Klagelieder 2: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Die Offene Bibel

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{{S|1}} Wie umwölkt der Herr in seinem Zorn,
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{{S|1}} Wie umwölkt (verachtet)<ref>''umwölkt'' - wie Gott ähnlich in [[Klagelieder 3#s43 |Klg 3,43f]] ''sich'' als Zeichen seines Zorns mit Wolken umgibt und in [[Ezechiel 32#s7 |Ez 32,7f.]] aus dem selben Grund nicht nur der Himmel bewölkt wird, sondern auch die Erde.<br />'''tFN''': ''verachtet'' nach einigen Exegeten (z.B. McDaniel 1968, S. 35; Hillers 1972, S. 35), die etwas gewagt neben ''ta`ab'' („verachten“) ein weiteres Verb ''wa`ab'' mit der Bed. „verachten“ ansetzen.</ref> in seinem Zorn
_die Tochter Zion,
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_Der Herr die Tochter Zion,<ref name="Tochter">''Tochter Zion'', ''Tochter Juda'', ''Tochter meines Volkes'', ''Tochter Jerusalem'' - Mit der „Tochter Zion“ ist ebenso wie mit der „Tochter Jerusalem“ Jerusalem gemeint („Zion“ ist der Name des Berges in Jerusalem, auf dem der Tempel Gottes gebaut war), mit der „Tochter Juda“ ebenso wie mit der „Tochter meines Volkes“ Israel, von dem zur Zeit vor dem Exil schon nur noch der Südstaat Juda selbstständig war. Die häufige Nennung der „Tochter“ soll hier sicher die enge Beziehung Jerusalems und Israels zu Gott, ihrem Vater, unterstreichen: Gott hat sein eigenes Kind vernichtet.</ref>
warf aus dem Himmel [auf die] Erde
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Warf aus dem Himmel [auf die] Erde
_die Herrlichkeit (den Ruhm, die Schönheit) Israels
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_Die Herrlichkeit (den Ruhm, die Schönheit) Israels<ref>''Israel'' - Heb. ''jißra´el'', „Gott herrscht“ (Rechenmacher 2012, §385). Dass hier gerade von Israel (und im nächsten Vers von „Jakob“) die Rede ist, verstärkt noch die Tragik der Geschehnisse: JHWH vernichtet sein eigenes Reich.</ref>
und gedachte nicht [mehr] des Schemels seiner Füße
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Und gedachte nicht [mehr] des Schemels seiner Füße<ref>''Schemel seiner Füße'' - gemeint ist der Tempel in Jerusalem; s. ähnlich [[Psalm 132#s7 |Ps 132,7]]; [[Jesaja 60#s13 |Jes 60,13f.]]: JHWH thront im Himmel, seine Füße ruhen aber auf der Erde ([[Jesaja 66#s1 |Jes 66,1]]), und zwar speziell auf dem Jerusalemer Tempel. JHWH hat seinen eigenen Schemel zerstört.</ref>
_am Tag seines Zorns.</poem>
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_Am Tag seines Zorns.</poem>
  
  
 
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{{S|2}} Vernichtet (verschlungen) hat der Herr
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{{S|2}} Vernichtet (verschlungen) hat der Herr und nicht verschont
_und verworfen<ref>wörtl.: nicht gedacht</ref> die Weiden (Wohnungen) Jakobs,
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_Alle Weiden (Wohnungen)<ref>''Weiden'' - angespielt wird auf die Vorstellung von Gott als dem Hirten seiner Herde Israel (s. [[Psalm 79#s13 |Ps 79,13]]; [[Psalm 80#s1 |80,1]]; [[Ezechiel 34#s11 |Ez 34,11f.]] u.ö.). Ganz im Gegensatz zu einem guten Hirten geht er hier mit der Zerstörung der „Weiden“, mit denen natürlich die Wohnungen der Israeliten gemeint sind, sogar gegen seine Herde vor.</ref> Jakobs,<ref>''Jakobs'' - Einer der Patriarchen, dessen Geschichte ab [[Genesis 25 |Gen 25]] erzählt wird. Weil er einer der Stammväter Israels war, ist „Jakob“ ein häufiger Wechselbegriff für Israel selbst. Hier schwingt in der Verwendung des Namens eine besondere Tragik mit: „Jakob“, zu Heb. ''ja`aqob'', bedeutet wörtlich „JHWH schützt“ – doch gerade dies tut JHWH hier nicht.</ref>
zerstört (zertrümmert, niedergerissen) hat er in seinem Ärger
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Zerstört (zertrümmert, niedergerissen) hat er in seinem Ärger
_die Festungen (befestigten Städte) der Tochter Juda,
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_die Festungen (befestigten Städte) der Tochter Juda,<ref name="Tochter" />
warf zu Boden,
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Warf zu Boden, entweihte
_entweihte das Königtum (-reich) und seine Obersten (Beamten, Kommandanten, Fürsten).</poem>
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_Königtum(-reich) und seine Fürsten (Beamten, Kommandanten).</poem>
  
  
 
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{{S|3}} Abgehauen hat er in der Hitze seines Zorns
 
{{S|3}} Abgehauen hat er in der Hitze seines Zorns
_jedes Horn (alle Macht, Kraft) Israels,
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_Jedes Horn<ref>''Horn'' - häufige Metapher für die Kraft eines Menschen oder einer Institution. Ist Gott daher jemandem zugetan, lässt er „dessen Horn wachsen“ (z.B. [[Psalm 132#s17 |Ps 132,17]]); wer dagegen nicht in Gottes Gunst steht, darf es nicht wagen, „sein Horn zu erheben“ (zB. [[Psalm 75#s5 |Ps 75,5f.]]). Hier schlägt JHWH das Horn gar kurzerhand ab. Sinnvoll HfA: „Der Herr hat Israel aller Macht beraubt“; LUT: „Er hat alle Macht Israels in seinem grimmigen Zorn zerbrochen.“</ref> Israels,
zog zurück seine (schützende) Rechte
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Zog zurück seine Rechte
_vor dem Feind;
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_Vor dem Feind<ref>D.h., schritt doch nicht ein, als dieser Israel angriff.</ref>
und er brannte (wütete) in Jakob wie ein Feuer,
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Und er brannte (wütete) in Jakob wie ein flammendes Feuer,
_[dessen] Flamme rundherum fraß.</poem>
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_[Das] rundherum fraß.</poem>
  
  
 
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{{S|4}} Er spannte seinen Bogen wie ein Feind
 
{{S|4}} Er spannte seinen Bogen wie ein Feind
_[der] Pfeil [war] in seiner Rechten<ref>'''Textkritik''' ― Der masoretische Text ist unverständlich (gegen Kraus, der die Inkongruenz der Genera nicht beachtet): ''stehend (Mask.) seine Rechte (Fem.)''. Die Übersetzung folgt dem Vorschlag der BHK.</ref>
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_[Ein] Pfeil [war] in seiner Rechten<ref>'''Textkritik''' ― Der masoretische Text ist unverständlich (gegen Kraus, der die Inkongruenz der Genera nicht beachtet): ''stehend (Mask.) seine Rechte (Fem.)''. Die Übersetzung folgt dem Vorschlag von BHS, Hobbins 2009, S. 24 u.a.</ref>
und er tötete wie ein Gegner<ref>Der masoretische Text überliefert: ''wie ein Gegner und er tötete''. Die Übersetzung folgt dem Vorschlag der BHK.</ref>
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Und wie ein Gegner tötete er<ref>'''Textkritik''': Der masoretische Text überliefert: ''wie ein Gegner und er tötete''. Die Übersetzung folgt dem Vorschlag der BHK.</ref>
_[seine] ganze Augenweide<ref>''Augenweide'' - wörtl.: Lust [des] Auges'' = die Bewohner Jerusalems bzw. Judas.</ref>.
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_[Seine] ganze Augenweide.<ref>''ganze Augenweide'' - wörtl.: ''alle Lust [des] Auges'' = die Bewohner Jerusalems bzw. Judas.</ref>
 
