Genesis 35

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Studienfassung (Genesis 35)

1 {Und} Gott sagte zu Jakob: „Mach dich auf! Zieh hinaufa nach Bethel und bleib dort! Mach dort einen Altarb für El, der dir erschienen ist, als du (vor dem Gesicht von=) vor deinem Bruder Esau geflohen bist!“ 2 Da sagte Jakob zu seinem Hausstand und zu allen, die mit ihm [waren]: „Schafft die Götter des Auslandsc fort, die in eurer Mitte [sind]! Reinigt euch und wechselt eure Obergewänder!d 3 Wir wollen uns aufmachen und hinaufziehen nach Bethel! Dort will ich (wollen wir)e einen Altar machen für El, der (mir geantwortet=) mich erhört hat (am Tag=) zur Zeit meiner Bedrängnis, und der mit mir war auf dem Weg, den ich gegangen bin. 4 Da gaben sie Jakob alle Götter des Auslands, die in ihren Händen [waren], und die Ringe, die in ihren (deren) Ohren [waren].f Und Jakob verbarg sie unter der Terebinthe,g die bei (mit) Sichem [war].


5 Dann brachen sie auf. Und ein Schrecken vor Gott (ein Gottes-Schrecken, ein riesiger Schrecken)h (wurde=) kam über die Städte, die um sie herum [lagen], sodass sie die (Söhne=) Mannen Jakobsi nicht verfolgten. 6 So kam Jakob nach Luz, das im Land Kanaan [liegt](das [ist]=) also nach Bethel – er und das ganze Volk, das mit ihm [war]. 7 Er baute dort einen Altar und nannte den Ort „El Bethel“ („Gott von/in Bethel“; er nannte den Ort Gottes Bethel),j weil sich Gott ihm dort offenbart hatte, als er vor (dem Gesicht seines=) seinem Bruder geflohen war. 8 Und Debora, die Amme Rebekkas, starb und wurde begraben unterhalb von Bethel unter der Eiche.g Da[her] nannte er (man) (ihren Namen=) sie „Eiche der Klage“.


9 Gott erschien (war erschienen) Jakob noch einmal, als er von Paddan Aram kam (gekommen war), und segnete ihn (und hatte ihn gesegnet).k 10 Und Gott sagte ihm (hatte ihm gesagt):l

„Dein Name [ist] Jakob.
Man soll deinen Namen nicht mehr ‚Jakob‘ nennen,
sondern ‚Israel‘ (=‚Gottes-Bezwinger‘)m soll dein Name sein!“

So benannte (hatte benannt) er (seinen Namen=) ihn mit dem Namen „Israel“. 11 [Weiter]n sprach (hatte gesprochen) Gott zu ihm:

„Ich bin El Schaddaj.o
Sei fruchtbar und vermehre dich!
Ein Volk – ja, eine Versammlung von Völkern!p – wird von dir (werden=) abstammen
und Könige werden deinen Lenden entspringen!
12 Das Land, das ich Abraham und Isaak gab –
ich will es [auch] dir geben
und [auch] deinen Nachkommen nach dir will ich das Land geben.“

13 Dann fuhr Gott von ihm auf vom Ort, an dem er mit ihm gesprochen hatte. 14 Und Jakob errichtete einen Altar am Ort, an dem er mit ihm gesprochen hatte, eine Stein-Mazzebe,q und er opferte auf ihm ein Trankopfer und ließ Öl auf ihn rinnen. 15 Und Jakob nannte den Namen des Ortes, an dem die Gottheit mit ihm gesprochen hatte, Bethel (an dem er mit ihm gesprochen hatte, Gottheit [in] Bethel).


16 Dann brachen sie (brach er)r auf von Bethel. Es war noch (ungefähr eine Land-berah=) ungefähr eine Postmeiles zu gehen nach Efrata (Efrat).t Da gebar Rahel, und sie hatte es schwer beim Gebären. 17 Als sie es schwer (am schwersten)u hatte bei ihrem Gebären, sagte zu ihr die Hebamme: „Fürchte dich nicht, denn auch dieser [wird sein (ist)] dir ein (denn auch diesmal [wirst du haben (hast du)] einen) Sohn!“v 18 Als ihre Lebenskraft [sie] verließ, weil sie starb, sagte sie: „Sein Name [sei] Ben-Oni (=Sohn meiner Kraft, Sohn meines Leids)!“
Aber sein Vater nannte ihn Benjamin (=Sohn der rechten Seite, Sohn des Südens, Sohn der Tage).w 19 Dann starb Rahel und wurde begraben am Weg nach Efrata (Efrat)t – das ist Bethlehem. 20 Und Jakob errichtete eine Mazzebe über ihrem Grab. Dies [ist] bis zum heutigen Tag die Mazzebe des Rahel-Grabs.x


21 Dann brach Israel auf und schlug sein Zelt jenseits des (eines) Herdenturms (jenseits von Migdal-Eder)y auf. 22 Als Israel in (diesem Land=) dieser Gegend wohnte, ging Ruben hin und beschlief Bilha, die Nebenfrau seines Vaters. Israel hörte [davon].z


Israel hatte 12 Söhne: 23 Die Söhne von Lea: Jakobs Erstgeborener Ruben; Simeon; Levi; Juda; Issachar und (;) Sebulon.aa 24 ([Und]) Die Söhne von Rahel: Josef und Benjamin. 25 ([Und]) Die Söhne von Bilha, der Magd Rahels: Dan und Naftali. 26 Und die Söhne von Silpa, der Magd Leas: Gad und Ascher.
Dies [sind] die Söhne Jakobs, die ihm geboren wurden in Paddan Aram.


27 Dann kam Jakob zu seinem Vater Isaak nach Mamre, [nach] Qirjat Arba.ab Dies ist Hebron, wo Abraham und Isaak (Fremdsassen waren=) als Fremdsassen lebten. 28 Die [Lebens-]Tage Isaaks (waren=) zählten 180 Jahre.ac 29 Dann verschied Isaak und starb. Alt und satt an [Lebens-]Tagen wurde er versammelt zu seinem Volk:ad Seine Söhne Esau und Jakob begruben ihn.

