Syntax ungeprüft
Anmerkungen
Studienfassung (Psalm 6)
1 Für den Chorleiter (Dirigenten, Singenden, Musizierenden)〈a〉.
Zum Saitenspiel (auf Saiteninstrumenten) auf der Achten〈b〉.
Ein Psalm (begleitetes Lied) von (für, über, nach Art von) David.
2 JHWH, nicht in deinem Zorn〈c〉 strafe (züchtige) mich
- Und nicht in deinem Grimm〈c〉 züchtige mich.
3 Sei mir gnädig (erbarme dich meiner), JHWH, denn (fürwahr!,) ich [bin] schwach (ermattet)〈d〉.
- Rette mich (heile mich), JHWH, denn (fürwahr!,) erschrocken sind (es zittern, es vergehen)〈e〉 meine Knochen (mein Gebein, ich)〈e〉.
- 4 Und meine Seele (mein Leben) ist sehr erschrocken (vergeht sehr)〈e〉.
{Und du,} JHWH, wie lange [noch] (bis wann)...?〈f〉
5 Kehre um, JHWH!〈g〉 Rette〈h〉 meine Seele (mich)〈i〉!
6 Denn (Fürwahr!,) nicht [ist (findet statt)] im Totenreich〈k〉 ein dich-Loben (Gedenken an dich)
7 Ich bin ermüdet durch mein Schluchzen (Seufzen)〈m〉,
- ich überflute (lasse schwimmen)〈n〉 jede Nacht〈o〉 [mit meinen Tränen]〈p〉 mein Bett,
- mit meinen Tränen weiche ich [jede Nacht]〈q〉 mein Lager auf〈n〉.
8 Getrübt (Schwach geworden) vor Kummer (Gram) sind meine Augen, sie sind alt geworden in allen (den ganzen) meinen Anfeindungen. 9 Weicht von mir, alle Frevler (Sünder, Unrechtstäter)〈r〉, denn (fürwahr) erhört (gehört) hat JHWH mein lautes Weinen (die Stimme meines Weinens). 10 Erhört (gehört) hat JHWH mein Flehen, JHWH hat mein Gebet angenommen. 11 Beschämt und sehr bestürzt werden sein alle meine Feinde, sie kehren um und werden plötzlich beschämt sein.
Anmerkungen
a | Genaue Bedeutung unklar. Die gewählte Übersetzung ist mehr oder weniger Konvention, obwohl es nicht an alternativen Übersetzungsvorschlägen mangelt. (Zurück zu v.1) |
b | auf der Achten - Bedeutung unklar; die folgenden Deutungen sind nicht mehr als Spekulationen: (1) Am häufigsten werden zur Erklärung noch die Verse 1 Chr 15,20f; Ps 12,1 und Ps 46,1 herangezogen: In Ps 12,1 steht ebenso wie in unserem Vers haschäminit im Titel; in 1 Chr 15,20f steht dieses Wort zusammen mit alamot, was wohl etwa „Jungfrauenweise“=„hohe Gesangsstimme“ bedeutet und sich auch Ps 46,1 im Titel findet; entsprechend wären die schäminit der Bass der Männerstimmen (so z.B. Craigie 1983, S. 80; Delitzsch 1894, S. 96). Zu übersetzen wäre dann etwa: „Für den Chorleiter. Für tiefe Stimmen mit Saitenbegleitung“. |
c | tN: nicht in deinem Zorn/Grimm - die beiden Negationspartikeln nicht sind durch die Präpositionalphrasen in deinem Zorn bzw. in deinem Grimm von den Verben getrennt. Das ist sehr untypisch im Hebräischen. Einige (z.B. Baethgen 1904; Broyles 1989, S. 180; Gunkel 1968; Olshausen 1853; Podechard 1920) gehen davon aus, dass so Nachdruck nicht auf die Verben, sd. auf die PPs gelegt werden soll („nicht im Zorn/Grimm strafe mich, [sondern nach dem Maßstab des Rechts (d.i. „fair“)]“; s. Jer 10,24; vgl. noch Jes 64,8: „Nicht ewig gedenke der Sünden!“; Spr 31,4: „Für Könige ziemt sich das nicht, Lemuel! / Für Könige ziemt es sich nicht, Wein zu trinken!“). Nach V. 3 ist aber der Gegensatz zu V. 2 („nicht im Zorn“) nicht „nach Gerechtigkeit“, sondern „[strafe mich nicht, sondern] erbarme dich meiner!“; sicher liegt der Fokus also dennoch auf den Verben (vgl. z.B. König 1927, S. 619; s. auch Jer 15,15, wo diese syntaktische Analyse ergäbe: *„Nicht langmütig vernichte mich [, sondern ungeduldig]!“). Vermutlich haben wir es also hier nur mit einer Wortstellungsvariante zu tun. Die Funktion der PPs ist es dann, den Beweggrund JHWHs für die Bestrafung des Psalmisten anzugeben: „Strafe mich nicht aus Zorn“, und dann besser: „Strafe mich nicht trotz deines Zorns“, „Auch wenn du zornig bist, JHWH - strafe mich nicht!“ (Bratcher/Reyburn 1991, S. 59; ähnlich z.B. BFC, GN, PdV). |
