Hohelied 2

Aus Die Offene Bibel

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Status: Studienfassung zu prüfen – Eine erste Übersetzung aus dem Urtext ist komplett, aber noch nicht mit den Übersetzungskriterien abgeglichen und nach den Standards der Qualitätssicherung abgesichert worden und sollte weiter verbessert und geprüft werden. Auf der Diskussionsseite ist Platz für Verbesserungsvorschläge, konstruktive Anmerkungen und zum Dokumentieren der Arbeit am Urtext.
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Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Lesefassung (Hohelied 2)

(kommt später)

Studienfassung (Hohelied 2)

1 [Frau:]a „Ich bin ([nur])b eine (die) Liliec in der Scharonebene,
([Nur])b eine (die) Iris (Lotusblume?)c in den Tälern.“


2 [Mann:]a „Wie eine Iris (Lotusblume?)c unter {den}d Disteln (Dornen),
So [ist] meine Freundine unter den Töchtern.“f


3 [Frau:]a „Wie ein Apfel[baum]g unter {den}d Waldbäumen
So [ist] mein Geliebter unter den Söhnen.h
In seinem Schatten erfreue ich mich (habe ich Lust) und sitze ichi
Und seine Frucht [ist] süß an meinem Gaumen.


4 Er hat mich in das Haus des Weinsj gebracht,
Und sein Bannerk über mir [ist] Liebe.
5 Unterstützt mich (Man unterstütze mich) mit {dem} Traubenkuchen,
Stärkt mich (man stärke mich) mit {den} Äpfeln,
Denn ich bin krank vor Liebe!l
6 Seine Linke [sei] unter meinem Kopf
Und seine Rechte umfasse mich!


7 Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems,
Bei den Gazellen oder bei den Hirschkühen des Feldes:m
Entfacht nicht und facht nicht ann die Liebe (Stört nicht den Geschlechtsverkehr?o),
Bis es ihr gefällt (solange sie begehrt)!“


p


8 [Frau:]a[Das] Geräusch (Stimme, Horch!,) meines Geliebten!q
Siehe da, er kommt (Siehe, da kommt er)!
Er springt über die Berge,
Er hüpft über die Hügel -
9 Es gleicht mein Geliebter einer Gazelle (einer Schönen)
Oder einem Hirschkitz!
Siehe da, er steht (Siehe, jetzt steht er) hinter unserer Wand!
Er schaut [hinein] von den Fenstern [her],r
Er späht (blüht) [hinein] von den Öffnungen [her]!s


10 Mein Geliebter {antwortet und} sagtt zu mir:

[Mann:]a ‚Steh {dich} auf,u meine Freundin,e
Meine Schöne, geh {dir}!
11 Denn {siehe} der Winter (die Regenzeit) ist [ja]v vorübergegangen,
Der Regen ist weitergezogen, {sich} fortgelaufen!w
12 Die Blumen lassen sich sehen (zeigen sich, werden gesehen) auf dem Land,
Die Zeit des Gesangsx ist gekommen
Und die Stimme der Turteltaubey lässt sich hören in unserem Land.
13 Der Feige[nbaum] würzt (?)z seine Jungfeigen
Und die blühenden Weinstöcke geben Duft.


Steh {dich} auf (Steh auf, geh),aa meine Freundin,e
Meine Schöne, geh {dir}!
14 Meine Taubeab in den Felsenspalten,
Im Versteck der Terrasse (Steinwand)ac
Lass mich deinen Anblick (deine Anblicke)ad sehen,
Lass mich deine Stimme hören,
Denn deine Stimme [ist] süß
Und dein Anblickad lieblich!
15 Man hat für uns Füchse gefangen (Sie haben für uns Füchse gefangen; Fangt uns Füchse!; Fangt uns, ihr Füchse!),ae
Kleine Füchse,
Die Weinberge zerstören -
[Daher] [steht] unser Weinberg (unsere Weinberge)af [in] Blüte.‘


16 [Frau:]a Mein Geliebter ist mein und ich bin sein,
Der bei den Iridenc weidet (der Iriden frisst? der bei den Iriden grast?).ag
17 Bis (Sobald) der Tag bläst
Und die Schatten fliehen,ah
Wende dich, gleiche, mein Geliebter, {dir}
Einer Gazelle (einer Schönen) oder einem Hirschkitz
Auf den Duft(?)-Bergen (den zerklüfteten Bergen, den trennenden Bergen, dem Bether-Gebirge).“ai

Anmerkungen

Vv. 1-3 und Vv. 4-7 sind die zweite und dritte Strophe des in Hld 1,15-17 begonnenen Liedes; zum ganzen Lied s. die Anmerkungen zu Kapitel 1.
Vv. 1-3 führen den Bewunderungsdialog fort. Sie setzen ein mit einem kurzen Selbstbeschreibungsabschnitt in V. 1, in dem die Frau ihrem Geliebten wahrscheinlich nur zuraunt, wie gut es ihr mit ihm geht: Die „Täler“ und v.a. die „Scharonebene“ stehen für die fruchtbaren Gegenden Israels (s. Ps 65,13; Jes 35,2); Lilien und Iriden konnten dort besonders gut gedeihen. Geschickt dreht der Mann seiner Geliebten das Wort im Mund um und verwandelt es in V. 2 in ein Kompliment, dass die Frau in V. 3 postwendend zurückgibt und weiterführt: Der eigentliche Grund, warum sie sich so wohl fühlt, ist natürlich ihr Geliebter, darum ist in V. 3 der Ort, wo sie sich befindet, nicht mehr Tal und Scharonebene, sonden der Schatten ihres Geliebten.