Anmerkungen

Nachdem Jakob und seine Familie sich mit den Sichemitern überworfen haben und „stinkend“ in ihren Augen geworden sind (Gen 34,40), sodass sie Anfeindungen von diesen zu befürchten haben (V. 5), fordert Gott den Jakob auf, nach Bethel zu ziehen, wohin er auch schon vor seinem Bruder geflohen war (V. 1.3), und ihm einen Altar als Fundament des in Gen 28,22 gelobten Gotteshauses zu errichten. Warum Jakob in V. 2 aus dieser neuerlichen Flucht nach Bethel eine Wallfahrt macht, für die sein ganzer Hausstand sich reinigen und den fremdländischen Göttern abschwören muss, ist nicht ganz klar – vielleicht gehört sich das so, wenn man ein Gotteshaus bauen will; vielleicht muss nun, da er „Israel“ geworden ist, auch das ganze „Volk Israel(s)“ sich zu seinem Gott bekennen; vielleicht ist der Wallfahrtsrahmen auch nur Sicherheitsvorkehrung, um die Bewohner der umliegenden Städte davon abzuhalten, Rache zu nehmen. Jedenfalls befolgt Jakobs Volk seine Aufforderungen ohne Umschweife, und so wird zum ersten Mal etwas am Weg vergraben: Die fremdländischen Götzen nämlich werden unter dem heiligen „Großbaum“ von Sichem entsorgt. Damit wird offenbar der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben und Kultgegenstände und Kultort gleichzeitig unbrauchbar gemacht (sehr gut Sarna 2001). Nach dieser Tat ist dann der Nabel der Erde Sichem nur noch „Götzen-Müllhalde“; nun kann Bethel mit der Errichtung des Altars als neuer und allein Gott geweihter Nabel der Erde etabliert werden (Becker 2009, S. 173).


Unbehelligt in Bethel angekommen (Vv. 5f.) befolgt Jakob Gottes Befehl und errichtet den gewünschten Altar, der künftig Gott in Bethel repräsentieren soll. Danach kann er das „Haus Gottes“ Beth-El umbenennen in El Beth-El, „Gott im Haus Gottes“ – mit V. 7 ist damit endgültig Bethel neuer Nabel der Welt und neuer zentraler Wohnort Gottes (später wird es in beiden Funktionen abgelöst werden von Jerusalem, doch das liegt für die Erzählung noch in ferner Zukunft). Sodann wird zum zweiten Mal etwas vergraben: Debora, die Amme Rebekkas, wird unter dem heiligen „Hochbaum“ von Bethel begraben, wodurch wohl auch dieser entweiht und zum bloßen Grabmal mit dem Namen „Eiche der Klage“ umgewidmet wird.
Gewiss ist dies der Grund, warum der Erzähler Jakob die Debora unter einem Baum bestatten lässt: Man darf natürlich nicht aus 1 Sam 31,11-13 ableiten, dass dergleichen im Alten Israel üblich gewesen sei (so z.B. Bloch-Smith 1992, S. 114f.; Bar 2010). Dagegen steht das Zeugnis der Bibel sehr deutlich: Israeliten wollten im Grab ihrer Vorfahren bestattet werden. Zu diesem Zweck wurden bisweilen sogar Leichen exhumiert, um sie zu diesem Grab transportieren zu können (s. Gen 50,7-14; Ex 13,19; Jos 24,32; Ri 16,31; 2 Sam 2,32; 2 Kön 9,28; 23,30), und endgültig zeigt ja 2 Sam 21,11-14, wo David die vergrabenen Gebeine Sauls in seine Familiengrab überführen lässt, dass die Bestattung unter einem Baum defizitär war – besser, als an der Mauer zu verrotten (s. 2 Sam 2,4f.), aber defizitär gleichwohl.
Der Kult wird am neuen Kultort Bethel also gleich in bereinigter Form eingerichtet: Die fremden Götter wurden entsorgt, die Jakobssippe ist im Zustand der Reinheit hierhergelangt und etwaige Nebenkultstätten sind von vornherein ausgeschaltet. Der Vers ist außerdem gewiss gleichzeitig auch ein kultpolitischer Seitenhieb auf einen anderen heiligen Baum: In der Nähe, „zwischen Bethel und Rama“, stand zur Zeit des Autors eine Palme, die mit einer weiteren Debora assoziiert ist: Mit der Richterin Debora nämlich, die nach Ri 4,4-6 unter dieser Palme gerichtet haben soll. Man kann davon ausgehen, dass die Palme danach zur Gedenkstätte für Debora wurde, dass also ein weiterer heiliger Baum als Nebenkultstätte bei Bethel existierte. Auch diese Debora-Palme würde dann hier durch die Blume diskreditiert, indem die „Debora-Eiche“ zum bloßen Grabmal erklärt wird: Die Debora-Palme ist doch, wenn man's recht bedenkt, sogar noch weniger als das! Sicher ist hiermit zu erklären, warum hier auf einmal die Amme Debora eingeführt wird, obwohl zuvor noch nicht einmal ihr Name gefallen war.


Zu Vv. 9-15 gleich mehr, zunächst weiter zu Vv. 16-20: Nachdem der Altar errichtet wurde, macht sich die Reisegruppe wieder auf den Weg. Da wird in V. 16 auf einmal berichtet, dass Rahel übrigens ein weiteres Mal schwanger geworden war und dass nun die Zeit der Niederkunft gekommen ist. Leider! Denn das Timing ist denkbar schlecht; nur noch eine Postmeile wäre bis nach Efrata zurückzulegen gewesen. Und so muss sie ihren Sohn auf freiem Feld zur Welt bringen. Damit geht zwar in V. 17 ihr Wunsch aus Gen 30,24 in Erfüllung und sie gebiert noch einen weiteren Sohn – doch Rahel selbst stirbt im Kindbett. Jakob wird dieser zweite Sohn seiner geliebten Frau daher ähnlich wichtig wie Josef, und nachdem ihm bereits Rahel in V. 18 mit Ben-Oni den Ehrennamen „Sohn ihrer Kraft“ verliehen hat, überbietet er dies noch und macht Ben-Oni zu Benjamin, den „Sohn [seiner] rechten Seite“ – den Sohn also, den er künftig hüten wird wie seinen Augapfel.
Daraufhin wird zum dritten Mal ein Grab am Wegesrand ausgehoben: Diesmal wird in V. 19 Jakobs geliebte Frau Rahel begraben. Anders als in den anderen beiden Fällen wird aber ihr die Ehre zuteil, dass Jakob für sie immerhin in V. 20 eine Mazzebe errichtet.
Warum damit Rahel als einzige Matriarchin nicht in Machpela bestattet ist (s.o.; s. noch Gen 49,31) und warum sie mit ihrem defizitären Begräbnis am Weg auch noch mit den verborgenen Götzen und der begrabenen Debora parallelisiert wird, ist bisher unerklärt. Cox / Ackerman 2009 raten wegen den Bräuchen anderer Kulturen darauf, dass der Tod im Kindbett ein solches Begräbnis im „ordentlichen Grab“ verunmöglicht hätte, weil es sich dabei um einen „schlimmen Tod“ handle: Bei einer Geburt wurde eine Frau zeitweise unrein, Leichen waren unrein, ergo seien im Kindbett gestorbene Leichen hyper-unrein und hätten deshalb kein ordentliches Begräbnis erhalten können (Ackerman 2014, S. 19). In der Bibel und in rabbinischen Schriften findet sich aber überhaupt kein Indiz, dass es sich im Alten Israel so verhielt. Auch die Textlogik spricht stark gegen diese Deutung, da dann die beiden abnormalen Begräbnisse von Debora und Rahel unterschiedlich erklärt werden müssten. Die alten jüdischen Ausleger haben anders gedeutet: Rabbenu Bahja leitet aus unserer Stelle, Gen 23,19 und Num 20,1 stattdessen ab, dass der Usus des Totentransports nur für Männer gebräuchlich gewesen sei, und erklärt dies mit einem Ausspruch im Midrasch, der das mit der „größeren Würde von Frauen“ begründet: Wegen dieser hätten Frauen dort begraben werden müssen, wo sie gestorben waren. Dieser Ausspruch ist allerdings im Midrasch nicht bezeugt; von welcher Stelle Bahja spricht, ist ungewiss. Der Midrasch, dem Jakobs Handeln offenbar selbst erklärungsbedürftig schien, fabuliert stattdessen, Jakob habe vorausgesehen, dass dereinst die Exulanten an dieser Stelle vorbeiziehen sollten, und habe daher Rahel hier begraben, damit sie ihnen Trost spende (ähnlich Pesikta Rabbati 3,4; Lekach Tob; Raschi; Franziskus Vatablus). Schon hier ist also ein stückweit vorweggenommen, wie Rahel heute im Judentum verstanden wird: Als Schutzheilige von Israeliten im Exil. Die ursprünglich angezielte Bedeutung der Verse ist das aber natürlich nicht. Vv. 19f. müssen daher als bisher unerklärt gelten, wenn man sich nicht Ackerman und Cox / Ackerman anschließen will.


