Psalm 19

Aus Die Offene Bibel

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Lesefassung (Psalm 19)

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Anmerkungen

Studienfassung (Psalm 19)

1 Für den Chorleiter (Dirigenten, Singenden, Musizierenden).a
Ein Psalm (begleitetes Lied) von (für, über, nach Art von) David.


2 Der Himmel verkündetb (Die Himmel verkünden)c die Herrlichkeit (Lichtglanz, Glorie)d Gottes

und das Walten (Werk)e seiner Hände (sein Walten)f macht kund das Firmament (Himmelsgewölbe)g:

3 Tag für Tag äußert es (strahlt es hervor, sprudelt es hervor?)h Rede (Ein Tag äußert gegenüber [dem nächsten] Tag Rede, Tag für Tag äußert man?)i,

Nacht für Nacht lehrt es Kenntnis (Wissen, Weisheit; eine Nacht lehrt [der nächsten] Nacht Kenntnis, Nacht für Nacht lehrt man Kenntnis?j).

4 Nicht [ist es eine] Rede [und] nicht [sind es] Worte,

[deren] Klang nicht gehört würde:k

5 Ihr Klang (Ihre Schnur?, Ihr Ruf?)l geht aus über die ganze Erde

und bis ans Ende der Welt [geht aus]m ihr Reden.

Der Sonne (dem Sonnenball)n hat er gebaut ([ist (gehört)] dort)o ein Zelt aus (an) ihmp. 6 Und sie [ist] wie ein Bräutigam, [der] ausgehtq aus seinem Brautzelt (Zelt)r,

sie freut sich wie ein Held [darüber (sich darüber freut)],s die Bahn zu durchlaufen.

7 Am [einen] Endet des Himmels (der Himmelu) [ist] ihr Ausgang

und ihr Abgang [ist] am (ihr Wendekreis [ist (reicht)] bis zum) [anderen] Ende,
nichts ist vor ihrer Glut (Hitze, seiner Sonne)v verborgen.


8 Das Gesetzw JHWHs [ist] vollkommen (makellos) -x bringt zurück Lebenskraft (gibt neue Lebenskraft, bekehrt {die Seele})y;
Die Satzungw JHWHs [ist] zuverlässig (glaubwürdig) -x macht den Einfältigen weise.
9 Die Weisungenw JHWHs [sind] richtig (die richtigen, angenehm) -x erfreuen das Herz (erfreuen {das Herz}, erhellen den Geist)z,
Das Gebotw JHWHs [ist] lauter (licht)aa -x macht die Augen hellab. 10 Das Wort JHWHs (die Furcht vor JHWH, die JHWH-Religion?)ac [ist] rein (leuchtend)ad -x besteht in Ewigkeit,
Die Rechtssätzew JHWHs [sind] Wahrheit (wahr, die wahren)ae -x sind gerecht (im Recht, die rechten) allesamt (und noch dazu sind sie gerecht).


11 [Durch]af sie, die begehrenswerter sind als Gold,

ja, als (und als) reichlich Reingold,

und süßer als Honig

ja, (und) [als] Honig des Honigsag,

12 wird auchah dein Sklaveai gewarnt (erleuchtet)aj {durch sie}af.

In ihrer Befolgung [ist (liegt)] reichlich Lohnak.

13 [Doch]al Versehen (versehentliche Fehler)am - wer bemerkt siean?

Von den Verborgenen (ungewollte Sünden)ao mache mich rein;

14 Auch von Vermessenheit (vermessenen Menschen, willentlichen Sünden)ap halte zurück deinen Sklavenai,aq

Lass sie mich nicht beherrschen!

Dann werde ich vollkommen (makellos) sein

Und rein sein von reichlich [großem] Vergehenar.

15 Es seien zum Gefallen die Reden meines Mundes (mein Reden)f

Und das sich-Äußern meines Herzens (meine Äußerungen)f vor deinem Gesicht (vor dir)fas -
JHWH, mein Fels und mein Erlöser!


Anmerkungen

I.
Das Anliegen von Ps 19 wird in der Exegese heftig diskutiert, weil der Psalm aus vier Teilen besteht, deren Zusammenhang auf den ersten Blick nicht leicht erkennbar ist: In Vv. 2-5b heißt es, der Himmel tue Gottes „Herrlichkeit“ kund. In Vv. 5c-7 ist von Gott und seiner Herrlichkeit dann nicht mehr die Rede, sondern es folgt ein Abschnitt über die Sonne, an den sich - scheinbar ohne Zusammenhang - in Vv. 8-10 (eher nicht: 8-11; s. FN af) ein Hymnus an die torah - das „Gesetz JHWHs“ - anschließt, um dann wieder scheinbar ohne Zusammenhang in Vv. 11-15 mit einer Bitte um Bewahrung vor Sünden zu schließen. Die Hauptschwierigkeit bei der Deutung des Anliegens von Ps 19 ist es also, den diese vier Teile zusammenhaltenden roten Faden auszumachen. Im Folgenden wird nur die Deutung vorgestellt, die dem Übersetzer am wahrscheinlichsten scheint; für eine Übersicht über verschiedene weitere Deutungen sei verwiesen auf Wyatt 1995, S. 560-566.

II.
Am auffälligsten ist - und auch in der Exegese mit Abstand am ausführlichsten kommentiert wurde - der Abschnitt Vv. 5c-7 über die Sonne. Fast stets heißt es, dass der Psalmist sich intensiv an der Bilderwelt der altorientalischen Mythologie bedient und die Sonne entsprechend der altorientalischen Sonnengötter dargestellt habe (z.B.: die Sonne, die das Himmelszelt bewohnt, die Sonne als „Held“ und als „schneller Läufer“ etc.; vgl. bes. Sarna 1965, S. 172). Das legt nahe, dass an folgende kulturgeschichtliche Zusammenhänge zu denken ist: Die Verehrung von Sonnengöttern war im Alten Orient weit verbreitet und auch in Israel wurde die Sonne lange als Gott angebetet (vgl. z.B. NIDOTTE 9087,5; s. z.B. 2Kön 23,5). Solche Sonnengötter warem im Alten Orient häufig assoziiert mit und verantwortlich für „Wahrheit“ und „Weisheit“ (vgl. z.B. Sarna 2010, S. 82), „Recht“ und „Gesetz“ (vgl. z.B. Löning/Zenger 2000, S. 138f; Sarna 1965, S. 173; Stähli 1985, S. 30f; Taylor 1993, S. 224; auch in der Bibel finden sich bisweilen noch Spuren davon, s. z.B. Ps 37,6; Spr 6,23; Hos 6,4f; Zef 3,5; Mal 3,20) und fungierten als Lebensspender und Freudenbringer (vgl. wieder Sarna 1965, S 173f; Stähli 1985, S. 25f); kennzeichnend für sie war außerdem ihre „Herrlichkeit“, die man sich als ein Lichtphänomen vorstellte - als Lichtglanz, Glorie der „herrlichen“ Gottheit (vgl. z.B. Wilke 2010, Abs. 3; ad loc. Wagner 1999, S. 249).
Besagter Verehrung der Sonne als Gott wollten die biblischen Dichter entgegenwirken (s. z.B. Dtn 4,19; 17,3) und verwandten daher einige Mühen darauf, die Sonne nach und nach zu „depotenzieren“: Sie sollte durchaus nicht als ein weiterer Gott, sondern als eines der Geschöpfe JHWHs verstanden werden - JHWH untergeordnet und von ihm an ihren Ort - den Taghimmel - verwiesen (vgl. Lauber 2012, Abs. 3.2; Stähli 1985, S. 17-23).

