Anmerkungen
Studienfassung (Amos 1)
1 Worte des Amos,〈a〉
welcher war unter den Hirten (Schafzüchtern, Herdenverwaltern)〈b〉 von Tekoa,〈c〉
welcher sah (welche er sah)〈d〉 über Israel (in den Tagen von=) zur Zeit von Usija, dem König von Juda, und (in den Tagen von=) zur Zeit von Jerobeam, dem Sohn von Joasch, dem König von Israel,〈e〉 zwei Jahre vor dem Erdbeben.〈f〉
2 {Und} Er sprach:
„JHWH, von Zion her wird er brüllen
Und von Jerusalem her seine Stimme (geben =) erschallen lassen, ℘℘
Sodass vertrocknen (klagen; es werden vertrocknen)〈g〉 die Auen der Hirten
Und verdorrt (und es wird verdorren) der Gipfel des Karmel.“〈h〉
3 So spricht JHWH:
„Wegen drei Vergehen von Damaskus
Und wegen vier〈i〉 werde ich es nicht widerrufen (rückgängig machen, zurückkehren lassen, sie nicht zurücknehmen, [die Sache] nicht ruhen lassen)〈j〉 –
Weil sie Gilead mit eisernem Dreschschlitten gedroschen〈k〉 haben.
4 Werde ich schicken Feuer in das Haus Hasaëls
Und es wird fressen die Festungen (Paläste) Ben-Hadads,〈l〉
5 Und ich werde den Riegel von Damaskus zerbrechen〈m〉
Und ich werde (den=) die Bewohner (den Thronenden?)〈n〉 von Bikat-Awen〈o〉 ausrotten
und den, der das Szepter hält, aus Bet-Eden,〈p〉
Und das Volk von Aram wird nach Kir deportiert werden“, spricht JHWH.
6 So spricht JHWH: „Wegen drei Vergehen von Gaza und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie sie alle ins Exil deportiert haben, um sie an Edom auszuliefern.
7 Und ich werde Feuer schicken an die Mauer von Gaza und es wird seine Paläste fressen.
8 Und ich werde die Bewohner von Aschdod ausrotten und den, der das Szepter hält, aus Aschkelon; und ich strecke meine Hand gegen Ekron aus und die Übriggebliebenen der Philister werden zu Grunde gehen“, spricht der Herr JHWH.
9 So spricht JHWH: „Wegen drei Vergehen von Tyrus und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie sie alle an Edom [ins] Exil ausgeliefert haben und nicht des Bruderbundes gedachtet.
10 Und ich werde Feuer schicken an die Mauer von Tyrus und es wird seine Paläste fressen.“
11 So spricht JHWH: „Wegen drei Vergehen von Edom und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie seinen Bruder mit dem Schwert verfolgten und sein Erbarmen zu Grunde richteten und sein Zorn zerriss für immer und sein Grimm wachte stets.
12 Und ich werde Feuer schicken nach Teman und es wird die Paläste von Bozra fressen.“
13 So spricht JHWH: „Wegen drei Vergehen der Söhne Ammons und wegen vier werde ich es nicht rückgängig machen, weil sie die Schwangeren in Gilead aufgeschlitzt haben, mit der Absicht ihre Grenzen zu erweitern.
14 Und ich werde ein Feuer anzünden an der Mauer von Rabba und es wird seine Paläste fressen im Kriegslärm am Tag der Schlacht, im Sturm am Tag des Sturmwindes.
15 Und ihr König geht ins Exil, er und seine Obersten zusammen“, spricht JHWH.
Anmerkungen
Amos war der Name eines Propheten, der nach V. 1 zur Zeit des judäischen Königs Usija (773-736 v. Chr.) und des nordisraelitischen Königs Jerobeam II. (787-747 v. Chr.) wirkte. Das seinen Namen tragende Buch zerfällt grob in die drei Großabschnitte Am 1-2 mit einer Reihe von Völkersprüchen, Am 3-6 mit einer Reihe Gerichtsworte gegen Israel und Am 7-9 mit einer Reihe von Visionen.
