus, dass Israel immerhin nach dem Wirken dieses Feuers noch am Leben ist. (Zurück zu v.4)
jtFN: das der Herr JHWH hier so spät kommt, ist in der heb. Syntax noch ungewöhnlicher als in der dt. Oft wird dies redaktionskritisch damit erklärt, dass „der Herr JHWH“ hier eine nachträgliche Einfügung sei, aber wieder wird damit nur das Problem verschoben: Warum sollte es bei einem Ergänzer weniger wahrscheinlich sein als beim Verfasser des Texts, dass er syntaktisch wohlgeformte Sätze bilden konnte? Vermutlich steht „der Herr JHWH“ hier nur deshalb am Ende des Satzes, um die Zeile enger mit 4a zu verbinden, die ebenfalls auf „der Herr JHWH“ endet (was stark dafür spricht, dass V. 4 Lyrik sein soll). (Zurück zu v.4)
kdie große Tiefe könnte mythisch gemeint sein als jener Ort am Meeresgrund, an dem im Weltbild des Alten Israel die Unterwelt begann (s. Jon 2,3.6, so z.B. Anderson/Freedman, auch : „die große Urflut“), eher gemeint ist aber hier das ganz „un-mythische“ Grundwasser, das die Quellen an der Erdoberfläche speist (s. Ijob 38,16; Spr 8,28) und deshalb sehr wichtig für die Fruchtbarkeit der Erde war (s. Dtn 33,13), daher MEN: „es verzehrte die große Flut des Grundwassers“. Manchmal ist mit „der Tiefe“ auch „das Meer“ gemeint (so z.B. R-S: „Es fraß das große Meer“), aber das macht hier am wenigsten Sinn. (Zurück zu v.4)
lZu tu's nicht vgl. Jenni 1997f, S. 197.201; ZLH 223. Das macht viel mehr Sinn als die einheitliche Übersetzung „hör auf“; gebeten wird ja nicht um Abbruch dessen, was in der Vision geschaut wird, sondern darum, dass das Geschaute nicht Wirklichkeit wird. (Zurück zu v.5)
mÄußerst umstrittene Verse. Mehr als einen educated guess über ihren Sinn lassen sie heute nicht zu. Auszugehen ist hiervon: Am 7,7-8 sind klar parallel mit Am 8,1-2 (s. die Anmerkungen). Am 8,1-2 sind eine Wortspiel-Vision (Horst); das „Sommerobst“ (qajiṣ), das dort geschaut wird, ist kaum für sich selbst bedeutsam, sondern hauptsächlich deshalb, weil sich damit in V. 8 ein Wortspiel mit „Ende“ (qeṣ) bilden lässt – ein Wortspiel, das deshalb möglich ist, weil im Nordhebräischen qajiṣ wie qeṣ ausgesprochen wurde. Ein solches Wortspiel ist dann auch hier zu erwarten. Gleichzeitig unterscheiden sich die beiden Visionen darin, dass eine Zinn-Mauer anders als ein Korb mit Sommerobst für sich genommen nicht fraglos ist: Sommerobst-Körbe gibt es, Zinn-Mauern aber nicht. Man muss deshalb davon ausgehen, dass die Mauer hier nicht bedeutungslos ist, sondern anders als der Korb in Am 8,1-2 schon auch für sich genommen Bedeutung hat. Vielleicht also so: `anak („Zinn, Blei, evt. Bleilot“) ist zunächst einmal Charakteristikum der geschauten „Mauer“. In V. 7 wird v.a. diese Mauer geschaut, das Zinn in 7c ist bereits jenes Zinn, das Gott in V. 8 „in die Mitte seines Volkes setzen“ wird. Wird in V. 7 das Zinn also als Mauer-Material eingeführt, wird auch das Zinn, das er in V. 8 in die Mitte seines Volkes setzt, für Mauern stehen, nämlich nach V. 17 für die Trennung Israels von seinem Heimatland und für die Mauern, die nach der Neuverteilung des Landes mit der Messschnur innerhalb dieses Landes errichtet werden werden. Eine „Zinn-Mauer“ ist die Mauer nur wegen einem Wortspiel: `anak („Zinn“) wurde im Nordreich vielleicht mancherorts eher wie `anok ausgesprochen (s bes. Notarius 2016; vgl. ähnlich mibchor in 2 Kön 3,19 und 2 Kön 19,23 neben gewöhnlichem mibchar, biktob in Ps 87,6 neben gewöhlichem biktab und v.a. wattamog in Am 9,5 statt zu erwartendem wattamag; dazu Rendsburg 2003, S. 11.) und klang daher ebenso wie die Kurzform `anok von `anoki („Ich“; belegt z.B. in Origines Secunda, wo `anoki in Ps 46,1 als anoch transkribiert wird. Allerdings ist identische Aussprache für eine Wortspielvision gar nicht nötig, s. zu Am 8,1f. – auch mit dem Wortpaar `anak vs. `anok wäre Am 7,7f. noch eine sogar recht „saubere“ Wortspielvision). Wie noch viele andere Wörter aus Vv. 7-9 (s. die Anmerkungen) wird dies `anak / `anok(i) in Vv. 10-17 wieder aufgegriffen werden, nämlich im dreimaligen `anoki („Ich“) des Amos in V. 14. Dieses „Ich“ nämlich wird dort zum Grund für Gottes hartes Urteil über Israel: Gerade deshalb, weil Amazja zu Amos so sprach, wie er eben gesprochen hat, verhängt Gott über Israel die in V. 17 geschilderte Strafe. Erst mit V. 14 würde dann also klar: Das `anak, von dem in Am 7,7-8 die Rede ist, ist in einem tieferen Sinne das `anoki des Amos: Amos selbst wird zum Grund für das Exil der Israeliten, weil diese so auf seine Warnungen reagieren, wie sie reagieren.
Aber das ist sehr unsicher; diese Doppeldeutung ist nur die, die am besten (und dann immer noch nicht sehr gut) zum näheren und weiteren Kontext zu passen scheint.