Sumerisches Votivbild (?) eines Paars beim Geschlechtsverkehr. (c) Beaulieu, Stéphane: Eve's Ritual. The Judahite Sacred Marriage Rite. Montreal, 2007. S. 290.
An dies Verse schließen sich Vv. 4-7 an. Das „Haus des Weines“, in das der Mann seine Geliebte brachte, führt das Bild des „Hauses aus Zedern und Zypressen“ in Hld 1,15-17 fort: Es wird dort Wein getrunken. Wofür der „Wein“ steht, lässt sich leicht aus Hld 1,2.4; 4,10; 5,1; 7,10; 8,2 erschließen, nämlich für die ausgetauschten Zärtlichkeiten, speziell die Küsse des Päärchens. Zusätzlich verdeutlicht wird dies durch den nächsten Satz: „Sein Banner über mir ist Liebe“. Angespielt wird hier auf den Brauch, „an Häusern, in denen eine Festlichkeit stattfand, Zeichen anzubringen, um auf diese hinzuweisen“ (Gerhards 2010, S. 343). Auf diesem Banner aber steht nicht: „Hier gibt es Wein“, sondern: „Liebe“ - das Haus aus Zedern und Zypressen ist das Haus, in dem das Päärchen sich liebkost; ihr „Liebesnest“. Metaphorisch sind dann auch die Traubenkuchen und Äpfel zu nehmen, die sie von den fiktiven Festgästen verlangt: Die Traubenkuchen sind eine Variante von „Wein“, stehen also ebenfalls für Liebkosungen, und die „Äpfel“ sind die Früchte des Geliebten, der ja in V. 3 als Apfelbaum bezeichnet wurde: „The Shulamite dramatically proclaims her erotic hunger for her lover; apricots are ‚his‘ fruit, 2,3.“ (Bloch/Bloch 1995, S. 148). In V. 6 wird der selbe Wunsch noch einmal in Klartext wiederholt; vgl. zur Körperhaltung z.B. das sumerische Votivbild (?) eines Paars beim Geschlechtsverkehr rechts.

Dazwischen steht die Erklärung: „Denn ich bin krank vor Liebe“. Das darf nicht missverstanden werden als Metapher wie das deutsche „liebeskrank sein“; pathologische oder unglückliche Liebe wurde damals durchaus als echte Krankheit mit wirklichen Symptomen gesehen. Theokrit etwa beklagt in seiner elften Idylle, dass es gegen die Liebe kein Heilmittel gebe; weder Pflaster noch Salbe. Ovid schafft Abhilfe und verfasst mit seinen Werk „Heilmittel gegen die Liebe“ einen ganzen Therapieleitfaden.aj

Besonders interessant für unseren Vers ist Lukrez Abschnitt über den Liebeswahn in seinem Werk „Über die Natur der Dinge“:

Denn ein Gesunder erfreut sich doch offenbar reinerer Wollust
Als wer krank ist vor Liebe. Denn selbst bei dem Akt der Umarmung
Schwanket der Liebenden Brust in taumelnder Irrnis. Sie wissen
Kaum, wo zuerst sich ersättigen soll der Blick und die Hände.
Was sie ergreifen, erdrücken sie fast; sie mißhandeln den Körper
Schmerzhaft, ja sie zerbeißen sich oft mit den Zähnen die Lippen.
Pressen sie Küsse darauf. ...(Üs.: Diels)ak

In der Bibel findet sich die Rede von der Liebeskrankheit neben dem Hld nur noch in 2 Sam 13,2, wo klar ebenfalls eine pathologische Liebe geschildert wird, die auch deutliche Krankheitssymptome nach sich zieht (s. 2 Sam 13,4).
Was die Frau hier im Hld also von sich berichtet, ist nichts Gutes und Schönes, sondern etwas Krankhaftes; das ist sehr wichtig für den weiteren Verlauf des Hoheliedes. Darauf weißt auch der letzte Vers des Liedes; ein Refrain, der sich noch in zwei Variationen insgesamt vier Mal im Hohelied findet (s. noch Hld 3,5; 5,8 und 8,4) und der sich jedes Mal an eine Schilderung negativer Folgen der Liebe anschließt. Die Liebe, wie sie hier geschildert wurde, ist keine reife Liebe; sie entbrannte vor ihrer Zeit und wurde vorzeitig auch noch weiter angefacht. Liebe, so das Hohelied, kann auch fehlgehen, und eine solche fehlgegangene Liebe ist diese vorzeitige, außereheliche (s. später), insgeheim im Freien vollzogene Liebe.