III.
Indes zwingt nichts den Leser, die Aussagen und Bilder aus dem Kontext der altorientalischen Mythologie zu verstehen; jeder Vers lässt sich auch problemlos im Kontext des „gewöhnlichen“ israelitischen Glaubens - der JHWH-Religion - deuten (s. FNn). Exegeten wie Buttenwieser 1938, Cooley 2014 und König 1927 haben daher sogar Vv. 5c-7 den Bezug zur altorientalischen Sonnengottmythologie abgesprochen. Diese Mehrdeutigkeit könnte durchaus auf den bewussten Gestaltungswillen des Psalmisten zurückgeführt werden und muss es wohl auch, da sie um ein Vielfaches zu ausgeprägt ist, als dass sie Zufall sein könnte. Ihr Effekt ist, dass sie den Psalm zu einem idealen missionarisch-synkretistischen Text macht: Anhängern des Sonnenkultes ermöglicht er es, Züge ihrer Religion auch im JHWH-Kult zu entdecken und erleichtert ihnen so den Zugang zu demselben; von bereits Bekehrten oder von vornherein treuen JHWH-Gläubigen dagegen lässt er sich als ein „gewöhnlicher“ jahwistischer Psalm verwenden.
Vv. 2-5b sprechen von den himmlischen Sphären, die die „Herrlichkeit“ Gottes - hier nicht als JHWH bezeichnet, sondern allgemein als el, „Gott“ - verkünden / erstrahlen lassen (s. FN h), und wie die Sonne die ganze Erde erhellt und auf der ganzen Erde sichtbar ist (V. 7), ist auch die Kunde von der Herrlichkeit „Gottes“ auf der ganzen Erde vernehmbar (Vv. 4f). Meint „Gott“ hier JHWH oder die Sonne? - Man weiß es nicht.
Vv. 5c-7 sprechen von der Sonne selbst. V. 5c besagt entweder, dass Gott der Sonne am Himmel ein Zelt gegeben hat, oder dass die Sonne am Himmel ein Zelt besitzt (s. FN o) und spricht dann entweder mit Bildern aus der altorientalischen Mythologie vom Lauf der Sonne oder nur metaphorisch vom fröhlichen Strahlen der Sonne (s. FN q). Der Abschnitt schließt entweder mit der Aussage, dass nichts vor der Gott gehörenden Sonne verborgen bleibt, oder dass nichts vor den Strahlen der Sonne verborgen bleibt. Der Abschnitt lässt sich also entweder so lesen, dass die Sonne Gott untergeordnet wird, indem betont wird, dass sie Gottes Geschöpf ist (vgl. dazu wieder Lauber 2012, Abs. 3.2) und nur als Symbol für die Herrlichkeit Gottes eigens genannt wird, wie sie noch häufiger in der Bibel fungiert (vgl. DDD, S. 766; s. z.B. noch Ez 43,2.4; Hab 3,3f; Sir 42,16 LXX; ad loc. vgl. FNn e.h.k). Oder aber: Die Sonne selbst ist jener Gott, dessen herrlicher Umlauf am Himmel in den Vv. 5c-7 gepriesen wird. Vv. 2-7 lassen sich also insgesamt noch problemlos sprechen von JHWH-Verehrern und von Anhängern eines Sonnenkults, und sie lassen sich lesen als Uminterpretation des Verhältnisses von JHWH und Sonne - nämlich dahin, dass die Sonne nur ein Gott untergeordnetes Symbol für seine Herrlichkeit ist.
Vv. 8-10 lesen sich auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Preis der Gebote JHWHs, der von jedem JHWH-Verehrer problemlos gebetet werden kann. Unter dieser beinahe eintönigen Oberfläche hat aber der Dichter gleich mehrere weitere Sinndimensionen über Wortspiele ins Werk gesetzt: (1) Auffällig ist zunächst, dass die „Leistungen“ der Gebote eher untypisch sind für Gebote (zugegeben: zu biblischen Zeiten nicht so untypisch, wie sie in den Augen heutiger Leser wirken müssen; dass JHWHs Gebote den Gläubigen „erfreuen“ etc. findet sich häufiger in der Bibel), dafür aber zu den Standard-Leistungen von Sonnengöttern gehören (s.o.) - die, wie gesagt, ohnehin häufig mit Recht und Gesetz assoziiert waren: Sie geben Lebenskraft, machen weise, erfreuen das Herz und machen gesund. Durch eine Reihe von Wortspielen wird das noch verstärkt: Nicht nur „erfreuen sie das Herz“, sondern sie „erhellen“ ihn auch (FN z); nicht nur sind sie „lauter“, sondern sie sind auch „licht(FN aa); nicht nur sind sie „rein“, sondern sie sind auch „leuchtend(FN ad), und noch dazu machen sie die Augen „hell“ und „erleuchten“ den, der sie befolgt. Und sicher ist es auch kein Zufall, dass sie in V. 11 gerade mit Gold und (goldenem) Honig verglichen werden. Auf diese Weise wird eine Kontinuität zwischen dem JHWH-Kult und dem Sonnenkult hergestellt; die Gesetzesreligion des JHWH-Kultes „leistet“ das selbe wie der Sonnenkult und ist ihm sogar strukturell ähnlich: Die Gebote Gottes werden „solarisiert“. (2) Gleichzeitig, sozusagen in die entgegengesetzte Stoßrichtung - beinahe wie eine Art Seitenhiebe gegen nicht-JHWH-Gläubige - lässt sich eine zweite Gruppe von Wortspielen ausmachen: Nicht nur geben die Gebote JHWHs neue Lebenskraft, sondern sie „bekehren“ auch (FN y). Nicht nur wird man durch sie „gewarnt“, sondern sie „erleuchten“ auch - Den Einfältigen machen sie „weise“, sie „erhellen“ den Geist, und nicht nur sind sie richtig, wahr und gerecht, sie sind auch „die richtigen“, „die wahren“ und „die gerechten“ Gebote. „Im Gegensatz zu welchen Geboten?“, kann man sich fragen; und „wer sind die Einfältigen, wer die unerhellten Geistes?“ - Man wird wohl auch hier an Anhänger eines anderen Kultes als des JHWH-Kultes denken müssen.
In Vv. 11-15 schließlich kommt der Beter auf sein „eigentliches Anliegen“ zu sprechen: Auch er - als ein „Diener“ Gottes; d.h. einer, der seine Gebote befolgt - richtet sich zwar an seinen Vorschriften aus und bemüht sich so um Sündenfreiheit, doch bewahrt ja auch dies nicht vor versehentlich oder unbewusst begangene Sünden - und also bittet er um Bewahrung vor zukünftigen und Vergebung von begangenen Sünden, auf dass er dann „vollkommen“ und gänzlich frei von Sünden sei. Vielleicht kann man diesen Abschnitt sogar gleichzeitig so lesen, dass er von einem ehemaligen Anhänger eines Sonnenkultes gesprochen ist, der diese seine Sünde der Sonnenverehrung durch ein heiligmäßiges Leben sühnen möchte und so zwecks der Vergebung dieses „reichlich großen Vergehens“ um Gottes Beistand bittet (s. FN ar).

