Syntax ungeprüft
Lesefassung (Lukas 1)
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Anmerkungen
Studienfassung (Lukas 1)
1 Seit viele es unternommen haben, aufzuschreiben eine Erzählung der Dinge, die unter uns völlig geglaubt werden, 2 so, wie es uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren, 3 scheint es auch mir, der ich von Anfang an allem sorgfältig nachgegangen bin, der Reihe nach dir aufzuschreiben, vortrefflichster Theophilus, 4 damit du erkennst, in den Dingen, in denen du unterrichtet worden bist, die Sicherheit der Worte. 5 Es war in den Zeiten des Herodes, König von Judäa, irgendein Priester mit Namen Zacharias, aus der Klasse (Wochendienst) des Abijah, und seine Frau war aus den Töchtern des Aaron und der Name dieser war Elisabeth. 6 Es waren aber beide gerecht vor Gott, wobei beide in allen Befehlen und Satzungen des Herrn untadelig (fehlerlos) wandelten. 7 Aber es war ihnen kein Kind, weil die Elisabeth unfruchtbar war, und beide waren alt in ihren Tagen. 8 Es war aber, als er seinen Priesterdienst leistete, in der Ordnung seiner Klasse (seines Wochendienstes), vor Gott, 9 gemäß des Brauches der Priesterschaft, erhielt er das Los, den Weihrauch im Tempel des Herrn darzubringen, 10 und die ganze Menge des Volkes war außerhalb, betend, zur Stunde des Weihrauches. 11 Es erschien ihm aber ein Engel des Herrn, stehend auf der Rechten des Altars des Weihrauches. 12 Und er geriet in Unruhe, als Zacharias ihn sah und es fiel Furcht auf ihn. 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Dieser wird groß sein und er wird Sohn des Allerhöchsten genannt werden und der Herr, Gott, wird ihm geben den Thron Davids, seines Vaters. 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46Und Maria sprach:
„Meine Seele (Ich〈a〉) preist (macht groß〈b〉, dankt〈c〉) den Herrn
48denn (dafür, dass〈c〉) auf die Armut (Niedrigkeit〈e〉, Demut) seiner Sklavin (Magd〈f〉) hat er geschaut (sich angenommen〈g〉) -
- {siehe}〈h〉 von nun an〈i〉 halten für glücklich〈j〉 (werden mich für glücklich halten〈k〉) mich alle Geschlechter (jeder)! - (:)〈l〉
49denn (dafür, dass〈c〉) der Mächtige hat Großes an mir getan -
50{und}〈o〉 seine Huld〈p〉 (Gnade, Erbarmen, Barmherzigkeit) [ist (währt)〈q〉, wird sein (wird währen)〈k〉] in Generationen und Generationen (alle Generationen, ewig)〈q〉
- für jene, die ihn fürchten.〈r〉
51[So hat er begonnen, zu tun]〈s〉 Machttaten (Gewalt, (seine) Herrschaft) hat er getan (ausgeübt)〈t〉 mit seinem Arm (Macht)〈t〉:〈u〉
- er zerstreute (schlug in die Flucht)〈v〉 Hochmütige (Stolze) an der Gesinnung aus ihren Herzen (ihres Herzens〈w〉, ihres Gemüts〈x〉) (Hochmütige)〈y〉;
52er stürzte Machthaber (Mächtige)〈z〉 von [ihren] Thronen [herab]〈aa〉
- und erhöhte Arme;
53Hungernde〈ab〉 bereichert (füllt, sättigt)〈ac〉 er mit Gutem (Gütern)
- und Reiche schickt er leer (mit leeren Händen)〈ad〉 fort.