Genauer: Am 7,7f. sind berühmt für ihre Schwierigkeit. Weigl 1995 hat eine ganze Forschungsgeschichte zu diesem Vers verfasst; hier seien daher nur die wichtigsten Deutungs-Optionen vorgestellt, die häufiger in der Forschung vertreten wurden.
(1) Traditionell verstand man `anak als „Blei“ und mit Ephräm dem Syrer, Raschi und weiteren jüd. Exegeten dieses Blei dann als „Bleilot“; die „Bleilot-Mauer“ sollte dann eine Mauer sein, die mit einem Bleilot erbaut worden war (wie 1 Kön 19,6: „ein Glühstein-Kuchen“ = „ein Kuchen, der mit Glühsteinen gebacken wurde“). Dieses Bleilot, mit dem gemessen wurde, ob bei einer Mauer noch „alles senkrecht“ war, wird dann in V. 8 „in die Mitte meines Volkes Israel“ gebracht, um auch dieses zu „vermessen“. Wie in Vv. 4-6 müsste man dann voraussetzen, dass bei Israel offenbar nicht „alles senkrecht“ war, weshalb Gott dann die Strafe in V. 9 verhängt. Diese Deutung gibt es mit verschiedensten Akzentsetzungen, die Deutungsvariante hier ist davon nur die unproblematischste.
(2) 1965 veröffentlichte dann Landsberger seinen Aufsatz „Tin and Lead“, in dem er heftigst gegen die Übersetzung „Blei“ Einwand erhob: Das akkadische annaku und entsprechend dann auch das heb. `anak, das in der Bibel nur in diesen zwei Versen steht, heiße ausschließlich „Zinn“. Dafür sprach 1965 nicht viel mehr als heute und in der Akkadistik wurde das auch nicht einheitlich anerkannt. In der Hebraistik aber schon, und in der Folge erschien ein Aufsatz nach dem anderen und 1988 sogar eine ganze Monographie (Beyerlins „Bleilot, Brecheisen oder was sonst?“), in denen moniert wurde, dass Übersetzungen, Kommentare und Wörterbücher einfach nicht „mit der Forschung gingen“ und stattdessen bei der traditionellen Übersetzung blieben. Die „Zinnmauer“ und das „Zinn“ wurden dann unterschiedlichst gedeutet:
(2a) Zinn ist für sich genommen kein sehr stabiles Metall, gemeint sei mit der „Zinnmauer“ also die schwache Verteidigung der Israeliten, die JHWH überwand (Landsberger 1965, S. 287; Paul, Carroll), und das „Zinn“, das Gott „in die Mitte seines Volkes Israel legte“, sei ein Stück der Mauer, das JHWH herausgerissen hatte und ihnen vor die Füße warf (Carroll).
(2b) Zinn ist aber außerdem neben Kupfer der wichtigste Bestandteil von Bronze; entsprechend wurde die „Zinnmauer“ wie die Bronzemauer in Jer 1,18; Jer 15,20 und die Eisenmauer in Ez 4,3; 2 Makk 11,9 verstanden als besonders harte Mauer. Das ist sehr fernliegend, weil sich dies kaum damit vereinbaren lässt, dass nicht „Bronze“, sondern eben „Zinn“ gesagt würde; dennoch ist diese Deutung heute sehr beliebt. Genauer besagten dann die Verse: (2bα) Die Zinnmauer stehe derart für den ursprünglich schützenden Gott, der nun aber diese seine Schutzmacht als Angriffsmacht gegen Israel einsetze (z.B. Beyerlin 1988, Eidevall) (2bβ) oder für den Schutzwall der Israeliten, den Gott aber überwunden hatte, um nun mit (einem) Bronze(schwert) in der Hand gegen sie in den Krieg zu ziehen (z.B. Uehlinger 1989, Jeremias), (2bγ) oder für eine harte Belagerungsmaschine, auf der Gott gegen die Israeliten anrücke (Gese 1981, S. 79f.; ähnlich schon Cornet 1951), (2bδ) oder aber für einen riesigen Rohstoffvorat, auf dem Gott steht und aus dem er Schwert um Schwert schmieden könnte, um damit gegen die Israeliten zu streiten (z.B. Brunet 1966, Holladay 1970, Bovati/Meynet).
(3) Williamson 1990, Hoffmeier 1998 und dann endgültig Noonan 2013 zeigten aber Schritt für Schritt, dass Landsberger Unrecht hatte: Das akkadische annaku kann für verschiedenste Metalle stehen: Für Zinn, für Blei und z.B. auch für besonders arsenhaltiges Kupfer. Kessler etwa ist daher mittlerweile schon wieder zur Bleilot-Deutung zurückgekehrt: „Er sieht also wohl eine mithilfe eines Bleilots gebaute Mauer und eben ein Bleilot in JHWHs Hand“ (2021, S. 219).
(4) Parallel zu dieser Diskussion wurde eine zweite These immer wieder vertreten: Der mit Am 7,7-8 deutlich parallele Abschnitt Am 8,1-2 ist klar eine „Wortspiel-Vision“, entsprechend müsste man dann auch hier erwarten, dass `anak nicht „um seiner selbst Willen“ genannt würde, sondern nur um eines Wortspiels Willen. Anders als in Am 8,1-2 ist hier aber kein Wortspiel zu erkennen.
(4a) Eine Gruppe hält daher `anak für eine bloße Anspielung auf das Wort `anacha oder `anaqah (beides: „Stöhnen, Seufzen“; so bereits b.B.M. 59a; oft in der jüd. Auslegung, s. Routtenberg 1943, S. 140) oder glaubt, es gäbe doch ein sonst unbelegtes Wort `anak mit der selben Bedeutung (z.B. Stuart, Horst 1960, S. 201; Sweeney 2000, S. 254; Novick 2008, S. 126).