IV.
Bonkamp 1949 hat vorgeschlagen, dass wir bei der Abfassungszeit konkret an das 18. Regierungsjahr des Joschija denken können - das Jahr, in dem gleichzeitig der Hohepriester Hilkija das Gesetzesbuch wieder auffand (2Kön 22,8) und Joschija daraufhin im Zuge der großen Tempelreinigung auch gegen den Sonnenkult vorging (2Kön 23,11); vgl. ähnlich auch Dürr 1927, S. 48; Sarna 1965, S. 175. Solche genauen Datierungen sind in der neueren Exegese zwar ein wenig unbeliebt geworden, aber wenn unsere Deutung des roten Fadens im Ps 19 richtig ist, können wir vielleicht wirklich an diese Zeit denken.


aChorleiter (Dirigenten, Singenden, Musizierenden) - Genaue Bedeutung unklar. Die gewählte Übersetzung ist mehr oder weniger Konvention, obwohl es nicht an alternativen Übersetzungsvorschlägen mangelt. Hier ist die Bezeichnung übrigens recht glücklich: Vermutlich leitet sich das Wort her vom hebräischen netsach („glänzen, strahlen“); menatseach ist dann der „Glänzende, Strahlende“ (vgl. z.B. Delitzsch 1894, S. 83f), was sich in unserem Psalm gut zu den sonstigen Vokabeln aus dem Wortfeld „Licht“ fügt. (Zurück zu v.1)
bverkünden - heb. safar; v.a in den Psalmen wird dieses Verb bes. dann verwendet, wenn jemand von großen Taten Gottes berichtet (vgl. THAT II, S. 168): Der Himmel wird hier vorgestellt als ein Prediger. (Zurück zu v.2)
cHimmel ist im Hebräischen ein Pluralwort; damit erklärt sich der Plural „Die Himmel“, der in vielen Übersetzungen zu finden ist. Ins Deutsche muss mit Singular übertragen werden. (Zurück zu v.2)
dZur Vorstellung der „Herrlichkeit“ s. die Anmerkungen. (Zurück zu v.2)
eWalten (Werk) - meist übersetzt als: „seiner Hände Werk“ i.S.v. „das, was er geschaffen hat“. Einige Exegeten (z.B. Baethgen 1892, S. 56; Dohmen 1983, S. 508; Oesch 1985, S. 71f) wenden ein: Weil Himmel und Firmament aber ja selbst zu diesem Werk von Gottes Händen zählen, würden sie nach dieser Übersetzung nicht Gott verkünden, sondern sich selbst - gemeint ist daher hier allgemein das „Walten“ Gottes.

Vermutlich gehört dies aber schon zu der in den Anmerkungen beschriebenen Mehrdeutigkeit: Wegen der Stichwortverknüpfung „Ihr (=der Himmel und des Firmaments) [Verkündigungs-]Klang geht aus“ - „Sie (=die Sonne) ist wie ein Bräutigam, der ausgeht“ - „Am einen Ende des Himmels ist ihr Ausgang(vgl. gut Dohmen 1983, S. 505) lassen sich Vv. 5-7 so lesen, dass das, was Himmel und Firmament verkündigen, die Sonne - als Symbol für die „Herrlichkeit“ Gottes - ist. Liest man unseren Vers mit den Vv. 5-7 zusammen, legte sich auch hier diese Deutung nahe: Das „Werk seiner Hände“ ist die Sonne (s. auch FNn h.k) - ähnlich, wie in Ps 8,2 der „Himmel“ als das „Werk seiner Finger“ und in Ps 8,7 die ganze Schöpfung als das „Werk seiner Hände“ bezeichnet wird. Und gleichzeitig ist eben auch möglich: „Die Himmel verkünden das Walten Gottes (=der Sonne)“, s. wieder die Anmerkungen.

Außerdem theoretisch möglich: „Der Himmel verkündet die Herrlichkeit Gottes / und das Werk seiner Hände (=der Himmelsbogen) macht [sie] kund: das Firmament.“. So allerdings noch kein Exeget und es ist auch recht unwahrscheinlich: V. 2 ist sicher bewusst chiastisch gebaut: SUBJEKT: Der Himmel - VERB: verkündet - OBJEKT: Die Herrlichkeit Gottes / OBJEKT: Sein Walten - VERB: macht kund - SUBJEKT: Das Firmament. (Zurück zu v.2)
fdas Walten seiner Hände (sein Walten) + die Reden meines Mundes (mein Reden) + das sich-Äußern meines Herzens (mein sich-Äußern) + vor deinem Gesicht (vor dir) - Sehr oft wird im Hebräischen als „Aktant“ einer Handlung nicht die handelnde Person, sondern der hauptsächlich involvierte Körperteil dieser Person genannt - ein rein stilistischer Strukturunterschied, den leider selbst viele kommunikative Übersetzungen nicht eindeutschen. Übersetze durchaus natürlicher: Im Deutschen handeln weder „Hände“, noch redet ein „Mund“, noch sinnt ein „Herz“, noch ist etwas einem „Gesicht“ wohlgefällig - sondern einer Person. (Zurück zu v.2 / zu v.15)
gFirmament (Himmelsgewölbe) - In der israelitischen Kosmologie hat Gott die Welt geschaffen, indem er die Fluten, die anfangs die Erde bedeckten, hinter einen festen Himmelsbogen - vorgestellt als eine Art „metallener Deckel in Form einer Halbkugel“ (Soggin 1997, S. 33) - gesperrt hat (s. Gen 1,6; dazu FN p; für eine schöne grafische Darstellung des hebräischen Weltbildes s. hier). Mit Hieronymus hat sich für dieses „Schalenförmige“ die Bezeichnung „Firmament“ eingebürgert (von lat. firmamentum, „Das Festgefügte“); dieses ist hier gemeint. In der Bibel wird es allerdings häufig auch nur als Wechselbegriff für „Himmel“ verwendet und kann daher meist auch ohne großen Bedeutungsverlust derart ins Deutsche übertragen werden (was viele Übersetzungen auch tun); in unserem Psalm ist das wg. Vv. 5c.6a aber unglücklich. (Zurück zu v.2)
häußert es (strahlt es hervor, sprudelt es hervor?, äußert man?) - Wortspiel im Hebräischen: Das hebräische nava („äußern“) meint in Sir 43,2 auch: „hervorstrahlen lassen“ (vgl. Ges18, S. 776). Auch dieser Satz lässt sich also in die Richtung auslegen, dass der Inhalt der Verkündigung von Himmel und Firmament die Sonne ist (s. FN e), obwohl er eigentlich natürlich gelesen werden müsste als „das Firmament äußert Rede“.
Häufig heißt es, das Verb bedeute eigentlich „sprudeln“ und es solle so eine besonders ekstatische Redeweise bezeichnet werden (z.B. Kraus 1961, S. 154; Kruger 2002, S. 114; Vos 2004, S. 260). Das ist irreführend: Sprachgeschichtlich mag das Wort tatsächlich einmal primär „sprudeln“ gemeint haben; in der Bibel ist das aber ausschließlich in Spr 18,4 merklich (und auch hier nur im Rahmen eines Wortspiels). An den übrigen Stellen ist es stets abgeblasst zur Bedeutung „reden, äußern“. Unsere Stelle legt im Gegenteil sogar nahe, dass mit dem Wort speziell das Äußern weiser Lehren bezeichnet werden soll (nava von „weisen Reden“ noch in Ps 78,2; Spr 1,23), da im nächsten Satz das Verb chawah folgt, das oft speziell „unterweisen, lehren“ meint (s. noch Ijob 15,17; 32,6; 36,2) - erst recht, wenn es (wie hier) zusammen mit da`ath („Wissen“) verwendet wird. (Zurück zu v.3)
iTag für Tag äußert es (Ein Tag äußert gegenüber dem nächsten Tag) + Nacht für Nacht lehrt es (eine Nacht lehrt der nächsten Nacht) - Grammatisch sind beide Auflösungen möglich; nach der als Primärübersetzung angeführten Deutung ist Subjekt der Verben das Firmament, nach der als Alternativübersetzung angeführten Deutung jeweils das erste „Tag“ und „Nacht“. Die zweite Deutung findet sich häufiger in Übersetzungen, hat aber das Problem, dass sie vielen Exegeten teils recht fantasievolle Erklärungen abgenötigt hat, wie denn ein Tag mit dem nächsten Tag in Kontakt treten will, wenn doch zwischen beiden die Nacht liegt, und umgekehrt. Auch findet sich das Bild von „sprechenden Tagen“ und „lehrenden Nächten“ sonst nirgends in der Bibel; dass das Firmament aber in der Tat verkündigen kann, steht ja direkt im vorhergehenden Vers.
Theoretisch außerdem möglich: Verben in der 3. Pers. sing. mask. können im Hebräischen auch als impersonale Verben verwendet werden: „Man äußert“ (vgl. GKC §144d); die Struktur von Vv. 2-3 würde dann der z.B. von Ps 8,2 entprechen: „Auf der ganzen Erde wirst du verehrt, / im Himmel, da wirst du besungen!“ <-> hier: V. 2: Die Himmel verkünden Gott, V. 3: Auch auf der ganzen Erde spricht man über ihn. So aber m.W. bisher kein Exeget. (Zurück zu v.3)
jeine Nacht lehrt [der nächsten] Nacht Kenntnis, Nacht für Nacht lehrt man Kenntnis? - s. FN i; diese beiden Alternativen sind unwahrscheinlich, aber möglich. (Zurück zu v.3)
k(1) Nicht [ist es eine] Rede [und] nicht [sind es] Worte, deren Klang nicht gehört würde-
(2) Oder: „Nicht [ist es] Rede [und] nicht [sind es] Worte; ihr Klang wird nicht gehört.“