In V. 21f. folgt ein kurzer Abschnitt, in dem derart Verwerfliches berichtet wird, dass V. 21 bei der synagogalen Lesung nicht einmal übersetzt werden durfte: Jakobs Erstgeborener Ruben schläft mit seiner Schwiegermutter. Später sollte auf einer solchen Tat die Todesstrafe stehen (Lev 20,11; ähnlich Lev 18,8; Dtn 27,20). Die Tat ist ähnlich verwerflich wie die der Sichemiter und die folgende von Jakobs Zweit- und Drittgeborenen Simeon und Levi in Gen 34; der lange Abschnitt in Gen 34 und der kurze in Gen 35,21f. werden denn auch dadurch miteinander parallelisiert, dass Israel beide Male auf die selbe Weise auf die sexuelle Verfehlung reagiert. Oder vielmehr: Gerade nicht reagiert. Beide Male heißt es nur: „Er hörte davon“; in Gen 34,5 zusätzlich: „aber Jakob schwieg.“
Die Liste der Jakobssöhne, die sich in Vv. 23-26 anschließt, ist danach aufgeladen: Ruben, Simeon und Levi sind nun in Ungnade und werden denn in Jakobs Segen in Gen 49 auch nicht gesegnet, sondern verflucht. Zu preisen ist danach erst wieder Juda, der Viertgeborene Jakobs (vgl. auch 1 Chr 5,1-3). Gen 34; 35,21f. begründen so die Vorrangstellung Judas unter den Stämmen Israels.


So müssen die Vv. 16-22 jedenfalls auf den ersten Blick verstanden werden. Ich (S.W.) möchte hier alternativ eine neue Deutung vorschlagen, die, wenn sie richtig sein sollte, bedeutungsschwer wäre. Der Leser sei gewarnt: Neue und bedeutungsschwere Deutungen sind oft schlicht falsch, und von bisherigen Deutungen geht weniges auch nur in die Richtung des Folgenden. Man lese es also unter Vorbehalt; es ist sehr gut möglich, dass die Verse damit missverstanden sind.
Ist das Wort kibrah in V. 16 richtig als „ungefähr 10km“ verstanden, befindet Jakobs Reisegruppe sich zu Beginn dieses Abschnitts gerade mitten in Jerusalem. Von der Klagemauer bis Bethlehem sind es z.B. 8,4km Luftlinie. V. 21 macht das noch deutlicher: Dass die Reisegruppe kurz darauf ihr Zelt „jenseits eines Herdenturms / jenseits von Migdal Eder“ aufschlägt, soll gewiss anspielen auf den Herdenturm / das Migdal Eder, der in m.Schek vii 4; j.Kid 63a; b.Kid 55a in die Nähe Jerusalems verortet wird und der nach Mi 4,8 zu Jerusalem gehört. Und dennoch wird es so dargestellt, als seien sie gerade unterwegs auf freiem Feld, als seien sie nur auf dem Weg im Niemalsland zwischen den zwei Orten Bethel und Bethlehem. Jerusalem ist keiner Rede wert.
Ist weiterhin die Schlagseite des Götzenbegräbnisses in V. 4 und des Debora-Begräbnisses in V. 8 richtig verstanden worden, ist es dann höchst bedeutsam, dass in V. 19 überraschend Jakobs geliebte Rahel als einzige Matriarchin nicht in Machpela begraben wird, sondern ebenfalls am Wegesrand: Hat wirklich das Götzenbegräbnis den Baum von Sichem als Kultstätte ausgeschaltet und das Begräbnis von Debora den Baum von Bethel, scheint hier sehr verklausuliert darauf angespielt zu sein, dass mit dem Begräbnis von Rahel, deren Grab sich „bis heute“ dort befindet (V. 20), auch der Jerusalemer Tempel als Kultstätte ausgeschaltet ist. Das passt zum Anliegen der Jakoberzählung, statt dem Jerusalemer Tempel Bethel als Kultort zu etablieren, an den das Volk sogar seinen Zehnt entrichten soll (vgl. wieder Oswald 2009, S. 156.166f.). Ist es aber vorstellbar, dass ein derart offensiv „anti-jerusalemischer“ (Oswald 2009, S. 166) Abschnitt in der Bibel bewahrt ist? Ich zweifle, aber die Textlogik scheint dies tatsächlich nahezulegen.
V. 21 legte zu dieser kultischen Diskreditierung Jerusalems noch eine moralische dazu: Als „Israel“ in „diesem Land“ wohnte, macht sich Israels Erstgeborener einer sexuellen Sünde schuldig, die ähnlich schwer wiegt wie die der Sichemiter in Gen 34. „So etwas geschieht, wenn Israel in ‚diesem Land‘ lebt...“ Besser halte man sich daher an Bethel: Israels neuerlicher Niedergang mit dem Tod Rahels und der Sünde seines Erstgeborenen begann in V. 16 mit dem Aufbruch von Bethel.


Nach weiteren 20-30 km Wegstrecke erreicht die Reisegruppe in V. 27 Hebron, den Wohnort Abrahams und Isaaks (Jakobs Familiengrab wäre also in jedem Fall maximal eine Tagesreise entfernt gewesen vom Ort, an dem Rahel starb). Und ein letztes Mal wird jemand begraben: Diesmal Isaak, den seine Söhne Esau und Jakob in V. 29 in Eintracht zu Grabe tragen. Damit enden die Erzählungen von Isaak, Esau und Jakob: Gen 36 wird noch eine Genealogie Esaus bieten und damit auch diesen abhandeln, dann folgt ab Gen 37 die Josefs-Novelle, in der Jakob nur noch eine Nebenrolle spielen wird.