Das siebte Lied (Vv. 8-17) ist ein recht ausführlicher und sehr schöner Rendezvous-antrag. Auffällig ist auch hier das Verschmelzen der Ebenen „Mensch“ und „Natur“. Sprecher ist die Frau, die sich in einem Haus in den Weinbergen befindet; wahrscheinlich wie in Hld 1,6, um ihn zu bewachen.al Durch die Augen dieser Frau und aus dem Haus heraus nimmt der Leser wahr, wie in Vv. 8-9 der Geliebte wie eine Naturgewalt in die Welt der Frau einbricht: Er ist der, der „bei den Iriden weidet“ (V. 16), also in die Natur verortet wird und als Hirte hauptberuflich mit Tieren Umgang hat. Mehr noch: Er selbst kommt „wie eine Gazelle“ und „wie ein Hirschkitz“ über die Berge gesprungen, kommt dann auch nicht ins Haus hinein, sondern tigert von Fenster zu Fenster, um seiner Geliebten durch die Fensteröffnung hindurch sein Frühlingsständchen zu bringen (Vv. 10-15), mit dem er sie heraus in die Natur locken will. Frau und Mann sind hier also Repräsentanten der Ebenen „Kultur“ und „Natur“. Die Verschmelzung dieser beiden Ebenen findet sich auch im Frühlingslied selbst: Erstens werden die Elemente der Natur personifiziert: der Winter und die Regenzeit sind „vorübergegangen, weitergezogen und fortgelaufen“, der Feigenbaum „würzt“ seine Jungfeigen und die blühenden Weinstöcke „geben“ ihren Duft. Es ist Frühling!, und das ist kein „Zustand“, sondern auf Handlungen der Natur zurückzuführen. Zweitens werden im Frühlingslied überhaupt keine Menschen erwähnt: Die Blumen „lassen sich sehen“, die Stimme der Turteltaube „lässt sich hören“ - aber von wem? Die „Zeit des Gesanges“ ist gekommen - aber wer soll denn da singen? Die Füchse hat „man“ gefangen, so dass die Geliebte eigentlich frei wäre, ihren Wachtposten verlassen zu können - aber wer ist „man“? Und selbst die Geliebte wird im Frühlingslied nicht dargestellt als Frau, sondern als „Taube“, die sich nicht in ihr Haus, sondern in „Felsspalten“ und ins „Versteck der Weinterrasse“ zurückgezogen hat (vgl. zu dieser poetischen Strategie z.B. Boer 2009, S. 10f.).
Mit ihrem „Ja“ bringt die Frau in Vv. 16-17 diese Verschmelzung der beiden Ebenen sogar explizit zum Ausdruck: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein“. Ja, sie ist sein. Aber: Nicht gleich; ihr Geliebter soll doch bitte gegen Abend zurückkehren und bis dahin noch weiter Gazelle und Hirschkitz sein.
Was dann allerdings am Abend und weiter geschieht, schildern Hld 3,1-5.