(4b) Eine noch größere Gruppe dagegen glaubt, mit `anak, das im Nordhebräischen eventuell `anok ausgesprochen worden sein könnte (s.o.), würde auf `anoki („Ich“) oder die Kurzform `anok (s.o.) angespielt. (4bα) Dieses „Ich“ solle dann entweder für JHWH stehen (Praetorius 1915, S. 22: „Ich will das Ich mitten in mein Volk Israel stellen“, so z.B. noch Baltzer 1991; Behrens 1997, S. 4f. FN 9; Coote 1981, S. 92; Landy 1987, S. 229; besser dann aber Notarius, die von einem weiteren Wortspiel ausgeht: ßam „ich werde legen“ klang im Nordhebräischen ähnlich wie šam „dort“, entsprechend wäre ßam `anak „ich werde Zinn legen“ gleichzeitig šam `anok „dort [werde] ich [sein]) oder (4bβ) für Amos („ich will das Ich=dich mitten in mein Volk stellen“; so Eidevall, Bezzel 2014, S. 542; Campos 2011, S. 7; Cooper 1997, S. 16; Hoffmeier 1998, S. 317). Garrett hält (4b) insgesamt für „grammatisch gesehen absonderlich und ziemlich weit hergeholt“ (S. 214), was für Praetorius Übersetzung auch wirklich gilt. Man sollte nicht denken, dass schon diese Zeile als „ich will das Ich in die Mitte meines Volkes stellen“, in dem das „Ich“ auch noch „dich“ bedeuten soll, verstanden werden müsste: Erst im Zusammenspiel mit V. 14 schimmerte nachträglich diese Bedeutung in `anak durch, das für sich genommen und buchstäblich selbstverständlich „Zinn/Blei“ und weiter nichts bedeutet.
Das „er stand an einer Mauer“ in H-R, HER05 und PAT geht auf eine früher sehr verbreitete textkritische Operation zurück, die das erste `anak strich (z.B. BHS, noch Schart 2009 in Senkblei (WiBiLex)). (Zurück zu v.7)
nKlangspiel: lo `osip ´od ´ober lo; mit der starken o-Assonanz erinnert die Zeile sehr an die in Am 5,20, in der mit o-Assonanz der Klageruf ho ho nachgebildet wurde.
Die Formulierung dagegen schließt eng an Am 5,17 an: Wie Gott dort ankündigte, „durch Israels Mitte zu ziehen“, so legt Gott hier das Zinn „in die Mitte seines Volkes Israel“, weil er nicht weiterhin „an ihm vorüberziehen“ kann. (Zurück zu v.8)
oIsaak - Sehr ungewöhnlich: „Jakob“ wie in Vv. 2.5 ist ein häufiger Wechselbegriff für das gesamte (!) Israel, „Isaak“ dagegen wird in der Bibel nur hier in Vv. 9.16 so verwendet. Der Name passt dafür auch noch sehr schlecht, denn Isaak war nicht nur als Vater Jakobs der Stammvater der Israeliten, sondern als Vater Esaus auch noch der Stammvater der Edomiter. (1) Wegen V. 16 nehmen einige an, „Isaak“ würde hier als Wechselbegriff nur für das Nordreich verwendet. Das passte dort gut und auch in V. 9 nicht schlecht, lässt sich aber kaum mit den Isaaks-Traditionen vereinbaren. (2) Andere denken wg. V. 9, mit den „Kulthöhen Isaaks“ sei besonders Beerscheba im Süden Judas gemeint, da nach einer biblischen Legende Isaak Beerscheba gegründet hat (s. Gen 26,23-25), so dass in V. 9 von „den Kulthöhen im Süden und den Heiligtümern im Norden“ die Rede wäre. Das passt aber kaum zu V. 16. (3) Offenbar reframed also Gott in V. 9: Sein Gegenüber kann nun nicht mehr „der kleine Jakob“ sein, sondern ist „der alte Isaak“, und dieser muss vernichtet werden. Amos würde in V. 16 diesen Ausdruck Gottes dann nur übernehmen. (4) Allerdings könnte man Vv. 9.16 auch mit Am 1,11 und Am 9,12 zusammenlesen müssen, s. zu Am 1,11: Vielleicht steht im Hintergrund des Amosbuches tatsächlich die Vorstellung, dass Israel und Edom so eng zusammengehören, dass „Isaak“ (= Israel + Edom) von Gott wirklich sinnvollerweise als Wechselbegriff für etwas wie „das eigentliche Israel“ verwendet werden kann. Cripps etwa hat dies erwogen – dass hier wirklich von beiden „Brüder-Völkern“ im Verein die Rede sei. Über diese Vorstellung wäre dann aber aktuell noch zu wenig bekannt; das Gros der jüngeren Forschung zum Edom-Bild in der Bibel geht leider von historischen Voraussetzungen aus, die die jüngste Archäologie als wahrscheinlich falsch erwiesen hat. Einstweilen ist Deutung (3) daher vorzuziehen. (Zurück zu v.9 / zu v.16)
pKlangspiel: jecherabu („zertrümmern“) klingt sehr ähnlich wie das chereb („Schwert“) in der nächsten Zeile. (Zurück zu v.9)
qmich aufrichten - bittere Ironie: Fragte Amos in Vv. 2.5. noch danach, wer „Jakob“ wieder aufrichten könnte, kündigt hier Gott an, sich aufzurichten – nämlich gegen Israel. (Zurück zu v.9)
rHaus Jerobeams wird hier ungewöhnlicherweise nicht die „Dynastie“ von König Jerobeam II. meinen, sondern das Heiligtum in Bethel, das von Jerobeam I. als königliches Heiligtum gegründet wurde und daher zu Lebzeiten des Amos auch „Haus von König Jerobeam II.“ war (s. V. 13). Die Alternative ist schwieriger: König Jerobeam war kein Vater einer „Dynastie“, die man als „Haus Jerobeams“ bezeichnen können hätte – der zu erwartende Name dieser Dynastie wäre „Haus Jehus“ wie in Hos 1,4 (richtig Garrett). Jerobeams Sohn allerdings wurde tatsächlich von Ursupatoren getötet, s. 2 Kön 15,8-10. Ist das richtig, hat Amazja Amos Prophetie in V. 10 nicht nur etwas überspitzt widergegeben, sondern an dieser Stelle doch bewusst verfälscht. (Zurück zu v.9)