d | schwach - Nicht: „welk“ - überwörtlich (wenn denn „welken“ überhaupt wirklich die Primärbedeutung des zugehörigen Verbs ist). So aber viele Üss. und Lexika. Sinngemäß wohl „Ich bin im Zustand der Todesnähe“. Recht häufig hat das Verb außerdem md. die Konnotation „trauern“ (s. Jes 19,8; 24,4.7; Jer 14,2; Klg 2,8; Hos 4,3; Joel 1,10); so sicher auch hier, s. Vv. 7f. (Zurück zu v.3) |
e | erschrocken sind (es zittern, es vergehen) meine Knochen (mein Gebein, ich) - Die Rede von den „erschrockenen Knochen“ scheint vielen Exegeten so merkwürdig, dass sie nibhalu („sie sind erschrocken“) emendieren wollen (-> Textkritik); entweder zu balu („sie werden morsch“, „sind abgenutzt“; so Cheyne, Halévy 1894c, S. 217, Kraus, Mowinckel, Podechard 1920, S. 45, Schlögl, Schmidt; erwogen auch von Kissane; s. auch BHS) oder zu nablu („sie sind verdorrt“; so Gunkel, Herkenne, Nötscher; Perles 1922, S. 51f; s. auch BHS). Das ist unnötig; alternativ möglich:
|
f | Aposiopese: Beinahe bricht aus dem Psalmist hier ein verzweifelter Vorwurf hervor, den er gerade noch zurückhalten kann (standardmäßig eingeleitet mit „Wie lange (denn noch)...?“, s. z.B. Ps 13,2f; Ps 74,10; Ps 80,5; Ps 94,3; Hab 1,2; ebenso abgebrochen in Ps 90,13). Daher ist auch das einleitende „und du,“ nicht zu übersetzen: Im Hebräischen dient wä´atta („und du“) oft nur als sog. „Diskurspartikel“, die Emphase auf einen bittenden oder befehlenden Diskursabschnitt legen soll (vgl. ähnlich z.B. Lyavdansky 2012, S. 19f; s. z.B. Ps 22,20; 42,11; 55,24; 59,6; 109,21 u.ö.); hier legt sie also Emphase auf die begonnene Klage und verstärkt so zusätzlich die Wirkung des Satzabbruchs. Stilistisch daher am Besten: „Ach, JHWH, wie lange denn noch...!?“ (Zurück zu v.4) |
g | Kehre um, JHWH - Begegnendes Unheil führte man im Alten Israel oft darauf zurück, dass der zornige Gott sich von Betroffenen „abgewandt“ habe; entsprechend ist „Wende dich [mir wieder zu]“ hier gleichbedeutend mit „Sei mir gnädig“ in V. 3. Sinnvoll daher Buttenwieser 1938: „Cease from thine anger!“; GN: „Lass ab von deinem Zorn!“ (Zurück zu v.5) |
h | Rette + Errette (hilf) - Wortspiel im Hebräischen: Der Psalmist verwendet in Vv. 3.5 drei unterschiedliche Verben, die sich alle in der Bedeutung „retten“ treffen. Den beiden Verben in V. 5 ist zusätzlich die Bedeutung „herausziehen /-reißen“ gemeinsam. Dahinter steht folgendes: Im Alten Israel stellte man sich die Unterwelt als den tiefsten Ort des Kosmos vor; daher sprach man von ihr z.B. als dem „Brunnen“, der „Grube“, dem „Schacht“ oder der „Zisterne“ (vgl. z.B. Oesterley 1911, S. 139f; Schorch 2000, S. 97f) und davon, dass man zu ihr „hinabstieg“ oder aus ihr wieder „emporgezogen“ wurde. Von diesem Totenreich spricht V. 6; liest man also Vv. 5 und 6 zusammen, entsteht - gelesen nach dieser zweiten Bedeutung - der Eindruck, der Psalmist habe sich sogar bereits in diesem Totenreich befunden und JHWH habe ihn nach seinem Tod wiederbelebt. Diese hyperbolische Aussage, man sei bereits gestorben und JHWH habe den den Psalmisten wiederbelebt, findet sich ausgesprochen häufig in den Psalmen, s. z.B. Ps 9,14; 18,5-7; 30,4; 116,3-6; doch ist das nicht wörtlich zu verstehen (Insgesamt finden sich in Vv. 3-5.7f keine Anhaltspunkte dafür, worin das Leid des Psalmisten eigentlich bestand, denn alle dortigen Aussagen sind in den Psalmen (nur) häufige Bilder für Leid im Allgemeinen). (zu v.5) |
i | meine Seele (mich) - „Seele“ im Heb. fast stets Wechselbegriff für „Ich“; übersetze: „Rette mich!“ (Zurück zu v.5) |