Eingeschaltet in dieses Kapitel ist mit Vv. 9-15 ein Abschnitt, der fast sicher später entstanden ist und der stark v.a. von Gen 17,3-6 abgeschrieben ist: Er soll eine alternative und entmythisierte Variante zu den Erzählungen von Gen 28; 32; 35,5-7 bieten und hat diese aber unpassend nicht verdrängt, sondern wurde an den letzten Abschnitt, für den er als Variante verfasst wurde, angehängt: Die Umbenennung Jakobs nebst Segen und Landverheißung durch Gott in Gen 34, die dort darauf folgte, dass Jakob Gott im Zweikampf besiegte, wird in Vv. 9-12 nach Bethel verlagert und der Zweikampf komplett gestrichen; Jakob hatte in Bethel auch keinen visionären Traum wie in Gen 28 und errichtet danach auch nicht zuerst eine Mazzebe und in Gen 35,7 zusätzlich einen Altar, in denen Gott in Bethel „wohnhaft“ sein konnte und wegen denen Bethel „El Beth-El“ genannt werden kann, sondern Jakobs „Altar, seine Stein-Mazzebe“ (V. 14) markieren nur „den Ort, an dem El Schaddaj (!) mit Jakob gesprochen hatte“ (3x in Vv. 13-15). Wie gut, dass der Abschnitt die anderen Erzählungen nicht verdrängt hat; anders wäre die Jakobsgeschichte weit weniger erzählenswert gewesen.