sDie Frage nach dem Stil von Vv. 10-17 ist noch komplizierter als die nach dem von Vv. 1-9. Heute werden die Verse sehr einheitlich als Prosaerzählung gefasst, und wenn man sich nur am Inhalt und an der Häufigkeit von „Prosa-Partikeln“ orientiert, ist das auch gerechtfertigt. In jeder anderen Hinsicht sind Vv. 10-17 aber sogar „noch lyrischer“ als Vv. 1-9; Anfang des 20. Jahrhunderts war es daher üblicher, sie als Poesie zu analysieren (z.B. Elhorst; Löhr 1901, S. 27; Baumann 1903, S. 52; Harper; Guthe / Sievers 1907, S. 28; Staerk 1908, S. 12f.; Nowack; teilweise BHK). Ohne damit schon eine Entscheidung treffen zu wollen, wird daher auch hier so analysiert, als seien die Verse wirklich Poesie – schlimmstenfalls wären damit die Verse etwas übersichtlicher formatiert. (Zurück zu v.10)
tDa - Das heb. Wort für „da sandte“ steht im Heb. im Wayyiqtol, einer Verbform, die u.a. ausdrückt, dass das mit diesem Verb Geschilderte sich direkt an an das Vorangehende anschließt. Das passt hier sehr gut; s. die Anmerkungen. (Zurück zu v.10)
uAmazja, heb. amaṣja, dt. „stark ist Jah“, klingt sehr ähnlich wie „Amos“. Tatsächlich sind die beiden Namen nicht verwandt: „Amos“ wird mit dem Buchstaben Samech geschrieben und kommt vom Wort amas („tragen“); „Amazja“ und seine Kurzform amoṣ („Amoz“), wie z.B. der Vater des Jesaja hieß (s. Jes 1,1) mit dem Buchstaben Sade und kommt vom Wort amaṣ („stark sein“).
Der Gleichklang bleibt dennoch. Im Heb. waren die beiden Namen auch deshalb einander noch näher als in der dt. Üs., weil man hebräische Namensträger zu biblischer Zeit sowohl mit ihren Kurzform- als auch mit ihren Vollform-Namen ansprechen konnte. Der Prophet Micha („Wer ist wie [Jahu]“, Mi 1,1) wird in Jer 26,18 z.B. Michajahu („Wer ist wie Jahu“) genannt. Zu weiteren Bspp. vgl. MSSAP §69; exakt entsprechend z.B. Abi (2 Kön 18,2) vs. Abija (2 Chr 29,1). Zu „Amoz“ – nicht „Amos“ – und „Amazja“ vergleiche b.Meg 10b und b.Sot 10b, wo Rabbi Levi aus diesem Grund fabuliert, Jesajas Vater Amoz und König Amazja seien Brüder gewesen. „Amos“ hat hier also einen Gegenspieler, den man auch „Amoz“ nennen könnte. Zu ähnlichen Namenspaaren wie Amos und Amoz/Amazja vgl. Jabal, Jubal und Tubal-Kain in Gen 4,20-22; Gog und Magog in Gen 10,2; Uz und Buz in Gen 22,21; Muppim und Huppim in Gen 46,21; Eldad und Medad in Num 11,26; Schufam und Hufam in Num 26,39; Jannes und Jambres in 2 Tim 3,8; Asineus und Anileus in JosAnt 18.9; Chillek und Billek in b.San 98a; vielleicht auch Machlon und Kiljon („schwächlich“ und „gebrechlich“) in Rut 1,2 und vor allem Tobit, seinen Sohn Tobias und seinen Vater Tobiel (heb. tobi, tobijah und tobi`el) im Buch Tobit.
Hinzu kommt, dass es „den Priester von Bethel“ so nie gegeben haben dürfte; Bethel als eines der beiden größten Heiligtümer des Nordreiches hatte sicher eine ganze Priester-Schar. In der Regel behilft man sich mit der Annahme, mit „dem Priester“ sei hier der Ober-Priester von Bethel gemeint (so schon Tg, so daher auch NeÜ), aber richtig Levin 1995, S. 310: Das steht so schlicht nicht im Text. Dass man den Austausch zwischen Amos und Amazja nicht als historisches Gespräch nehmen darf, sondern dass dieses Gespräch ganz für diesen Text-Zusammenhang Am 7,7-17 gestaltet wurde, ist ohnehin klar (s. die Anmerkungen). Es ist also gut möglich, dass man selbst die Figur Amazja nicht als historische Gestalt nehmen darf, sondern dass sie nur Antitypus des Amos sein soll. (Zurück zu v.10)
vAmazja „petzt“ hier nicht etwa, sondern V. 1 hat einen sehr greifbaren geschichtlichen Hintergrund: Prophetien wurden im Alten Orient natürlich als tatsächliche Prophetien aufgefasst, die über die Zukunft belehrten. Von besonderem Interesse sind in unserem Zhg. 1 Kön 11,29-39 und 2 Kön 8,10-13, wo beide Male ein Thronwechsel prophezeit wird; Prophetien konnten also auch gerade für Könige relevant sein. Aus diesem Grund hatte z.B. König David auch mehrere Privat-Seher (s. 2 Sam 24,11; 1 Chr 25,5; 2 Chr 35,15). Und aus dem selben Grund ließ sich zum Beispiel Zimri-Lim, der König von Mari, regelmäßig Berichte über Prophetien zukommen, in Assyrien wurden Prophetien am Königshof archiviert und in Esarhaddons Thronfolge-Vertrag wurde ähnlich wie in Mari bestimmt, dass u.a. jede negative Prophetie am Königshof gemeldet werden musste (an Assurbanipal ist auch ein entsprechender Brief erhalten). Ähnlich wird auch im hebräischen Lachisch-Brief 3 eine prophetische Warnung an einen Militärkommandanten weitergegeben (vgl. zu diesen Parallelen Couey 2008, S. 307f.). Vermutlich gehörten solche „Prophetie-Depeschen“ besonders in den Aufgabenbereich von Priestern, da diese Aufsichtspflicht über das prophetische Geschehen in ihrem Einzugsbereich hatten, s. Jer 29,26; auch Jer 20,1f.. Das ist es also, was hier geschieht. Dass Amos Prophetie derart „ent-theologisiert“ und gänzlich ins Politische transformiert wird, ist daher verständlich. Aber s. zu V. 9. (Zurück zu v.10)