j | um deiner Huld willen - mehrdeutig: (1) Entweder läma`an („um...willen“) rationis impellentis, mit dem der Beweggrund bezeichnet wird, aus dem jemand etwas tut (s. Ps 25,7; 44,27 (wie hier): „um deiner Huld/Barmherzigkeit willen“ = „aus Huld“; Ps 143,11: „um deiner Gerechtigkeit willen“ = „aus Gerechtigkeit“; wohl auch Ps 23,3; 25,11; 79,9; 106,8; 109,21; 143,11; Jer 14, 7.21: „um deines (herrlichen) Namens willen“=„weil du der (Herrliche) bist, der du bist“, vgl. TDOT XV, S. 174; Bratcher/Reyburn 1991, S. 233); vgl. ad loc. Bratcher/Reyburn 1991, S.61; TWAT I, S. 605f. Dieses läma`an rationis impellentis wird fast stets verwendet, um an diesen Charakterzug Gottes zu appellieren; funktional entspräche dem im Dt. daher eher „Errette mich, du Barmherziger“, wie z.B. häufig Fürbitten formuliert sind. (2) chesed (hier: „Barmherzigkeit“) meint häufig die „Bündnistreue“ und wird derart nicht nur von Gott ausgesagt, der mit den Menschen seinen Bund geschlossen hat, sondern auch von den Menschen, mit denen Gott diesen Bund geschlossen hat (s. z.B. Hos 12,7). läma`an chasdeka ließe sich daher auch übersetzen als „um [meiner] Bündnistreue zu dir willen“, und V. 6 würde dann näher spezifizieren, was damit gemeint ist: Der Psalmist könnte im Totenreich seiner Bündnispflicht des JHWH-Preises nicht nachkommen - es läge also ganz im Interesse Gottes, den Psalmisten zu retten. So aber nur Broyles 1989, S. 182f; Ehrlich 1905, S. 11. Deutung (1) liegt näher, da - wie an den angeführten Stellen zu sehen ist - dieses läma`an [Charakterzug Gottes] ein häufiger Zug in Bitten ist; es könnte aber auch hier sein, dass bewusst mehrdeutig formuliert ist und auf diese Weise gleich zwei Gründe für JHWHs Rettungshandeln vorbringen soll. (Zurück zu v.5) |
k | Totenreich + Scheol: Nicht: „Hölle“ o.Ä., die alttestamentliche Vorstellung vom Leben nach dem Tod ist eine ganz andere als die christliche und eher mit der griechischen Vorstellung des Hades zu vergleichen: Ein Schattenreich, in das fast alle Gestorbenen als Schattengestalten hinabfahren, um dann nie wieder daraus zu entkommen. Einige übersetzen gelegentlich auch „Hades“; vielleicht ist das eine verständlichere Alternative? (zu v.6) |
l | Der Sinn von V. 6 ist umstritten. Die naheliegendste Deutung ist, dass tatsächlich mit dem Argument an JHWH appelliert wird, er möge doch den Psalmisten retten, denn mit dessen Tod verlöre er ja einen Anbeter. Weil vielen Exegeten eine solch „egoistische“ Gottesvorstellung nicht angenehm ist, schlagen sie als Alternative vor, der Psalmist sehne sich zurück in die Gottesdienstgemeinde, in deren Reihen er sich sonst JHWHs erinnerte und ihn pries (so z.B. Achtemeier 1974, S. 84f; Podechard 1920, S. 46) oder dass er sich schlicht nach dem „grösste[n] Glück, das ein Frommer haben kann, das Glück, [s]eine Grossthaten zu preisen“ sehne (Duhm 1899, S. 21). Das ist unnötig, die naheliegendere Deutung findet sich noch häufiger in der Bibel (s. z.B. Ps 30,10; 88,11-13; Jes 38,17) und das Argument wird in Jes 48,9-11 sogar ähnlich von JHWH selbst angewandt. (Zurück zu v.6) |
m | Schluchzen statt „Seufzen“ gut nach Dahood 1965; Houston/Moore/Waltke 2014; BBE, EVD, NCV, NLT. Sowohl beim Verb als auch beim Nomen passt diese Bedeutung an sämtlichen Stellen wesentlich besser. (Zurück zu v.7) |
n | überflute (lasse schwimmen) + weiche auf - zur Deutung der Bedeutung des ersten Verbs als „überfluten“ statt „schwimmen lassen“ vgl. Bosworth 2013, S. 39; von Soden 1991, S. 165f; zur Deutung des zweiten Verbs als „aufweichen“ von Soden 1991, S. 166. (zu v.7) |
o | jede Nacht statt „die ganze Nacht“; diese iterative Deutung fordert die Verbform (Yiqtol). (Zurück zu v.7) |
p | tN: [mit meinen Tränen] - Brachylogie aus Zeile 3; vgl. auch Goldingay 2006, S. 138. (Zurück zu v.7) |
q | tN: [jede Nacht] - Brachylogie aus Zeile 2; vgl. auch Goldingay 2006, S. 138. (Zurück zu v.7) |
r | wörtlich: alle Tuenden/Täter von Sünde/Unrecht/Frevel (Zurück zu v.9) |