(3) Oder: „Nicht [ist es] Rede [und] nicht [sind es] Worte. Ohne, dass ihr Klang gehört würde, ...“
(4) Oder: „Nicht [gibt es] eine Sprache [und] nicht [gibt es] eine Zunge, worin ihr Klang nicht gehört würde.“
Entgegen gegenteiliger Beteuerungen einiger Exegeten ist jede dieser Auflösungen grammatisch möglich (gegen Gegenargumente gegen (1) und (4) vgl. gut König 1927, S. 95f). (2) und (3) haben die Schwierigkeit, dass nach diesen Deutungen ohne Not ein Widerspruch zwischen V. 4 und Vv. 3.5 aufgebaut würde: (+) Tag für Tag äußert er Rede: <-> (-) Es ist keine Rede! Ihr Klang ist unhörbar. <-> (+) Ihr Klang dringt in die ganze Welt. Duhm 1899 denkt deshalb doch ernsthaft (ähnlich Gowen 1929 und Klein 2013 (!)), dass es sich bei dem Satz um die nachträgliche Einfügung eines Gelehrten handle, der „nicht allzu scharfsinnige Leser“ darüber aufklären wollte, dass es sich hier nur um bildliche Rede handle. Sinnvoller sollte man daher entweder von (1) oder (4) ausgehen. Wir geben (1) den Vorzug, da sich diese Deutung so auch in sämtlichen alten Üss. findet (LXX, Aq, Sym, Theod, VUL, Syr, Tg) und auch in einigen deutschen Üss. gebräuchlich ist (ALB, ELB, FREE, MÜN, R-S, SLT, TEX, van Ess); letztendlich spricht aber nichts gegen die ebenfalls schöne Deutung (4).

Vielleicht gehört aber auch dies zur in den Anmerkungen beschriebenen Mehrdeutigkeit und der scheinbare Widerspruch zwischen Vv. 3.5 und V. 4 soll eben gerade signalisieren, dass nicht tatsächlich Worte, sondern die Sonne die „Weise“ der Verkündigung von Himmel und Firmament sind (s. FNn e.h), und gleichzeitig soll der Satz auch so gelesen werden können, dass die Aussage ist: Des Himmels und des Firmaments Rühmen des Sonnengottes erschallt auf der ganzen Erde. (Zurück zu v.4)
lTextkritik: Der hebräische Text hat qaw (geschrieben: qw), „Schnur“. Trotz einiger Versuche, dieses „Schnur“ hier sinnvoll zu erklären (am besten wohl Herkenne 1936, S. 97: „Schnur“ = Maßeinheit („Messschnur“) = „Reichweite“) emendiere besser mit BHS, Arneth 2007, Cheyne 1904, Craigie 1983, Donner 1967, Dohmen 1983, Duhm 1899, Ehrlich 1905, Kissane 1953, Kittel 1914, Meinhold 1983, Morgenstern 1946b, Wyatt 1995 nach qol (geschrieben: qwl), „ihr Klang“ - das selbe Wort wie im vorigen Vers. Das scheinen auch LXX, Sym und VUL nahezulegen (LXX: ftogos, „Laut, Ton“; Sym: ächos „Schall, Getöse“; VUL: sonus, „Klang“). Dass LXX qol sonst nicht mit ftogos wiedergegeben habe, ist nun wirklich kein Gegenargument, weil sich ftogos insgesamt einzig hier (und Weish 19,18, dem kein heb. Urtext zugrunde liegt) in der LXX findet. Für weitere Emendationsvorschläge vgl. Grund 2004, S. 26f.
Einige Exegeten haben außerdem vorgeschlagen, dass es ein zweites qaw mit der Bedeutung „Ruf, Verkündigung, Nachricht“ geben könnte (Anderson 1972, S. 169; Barth 1893 S. 29f.; Barthélemy 2005, S. 17f; Dahood 1965, S. 121f.; Kissane 1953, S. 86; Kön 403 (anders König 1927, S 97); Wagner 1999, S. 251); allerdings ist unsere Stelle die einzige, die zu dieser Annahme nötigen würde. (Zurück zu v.5)
m[geht aus] - Brachylogie aus V. 5a. (Zurück zu v.5)
nDer Sonne (dem Sonnenball) - Einige Üss. und Exegeten übersetzen ab 5c mit „Sonnenball“ statt „Sonne“, weil dann das grammatische Geschlecht besser zum Vergleich mit dem Bräutigam und dem Helden in V. 6 passt. BB dagegen behält „Sonne“ bei und macht aus dem Bräutigam die „Braut“ und aus dem Helden die „Heldin“. Beides wäre erwägenswert für die LF - eine Entscheidung für den LF-Übersetzer. (Zurück zu v.5)
ohat er gebaut ([ist (gehört)] dort) - Wortspiel im Hebräischen. Der Masoretische Text hat hier ßam stehen: „er hat gebaut“ (geschrieben mit dem Buchstaben „Sin“: שָׂם). Im Hebräischen gibt es neben dem Buchstaben „Sin“ auch den sehr ähnlichen Buchstaben „Schin“, und schreibt man dies שָׂם ßam mit Schin statt Sin, ergibt das שָׁם scham („dort“) - der Unterschied ist nur, dass bei scham der kleine Punkt rechts statt links über dem ersten Buchstaben steht. Diese Punkte wurden erst im Mittelalter in den Bibeltext eingetragen, vorher gab es in der Schreibweise - und zur Zeit des Bibelhebräisch vermutlich auch in der Aussprache - keinen Unterschied zwischen den beiden Buchstaben. Für einen bibelhebräisch sprechenden Leser waren also ßam („er baute“) und scham („dort“) nicht auseinanderzuhalten, und also konnte er den Satz gleichzeitig lesen als Verbalsatz („Der Sonne baute er ein Zelt“) und als dativischen verblosen Satz („Der Sonne [war] dort ein Zelt“). Auch dies gehört zu der in den Anmerkungen beschriebenen Mehrdeutigkeit: Der Satz konnte also entweder so gelesen werden, dass JHWH der Sonne ihr Zelt zuwies, oder so, dass der Sonne unabhängig von einem anderen Gott dort ein Zelt gehörte. (Zurück zu v.5)
paus (an) ihm - Das „ihm“ bezieht sich auf den Himmel in V. 2. Auch dieser Satz ist wohl bewusst mehrdeutig formuliert (s. die Anmerkungen): Das hebräische bahem kann sowohl bedeuten: „an/auf ihm (=dem Himmel - als Bauplatz)“ als auch: „aus ihm (=dem Himmel - als Material)“. Nach der ersten Deutung ist an folgendes zu denken: Im Alten Orient war die Vorstellung verbreitet, der Sonnengott lebe im Himmel in einem Palast (für eine Abbildung s. hier, vorletzte Seite), und von diesem Palast würde der Dichter hier als einem „Zelt“ sprechen und also wieder die Bilderwelt der altorientalischen Sonnengott-mythologie aufgreifen. Nach der zweiten Deutung dagegen hätte man davon auszugehen, dass der Himmel selbst besagtes „Zelt“ ist, wie wir das im Deutschen ja auch im Ausdruck „Himmelszelt“ kennen und wie er auch in Ps 104,2; Jes 40,22 bezeichnet wird; der Satz wäre dann einfach metaphorisch für „Gott hat der Sonne den Himmel als den ihr eigenen Ort zugewiesen“ zu lesen (s. Gen 1,17; so z.B. NeÜ: „Und am Himmel hat er die Sonne hingestellt“; NGÜ: „Gott hat der Sonne ihren Ort am Himmel gegeben“; NL, NLT: „Die Sonne wohnt am Himmel, wo Gott sie hingestellt hat“) - und dann gehörte auch diese Zeile in die Reihe der Texte, die betonen, dass JHWH die Sonne geschaffen habe und ihr übergeordnet sei, um so die Sonne zu depotenzieren. (Zurück zu v.5)
q(1) Und sie [ist] wie ein Bräutigam, [der] ausgeht -