Im (ins) Zelt der Tochter Zion<ref>''Zelt der Tochter Zion'' bezeichnet Jerusalem</ref>
 
Im (ins) Zelt der Tochter Zion<ref>''Zelt der Tochter Zion'' bezeichnet Jerusalem</ref>
_goss er seinen Grimm aus wie Feuer.</poem>
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_Goss er seinen Grimm aus wie Feuer.</poem>
  
  
 
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{{S|5}} Der Herr ist wie ein Feind geworden,
 
{{S|5}} Der Herr ist wie ein Feind geworden,
_hat Israel vernichtet (verschlungen),
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_Hat Israel vernichtet (verschlungen),
vernichtet (verschlungen) all ihre<ref>d.h. der Tochter Zion (4c)</ref> Paläste
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Hat all ihre<ref>''ihre'' bezieht sich zurück auf die „Tochter Zion“ in 4c, „seine“ in der nächsten Zeile auf „Israel“ in 5b – ein semitisches Stilmittel namens T-Shift.</ref> Paläste vernichtet (verschlungen)
_zerstört seine Festungen (befestigten Städte),
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_Hat seine Festungen (befestigten Städte) zerstört
er vermehrte in der Tochter Juda
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Hat in der Tochter Juda<ref name="Tochter" /> vermehrt
 
_Traurigkeit und Trauer.</poem>
 
_Traurigkeit und Trauer.</poem>
 
   
 
   
  
 
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{{S|6}} Er hat seine Hütte<ref>''Hütte'' ― Wie aus 6b hervorgeht (''Versammlungstätte'') ist mit ''Hütte'' der Tempel gemeint.</ref> wie einen Weinstock<ref>''wie einen Weinstock'' ― So LXX. Der masoretische Text überliefert ''wie den Garten'' bzw. bei Änderung der Vokalisation ''wie einen Garten''. Der LXX hat ein leicht veränderter Text - {{Hebr}}גפן{{Hebr ende}} (géfen) statt {{Hebr}}גן{{Hebr ende}} (gan) - vorgelegen. Zum Bild des Weinstocks vgl. Ps 80,9-17.</ref> preisgegeben<ref>''preisgeben'' ― {{Hebr}}חמס{{Hebr ende}} (ḥāmas) wird meist mit ''Gewalt antun'' übersetzt. Stellen wie Hi 15,33 Jer 18,22 - parallel zu {{Hebr}}גלה{{Hebr ende}} (gāla = ''aufdecken'') - und die Übersetzung der LXX mit διαπεταννύναι (''ausbreiten, öffnen'') legen jedoch ''entblößen, des Schutzes berauben'' als Grundbedeutung nahe. Die Zerstörung des Tempels würde dann mit dem Einreißen der Mauer eines Weingartens verglichen.</ref>,
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{{S|6}} Er hat seine Hütte<ref>''Hütte'' ― Wie aus 6b hervorgeht (''Festort'') ist mit ''Hütte'' der Tempel gemeint.</ref> wie einen Weinstock (Garten)<ref>''wie einen Weinstock (Garten)'' ― So LXX. Der masoretische Text überliefert ''wie den Garten'' (d.h. „wie einen Garten“; Vergleiche haben im Heb. anders als im Dt. häufig Artikel, s. z.B. [[Psalm 33#s7 |Ps 33,7]]; [[Psalm 104#s6 |104,6]]; [[Hohelied 6#s5 |Hld 6,5]]; [[Klagelieder 2#s19 |Klg 2,19]]). Der LXX hat ein leicht veränderter Text - {{Hebr}}גפן{{Hebr ende}} (géfen) statt {{Hebr}}גן{{Hebr ende}} (gan) - vorgelegen. Zum Bild des Weinstocks vgl. [[Psalm 80#s9 |Ps 80,9-17]].</ref> preisgegeben (zerstört),<ref>''preisgeben (zerstört)'' ― {{Hebr}}חמס{{Hebr ende}} (ḥāmas) wird meist mit ''Gewalt antun'' übersetzt. Stellen wie Hi 15,33; Jer 18,22 - parallel zu {{Hebr}}גלה{{Hebr ende}} (gāla = ''aufdecken'') - und die Übersetzung der LXX mit διαπεταννύναι (''ausbreiten, öffnen'') legen jedoch ''entblößen, des Schutzes berauben'' als Grundbedeutung nahe. Die Zerstörung des Tempels würde dann mit dem Einreißen der Mauer eines Weingartens verglichen.</ref>
_seine Versammlungsstätte zerstört,
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_Seinen Festort zerstört,
in Vergessenheit geraten ließ JHWH in Zion
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In Vergessenheit geraten ließ<ref>''zerstört, in Vergessenheit geraten ließ'' - Klangspiel: ''schichet'' - ''schikach''.</ref> JHWH in Zion
_Fest und Sabbat,
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_Fest<ref>''Fest'' - Wortspiel im Heb.: Antanaklasis. In 6b und 6d steht zweimal das selbe Wort ''mo`ed'', wird einmal aber mit der Bed. „Festort“ und einmal mit der Bed. „Fest“ verwendet.</ref> und Sabbat,
verwarf (verabscheute, verachtete) in seinem grimmigen Zorn
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Und verwarf (verabscheute, verachtete) im Zorn seiner Nase<ref>''Zorn seiner Nase'' - d.h. „in seinem Zorn“. Im heb. Sprachgebrauch wird der Zorn häufig an der (schnaubenden) Nase festgemacht; s. ähnlich z.B. [[Psalm 69#s24 |Ps 69,24]]; [[Psalm 78#s49 |78,49]]; [[Nahum 1#s6 |Nah 1,6]].</ref>
 
_König und Priester.</poem>
 
_König und Priester.</poem>
  
  
 
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{{S|7}} Verstoßen (verworfen) hat der Herr seinen Altar<ref>Der Altar steht als pars pro toto für den gesamten Tempel.</ref>,
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{{S|7}} Verstoßen (verworfen) hat der Herr seinen Altar,<ref>Der ''Altar'' steht als pars pro toto für den gesamten Tempel.</ref>
_entweiht (zerbrochen) sein Heiligtum.
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_Entweiht (zerbrochen) sein Heiligtum.
 
Ausgeliefert hat er in die Hand (Gewalt) des Feindes
 
Ausgeliefert hat er in die Hand (Gewalt) des Feindes
_die Mauern ihrer<ref name="Zion">d.i. Zions</ref> Paläste.
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_Die Mauern ihrer<ref name="Zion">d.i. Zions</ref> Paläste.
Man lärmte<ref>wörtl. ''sie riefen''</ref> im Haus JHWHs
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Man lärmte<ref>wörtl. ''sie ließen ihre Stimme erschallen''</ref> im Haus JHWHs
_wie an einem Festtag.<ref>In bitterer Ironie vergleicht der Dichter das Kriegsgeschrei bzw. die Angstrufe bei der Eroberung des Tempels mit den Festtagslärm früherer Tage.</ref></poem>
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_Wie an einem Festtag.<ref>In bitterer Ironie vergleicht der Dichter das Kriegsgeschrei bzw. die Angstrufe bei der Eroberung des Tempels mit den Festtagslärm früherer Tage.</ref></poem>
  
  
 
