Amos 1: Unterschied zwischen den Versionen

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Da es durchgehend auf Ereignisse aus der Geschichte Judas / Israels anspielt, ist die Frage der '''Datierung des Amosbuches''' wichtig für das rechte Verständnis des Inhaltes. Zu unterscheiden sind hier (A) der Zeitraum des Wirkens des Amos (irgendwann zwischen 773-747), (B) der Zeitraum der Handlungen, die in Am 1-6 verurteilt werden, (C) der Zeitraum der Ereignisse, die v.a. in Am 1-2 als Strafen Gottes für diese Handlungen dargestellt werden, (D) und schließlich der Zeitraum / die Zeiträume, in denen das Amosbuch verfasst wurde. Keiner dieser vier oder mehr Zeiträume muss nämlich notwendig identisch sein.<br />
Da es durchgehend auf Ereignisse aus der Geschichte Judas / Israels anspielt, ist die Frage der '''Datierung des Amosbuches''' wichtig für das rechte Verständnis des Inhaltes. Zu unterscheiden sind hier (A) der Zeitraum des Wirkens des Amos (irgendwann zwischen 773-747), (B) der Zeitraum der Handlungen, die in Am 1-6 verurteilt werden, (C) der Zeitraum der Ereignisse, die v.a. in Am 1-2 als Strafen Gottes für diese Handlungen dargestellt werden, (D) und schließlich der Zeitraum / die Zeiträume, in denen das Amosbuch verfasst wurde. Keiner dieser vier oder mehr Zeiträume muss nämlich notwendig identisch sein.<br />
Will man nicht von vornherein davon ausgehen, dass das Amosbuch sich aus verschiedenen Schichten zusammensetzt<ref>Eine Hypothese und Forschungsrichtung, über die bes. in Deutschland intensiv geforscht wird, vgl. den Überblick über diverse Positionen in Brettler (2006): „Redaction, History, and Redaction-History of Amos in Recent Scholarship“ und das Update in Carroll (2019): „Twenty Years of Amos Research“; ergänze Höffkens WiBiLex-Artikel „[https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/10045/ Amos / Amosbuch]“ (2006).</ref> (und dass diese so ungeschickt miteinander verknüpft worden sind, dass man sie klar voneinander scheiden kann), sind recht starke Indizien diese: (1) In Am 1,5 heißt es von den Aramäern, sie würden nach Qir deportiert werden. Nach [[2 Könige 16#s9 |2 Kön 16,9]] waren es die Assyrer, die dies im Zuge des syrisch-efraimitischen Krieg um 732 v. Chr. taten. (2) Am 2,6.13-16 spricht von einer umfassenden Niederlage Israels. Soll dies keine radikale Übertreibung sein, wird hiermit entweder die Eroberung weiter Teile des Nordreiches durch die Assyrer und die Degradierung des verbliebenen Rumpfstaates zum Vasallenstaat im selben Jahr gemeint sein oder gar seine endgültige Eroberung durch dieselben um 722 v. Chr. (3) Am 6,2 impliziert die Eroberung der Städte Kalne, Hamath und Gat. Nach [[Jesaja 10#s5 |Jes 10,5.9]] (vgl. auch [[2 Könige 18#s33 |2 Kön 18,33f.]] liegt klar am nächsten, auch bei Kalne und Hamat an die Eroberung durch die Assyrer um 738 v. Chr. und bei Gat an die Eroberung durch die Assyrer um 711 v. Chr. zu denken.