54Er hat sich Israel, seines Knechtes (Knaben, Sklaven)〈ae〉 angenommen:〈af〉
- er hat sich [ihm] (gnädig) zugewandt (hat gedacht an)〈af〉 mit [seiner] Huld (huldvoll, was seine Huld angeht).〈af〉
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Anmerkungen
a | Sehr gebräuchlicher Semitismus; die Seele als Subjekt der Lobpreisung steht z.B. auch in Ps 34,3; Ps 35,9; Ps 103,1; Ps 103,2; Ps 103,22; Ps 104,1; Ps 104,35; Ps 146,2; Tob 13,15. Er besagt aber nichts mehr, als dass die „Inhaberin“ dieser Seele die Taten vollzieht, die an besagten Stellen von der Seele ausgesagt werden. Vgl. ad. loc. auch Bovon 1989, S. 87; Culy et. al. 2010, S. 42; zur Seele als synekdochisches Synonym für „Ich“ auch Wolff 1973, S. 25f. Für die Lesefassung sollte die vorgeschlagene Alternative „Ich“ gewählt werden, da „preisende Seelen“ und „jubelnde Geister“ im Deutschen einfach nicht idiomatisch sind. (Zurück zu v.46 / zu v.47) |
b | So eine häufig gewählte und auch durchaus zulässige Übersetzung von μεγαλύνειν (vgl. BA 1007; BAG 497; Gemoll 518; LSJ; Muraoka 445; Pape 108; Thayer). Es ist aber in unserem Zusammenhang ganz sinnlos, denn sicher will der Autor nicht sagen, dass es Mariens Seele wäre, die den Herrn hier „groß macht“. (Zurück zu v.46) |
c | VV. 46f. verdichten einen weiteren Semitismus, nämlich eine formelhafte Wendung für ein Gott-Danken mit den Bestandteilen (1) [Lob Gottes] und (2) [Grund des Lobes] (vgl. Lande 1949, S. 106f). „Ich preise denn Herrn, denn er hat x getan“ ist im Deutschen aber nicht gut als Dankesformel erkennbar, so dass man hier zu einem funktionalen Äquivalent greifen sollte - z.B. dem hier Vorgeschlagenen: Da ἠγαλλίασεν im synonymen Parallelismus zu μεγαλύνει steht, kann eines der beiden Glieder ohne semantische Einbußen problemlos durch „danken“ ersetzt werden, und statt mit „denn“ schließt V. 48 sich sehr viel sinngemäßer mit einem „dafür, dass“ an V. 47 an. (Zurück zu v.46 / zu v.47 / zu v.48 / zu v.49) |
d | ἠγαλλίασεν steht im Gegensatz zu μεγαλύνει (Präsens) im Aorist, weshalb z.B. NET hier ingressiv übersetzen will mit „has begun to rejoice“. Die Mehrheit der Exegeten geht aber davon aus, dass es sich hier einfach um die Wiedergabe eines Tempuswechsels in der hebräischen Vorlage handle (so z.B. Grosvenor / Zerwick 1993, S. 173; Gunkel 1921, S. 46; Haubeck / von Siebenthal 1997, S. 356; Schürmann 1969, S. 73; Weiss 1901, S. 285). Es handelt sich hier um eine gewöhnliche Stilfigur ohne semantische Bedeutung (vgl. Buth 1984, S. 67; de Hoop 2009, S. 459; ähnlich Cross / Freedman 1997, S. 20) aus der hebräischen Poesie (früher: „Ennalage“; heute besser in Abwandlung eines Begriffes von Glanz 2013 als „PNGT [Person Number Gender Time]-Shift“ zu bezeichnen). (Zurück zu v.47) |