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{{S|8}} JHWH ersann niederzureißen (zu verwüsten)
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{{S|8}} JHWH plante (ersann) niederzureißen (zu verwüsten)
_die Mauern der Tochter Zion
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_Die Mauer der Tochter Zion;
er spannte die Messschnur<ref>''Messschnur spannen'' ist Synonym zu ''ersinnen, planen'' in 8a.</ref> (hatte geplant),
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Er spannte eine Messschnur<ref>''Messschnur spannen'' ist Synonym zu ''ersinnen, planen'' in 8a. Wie ein Architekt planvoll beim Bau eines Gebäudes vorgeht, macht sich JHWH hier sorgfältig einen Bauplan seiner Vernichtung.</ref> (hatte geplant),
_hat seine Hand nicht zurückgezogen vom Vernichten (Verschlingen),
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_Hat seine Hand nicht zurückgezogen vom Vernichten (Verschlingen),
ließ trauern<ref>Nämlich um ihre Mannschaften, die getötet worden sind.</ref> Wall<ref>''Wall'' ― Gemeint ist die Mauer vor der eigentlichen Stadtmauer. Andere übersetzen ''Heer'' in der Annahme, dass es sich bei {{Hebr}}חֵל{{Hebr ende}} (ḥēl) um eine orthographische Variante zu {{Hebr}}חֵיל{{Hebr ende}} (ḥêl = Heer) handelt</ref> und Mauer,
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Ließ trauern<ref>Nämlich um ihre Mannschaften, die getötet worden sind.</ref> Wall<ref>''Wall'' ― Gemeint ist die Mauer vor der eigentlichen Stadtmauer. Andere übersetzen ''Heer'' in der Annahme, dass es sich bei {{Hebr}}חֵל{{Hebr ende}} (ḥēl) um eine orthographische Variante zu {{Hebr}}חֵיל{{Hebr ende}} (ḥêl = Heer) handelt</ref> und Mauer,
_zusammen gaben sie nach<ref>''gaben sie nach'' ― eig. ''verwelkten sie''</ref>.</poem>
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_zusammen waren sie traurig.<ref>''waren sie traurig'' ― wie in [[Jeremia 14#s2 |Jer 14,2]] neben dem trauernden Juda auch die Mauern „traurig sein“ und „klagend zu Boden sinken“ können, in [[Jesaja 3#s26 |Jes 3,26]] die Tore „klagen, trauern und auf die Erde setzen“ können oder in [[Lukas 19#s40 |Lk 19,40]] Steine schreien können.</ref></poem>
  
  
 
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{{S|9}} Niedergesunken auf die Erde sind ihre<ref name="Zion" /> Tore
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{{S|9}} Niedergesunken auf die Erde sind ihre<ref name="Zion" /> Tore<ref>Nämlich vor Trauer, was die sehr nahen Parallelstellen [[Jesaja 3#s26 |Jes 3,26]]; [[Jeremia 14#s2 |Jer 14,2]] und die enge Verbindung zum folgenden Vers sehr wahrscheinlich machen.</ref>
_vernichtet und zerbrochen hat er ihre Riegel,
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_Vernichtet und zerbrochen hat er ihre Riegel,
ihr König und ihre Obersten (Beamten, Hauptmänner) [leben] in [fremden] Völkern,
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Ihr König und ihre Fürsten (Beamten, Kommandanten) [leben] unter Heidenvölkern,
_es gibt keine Weisung,
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_Es gibt keine Weisung,<ref>''Weisung'' - heb. ''torah'', zentraler theologischer Begriff für die Gebote Gottes, wie sie in den ersten fünf Büchern der Bibel gesammelt sind. Der Satz spezifiziert zunächst wohl 9c: Ihr König und ihre Fürsten sind unter Heidenvölkern, wo die Torah nicht gilt. Dann aber gilt der Satz auch absolut: Es gibt keine Weisung von Gott mehr (9d) und die Propheten Israels empfangen keine Kunde mehr von ihm (9ef). Israel ist von Gott verlassen.</ref>
auch ihre Propheten bekommen (finden)
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Auch ihre Propheten bekommen (finden)
_keine Offenbarung (Schauung, Vision) JHWHs.</poem>
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_Keine Offenbarung (Vision) von JHWH.</poem>
  
  
 
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{{S|10}} Auf der Erde sitzen (wohnen)<ref>''Auf der Erde sitzen'' war ein Zeichen von Trauer (vgl. Jes 29,4).</ref>
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{{S|10}} Auf der Erde müssen sitzen,<ref>''Schweigend auf der Erde sitzen'' war ein Zeichen von Trauer und der Klage (vgl. [[Jesaja 29#s4 |Jes 29,4]]), ebenso wie das Bestreuen des Kopfes mit Staub oder Asche und das Kleiden mit Sackleinen. S. näher [https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/36154/#h5 Trauer (AT) (WiBiLex)].</ref> es müssen schweigen
_verstört (erstarrt, stumm)<ref>wörtl. ''und verstört sind''</ref> die Alten (Ältesten) der Tochter Zion,
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_Die Ältesten<ref>''Die Ältesten'' waren eine soziale Institution in Israel, die u.a. verantwortlich waren für die Rechtsprechung, die auf den Stadtplätzen am Stadttor stattfand, daher einerseits ihre Nennung direkt nach den Königen, Fürsten und Propheten, andererseits ihre Parallelisierung mit den Stadttoren in V. 9 und schließlich die Betonung ihrer ''schweigenden'' Trauer im Gegensatz zu ihrer eigentlichen Aufgabe als Rechts''sprecher''.</ref> der Tochter Zion,<ref name="Tochter" />
sie haben Staub auf ihr Haupt gestreut,
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Sie haben Staub auf ihr Haupt gestreut,
_sich [mit] Sackleinen gegürtet<ref>Zeichen von Trauer und Reue.</ref>;
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_Sich [mit] Sackleinen gegürtet;
auf die Erde ließen ihr Haupt sinken
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Auf die Erde ließen ihr Haupt sinken
_die Jungfrauen Jerusalems.</poem>
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_Die Jungfrauen Jerusalems.</poem>
  
 
   
 
   
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{{S|11}} Meine Augen sind vor Tränen verschmachtet (erschöpft),
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_Mein Inneres (meine Eingeweide) ist aufgewühlt (gärt, schäumt).
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Ausgeschüttet auf die Erde ist meine Leber<ref>Das „Ausschütten“ innerer Organe ist in der hebräischen Bibel ein Ausdruck dafür, dass jmd tödlich getroffen ist (vgl. [[Ijob 16#s13 |Ijob 16,13]]; ähnlich [[2Samuel 20#s10 |2 Sam 20,10]]; zu einem ähnlichen Bild s. [[Psalm 22#s15 |Ps 22,15]]). Hier ist das ausgeschüttete Organ anders als in Ijob 16,13 nicht die Galle, sondern die ''Leber'' - in der heb. Anthropologie also dasjenige Organ, mit dem der Mensch Emotionen empfindet (vgl. Wolff 1973, S. 104; s. noch [[Psalm 16#s9 |Ps 16,9]]; [[Psalm 30#s13 |30,13]]; [[Psalm 57#s9 |57,9]]; [[Psalm 108#s2 |108,2]], wo wahrscheinlich jeweils „Leber“ zu lesen ist). Der Sprecher ist zu Tode verzweifelt.</ref> (mein Leben),
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_Wegen des Untergangs der Tochter meines Volkes,<ref name="Tochter" />
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Als Kind und Säugling verreckten
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_Auf den Plätzen der Stadt.</poem>
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{{S|12}} Sie fragten ihre Mütter:
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_„Wo [sind] Getreide und Wein?“,<ref>''Getreide und Wein'' - Warum hier Kind und Säugling gerade nach „Getreide und Wein“ fragen, ist schwer verständlich (da Getreide anders als Brot noch nicht gut essbar ist und Wein anders als Milch oder Wasser sicher nicht zu den Grundnahrungsmitteln von Säuglingen gehört). Anders als die sehr häufigen Wortpaare „Getreide und Most“ oder „Getreide, Most und Öl“ und „Brot und Wein“ findet sich das Wortpaar „Getreide und Wein“ sonst nicht mehr in der Bibel; ebenso wenig im Ugaritischen (vgl. del Olmo Lete 1994, S. 14), wo häufig die selben Formeln verbreitet waren wie im Heb. (vgl. Watson 1986, S. 138f.). Vielleicht sollen hier die beiden Wortpaare „Getreide und Most“ und „Brot und Wein“ vermischt werden, um die Abwesenheit jeglicher Nahrungsmittel auszudrücken?</ref>
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Als sie verreckten wie Durchbohrte (Verwundete)
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_Auf den Plätzen der Stadt,
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Als sich ihr Leben (ihre Seele) ergoss
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_In den Schoß ihrer Mütter.</poem>
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{{S|13}} Was soll ich dir (als Trost) bezeugen,
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_was mit dir<ref>D.h. mit deinem Untergang.</ref> vergleichen, Tochter Jerusalem?
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Was kann ich dir gleichstellen
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_um dich zu trösten, Jungfrau, Tochter Zion?
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Denn groß (endlos) wie das Meer [ist] dein Untergang (Zusammenbruch):<ref>''Untergang'' - Talchin: „Untergang“ ist im Heb. ''šbr'' und gleicht damit sehr dem Wort ''mšbr'' („Woge, Welle“), das gut zum „Meer“ passt (so gut Gordis 1979, S. 164f.).</ref>
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_Wer könnte dich heilen?</poem>
  