aDas Hohelied besteht zu einem großen Teil aus Dialogen. Das Verständnis des Textes wird sehr dadurch erschwert, dass im hebräischen Text nie angegeben ist, wer welche Textteile spricht. Schon in der LXX und VUL haben daher Schreiber sog. „Rubriken“ eingefügt, also mit roter Tinte geschriebene Angaben darüber, welchem Sprecher welche Äußerung zuzuschreiben ist (vgl. dazu Treat 1996, bes. S. 399ff.). Zur Förderung der Verständlichkeit der Üs. folgen wir diesem Beispiel; nur dort, wo in der Exegese größere Uneinigkeit über die Zuordnung einer Äußerung zu einem Sprecher herrscht, folgt darauf noch eine Extrafußnote zur Begründung dieser Zuordnung. (Zurück zu v.1 / zu v.2 / zu v.3 / zu v.8 / zu v.10 / zu v.16)
b[nur] - Fokuspartikeln wie „nur“ werden im Heb. auch dort fast nie gesetzt, wo das Dt. sie setzen müsste. So verstehen auch diese Stelle viele Exegeten, weil sie das Mädchen ungerne mit einem solch unverblümten Eigenlob in das Lied einsteigen lassen möchten (z.B. Fox 1985, S. 83; Gordis 1974b, S. 50), aber s. die Anmerkungen. (zu v.1)
c
Ein proto-aeolisches Kapitell aus Megiddo. (c) Shiloh, Yigal: New Proto-Aeolic Capitals Found in Israel, in: BASOR 222, 1976. S. 67-77, S. 67.
Lilie + Iris - Die Identität der beiden Blumen ist umstritten und nicht sicher zu erschließen. Über die „Iris“ (Heb. schoschannah) weiß man, dass die Kapitelle von Pfeilern im Tempel die Form dieser Blume hatten (s. 1 Kön 7,22; zum irisförmigen Kapitell s. rechts) und dass es sich um eine Landpflanze handelt (s. Hld 7,3), die Tiere beim Grasen verspeißen konnten (s. Hld 2,16; 4,5; 6,2.3). Das syr. Wort susan („Iris, Lilie“) und das arab. Wort susan/sausan („Iris, Lilie“) legen dann nahe, dass es sich auch hier um eine Iris- oder Lilienart handelt. Die „Lilie“ (Heb. habatselet) wird neben dieser Stelle nur noch in Jes 35,1f. erwähnt; entsprechend gibt es für die Erschließung ihrer Identität noch weniger Anhaltspunkte. Von der Etymologie her könnte es sich um eine Zwiebelpflanze handeln (vgl. Heb. betsal: „Zwiebel“) und in Jes 35,1 übersetzen LXX, VUL, TgJes und Eusebius in seinem Jesaja-Kommentar mit „Lilie“. Es ist gut möglich, dass das nur geraten ist (in unserem Vers übersetzen LXX, VUL allgemein mit „Blume“), aber der beste Anhaltspunkt zu ihrer Identifikation, daher folgen wir einstweilen diesen Üss.
„Rose“ ist sehr unwahrscheinlich, da diese nicht in Israel wuchsen; die neuerdings häufige Üs. mit „Lotus“ ist problematisch, weil die Lotusblume eine Wasserpflanze ist, und basiert auf den beiden irrtümlichen Annahmen, dass es keine lilien-/irisförmigen Kapitelle gegeben habe und dass die Lilie nicht in Israel wachsen würde. (zu v.1 / zu v.2 / zu v.16)
d{den} - In Vergleichen verwendet das Heb. häufig bestimmten Artikel, wo das Dt. unbestimmten oder keinen Artikel verwenden würde. (Zurück zu v.2 / zu v.3)
emeine Freundin - Häufige Bezeichnung für die Geliebte im Hld; s. Hld 1,9.15; 2,2.10.13; 4,1.7; 5,2; 6,4. Außer in Hld 5,2 fällt der Ausdruck stets im Zhg. mit einer Aussage über das Aussehen der „Freundin“; wahrscheinlich hörte ein Israelit bei dem Ausdruck also irgendwie „Schönheit“ mit. (Zurück zu v.2 / zu v.10 / zu v.13)
fTöchtern - d.h., den anderen Mädchen. Zum Vergleich der Geliebten mit einer Blume vgl. z.B. Sappho, frg 132: „Hab ein schöns Kind, / goldnen Blumen wohl vergleichbar / ist sein feiner Wuchs: / Kleis heißt sie, mein Alles...(Üs.: Treu); vgl. bes. auch das Epigramm 58 (von Rhianus) in AC XII: „So sehr scheint Empedokles hervor, wie die anderen Frühlingsblumen an Schönheit die Rose überstrahlt.“. (Zurück zu v.2)
gApfel[baum] - Übliches Motiv in Liebesgedichten; zum Vergleich des Geliebten mit einem Baum vgl. z.B. Sappho frg 115: „Womit soll ich dich, Bräutigam lieber, vergleichen? / Einer biegsamen Gerte will ich dich vergleichen!(Üs.: Treu). (Zurück zu v.3)
hSöhnen - d.h., den anderen jungen Männern. (Zurück zu v.3)
ierfreue ich mich (habe ich Lust) und sitze ich - d.h., „erfreut es mich zu sitzen“ oder „habe ich Lust, zu sitzen“; verbales Hendiadyoin: Ein Vollverb dient eigentlich der näheren Spezifizierung eines anderen Vollverbs. (Zurück zu v.3)
jDas Haus des Weins ist wahrscheinlich keine Taverne, die im Alten Israel nicht belegt sind. Verglichen wird gern das „Haus des Weintrinkens“ in Est 7,8, aber s. Pred 7,2, wo das „Haus des Trinkens“ mit dem „Haus des Klagens“ (also einem Privathaus, dessen Bewohner einen Trauerfall hatten) kontrastiert wird. Auch in Dan 5,10 befindet sich das „Haus des Trinkens“ offenbar im Palast und bietet Raum für alle „1000 Großen“ des Königs. Offenbar ist also „jedes Haus, in dem Wein getrunken wird“, ein „Weinhaus“ (Fox 1983, S. 201). S. näher die Anmerkungen. (Zurück zu v.4)
kBanner - Zum Banner s. die Anmerkungen. (Zurück zu v.4)
lkrank vor Liebe - s. dazu die Anmerkungen. (Zurück zu v.5)
mBei den Gazellen oder bei den Hirschkühen des Feldes - dazu vgl. bes. gut Steinmann 2013. Geschworen wurde im Alten Israel stets bei höheren „Mächten“ wie Gott, Pharao, Hohepriester etc. Zu diesen gehören Gazelle und Hirschkuh nicht. Auch das „des Feldes“ ist auffällig; in der Bibel ist dies ein Idiom für „wilde Hirschkühe“; Hirschkühe wurden aber nicht gezähmt, so dass diese nähere Ausführung überflüssig scheint. tseba´oth („Gazellen“) und ´ajelot haßadeh („Hirschkühe des Feldes“) (צבאות ... אילות השדה) wird hier also wahrscheinlich deshalb verwendet, weil es lautlich und im Schriftbild an die beiden Gottesbezeichnungen [JHWH] tseba´ot („JHWH der Mächte“) und ´el schaddaj (Bed. unsicher; vielleicht „Gott vom Berge“ und „Gott der Wildnis“; vgl. DDD, S. 749f) (צבאות ... אל שדי) erinnert; „ein erstes Zeichen der Tendenz, die in der talmudischen Zeit wichtig wurde, für Namen und Titel Gottes in Schwüren verschiedene, manchmal [gar] bedeutungslose Worte wie [...] ‚beim Fischnetz‘ oder [...] ‚beim Leben der Sommerfrucht‘ einzusetzen.“ (Fox 1985, S. 110). „Gazelle“ und „Hirschkuh“ passen sogar noch recht gut zum Kontext, weil sie auch an anderen Stellen der Bibel mit Liebe in Zusammenhang gebracht werden (s. Spr 5,18f.; Hld 4,5; 7,3; vgl. Steinmann 2013, S. 30). (Zurück zu v.7)
nEntfacht nicht und facht nicht an die Liebe - W.: „Wenn ihr entfacht und wenn ihr anfacht die Liebe...!“; unabgeschlossee Drohformel als häufige Formel für Verbote. Das selbe Verb wird in zwei verschiedenen Konjugationen verwendet: Figura etymologica, die den Ausdruck noch stärker macht. (Zurück zu v.7)
oStört nicht den Geschlechsverkehr - so einige neuere Exegeten (z.B. Falk 1982, S. 116; Fox 1985, S. 109); aber das Verb kann nicht „stören“ oder „unterbrechen“ bedeuten. (Zurück zu v.7)
pDas Hohelied besteht aus mehreren, voneinander mehr oder weniger unabhängigen Einzelliedern (s. näher die Anmerkungen). Wo jeweils ein neues Lied beginnt, ist im hebräischen Text nicht erkennbar; wir haben daher zur Steigerung der Verständlichkeit jeweils dort ein Sternchen eingefügt, wo unserer Meinung ein neues Lied beginnt. (Zurück zu v.7)
q[Das] Geräusch meines Geliebten! - d.h. „Horch! Mein Geliebter [kommt]!“; qol („Geräusch“) wie häufig verwendet als Ausruf (vgl. JM §162e; HKL III §354a). (Zurück zu v.8)
r[hinein] von den Fenster/Öffnungen [her] - aus der Perspektive des Mädchens im Haus. (Zurück zu v.9)