<br />In der jüngeren Amosforschung wird daher immer häufiger angenommen, dass zumindest große Teile des Amosbuches nicht um 760-750 v. Chr. von Amos selbst verfasst wurden, sondern nach 711 v. Chr. entstanden sind (D; so z.B. Strijdom 2011: zwischen 738 und 732 v. Chr.; Eidevall 2017, Möller 2003, Schütte 2016: nach 722 v. Chr.; Radine 2010: nach 711 v. Chr.), weil sie häufig von den Ereignissen um 738-711 v. Chr. sprechen (C). Diese Ereignisse werden dargestellt als Strafen für Handlungen, die die angesprochenen Nationen und Stadtstaaten noch früher begingen (B) und werden dem Amos in den Mund gelegt als einem Propheten, der wenige Jahre vor 738 v. Chr. unter Jerobeam II gewirkt hatte, unter dem wiederum das Nordreich das letzte Mal aufblühte (A, s. [[2 Könige 14#s23 |2 Kön 14,23-28]]), bevor es dann eben von den Assyrern unterworfen wurde.<br />
Will man nicht von vornherein davon ausgehen, dass das Amosbuch sich aus verschiedenen Schichten zusammensetzt<ref>Eine Hypothese und Forschungsrichtung, über die bes. in Deutschland intensiv geforscht wird, vgl. den Überblick über diverse Positionen in Brettler (2006): „Redaction, History, and Redaction-History of Amos in Recent Scholarship“ und das Update in Carroll (2019): „Twenty Years of Amos Research“; ergänze Höffkens WiBiLex-Artikel „[https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/10045/ Amos / Amosbuch]“ (2006).</ref> (und dass diese so ungeschickt miteinander verknüpft worden sind, dass man sie klar voneinander scheiden kann), sind recht starke Indizien diese: (1) In Am 1,5 heißt es von den Aramäern, sie würden nach Qir deportiert werden. Nach [[2 Könige 16#s9 |2 Kön 16,9]] waren es die Assyrer, die dies im Zuge des syrisch-efraimitischen Krieg um 732 v. Chr. taten. (2) Am 2,6.13-16 spricht von einer umfassenden Niederlage Israels. Soll dies keine radikale Übertreibung sein, wird hiermit entweder die Eroberung weiter Teile des Nordreiches durch die Assyrer und die Degradierung des verbliebenen Rumpfstaates zum Vasallenstaat im selben Jahr gemeint sein oder gar seine endgültige Eroberung durch dieselben um 722 v. Chr. (3) Am 6,2 impliziert die Eroberung der Städte Kalne, Hamath und Gat. Nach [[Jesaja 10#s5 |Jes 10,5.9]] (vgl. auch [[2 Könige 18#s33 |2 Kön 18,33f.]] liegt klar am nächsten, auch bei Kalne und Hamat an die Eroberung durch die Assyrer um 738 v. Chr. und bei Gat an die Eroberung durch die Assyrer um 711 v. Chr. zu denken.<br />In der jüngeren Amosforschung wird daher immer häufiger angenommen, dass zumindest große Teile des Amosbuches nicht um 760-750 v. Chr. von Amos selbst verfasst wurden, sondern nach 711 v. Chr. entstanden sind (D; so z.B. Strijdom 2011: zwischen 738 und 732 v. Chr.; Eidevall 2017, Möller 2003, Schütte 2016, Wood 2002: nach 722 v. Chr.; Radine 2010: nach 711 v. Chr.), weil sie häufig von den Ereignissen um 738-711 v. Chr. sprechen (C). Diese Ereignisse werden dargestellt als Strafen für Handlungen, die die angesprochenen Nationen und Stadtstaaten noch früher begingen (B) und werden dem Amos in den Mund gelegt als einem Propheten, der wenige Jahre vor 738 v. Chr. unter Jerobeam II gewirkt hatte, unter dem wiederum das Nordreich das letzte Mal aufblühte (A, s. [[2 Könige 14#s23 |2 Kön 14,23-28]]), bevor es dann eben von den Assyrern unterworfen wurde.<br />