{{S|12}}
 
  
{{S|13}}  
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{{S|14}} Deine Propheten prophezeiten für dich
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_[Nur] Lüge (Nichtiges) und Tünche (Ungesalzenes/Fades),
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Und deckten nicht auf deine Schuld<ref>W.: „sie deckten nicht auf über deiner Schuld“, nämlich die verbergende Hülle, die es aufzudecken galt.</ref> (Missetat),
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_Um abzuwenden dein Schicksal (deine Gefangenschaft).<ref>'''Textkritik''': ''Schicksal (Gefangenschaft)'' - urspr. sicher ''šbt'', was sich entweder als ''š<sup>e</sup>bit'' ableiten ließe von ''šbh'' („gefangen wegführen, deportieren“, also „Gefangenschaft, Exil“) oder als  ''š<sup>e</sup>but'' von ''šub'' („wenden“, also „Wendung, Schicksal“). Wie noch an 11 anderen Stellen in der Bibel sind hier im heb. Text beide Varianten gleichzeitig überliefert; was gemeint ist, ist ganz unsicher. LXX leitet hier ab von ''šbh'', Vul und Tg von ''šub'' und Syr mit einer Doppelübersetzung von beiden Verben: „so dass ich wende deine Gefangenschaft“. Die meisten Üss. haben „Schicksal“; auch LUT und ZÜR, die in älteren Ausgaben noch als „Gefangenschaft“ deuteten, wählen mittlerweile diese Variante.</ref>
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Sie prophezeiten für dich Orakel (Sprüche)<ref>''Orakel'' - Heb. ''maß´et'', terminus technicus für Unheilsprophetien. Doch gerade diese haben Israels Lügenpropheten nicht prophezeit.</ref>
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_[Aus] Lüge (Nichtigem) und Verführungen (Krankheiten).</poem>
  
{{S|14}}
 
  
{{S|15}}  
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{{S|15}} Es klatschen<ref>''klatschen'' -  beides Ausdrücke feindseliger Schadenfreude; s. [[Num 24#s10 |Num 24,10]]; [[Ijob 27#s23 |Ijob 27,23]].</ref> über dich [in] die Hände
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_Alle, die des Weges ziehen,
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Sie zischen (pfeifen) und schütteln ihren Kopf
 +
_Über die Tochter Jerusalem:<ref name="Tochter" />
 +
„Ist dies die Stadt, die man nennt
 +
_‚Vollkommene Schönheit‘, ‚Freude der ganzen Erde (für die ganze Erde)‘?“<ref>15f ist überlang; sicher, um auch auf metrischer Ebene die außerordentliche Schönheit Jerusalems auszudrücken.</ref></poem>
  
{{S|16}}
 
  
{{S|17}}  
+
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{{S|16}} Es reißen ihr Maul (ihren Mund) auf über dich<ref>''Maul aufreißen'' - Vgl. ganz ähnlich [[Psalm 22#s14 |Ps 22,14]]; [[Psalm 35#s16 |Ps 35,16f.]]: Wie in [[Ijob 16#s9 |Ijob 16,9f.]] (vgl. auch [[Psalm 17#s11 |Ps 17,11f.]]) werden die Gegner hier geschildert wie reißende Raubtiere, die drohend ihr Maul öffnen, die Zähne zeigen und am Ende gar verkünden, Jerusalem aufgefressen zu haben.</ref>
 +
_Alle deine Feinde;
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Sie zischen (pfeifen) und knirschen [mit ihren] Zähnen,
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_Sie sagen: „Wir haben [sie] verschlungen;
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Ja!, dies ist der Tag, auf den wir hofften,
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_Wir haben erreicht, gesehen!“<ref>''Wir haben erreicht, gesehen'' - im Heb. nur zwei Worte: ''matsa´nu ra´inu''. Gemeint ist wohl: „Wir haben unser Ziel erreicht und haben das Erhoffte endlich eintreffen sehen“ - beide Male nämlich die Zerstörung Jerusalems. „Erreicht“ bezieht sich dann zurück auf 16d, „gesehen“ auf 16e. Man könnte geradezu übersetzen: „Geschafft! Geschehen!“</ref></poem>
  
{{S|18}}
 
  
{{S|19}}  
+
<poem>
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{{S|17}} Getan hat JHWH, was er ersonnen,
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_ Erfüllt hat er sein Wort,
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Das er gegeben (was er angeordnet) hat seit den Tagen der Urzeit:
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_Er riss ([es]) ein und hatte kein Mitleid.<ref>''das er gegeben (was er angeordnet) hat: ... Er riss ([es]) ein'' - Gordis 1979, S. 166 bezieht das „gegeben“ auf den Tempel und nicht auf das Wort. Dann lautet die Übersetzung: „Was er angeordnet hat ..., das riss er ein ...“</ref>
 +
Und er ließ sich freuen über dich den Feind,
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_ hat erhöht das Horn<ref>Horn: ein bildhafter Ausdruck für Macht</ref> deiner Bedränger.</poem>
  
{{S|20}}
 
  
{{S|21}}  
+
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 +
{{S|18}} Ihr<ref>''ihr'' - im Heb. Plural; gemeint sind die Bewohner Jerusalems.</ref> Herz schreit (schrie) zum Herrn.
 +
_[Du] Stadtmauer der Tochter Zion,<ref>Ihr Herz schreit ... Stadtmauer ...: So der masoretische Text. Zahlreiche Übersetzungen und Kommentatoren halten diese Überlieferung von Vers 18a für korrupt. Unter den verschiedenen Verbesserungsvorschlägen hat die Änderung von {{Hebr}}צָעַק{{Hebr ende}} (schreit/schrie) in {{Hebr}}צַעֲקִי{{Hebr ende}} (schrei!) und die Tilgung von {{Hebr}}חוֹמַת{{Hebr ende}} (Mauer) Eingang in viele Übersetzungen gefunden. Neuere Übersetzungen (z.B. EÜ 16 anders als EÜ 80, ZÜR 07 anders als ZÜR 31) folgen wieder dem masoretischen Text.</ref>
 +
Lass herabfließen wie einen Bach die Tränen
 +
_Tag und Nacht!
 +
Gönne (gib) dir keine Ruhe (Aufhören),
 +
_Nicht versiege (höre auf) dein Augapfel!<ref>''Augapfel'' - W. „die Tochter deines Auges“.</ref></poem>
  