w(fassen=) ertragen - w. „es kann sie nicht beinhalten“ (s. zum wörtl. Gebrauch 1 Kön 7,26.38; 2 Chr 4,5; Jer 2,13). Ähnlich wie hier wird das Wort auch in Jer 10,10 und Joel 2,11 gebraucht; im Hintergrund dieses übertragenen Gebrauchs steht wohl etwas wie Jer 20,9. Hier stimmt es aber besonders gut zusammen mit der Rede vom „Tropfen“ des Amos in V. 16; s. dort. Mitgehört werden kann also: Amos hat Israel mit seinen Worten gefüllt bis zum Rand; bald wird hier etwas explodieren! (Zurück zu v.10)
xgehe, fliehe {dich} - Klangspiel: „dich“ wurde ursprünglich wohl nicht wie im MT als leka, sondern als lak ausgesprochen (vgl. z.B. Suchard 2019, S. 204) und klang daher sehr ähnlich wie „gehe“ (lek). Das „dich“, ein sog. „Davitus ethicus“, steht im Heb. sehr häufig nach Verben des Gehens und ist gar nicht auffällig; hier ist es aber sehr passend, da es zusätzlich unterstreicht, dass Amos zu seinem eigenen Nutzen fliehen soll. Durch das Klangspiel wird dies hier sogar noch verstärkt (lek berach-lak). Aber das kann Amos nicht, denn um ihn geht es nicht: s. V. 15. (Zurück zu v.12)
yiss Brot ist nicht allgemein bekannt als ein stehender Ausdruck, der hier viel Sinn machte. (1) Vielleicht: „Lebe dort“, wie hier die Textkritik lehrt: LXX hat statt „iss Brot“ katabiou, „lebe!“. Tg dagegen hat statt „und prophezeie dort“ den Halbsatz „und lebe dort“. Wahrscheinlich wurde in einer heb. Handschrift „lebe!“ als Glosse zu „iss Brot!“ über „iss dort Brot und prophezeie“ geschrieben; in einer Handschriftengruppe wurde „iss Brot“ dann aber dadurch ersetzt, in einer anderen noch verkehrter „prophezeie“. „Leben“ sehen hier auch Schröder 1829, S. 379; KBL3 und Reventlow 1962, S. 15 als die Bed. des Ausdrucks, und es scheint wirklich gelegentlich ein Ausdruck für die allgemeinen Lebensumstände eines Menschen sein zu können, vgl. Gen 3,19; Dtn 8,9; Ps 127,2; Ez 12,18f.. (2) Verbreiteter ist aber die Deutung dieses dann singulären Ausdrucks als „verdiene dir dort deinen Lebensunterhalt!“ (z.B. Paul, Garrett, Kessler, so schon Raschi, ibn Ezra; so daher auch BB, Dahl, HfA, NeÜ, NL, R-S, TEX). Man denkt dabei gerne und sinnvoll an 1 Sam 9,8; 1 Kön 14,3; 2 Kön 8,9; Ez 13,19; Mi 3,11, woraus man ersieht, dass Prophetie im Alten Israel ein echter Brotberuf war. (3) Noch einmal anders, aber ähnlich wie (1) Steins 2010, S. 82 und Eidevall, die die Phrase als Ausdruck für die „Zugehörigkeit zu einer sozialen Einheit“ verstehen und daher übersetzen: „Bleib dort“. Diesen Ausdruck gibt es wirklich, vgl. z.B. 2 Sam 9,7 und Ps 41,10 vs. Jes 4,1; gebildet wird er aber, indem man hinzusagt, wessen Brot man isst und zu wem man also derart gehört, was hier nicht der Fall ist. (Zurück zu v.12)
zHaus des Königreiches - In diesem Kontext ist sicher gemeint: „Bethel ist ein Staatsheiligtum“. Der Ausdruck „Haus des Königreiches“ klingt sehr danach, als solle stattdessen gesagt werden: „Dies ist eine Königs-Residenz“, was zB. Ehrlich 1912, S. 249 daher auch als Bed. annimmt. Vgl. 2 Chr 2,1; Est 1,9; 2,16; Est 5,1. Doch dies passt zur sonstigen Rede des Amazja; sehr gut Eidevall: „Amazja vergisst [doch glatt], die Gottheit zu erwähnen, die in diesem Tempel wohnen soll. Mit solchen subtilen Methoden stellt der Erzähler Amos und Amazja dar als Repräsentanten von zwei konfligierenden Autoritäten, nämlich von Gott – und König Jerobeam.“ (2017, S. 208; ebenso z.B. García-Treto 1993, S. 119). (Zurück zu v.13)
aa[bin (war)] - Extrem umstrittene Stelle; für eine Übersicht über die verschiedenen Positionen in der Auslegung vgl. am besten Ridge 2018. Welche dieser Positionen vorzuziehen ist, ist aber ziemlich klar: Mit „Ich bin kein nabi`“ bezieht sich Amos auf die Aufforderung von Amazja in Vv. 12b-13, andernorts „nabi` zu sein“ (und nicht auf die Anrede als „Seher“ in 12a; ob es einen großen Unterschied zwischen „Sehern“ und „Propheten“ gab – wahrscheinlich nicht, s. 2 Sam 24,11; 2 Kön 17,13; Jes 29,10 –, ist für V. 14 also sehr wahrscheinlich irrelevant). Darauf Amos: Ich bin überhaupt kein Berufsprophet [der genau so gut dort wie hier prophezeien könnte]; eigentlich bin ich Landwirt – aber JHWH hat mir gesagt, ich soll hier prophezeien. Du hast mir also gar nichts zu sagen! So oder ähnlich z.B. auch Eidevall, Carroll, Gass 2012, S. 13f.; bes. gut García-Treto 1993, S. 122f. Stilistisch stark ist übrigens, wie hier auf das doppelte „dort“ und das doppelte „dies“ zunächst ein doppeltes „kein nabi`“ und dann ein doppeltes „JHWH“ antwortet: Schon diese Doppelungen markieren die Schwerpunkte der Sinnlinien, die sich durch diese Äußerung ziehen.