Wichtigster '''historischer Kontext''' wäre dann also der „'''syrisch-ephraimitischer Krieg'''“ (s. dazu näher im [https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/32162/ WiBiLex]]; sehr schön auch Strijdom 2011): Nachdem Israel im 10. Jahrhundert in das Nordreich Israel und das Südreich Juda zerfallen war, hatte es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Israel und Juda und ihren Nachbarstaaten gegeben, in deren Zuge auch immer wieder einzelne Gebiete erobert und zurückerobert wurden (die unten abgebildete Karte taugt also nur für einen groben Überblick über die Machtverhältnisse des neunten und achten Jahrhunderts). Im achten Jhd. v. Chr. dann aber erstarkte im Nordosten der assyrische König Tiglat-Pileser III. und eroberte ab 745 v. Chr. nach und nach Gebiete dieser Nationen: 738 v. Chr. unterwarf er u.a. Israel, Aram, den Stadtstaat Tyrus und den noch weiter nördlich gelegenen Stadtstaat Hamath. Die israelitischen Könige Menahem (747-738 v. Chr.) und Pekachja (737-736 v. Chr.) wie auch der aramäische König Rezin blieben dabei zwar an der Macht, wurden aber tributpflichtig. Rezin und Pekachjas Nachfolger Pekach (735-733 v. Chr.) verfolgten daher eine konsequent anti-assyrische Politik. Als sie versuchten, auch Juda mit militärischer Macht in ihre anti-assyrische Koalition zu zwingen, wandte sich der judäische König Ahas (741-725 v. Chr.) hilfesuchend an Tiglat-Pileser (s. [[2 Könige 16#s5 |2 Kön 16,5-9]]), der sich gerade weiter nach Süden vorarbeitete und 734 v. Chr. z.B. auch Ekron, Aschdod, Aschekelon und Gaza an der Mittelmeerküste zu Vasallenstaaten machte. Unter anderem aus diesem Grund wandte er sich daher dann wieder nach Osten und den rebellierenden Staaten Israel und Aram zu: 733-732 v. Chr. nahm er Israel erneut ein und errichtete auf seinem Gebiet eine Reihe neuer Provinzen – u.a. in Gilead –, um so die israelitische Macht noch weiter zu schwächen, und ließ einzig Samarien als kümmerlichen Rumpfstaat übrig, wobei er König Pekach ab- und dessen ihm zunächst ergebenen Nachfolger Hoschea einsetzte (732-722 v. Chr.). 733 unterwarf er außerdem Edom, Moab und Ammon und 732 ebenfalls zum zweiten Mal Aram mit Damaskus als dem ursprünglichen Machtzentrum des Aramäerreiches, um es ab dem selben Jahr zum neuen Machtzentrum des assyrischen Großreiches auszubauen. Auch Ahas wurde durch sein Handeln natürlich den Assyrern gegenüber tributpflichtig, war aber offenbar dennoch derart pro-assyrisch eingestellt, dass er kurz darauf gar im Jerusalemer Tempel einen Altar nach assyrischem Vorbild errichtete (s. [[2 Könige 16#s10 |2 Kön 10,10-18]]). Nicht so der israelitische König Hoschea: Nach dem Tod Tiglat-Pilesers wagte Israel unter ihm erneut einen Aufstand, wurden aber erneut in zwei Etappen zunächst um 722 v. Chr. durch Tiglat-Pilesers Nachfolger Salmanassar V. und dann 720 v. Chr. von dessen Nachfolger Sargon II. besiegt – das Ende des verbliebenen Nordreichs, das nun endgültig als „Samarien“ assyrische Provinz wurde.  
Wichtigster '''historischer Kontext''' wäre dann also der „'''syrisch-ephraimitischer Krieg'''“ (s. dazu näher im [https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/32162/ WiBiLex]]; sehr schön auch Strijdom 2011): Nachdem Israel im 10. Jahrhundert in das Nordreich Israel und das Südreich Juda zerfallen war, hatte es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Israel und Juda und ihren Nachbarstaaten gegeben, in deren Zuge auch immer wieder einzelne Gebiete erobert und zurückerobert wurden (die unten abgebildete Karte taugt also nur für einen groben Überblick über die Machtverhältnisse des neunten und achten Jahrhunderts). Im achten Jhd. v. Chr. dann aber erstarkte im Nordosten der assyrische König Tiglat-Pileser III. und eroberte ab 745 v. Chr. nach und nach Gebiete dieser Nationen: 738 v. Chr. unterwarf er u.a. Israel, Aram, den Stadtstaat Tyrus und den noch weiter nördlich gelegenen Stadtstaat Hamath. Die israelitischen Könige Menahem (747-738 v. Chr.) und Pekachja (737-736 v. Chr.) wie auch der aramäische König Rezin blieben dabei zwar an der Macht, wurden aber tributpflichtig. Rezin und Pekachjas Nachfolger Pekach (735-733 v. Chr.) verfolgten daher eine konsequent anti-assyrische Politik. Als sie versuchten, auch Juda mit militärischer Macht in ihre anti-assyrische Koalition zu zwingen, wandte sich der judäische König Ahas (741-725 v. Chr.) hilfesuchend an Tiglat-Pileser (s. [[2 Könige 16#s5 |2 Kön 16,5-9]]), der sich gerade weiter nach Süden vorarbeitete und 734 v. Chr. z.B. auch Ekron, Aschdod, Aschekelon und Gaza an der Mittelmeerküste zu Vasallenstaaten machte. Unter anderem aus diesem Grund wandte er sich daher dann wieder nach Osten und den rebellierenden Staaten Israel und Aram zu: 733-732 v. Chr. nahm er Israel erneut ein und errichtete auf seinem Gebiet eine Reihe neuer Provinzen – u.a. in Gilead –, um so die israelitische Macht noch weiter zu schwächen, und ließ einzig Samarien als kümmerlichen Rumpfstaat übrig, wobei er König Pekach ab- und dessen ihm zunächst ergebenen Nachfolger Hoschea einsetzte (732-722 v. Chr.). 733 unterwarf er außerdem Edom, Moab und Ammon und 732 ebenfalls zum zweiten Mal Aram mit Damaskus als dem ursprünglichen Machtzentrum des Aramäerreiches, um es ab dem selben Jahr zum neuen Machtzentrum des assyrischen Großreiches auszubauen. Auch Ahas wurde durch sein Handeln natürlich den Assyrern gegenüber tributpflichtig, war aber offenbar dennoch derart pro-assyrisch eingestellt, dass er kurz darauf gar im Jerusalemer Tempel einen Altar nach assyrischem Vorbild errichtete (s. [[2 Könige 16#s10 |2 Kön 10,10-18]]). Nicht so der israelitische König Hoschea: Nach dem Tod Tiglat-Pilesers wagte Israel unter ihm erneut einen Aufstand, wurden aber erneut in zwei Etappen zunächst um 722 v. Chr. durch Tiglat-Pilesers Nachfolger Salmanassar V. und dann 720 v. Chr. von dessen Nachfolger Sargon II. besiegt – das Ende des verbliebenen Nordreichs, das nun endgültig als „Samarien“ assyrische Provinz wurde.  