e | So die gängige Übersetzung. Die zweite Alternative, „Demut“, ist sicherlich falsch, denn hierfür stehen in LXX und NT eigene Begriffe bereit. Ταπείνωσις „Armut“ dagegen ist hier relativ sicher sozial bzw. wirtschaftlich zu verstehen (Bovon 1989, S. 88; Clines 2011, S. 5; Krüger 2005, S. 2; Plummer 1903, S. 32), was gut zusammenstimmt mit dem folgenden δούλη und auch dadurch nahegelegt wird, dass in V. 52 ταπεινούς kontrastiert wird mit δυνάστας; zudem ist der Gegensatz von Reichen und Armen ein häufigeres lukanisches Theologumenon (vgl. z.B. Lk 4,18f). „Niedrigkeit“ ist eine unnötige Verallgemeinerung. Einige denken hier aufgrund der Parallelen des Verses zu 1Sam 1,11; Ps 113 und 4Esra 9,45 daran, dass es sich hier um einen stehenden Ausdruck für Unfruchtbarkeit handeln würde (vgl. Zorell 1928, S. 288f.; ähnlich Klein 2006, S. 108f). Aus dem Mund Mariens macht das aber keinen Sinn und es spricht auch nichts gegen die Lesart „Armut“, weshalb diese auf jeden Fall vorzuziehen ist (vgl. auch Bossuet / Weiß 1917, S. 404; Schürmann 1969, S. 73f.). (Zurück zu v.48) |
f | so die Mehrzahl der Übersetzungen; δούλη bedeutet aber „Sklavin“ und nur in Einzelfällen wird es allgemein für soziale Rangunterschiede verwendet (aber auch hierfür wäre „Magd“ eine eher unpassende Übersetzung) (Zurück zu v.48) |
g | Die Rede von Gottes auf-etwas-Blicken ist im AT bildlich für für gnädige Akte Gottes wie etwa Gebetserhörungen (vgl. z.B. TLOT 1263f.). Das Verb ἐπέβλεψεν einfach wörtlich zu übersetzen, würde diese eigentliche Bedeutung des Verses verdunkeln. Besser wäre eine Paraphrase wie „Er hat sich seiner Sklavin in ihrer Armut angenommen“ (vgl. Haubeck / von Siebelthal 1997, S. 357). (Zurück zu v.48) |
h | ἰδοὺ i.d.R. (wie auch hier) nicht mehr als bloßer Fokuspartikel. (Zurück zu v.48) |
i | Luk. Idiom; vgl. Lk 5,10; Lk 12,52; Lk 22,18; Lk 22,69; Apg 18,6 (Zurück zu v.48) |
j | Allzu viele Übersetzungen und Kommentare denken, dass diese Aussage bedeute, Maria sähe hier bereits ihre Verehrung durch künftige Generationen voraus (vgl. z.B. Bovon 1989, S. 88; Klein 20006, S. 113; Schürmann 1969, S. 74; Storr u.ö.). Das ist haltlos. μακαρίζειν bedeutet hier wie meist einfach, dass sie für glücklich gehalten wird oder aufgrund dieses für-glücklich-gehalten-Werdens „als glücklich bezeichnet“ wird. Die hebräische Entsprechung von μακαρίζειν ist אָשַר II, was von SDBH folgendermaßen näher bestimmt wird: „[to] communicate to someone else that you consider him/her or someone else fortunate and blessed by God“ (SDBH). Diesem wohl falschen Verständnis der Stelle soll mit obiger Übersetzung vorgebeugt werden. (Zurück zu v.48) |
k | wegen ἀπὸ τοῦ νῦν (v. 48) bzw. εἰς γενεὰς καὶ γενεὰς (V. 50) ist die futurische Wiedergabe die hier einzig Sinnvolle (Zurück zu v.48 / zu v.50) |
l | V 48a steht mit V 54a und V 49a mit V 51a im Parallelismus. Wenn van der Lugt und andere (v.a. niederländische) Exegeten Recht damit haben sollten, dass Strophenübergänge innerhalb eines Gedichtes häufig von solchen „externen Parallelismen“ markiert werden (vgl. z.B. van der Lugt 2006, S. 53), wäre dies ein starkes Indiz dafür, dass man an diesen Stellen das Magnifikat in Strophen aufzuteilen hätte: Die Parallelismen würden dann den ersten (V 48) und den zweiten (=letzten) Vers (V 49) der zweiten Strophe, den ersten Vers der dritten Strophe (V 51) und den ersten Vers der vierten Strophe (V 54) markieren. Und in der Tat ist die Aufteilung