(2) Oder: „Und sie - wie ein Bräutigam geht sie aus aus ihrem Zelt.“

Beide Auflösungen sind grammatisch möglich, und auch dies gehört wieder zu der in den Anmerkungen beschriebenen Mehrdeutigkeit: Entweder ist das „Zelt“ wieder der Palast des Sonnengottes, von dem im letzten Vers die Rede gewesen sein könnte (s. vorige FN), und hinter der Bezeichnung „Bräutigam“ steht die Vorstellung, dass der Sonnengott eine Braut gehabt habe - wie z.B. der mesopotamische Sonnengott Schamasch mit seiner „Braut“ Aya liiert war (vgl. z.B. Sarna 1965, S. 171f.). Oder aber der Satz ist „nur“ metaphorisch zu lesen: Im Alten Israel war es Brauch, dass Braut und Bräutigam ihre Hochzeitsnacht in einem Brautzelt - der „Chuppa“ - vollzogen (vgl. Dalman 1939, S. 36; Homann 2002, S. 80; s. noch 2Sam 16,22; Joel 2,16 und häufig im rabbinischen Schrifttum; noch heute existiert dieser Brauch in abgewandelter Form, s. Wikipedia/Chuppa). Wenn man die Zeile nach Art der Deutung (1) auflöst, könnte man ihn also auch so lesen, dass die Sonne mit einem Bräutigam nach dessen Hochzeitsnacht verglichen wird und überhaupt keine mythologischen Bezüge hat; das tertium comparationis wäre dann wohl die Freudigkeit des Bräutigams nach der vollzogenen Hochzeitsnacht. (Zurück zu v.6)
rBrautzelt (Zelt) - Hierzu s. letzte FN. (Zurück zu v.6)
sfreut sich wie ein Held [darüber] (freut sich, wie ein Held [sich darüber freut]) - Wortspiel im Hebräischen: Ebenso, wie in der vorigen Zeile (s. vorige FN) offen bleibt, ob die Sonne gleich einem Bräutigam ihr Zelt verlässt oder ob sie einem Bräutigam gleicht, der sein Zelt verlässt, bleibt hier offen, ob (1) die Sonne sich gleich einem Helden darüber freut, ihre Bahn - die Sonnenbahn - durchlaufen zu können, oder ob sie sich „schlechthin“ freut - wie auch ein Held sich darüber freut, seine Bahn - die Rennbahn - berennen zu können. Auch das Bild der Schnelligkeit des spurtenden Sonnengottes und ebenso die Bezeichnung „Held“ für den Sonnengott war in der altorientalischen Mythologie weit verbreitet (vgl. wieder bes. Sarna 1965, S. 172) und würde nach der ersten Deutung hier aufgegriffen; nach der zweiten Deutung wäre das tertium comparationis wieder „nur“ die Freudigkeit des spurtenden „Helden“ und das freudige Strahlen der Sonne. Speziell mit dem „Helden“ würde die Sonne in diesem Fall nur verglichen, weil sportliche Wettbewerbe im Alten Israel offenbar v.a. unter Kriegern verbreitet waren (vgl. z.B. Noegel 2007, S. 521); ein funktionales Äquivalent zum „Helden“ wäre deshalb heute eigentlich eher „Athlet“ (so z.B. CJB, EVD, GNB, HCSB, MSG, NAB, NCV, NLT), was allerdings gerade hier wieder das Wortspiel zerstören würde. (Zurück zu v.6)
tEnde - der äußerste Ort der Welt, an dem der Himmel auf den „Pfeilern des Himmels“ aufruht (für eine schöne grafische Darstellung des hebräischen Weltbildes s. hier). Die Sonne beginnt ihre Reise entlang des Firmaments also am östlichen „Ende des Himmels“ und vollendet ihn am westlichen Ende. (Zurück zu v.7)
uder Himmel - hierzu vgl. FN c. (Zurück zu v.7)
vihrer Glut (Hitze, seiner Sonne) - Wortspiel im Hebräischen: Das Wort chamat bedeutet sonst stets „Sonne“; man sollte also meinen, dass chamato hier „seine - d.i., JHWHs - Sonne“ meint (so daher z.B. Briggs 1906, S. 167f; Taylor 1993, S. 223). Sehr viel natürlicher ist aber das Possessivpronomen auf die Sonne zu beziehen, dann müsste chamat gedeutet werden als „ihre Glut/Hitze“. Auch dies gehört zum in den Anmerkungen beschriebenen Mehrdeutigkeit; nach der ersten Deutung würde die Sonne wieder depotenziert, indem sie als sein Geschöpf JHWH zu- und untergeordnet wird; im zweiten Fall spräche der Satz von der Allgegenwart des Sonnengottes, ein weiteres häufiges Motiv aus der altorientalischen Sonnengottliteratur (vgl. Sarna 1965, S. 172). (Zurück zu v.7)
wGesetz + Gebot + Weisungen + Satzung + Wort + Rechtssätze - In den Vv. 8-10 stehen fünf Begriffe, die alle in etwa die selbe Bedeutung haben. Programmatisch beginnt die Begriffsreihe mit torah jhwh, „Tora JHWHs“ - eine Formel für den (meist schon schriftlich, mindestens aber satzhaft) fixierten Gesamtwillen Gottes. Damit wird noch nicht der Pentateuch gemeint sein, der erst zur Zeit Esras kanonisch wurde, aber einzelne Sammlungen von Geboten existierten schon Jahrhunderte vorher. Meist wird es übersetzt mit „Weisung“, aber da dies in V. 9a die angemessenste Übersetzung ist, sollte man hier besser „Gesetz“ o.Ä. wählen.