ahinauf, weil Bethel höher liegt als Sichem. Hinaufziehen ist allerdings gelegentlich auch ein terminus technicus für Wallfahrten, und weil Alt 1959 wirkmächtig angenommen hatte, hier würde eine Ätiologie einer im Alten Israel üblichen Wallfahrt von Sichem nach Bethel geboten, verstehen viele Ausleger auch heute noch den Ausdruck so: Gott forderte Jakob mit diesem Satz zu einer Wallfahrt auf (z.B. Westermann 1981, Seebass 1999; Dörpinghaus 2022, S. 149). Das könnte ursprünglich wirklich die angezielte Bedeutung gewesen sein; im Endtext der Jakoberzählung fordert Gott Jakob aber jedenfalls nicht nur zu einer Wallfahrt auf, sondern mindestes auch dazu, vor den Sichemitern nach Bethel zu fliehen, wie er einst vor seinem Bruder Esau dorthin geflohen ist (s. V. 5; Gen 34,30; so z.B. Turner 2000b; Steinmann 2019). (Zurück zu v.1)
bTextkritik: Statt Zaqef lies Rebia wie z.B. in den Handschriften G11, TI6, TA18. Akzentuiert ist dann wie üblich in Hauptsatz-Nebensatz-Gefügen: [[HS: Mach dort einen Altar |Rebia für El, |Paschta der dir erschienen ist,]Zaqef [NS: als du flohst |Zaqef vor dem Gesicht |Tifcha deines Bruders Esau.]]Silluq (Zurück zu v.1)
cdie Götter des Auslands sind fast sicher nicht Götzen aus Sichem, das ja nicht im „Ausland“ liegt, sondern Götzen, die Jakobs Hausstand aus Aram mitbegracht haben. Vgl. JosAnt 18.9.5 „Da sie nach dem Tod ihres ersten Mannes in Gefangenschaft geriet, verbarg sie die Bildnisse der Götter, die sie mit jenem Manne verehrt hatte, und nahm sie nach dem Brauch ihres Landes mit sich. In jenen Gegenden ist es nämlich allgemein Sitte, Götterbilder zu Hause zu haben und dieselben auf Reisen mitzunehmen.(Üs. nach Clementz). Dazu gehören dann gewiss auch die Terafim, die Rahel in Gen 31,19 mitgehen lassen hat. (Zurück zu v.2)
dWechselt eure Obergewänder, also „zieht eure Sonntagskleidung an!“. Mit dem Fortschaffen der Götzen, der Reinigung und dem Abtun der Alltagskleidung kann Jakobs Hausstand dann als Gott bereitetes Volk zu dessen Wohnort Bethel ziehen. Vgl. ähnlich Ex 19,10f.. Eher nicht sind die drei Handlungen dazu gedacht, sich vom Blutvergießen in Gen 34 zu reinigen (so z.B. Wenham 1994; Vrolijk 2011, S. 284); hierzu passt das Abtun der Götzen nur schlecht. (Zurück zu v.2)
eTextkritik: Die Alternative nur nach LXX, VUL, gewiss als Angleichung an die vorangehenden Verben (richtig BHQ, Ruppert 2005). (Zurück zu v.3)
f
Bild 1: Ein der Göttin Geštinanna geweihter Ohrring. (c) Amiet / Lambert 1973, S. 160.
Bild 2: Ohrringe mit geflügelten Figuren aus der Grabhöhle von Za'aquqa, 1. Jhd. n. Chr. (c) IMJ.
Bild 3: Assyrisches Götterwesen mit Ohrring und Armreif. CC0 via MetMus
Gemeint sind wahrscheinlich Götzen geweihte Ohrringe in den Ohren der Menschen aus Jakobs Hausstand. Für ein Bsp. s. rechts, Bild 1. Im Aramäischen heißen solche „Ohrringe“ regulär qadaša` („Geheiligtes“, s. Levy ChW s.v.). Sie waren im Alten Israel sehr gebräuchlich (vgl. Krauss 1910, S. 204; nach Plinius, NatHist XI 136 trug man im Orient allgemein Ohrringe; nach dem Midrasch ExR 15,3 hatte selbst die ärmste Frau zwei davon). Zweifellos waren nicht alle Ohrringe Göttern geweiht (richtig Keel 1973, S. 306f. FN 4); dass auch solche aber nicht selten waren, lässt sich wegen dem aramäischen Begriff, diversen Verboten „götzendienerischen Schmucks“ v.a. in der Tosefta (z.B. t.A.Z. 5) und Funden wie dem rechts auf Bild 2 aber kaum bezweifeln.
Gemeint sein könnten außerdem Ohrringe in den Ohren von Götzenstatuen. Dass auch Statuen solche Ohrringe trugen, ist in mehreren altorientalischen Texten bezeugt (vgl. Hallo 1983, S. 16f.; Hurowitz 2000, S. 30). Entsprechend sind auch Götterwesen auf Reliefs u.ä. d.Ö. geschmückt, s. Bild 3.
Ex 32,3f. und Ri 8,24-28 machen die erste Option wahrscheinlicher. Dass dort aus solchen Ohrringen das goldene Kalb und ein Ephod gegossen werden, sind dann symbolische Handlungen: In Ex 32,3f. schwören die Israeliten damit ähnlich den Göttern des Auslands ab, wenden sich damit aber nicht JHWH zu, sondern leider eben dem goldenen Kalb. (Zurück zu v.4)
gDer Baum in V. 4 heißt ha`Elah, der in V. 8 ha`Alon. Beides heißt wahrscheinlich nur „hoher Baum“, an Jes 6,13 und Hos 4,13, wo beide Wörter zusammen verwendet werden, erkennt man aber klar, dass die zwei Wörter unterschiedliche Baumarten bezeichnen. In beiden Worten stecken außerdem die Konsonanten `l („Gott“); was die Bezeichnungen in unseren Versen besonders passend macht, weil es sich um heilige Bäume handelt. Welche Bäume die Worte allerdings genau bezeichnen ist unklar; Terebinthe und Eiche sind nur Traditionsübersetzungen.
Dass so die „unter dem Hochbaum verborgenen“ Götzen und die „unter dem Großbaum begrabene“ Amme und in V. 19 auch noch die „am Weg begrabene“ Rahel parallelisiert werden sollen, ist danach überdeutlich; was genau mit dieser Parallelisierung zum Ausdruck gebracht werden soll, ist aber rätselhaft. S. die Anmerkungen. (Zurück zu v.4 / zu v.8)
hGemeint ist entweder, dass Gott auf irgendeine hier nicht präzisierte Weise an den Städten seine Macht demonstrierte (wie in Jos 24,12 durch Hornissen oder in 1 Sam 7,10 ein Gewitter; vgl. noch Ex 15,14; 23,27), weshalb sie zu verängstigt waren, um Jakobs Mannen zu verfolgen (so z.B. Boecker 1992), oder gemeint ist nur, dass man an den in Vv. 2-4 beschriebenen Handlungen ablesen kann, dass Jakobs Hausstand auf Pilgerfahrt ist, wonach deshalb die umliegenden Städte es nicht wagen, über sie herzufallen. Die Üs. riesiger Schrecken (so Soggin 1997; Goldingay 2020) ist möglich, macht in diesem Kontext aber wenig Sinn. (Zurück zu v.5)
iGemeint sind nicht speziell die zwölf leiblichen Söhne Jakobs, sondern sein ganzer Hausstand. LXX hat das präzisiert, indem sie frei mit „Söhne Israels“ übersetzt. (Zurück zu v.5)
jIn Gen 28 hatte Jakob den Ort „Beth-El“ („Haus Gottes“) genannt, weil Gott ihm dort erschienen war. Nun, nachdem er einen Altar errichtet hat, der Gott repräsentiert und in dem Gott wie in einem Tabernakel je und je anwesend ist (zur Vorstellung vgl. Keel 1997, S. 145; Tigay 2004, S. 205-207), kann er den Ort noch einmal umbenennen und ihm den merkwürdigen Namen „El Beth-El“ geben, „Gott im/vom Haus Gottes“. Nun nämlich ist der Ort ein „Gottes-Ort“. Vgl. theologisch ähnlich in Ri 6,24 den Altar mit dem Namen „JHWH Schalom“ und wahrscheinlich den in Ex 17,15 mit dem Namen „JHWH meine Standarte“.