des Magnifikats gerade zw. V 50 und 51 (dies die Mehrheitsmeinung) und häufig auch zw. V 53 und 54 vorgeschlagen worden (so z.B. Abbott 1878, S. 14; Godet 1899, S. 71f.; Klein 2006, S. 107; Krüger 2005; Meyer 1860, S. 247; Plummer 1903, S. 31; Zorell 1928, S. 288). Dass zw. den VV 50 und 51 und zw. den VV 53 und 54 eine Zäsur zu setzen ist, scheint auch mir sehr wahrscheinlich; was mir aber recht unwahrscheinlich scheint, ist eine Zäsur zw. V. 48 und 49. Denn es mag richtig sein, wenn Gunkel das ὅτι in V 49 kommentiert mit „Dies „denn“ (ὅτι, hebräisch כִי) ist der allergeläufigste Uebergang, mit dem im Hymnus das Hauptstück dem Anfange hinzutritt.“ (Gunkel 1921, S. 47), aber es ist ὅτι nichtsdestotrotz im Griechischen ein starker Stifter syntaktischer Kohäsion. Zudem ist auffällig, dass bis auf die Parenthese V 48b von V 47a bis V 50a jeder Vers mit einem ähnlichen Kohäsionsstifter (nämlich entweder wieder ὅτι oder καὶ) eingeleitet wird. Wem dennoch das van-der-Lugt´sche Strophen-indiz und die Aufteilungen von Godet, Klein, Meyer, Plummer und Zorell richtiger zu sein scheint, dem sei die Übersetzungsalternative angeboten, statt V 49a mit einem „denn (dafür, dass)“ einzuleiten, stattdessen V 48b mit einem Doppelpunkt enden zu lassen und V 49a asyndetisch anzuschließen:
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m | Einige Exegeten halten dies für ein relatives καὶ (vgl. BDR §442) und übersetzen mit „der Mächtige ..., dessen Name heilig ist.“ (vgl. z.B. Haubeck / von Siebenthal 1997, S. 357; Schürmann 1969, S. 74; vgl. auch GN; Kammermayer; LUT84; ähnlich NeÜ); andere fassen es koordinierend auf und schließen es mit einem „und“ an den vorherigen Satz an. Nestle-Aland setzt aber bewusst einen Punkt vor V. 49b, denn „given the semantics of this clause [...], it seems less likely that it is part of a large causal construction [...]“ (Culy et. al. 2010, S. 44). Da καὶ im Griechischen, anders als im Deutschen, auch einen mit dem vorigen Satz (relativ) unkoordinierten Satz einleiten kann, ist es besser, das „und“ in der deutschen Übersetzung ganz zu streichen. (Zurück zu v.49) |
n | Wie z.B. auch „Seele“ (s.o.), wird im Hebräischen auch „Name“ gern synekdochisch für den Träger des Namens verwendet. (Zurück zu v.49) |
o | s. z. „{und}“ Vers 49 (Zurück zu v.50) |
p | trad. übersetzt mit „Erbarmen“ oder „Barmherzigkeit“. ἔλεος ist in der LXX aber häufig die Übertragung von חֵסֵד, und daraus, dass es hier als etwas dargestellt wird, demgemäß sich Gott (1) schon Abraham gegenüber verhalten hat (V. 54f), das (2) jenen gilt, die ihn „fürchten“ (V. 50) und das (3) ebenso wie חֵסֵד etwas ist, das meist von Höhergestellten niedriger Gestellten entgegengebracht wird, wird klar, dass wir auch hier an dies חֵסֵד denken müssen (vgl. Clines 2011, S. 2f). חֵסֵד bezeichnet aber nicht (wie es auch im AT häufig falsch übersetzt wird) etwa die „weiche Seite“ Gottes, sondern steht für Gottes Bündnistreue und wird bes. in Situationen verwendet, in denen davon die Rede ist, dass ein niedriger Gestellter der Hilfe Gottes bedarf und Gott ihm diese Hilfe - getreu seinem Bund - auch gnädig gewährt (vgl. z.B. Waltke 2010, S. 443; Krinetzki 1972, S. 55 will es sogar mit „Stärke, Kraft“ wiedergeben). Die treffendste Übertragung ist daher ohne Zweifel „Huld, Gnade“. (Zurück zu v.50) |