V. 8b ist die Rede vom edut JHWHs, was in der Bibel meist als terminus technicus für die 10 Gebote fungiert - die Übersetzung „Zeugnisse“, die sich häufig in Üss. findet, ist zwar möglich, hier aber unpassend.
piqudim (V. 9a) als Ausdruck für die Anweisungen Gottes findet sich neben unserer Stelle nur in den späten Psalmen 103 (V. 18), Ps 111 (V. 7) und oft in Ps 119. Auffällig ist, dass das Wort oft zusammen mit derek („Weg“) steht und als etwas geschildert wird, dem man „folgen“ kann (s. Ps 119,15.27.45.104.110.128) und kontrastiert wird mit Lügen und Betrug (Ps 119,69.78.104) - die piqudim werden vorgestellt als eine Art „gute Wegbeschreibung“ (Ps 119,110.128!). Diese Vorstellung könnte auch hinter unserer Stelle stehen, denn die piqudim JHWHs sind jescharim, „richtig, eben, angenehm zu befolgen“. Will man diese Vorstellung auch in der Übersetzung herauskommen lassen, empfähle sich die Übersetzung „Weisungen“.

Die „Satzung“ (9b) und die „Rechtssätze“ (10b) dürften selbsterklärend sein; erwähnenswert ist, dass auch sie meist als satzhafte Vorgaben aufzufassen sind. Zum „Wort JHWHs“ s. ad loc. (zu v.8 / zu v.9 / zu v.10)
xVv. 8-10 sind in einem auffällig anderem Rhythmus verfasst. Bonkamp 1949, Delitzsch 1894 und andere haben versucht, das in Schriftbild und Rythmus auch der dt. Übersetzung nachzuahmen; auch für die LF wäre das eine Überlegung wert. Ansonsten einfach:

Das Gesetz JHWHs ist vollkommen,

es bringt zurück Lebenskraft.
- und ähnlich in den nächsten Stichen. (zu v.8 / zu v.9 / zu v.10)
ybringt zurück Lebenskraft (gibt neue Lebenskraft, bekehrt {die Seele}) - Wortspiel im Hebräischen: Die Wendung „die nefesch zurückbringen“ meint im Hebräischen oft „Leben(skraft) (nicht: „Seele“) zurückbringen“ (s. 1Kön 17,21f; Ijob 33,30; Ps 23,3; Spr 25,13). nefesch ist im Hebräischen aber häufiger als nicht nur ein Wechselbegriff für das Pronomen „ich“, und „zurückbringen“ kann auch „bekehren“ bedeuten, dann: „Das Gesetz JHWHs ist vollkommen: es bekehrt.“ (so z.B. VUL: „convertens animas“, „es konvertiert die Seele“; so auch CAB, Coverdale, EJ2000, Geneva-Bible, KJV, LITV, NKJV, Tyndale, Webster, Wycliffe). Die Aussage des Satzes könnte also entweder sein, dass das Gesetz JHWHs jemandem frische Lebenskraft verleiht - eine Leistung, die auch für altorientalische Sonnengötter typisch war - oder, dass es „bekehrt“ - z.B. von der sündigen Verehrung von Sonnengöttern zum rechten JHWH-Glauben, was gut zusammenstimmen würde mit dem folgenden „glaubwürdig“ und „macht den Einfältigen weise“ in V. 8b und dem „erleuchtet den Geist“ in V 9a; s. die Anmerkungen. (Zurück zu v.8)
zerfreuen das Herz (erhellen den Geist) - Wortspiel im Hebräischen: Die beiden Glieder der geprägten Formel „das Herz erfreuen“ - d.h. „den Menschen erfreuen“, denn „Herz“ ist im Hebräischen häufig nur Wechselbegriff für den Menschen als Ganzen - lassen sich je auch anders deuten: Das Wort für „erfreuen“ meint eigentlich „erhellen“ (vgl. Greenfield 1959, S. 147f.; Klouda 2000, S. 18; Sarna 1965, S. 174), und das „Herz“ ist in der israelitischen Anthropologie wesentlich häufiger vorgestellt als der Sitz des Verstandes als als Sitz der Emotionen (vgl. z.B. Wolff 1973, S. 77-84). Erstens ist also auch hier die in den Anmerkungen beschriebene „Solarisierung“ des Gesetzes merklich, zweitens wird auch hier - wie in V. 8a („bekehrt“) und 8b („macht den einfältigen weise“) - auf die „bekehrende“ Wirkung der Gebote JHWHs angespielt (s. FN y). (Zurück zu v.9)
aalauter (licht) - Wortspiel im Hebräischen: Das Wort bar kann sowohl als gleichbedeutend aufgefasst werden mit dem „vollkommen/makellos“ in 9a und hat auch meist diese Bedeutung; gleichzeitig lässt es sich aber auch verstehen als „brilliant, hell, licht“ (vgl. Eaton 1968, S. 604f.; Dahood 1965, S. 122; Nel 2004, S 109; Vos 2004, S. 263; Wagner 1999, S. 255; auch Clines 2013, Deissler 1989 und Kissane 1953 übersetzen mit „radiant“, „bright“ und „hell“). Auch dies trägt zur in den Anmerkungen beschriebene „Solarisierung“ des Gesetzes bei. (Zurück zu v.9)
abmacht die Augen hell - Die „Augen“ sind in der israelitischen Vorstellung eine Art „Barometer der Lebenskraft“ (Anderson 1972, S. 129): Ist ein Mensch alt, krank, schwach oder traurig, hören seine Augen auf, zu „leuchten“ (s. Dtn 34,7; Ijob 17,7; Ps 6,8; 38,11; Klg 5,17). Gesundet er oder erholt er sich, leuchten seine Augen dagegen wieder auf (s. 1Sam 14,27.29; Esra 9,8; Ps 13,4). So verstanden ist der Ausdruck also gleichbedeutend mit dem „Lebenskraft zurückbringen“ in V. 8a und dem „das Herz erfreuen“ in V. 9a. Gleichzeitig trägt der Ausdruck aber auch zur nun schon mehrfach genannten Solarisierung der Gebote JHWHs bei (s. wieder die Anmerkungen). (Zurück zu v.9)
acTextkritik: Der hebräische Text hat hier stehen: jir´at JHWH, die „Furcht vor JHWH“. Wenn man es beibehielte, hätte diese Wendung sicher - wie meist - den Sinn von „die Ehrfurcht vor JHWH, die Verehrung JHWHs“. Hier fällt der Begriff aber deutlich aus der Reihe der sechs Begriffe heraus, in der die anderen fünf Begriffe stets für satzhafte Gebote und Anweisungen stehen; auch wäre es unter den sechs Phrasen die einzige, die als Genitivus objektivus statt Genitivus subjectivus konstruiert wäre (also nicht: „Die Furcht JHWHs“ i.S.v. „die Furcht, die JHWH empfindet“, sondern „die Furcht vor JHWH“). Emendiere daher mit BHS, Briggs 1906, Herkenne 1936, Kraus 1961 und Wyatt 1995 nach imrat JHWH, „das Wort JHWHs“ (wie z.B. in Ps 119,38).