{{S|22}}  
+
 
 +
<poem>
 +
{{S|19}} Auf, klage in der Nacht
 +
_Zu Beginn der Nachtwachen!<ref>Die ''Nacht'' ist in der Bibel recht häufig die Zeit, in der üblicherweise geweint und geklagt wird. Der „Beginn der Nachtwachen“, also 18:00 Uhr, soll wohl ausdrücken, dass wirklich die ''ganze'' Nacht hindurch geweint werden soll.</ref>
 +
Gieße dein Herz aus wie Wasser
 +
_Vor dem Angesicht des Herrn!
 +
Erhebe zu ihm deine Hände
 +
_Für das Leben deiner Kinder,
 +
Die vor Hunger schmachten
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_An jeder Straßenecke!<ref>'''Textkritik''': Auffälligerweise hat Vers 19 ''vier'' statt drei Doppelzeilen. Es ist recht wahrscheinlich, dass die vierte später hinzugefügt wurde; da sie aber in allen Handschriften und Versionen belegt ist, wäre es textkritisch unverantwortlich, sie zu tilgen (BHQ: „The 'addition' belongs to the development of the text prior to the state that can be reached by texutal criticism.“).</ref></poem>
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{{S|20}} Sieh, JHWH, und schau doch,
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_Wem du solches angetan hast!
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Sollen Frauen ihre [Leibes]frucht essen,
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_Die Kinder, die sie hegen?<ref name="hegen">''hegen'' - heb. ''tafach''; unsicheres Wort; wahrscheinlich nur in Klg 2,20.22 in der Bibel. In V. 20 bezeichnet es etwas, dass Mütter an ihren Kindern tun, in V. 22 ist es parallel zu ''rbh'' („großziehen“). Ges18, S. 427 schlägt daher „hegen, pflegen“ vor; so z.B. EÜ: „die sorgsam gehegten Kinder“; so auch die meisten Üss.. Andere verbinden mit dem sehr ähnlichen Wort ''tefach'' („Handbreite“) und übersetzen daher mit „Kinder, die man auf Händen trägt“ (z.B. ELB, LUT). ZÜRs „gesund geborene Kinder“ ist wohl zu erklären mit arab ''tafacha'', das nach einigen auch „voll entwickelte Kinder gebären“ bedeuten kann. Das seltene Wort wurde sicher gewählt, weil es ähnlich klingt wie ''tabach'' („abschlachten“), das in V. 21 verwendet wird (=> Talchin).</ref>
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Sollen im Heiligtum des Herrn getötet werden
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_Priester und Prophet?</poem>
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{{S|21}} Auf die Erde in den Straßen legten sich<ref>''legten sich'' - wohl nicht: „lagen“ (so die meisten Üss.). Das Verb ''schakab'' bedeutet überwiegend „sich hinlegen“ statt „liegen“, die Präp. ''l<sup>e</sup>'' bezeichnet die „Erde“ als ''Richtung'' einer Bewegung statt als Ort einer Handlung aus. Kind und Greis legen sich von selbst hin (aus Schwäche; sicher auch, um zu sterben); die jungen Frauen und jungen Männer dagegen „werden hingelegt“: Sie „fallen durch das Schwert“.</ref>
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_Kind und Greis;
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Meine jungen Frauen und Männer<ref>''junge Frauen ... junge Männer'' - Im Hebräischen sind damit noch nicht Verheiratete gemeint.</ref>
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_Fielen durch das Schwert.
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_Du hast abgeschlachtet, nicht geschont.</poem>
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_Meine Fremdlingschaft ringsumher,<ref>Diese Übersetzung ist der Versuch den masoretischen Text von Vers 22a ohne Eingriffe und Sonderbedeutungen folgendermaßen zu verstehen: Gott hat öffentlich beschlossen, dass die Einwohner Jerusalems in der eigenen Stadt und ringumher Fremdlinge sein sollen. Andere deuten {{Hebr}}מְגוּרַי{{Hebr ende}} (meine Fremdlingschaft) als Plural von {{Hebr}}מָגוֹר{{Hebr ende}} (Grauen, Schrecken). Gordis vermutet ein Wortspiel und übersetzt {{Hebr}}מְגוּרַי{{Hebr ende}} als „neighbors (terrors)“.</ref>
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Und es gab am Tag des Zorns JHWHs keinen
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_Entronnenen und Entkommenen;
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Die ich gehegt und großgezogen habe –
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_ Mein Feind hat sie vernichtet. </poem>
  
 
{{Bemerkungen}}
 
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{{Kapitelseite Fuß}}
 
{{Kapitelseite Fuß}}

Aktuelle Version vom 23. Dezember 2018, 14:37 Uhr

Syntax OK

SF ungeprüft.png
Status: Studienfassung zu prüfen – Eine erste Übersetzung aus dem Urtext ist komplett, aber noch nicht mit den Übersetzungskriterien abgeglichen und nach den Standards der Qualitätssicherung abgesichert worden und sollte weiter verbessert und geprüft werden. Auf der Diskussionsseite ist Platz für Verbesserungsvorschläge, konstruktive Anmerkungen und zum Dokumentieren der Arbeit am Urtext.
Folgt-später.png
Status: Lesefassung folgt später – Bevor eine Lesefassung erstellt werden kann, muss noch an der Studienfassung gearbeitet werden. Siehe Übersetzungskriterien und Qualitätssicherung Wir bitten um Geduld.

Lesefassung (Klagelieder 2)

(kommt später)

Studienfassung (Klagelieder 2)

1 Wie umwölkt (verachtet)a in seinem Zorn
Der Herr die Tochter Zion,b
Warf aus dem Himmel [auf die] Erde
Die Herrlichkeit (den Ruhm, die Schönheit) Israelsc
Und gedachte nicht [mehr] des Schemels seiner Füßed
Am Tag seines Zorns.


2 Vernichtet (verschlungen) hat der Herr und nicht verschont
Alle Weiden (Wohnungen)e Jakobs,f
Zerstört (zertrümmert, niedergerissen) hat er in seinem Ärger
die Festungen (befestigten Städte) der Tochter Juda,b
Warf zu Boden, entweihte
Königtum(-reich) und seine Fürsten (Beamten, Kommandanten).


3 Abgehauen hat er in der Hitze seines Zorns
Jedes Horng Israels,
Zog zurück seine Rechte
Vor dem Feindh
Und er brannte (wütete) in Jakob wie ein flammendes Feuer,
[Das] rundherum fraß.


4 Er spannte seinen Bogen wie ein Feind
[Ein] Pfeil [war] in seiner Rechteni
Und wie ein Gegner tötete erj
[Seine] ganze Augenweide.k
Im (ins) Zelt der Tochter Zionl
Goss er seinen Grimm aus wie Feuer.


5 Der Herr ist wie ein Feind geworden,
Hat Israel vernichtet (verschlungen),
Hat all ihrem Paläste vernichtet (verschlungen)
Hat seine Festungen (befestigten Städte) zerstört
Hat in der Tochter Judab vermehrt
Traurigkeit und Trauer.


6 Er hat seine Hütten wie einen Weinstock (Garten)o preisgegeben (zerstört),p
Seinen Festort zerstört,
In Vergessenheit geraten ließq JHWH in Zion
Festr und Sabbat,
Und verwarf (verabscheute, verachtete) im Zorn seiner Nases
König und Priester.