Version vom 22. Dezember 2020, 21:30 Uhr

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Lesefassung (Amos 1)

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Anmerkungen

Studienfassung (Amos 1)

1 Worte des Amos,a
welcher war unter den Hirten (Schafzüchtern, Herdenverwaltern)b von Tekoa,c
welcher sah (welche er sah)d über Israel (in den Tagen von=) zur Zeit von Usija, dem König von Juda, und (in den Tagen von=) zur Zeit von Jerobeam, dem Sohn von Joasch, dem König von Israel,e zwei Jahre vor dem Erdbeben.f

2 {Und} Er sprach:

„JHWH, von Zion her wird er brüllen
Und von Jerusalem her seine Stimme (geben =) erschallen lassen,
Sodass vertrocknen (klagen; es werden vertrocknen)g die Auen der Hirten
Und verdorrt (und es wird verdorren) der Gipfel des Karmel.“h

3 So spricht JHWH: „Wegen drei Vergehen von Damaskus und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen (zurückbringen lassen), weil sie Gilead mit einer eisernen Dreschwalze gedroschen haben. 4 Und ich werde Feuer schicken in das Haus Hasaëls und es wird die Paläste Ben-Hadads fressen. 5 Und ich werde den Riegel von Damaskus zerbrechen und ich werde die Bewohneri von Bikat-Awen ausrotten und den, der das Szepter hält, aus Bet-Eden; und das Volk von Aram wird nach Kir deportiert werden“, spricht JHWH. 6 So spricht JHWH: „Wegen drei Vergehen von Gaza und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie sie alle ins Exil deportiert haben, um sie an Edom auszuliefern. 7 Und ich werde Feuer schicken an die Mauer von Gaza und es wird seine Paläste fressen. 8 Und ich werde die Bewohner von Aschdod ausrotten und den, der das Szepter hält, aus Aschkelon; und ich strecke meine Hand gegen Ekron aus und die Übriggebliebenen der Philister werden zu Grunde gehen“, spricht der Herr JHWH. 9 So spricht JHWH: „Wegen drei Vergehen von Tyrus und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie sie alle an Edom [ins] Exil ausgeliefert haben und nicht des Bruderbundes gedachtet. 10 Und ich werde Feuer schicken an die Mauer von Tyrus und es wird seine Paläste fressen.“ 11 So spricht JHWH: „Wegen drei Vergehen von Edom und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie seinen Bruder mit dem Schwert verfolgten und sein Erbarmen zu Grunde richteten und sein Zorn zerriss für immer und sein Grimm wachte stets. 12 Und ich werde Feuer schicken nach Teman und es wird die Paläste von Bozra fressen.“ 13 So spricht JHWH: „Wegen drei Vergehen der Söhne Ammons und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie die Schwangeren in Gilead aufgeschlitzt haben, mit der Absicht ihre Grenzen zu erweitern. 14 Und ich werde ein Feuer anzünden an der Mauer von Rabba und es wird seine Paläste fressen im Kriegslärm am Tag der Schlacht, im Sturm am Tag des Sturmwindes. 15 Und ihr König geht ins Exil, er und seine Obersten zusammen“, spricht JHWH.