Textkritik: Die Theologie hinter dem Namen lässt sich also gut erklären. Der Name ist dennoch so merkwürdig, dass LXX, VUL und Syr in Angleichung an V. 15 das erste „Gott“ streichen, wonach Jakob den Ort hier ein zweites Mal (und in V. 15 dann ein drittes Mal) „Bethel“ nennen würde (Otto 1979, S. 72; Westermann 1981; Blum 1984, S. 37 halten das sogar für den ursprünglichen Wortlaut). Den selben Effekt hat die Üs. „Er nannte den Ort Gottes Bethel“, ein kluger Übersetzungsvorschlag von Krüger 2016b, S. 8, der dafür nur von der masoretischen Akzentuierung absehen muss. Zumindest im Endtext der Jakoberzählung heißt der Ort aber ja bereits „Bethel“. (Zurück zu v.7)
kEntweder Plusquamperfekt; die Rede wäre dann in V. 9 von dem, was Gen 32 berichtet. Oder vorausgesetzt wird hier, dass Jakobs Heimkehr aus Paddan Aram erst mit seiner Reise nach Bethel wirklich beendet ist (gut Baumgarten 1843, S. 296); mit seiner Ansiedlung in Sichem wäre er also noch nicht richtig „aus Paddan Aram zurückgekehrt“. Nur so fügen sich Vv. 9-15 einigermaßen in den Rest der Jakoberzählung. Tatsächlich ist es aber fast sicher so, dass ein späterer Autor mit diesen Versen eine entmythisierte Variante zu den Erzählungen von Gen 28; 32; 35,5-7 verfasst hat, die hier unpassend neben diese eingefügt wurde (richtig z.B. Blum 1984, S. 268f.; Krüger 2016b, S. 11; Schmid 2017, S. 61; Klein 2019, S. 162f.). (Zurück zu v.9)
lDie folgenden Zeilen werden z.B. von BHK und Hamilton 1995 nicht wie üblich als Prosa analysiert, sondern als Poesie; V. 11 zusätzlich z.B. von Krauss / Küchler 2004 und ALTER. Es ist gut möglich, dass das richtig ist; als Prosa-Äußerung wäre V. 10 jedenfalls arg umständlich formuliert. (Zurück zu v.10)
mZum Namen Israel s. zu Gen 32. (Zurück zu v.10)
nDie überflüssige zusätzliche Redeeinleitung signalisiert, dass das Folgende, obwohl es von der selben Person gesprochen wird, ein neuer Rede-Abschnitt mit einer anderen Sprechhandlung ist: Benennung in V. 10, Verheißung in V. 11. S. zu dieser Konstruktion näher zu Gen 30,28. (Zurück zu v.11)
oEl Schaddaj - Verhältnismäßig seltene Gottesbezeichnung. Bed. w. wohl „Gott vom Berge“ oder „Gott der Wildnis“; vgl. DDD, S. 749f. Die Seite Gottesnamen schlägt für die LF die Üs. „Gott Schaddai“ vor. Wichtig für die LF ist aber v.a., dass erkennbar wird, dass hier fast wortwörtlich Gen 17,3-6.16 wiederholt werden: Gottes Verheißung für Abraham wird nun übertragen auf dessen Enkel Jakob. (Zurück zu v.11)
pGemeint sind nicht die zwölf Stämme Israels (so z.B. Hamilton 1995; Ruppert 2005). Diese heißen nicht goj („Volk“); dies ist stattdessen ein stehender Begriff für Fremdvölker. In der Logik der Bibel passt diese Verheißung daher sehr gut zu Abraham, der z.B. auch Stammvater der arabischen Völkern war – zu Jakob aber nicht. Die Interpretation von Lee 2009, gemeint sei jene Zeit am Ende der Zeiten, da auch Fremdvölker sich als JHWH-Verehrer um Israel scharen werden (z.B. Jes 19,24f.; 56,3-7; Sach 2,15), ist schön für die geistliche Schriftlesung, aber kaum die angezielte Bedeutung auch unseres Verses, da diese Völker ja nicht auf Jakob zurückgehen. Man muss sich die Verheißung wohl so erklären, dass ein Autor es in Kauf nahm, dass die Verheißung gar nicht zu Jakob passt, um damit umso deutlicher zu machen, dass es exakt die selbe Verheißung ist, die auch schon Abraham verheißen wurde, die nun an Jakob weitergegeben wird. (Zurück zu v.11)
q
Altar-Mazzebe aus Ninive. (c) Gitin 2002, S. 111.
einen Altar, eine Stein-Mazzebe - Gemeint ist wegen der Apposition von Altar und Stein-Mazzebe offenbar eine Mischform aus beiden Stein-Monumenten, wie sie etwa auch im Nabu-Tempel von Ninive bezeugt ist (s. rechts). Jakob bricht also auch hier nicht mit seinem Usus, überall Mazzeben zu errichten, wo er hinkommt. (Zurück zu v.14)
rTextkritik: MT, Sam und die Targumim haben Pl. und damit exakt die selbe Formulierung wie in V. 5. LXX, VUL und Syr dagegen haben Sg. Ball 1896, BHK und BHS gehen nicht auf diese Differenz ein; Wevers 1993, S. 583 und BHQ halten MT für ursprünglich und LXX, VUL und Syr für eine Assimilation an den Nahkontext, da zuvor ebenfalls nur von Jakob im Sg. die Rede war und V. 21 von „Israel“ im Sg. spricht. Mindestens ebensogut möglich wäre es, dass MT V. 16 an V. 5 angeglichen hat, wonach LXX, VUL und Syr den ursprünglichen Text böten. So aber m.W. (S.W.) kein:e Ausleger:in, daher sollte auch OfBi besser MT folgen. Der Rest ist textkritisch unproblematisch, aber ein sehr schönes Bsp. für einen Augensprung: Weil in der Formulierung von LXX Vv. 16 ebenso beginnt wie V. 21, hat ein Schreiber mit V. 16 begonnen, dann den Rest von V. 21 angeschlossen und dann erst V. 16 beendet: Dann brach er auf von Bethel. (V. 16a) Er schlug sein Zelt gegenüber von Migdal Eder auf. (V. 21) Es war noch eine Land-Chabrata zu gehen... (V. 16b). (Zurück zu v.16)
sW. kibrah des Landes. kibrah scheint dabei ein unbekanntes und nur noch in Gen 48,7; 2 Kön 5,19 belegtes Landmaß zu sein. Das Wort war offenbar auch den Alten unbekannt; man sieht daher hier einen ganzen Blumenstrauß von Strategien der Alten, mit unbekannten Worten umzugehen: (1) LXX transkribiert schlicht als chabratha. (2) TgO wählt stattdessen ein anderes Landmaß, Aq übersetzt allgemein „Wegstrecke über das Land“. (3) Weil das Wort aussieht wie die Präp. k- + das Wort bar („Getreide“), haben TgJ und TgN „zur Erntezeit“ und VUL ähnlich „zur Frühlingszeit“. (4) Syr kombiniert (2) und (3): „Zur [Zeit des] Pflügens von einer Parasange Land“ (vgl. BHQ 165*). (5) Weil es außerdem aussieht wie das heb. Wort für „Sieb“, deutet schließlich Midrasch GenR: „Als das Land löchrig war wie ein Sieb.“
Die beste Erklärung ist die mithilfe des akkadischen bēr („Zweistundenstrecke“; das Wort entspricht damit exakt der alten „Postmeile“ = „eine Wegstrecke von zwei Stunden“), das d.Ö. in der Fügung bēr qaqqari („Land-Zweistundenstrecke“) verwendet wird (z.B. Vogt 1975; Wenham 1994; Ritter 2003, S. 28; Steinmann 2019; ALTER; auch die „Meile“ von Boecker 1992 rechnet wohl noch mit der Postmeile – der Einwand von Ruppert 2005, außer Garbini 1977 habe sich niemand Vogt angeschlossen, stimmt also nicht). „Ungefähr (k-) eine Zweistundenstrecke“ sind dann, wenn wir von der Annahme in ISBE ausgehen, das Längenmaß „Tagesreise“ rechne mit acht Stunden Reise bei durchschnittlich 5km/h, also 40km, „ungefähr 10 km“.