Da es durchgehend auf Ereignisse aus der Geschichte Judas / Israels anspielt, ist die Frage der Datierung des Amosbuches wichtig für das rechte Verständnis des Inhaltes. Zu unterscheiden sind hier (A) der Zeitraum des Wirkens des Amos (irgendwann zwischen 773-747), (B) der Zeitraum der Handlungen, die in Am 1-6 verurteilt werden, (C) der Zeitraum der Ereignisse, die v.a. in Am 1-2 als Strafen Gottes für diese Handlungen dargestellt werden, (D) und schließlich der Zeitraum / die Zeiträume, in denen das Amosbuch verfasst wurde. Keiner dieser vier oder mehr Zeiträume muss nämlich notwendig identisch sein.
Will man nicht von vornherein davon ausgehen, dass das Amosbuch sich aus verschiedenen Schichten zusammensetzt〈q〉 (und dass diese so ungeschickt miteinander verknüpft worden sind, dass man sie klar voneinander scheiden kann), sind recht starke Indizien diese: (1) In Am 1,5 heißt es von den Aramäern, sie würden nach Qir deportiert werden. Nach 2 Kön 16,9 waren es die Assyrer, die dies im Zuge des syrisch-efraimitischen Krieg um 732 v. Chr. taten. (2) Am 2,6.13-16 spricht von einer umfassenden Niederlage Israels. Soll dies keine radikale Übertreibung sein, wird hiermit entweder die Eroberung weiter Teile des Nordreiches durch die Assyrer und die Degradierung des verbliebenen Rumpfstaates zum Vasallenstaat im selben Jahr gemeint sein oder gar seine endgültige Eroberung durch dieselben um 722 v. Chr. (3) Am 6,2 impliziert die Eroberung der Städte Kalne, Hamath und Gat. Nach Jes 10,5.9 (vgl. auch 2 Kön 18,33f. liegt klar am nächsten, auch bei Kalne und Hamat an die Eroberung durch die Assyrer um 738 v. Chr. und bei Gat an die Eroberung durch die Assyrer um 711 v. Chr. zu denken.
In der jüngeren Amosforschung wird daher immer häufiger angenommen, dass zumindest große Teile des Amosbuches nicht um 760-750 v. Chr. von Amos selbst verfasst wurden, sondern nach 711 v. Chr. entstanden sind (D; so z.B. Strijdom 2011: zwischen 738 und 732 v. Chr.; Eidevall 2017, Möller 2003, Schütte 2016, Wood 2002: nach 722 v. Chr.; Radine 2010: nach 711 v. Chr.), weil sie häufig von den Ereignissen um 738-711 v. Chr. sprechen (C). Diese Ereignisse werden dargestellt als Strafen für Handlungen, die die angesprochenen Nationen und Stadtstaaten noch früher begingen (B) und werden dem Amos in den Mund gelegt als einem Propheten, der wenige Jahre vor 738 v. Chr. unter Jerobeam II gewirkt hatte, unter dem wiederum das Nordreich das letzte Mal aufblühte (A, s. 2 Kön 14,23-28), bevor es dann eben von den Assyrern unterworfen wurde.
Wichtigster historischer Kontext wäre dann also der „syrisch-ephraimitischer Krieg“ (s. dazu näher im WiBiLex]; sehr schön auch Strijdom 2011): Nachdem Israel im 10. Jahrhundert in das Nordreich Israel und das Südreich Juda zerfallen war, hatte es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Israel und Juda und ihren Nachbarstaaten gegeben, in deren Zuge auch immer wieder einzelne Gebiete erobert und zurückerobert wurden (die unten abgebildete Karte taugt also nur für einen groben Überblick über die Machtverhältnisse des neunten und achten Jahrhunderts). Im achten Jhd. v. Chr. dann aber erstarkte im Nordosten der assyrische König Tiglat-Pileser III. und eroberte ab 745 v. Chr. nach und nach Gebiete dieser Nationen: 738 v. Chr. unterwarf er u.a. Israel, Aram, den Stadtstaat Tyrus und den noch weiter nördlich gelegenen Stadtstaat Hamath. Die israelitischen Könige Menahem (747-738 v. Chr.) und Pekachja (737-736 v. Chr.) wie auch der aramäische König Rezin blieben dabei zwar an der Macht, wurden aber tributpflichtig. Rezin und Pekachjas Nachfolger Pekach (735-733 v. Chr.) verfolgten daher eine konsequent anti-assyrische Politik. Als sie versuchten, auch Juda mit militärischer Macht in ihre anti-assyrische Koalition zu