q | verbloser Satz, der als PP fungiert und gelesen werden könnte als PP temporis, PP commodi oder PP relationis (vgl. Culy et. a. 2010, S. 44). Weil der Ausdruck γενεὰς καὶ γενεὰς aber wohl idiomatisch ist für „alle Generationen“ (vgl. ebd.), liegt eine andere Lesart als die temporale recht fern. Eine freie, „deutschere“ und äquivalentere Übertragung wäre wohl „Seine Huld währt auf ewig.“ (zu v.50) |
r | wörtl. „den ihn Fürchtenden“; Ptz. mit der Funktion des dativus commodi (daher: „für“) (vgl. Culy et. al. 2010, S. 44; Haubeck / von Siebenthal 1997, S. 357). (Zurück zu v.50) |
s | VV. 51-54 stehen sechs Aoriste, über deren Semantik man sich in der Forschung den Kopf zerbricht. Theoretisch könnten sie sich beziehen (1) auf Vergangenes - etwa vergangene Heilstaten Gottes („historischer Aorist“), (2) auf Gottes übliche und überzeitliche Weise des Handelns („gnomischer Aorist“), (3) auf Gottes zukünftiges Handeln („futurischer Aorist“) oder (4) auf Sachverhalte, die zum Zeitpunkt des Betens bereits angebrochen sind, deren Vollendung aber noch aussteht („ingressiver Aorist“) (vgl. auch Grosvenor / Zerwick 1993, S. 173; Haubeck / von Siebenthal 1997, S. 357). Jede dieser vier Deutungen ist in der Forschung schon mehrfach vertreten worden (z.B.: (1) Bossuet / Weiß 1917, S. 404; Zahn 1913, S. 106; (2) NET; (3) Schürmann 1969, S. 75; (4) Meyer 1860, S. 248; ähnlich Schneider 1977, S. 56) Da VV 51-54 aber immer noch zum selben Dankgebet gehört, zu denen auch die vorherigen Verse gehören, scheint mir sehr wahrscheinlich, dass die Tat, mit der Gott sich seines „Knechtes Israel“ angenommen hat (V. 54) die selbe ist, mit denen er sich auch seiner „Sklavin“ Maria angenommen hat (V. 48) (- ein recht eindeutiger Parallelismus, wenn man erst den Sinn der Verse richtig erkennt) - nämlich die Tatsache, dass er Maria trotz ihrer „Armut“ (V. 48) zur Mutter des Messias gemacht hat, zu dessen „Job-beschreibung“ es auch gehört, „Arme zu erhöhen“ und „Mächtige von ihrem Thron zu stürzen“ (V. 52; vgl. z.B. auch 1Hen 46,4f.). Jede Deutung neben der ingressiven würde diesen Zusammenhang zerstören und das Magnificat in zwei nur lose zusammenhängende Hälften reißen (- und das die Zäsur zwischen den beiden Gedichtteilen (zw. V. 51 und 52, vgl. Bovon 1989, S. 83; NET; Schmithals 1980, S. 31; Schneider 1977, S. 57; Schürmann 1969, S. 70f.) so stark nicht ist, zeigen allein schon die zahlreichen lexikalischen Verbindungen zwischen den Teilen (z.B. Ταπείνωσις (V. 48) - ταπείνούς (V. 52) - πείνῶντας (V. 53); ἐποίησεν (V. 49) - ἐποίησεν (V. 51); ἔλεος (V. 50) - ἐλέους (V. 54); zudem die beiden Parallelismen zw. V 48a und V 54a einerseits und V 49a und V 51a andererseits)). Wenn nun Prinzip der Bibelinterpretation sein soll „Interpretiere einen Text stets als die bestmögliche Version seiner selbst“ (nach Patrick / Scult 1990, S. 84), wird die ingressive Lesart deshalb auch die sein, für die man sich entscheiden muss. |