Ist das richtig, hat der Autor dieses ungebräuchliche Längenmaß vielleicht gewählt, um zu unterstreichen, wie bitter das Timing ist: Nur noch eine Postmeile wäre zurückzulegen gewesen, bis in Efrata Rahel eine bessere Infrastruktur zum Gebären zur Verfügung gehabt hätte! S. allerdings noch die Anmerkungen. (Zurück zu v.16)
tEfrata (Efrat) - Die Endung -ah ist entweder die Lokativ-endung (bis Efrat“) oder gehört zum Wort ([bis] Efrata“). Gen 48,7 rechnet mit Option 1 und spricht von „Efrat“; die Gleichsetzung von „Efrat(a)“ mit Bethlehem in V. 19 dagegen rechnet mit Option 2. So auch die meisten dt. Üss.; „Efrat“ nur in B-R, ELB, MEN, PAT, R-S, TUR, van Ess, ZÜR. Auch LUT übersetzt neuerdings mit „Efrata“. (Zurück zu v.16 / zu v.19)
utFN: V. 16 hat das Wort im sog. Piel-Stamm, V. 17 im sog. Hifil-Stamm. Speiser 1964 rechnet daher mit einer „superlativischen Bedeutung des Hifil“. Angeschlossen hat sich z.B. Wenham 1994. Beide übersetzen daher hier: „When her labor was at its hardest...“. Diese Stelle ist aber die einzige mir (S.W.) bekannte Stelle, bei der diese Annahme überzeugend ist; solange keine weiteren Belegstellen beigebracht wurden, kann man Speiser und Wenham nicht guten Gewissens folgen. (Zurück zu v.17)
vDie Hebamme weiß also um Rahels in Gen 30,24 geäußerten Wunsch, durchaus noch einen weiteren Sohn gebären zu wollen. (Zurück zu v.17)
wBen-Oni ... Benjamin - Umstrittener Name. (1a) In Gen 49,3 sagt Jakob über Ruben, er sei „Erstgeborener seiner Stärke, Erstling seiner `oni = Kraft“. Nach dieser Parallele nennt Rahel ihren zweiten und damit Jakobs jüngsten Sohn ebenso, wie er später seinen ältesten Sohn bezeichnen wird (so z.B. BigS; Schäfer-Bossert 1994). (1b) Wegen dem Kontext wird der zweite Bestandteil von Ben-Onis Name heute allerdings fast einheitlich stattdessen abgeleitet von ´anah („leiden“). Dieser unschöne Name hätte Jakob dann zur Umbenennung veranlasst. Das wirkt auf den ersten Blick näherliegend; ebenso gut kann aber Jakob „einem positiv konnotierten Namen aus der Perspektive der Mutter ein[en] zweite[n] positive[n] aus der Perspektive des Vaters hinzu[gegeben haben](Mulzer 2008). Wegen der sehr nahen Parallele Gen 49,3 ist wirklich das das Wahrscheinlichere.
(2a) Der zweite Teil von Ben-jamin könnte sich ableiten von jamim („Tage“) mit nuniertem Mem, also „Sohn [nach vielen] Tagen“ (so TestBen 1,16; Raschbam, ähnlich Chizkuni [„Sohn von Jakobs alten Tagen“], שאנן 1978). (2b) Weit häufiger wird dieses Wort aber abgeleitet von jamin („rechts, südlich“). Darüber, dass zumindest historisch gesehen dies mit jamin gemeint war, können wir uns wegen dem biblischen Running Gag, dass aus dem Stamm Benjamin mehrere Linkshänder hervorgingen (Ri 3,15; 20,15f.; 1 Chr 12,2), fast sicher sein. Wahrscheinlich ist mit den mārū jamīn(a/i) („Rechts-Leute, Süd-Leute“) auch ein sehr ähnlicher Volksname bezeugt. (2c) Die meisten Ausleger:innen gehen denn auch hiervon aus, deuten dann aber weiter: weil im arabischen Sprachgebrauch die „rechte Seite“ die „Glücksseite“ ist, wäre danach Benjamin nicht das „Leidkind“, sondern das „Glückskind“. Im Hebräischen ist dieser Sprachgebrauch aber nicht belegt. (2d) Alternativ wird Benjamin gelegentlich als „Kind des Südens“ erklärt – entweder deshalb, weil Benjamin als einziges Kind Jakobs in Kanaan und damit südlich von Aram geboren war (z.B. Raschi, Ramban) oder weil das Stammesgebiet der Benjaminiter das südlichste von Nordisrael war (z.B. Klein 2019, S. 167). (2e) Tur schließlich nimmt ein Wortspiel an: Rahel habe das missverständliche „Sohn von Oni“ gewählt und dabei nicht „Sohn meines Leids“ gemeint, sondern eben „Sohn meiner Kraft“, und Jakob hätte dies nur präzisiert, indem er seinen Sohn umbenannte zu „Sohn der rechten = kräftigen Hand.“ (ähnlich Zakovitch 2012, S. 131). (2f) Mir (S.W.) ist die Deutung von Radak am sympathischsten, weil nach ihr der Name „Benjamin“ auch im Buch Genesis Sinn macht – und das sollten wir erwarten, da nur bei ihm unter Jakobs Kindern eine Geschichte zu seinem Namen erzählt wird. Radak geht aus von Ps 80,18, wonach „jemand ist zu jemandes rechter Hand“ ein Ausdruck für einen besonders geliebten Menschen ist, den man nicht von seiner Seite weichen lässt. Danach wäre „Benjamin“ hier der „Sohn [meiner = Jakobs] rechter Hand“. Das würde dann weiter in der Josefserzählung erklären, warum Jakob nur Benjamin nicht mit seinen Brüdern nach Ägypten ziehen lassen hat (s. Gen 42,13.38; ähnlich Mulzer 2008). (Zurück zu v.18)
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Rahels Grab. Gravur, 17. Jhd. CC0 via Wikimedia Commons
Das ausgebaute Rahelgrab auf Banknote und Briefmarke, 20. Jhd. CC0 via Wikimedia Commons
Das Rahel-Grab hat eine solch tragische Geschichte, dass sie hier kurz nacherzählt sei, obwohl sie für das Verständnis des Bibeltexts nicht relevant ist. In nachbiblischer Zeit wird das erste Mal wieder von Eusebius (4. Jhd.) vom Rahel-Grab berichtet; er kennt es entsprechend den Genesis-Stellen als altehrwürdiges Monument in der Nähe von Bethlehem. Zwei Jahrhunderte später berichtet ähnlich der Pilger von Piacenza: „An der Straße nach Bethlehem, beim dritten Meilenstein von Jerusalem aus, liegt der Leichnam der Rahel, am Rande des Ortes, der Rama heißt.“ (nach Drbal 2018, S. 186). Wegen 1 Sam 10,2 und Jer 31,15 denken viele Ausleger, die Verortung des Rahelgrabs in die Nähe von Bethlehem sei falsch und gemeint sein müsse etwa 15km Luftlinie entfernt ein unbekannter Ort Efrat nahe Rama, dem heutigen al-Ram nördlich von Jerusalem (vgl. bes. ausführlich Strickert 2007, Kap. 5). Darf man dem Pilger von Piacenza glauben, gab es aber südlich von Jerusalem in der Nähe von Bethlehem einen Weiler, der ebenfalls „Rama“ hieß, wonach sich Gen 35 und Jer 31,15 gar nicht widersprächen. Darf man ihm nicht glauben, ändert das auch nicht viel: Erstens wird in Jer 31,15 gar nicht gesagt, dass Rahels Weinen aus Rama erklingt, sondern nur, dass es in Rama „gehört wird“ – über den Ort von Rahels Grab lässt sich hieraus nur wenig ableiten (richtig Ramban: „Rahel weinte so laut, dass es selbst noch in Rama gehört wird“). Und zweitens hat Tsevat 1962, S. 108f. überzeugend argumentiert, dass man beramah in Jer 31,15 in Orientierung an Jer 3,21 gar nicht als „in Rama“ verstehen kann, sondern als „in der Höhe“ interpretieren muss, und darauf hingewiesen, dass außerdem in diesem Vers von Rahels Grab gar nicht die Rede ist. Ähnlich wenig lässt sich aus 1 Sam 10,2 ableiten, da Saul ja auf der Suche nach seinen Eselinnen ist und dafür auch in 1 Sam 9,4 weit umhergestreift ist. Ist dort mit der „Grenze des Benjaminiter-Gebiets“ die Südgrenze gemeint, könnte auch dieser Vers leicht einen Ort südlich von Jerusalem bezeichnen (richtig Hamilton 1995). 1 Sam 10,2 und Jer 3,15 sprechen damit nicht gegen den Ort bei Bethlehem.