zwingen, wandte sich der judäische König Ahas (741-725 v. Chr.) hilfesuchend an Tiglat-Pileser (s. 2 Kön 16,5-9), der sich gerade weiter nach Süden vorarbeitete und 734 v. Chr. z.B. auch Ekron, Aschdod, Aschekelon und Gaza an der Mittelmeerküste zu Vasallenstaaten machte. Unter anderem aus diesem Grund wandte er sich daher dann wieder nach Osten und den rebellierenden Staaten Israel und Aram zu: 733-732 v. Chr. nahm er Israel erneut ein und errichtete auf seinem Gebiet eine Reihe neuer Provinzen – u.a. in Gilead –, um so die israelitische Macht noch weiter zu schwächen, und ließ einzig Samarien als kümmerlichen Rumpfstaat übrig, wobei er König Pekach ab- und dessen ihm zunächst ergebenen Nachfolger Hoschea einsetzte (732-722 v. Chr.). 733 unterwarf er außerdem Edom, Moab und Ammon und 732 ebenfalls zum zweiten Mal Aram mit Damaskus als dem ursprünglichen Machtzentrum des Aramäerreiches, um es ab dem selben Jahr zum neuen Machtzentrum des assyrischen Großreiches auszubauen. Auch Ahas wurde durch sein Handeln natürlich den Assyrern gegenüber tributpflichtig, war aber offenbar dennoch derart pro-assyrisch eingestellt, dass er kurz darauf gar im Jerusalemer Tempel einen Altar nach assyrischem Vorbild errichtete (s. 2 Kön 10,10-18). Nicht so der israelitische König Hoschea: Nach dem Tod Tiglat-Pilesers wagte Israel unter ihm erneut einen Aufstand, wurden aber erneut in zwei Etappen zunächst um 722 v. Chr. durch Tiglat-Pilesers Nachfolger Salmanassar V. und dann 720 v. Chr. von dessen Nachfolger Sargon II. besiegt – das Ende des verbliebenen Nordreichs, das nun endgültig als „Samarien“ assyrische Provinz wurde.
Am 1,3-2,16 ist der erste Großabschnitt des Amosbuches und bietet Amos´ acht sog. „Völkersprüche“. Solche Völkersprüche finden sich v.a. als Fremd-Völkersprüche immer wieder in der Bibel; bes. gehäuft etwa in Jes 13-23; Jer 46-51 und Ez 25-32. Die Völkersprüche des Amosbuches haben unter diesen eine Sonderstellung, weil sie deutlich kulminieren in zwei Völkersprüchen, die gegen das eigene Volk gerichtet sind.
Die ersten sieben sind dabei streng nach zwei verwandten Schemata gebaut; der letzte dagegen hat eine abgewandelte und deutlich erweiterte Form:
1. Einleitung: „So spricht JHWH“ 2. Formel: „Wegen dreier Vergehen ... und wegen vierer ...“ 3. Kurze Anschuldigung: „Weil...“ 4. Ausführliches Strafurteil 5. Schlussformel: „sagt JHWH“ |
1. Einleitung: „So spricht JHWH“ 2. Formel: „Wegen dreier Vergehen ... und wegen vierer ...“ 3. Ausführliche Anschuldigung: „Weil...“ 4. Kurzes Strafurteil: Strafe durch Feuer |
Durch die Abfolge dieser beiden Schemata zerfällt Am 1,3-2,16 in vier Zweiergruppen (vgl. z.B. Gordis 1979/80, S. 203; Steinmann 1992, S. 687):
Am 1,3-5: Damaskus Am 1,6-8: Gaza |
Schema A |
Am 1,9-10: Tyrus Am 1,11-12: Edom |
Schema B |
Am 1,13-15: Ammon Am 2,1-3: Moab |
Schema A |
Am 2,4-5: Juda Am 2,6-16: Israel |
Schema B Schema B* |
In jeder dieser Zweiergruppe wird sowohl ein Gegner Judas als auch ein Gegner Israels genannt – (1) Damaskus (Israel) + Gaza (Juda), (2) Tyrus (Juda) + Edom (Israel), (3) Ammon (Israel) + Moab (Juda) –, bevor dann im vierten Zweierpaar schließlich Juda und Israel selbst Thema sind:
Wenig überraschend fallen die Sprüche gegen Juda und Israel hierbei aus dem Rahmen: Während Damaskus, Gaza, Tyrus, Edom, Ammon und Moab Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, hat Juda sich an Gott vergangen und die Bürger Israels haben sich einer Vielzahl sozialer Vergehen an ihren Mitbürgern schuldig gemacht (vgl. z.B. Noble 1993, S. 69). Der Spruch gegen Israel fällt außerdem wie gesagt wegen seiner relativen Überlänge aus dem Rahmen der anderen Sprüche und ist damit klar das Ziel und das Finale dieser Spruchreihe: Primärer Adressat des Amos ist Israel, was sich in Am 3-6 fortsetzen wird.