Andere Auflösungen: Sehr vielen Exegeten scheint es unmöglich, dass Amos in V. 14 von sich sagen soll, er sein kein Prophet, in V. 15 aber, dass ihn JHWH zum Prophezeien beauftragt habe.
(2) Die meisten übersetzen daher die beiden verblosen Sätze in 14ab mit Verben der Vergangenheit: „Ich war kein Prophet und kein Propheten-Azubi, sondern..., aber dann hat mich JHWH zum Propheten beauftragt.“ So z.B. Mays, Soggin, Jeremias, Kessler. Häufig wird eingewandt, dass das ja implizieren würde, dass Amos nun nicht nur Prophet, sondern auch Propheten-Azubi sei, aber richtig King 2019, S. 68: Das Argument greift nicht; V. 14ab könnte dann allgemein sagen „ich hatte überhaupt nichts mit Prophetie zu tun“, V. 15 dagegen „nun aber schon, nämlich wegen JHWH“, und impliziert wäre dann auch nach V. 14ab nur: „Nun bin ich eben doch nabi`“. Letztlich kommt das auf das selbe hinaus wie die obige Primär-Deutung, die Sätze schlössen dann nur nicht so gut an Amazjas Aufforderung an. Unter größeren dt. Üss. ziehen auch nur ELB und SLT „war“ vor.
(3) Wirklich ernst zu nehmen ist sonst nur noch der Vorschlag von Bach 1981 (so auch Jeremias, King 2019, S. 81), V. 14 sei Vordersatz von V. 15: „Ohne dass ich ein Prophet war... – ich war bloß Rinderhirt ... –, nahm mich JHWH...“. Die Aussage wäre die selbe wie in (1) und (2), der Satz schlösse aber noch schlechter an Vv. 12f. an, und was der Mehrwert dieser Auflösung vor (2) sein soll, vermag ich nicht zu sehen. Zu den vielen anderen sehr unwahrscheinlichen Auflösungen der Syntax vgl. wie gesagt Ridge 2018. (Zurück zu v.14)
abPropheten-Azubi - heb. ben nabi`, w. „Sohn eines Propheten“. Wahrscheinlich identisch mit den bene hanebi`im, den „Söhnen der Propheten“. Diese werden nicht selten in der Bibel erwähnt, sehr viel bekannt ist dennoch nicht über sie. Sicher belegt sind sie nur Zur Zeit von Elija und Elischa. Zu dieser Zeit waren es Gruppen von jungen Männern, die gemeinsam lebten (s. 2 Kön 6,1-7) – sicher in Bethel, Jericho und Gilgal (2 Kön 2,3.5; 4,38), vielleicht auch in Samaria (s. 2 Kön 2,18.23-25; dann auch 1 Kön 18,2-4; 22,1-6) – und die Elija und Elischa irgendwie unterstanden (s. wieder 2 Kön 6,1-7; auch 2 Kön 2,15; 5,20-27; 9,1) und von ihnen abhängig waren (s. 2 Kön 4,38). An diesen Stellen hält man sie meist für Propheten-Schüler (daher hier z.B. BB, , HER05, ZÜR: „Prophetenschüler“); neuerdings manchmal auch für Angehörige von „Propheten-Gilden“ (daher hier z.B. GN, MEN, NeÜ: „ich gehöre zu keiner Prophetengemeinschaft“; TEX: „ich bin keiner von der Prophetenzunft“), aber klar ist jedenfalls, dass sie nicht den selben Rang hatten wie diese beiden großen Propheten (was besser durch die „Schüler“-Übersetzungsvariante als die „Gilden“-Übersetzungsvariante zum Ausdruck kommt). Das passt gut zum Rest dieses Verses, in dem Amos sich schrittweise immer kleiner macht. (Zurück zu v.14)
acRinderhirt (Rinderbaron?) + Abernter von Maulbeerfeigenbäumen (V. 14) + von hinter der Herde (V. 15) - Ebenfalls etwas umstrittene Stelle; sie hängt zusammen mit der Frage nach der Üs. von noqed („Hirte“) in Am 1,1. Klassisch hat man diesen Ausdruck mit „Schafshirte“ übersetzt, was verwandte Wörter in verwandten Sprachen auch wirklich speziell bedeuten können. Das stimmte dann zusammen mit dem Wort für „Herde“ in V. 15, mit dem im Heb. ausschließlich Schafs- und Ziegenherden, nicht aber Rinderherden bezeichnet werden. Das Wort für „Rinderhirt“ in 14c aber, boqer, ist sicher abzuleiten von baqar „Rind“ und beißt sich dann mit diesen beiden Ausdrücken. Was noqed angeht, muss das nicht problematisch sein, s. zu Am 1,1: Zum Beispiel im Akkadischen kann das verwandte Wort sicher „Hirt/Besitzer-sowohl-von-Kleinvieh-als-auch-von-Großvieh“ bedeuten. șo`n („Kleinvieh-Herde“) und boqer („Rinderhirt“) beißt sich dann aber immer noch.