Vielleicht noch sanfter: Der Buchstabe Mem von enajim („die Augen“) ist als Haplographie zu fassen (d.h., ein Schreiber hat es versehentlich nur einmal - nämlich am Ende von enajim - geschrieben statt zweimal, d.h. am Ende von enajim und am Anfang von jir´at); dann lies mir´at JHWH, „das Gebot JHWHs“ - so aber nur Dahood 1965, S. 123 und man müsste davon ausgehen, dass mir´at ein in der Bibel sonst unbelegter Aramäismus ist; besser daher doch die erste Alternative.

Exegeten, die an der Lesung jir´at („Furcht“) festhalten wollen, erklären es dann i.d.R. so, dass es tatsächlich „Verehrung JHWHs“ bedeute, dann aber nicht die subjektiv ausgeübte, sondern das objektive Gesamt von religiösen Regeln, und deshalb doch einigermaßen in die Reihe der anderen fünf Begriffe passe. Das ist schon eine sehr gezwungene Erklärung, vielleicht aber wirklich auch eine mögliche Deutung. (Zurück zu v.10)
adrein (leuchtend) - Wortspiel im Hebräischen: Das hierige hebräische tahor hat in etwa den selben Bedeutungsumfang wie das hebräische bar („lauter, licht“) in V. 9b, wobei bar mehr die ethisch-moralische Reinheit, tahor mehr die kultische und die materielle Reinheit meint. Und ebenso wie bar kann auch tahor „hell, leuchtend“ meinen (s. Ex 24,10: „glänzend“; Hld 6,10: „hell“; möglicherweise auch Ex 31,8; Lev 24,4: „die hellen Leuchter“; so daher Craigie 1983, Eaton 1968, Klouda 2000 Wagner 1999) und trägt so ebenso wie jenes zur Solarisierung der Gebote JHWHs bei. (Zurück zu v.10)
aeWahrheit (wahr) - Subst. verwendet als Adj. (häufig im Heb.); übersetze: „wahr“. (Zurück zu v.10)
afWörtlich: „11 Die Begehrenswerteren als Gold [...]. 12 Auch dein Sklave wird gewarnt durch sie.“ V. 11 ist offensichtlich kein vollständiger Satz; entweder ist also V. 11 zu V. 10 zu ziehen und so zu analysieren, dass der Artikel noch einmal das Substantiv „Rechtssätze“ aufgreift, woran sich dann ein unmarkierter Relativsatz anschließt (zur Konstruktion vgl. GKC §126b); also „Die Rechssätze JHWHs sind wahr und allesamt gerecht - sie, die begehrenswerter sind als...(so z.B. B-R; Baethgen 1892; Ehrlich 1905; ELB; FREE; Gunkel 1968; König 1927; Kraus 1961), oder man versteht Vv. 11f als Casus pendens-Konstruktion: Ein Nomen oder Pronomen - etwa hier: „Die Begehrenswerteren...“ wird von seiner syntaktischen „Stelle“ in einem Satz an den Anfang des Satzes verschoben und seine Stelle durch ein Pronomen - etwa hier: „durch sie“ - gefüllt (sehr schön erklärt z.B. von Harper 1886); also eigentlich „Auch dein Sklave wird belehrt durch die Begehrenswerteren als Gold...“. So m.W. nur Kissane 1953; aber da sich das „durch sie“ in V. 12 sicher wieder auf V. 11 zurückbezieht, ist diese Auflösung vorzuziehen und V. 11 entgegen der Mehrheitsmeinung zu Vv. 12-15 zu ziehen, wohin ohnehin die dreimalige Wiederholung von „reichlich“ in Vv. 11-14 weist. Vielleicht weist dahin außerdem die Tatsache, dass im folgenden V. 13 direkt noch eine Casus pendens-Konstruktion folgt. (Zurück zu v.11 / zu v.12)
agHonig des Honigs - Der Psalmist verwendet in Vv. 11cd drei verschiedene Wörter mit der Bedeutung „Honig“: „süßer als Honig 1, / ja, als Honig 2 des Honig 3´s“. Diese Konstruktion dient der Intensivierung der gesamten Aussage - ähnlich, wie im häufigen „der Himmel und der Himmel der Himmel“ (Dtn 10,14; 8,27; 2Chr 2,5; 6,18) nicht neben dem „gewöhnlichen Himmel“ noch zusätzlich von einem „Super-Himmel“ die Rede ist, sondern die Aussage noch einmal intensiviert werden soll („Der Himmel und der Himmel der Himmel können ihn nicht fassen“ = „Der Himmel kann ihn nicht fassen - nicht ansatzweise kann er das!“). Sinngemäß wäre daher vielleicht etwas wie: „süßer als Honig - ja, unendlich viel süßer!“ (Zurück zu v.11)
ahOder adversativ: „sie, die begehrenswerter sind als Gold... / Obwohl dein Sklave durch sie gewarnt wird [und] in ihrer Befolgung reichlich großer Lohn liegt: ‚Wer bemerkt schon Verirrungen!?‘“; so aber nur Ehrlich 1905 und Schökel 1980.
Oder: „sie, die begehrenswerter sind als Gold ... / Auch wird dein Knecht...“; so viele eng. Üss. (Zurück zu v.12)
aidein Sklave ist in der Bibel und v.a. in der biblischen Poesie oft nur ein höflicher Ersatz für Personalpronomen und sollte ins Deutsche besser nicht wörtlich übersetzt werden (vgl. FN g zu Lk 1,48). Auch hier meint „dein Sklave“ sehr sicher nur „ich“ (ad loc. vgl. Dahood 1965, S. 124; Gunkel 1968, S. 80; König 1927, S. 104). Hier kommt durch das „dein Sklave“ aber gleichzeitig zum Ausdruck, dass der Beter sich den Geboten JHWHs unterordnet; wenn diese Aussage in der LF bei einer Übertragung durch „ich“ nicht zum Ausdruck kommt, sollte man besser darauf verzichten und das „dein Sklave“ beibehalten. (Zurück zu v.12 / zu v.14)
ajgewarnt (erleuchtet) - Wortspiel im Hebräischen: Mit „gewarnt“ ist gemeint, dass der Beter sich vorsieht, JHWHs Gebote nicht zu übertreten, wohin dann auch noch kommt, dass ihm dann großer Lohn versprochen ist, wenn ihm die Einhaltung der Gebote gelingt. Das Verb zahar meint zugleich aber erleuchten, was wieder zur in den Anmerkungen genannten Solarisierung der Gebote JHWHs gehört; so auch Craigie 1983, Dahood 1965, Dahood 1982, Eaton 1968, Meinhold 1983, Sarna 1965, Vos 2004, Wagner 1999. (Zurück zu v.12)
akOder: Die Zeile gibt den wörtlichen Inhalt der Warnung wieder: „Durch sie ... wird auch dein Sklave gewarnt: ‚In ihrer Befolgung liegt reichlich Lohn!‘“. (Zurück zu v.12)
al[Doch] - Der Zhg. von Vv. 12.13 ist sicher adversativ; das muss man in der LF wohl besser durch die Einfügung eines „Doch“ o.Ä. ausdrücklich machen. (Zurück zu v.13)
amVersehen (versehentliche Fehler) - Bedeutung unsicher (-> Hapax legomenon); vermutlich meint es in etwa das selbe wie das folgende „Verborgene (ungewollte Sünden)“; vgl. z.B. König 1927, S. 104; Kittel 1914, S. 78; Wagner 1999, S. 258; Nel 2004, S. 113f. (Zurück zu v.13)
anVersehentliche Fehler - wer bemerkt sie - d.h. „Wer bemerkt versehentliche Fehler?“: Casus pendens-Konstruktion; s. FN af. Die Konstruktion soll eine stärkere Emphase auf diese „versehentliche Fehler“ legen: Gegen bewusste Sünden kann man sich verwahren, indem man auf JHWHs Gebote achtet - versehentliche Fehler jedoch... (Zurück zu v.13)
aoVerborgenen (ungewollte Sünden) ist ein Begriff aus der israelitischen Rechtsterminologie; man bezeichnet damit Vergehen und Sünden, die ein Sünder unwissentlich begangen hat. Vgl. z.B. Lev 4-5. (Zurück zu v.13)
apMit dem Wort für Vermessenheit werden in der Bibel sonst stets Personen bezeichnet. Meist bezeichnet das Wort die „Gattung“ von Feinden des einzelnen Beters, die sich besonders durch anmaßende Wortsünden (s. bes. Spr 21,24; auch Jes 13,11; Jer 43,2; Mal 3,15 (vgl. V. 14)) und eine prinzipielle Missachtung der Gebote Gottes (Ps 119,21.85) auszeichnen - es sind die „Vermessenen, Anmaßenden“. Das in Üss. häufig zu findende „Übermütige“ ist wohl noch ein Relikt aus der Zeit, zu der „übermütig sein“ im Dt. noch „anmaßend sein“ bedeutete.