7 Verstoßen (verworfen) hat der Herr seinen Altar,t
Entweiht (zerbrochen) sein Heiligtum.
Ausgeliefert hat er in die Hand (Gewalt) des Feindes
Die Mauern ihreru Paläste.
Man lärmtev im Haus JHWHs
Wie an einem Festtag.w


8 JHWH plante (ersann) niederzureißen (zu verwüsten)
Die Mauer der Tochter Zion;
Er spannte eine Messschnurx (hatte geplant),
Hat seine Hand nicht zurückgezogen vom Vernichten (Verschlingen),
Ließ trauerny Wallz und Mauer,
zusammen waren sie traurig.aa


9 Niedergesunken auf die Erde sind ihreu Toreab
Vernichtet und zerbrochen hat er ihre Riegel,
Ihr König und ihre Fürsten (Beamten, Kommandanten) [leben] unter Heidenvölkern,
Es gibt keine Weisung,ac
Auch ihre Propheten bekommen (finden)
Keine Offenbarung (Vision) von JHWH.


10 Auf der Erde müssen sitzen,ad es müssen schweigen
Die Ältestenae der Tochter Zion,b
Sie haben Staub auf ihr Haupt gestreut,
Sich [mit] Sackleinen gegürtet;
Auf die Erde ließen ihr Haupt sinken
Die Jungfrauen Jerusalems.


11 Meine Augen sind vor Tränen verschmachtet (erschöpft),
Mein Inneres (meine Eingeweide) ist aufgewühlt (gärt, schäumt).
Ausgeschüttet auf die Erde ist meine Leberaf (mein Leben),
Wegen des Untergangs der Tochter meines Volkes,b
Als Kind und Säugling verreckten
Auf den Plätzen der Stadt.


12 Sie fragten ihre Mütter:
„Wo [sind] Getreide und Wein?“,ag
Als sie verreckten wie Durchbohrte (Verwundete)
Auf den Plätzen der Stadt,
Als sich ihr Leben (ihre Seele) ergoss
In den Schoß ihrer Mütter.


13 Was soll ich dir (als Trost) bezeugen,
was mit dirah vergleichen, Tochter Jerusalem?
Was kann ich dir gleichstellen
um dich zu trösten, Jungfrau, Tochter Zion?
Denn groß (endlos) wie das Meer [ist] dein Untergang (Zusammenbruch):ai
Wer könnte dich heilen?


14 Deine Propheten prophezeiten für dich
[Nur] Lüge (Nichtiges) und Tünche (Ungesalzenes/Fades),
Und deckten nicht auf deine Schuldaj (Missetat),
Um abzuwenden dein Schicksal (deine Gefangenschaft).ak
Sie prophezeiten für dich Orakel (Sprüche)al
[Aus] Lüge (Nichtigem) und Verführungen (Krankheiten).


15 Es klatschenam über dich [in] die Hände
Alle, die des Weges ziehen,
Sie zischen (pfeifen) und schütteln ihren Kopf
Über die Tochter Jerusalem:b
„Ist dies die Stadt, die man nennt
‚Vollkommene Schönheit‘, ‚Freude der ganzen Erde (für die ganze Erde)‘?“an


16 Es reißen ihr Maul (ihren Mund) auf über dichao
Alle deine Feinde;
Sie zischen (pfeifen) und knirschen [mit ihren] Zähnen,
Sie sagen: „Wir haben [sie] verschlungen;
Ja!, dies ist der Tag, auf den wir hofften,
Wir haben erreicht, gesehen!“ap


17 Getan hat JHWH, was er ersonnen,
Erfüllt hat er sein Wort,
Das er gegeben (was er angeordnet) hat seit den Tagen der Urzeit:
Er riss ([es]) ein und hatte kein Mitleid.aq
Und er ließ sich freuen über dich den Feind,
hat erhöht das Hornar deiner Bedränger.


18 Ihras Herz schreit (schrie) zum Herrn.
[Du] Stadtmauer der Tochter Zion,at
Lass herabfließen wie einen Bach die Tränen
Tag und Nacht!
Gönne (gib) dir keine Ruhe (Aufhören),
Nicht versiege (höre auf) dein Augapfel!au


19 Auf, klage in der Nacht
Zu Beginn der Nachtwachen!av
Gieße dein Herz aus wie Wasser
Vor dem Angesicht des Herrn!
Erhebe zu ihm deine Hände
Für das Leben deiner Kinder,
Die vor Hunger schmachten
An jeder Straßenecke!aw


20 Sieh, JHWH, und schau doch,
Wem du solches angetan hast!
Sollen Frauen ihre [Leibes]frucht essen,
Die Kinder, die sie hegen?ax
Sollen im Heiligtum des Herrn getötet werden
Priester und Prophet?


21 Auf die Erde in den Straßen legten sichay
Kind und Greis;
Meine jungen Frauen und Männeraz
Fielen durch das Schwert.
Du hast getötet am Tag deines Zorns,
Du hast abgeschlachtet, nicht geschont.


22 Du wolltest ausrufen wie einen Festtag
Meine Fremdlingschaft ringsumher,ba
Und es gab am Tag des Zorns JHWHs keinen
Entronnenen und Entkommenen;
Die ich gehegt und großgezogen habe –
Mein Feind hat sie vernichtet.