Anmerkungen

Amos war der Name eines Propheten, der nach V. 1 zur Zeit des judäischen Königs Usija (773-736 v. Chr.) und des nordisraelitischen Königs Jerobeam II. (787-747 v. Chr.) wirkte. Das seinen Namen tragende Buch zerfällt grob in die drei Großabschnitte Am 1-2 mit einer Reihe von Völkersprüchen, Am 3-6 mit einer Reihe Gerichtsworte gegen Israel und Am 7-9 mit einer Reihe von Visionen.

Da es durchgehend auf Ereignisse aus der Geschichte Judas / Israels anspielt, ist die Frage der Datierung des Amosbuches wichtig für das rechte Verständnis des Inhaltes. Zu unterscheiden sind hier (A) der Zeitraum des Wirkens des Amos (irgendwann zwischen 773-747), (B) der Zeitraum der Handlungen, die in Am 1-6 verurteilt werden, (C) der Zeitraum der Ereignisse, die v.a. in Am 1-2 als Strafen Gottes für diese Handlungen dargestellt werden, (D) und schließlich der Zeitraum / die Zeiträume, in denen das Amosbuch verfasst wurde. Keiner dieser vier oder mehr Zeiträume muss nämlich notwendig identisch sein.
Will man nicht von vornherein davon ausgehen, dass das Amosbuch sich aus verschiedenen Schichten zusammensetztj (und dass diese so ungeschickt miteinander verknüpft worden sind, dass man sie klar voneinander scheiden kann), sind recht starke Indizien diese: (1) In Am 1,5 heißt es von den Aramäern, sie würden nach Qir deportiert werden. Nach 2 Kön 16,9 waren es die Assyrer, die dies im Zuge des syrisch-efraimitischen Krieg um 732 v. Chr. taten. (2) Am 2,6.13-16 spricht von einer umfassenden Niederlage Israels. Soll dies keine radikale Übertreibung sein, wird hiermit entweder die Eroberung weiter Teile des Nordreiches durch die Assyrer und die Degradierung des verbliebenen Rumpfstaates zum Vasallenstaat im selben Jahr gemeint sein oder gar seine endgültige Eroberung durch dieselben um 722 v. Chr. (3) Am 6,2 impliziert die Eroberung der Städte Kalne, Hamath und Gat. Nach Jes 10,5.9 (vgl. auch 2 Kön 18,33f. liegt klar am nächsten, auch bei Kalne und Hamat an die Eroberung durch die Assyrer um 738 v. Chr. und bei Gat an die Eroberung durch die Assyrer um 711 v. Chr. zu denken.
In der jüngeren Amosforschung wird daher immer häufiger angenommen, dass zumindest große Teile des Amosbuches nicht um 760-750 v. Chr. von Amos selbst verfasst wurden, sondern nach 711 v. Chr. entstanden sind (D; so z.B. Strijdom 2011: zwischen 738 und 732 v. Chr.; Eidevall 2017, Möller 2003, Schütte 2016, Wood 2002: nach 722 v. Chr.; Radine 2010: nach 711 v. Chr.), weil sie häufig von den Ereignissen um 738-711 v. Chr. sprechen (C). Diese Ereignisse werden dargestellt als Strafen für Handlungen, die die angesprochenen Nationen und Stadtstaaten noch früher begingen (B) und werden dem Amos in den Mund gelegt als einem Propheten, der wenige Jahre vor 738 v. Chr. unter Jerobeam II gewirkt hatte, unter dem wiederum das Nordreich das letzte Mal aufblühte (A, s. 2 Kön 14,23-28), bevor es dann eben von den Assyrern unterworfen wurde.