sÖffnungen - Seltenes Wort; nur einmal in der Bibel verwendet und daher in der Bed. ein wenig unsicher. LXX übersetzt „Gitter“; dem folgen die meisten Üss. Im späteren Hebräisch findet sich das Wort aber häufiger und ist dort schlicht ein Äquivalent zu „Fenster“; das ist auch hier sicher seine Bed. (so auch Zakovitch 2004, S. 149). (Zurück zu v.9)
t{antwortet und} sagt - Im Heb. häufige Doppelverbformel, die ins Dt. stets mit nur einem Verb zu übertragen ist. W. „antworten“; hier wie öfter i.S.v. „sagen“ ohne vorangehende Frage. (Zurück zu v.10)
uSteh {dich} auf! - d.h. „Auf!“; qum („steh auf“) wie oft nur zur Verstärkung eines folgenden Befehls; „dich“ = bedeutungsloser sog. „Dativus ethicus“, der im Dt. nicht zu übersetzen ist. (Zurück zu v.10)
v{siehe} ... [ja] - demonstrativ verwendetes „Siehe“, das das Folgende als Begründung für einen anderen Textteil markieren soll (dazu vgl. z.B. Slager 1989, S. 60). Hier ist das Vergangen-sein des Winters Anlass für des Geliebten Aufruf zum Verlassen des Hauses. Ins Dt. statt mit „siehe“ treffender mit „ja“ zu übersetzen. (Zurück zu v.11)
wvorübergegangen ... weitergezogen ... fortgelaufen - drei Verben, mit denen der Winter personifiziert wird, wie im folgenden noch mehrere Bereiche der Natur personifiziert werden. Sehr gut daher übersetzt von Seidl 2002, S. 164: „Die Regenzeit ist vorbeigegangen, der Regen ist abgezogen, ist fortgegangen.“ Die letzten beiden Verben klingen außerdem noch recht ähnlich: chalaf halach; Exum 2005, S. 121 daher sehr gut: „over and gone“; doch hierin kommt die Personifikation nicht gut zum Ausdruck. (Zurück zu v.11)
xGesangs - Heb. zamir. Im späteren Heb. gibt es ein Wort zamir(ah), und nach diesem übersetzen die alten Üss. „[Zeit] des Beschneidens“, nämlich der Weinreben. Einige moderne Bibelübersetzer und -ausleger folgen dem (z.B. H-R, PAT); andere glauben, der Autor habe bewusst ein mehrdeutiges Wort verwendet. Aber die Zeit, von der der Geliebte singt, ist nicht die Zeit zur Rebenbeschneidung, da deren erste vor dem Blühen der Reben (von Januar bis März) und deren zweite nach der Ernte (zwischen Juni und Juli) stattfand (vgl. AuS IV, S. 330f.). Ohnehin; wer würde versuchen, seine Angebetene aus dem Haus zu locken mit „Es ist Frühling! Lass uns Reben schneiden gehen!“ oder „Die Blümlein blühen! Lass sie uns abschneiden!“?„Singen“ übersetzen daher richtig z.B. schon die alten jüd. Exegeten Rashi, Kimchi und Ibn Ezra; auch die meisten neueren Üss.
Der Verweis auf Jes 18,5 von Pope 1977, Zakovitch 2004 u.a. ist wertlos, da der Witz dieser Stelle gerade ist, dass ein Weinberg zerstört wird, indem die Trauben vor ihrer Reife abgeschlagen werden.
SLT („die Zeit des Singvogels“) übersetzt nach der neuhebräischen Bed. des Wortes („Nachtigall“); so auch Falk 1982 und Bloch/Bloch 1995. (Zurück zu v.12)
yTurteltaube - Heb. tur, wie das dt. „Turtel“ onomatopoetisches Wort, durch das das das Gurren der Taube schon im Begriff hörbar wird (noch schöner Lat.: turtur). Äußerst passend für eine Aussage über das Hörbar-Werden von Vogelgesang. (Zurück zu v.12)
zwürzt - Heb. chantah. Im späteren Heb. hat das Wort die Bed. „Knospen austreiben“. In der Bibel wird es sonst nur noch an zwei Stellen verwendet für „einbalsamieren“ (Gen 50,2f.26). Die beiden Vorgänge „Jungfrüchte austreiben“ und „einbalsamieren“ treffen sich darin, dass aromatische Säfte auf den Leichnam gestrichen oder in die Jungfrucht „gesendet“ werden (gut Fox 1985, S. 113). Mit dem seltenen Wort soll daher wahrscheinlich erstens der Feigenbaum personifiziert werden, wie oben z.B. auch „Winter“ und „Regen“ personifiziert wurden, und zweitens der Duftsinn angesprochen werden: 12a spricht von den Blumen, die sich sehen lassen, 12bc vom Gesang, der hörbar ist und 13a ebenso wie die nächste Zeile von den Früchten, die gerochen werden können. Erwägenswert daher die Üss. von Noegel/Rendsburg 2009, S. 193: „Der Feigenbaum parfümiert seine Jungfrüchte“; van Ess: „Der Feigenbaum würzt seine Früchte“. (Zurück zu v.13)
aaSteh {dich} auf (Steh auf, geh)! - d.h. „Auf!“; qum („steh auf“) wie oft nur zur Verstärkung eines folgenden Befehls; „dich“ = bedeutungsloser sog. „Dativus ethicus“, der im Dt. nicht zu übersetzen ist.
Textkritik: Das Wort für „dich“ liegt anders als in V. 11 in zwei Varianten vor: Der frühere Konsonantentext bedeutet nicht „dich“, sondern „geh!“; dem folgt auch LXX. Der spätere Vokaltext macht aber deutlich, dass diese andere Schreibung als Schreibfehler aufzufassen ist und wie in V. 11 „dich“ gelesen werdens soll; das belegt auch 4QCantb und dem folgen VUL, Syr und Tg; auch die meisten Bibelübersetzer und -exegeten (anders z.B. Peetz 2015; Pope 1977; Seidl 2002, die nach der obigen Alternativüs. übersetzen). (Zurück zu v.13)
abMeine Taube - Diese Stelle, Hld 5,2 und Hld 6,9 legen nahe, dass „meine Taube“ ein gebräuchlicher Kosename war (ähnlich ja im Dt.: „Mein Täubchen“). Zusätzlich ist die Verwendung gerade dieses Begriffs natürlich kontextuell motiviert: Die „Taube im Felsversteck“ wird kontrastiert mit den „[draußen] singenden Turteltauben“; sie soll sich doch bitte diesen anschließen, ihr Versteck verlassen und auch ihre Stimme hören lassen. (Zurück zu v.14)
ac
Eine Weinterrasse bei Jerusalem. (c) Menashe Davidson, http://goo.gl/sN7JeN .
Terrasse (Steinwand) - unsicheres Wort; in der Bibel nur noch in Ez 38,20 verwendet, wo es im Parallelismus zu „Berg“ und „Wand“ steht. Viele schließen daher von diesem Zhg. auf die Bedeutung „Steilwand“, „Felswand“. Im späteren Heb. ist aber die madregah eine Stufe der Weinterrassen, auf denen Wein angebaut wurde. An die Wand einer solchen Terrasse haben wir auch hier zu denken (so richtig AuS IV, S. 320): Offensichtlich befinden wir uns in den Bergen, die der Geliebte in V. 8 überspringen muss, und in der Nähe von Weinstöcken und Feigenbäumen (s. V. 13), die auch sonst in Weinbergen nebeneinander wachsen (s. nur Lk 13,6). Zur in solchen Steinspalten nistenden Taube vgl. die Anmerkungen zu Hld 1,15-17. (Zurück zu v.14)
adTextkritik: deinen Anblick (deine Anblicke) - die beiden Worte für „deinen Anblick“ in V. 14 haben die selben Konsonanten, aber unterschiedliche Vokale: mar´ajik vs. mar´ek. Das erste scheint auf den ersten Blick ein Plural zu sein („deine Anblicke“), das zweite Singular mit einer seltenen Schreibweise („dein Anblick“). Der Plural macht nicht viel Sinn (vgl. allerdings Bloch/Bloch 1995, S. 156); man könnte daher entweder wie in der letzten Zeile die Vokale für mar´ek annehmen oder mit BHQ, Krinetzki 1964, S. 297 und Rudolph 1962, S. 133 die Endung -´ajik nach GKC §93ss und JM §96Ce als eine alte Singularendung deuten und dann evt. sogar die Vokale der zweiten Schreibvariante an die erste anpassen. (zu v.14)
aeV. 15 ist berühmt dafür, wie schwer er verständlich ist. Wahrscheinlich so: Das Lied des Jungen besteht aus zwei Strophen mit ähnlichem Inhalt, Vv. 10b-13b und Vv. 13c-15. Die beiden Strophen beginnen jeweils mit der gleichen Auforderung. In beiden Strophen wird außerdem von etwas Hör- und Sehbarem gesungen (nämlich Blumen und Vogelgesang in V. 12 und der Anblick und die Stimme des Mädchens in V. 14). In der ersten Strophe werden außerdem Argumente dafür gebracht, warum das Mädchen ihr Haus verlassen soll (V. 11) und es ist vom Weinberg die Rede (V. 13). Vom Weinberg ist auch in V. 15 die Rede; es fehlt in der zweiten Strophe also nur noch das Argument dafür, das Haus zu verlassen. Das soll dann wahrscheinlich ebenfalls V. 15 bringen, denn ab V. 16 spricht wieder das Mädchen.