a | Amos - Ein sprechender Name (wie alle heb. Namen); Bed.: „Er [d.h. JHWH] hat getragen“ i.S.v. „unterstützt“, s. Jes 46,3, zum Namen s. DAHPN. (Zurück zu v.1) |
b | Hirte (Schafzüchter, Herdenverwalter) - Etwas unsicheres Wort, üs. am besten mit „Hirte“. Genauer: Heb. noqdim; in der Bibel sonst nur noch in 2 Kön 3,4. Wegen verwandten Wörtern in verwandten Sprachen (s. z.B. Watson 2018, S. 322f.) ist klar, dass ein noqed etwas mit Viehzucht und vielleicht noch spezieller mit Schafzucht zu tun hat. Weil aber in anderen Texten gelegentlich auch von wohlhabenden noqdim die Rede ist – in 2 Kön 3,4 ist es ja sogar ein König, der als noqed bezeichnet wird –, gehen einige davon aus, dass ein noqed nicht ein einfacher Hirte ist, sondern eine Art „Oberhirte“, ein „Herden-Verwalter“ (s. ausführlich Lang 2006; z.B. auch Dietrich/Loretz 1977; Eidevall 2017, S. 94). Amos wäre dann ein recht wohlhabender und einflussreicher Mann. Deutsche Üss. übersetzen i.d.R. wahlweise mit „Hirte“ (z.B. SLT) „Schafhirte“ (z.B. EÜ) oder „Schafzüchter“ (z.B. LUT); möglicherweise soll Letzteres ein Ausdruck für Amos „Oberhirtentum“ sein (so jedenfalls recht sicher „Herdenbesitzer“ von MEN und TEXT und „Viehhalter“ von B-R). Sehr viel spricht allerdings nicht für diese hohe Stellung des Amos; offensichtlich gibt es ja im kleinen Dorf Tekoa (s. gleich) mehrere nokdim; auch verwandte Texte sprechen nicht sehr dafür – wenn z.B. König Šulgi in Šulgi A,5 von sich sagt: „Ein na-gada (=noqed), ein sipa (= ‚Hirte‘) ... bin ich“, wird man daraus doch wohl eher nicht ableiten können, dass „ein na-gada etwas dem sipa Vor- / Übergeordnetes ist“ (Lang 2006, S. 332). Auch das aram. Kognat ngd bezeichnet sicher den „gewöhnlichen“ Hirten, der seine Herde „leitet“ (ngd), und auch die alten Üss. übersetzen schlicht mit „Hirte“ (so Quinta, Aq, Sym, Vul; auch Ibn Ezra, Kimchi. Vielleicht aber anders Tg: „Herdenbesitzer“. Theod („in Nokedim“) und LXX („in Nakkarim“; auch drei heb. MSs bei Kennicott und De Rossi haben nkrm statt nkdm) halten das Wort offenbar für einen Stadtnamen und transkribieren schlicht). (Zurück zu v.1) |
c | Tekoa - Ein kleines Dorf südlich von Jerusalem. (Zurück zu v.1) |
d | welcher war..., welcher sah (welche er sah) - Lautspiel: ˀašer-hajah – ˀašer ḥazah. Das den zweiten Relativsatz einleitende ˀašer („welche(r)“) könnte sich sowohl auf die „Worte“ zurückbeziehen („die Worte, welche er sah“) oder mit absolutem ḥazah („sehen“ i.S.v. „ein Seher sein“) auf Amos („Amos, der sah = der ein Seher war“). Variante 1 z.B. in EÜ („Die Worte, die Amos ... über Israel geschaut hat“), Variante 2 z.B. in NL („Das sind die Worte von Amos. ... Er sah Visionen über Israel...“). Im Hebräischen lassen sich durchaus auch prophetische Worte „sehen“ – s. Jes 2,1; Mi 1,1. Dort sind es aber natürlich die „Worte JHWHs“, die Jesaja / Micha „sahen“; hier dagegen die „Worte des Amos“. Etwas mehr spricht daher für Variante 2. (Zurück zu v.1) |
e | Zu Usija, Juda, Jerobeam und Israel s. die Anmerkungen. (Zurück zu v.1) |
f | Erdbeben waren recht häufig in Israel; welches genau gemeint ist, lässt sich heute nicht mehr erkennen. Auch Sach 14,5 spricht aber von einem großen Erdbeben zur Zeit von Usija. (Zurück zu v.1) |