Viele Exegeten gehen aber davon aus, dass das Wort hier entgegen seinem gewöhnlichen Gebrauch nicht Menschen, sondern personifizierte Sünden meine (Barnes 1869, S. 175; Terrien 2003, S. 206; Wagner 1999, S. 258: „presumptuous sins“, Deissler 1989, S. 81: „Vermessenes“; Harrelson 1999, S. 143: „proud thoughts“; König 1927, S. 104: „Übermütigkeiten“), was dann speziell - im Gegensatz zu den unwillentlich begangenen Sünden in V. 14 - die willentlichen Sünden meinen soll (so z.B. Buttenwieser 1938, S. 853; Christensen 2005.19, S. 2: „wilful sins“; Ehrlich 1905, S. 40: „mutwillige Übertretungen“; fast alle eng. Üss.; wohl auch VUL: „ab occultis meis ... et ab alienis“: „von meinen verborgenen und von anderen“).

Diese Deutung ist grammatisch auch unproblematisch und passt wirklich besser zum vorigen Vers; allerdings wohl weniger zum folgenden Teilvers; denn es ist doch fraglich, wie „anmaßende Taten“ über jemanden „herrschen“ sollen. Daher dann doch noch besser zu deuten als Abstraktplural: Der Psalmist kann sich nicht beherrschen (Spr 16,32), sondern wird beherrscht von „Anmaßung, Vermessenheit“ (vgl. HER05, NeÜ: „Hochmut“; Kissane 1953, S. 85: „pride“) - der Bereitschaft und gar dem Willen zum willentlichen Übertreten der Gebote Gottes (sehr gut daher EEB: „Stop your servant from wanting to sin“). (Zurück zu v.14)
aqVon ungewollten Sünden mache mich rein / Auch von Vermessenheit halte zurück deinen Sklaven - Wenn die Deutung von „Vermessenheit“ als Ausdruck von Gesinnungssünden richtig ist, sind die beiden Verse wohl ein hyperbatischer (-> Hyperbaton) Merismus zu deuten: „Von Sünden - sowohl unwillentlichen Sünden als auch Gesinnungssünden - reinige mich (wenn ich sie schon begangen habe) und halte mich zurück (damit ich sie zukünftig nicht begehe).“ - Der Psalmist bittet um Beistand Gottes beim Streben nach vollkommener Sündenfreiheit; denn dann wird er in der Tat „vollkommen sein“. (Zurück zu v.14)
arreichlich [großes] Vergehen - Bed. unsicher: Entweder ist mit Dahood 1982, Moran 1959, Rabinowitz 1959 und Wagner 1999 davon auszugehen, dass der Dichter hier einen mit dem Ausruck „reichlich [große] Sünde“ (Gen 20,9; Ex 32,21.30f; 2Kön 7,21) verwandten Rechtsterminus aus dem ägyptischen und ugaritischen Raum verwendet, der speziell Götzenverehrung bezeichnet, oder der Psalmist nennt in Vv. 13.14ab.14cd nacheinander die „unwillentliche Sünden“, die „Gesinnungssünden“ und allgemein die „schweren Sünden“ als einzelne „Sündengattungen“, wobei die ersten beiden als Vorstufen der dritten gedacht sind und derart, dass sie unweigerlich zur dritten führen müssen: Steht Gott dem Beter dabei bei, selbst diese nicht zu begehen, wird er sich automatisch auch jener nicht schuldig machen.
Anm. d. Üs. (S.W.): Im zweiten Fall wäre übrigens spannenderweise schon die Vorstellung der katholischen Sündenlehre vorweggenommen, dass erst dann eine schwere Sünde vorliege, wenn sie mit voller Kenntnis und aus böser Gesinnung begangen wird; vgl. z.B. KKK 1860: „Unverschuldete Unkenntnis kann die Verantwortung für ein schweres Vergehen vermindern, wenn nicht sogar aufheben. [...] Auch Triebimpulse [und] Leidenschaften [...] können die Freiheit und die Willentlichkeit eines Vergehens vermindern. Die Sünde aus Bosheit, aus überlegter Entscheidung für das Böse, wiegt am schwersten.“ (Zurück zu v.14)
asEs seien zum Wohlgefallen die Reden meines Mundes / und das sich-Äußern meines Herzens vor deinem Gesicht - Hyperbaton; natürliche Wortfolge: „Es seien zum Wohlgefallen vor deinem Gesicht die Reden meines Mundes und das sich-Äußern meines Herzens“ (vgl. Ex 28,38). Das Hyperbaton dient hier nur dem Zweck, die beiden parallelen Phrasen „die Reden meines Mundes“ und „das sich-Äußern meines Herzens“ auf zwei Stichen verteilen zu können; die Ergänzung von „möge kommen“ o.Ä. in der zweiten Zeile ist unnötig. Der Sinn ist: „Mein Reden und mein Denken sei dir wohlgefällig.“
V. 15 ist daher wohl auch weniger eine „abschließende Spendeformel“ (Meinhold 1983, S. 133; ähnlich Bonkamp 1949, S. 117; Gerstenberger 1991, S. 100; Gese 1991, S. 145; Oesch 1985, S. 84) zu werten, sondern wiederholt noch einmal die Bitte aus Vv. 13f: Der Psalmist bittet in Strophe 3 darum, auch über die äußerliche Gesetzestreue hinaus Gott wohlgefällig zu sein - in Gedanken, Worten und Werken; ganz und gar - und bittet dafür um Gottes Beistand. (Zurück zu v.15)