Das Haus des Mädchens befindet sich offenbar in den Weinbergen (s. FN ac), wir haben also an die selbe Situation zu denken wie die des Mädchens in Hld 1,6, das als Weinbergswache in den Weinbergen wohnen muss. Deutet man das Verb nicht wie fast stets als Imperativ, sondern als Qatal (also nicht „fangt!“, sondern „sie haben gefangen“; so z.B. Assis 2009, S. 86; Gordis 1974b, S. 83; zur Form vgl. Ri 5,28) und den Plural als impersonalen Plural (also nicht „sie haben gefangen“, sondern „man hat gefangen“; vgl. z.B. A-C §5.1.2.a.3), lässt sich V. 15 als ein solches Argument lesen: „Es gibt überhaupt nichts mehr, wovor du den Weinberg bewachen müsstest; man hat die Füchse schon längst für uns gefangen!“ Vgl. Raschbam, der den Vers als Bericht über ein vergangenes Geschehnis auffasst: „Als wir [...] im Garten waren, [...] kamen unsere Gefährten und töteten [die Füchse] und nahmen sie weg.“
Sonst wird der Vers meist so verstanden, dass ab V. 15 das Mädchen oder die Töchter Jerusalems den Befehl geben würden: „Fangt uns Füchse, ..., die die Weinberge zerstören!“ Den „Weinberg“ deutet man dann nach Hld 1,6 als Symbol für Jungfräulichkeit von Mädchen (was auch dort wahrscheinlich nicht die Symbolik des Weinbergs ist, s. die Anmerkungen zum Vers) und die Füchse als junge Männer, die den Mädchen entweder ihre Jungfräulichkeit rauben oder den jungfräulichen Mädchen schaden wollen. So gelesen fügt der Vers sich so schlecht in den Zusammenhang von Vv. 14.16, dass Fokkelman 2001, S. 196f. sogar vorgeschlagen hat, mit diesem störenden Element solle das Stören der jungen Männer auch in der Form des Gedichts zum Ausdruck gebracht werden.