g | sodass vertrocknen (es werden vertrocknen) - Die Tempusfolge Yiqtol (2ab) - Weqatal (2cd) lässt sich am natürlichsten als Folgesatzgefüge auflösen (möglich auch wie bei Mays 1969, S. 20f.; Wolff 1969, S. 145: „Brüllt Jahwe vom Zion her..., dann welken der Hirten Weiden.“; so auch MEN). So auch die meisten dt. Üss. Weil sich ein direkter Zusammenhang zwischen dem Brüllen JHWHs und dem Vertrocknen der Natur nicht erkennen lässt, übersetzen dennoch einige als bloße Satzreihe (z.B. Eidevall 2017: „YHWH roars from Zion, and from Jerusalem he utters his voice; the pastures of the shepherds dry up, and the top of Carmel withers.“). Auf eine sehr klare Parallele hat aber z.B. Möller 2003, S. 161f. hingewiesen: In der akkadischen „Fabel vom Fuchs“ rühmt dieser sich: „Auf mein schreckliches Bellen hin trocknen Berge und Flüsse aus!“. Ähnlich sind ja auch 2 Sam 22,16 (=Ps 18,16, wo wegen JHWHs Schelten der Meeresgrund sichtbar wird, oder Ps 104,7, wo Wasser vor „der Stimme seines Donnerns“ fliehen, oder Ps 148,8 und Sir 43,16f., wo natürlich Naturphänomene Gottes Wort gehorchen. (Zurück zu v.2) |
h | Karmel - ein Berg in Israel, sprichwörtlich für seine Fruchtbarkeit und die Bewaldung seines Gipfels. (Zurück zu v.2) |
i | wegen drei Vergehen ... und wegen vier - Die Bed. dieser Einleitungsformel ist leider ganz unklar. Sie erinnert sehr an die „Zahlensprüche“, wie sie z.B. in weisheitlicher Literatur wie Spr 6,16; 30,15ff. und Sir 25,9; 26,5; Sir 50,27f., aber auch andernorts in der Bibel begegnen. Formal am nächsten steht dieser Formel Ijob 33,14 (Verbalsatz + paralleler Satz mit verbaler Ellipse und Ballastvariante). Üblicherweise jedoch hat ein Zahlenspruch die Form: X / X+1 – Ausführung von X+1; z.B. eben in Ijob 33,14-28: „In einer Weise redet Gott / und in zweien, ohne dass man es merkt...“, worauf in Vv. 15-28 diese zwei Weisen des Redens Gottes ausgeführt werden. In Am 1-2 aber werden vier Vergehen nur in der Edom- und der Israel-Strophe aufgezählt, in den anderen steht jeweils nur eines. Verschiedenste Vorschläge sind gemacht worden, um dies zu erklären; überzeugend ist keiner davon. Z.B.: Die jeweilige Strophe impliziere zwar vier Vergehen, ausgeführt werde aber jeweils nur das letzte und schlimmste dieser vier (z.B. Wolff 1969), oder: Der Zahlenspruch sei hier nicht wirklich ein Zahlenspruch, sondern spreche von einer unbestimmten Anzahl ausreichend vieler (ähnlich dem Dt. „so drei, vier Vergehen“), um dann aber dennoch nur eine auszuführen (z.B. van Hoonacker 1908), oder: 3 und 4 sei zueinanderzuaddieren, 7 stehe dann als symbolische Zahl dafür, dass das Maß nun voll ist (z.B. Garrett 2008), oder: 3+4 ergebe 7, gemeint seien damit sowohl die sieben Einzelsünden der Nationen vor der Israelstrophe und die sieben Sünden Israels in der Israel-Strophe (z.B. Weiß 1967) usw. Die Amos'schen Zahlensprüche müssen aktuell als unerklärt gelten. (Zurück zu v.3) |