Am besten erklärt man sich das mit Schult 1971 und Steiner 2003, S. 91-94. Erstens: Dass eine Ausnahme-Figur der Geschichte keine große Herkunft hat, sondern entweder Landwirt oder Viehhirt ist und just da berufen wird, wo er diesen seinen Beruf ausübt, ist ein verbreitetes Motiv in der Bibel und wird erzählt von Mose (Ex 3,1ff.), Gideon (Ri 6,11ff.), Saul (1 Sam 11,5ff.), David (1 Sam 16,11.19; 1 Sam 17,15.28.34ff.) und Elischa (1 Kön 19,19-21). Von David wird dies sogar drei Mal mit fast exakt dem selben Ausdruck formuliert wie hier: „Gott nahm ihn von hinter der Herde weg“, s. 2 Sam 7,8; Ps 78,70f.; 11QPsa 151A,10f. („Gott sandte sie, mich zu holen / von hinter der Herde weg“). Wahrscheinlich soll auch Amos hier eingereiht werden: Zum Einen über das Motiv, da er Rinder hat wie Saul und Elischa, zum Anderen über die Formulierung, da er „hinter der Herde weg“ berufen wurde wie David. Dass Amos tatsächlich auch Kleinvieh hatte, müsste dann mit dem Ausdruck in 15a also gar nicht gesagt sein, obwohl auch dann das Nebeneinander von boqer und șo`n etwas sperrig bleibt (s. auch u. Textkritik).
Steiner gehört nun zu jenen, die denken, das Wort noqed in Am 1,1 impliziere, dass Amos wohlhabend sei, und deutet daher hier auch boqer nicht als „Rinderhirt“, sondern als „Rinder-Halter“. Das könnte schon sein, aber für Amos Wohlstand spricht in diesem Vers noch weniger als in Am 1,1 – wegen dem Hinweis auf die Sykomoren in 14d, die eher dazu geeignet scheinen, Amos als arm denn als vermögend darzustellen, s.u. Als gewöhnlichen Hirten deuten Amos hier auch LXX, Aq, Sym, Theod, Quinta, VUL und Syr; auch Raschi, ibn Ezra, Kimchi, Eliezer von Beaugency, Abravanel – da bräuchte es starke Gründe, um auf dieser Basis den boqer als „Rinderbaron“ zu deuten. Die gibt es aber nicht; eher ist also der boqer doch der gewöhnliche Rinder-Hirt und boles schiqmim, „Abernter von Sykomoren“, hat richtiger Struensee verstanden: „... sondern ich bin ein Hirte, der von wilden Feigen lebt [FN c: War die Speise der allerärmsten Leute.].“ (ähnlich Michaelis).
Zur Sykomoren-Ernte: Das Wort, das hier mit „Abernter“ übersetzt wurde – boles –, ist ebenfalls nur hier belegt, ist aber sicher verwandt mit arab. balasu („Feige, Sykomorenfrucht“), äth. balasa („Feige, Sykomorenfrucht“), MH bls („Sykomorenfrucht“; zum Wort vgl. Steiner 2003, S. 36f.); boles šiqmim heißt also „ich sykomorenfruchte Sykomoren“, zu deutsch also wahrscheinlich (s.u.) „ich ernte Sykomorenfrüchte“, jedenfalls sicher nicht: „Ich besitze/züchte Sykomoren-Bäume(so z.B. BB, GN, HfA, NeÜ, NL). Als „Rinderbaron“ und „Sykomorenbesitzer“ wurden die beiden Ausdrücke nämlich bisweilen in der jüd. Tradition gedeutet und daraus auch dort Amos Wohlstand abgeleitet. Aber tradiert wurde diese Deutung, weil der Vers in dieser berühmten Auslegung gegen den Strich gedeutet wurde; wie Steiner sich (auf S. 66) darauf stützen zu können glaubt, ist mir (S.W.) schleierhaft. Vgl. b.Ned 38a (worauf sich auch die späteren Vertreter dieser Deutung beziehen): „Rabbi Jochanan sagte: ‚Alle Propheten waren reich. Wie kommt man darauf? Wegen Mose, Samuel, Amos und Jona. Bei Mose deshalb, weil geschrieben steht (Num 16,15): ‚Ich habe ihnen keinen Esel genommen.‘ ... Gemeint ist nämlich: [Er hat keinen Esel genommen], obwohl er dafür bezahlt hat. ... ‘ Bei Samuel deshalb, weil geschrieben steht (1 Sam 12,3): ‚Wessen Ochsen und wessen Esel habe ich genommen?‘ ... Gemeint ist nämlich: [Er hat weder Ochsen noch Esel genommen], obwohl er dafür bezahlt hat. Bei Amos deshalb, weil geschrieben steht: ‚Ich bin boqer und boles šiqmim‘ was Rabbi Josef übersetzt mit: ‚Weil ich ein Halter von Herden bin und Sykomoren in der Schefela besitze.‘ Bei Jona deshalb, weil geschrieben steht (Jon 1,3): ‚Er zahlte seinen Preis und stieg in es hinab‘, denn Rabbi Jochanan sagte[, dies heiße]: ‚Er kaufte das ganze Schiff‘, und Rabbi Romanus ergänzte: ‚Ein ganzes Schiff kostete 4000 Gold-Dinare.‘
Raffiniert ist diese Auslegung deshalb, weil boles šiqmim an sich das Gegenteil nahelegt. Die Ernte von Sykomorenfeigen war aufwendig, weil ihre Früchte in Palästina von einem Parasiten, nämlich der Wespenart Sycophaga sycomori, befallen werden (s. z.B. Sykomore (WiBiLex)). Um essbare Feigen zu erhalten, mussten sie daher drei bis vier Tage vor der Ernte angeschnitten werden, was erstens den Reifungsprozess beschleunigte und wodurch man zweitens dem Wespenbefall zuvorkam (s. Theophrast, Hist. Plant iv 2; Plinius, Nat. Hist. xiii 14; Physiologus 58. Auch in Israel, s. m.Scheb ii 5; m.Dem i 1 [mwsțpws: „geöffnet“, also ebenfalls „aufgeritzt“]. Vgl. zur Technik z.B. Zeroni u.a. 1972, S. 378). So übersetzten auch einige alte Üss.: LXX: „ich kratze Maulbeerfeigen an“, Theod: „Ich ritze Maulbeerfeigen“, VUL: „Ich steche Maulbeerfeigen“; daher z.B. auch LUT, ZÜR: „Ich ritze Maulbeerfeigen“. Dieser komplexere Prozess, der für die Ernte nötig war, ist es, was die Maulbeerfeige von anderen Früchten unterscheidet; dieser wird daher also wohl mit „sykomorenfruchten“ bezeichnet werden und wird dann auch überhaupt erst der Grund sein, warum es für die Sykomorenernte anders als für die Ernte anderer Früchte ein eigenes Wort brauchte (richtig Steiner 2003, S. 47). Im Alten Israel war die Sykomorenfeige daher vor allem die Nahrung der ärmeren Bevölkerungsgruppen (Galil 1968, S. 178; Zohary 1986, S. 68); von Vermögenderen wurden die Früchte wegen diesem Aufwand bes. sommers oft ignoriert und nicht angeschnittene Früchte galten daher selbst dann als Wildwuchs für den allgemeinen Verzehr, wenn der Baum einen Besitzer hatte (vgl. m.Dem i 1; Löw 1928, S. 278). Man kann natürlich mit Steiner 2003, S. 111f. annehmen, „ich sykomorenfruchte Sykomoren“ bedeute „ich bin Pächter von Sykomorenbäumen und verkaufe ihren Ertrag, ich bin also vermögend“ – sehr nahe liegt das aber nicht; wahrscheinlicher wäre allein der Hinweis auf seinen Umgang mit Sykomoren Amos eher abträglich gewesen, wenn er sich damit selbst als „finanziell unabhängig“ darstellen hätte wollen.