Anmerkungen

aumwölkt - wie Gott ähnlich in Klg 3,43f sich als Zeichen seines Zorns mit Wolken umgibt und in Ez 32,7f. aus dem selben Grund nicht nur der Himmel bewölkt wird, sondern auch die Erde.
tFN: verachtet nach einigen Exegeten (z.B. McDaniel 1968, S. 35; Hillers 1972, S. 35), die etwas gewagt neben ta`ab („verachten“) ein weiteres Verb wa`ab mit der Bed. „verachten“ ansetzen. (Zurück zu v.1)
bTochter Zion, Tochter Juda, Tochter meines Volkes, Tochter Jerusalem - Mit der „Tochter Zion“ ist ebenso wie mit der „Tochter Jerusalem“ Jerusalem gemeint („Zion“ ist der Name des Berges in Jerusalem, auf dem der Tempel Gottes gebaut war), mit der „Tochter Juda“ ebenso wie mit der „Tochter meines Volkes“ Israel, von dem zur Zeit vor dem Exil schon nur noch der Südstaat Juda selbstständig war. Die häufige Nennung der „Tochter“ soll hier sicher die enge Beziehung Jerusalems und Israels zu Gott, ihrem Vater, unterstreichen: Gott hat sein eigenes Kind vernichtet. (Zurück zu v.1 / zu v.2 / zu v.5 / zu v.10 / zu v.11 / zu v.15)
cIsrael - Heb. jißra´el, „Gott herrscht“ (Rechenmacher 2012, §385). Dass hier gerade von Israel (und im nächsten Vers von „Jakob“) die Rede ist, verstärkt noch die Tragik der Geschehnisse: JHWH vernichtet sein eigenes Reich. (Zurück zu v.1)
dSchemel seiner Füße - gemeint ist der Tempel in Jerusalem; s. ähnlich Ps 132,7; Jes 60,13f.: JHWH thront im Himmel, seine Füße ruhen aber auf der Erde (Jes 66,1), und zwar speziell auf dem Jerusalemer Tempel. JHWH hat seinen eigenen Schemel zerstört. (Zurück zu v.1)
eWeiden - angespielt wird auf die Vorstellung von Gott als dem Hirten seiner Herde Israel (s. Ps 79,13; 80,1; Ez 34,11f. u.ö.). Ganz im Gegensatz zu einem guten Hirten geht er hier mit der Zerstörung der „Weiden“, mit denen natürlich die Wohnungen der Israeliten gemeint sind, sogar gegen seine Herde vor. (Zurück zu v.2)
fJakobs - Einer der Patriarchen, dessen Geschichte ab Gen 25 erzählt wird. Weil er einer der Stammväter Israels war, ist „Jakob“ ein häufiger Wechselbegriff für Israel selbst. Hier schwingt in der Verwendung des Namens eine besondere Tragik mit: „Jakob“, zu Heb. ja`aqob, bedeutet wörtlich „JHWH schützt“ – doch gerade dies tut JHWH hier nicht. (Zurück zu v.2)
gHorn - häufige Metapher für die Kraft eines Menschen oder einer Institution. Ist Gott daher jemandem zugetan, lässt er „dessen Horn wachsen“ (z.B. Ps 132,17); wer dagegen nicht in Gottes Gunst steht, darf es nicht wagen, „sein Horn zu erheben“ (zB. Ps 75,5f.). Hier schlägt JHWH das Horn gar kurzerhand ab. Sinnvoll HfA: „Der Herr hat Israel aller Macht beraubt“; LUT: „Er hat alle Macht Israels in seinem grimmigen Zorn zerbrochen.“ (Zurück zu v.3)
hD.h., schritt doch nicht ein, als dieser Israel angriff. (Zurück zu v.3)
iTextkritik ― Der masoretische Text ist unverständlich (gegen Kraus, der die Inkongruenz der Genera nicht beachtet): stehend (Mask.) seine Rechte (Fem.). Die Übersetzung folgt dem Vorschlag von BHS, Hobbins 2009, S. 24 u.a. (Zurück zu v.4)
jTextkritik: Der masoretische Text überliefert: wie ein Gegner und er tötete. Die Übersetzung folgt dem Vorschlag der BHK. (Zurück zu v.4)
kganze Augenweide - wörtl.: alle Lust [des] Auges = die Bewohner Jerusalems bzw. Judas. (Zurück zu v.4)
lZelt der Tochter Zion bezeichnet Jerusalem (Zurück zu v.4)
mihre bezieht sich zurück auf die „Tochter Zion“ in 4c, „seine“ in der nächsten Zeile auf „Israel“ in 5b – ein semitisches Stilmittel namens T-Shift. (Zurück zu v.5)
nHütte ― Wie aus 6b hervorgeht (Festort) ist mit Hütte der Tempel gemeint. (Zurück zu v.6)
owie einen Weinstock (Garten) ― So LXX. Der masoretische Text überliefert wie den Garten (d.h. „wie einen Garten“; Vergleiche haben im Heb. anders als im Dt. häufig Artikel, s. z.B. Ps 33,7; 104,6; Hld 6,5; Klg 2,19). Der LXX hat ein leicht veränderter Text - גפן (géfen) statt גן (gan) - vorgelegen. Zum Bild des Weinstocks vgl. Ps 80,9-17. (Zurück zu v.6)
ppreisgeben (zerstört)חמס (ḥāmas) wird meist mit Gewalt antun übersetzt. Stellen wie Hi 15,33; Jer 18,22 - parallel zu גלה (gāla = aufdecken) - und die Übersetzung der LXX mit διαπεταννύναι (ausbreiten, öffnen) legen jedoch entblößen, des Schutzes berauben als Grundbedeutung nahe. Die Zerstörung des Tempels würde dann mit dem Einreißen der Mauer eines Weingartens verglichen. (Zurück zu v.6)
qzerstört, in Vergessenheit geraten ließ - Klangspiel: schichet - schikach. (Zurück zu v.6)
rFest - Wortspiel im Heb.: Antanaklasis. In 6b und 6d steht zweimal das selbe Wort mo`ed, wird einmal aber mit der Bed. „Festort“ und einmal mit der Bed. „Fest“ verwendet. (Zurück zu v.6)
sZorn seiner Nase - d.h. „in seinem Zorn“. Im heb. Sprachgebrauch wird der Zorn häufig an der (schnaubenden) Nase festgemacht; s. ähnlich z.B. Ps 69,24; 78,49; Nah 1,6. (Zurück zu v.6)
tDer Altar steht als pars pro toto für den gesamten Tempel. (Zurück zu v.7)
ud.i. Zions (Zurück zu v.7 / zu v.9)
vwörtl. sie ließen ihre Stimme erschallen (Zurück zu v.7)
wIn bitterer Ironie vergleicht der Dichter das Kriegsgeschrei bzw. die Angstrufe bei der Eroberung des Tempels mit den Festtagslärm früherer Tage. (Zurück zu v.7)
xMessschnur spannen ist Synonym zu ersinnen, planen in 8a. Wie ein Architekt planvoll beim Bau eines Gebäudes vorgeht, macht sich JHWH hier sorgfältig einen Bauplan seiner Vernichtung. (Zurück zu v.8)
yNämlich um ihre Mannschaften, die getötet worden sind. (Zurück zu v.8)
zWall ― Gemeint ist die Mauer vor der eigentlichen Stadtmauer. Andere übersetzen Heer in der Annahme, dass es sich bei חֵל (ḥēl) um eine orthographische Variante zu חֵיל (ḥêl = Heer) handelt (Zurück zu v.8)
aawaren sie traurig ― wie in Jer 14,2 neben dem trauernden Juda auch die Mauern „traurig sein“ und „klagend zu Boden sinken“ können, in Jes 3,26 die Tore „klagen, trauern und auf die Erde setzen“ können oder in Lk 19,40 Steine schreien können. (Zurück zu v.8)
abNämlich vor Trauer, was die sehr nahen Parallelstellen Jes 3,26; Jer 14,2 und die enge Verbindung zum folgenden Vers sehr wahrscheinlich machen. (Zurück zu v.9)
acWeisung - heb. torah, zentraler theologischer Begriff für die Gebote Gottes, wie sie in den ersten fünf Büchern der Bibel gesammelt sind. Der Satz spezifiziert zunächst wohl 9c: Ihr König und ihre Fürsten sind unter Heidenvölkern, wo die Torah nicht gilt. Dann aber gilt der Satz auch absolut: Es gibt keine Weisung von Gott mehr (9d) und die Propheten Israels empfangen keine Kunde mehr von ihm (9ef). Israel ist von Gott verlassen. (Zurück zu v.9)
adSchweigend auf der Erde sitzen war ein Zeichen von Trauer und der Klage (vgl. Jes 29,4), ebenso wie das Bestreuen des Kopfes mit Staub oder Asche und das Kleiden mit Sackleinen. S. näher Trauer (AT) (WiBiLex). (Zurück zu v.10)