j | ich werde es nicht widerrufen (rückgängig machen, zurückkehren lassen, sie nicht zurücknehmen, [die Sache] nicht ruhen lassen) - ebenfalls unerklärt ist der zweite Teil der Einleitungsformel der Amos'schen Völkersprüche. Unklar ist nämlich, worauf das pronominale Suffix „ihn/es“ sich bezieht und wie demzufolge das Verb zu deuten ist. Vorschläge: (1) Am häufigsten und noch am besten vertretbar: Das Suffix bezieht sich allgemein auf das im Folgenden ausgeführte Urteil Gottes, das „nicht zurückgenommen“ wird (vgl. zur Formulierung Num 23,20; Est 8,5.8; Jes 43,13, vgl. HER05: „ich widerrufe es nicht“), (2) ähnlich, ebenfalls häufig: es bezieht sich auf die Strafe Gottes, die „nicht abgewendet“ wird (van Ess: „ich halte die Strafe nicht zurück“), (3) auf „die (machtvolle) Stimme“ Gottes aus V. 2, die die Bestrafung der Nationen in Gang setzt und deren Sprechen „nicht rückgängig gemacht“ wird (z.B. Hayes 1988, Andersen/Freedman 1989), (4) auf den Zorn Gottes, der „nicht zurückgehalten“ wird (z.B. Harper 1905, Knieriem 1977), (5) auf die jeweilige Nation, die JHWH nicht „in seine Vasallenschaft zurückkehren“ lässt (z.B. Barré 1986, Stuart 1987), (6) auf das Vergehen, das Gott „nicht beilegen“ und also übergehen wird (Gordis 1979/1980, S. 202; vgl. NL: „ich werde nicht länger darüber hinwegsehen“, PAT: „ich verzeihe es nicht“) u.s.w. (Zurück zu v.3) |
k | mit eisernem Dreschschlitten dreschen - gebräuchliche Metapher für die Vernichtung einer Stadt, einer Region o.Ä. (s. Jes 41,15f.; Jer 51,33; Mi 4,13). Der „Dreschschlitten“ war ein schweres Brett, in dessen Unterseite scharfkantige Steine o.Ä. eingelassen waren und mit dem auf der Tenne Getreide gedroschen wurde, s. Wikipedia: Dreschschlitten. Die Region Gilead war häufig Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Israel und Aram. Davon, dass Hasael Gilead erobert hatte, berichtet 2 Kön 10,32f.. Wegen dieses Vergehens im 9. Jhd. also wird Gott die Vernichtung Arams veranlassen. (Zurück zu v.3) |
l | Hasaël und Ben-Hadad waren zwei aramäische Könige; Hasaël nämlich in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts (842-803 v. Chr.), Ben-Hadad (ein häufigerer Name unter den aramäischen Königen) meint hier sicher dessen Sohn, Ben-Hadad II. (803-775 v. Chr.; zur Thronfolge in Damaskus vgl. Damaskus (AT) (WiBiLex)). „Haus Hasaëls“ || „Festungen Ben-Hadads“ ist übrigens ein sog. N-Shift, ein häufiges Stilmittel im Heb., bei dem in zwei zusammengehörigen Halbzeilen ein Sg.-Ausdruck im Parallelismus mit einem Pl.-Ausdruck steht. (Zurück zu v.4) |
m | den Riegel zerbrechen - nämlich den Riegel des Stadttores; ich werde also die Stadt erobern. Mögliche historische Hintergründe dieser Drohung sind entweder die Eroberung von Damaskus durch den israelitischen König Jerobeam (s. 2 Kön 14,28), was gut an die Abfolge Hasaëls - Ben-Hadad anschlösse, oder die mehrfache Unterwerfung von Damaskus durch die Assyrer, was am besten zur Rede von der Deportation der Aramäer nach Kir passt (s. die Anmerkungen). Welche Eroberung hier in 5a gemeint ist, ist nicht wichtig; entscheidend: Arams Vergehen werden vergolten werden. (Zurück zu v.5) |