Wichtigster historischer Kontext wäre dann also der „syrisch-ephraimitischer Krieg(s. dazu näher im WiBiLex]; sehr schön auch Strijdom 2011): Nachdem Israel im 10. Jahrhundert in das Nordreich Israel und das Südreich Juda zerfallen war, hatte es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Israel und Juda und ihren Nachbarstaaten gegeben, in deren Zuge auch immer wieder einzelne Gebiete erobert und zurückerobert wurden (die unten abgebildete Karte taugt also nur für einen groben Überblick über die Machtverhältnisse des neunten und achten Jahrhunderts). Im achten Jhd. v. Chr. dann aber erstarkte im Nordosten der assyrische König Tiglat-Pileser III. und eroberte ab 745 v. Chr. nach und nach Gebiete dieser Nationen: 738 v. Chr. unterwarf er u.a. Israel, Aram, den Stadtstaat Tyrus und den noch weiter nördlich gelegenen Stadtstaat Hamath. Die israelitischen Könige Menahem (747-738 v. Chr.) und Pekachja (737-736 v. Chr.) wie auch der aramäische König Rezin blieben dabei zwar an der Macht, wurden aber tributpflichtig. Rezin und Pekachjas Nachfolger Pekach (735-733 v. Chr.) verfolgten daher eine konsequent anti-assyrische Politik. Als sie versuchten, auch Juda mit militärischer Macht in ihre anti-assyrische Koalition zu zwingen, wandte sich der judäische König Ahas (741-725 v. Chr.) hilfesuchend an Tiglat-Pileser (s. 2 Kön 16,5-9), der sich gerade weiter nach Süden vorarbeitete und 734 v. Chr. z.B. auch Ekron, Aschdod, Aschekelon und Gaza an der Mittelmeerküste zu Vasallenstaaten machte. Unter anderem aus diesem Grund wandte er sich daher dann wieder nach Osten und den rebellierenden Staaten Israel und Aram zu: 733-732 v. Chr. nahm er Israel erneut ein und errichtete auf seinem Gebiet eine Reihe neuer Provinzen – u.a. in Gilead –, um so die israelitische Macht noch weiter zu schwächen, und ließ einzig Samarien als kümmerlichen Rumpfstaat übrig, wobei er König Pekach ab- und dessen ihm zunächst ergebenen Nachfolger Hoschea einsetzte (732-722 v. Chr.). 733 unterwarf er außerdem Edom, Moab und Ammon und 732 ebenfalls zum zweiten Mal Aram mit Damaskus als dem ursprünglichen Machtzentrum des Aramäerreiches, um es ab dem selben Jahr zum neuen Machtzentrum des assyrischen Großreiches auszubauen. Auch Ahas wurde durch sein Handeln natürlich den Assyrern gegenüber tributpflichtig, war aber offenbar dennoch derart pro-assyrisch eingestellt, dass er kurz darauf gar im Jerusalemer Tempel einen Altar nach assyrischem Vorbild errichtete (s. 2 Kön 10,10-18). Nicht so der israelitische König Hoschea: Nach dem Tod Tiglat-Pilesers wagte Israel unter ihm erneut einen Aufstand, wurden aber erneut in zwei Etappen zunächst um 722 v. Chr. durch Tiglat-Pilesers Nachfolger Salmanassar V. und dann 720 v. Chr. von dessen Nachfolger Sargon II. besiegt – das Ende des verbliebenen Nordreichs, das nun endgültig als „Samarien“ assyrische Provinz wurde.

Am 1,3-2,16 ist der erste Großabschnitt des Amosbuches und bietet Amos´ acht sog. „Völkersprüche“. Solche Völkersprüche finden sich v.a. als Fremd-Völkersprüche immer wieder in der Bibel; bes. gehäuft etwa in Jes 13-23; Jer 46-51 und Ez 25-32. Die Völkersprüche des Amosbuches haben unter diesen eine Sonderstellung, weil sie deutlich kulminieren in zwei Völkersprüchen, die gegen das eigene Volk gerichtet sind.
Die ersten sieben sind dabei streng nach zwei verwandten Schemata gebaut; der letzte dagegen hat eine abgewandelte und deutlich erweiterte Form:

Schema A
Schema B
1. Einleitung: „So spricht JHWH“
2. Formel: „Wegen dreier Vergehen ... und wegen vierer ...“
3. Kurze Anschuldigung: „Weil...“
4. Ausführliches Strafurteil
5. Schlussformel: „sagt JHWH“
1. Einleitung: „So spricht JHWH“
2. Formel: „Wegen dreier Vergehen ... und wegen vierer ...“
3. Ausführliche Anschuldigung: „Weil...“
4. Kurzes Strafurteil: Strafe durch Feuer

Durch die Abfolge dieser beiden Schemata zerfällt Am 1,3-2,16 in vier Zweiergruppen (vgl. z.B. Gordis 1979/80, S. 203; Steinmann 1992, S. 687):

Am 1,3-5: Damaskus
Am 1,6-8: Gaza
Schema A
Am 1,9-10: Tyrus
Am 1,11-12: Edom
Schema B
Am 1,13-15: Ammon
Am 2,1-3: Moab
Schema A
Am 2,4-5: Juda
Am 2,6-16: Israel
Schema B
Schema B*

In jeder dieser Zweiergruppe wird sowohl ein Gegner Judas als auch ein Gegner Israels genannt – (1) Damaskus (Israel) + Gaza (Juda), (2) Tyrus (Juda) + Edom (Israel), (3) Ammon (Israel) + Moab (Juda) –, bevor dann im vierten Zweierpaar schließlich Juda und Israel selbst Thema sind:

Völkersprüche Amos.png

Wenig überraschend fallen die Sprüche gegen Juda und Israel hierbei aus dem Rahmen: Während Damaskus, Gaza, Tyrus, Edom, Ammon und Moab Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, hat Juda sich an Gott vergangen und die Bürger Israels haben sich einer Vielzahl sozialer Vergehen an ihren Mitbürgern schuldig gemacht (vgl. z.B. Noble 1993, S. 69). Der Spruch gegen Israel fällt außerdem wie gesagt wegen seiner relativen Überlänge aus dem Rahmen der anderen Sprüche und ist damit klar das Ziel und das Finale dieser Spruchreihe: Primärer Adressat des Amos ist Israel, was sich in Am 3-6 fortsetzen wird.