Zum Motiv der Füchse im Weinberg vgl. noch Äsops Fabel der Fuchs und die Trauben, Babrios Fabel 11, wo der Fuchs als „Feind der Weinstöcke und der Gärten“ beeichnet wird, und Theokrits Idyllen 1.48-50 und 5.112. (Zurück zu v.15)
afunser Weinberg (unsere Weinberge) - Auf den ersten Blick Plural; besser zu verstehen als ungewöhnlich („plene“) geschriebenes Singular; so Gordis 1974b, S. 83. Viele Handschriften ändern daher die Schreibung zum gewöhnlichen Sg; auch VUL übersetzt so. (Zurück zu v.15)
agDer bei den Iriden weidet - nämlich seine Herde, was einige Üss. sinnvoll ergänzen (z.B. Falk 1982; HfA; NeÜ). S. die Anmerkungen.

Alternativ könnte man davon ausgehen, dass hier wieder/schon die Gazellen-/Hirsch-metapher wirkt und der Geliebte qua Gazelle/Hirsch entweder die Iriden selbst frisst oder bei den Iriden grast. Diese Deutung findet sich gar nicht selten in neueren Kommentaren, weil in Hld 4,5 Rehe und Gazellen Subjekte des Weidens sind und in Hld 2,1 das Mädchen sich selbst als Lilie bezeichnet; „Lilien fressen“ soll dann eine Umschreibung sexueller Handlungen sein (so z.B. Krinetzki 1964, S. 198; Zakovitch 2004, S. 162). Aber gerade Hld 4,5 macht doch deutlich, dass das sehr unwahrscheinlich ist; sicher soll doch dort nicht gesagt werden, dass die Frau von ihren eigenen Brüsten liebkost wird. Außerdem wird der Vers exakt in dieser Form noch einmal in Hld 6,3 wiederholt, und dort wird aus V. 1 klar, dass sich der Geliebte nicht einmal am selben Ort befindet wie die Sprecherin.

Manchmal wird zur Stützung dieser Deutung auf die „Lotusesser“ der Odyssee verwiesen (s. dazu Lotophagen (Wikipedia)), aber diese sind das antike Äquivalent zu „Drogenabhängige“ (die Lotosblume ist eine psychoaktive Pflanze) und das ist hier sicher nicht gemeint. Eine ganz ähnliche Stelle findet sich in Theokrits fünfter Idylle, wo Lacon den Comatos damit übertrumpft, dass seine Schafe nicht Gras, sondern süße Felsrosen fressen (V. 131). (Zurück zu v.16)
ahBis (Sobald) der Tag bläst / und die Schatten fliehen - Es ist unsicher, auf welche Zeit sich diese Angabe bezieht. Mit dem „Fliehen der Schatten“ ist sehr wahrscheinlich das sich-Längen der Schatten gegen Abend (und nicht das Vergehen der Nacht, vgl. van de Sande 2012, S. 281f.) gemeint; vgl. Jer 6,4. Wahrscheinlich ist daher auch unter dem „Blasen des Tages“ der Abendwind zu verstehen, nicht der Morgenwind. Problematisch ist aber ´ad sche..., das hier sowohl „bis“ als auch „sobald“ heißen könnte, und die Tatsache, dass der damit eingeleitete Nebensatz sich sowohl auf V. 16 als auch auf Vv. 17c-e beziehen könnte. Möglich ist also jede Variante von
  1. „...der seine Herde bei den Iriden weidet, bis der Tag endet...“
  2. „...der seine Herde bei den Iriden weidet, sobald der Tag endet...“
  3. „Bis der Tag endet, wende dich...“
  4. „Sobald der Tag endet, wende dich...“.