t | weder (1) Ἐποίησεν κράτος („Machttaten hat er getan“) noch (2) ἐν βραχίονι αὐτοῦ („mit seinem Arm“) ist natürliches Griechisch. Beide Male handelt es sich wieder um Semitismen; vermutlich um Zitate aus dem Psalter (vgl. zu (1) Ps 60,14; Ps 108,14; Ps 118,15f.; zu (2) Ps 89,11; beide Male auch Culy et. al. 2010, S. 45; Plummer 1903, S. 33. Der „Arm“ wird aber im Hebräischen häufiger verwendet als Symbol für Macht und Stärke (vgl. z.B. Clines 2011, S. 1f.; Wolff 1973, S. 108; ad loc. auch Culy et. al. 2010, S. 45; Haubeck / von Siebenthal 1997, S. 357), so dass wir hier beinahe etwas wie ein „metaphorisches inneres Objekt“ vor uns haben: „Er hat Mächtiges mit seiner Macht gewirkt.“ |
u | Doppelpunkt sehr gut mit EÜ, Schneider 1977, S. 54 und dem unrevidierten NTL (leider nicht mehr im revidierten): Was folgt, sind einzelne Ausfaltungen des Sammelbegriffs „Machttaten“ in V. 51a. (Zurück zu v.51) |
v | „zerstreuen“ ist im AT ein Ausdruck für das In-die-Flucht-Schlagen besiegter Feinde, der öfter im Parallelismus steht mit „Feinde besiegen“ oder „fliehen“; vgl. z.B. Num 10,35; Dtn 4,(26-)27; Dtn 28,(63-)64; Ps 68,2; Ps 89,11 u.ö. Was es sicher nicht bedeutet, ist etwas wie „er fegt die Überheblichen hinweg“ (BB, GN) oder gar „er zersprengt die im Herzen hochmütig Gesinnten“ (Bossuet / Weiß, Stier) (Zurück zu v.51) |
w | collectiver genetivus auctoris im Deutschen i.d.R. im Sg. (Zurück zu v.51) |
x | Das Herz ist in der hebräischen Vorstellung nicht Sitz v.a. der Stimmungen und Gestimmtheiten (vgl. Wolff 1973, S. 74f.) und entspricht am ehesten unserem Wort „Gemüt“ - eine wörtliche Übertragung wäre hier irreführend. (Zurück zu v.51) |
y | Ohnehin ist beim ganzen Teilvers von einer wörtlichen Übertragung abzuraten: [ὑπερηφάνους - [Dat. rel.: διανοίᾳ - [Gen. auct.: καρδίας - [Gen. poss.: αὐτῶν]]]], also wörtl. etwa „hochmütig an der Stimmung aus ihrem Gemüt“ besagt nicht mehr als „hochmütig gestimmt“ oder einfach „hochmütig“. Im Griechischen mag eine solche Konstruktion normal klingen, im Deutschen wirkt diese Häufung hochgradig redundant, so dass eine wörtliche Übertragung bestenfalls eine stilistische Verfälschung des Urtexts bedeutete. (Zurück zu v.51) |
z | da Gott die δυνάστας von ihren Thronen stürzt, ist „Machthaber“ hier die kontextuell wesentlich passendere Übertragung. (Zurück zu v.52) |
aa | diese Hinzufügung stellt den Gegensatz der Abwärtsbewegung 52a und der Aufwärtsbewegung 52b besser heraus; ich würde sie auch für die Lesefassung empfehlen. (Zurück zu v.52) |
ab | die Wortstellung VV 52-53 sollte beibehalten werden, da sie eine chiastische Doppelstruktur hat: V 52: V - S / V - S; V 53: S - V / S - V (Zurück zu v.53) |