Das „ich veredle Maulbeerfeigen“ in der neuen übrigens ist verblüffend, nachdem 89 noch: „ich ziehe Maulbeerfeigen“. M.W. geht die „veredeln“-Übersetzungstradition auf eine Zeit zurück, in der man noch nicht wusste, welchem Zweck das Anritzen in LXX diente; dass dies nun frisch übernommen hat, ist seltsam.
Textkritik: Während Aq, Sym, Theod, Quinta und VUL mit „Rinder-Hirt“ übersetzen und so den Text von MT stützen, der auch in 4QXIIg steht, hat LXXZiegen-Hirt“, Syr allgemein „Hirt“ und Tg überstzt mit der selben Fügung wie in Am 1,1. Nicht wenige nahmen daher an, dass statt boqer auch hier ursprünglich noqed wie in Am 1,1 gestanden habe (vgl. die im Heb. graphisch sehr ähnlichen Worte בוקר und נוקד; so z.B. BHS, Harper, Maag, Cripps, Snaith, Hammershaimb). Weil MT aber so breit gestützt wird, hat er aber sehr wahrscheinlich schon den ursprünglichen Text und die Üss. von LXX, Syr und Tg sind als Harmonisierungen von Vv. 14.15 zu werten. (zu v.14 / zu v.15)
adTextkritik: Mur, Syr, Tg und einige MSS wie in der Alternativübersetzung: ´al wie im nächsten Vers statt `el in MT, das auch durch 4QXIIg, LXX und VUL gestützt wird. Entweder war hier `el ursprünglich und Mur, Syr und Tg haben an das ´al aus V. 16 angeglichen, oder es war ´al ursprünglich und 4QXIIg, MT, LXX und VUL haben an das `el in 15b („zu mir“) angeglichen. Letzteres ist weniger wahrscheinlich, weil 4QXIIg das `el in 15b gar nicht hat. So aber dennoch einige, z.B. Marti, Maag und Cripps. (Zurück zu v.15)
aewider (über) - manche (z.B. ELB, FREE, TUR) üs. mit „über“, was sprachlich möglich, aber sehr unwahrscheinlich ist. Dazu ist der Wechsel von `el zu ´al zu auffällig. (Zurück zu v.16)
af(tropfen=) predigen (geifern?) - w. „tropfen, triefen“, daher B-R, SLT, TAF: „Träufle nicht gegen das Haus Isaak!“, gut TEX: „Ergieße nicht deine Rede!“ Etwas merkwürdiger Ausdruck, aber häufiger gebraucht vom Sprechen von Propheten, s. Ez 21,2.7; Mi 2,6.11; CD 8,13; 19,25; 1QpHab 10,9. Bei den Mi-, CD- und 1QpHab-Stellen sprechen so speziell lügnerische Propheten; trotz Ez 21,2.7 ist also gut möglich, dass der Begriff negativ belegt ist. Es würde hier viel Sinn machen, wenn Amos dem Amazja etwas in den Mund legte, womit dieser ihn der Lügenprophetie bezichtigte. „Weissagung sabbern“ (Hoffmann 1883, S. 119) oder „gegen jemanden geifern“ (, PAT) wird es aber nicht bedeuten; das zumindest ließe sich kaum vereinbaren mit Ez 21,2.7. Was genau mit diesem Bild transportiert wird, ist aber leider nicht klar; üs. am besten allgemein mit „weissage / predige / ...“ (so die meisten Üss.). (Zurück zu v.16)
agzur Hure werden - d.h., sie wird sich prostituieren müssen, weil ihre Söhne tot und ihr Mann exiliert ist, so dass kein Mann in ihrer Familie übrig ist, der in der Gesellschaft des Alten Israels für ihr Auskommen sorgen hätte können. Dass Witwen ohne Söhne im Alten Israel größte Nöte hatten, wird nach Amos noch lange ein Problem sein und sich erst in der hellenistischen Zeit ansatzweise ändern; vgl. für einen ersten Überblick z.B. Witwe und Waise (AT) (WiBiLex). (Zurück zu v.17)
ahmit der Messschnur verteilt werden - also nicht mehr das Land von Amazja sein, sondern andere werden seinen Grundbesitz unter sich aufteilen. (Zurück zu v.17)
aiunreines Land - also das Ausland; jedes Land außer Israel ist „unrein“. (Zurück zu v.17)