Das „Wenden“ in der nächsten Zeile ist wahrscheinlich ein sich-Abwenden von der Geliebten, da es „ja Unsinn wäre, wenn die Shulamit ihren Geliebten auffordern würde, sich zu ihr zu wenden, wenn er schon bei ihr ist und mit ihr spricht“ (Fox 1985, S. 115). Daher sind dann auch die Berge hier in der letzten Zeile kein verschlüsselter Ausdruck für die Brüste der Frau (s. nächste FN), sondern tatsächliche Berge, zu denen der Geliebte sich statt zu seiner Geliebten wenden soll.

Nehmen wir dies alles zusammen, ist Alternative (2) unwahrscheinlich, da Tiere nicht nachts geweidet wurden, und Alternative (4) etwas unwahrscheinlich, da ja dann der Geliebte bei Nacht in die Berge (statt in sein eigenes Heim) geschickt würde (aber das könnte auch gut noch die Tiermetapher fortsetzen). Weil weiterhin bei Variante (1) die Funktion des temporalen Nebensatzes nur schwer verständlich wäre, während sie sich bei Variante (3) direkt erschließt, ist dieser der Vorzug zu geben; die Frage bleibt aber unsicher. (Zurück zu v.17)
aiDuft- (zerklüftet, trennend, Bether-) - Heb. bater. Bed. hier unsicher; schon in den alten Üss: LXX und Quinta deuten nach dem Verb batar als „zerklüftete Berge“ (ähnlich LUT: „Scheideberge“, da batar auch „trennen“ bedeuten kann), Theod und Syr als „Gewürz-/Parfumberge“ und VUL, Aq und Sym deuten als Eigenname; gemeint wäre dann die Festungsstadt Bether nahe Jerusalem (zu den Übersetzungsvarianten vgl. auch Bartina 1972c, S. 436f.). Jede dieser Deutungen findet sich auch in neueren Kommentaren und Üss.; die „Berge der Trennung“ oder „Berge der Kluft“ werden außerdem gern damit kommentiert, dass es sich hier um die beiden Brüste der Frau handeln würde, aber s. vorige FN. Der selbe Vers findet sich in noch zwei weiteren Variationen in Hld 4,6 und Hld 8,14, wo von „Myrrhenberg“, „Weihrauchhügel“ und „Balsambergen“ die Rede ist. Dies und die Tatsache, dass auch Theod und Syr vergleichbar übersetzen, ist ein recht starkes Indiz dafür, dass auch die bater-Berge etwas Ähnliches sein sollen, wenn auch ungewiss ist, welche Bed. bater genau hat. Gordis 1974b, S. 54 übersetzt daher „mountains of spices“, Seidl 2002, S. 167, und LUT 1984: „Balsamberge“; H-R: „duftende Berge“. Dem folgen auch wir.
Anmerkung d. Üs. (S.W.): Möglich wäre allerdings auch, dass die Üs. von Aq und Syr ähnlich zustande kam wie die in Ri 1,35 LXX: Dass statt batar („trennen, spalten“) in einer heb. Version das Synonym haras („zerbrechen“) verwendet wurde, was dann als hadas („Myrte“) verlesen wurde. Daher hier „Berge des Gewürzes“, dort „Berg der Myrte“. Diese Möglichkeit macht die hier präferierte Üs. wieder etwas schwächer. (Zurück zu v.17)
ajZu dieser faszinierenden Idee vgl. z.B. Biesterfeldt/Gutas 1984; Crohns 1905; Toohey 1992; Toohey 2004, S. 59-103. (Zurück zu )
akZwei weitere Beispiele, die zeitlich näher am Hld stehen: Bei Sappho heißt es:
Wenn ich dich erblicke, geschiehts mir einmal, daß ich verstumme.
Denn bewegungslos liegt die Zunge, feines
Feuer hat im Nu meine Haut durchrieselt,
mit den Augen sehe ich nichts, ein Dröhnen braust in den Ohren,
und der Schweiß bricht aus, mich befällt ein Zittern
aller Glieder, bleicher als dürre Gräser
bin ich, dem Gestorbensein kaum mehr ferne schein ich mir selber. (frg 31, Üs.: Treu)

und Theokrit dichtet in seiner zweiten Idylle:

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
Weh! und m Hinschau'n gleich, wie durchzückt' es mich! jählings erkrankte
Tief im Grunde mein Herz; auch verfiel mir die Schöne mit Einmal.
Nimmer gedacht' ich des Fests, und wie ich nach Hause gekommen,
Weiß ich nicht; so verstörte den Sinn ein brennendes Fieber.
Und ich lag zehn Tage zu Bett zehn Nächte verseufzt' ich.
Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!
Schon, ach! war mir die Farbe so gelb wie Thapsos geworden,
Und mir schwanden die Haare vom Haupt; die ganze Gestalt nur
Haut noch und Bein! Wen frug ich um Hilfe nicht?
...
Ganz kalt ward ich zumal wie der Schnee, und herab von der Stirn
Rann mir in Tropfen der Schweiß wie rieselnder Tau in der Frühe;
Kein Wort bracht ich hervor, auch nicht so viel wie im Schlafe
Wimmert ein Kindchen und lallt, nach der lieben Mutter verlangend,
Und ganz wurde der blühende Leib mir starr wie ein Wachsbild. (Üs.: Mörike) (Zurück zu )
alVgl. ähnlich z.B. P. Anastasi I 24.2: „Du hast Jaffa [=Tel Aviv] erreicht und wirst [...] ein kleines Mädchen finden, das den Garten bewacht [...].“ (ÜS.: COS III, S. 13) (Zurück zu )