aAmos - Ein sprechender Name (wie alle heb. Namen); Bed.: „Er [d.h. JHWH] hat getragen“ i.S.v. „unterstützt“, s. Jes 46,3, zum Namen s. DAHPN. (Zurück zu v.1)
bHirte (Schafzüchter, Herdenverwalter) - Etwas unsicheres Wort, üs. am besten mit „Hirte“.
Genauer: Heb. noqdim; in der Bibel sonst nur noch in 2 Kön 3,4. Wegen verwandten Wörtern in verwandten Sprachen (s. z.B. Watson 2018, S. 322f.) ist klar, dass ein noqed etwas mit Viehzucht und vielleicht noch spezieller mit Schafzucht zu tun hat. Weil aber in anderen Texten gelegentlich auch von wohlhabenden noqdim die Rede ist – in 2 Kön 3,4 ist es ja sogar ein König, der als noqed bezeichnet wird –, gehen einige davon aus, dass ein noqed nicht ein einfacher Hirte ist, sondern eine Art „Oberhirte“, ein „Herden-Verwalter“ (s. ausführlich Lang 2006; z.B. auch Dietrich/Loretz 1977; Eidevall 2017, S. 94). Amos wäre dann ein recht wohlhabender und einflussreicher Mann. Deutsche Üss. übersetzen i.d.R. wahlweise mit „Hirte“ (z.B. SLT) „Schafhirte“ (z.B. ) oder „Schafzüchter“ (z.B. LUT); möglicherweise soll Letzteres ein Ausdruck für Amos „Oberhirtentum“ sein (so jedenfalls recht sicher „Herdenbesitzer“ von MEN und TEXT und „Viehhalter“ von B-R).
Sehr viel spricht allerdings nicht für diese hohe Stellung des Amos; offensichtlich gibt es ja im kleinen Dorf Tekoa (s. gleich) mehrere nokdim; auch verwandte Texte sprechen nicht sehr dafür – wenn z.B. König Šulgi in Šulgi A,5 von sich sagt: „Ein na-gada (=noqed), ein sipa (= ‚Hirte‘) ... bin ich“, wird man daraus doch wohl eher nicht ableiten können, dass „ein na-gada etwas dem sipa Vor- / Übergeordnetes ist“ (Lang 2006, S. 332). Auch das aram. Kognat ngd bezeichnet sicher den „gewöhnlichen“ Hirten, der seine Herde „leitet“ (ngd), und auch die alten Üss. übersetzen schlicht mit „Hirte“ (so Quinta, Aq, Sym, Vul; auch Ibn Ezra, Kimchi. Vielleicht aber anders Tg: „Herdenbesitzer“. Theod („in Nokedim“) und LXX („in Nakkarim“; auch drei heb. MSs bei Kennicott und De Rossi haben nkrm statt nkdm) halten das Wort offenbar für einen Stadtnamen und transkribieren schlicht). (Zurück zu v.1)
cTekoa - Ein kleines Dorf südlich von Jerusalem. (Zurück zu v.1)
dwelcher war..., welcher sah (welche er sah) - Lautspiel: ˀašer-hajah – ˀašer ḥazah. Das den zweiten Relativsatz einleitende ˀašer („welche(r)) könnte sich sowohl auf die „Worte“ zurückbeziehen („die Worte, welche er sah“) oder mit absolutem ḥazah („sehen“ i.S.v. „ein Seher sein“) auf Amos („Amos, der sah = der ein Seher war“). Variante 1 z.B. in („Die Worte, die Amos ... über Israel geschaut hat“), Variante 2 z.B. in NL („Das sind die Worte von Amos. ... Er sah Visionen über Israel...“). Im Hebräischen lassen sich durchaus auch prophetische Worte „sehen“ – s. Jes 2,1; Mi 1,1. Dort sind es aber natürlich die „Worte JHWHs“, die Jesaja / Micha „sahen“; hier dagegen die „Worte des Amos“. Etwas mehr spricht daher für Variante 2. (Zurück zu v.1)
eZu Usija, Juda, Jerobeam und Israel s. die Anmerkungen. (Zurück zu v.1)
fErdbeben waren recht häufig in Israel; welches genau gemeint ist, lässt sich heute nicht mehr erkennen. Auch Sach 14,5 spricht aber von einem großen Erdbeben zur Zeit von Usija. (Zurück zu v.1)
gsodass vertrocknen (es werden vertrocknen) - Die Tempusfolge Yiqtol (2ab) - Weqatal (2cd) lässt sich am natürlichsten als Folgesatzgefüge auflösen (möglich auch wie bei Mays 1969, S. 20f.; Wolff 1969, S. 145: „Brüllt Jahwe vom Zion her..., dann welken der Hirten Weiden.“; so auch MEN). So auch die meisten dt. Üss. Weil sich ein direkter Zusammenhang zwischen dem Brüllen JHWHs und dem Vertrocknen der Natur nicht erkennen lässt, übersetzen dennoch einige als bloße Satzreihe (z.B. Eidevall 2017: „YHWH roars from Zion, and from Jerusalem he utters his voice; the pastures of the shepherds dry up, and the top of Carmel withers.“). Auf eine sehr klare Parallele hat aber z.B. Möller 2003, S. 161f. hingewiesen: In der akkadischen „Fabel vom Fuchs“ rühmt dieser sich: „Auf mein schreckliches Bellen hin trocknen Berge und Flüsse aus!“. Ähnlich sind ja auch 2 Sam 22,16 (=Ps 18,16, wo wegen JHWHs Schelten der Meeresgrund sichtbar wird, oder Ps 104,7, wo Wasser vor „der Stimme seines Donnerns“ fliehen, oder Ps 148,8 und Sir 43,16f., wo natürlich Naturphänomene Gottes Wort gehorchen. (Zurück zu v.2)
hKarmel - ein Berg in Israel, sprichwörtlich für seine Fruchtbarkeit und die Bewaldung seines Gipfels. (Zurück zu v.2)
iEigentlich Singular, jedoch im Sinne von pars pro toto. (Zurück zu v.5)
jEine Hypothese und Forschungsrichtung, über die bes. in Deutschland intensiv geforscht wird, vgl. den Überblick über diverse Positionen in Brettler (2006): „Redaction, History, and Redaction-History of Amos in Recent Scholarship“ und das Update in Carroll (2019): „Twenty Years of Amos Research“; ergänze Höffkens WiBiLex-Artikel „Amos / Amosbuch(2006). (Zurück zu )