aeDie Ältesten waren eine soziale Institution in Israel, die u.a. verantwortlich waren für die Rechtsprechung, die auf den Stadtplätzen am Stadttor stattfand, daher einerseits ihre Nennung direkt nach den Königen, Fürsten und Propheten, andererseits ihre Parallelisierung mit den Stadttoren in V. 9 und schließlich die Betonung ihrer schweigenden Trauer im Gegensatz zu ihrer eigentlichen Aufgabe als Rechtssprecher. (Zurück zu v.10)
afDas „Ausschütten“ innerer Organe ist in der hebräischen Bibel ein Ausdruck dafür, dass jmd tödlich getroffen ist (vgl. Ijob 16,13; ähnlich 2 Sam 20,10; zu einem ähnlichen Bild s. Ps 22,15). Hier ist das ausgeschüttete Organ anders als in Ijob 16,13 nicht die Galle, sondern die Leber - in der heb. Anthropologie also dasjenige Organ, mit dem der Mensch Emotionen empfindet (vgl. Wolff 1973, S. 104; s. noch Ps 16,9; 30,13; 57,9; 108,2, wo wahrscheinlich jeweils „Leber“ zu lesen ist). Der Sprecher ist zu Tode verzweifelt. (Zurück zu v.11)
agGetreide und Wein - Warum hier Kind und Säugling gerade nach „Getreide und Wein“ fragen, ist schwer verständlich (da Getreide anders als Brot noch nicht gut essbar ist und Wein anders als Milch oder Wasser sicher nicht zu den Grundnahrungsmitteln von Säuglingen gehört). Anders als die sehr häufigen Wortpaare „Getreide und Most“ oder „Getreide, Most und Öl“ und „Brot und Wein“ findet sich das Wortpaar „Getreide und Wein“ sonst nicht mehr in der Bibel; ebenso wenig im Ugaritischen (vgl. del Olmo Lete 1994, S. 14), wo häufig die selben Formeln verbreitet waren wie im Heb. (vgl. Watson 1986, S. 138f.). Vielleicht sollen hier die beiden Wortpaare „Getreide und Most“ und „Brot und Wein“ vermischt werden, um die Abwesenheit jeglicher Nahrungsmittel auszudrücken? (Zurück zu v.12)
ahD.h. mit deinem Untergang. (Zurück zu v.13)
aiUntergang - Talchin: „Untergang“ ist im Heb. šbr und gleicht damit sehr dem Wort mšbr („Woge, Welle“), das gut zum „Meer“ passt (so gut Gordis 1979, S. 164f.). (Zurück zu v.13)
ajW.: „sie deckten nicht auf über deiner Schuld“, nämlich die verbergende Hülle, die es aufzudecken galt. (Zurück zu v.14)
akTextkritik: Schicksal (Gefangenschaft) - urspr. sicher šbt, was sich entweder als šebit ableiten ließe von šbh („gefangen wegführen, deportieren“, also „Gefangenschaft, Exil“) oder als šebut von šub („wenden“, also „Wendung, Schicksal“). Wie noch an 11 anderen Stellen in der Bibel sind hier im heb. Text beide Varianten gleichzeitig überliefert; was gemeint ist, ist ganz unsicher. LXX leitet hier ab von šbh, Vul und Tg von šub und Syr mit einer Doppelübersetzung von beiden Verben: „so dass ich wende deine Gefangenschaft“. Die meisten Üss. haben „Schicksal“; auch LUT und ZÜR, die in älteren Ausgaben noch als „Gefangenschaft“ deuteten, wählen mittlerweile diese Variante. (Zurück zu v.14)
alOrakel - Heb. maß´et, terminus technicus für Unheilsprophetien. Doch gerade diese haben Israels Lügenpropheten nicht prophezeit. (Zurück zu v.14)
amklatschen - beides Ausdrücke feindseliger Schadenfreude; s. Num 24,10; Ijob 27,23. (Zurück zu v.15)
an15f ist überlang; sicher, um auch auf metrischer Ebene die außerordentliche Schönheit Jerusalems auszudrücken. (Zurück zu v.15)
aoMaul aufreißen - Vgl. ganz ähnlich Ps 22,14; Ps 35,16f.: Wie in Ijob 16,9f. (vgl. auch Ps 17,11f.) werden die Gegner hier geschildert wie reißende Raubtiere, die drohend ihr Maul öffnen, die Zähne zeigen und am Ende gar verkünden, Jerusalem aufgefressen zu haben. (Zurück zu v.16)
apWir haben erreicht, gesehen - im Heb. nur zwei Worte: matsa´nu ra´inu. Gemeint ist wohl: „Wir haben unser Ziel erreicht und haben das Erhoffte endlich eintreffen sehen“ - beide Male nämlich die Zerstörung Jerusalems. „Erreicht“ bezieht sich dann zurück auf 16d, „gesehen“ auf 16e. Man könnte geradezu übersetzen: „Geschafft! Geschehen!“ (Zurück zu v.16)
aqdas er gegeben (was er angeordnet) hat: ... Er riss ([es]) ein - Gordis 1979, S. 166 bezieht das „gegeben“ auf den Tempel und nicht auf das Wort. Dann lautet die Übersetzung: „Was er angeordnet hat ..., das riss er ein ...“ (Zurück zu v.17)
arHorn: ein bildhafter Ausdruck für Macht (Zurück zu v.17)
asihr - im Heb. Plural; gemeint sind die Bewohner Jerusalems. (Zurück zu v.18)
atIhr Herz schreit ... Stadtmauer ...: So der masoretische Text. Zahlreiche Übersetzungen und Kommentatoren halten diese Überlieferung von Vers 18a für korrupt. Unter den verschiedenen Verbesserungsvorschlägen hat die Änderung von צָעַק (schreit/schrie) in צַעֲקִי (schrei!) und die Tilgung von חוֹמַת (Mauer) Eingang in viele Übersetzungen gefunden. Neuere Übersetzungen (z.B. 16 anders als 80, ZÜR 07 anders als ZÜR 31) folgen wieder dem masoretischen Text. (Zurück zu v.18)
auAugapfel - W. „die Tochter deines Auges“. (Zurück zu v.18)
avDie Nacht ist in der Bibel recht häufig die Zeit, in der üblicherweise geweint und geklagt wird. Der „Beginn der Nachtwachen“, also 18:00 Uhr, soll wohl ausdrücken, dass wirklich die ganze Nacht hindurch geweint werden soll. (Zurück zu v.19)
awTextkritik: Auffälligerweise hat Vers 19 vier statt drei Doppelzeilen. Es ist recht wahrscheinlich, dass die vierte später hinzugefügt wurde; da sie aber in allen Handschriften und Versionen belegt ist, wäre es textkritisch unverantwortlich, sie zu tilgen (BHQ: „The 'addition' belongs to the development of the text prior to the state that can be reached by texutal criticism.“). (Zurück zu v.19)
axhegen - heb. tafach; unsicheres Wort; wahrscheinlich nur in Klg 2,20.22 in der Bibel. In V. 20 bezeichnet es etwas, dass Mütter an ihren Kindern tun, in V. 22 ist es parallel zu rbh („großziehen“). Ges18, S. 427 schlägt daher „hegen, pflegen“ vor; so z.B. : „die sorgsam gehegten Kinder“; so auch die meisten Üss.. Andere verbinden mit dem sehr ähnlichen Wort tefach („Handbreite“) und übersetzen daher mit „Kinder, die man auf Händen trägt“ (z.B. ELB, LUT). ZÜRs „gesund geborene Kinder“ ist wohl zu erklären mit arab tafacha, das nach einigen auch „voll entwickelte Kinder gebären“ bedeuten kann. Das seltene Wort wurde sicher gewählt, weil es ähnlich klingt wie tabach („abschlachten“), das in V. 21 verwendet wird (=> Talchin). (Zurück zu v.20)
aylegten sich - wohl nicht: „lagen“ (so die meisten Üss.). Das Verb schakab bedeutet überwiegend „sich hinlegen“ statt „liegen“, die Präp. le bezeichnet die „Erde“ als Richtung einer Bewegung statt als Ort einer Handlung aus. Kind und Greis legen sich von selbst hin (aus Schwäche; sicher auch, um zu sterben); die jungen Frauen und jungen Männer dagegen „werden hingelegt“: Sie „fallen durch das Schwert“. (Zurück zu v.21)
azjunge Frauen ... junge Männer - Im Hebräischen sind damit noch nicht Verheiratete gemeint. (Zurück zu v.21)
baDiese Übersetzung ist der Versuch den masoretischen Text von Vers 22a ohne Eingriffe und Sonderbedeutungen folgendermaßen zu verstehen: Gott hat öffentlich beschlossen, dass die Einwohner Jerusalems in der eigenen Stadt und ringumher Fremdlinge sein sollen. Andere deuten מְגוּרַי (meine Fremdlingschaft) als Plural von מָגוֹר (Grauen, Schrecken). Gordis vermutet ein Wortspiel und übersetzt מְגוּרַי als „neighbors (terrors)“. (Zurück zu v.22)