n | (den=) die Bewohner (den Thronenden?) - Heb. joscheb, von jaschab „wohnen, sitzen“, prima vista also „die Wohnenden“ (kollektiver Sg.). „Die Bewohner“ aber nur in älteren Üss., in neueren Üss. und Kommentaren geht man wegen dem parallelen 5c davon aus, dass „sitzen“ hier „thronen“ bedeuten müsse und daher in 5b ebenso wie in 5c von „Herrschern“ die Rede ist. Daher z.B. LUT 84, ZÜR 31: „die Bewohner“ vs. LUT 17, ZÜR 07 „der, der dort thront / auf dem Thron sitzt“. Ganz unproblematisch ist das nicht, ist aber eine so starke Mehrheitsmeinung, dass ihr in der Offenen Bibel wohl gefolgt werden muss. Genauer: Rudolph 1971, S. 126 etwa verweist als Parallelen auf Ps 2,4; 9,8; 29,10 und Jes 10,13. An den ersten drei Stellen wird die Bed. aber dadurch klar, dass hier je ein besonderer Ort des „Sitzens“ genannt wird – Ps 2,4: „JHWH sitzt/thront im Himmel“, Ps 29,10: „JHWH sitzt/thront auf ewig / aufgerichtet hat er zum Gericht seinen Thron“, Ps 29,10: „JHWH sitzt/thront über der Flut, / JHWH sitzt/thront (als) König ewiglich“; die Stellen legen also nicht nahe, dass jaschab wirklich eine Sonderbedeutung „thronen“ haben muss, sondern „sitzen im Himmel / auf einem Thron / als König über der Flut“ ist einfach nur in diesem Kontext natürlich „Thronen“. Die einzige Stelle, an der wie hier ohne einen solchen Kontext nur aus dem Wort klar werden müsste, dass „sitzen“ die Bed. „thronen“ haben soll, ist Jes 10,13: „Ich stieß als Gewaltiger Sitzende=Thronende herab.“ Doch offenbar ist der Text hier nicht in Ordnung. LXX und Syr haben „ich werde erschüttern bewohnte Städte“, Tg: „die Bewohner von starken Städten“, Qere, einige MSs und VUL lesen כביר kabir „gewaltig“ statt כאביר ke´abir „als Gewaltiger“ (in 1QJesa fehlt gerade dieses Wort). Vielleicht ließe sich dies alles zurückführen auf ein aram. בכרכ „in einer Stadt/Festung“ („Ich stieß hinab in einer Festung Wohnende“). LXX und Syr hätten das Wort mit folgendem Jod als „shared consonant“ pluralisch als attribuierten Genitiv interpretiert (vgl. GKC §132c; in den heb. LXX-Vorlagen gab es End-konsonanten offenbar noch nicht oder nicht regelmäßig, vgl. Ginsburg 1897, S. 163f.): בכרכ יושבים > בכרכי יושבים „bewohnte Städte / Befestigungen“. Die Vorlage von Qere und VUL hätten das aram. בכרכ י als כביר (oder בכרכ als defektives כבר) verlesen, woraus dann in Ketiv wiederum כאביר geworden wäre, Tg setzt offenbar eine Konflation von בכרכ und כביר voraus. Wie dem auch sei, Jes 10,13 ist jedenfalls eine denkbar unsichere Basis, um auf ihr eine neue Spezialbedeutung dieses so breit belegten Wortes joscheb als „Sitzer“ > „Throner“ > „Herrscher“ aufruhen zu lassen – und „ich rotte den Bewohner von Bikat-Awen ausrotten“ ist ja einwandfrei, wenn es auch keinen so schönen Parallelismus mit „den, der das Szepter hält, aus Bet-Eden“ ergibt. (Zurück zu v.5) |
o | (Zurück zu v.5) |
p | (Zurück zu v.5) |
q | Eine Hypothese und Forschungsrichtung, über die bes. in Deutschland intensiv geforscht wird, vgl. den Überblick über diverse Positionen in Brettler (2006): „Redaction, History, and Redaction-History of Amos in Recent Scholarship“ und das Update in Carroll (2019): „Twenty Years of Amos Research“; ergänze Höffkens WiBiLex-Artikel „Amos / Amosbuch“ (2006). (Zurück zu ) |