ac | wörtl. „füllt“; häufig freier übertragen mit „sättigen“, was zwar dem Kontext gut gerecht wird, aber erst dann Sinn machen würde, wenn auch 53b etwas wie „hungrig“ stehen würde (ansonsten verdunkelte diese freiere Übersetzung bis zu einem gewissen Grade den Gegensatz 53a - 53b). V. 53 ist interessant für ein stilgerechtes Übersetzen: ἐνέπλησεν („füllen“) (53a) bildet einen Gegensatz mit κενούς („leer, mit leeren Händen“ (BA 870)) (53b) und ist etymologisch verwandt mit πλουτοῦντας („reich seiende, Reiche“), außerdem ist eines der Wortbildungsmorpheme (ἐν- („ein-, hinein-“)) das Gegensätzliche zu ἐξ- in ἐξαπέστειλεν („fortsenden“) (53b). Eine rein an diesen Wortspielen orientierte Übertragung würde ungefähr so gehen wie „in Hungernde füllt er Gutes hinein / und Befüllte schickt er ungefüllt hinaus“, was natürlich Blödsinn ist und auch dem Wortsinn gar nicht gerecht wird. Ich bin bisher zu noch keiner Lösung gekommen, wie dieser Vers gleichzeitig kommunikativ und inhaltlich und stilistisch äquivalent übertragen werden könnte. (Zurück zu v.53) |
ad | BA 870 (Zurück zu v.53) |
ae | „Knecht“ könnte man rein lexikalisch gesehen auch mit „Sklave“ übersetzen, was den Parallelismus des Teilverses mit dem obigen, in dem die Rede war von der „Sklavin“ Maria, noch deutlicher machen würde. Aber Israel als der „Knecht Jahwes“ ist ein stehender Topos in der Bibel, so dass man hier trotz allem doch diese Übersetzung wählen sollte. (Zurück zu v.54) |
af | V 54b hat den Exegeten einiges Kopfzerbrechen bereitet. Er besteht aus einem Infinitiv und einem Akkusativ und lautete wörtlich übersetzt etwa „sich erinnern/denken an Huld“ (zu „Huld“ s.o.). Die Hauptschwierigkeit ist wohl, wie dieser Teilvers mit dem vorigen zusammenhängt. Bis vor einiger Zeit hat die Mehrzahl der Exegeten vermutet, dass es sich um einen finalen oder kausalen Infinitiv handle und V 54 dann etwas bedeute wie „Er hat sich Israels angenommen, um sich an seine Huld zu erinnern“ oder „Er hat sich Israels angenommen, weil er an seine Huld gedacht hat.“ Beide Lesarten führen aber einen absurd vergesslichen Gott vor und sind damit hoch-problematisch. Heute scheinen daher die meisten Exegeten zu denken, es handle sich um einen irgendwie unbestimmten, insgesamt recht beliebig deutbaren Infinitiv (vgl. z.B. Haubeck / von Siebenthal 1997, S. 358: „Inf. m. freierem Gebrauch (entsprechend einem hebr. Inf. m. „mod.“ Bdtg. [... :] indem/wobei/weil er an (seine) Barmherzigkeit denkt.“, was natürlich auch nicht befriedigt. Ich glaube, das Problem der Deutung von V 54 liegt an einem falschen Verständnis des Verbs. μνησθῆναι heißt zwar wirklich „sich erinnern, denken“, aber der Schlüssel zum richtigen Verständnis scheint der zu sein, zu sehen, dass μνησθῆναι in der LXX häufig als Übersetzung von זָכַר verwendet wird. Und dies זָכַר hat, wenn Gott das Subjekt ist, häufig eine Sonderbedeutung, nämlich „sich gnädig zuwenden.“ - vgl. z.B. TWAT I:513f.: „[... Es] greift das AT mit der Rede vom Gedenken Gottes an seine Verehrer auf eine bereits in seiner Umwelt vorgeprägte religiöse Begrifflichkeit zurück. Solches Gedenken der Gottheit meint ihre helfende und notwendende Zuwendung zum Menschen [...], wie sie etwa von der Kinderlosen in der Gabe des Kindes (Gen 30,22; 1Sam 1,11; 1Sam 1,19 [...]), aber auch in anderen Bedrängnissituationen und allgemein im zuteil werdenden göttlichen Segen (Ps 115,12) erfahren wird“ [meine Kursivierung]. |