Jedenfalls hielt man später allgemein den Ort nahe Bethlehem für das Rahelgrab, der sich bald zu einer interreligiösen Pilger- und Grabstätte entwickelte: Im 11. Jhd. wird von einem christlichen Friedhof um das Grab berichtet, im 15. Jhd. von muslimischen Gräbern, im 19. Jhd. auch noch zusätzlich von jüdischen Gräbern (vgl. Bowman 2014, S. 33f.). Was genau weiter im 19. Jhd. geschah, ist nicht sicher zu rekonstruieren, da Berichte schon hier stark von interreligiösen Konflikten gefärbt sind; in jedem Fall wird auf eine Klage, Beduinen hätten Juden das Grab nur gegen Bezahlung betreten lassen, vom Gouverneur von Damaskus ein Erlass veröffentlicht, dass auch Juden Zutritt zum Grab haben müssten (was zu dieser Zeit noch nicht selbstverständlich war). Wohl auch deshalb entwickelte es sich immer mehr zum Symbol des interreligiösen Konflikts, und dies zumal, nachdem 1848 der Proto-Zionist Moses Montefiore das Grab renovieren lassen hatte und ein sefardischer und ein aschkenasischer Jude die gemeinsame Schlüsselgewalt über das Monument erhalten hatten. In seiner renovierten Form prunkte es daher später selbst auf Banknoten und Briefmarken (s.o.). Wohl auch deshalb, weil damit das Grab sozusagen judaisiert worden war, wurde von muslimischer Seite aus zunehmend propagiert, hier sei nicht nur die auch Muslimen wichtige Rahel begraben, sondern außerdem die muslimische Sufi-Heilige Rabia von Basra (deren Grab früher und auch heute noch von den meisten auf den Ölberg verortet wird), und der Rahel-Schrein sei außerdem lange Zeit eine dem Mohammed-Gefährten Bilal ibn Rabah gewidmete Moschee gewesen. Letzteres hat 1996 die UNESCO auch offiziell anerkannt, wird dagegen von jüdischer Seite bestritten – wenn ich (S.W.) richtig sehe, zu Recht. Gleichzeitig stieg der Schrein wegen dieser Konflikte und wegen dem Aufkommen einer neuen Deutung der Figur von Rahel auf israelischer Seite immer stärker in der Importanz und entwickelte sich von einem selbst noch für die frühen Zionisten unbedeutenden Ort zu einer der drei heiligsten Stätten überhaupt in Israel: Rahel ist die „Mutter des Volkes Israel“, die sich vor allem von „im Exil“ lebenden Jüd:innen anrufen lässt (vgl. Sered 1995; Cohen-Hattab / Kohn 2017; s. auch oben die aus dem Midrasch zitierte Tradition zum Rahelgrab). Jüngste Folge dieser Entwicklungen ist, dass von 1996-1997 das Rahel-Grab daher von Israelis zur Festung ausgebaut und hinter der Stadtmauer bei Bethlehem abgesperrt wurde, wie sich gut in diesem YouTube-Film sehen lässt (Trigger-Warnung). Damit ist endgültig die einstige interreligiöse Pilgerstätte zum Symbol für den Nahostkonflikt geworden. (Zurück zu v.20)
yEin Herdenturm ist ein Wachturm, wie sie von Archäologen häufig gefunden wurden und von denen aus Hirten offenbar besonders komfortabel ihre Herden überblicken konnten (vgl. Keel / Küchler 1982, S. 641). Entweder ist hier also von einem Gebäude die Rede oder von einem Ort, der nach diesem Gebäude benannt wurde. Wegen Mi 4,8 hält man v.a. unter Micha-Kommentatoren Migdal-Eder zumeist für einen Stadtteil Jerusalems. Nach m.Schek vii 4; j.Kid 63a; b.Kid 55a („von Jerusalem bis [zum] Migdal-Eder“) liegt Migdal-Eder aber klar außerhalb von Jerusalem und ist dann laut Mi 4,8 nur Besitz Jerusalems. Hieronymus berichtet in HebQuaest, er läge 1000 Schritt von Bethlehem entfernt; sehr verlässlich ist dieses Zeugnis aber nicht, da der Ort teilweise aus der Weihnachtsgeschichte abgeleitet wird. Dennoch hat spätestens hier – wenn denn das Rahelgrab doch nördlich Jerusalems verortet worden sein sollte (s.o.) – Jakob mit seiner Familie also Jerusalem durchquert, ohne dass dies mit einem Wort erwähnt worden wäre (gut gesehen von Oswald 2009, S. 166: „Israel lässt Jerusalem gewissermaßen links liegen.“). Ähnlich funktioniert Mi 4,8: Da Jerusalem verloren ist (Mi 4,10), wird das „Königtum der Tochter Jerusalem“ stattdessen (!) zum „Herdenturm“ gelangen. Man versteht beide Stellen am besten, wenn man Migdal-Eder als eine Art entferntesten Aussiedlerhof Jerusalems auffasst. Selbst in diesen kehrt Jakob aber nicht ein, sondern schlägt sein Zelt jenseits davon auf. Das passt gut zu Jakob, dem Kultstifter Bethels, des kultischen Konkurrenten Jerusalems. (Zurück zu v.21)
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Gen 35,22 in der Handschrift G11 (13. Jhd.)
tFN: Dieser Vers ist für die biblische Textgeschichte gleich dreifach spannend. Erstens gehört er zu den wenigen Versen mit einer Pisqa Be'emtsa' Pasuq, also einem „Einschnitt inmitten des Verses“. Die Gliederung des Textes in Verse beißt sich hier also mit der Leseordnung. Zweitens ist der Vers einer der wenigen, bei denen sich diese Pisqa auch erklären lässt: Der erste Versteil gehört weiter nämlich zu jenen, die bei einer öffentlichen Lesung „nicht [ins Aramäische] zu übersetzen“ sind (m.Meg iv 10); der Vers soll von Hörern bei der synagogalen Lesung also nicht verstanden werden. Er ist daher drittens einer jener Verse, die doppelt akzentuiert sind. `abiw („sein Vater“) hat daher z.B. Zaqef und Athnach, Israel einen weiteren Athnach, aber keinen Silluq, der nur in der untersten der rechts abgebildeten Zeilen nach ´aßar („zehn“) zu sehen ist. Der Vers ist damit ein starkes Indiz dafür, dass der „Ur-Akzent“ (Idelsohn) Silluq mit der Targum-Lesung zusammenhing und ursprünglich für diese in den hebräischen Text eingeführt wurde, weshalb er hier eben als einziger in der doppelten Akzentuierung ausgespart werden konnte. (Zurück zu v.22)
aaZu den Namen s. zu Gen 29-30. (Zurück zu v.23)
abTextkritik: Lies mit BHK, BHS, Delitzsch 1920, S. 3 und Ruppert 2005 nicht qrjt h`rb´, sondern qrjth `rb´: „Arba“ ist nach Jos 15,13 ein Eigenname und wird dann nicht durch Artikel determiniert. (Zurück zu v.27)
acIn Vv. 28f. wird vorweggenommen, was erst später geschah: Nach Gen 25,20.26 mit Gen 47,9 stirbt Isaak erst, als Jakob 120 ist; zehn Jahre vor der Übersiedlung seiner Familie nach Ägypten. (Zurück zu v.28)
adversammelt zu seinem Volk - seine Gebeine wurden also ins Sippengrab gelegt. Syr macht das ausdrücklich, indem sie ergänzt: „im Grab, das sein Vater Abraham gekauft hatte.“ (Zurück zu v.29)